Trinitätslehre auf dem Prüfstand — Brief XV. an Unitarier und Trinitarier (V): Der Name des Herrn
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V. Der Name des Herrn
Gott offenbart
sich im Alten Testament nicht als Vater und wird so auch (fast) niemals
genannt. Er hat gelegentlich väterliche Attribute, häufiger dagegen weibliche
und mütterliche, aber beides bleibt undeutlich, führt nicht zu einem klaren
elterlichen Bild. Zentral ist andererseits eine (männliche)
Liebhaber-Metaphorik. Sie ist scharf umrissen und taucht schon sehr früh auf.
Im Neuen Testament wird sie von Gott auf Jesus Christus übertragen.
Mit der Sünde,
mit der Möglichkeit, die Wirklichkeit zu leugnen und zu ersetzen durch die
Lüge, verliert der Mensch das Organ, das ihn Gott wahrnehmen lässt. Während
Gott in der Paradieserzählung unter den Menschen wandelt, kann davon danach
keine Rede mehr sein. Oder sagen wir es präzise: Ob er unter den Menschen
anwesend ist, können wir nicht sagen. Wir wissen, dass wir ihn nicht mehr
gewiss wahrgenommen haben. Unsere Empfindung, dass er sich zurückgezogen habe,
kann ganz falsch sein. Wir sind für seine Gegenwart erblindet, ertaubt und
erlahmt. Dieser Zustand scheint sich nach der Vertreibung aus dem Paradies sehr
schnell eingestellt zu haben.
a. „El“
Die jüdische
Tradition, die auch Hieronymus reflektiert hat, deutet einerseits die Vorgänge
noch in Eden und kurz danach als einen schrittweisen Rückzug Gottes aus der
Sphäre der Menschen. Sie kennt aber auch die Vorstellung, dass eine Erblindung
des Menschen für den anwesenden Schöpfer vorliegt. Je weiter er sich entfernte,
oder: je mehr der Mensch erblindete, desto „leerer“ wurde es, und man begann
zur Zeit des Enkels des „adam“,
Enosch, „beschem JHWH“, „mit/in einem Namen den/des Herrn anzurufen“
(Gen 4,26), oder, wie die LXX es übertrug, „Und Seth wurde ein Sohn geboren;
er gab ihm den Namen Enos. Dieser
hoffte darauf, den Namen des Herrn anzurufen.“ In diesem Sinne
übertrug dann auch Hieronymus.
Welchen Namen
man da wohl anrief, und: wie tat man das? Die Menschen wussten noch nicht, wie
sein Name ist. Sie riefen nicht den
Namen, sondern einen Namen an. Das
spricht aus den merkwürdigen Versen in Ex 6,3f:
„3 Ich bin Abraham, Isaak und
Jakob erschienen als El-Schaddai (Gott, der Gewaltige); aber mit meinem Namen
JHWH habe ich mich ihnen nicht zu erkennen gegeben.“
Wen haben sie
also vor Abraham angerufen? Oder anders gefragt: Was haben sie ausgerufen?
Hieronymus,
der die jüdischen Überlieferungen kannte, kommentiert diese alte Frage mit der
Bemerkung:
„Die meisten der Hebräer glauben, dass
damals zuerst unter dem Namen des Herrn und nach seiner Ähnlichkeit die
Götzenbilder verfertigt wurden.“[1]
Der
Gottesname, der in der Schrift erscheint, aber sehr gut als der Name des
Göttervaters im heidnischen Pantheon bezeugt ist, ist „El“. „El“ galt als der
Vater der Göttersöhne, und ein „El“
scheint auch in der biblischen Tradition als Anrufungsgestalt gemeint zu sein,
allerdings gewissermaßen seiner Zweige beraubt, bis auf wenige Stellen, an
denen noch die „Göttersöhne“ auftauchen.[2]
Die biblischen Gestalten fischen seltsam im Trüben zu Anfang. „El“ erscheint fast sinnleer und erfährt
durch Namenszusätze und die
Pluralisierung eine Sinnstiftung.
b. „Elohim“
„Elohim“ ist möglicherweise ein Pluralwort zu „El“, vielleicht aber auch, wenn man
Friedrich Weinreb glauben will, zu „elleh“
(pl. „diese“) und bedeutet dann wörtlich
„Götter“ oder so etwas wie „dieselben/genau diese“. Im Alten
Testament wird das Wort meistens für den einen und bestimmten Gott eingesetzt,
der sich als der persönlich hervortretende, Israel zuwendende Gott erweist. „Elohim“ wird aber auch weiterhin als
Begriff für „Götter“ im allgemeinen eingesetzt. Manchmal bleibt unklar, ob der
Gott oder Götter gemeint sind. In Gen 3,5 sagt die Schlange zur Frau, sie
würden „kelohim jodei tov wara“,
wörtlich „wie die Götter/Gott Gut und Böse erkennen“. Über das Verständnis
dieser Stelle herrschte immer Uneinigkeit. Die LXX verstand es als „theoi“, also als „Götter“, ebenso die Vulgata, die in den älteren Versionen „dii“ übersetzte, nun aber in der
neuesten vatikanischen Revision „Deus“
schreibt. Die King James Bible übertrug mit „Gods“,
also ebenfalls im Plural. Martin Buber schreibt „Gott“. Weil „elohim“
hier mit unbestimmtem Artikel vokalisiert ist, würde man allerdings tatsächlich
eher annehmen müssen, dass es nicht um den Gott geht, sondern um Götter. Der
Mensch wollte nicht sein wie Gott, wie es so oft heißt, sondern wie die Götter
eine Erkenntnis gewinnen. Um die Frage zu umgehen, welche Götter gemeint sein
könnten, wo man doch strengen Monotheismus ausgedrückt sehen wollte, übertrug
man dann häufig lieber mit „Gott“. Die in der Hinsicht völlig unverdächtige LXX
dürfte uns aber einen Hinweis darauf geben, wie das ursprüngliche Verständnis
der Stelle war.
Das Beispiel
soll vor Augen führen, dass „elohim“
ein allgemeiner Begriff für Gott ist, ähnlich wie das Stammwort „El“, der nicht immer eindeutig zuzuordnen
ist, sowohl den bestimmten, einen Gott, als auch heidnische Götter und
gelegentlich auch Menschen meinen kann. Am häufigsten ist er jedoch auf den
Gott Israels bezogen. Mit dem Plural wird er gewissermaßen „übergeordnet“: er
ist mehr als nur ein „El“. Er ist
gewissermaßen der „El“ potenziert.
c. „Na’aseh lanu schem!“ und der „El Eljon“
Nach der
Sintflut wird der Versuch der Menschen, sich „einen Namen zu machen“, die Stadt und der Turm zu Babel, von JHWH —
wie es vom zurückblickenden, späteren Autor interpretiert wird — vernichtet.
Der Turm sollte „baschamajim“ reichen
(Gen 11,4), „in den Himmel hinein“. Die
folgenden Worte sind durchaus mehrdeutig. Gemeinhin versteht man sie so, als
habe die Menschheit als die eine, noch nicht über die Erde verteilte, sich
selbst einen Namen machen wollen, wie man diese Redewendung modern versteht:
man will sich ein Denkmal setzen oder berühmt werden. Nur ergibt das keinen
Sinn: bei wem will sich die eine, ungeteilte Menschheit einen Namen machen? Es
ist ja keine Umgebung da, bei der man sich einen Namen machen könnte im
modernen Sinn. Man kann das aber auch anders verstehen: „wena’aseh lanu schem“ kann auch noch viel konkreter heißen „ und lasst uns ein Name werden“ bzw „lasst uns uns einen Namen erschaffen“.
Man kann durchaus auf den Gedanken kommen, dass es hier darum geht, einen
Gottesnamen zu machen. Dafür spricht auch der Turm, der in den Himmel
hineinreichen soll. Mit der Verwirrung der Sprache wurde diesem Unterfangen,
einen Gottesnamen samt einer Gottesbeziehung aus Eigenem zu kreieren, ein Ende
gesetzt. Gott scheint dieses Unterfangen der Menschen sehr ernst zu nehmen und
traut ihnen zu, es auch zu verwirklichen (Gen 11,6). Aber — rückschauend — kann
man erahnen, dass mit dem Gelingen dieses ihres Planes auch der Rückweg zu dem
wahren Gott versperrt worden wäre. Der Mensch hätte viel erreicht, dies aber in
einer Sackgasse.
Gottes
konkrete und direkte heilsgeschichtliche Zuwendung beginnt danach ab Gen 12 mit
der Herausrufung Abrams aus seinem Land. Auch Abram kennt den Namen Gottes
nicht. Er sieht in ihm wohl den im vorderen Orient überall geglaubten „El“, errichtet ihm am Ort „Beit-El“ (Haus Els) einen Altar. Es
heißt, dort habe er „beschem JHWH“
gerufen. „Beschem“ — mit einem Namen JHWH“, dessen Name aber
damals noch nicht offenbart war, wie wir schon gelesen haben. Rief Abram so an
wie man es zur Zeit Enoschs begonnen hatte zu tun? In Gen 15,2 lässt der Autor
Abram Gott als „adonai JHWH“, als „mein Herr JHWH“ ansprechen, was
rückwirkend hineingelegt worden sein muss, wenn Ex 6,3ff zutreffend ist und
Abram den Namen JHWH noch nicht gekannt haben kann.
Zuvor
begegnete dem Abram, dem „Iwri“
(„Hebräer“), dem „Fremden“, dem „Eingewanderten“ (Gen 14,13), der geheimnisvolle
Priesterkönig Melchisedek. Von dessen Gott heißt es, er sei der „El Eljon“ (der höchste Gott) (Gen
14,18ff). Ausdrücklich wird Abram über Melchisedek von diesem höchsten „El“ gesegnet und in einen Lobpreis
desselben Gottes hineingenommen. Dieser „El“
sei der „Schöpfer des Himmels und der
Erde“, wird damit allerdings im Kontext des bekannten heidnischen
Verständnisses von „El“ gezeichnet,
der allgemein als der Urschöpfer galt. Wenn man sich hineindenkt in die
Situation, die beschrieben wird, wird verständlicher, dass diese Begegnung
Abrams mit Melchisedek einer Konkretisierung des Gottes, mit dem Abram es zu
tun hatte, diente: Du hast es mit dem „El aller Els“ zu tun.
Gleich nach
dieser Segnung Abrams hat Abram eine Vision Gottes (Gen 15), die auch
sprachlich weit über das hinausgeht, was er zuvor an Gotteserfahrungen gemacht
hatte: Ab jetzt führt er mit diesem Gott Dialoge. Zuvor war er nur einseitig
von ihm angesprochen worden. Das ist ein enormer „Fortschritt“: Nun spricht ein
Mensch erstmalig Gott wieder informell an, so, wie man einen anderen Menschen,
einen Freund anspricht. Das wurde in der Schrift zuletzt von Adam und Eva getan.
Sie waren die letzten, die ihrerseits zu Gott freundschaftlich dialogisch
sprachen, so, wie man zu einem Menschen spricht, der hört und antwortet. Wohl
spricht Gott weiterhin einmal zu einem Menschen, etwa zu Kain, aber der Dialog
Kains mit Gott ist nicht mehr freundschaftlich, weil Kains Herz sich abgewandt
hat. Nach dem verweigernden Dialog Kains mit Gott gibt es erst einmal keine
Dialoge mehr, die uns berichtet werden. Gott spricht zwar einseitig zu
Menschen, etwa zu Noach, aber es ist uns nicht berichtet, dass die Menschen ihm
antworten.
In Gen 15
beginnt der Mensch Abram sein Herz zu öffnen gegenüber dem „El Eljon“ und spricht seinerseits zu ihm.
d. „El Roi“
Der nächste
Herzensdialog zwischen Gott und Mensch geschieht überraschenderweise nicht
zwischen Gott und Sara, der Frau des Abraham, sondern mit der von den beiden
sexuell missbrauchten und verzweifelten Sklavin, der Hagar, in Gen 16. Mit
Hagar wird auch erstmalig die Metaphorik des göttlichen Liebhabers intoniert.
Auf letztere
Metaphorik kann ich hier nur knapp eingehen, möchte aber darauf hinweisen, dass
die erotische Mann-Frau-Bildsprache — intakt verstanden, nicht nach der
Unordnung durch die Sünde — sowieso kein Rangdenken verträgt, sondern aufs
„Ganze“ gerichtet ist. In diesem „Ganzen“ bilden Gott und Menschen eine
Ganzheit auf Augenhöhe (wie Mann und Frau), was ebenfalls ein ungeheuerlicher,
undenkbarer Gedanke bleibt, wenn wir ihn messen an unserer erbärmlichen
Wirklichkeit.
Im Hohenlied,
dem „Lied der Lieder“ ist nicht immer
klar, wer metaphorisch welche Rolle einnimmt, sie verschwimmen und durchwirken
sich, Schulamit und der, den ihr Herz liebt. Ob der Geliebte unablässig nach
ihr sucht oder sie nach ihm, ob er sich entzieht oder sie das tut — es ist
keinerlei Rangabfolge erkennbar. In der Beziehung der Sklavin Hagar zu dem Gott,
der ihr in der Wüste begegnet, schwingt dieses Motiv ebenfalls mit (eigene
Übertragung einer komplizierten, nur schwer gut wiedergebbaren, grammatischen
Konstruktion im Hebräischen):
„Sie rief den Namen JHWHs, des zu ihr
Sprechenden, ‚El Roi’ (der mich sehende Gott), denn sie sagte: ‚Habe ich nicht
auch hier dem Mich Sehenden nachgesehen?’.“ (Gen 16,13)
Hagar hat den
Eindruck, dass der Augenblick, in dem Gott nach ihr sah, ihr zeigte, dass auch
sie immer nach ihm Ausschau gehalten hatte.
Das ist
bereits die Sprache des Hohenliedes.
Sie gibt ihm
einen Namen der Erfahrung entsprechend, die sie mit ihm gemacht hat. Und auch sie
führt mit ihm einen Dialog, und ausdrücklich heißt es, sie habe dem JHWH (aus
der Rückschau wird er konkret benannt) einen Namen gegeben, ihm, dem „haddover eleha“, der „zu ihr gesprochen“ habe (Gen 16,13).
Dieser „El Roi“ spricht ein zweites
Mal mit ihr in Gen 21.
e. Der
Liebhaber und der „Baal“
Das
Männlich-Herrscherliche wird eigentümlich außer acht gelassen, wenn es um die
Beziehung zwischen Gott und Mensch geht. Ja, es wirkt lächerlich, böse und
verdorben. In der Begegnung mit Hagar offenbart Gott sein liebendes Herz. Bereits
im AT werden ganz andere Attribute des Männlichen spürbar, als der
Partriarchalismus es festklammert. Gott verstößt in den späteren Reden der
Propheten seine Geliebte Israel nicht, obwohl sie untreu ist. Er liebt sie und
will sie wiederhaben, er wirbt um sie und kämpft mit ihr um ihre Zuneigung. Der
Mann im mosaischen Gesetz dagegen gibt seiner Frau einen Tritt und nimmt sich
eine Neue, wenn sie ihm nicht mehr passt. Hier tun sich Abgründe auf. Die
widergöttliche Haltung erreichte tatsächlich zur Zeit Jesu ihren
Kulminationspunkt mit Rabbi Hillel (gest. um 9 n. Chr.), der lehrte, der Mann
könne seine Frau aus jedem, seiner Willkür unterlegten Grund verstoßen.[3]
Interessanterweise
kommt aus dem animalischen Gesetzesdenken die Konvention des Hebräischen, den
Ehemann „baal“ zu nennen („Herr/Herrscher“), also nicht „elohim“ oder „JHWH“ — das hätte der
Mann niemals gewagt, aber stattdessen greift er zum pervertierten Vatergott der
heidnischen Umwelt und nennt seinen eigenen Herrschaftswahn über Frau und
Kinder nach dem Gott Baal, der zur Zeit Jesu sogar als Name des Satans
aufgefasst wurde (Mk 3,22ff; Mt 10,25; Mt 12,24ff; Lk 11,15ff). Immerhin nannte
Sara, deren Name auf Geheiß Gottes „Herrin“
lautet, ihren Mann in Gen 18,12 „adoni“
(mein Herr). Als Verb bedeutet „baal“
im Gegensatz zum urgeschöpflichen „jada“
(erkennen) für den Geschlechtsakt, das animalische „begatten“ (also wörtlich „beherrschen“
oder „besitzen“). Im Hebräischen
bedeutet „baal“ daher auch „Eigentümer“. Der Namenszusatz „Baal“ für Eigentümer, Könige und Götter
ist durchweg tatsächlich ein „Titel“ —
im Gegensatz zu den Gottesbezeichnungen des höchsten und besten Gottes im AT.
Es ist der Baal, der den, den er „besitzt“,
zum „Besessenen“ macht. Nach diesem
bösen Dämon benannte der Mann seinen Herrschaftsanspruch. Und mit diesem
zweifelhaften Titel benannten fromme Frauen später — anders als Sara — ihren
Mann.
Jesus heilte
viele „Besessene“, und wenn es sich
um Frauen handelte, wurden sie frei und mit ihrem Namen genannt und umgaben ihn
auch frei ohne irgendeinen rechtlichen Bezug zu ihren Männern oder Vätern.
Das hebräische
Wort „adon“ (Herr), das für Gott
mitgenutzt wird, beinhaltet nicht diesen Aspekt des Eigentümerseins oder „Beherrschens“, das im „baal“ ausgedrückt wird. Es betont die
Würde dessen, der so angesprochen wird, die er aus sich selbst heraus hat und
die der ihn Ansprechende ihm auch respektvoll zuspricht. Ein „adon“ ist ein „adon“ — er beansprucht nicht, indem er sich den Titel gibt, einer
zu sein, ohne es wirklich zu sein. Abraham ist, um es zugespitzt zu sagen, nur
deswegen ein „adon“, weil „Sara“, deren Name „Herrin“ bedeutet,
ihn so nennt. Gott gibt ihr diesen neuen Namen (Gen 17,15). Sie gibt, nun
inzwischen gereift, diesen Namen an ihren Mann zurück.
Die jüdische
Tradition kennt die Vorstellung, dass die Götter sich den Namen Gottes angemaßt
hätten.[4]
Erst mit diesem Akt wurde „Gott“ zu
einem „Titel“. Der wirkliche Gott
aber bedarf keiner Titel, denn er ist genau das, was er ist und wem er
begegnet, der weiß, dass er es ist, erkennt es an oder vergeht. Ein Gott, der
Titel braucht, ist keiner. Der Name Gottes ist das, was er ist, so wie auch
Abraham („Vater der vielen“) und Sara
(„Herrin“) zu dem wurden mit Gottes
Hilfe, was ihre Namen sagten. Im Zusammenhang mit der Vergabe neuer Namen, die
die alten Namen nicht einfach wegwerfen und verachten, sondern behutsam und
liebevoll umformen, erfährt Abraham noch etwas anderes: einen weiteren
erklärenden Gottesnamen.
Und doch
teilte Gott diesen beiden noch nicht seinen JHWH-Namen mit. Ihnen erschien er
als der gewaltige, überraschende, wirksame Gott (s.u.), während die kleine
Sklavin Hagar, die sie von sich gestoßen hatten nach dem damals in der
heidnischen Umwelt rechtmäßigen und so grausamen Missbrauch, ihn als den „Mich-Sehenden“ erfahren durfte.
f. „El
Schaddaj“
In Gen 17,1ff,
nachdem er Hagar erschien und von ihr als „El
Roi“ benannt wurde, erscheint Gott auch erneut dem Abram und nennt diesmal
einen Namen (V1): „Ani El Schaddaj“, „Ich bin El, der Gewaltige“. „El Schaddaj“ schließt mit ihm einen
Bund und gibt ihm und Sarai neue Namen: Abraham und Sara (s.u.).
In beiden
Begriffen klärt sich für Abraham und Sara, die einen Vorläufer-Exodus aus dem
alten heidnischen Feld erleben, dass der „El“,
der mit ihnen Kontakt aufgenommen hat, der Höchste und der Gewaltige ist. Mit
ihm machen sie entsprechende „beglaubigende“ Erfahrungen. Und mit ihm stehen
sie auf seine Initiative hin in einem Bundesverhältnis.
Wie oben schon
zitiert, wird uns in Ex 6,3ff bestätigt, dass Abraham, Isaak und Jakob Gott nur
unter diesem Namen kennenlernen konnten.
Eigentümlich
ist das Wortspiel in Gen 49,25f, wo der sterbende Jakob Josef mit folgenden
Worten segnet:
„Me’El avicha weja’esercha we’et Schaddaj (…) wiwarchecha birchot schamajim me’al birchot tehom rowezet tachat
birchot schadajim wa racham.“
Nach Buber
folgendermaßen übertragen:
„Vom Gott deines Vaters —
Er helfe dir,
von dem Gewaltigen —
er segne dich:
Segnungen des Himmels, von droben,
Segnungen des Wirbels, der drunten lagert,
Segnungen von Brüsten und Schoß!“
Dieser Segen
ist mehr als geheimnisvoll, denn er geht weiter und nennt in V 26 einen „Geweihten unter seinen Brüdern“, dem
dieser Segen langfristig gilt:
„Die Segnungen deines Vaters wuchsen
An die Segnungen der ewigen Berge,
an die Lust der Weltzeit-Höhn —
sie mögen sich senken auf Josefs Haupt,
auf den Scheitel des Geweihten unter
seinen Brüdern!“
Gerade dieser
letzte Abschnitt ist sehr schwer zu übersetzen, er ist auf Hebräisch poetisch
und mystisch. Hier klafft ein großer Unterschied zwischen der LXX und dem
Masoretischen Text. Allerdings scheint Buber hier dem zu folgen, was auch die
LXX vorgibt. Ich konnte die Auffassungen bei Luther und der King James Bibel
aus dem masoretischen Text nicht erkennen. Ohne diese Problematik weiter
verfolgen zu wollen an dieser Stelle, wird hier ein prozesshaftes Geschehen beschrieben,
ja sogar beschworen, das die Segnungen im „nasir“
kulminieren lassen wird. Ein „nasir“
ist ein Gottgeweihter, ein Mönch bzw ein „Ausgesonderter“.
Die Segnungen
des „Schaddaj“ sind diese drei:
„Segnungen des Himmels, von droben,
Segnungen des Wirbels, der drunten
lagert,
Segnungen von Brüsten und Schoß!“
Der „El Schaddaj“ umfasst und überblickt alles:
den Himmel oben („schamajim“), das
Chaoswasser, die Urflut aus Gen 1,2 („tehom“)
und die Unterwelt, und seltsamerweise das Weibliche („schadajim wa racham“). Das Wortspiel „Schaddaj“ (Gewaltiger) mit den „schadajim“
(Brüsten) ist auffallend. Aber nicht nur das, sondern auch der „racham“, der Mutterleib (bei Buber „Schoß“), nach dem Gottes Erbarmen im
Plural benannt ist, die „rachamim“.
Die Verbindung des „Schaddaj“ mit dem
Chaoswasser, dem „tehom“, assoziiert
aber auch mit dem Begriff „sched“ für
„Dämon“, das vermutlich mit „Schaddaj“ zusammenhängt.
Diesem „Gewaltigen“ haftet durchaus etwas Erschreckendes, Numinoses an. Aber er
wendet den Schrecken ab von Abraham und stellt ihn zunächst unter seinen
mütterlichen Schutz der „Brüste“ und des „Mutterleibs“ (metaphorisch des
„Erbarmens“).
Es wird deutlich,
dass die maskuline Metaphorik des „El“
hier erstmalig in einen weiblichen Zusammenhang gestellt wird und die
Konnotationen des heidnischen Feldes verlässt, ohne zu konkret zu werden und
das Göttliche plump mit dem Geschlechtlichen zu identifizieren, wie es etwa im
ägyptischen Denken aufscheint, das den Gott Atum als „Er Sie“ auftreten lässt, der durch Masturbation — wobei er sehr
wohl männlich vorgestellt wird, aber seine masturbierende Hand die „Gattin“
darstellt — das erste Menschenpaar erzeugt habe. Es ist wichtig festzuhalten,
dass hier ein wirklich transzendenter Gott deutlicher in Erscheinung tritt, der
nicht maskulin, nicht herrscherlich ist, der aber Züge des Liebhabers und des
Mütterlichen innehat, ohne aus der Metaphorik abzustürzen ins Sexuell-Konkrete.
Die
Mütterlichkeit Gottes tritt später an zahlreichen Stellen des Alten Testaments
zutage, viel häufiger als eine bereits massiv korrumpierte Väterlichkeit, ohne
aus Gott eine Frau zu machen.[5]
Das, was aber als göttlich Männliches hervortritt, ist unter Sünde vom Menschen
dem Weiblichen zugeordnet und wird hier aufgegriffen und in der Getrenntheit
wieder zusammengefügt und „geheilt“ (s.u.).
Das hebräische
Wort für „männlich“ heißt ursprünglich „sachar“.
Der Wortstamm „s-ch-r“ bedeutet „Gedächtnis“, „erinnern“, „eingedenk“
sein, auch einfach „innen“. Dieser
Begriff steht am Anfang in Gen 1, als Gott den Menschen schuf, schuf er ihn „s-ch-r“ (männlich, „eingedenk“,
erinnernd) und „nekeva“ (weiblich). „N-k-v“ ist ein Wortstamm, der „durchbohrend“ oder „Höhle“, aber auch „nennen“,
„genau bestimmen“ (iS von erkennen, definieren oder analysieren) bedeutet.
Beide Begriffe
weisen ein Geheimnis und eine Tiefe auf. Sie verbinden Erkenntnis mit
Gedächtnis. Uns erscheinen diese Zuordnungen, wenn man sie misst an dem, was
man traditionell dem Männlichen und Weiblichen anheftet, geradezu
seitenverkehrt. Das Innere ordnen wir unter Sünde dem Weiblichen zu, das Äußere
und Analytische und Umgebende dem Männlichen. In den Urbegriffen ist es
umgekehrt …
Es ist vielleicht
von daher verständlicher, warum die Schlange Eva angriff: es war für den noch
intakten weiblichen Menschen verlockend, Dinge zu benennen und zu „durchbohren“
mit der Erkenntnis. Der „adam“ hatte
dagegen noch als Gesamtwesen mit dieser „weiblichen Seite“ zuvor alle Tiere
benannt (Gen 2,19). Wir finden in der hebräischen Bibel zahlreiche Situationen,
in denen Frauen Namensvergaben bzw Benennungen (zum Teil ausdrücklich auf
Geheiß des Gottes) durchführen — das gibt es im Patriarchalismus eigentlich nicht.
Eine Rangfolge ist nicht erkennbar. Es ist die schöpfungsbedingte Sache der
Frau, die später umgekehrt wurde, aber sie geschieht im biblischen Erzählen nicht
„feministisch“, sondern quasi unter der Hand, fließt ein, ergibt sich fast
beiläufig und unbemerkt. Man muss genau hinsehen, damit einem das alles
auffällt.
Eines aber ist
klar: diese beiden Eigenschaften „s-ch-r“
und „n-k-v“ bilden nach Gen 1 Gott ab
und sind „bi d’muto“, „in seiner
Gestalt“. Es kann doch niemanden im Ernst wundern, dass Gott auch
mütterliche und weibliche Züge hat, wenn „n-k-v“
ihn genauso abbildet wie „s-ch-r“.
Der „El Schaddaj“ umfasst als Gewaltiger
alles, und alles, was ist, empfängt das Sein aus seinem Sein. Als „El Eljon“ ist er nicht einfach der
Höchste, der Rangoberste oder die Spitze einer Pyramide. Bei Gott gibt es keine
Pyramide, und sein Volk führt er später aus dem Land der Pyramiden, diesem
Sklavenhaus. Abraham erhält mit der Offenbarung des „Eljon“ auch die des „Schaddaj“,
um nicht der irrigen Idee zu verfallen, Gott sei — der heidnischen Konzeption
des „El“ gemäß — so etwas wie ein
Superpatriarch. In Jak 2,23 wird Abraham „philos
theou“, „Freund Gottes“ genannt. Freundschaft schließt Rangordnung aus. Mit
dem „Schaddaj“ wird Abraham
hineingenommen in die furchterregende und unbegreifliche Gegenwart Gottes in
allen Dingen wie in einen bergenden Mutterschoß.
Die
Selbstoffenbarung Gottes geschieht nicht in Herrschaftsbildern, er oben, wir
unten, auch dann nicht, wenn er in zugespitzten Konflikten mit seinem Volk darauf
besteht, alleine den Überblick über alles zu haben. Der Lobpreis Gottes als des
Königs der Könige geht dagegen immer vom verzückten, inspirierten Menschen aus.
Gott umgekehrt sagt dem Menschen königliche Teilhabe ohne irgendeinen Abstrich
zu: er wird in einem lebendigen Tempel wohnen, den er aus dem
Menschengeschlecht erweckt. So sagt er es Abraham zu, so sagt er es Sara zu, so
sagt er es nach einem langen Vergessen David zu.
So vollzog er
es an Jesus Christus als dem „Erstgeborenen“, der der Inbegriff der alten
Zusage war, die Gestalt, die aller Zusage schon vorausging in Gottes Wirken,
Jesus, in dem auch alle anderen Menschen der Potenz nach geweiht sind. Paulus
formuliert es:
„Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib
ein Tempel des Heiligen Geistes in euch ist, den ihr von Gott habt, und dass
ihr nicht euch selbst gehört?“
(1 Kor 6,19)
Und am Ende der
Johannes-Apokalypse steht es erneut: „Siehe,
das Zelt Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden
seine Völker sein, und Gott selbst wird bei ihnen sein, ihr Gott“. (Apk 21,3)
Die Wendung
„ihr Gott“ meint natürlich keinen Titel, sondern die vollkommene Zuwendung
Gottes und auch die Fülle seiner „Schechina“,
der „Einwohnung (Gottes)“. Auch wenn
dieser Begriff erst in außerbiblischen jüdischen Texten entwickelt wird, trifft
er doch sehr genau die neutestamentliche Aussicht, die aus den Zitaten
hervortritt und bereits im Alten Testament angelegt ist. Es wäre verfehlt, wenn
man nicht erkennt, dass diese „geschmückte Braut Jerusalem“, die vom Himmel
herab kommt, samt dem Gott, der darin unter den Menschen wohnen will, hier nicht
mehr gestuft dargestellt werden. Es ist ein vollkommenes Ineinander von Gott
und den Seinen, so wie das, was sich im tiefsten Herzensgrund alle Menschen von
einer großen Liebe zwischen Mann und Frau erwarten, solange sie noch unschuldig
und unverdorben sind. Dieses Ende der Heilsgeschichte entspringt dem Erbarmen
Gottes, aber dieser Gott leistet — in einer irdischen Verstehensweise — einen
Herrschaftsverzicht, der uns nur entweder stumm oder zu Lobpreisenden machen
kann. Wenn dann von den so im Erbarmen gewürdigten und hoch erhobenen Menschen
nichts anderes kommt, als nun erneut ihre Herrschaftsgedanken in diese
Liebesordnung Gottes zu implementieren und Gott erneut zu einem Baal zu machen,
dann kommt das einem Abfall gleich.
g. Der „ehieh ascher ehieh“ oder kurz „ehieh“, der „elohei iwriim“, und JHWH
Gott bindet
seinen Namen an die drei Generationen Abraham, Isaak und Jakob, er ist der „Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs“.
Diese Wendung taucht erstmalig in Ex 3,6 auf. Moses wird dort, als er alleine
in der Wüste ist, von Gott aus einem brennenden Dornbusch heraus angesprochen
und tritt sofort in ein dialogisches Gespräch mit ihm. Der Gott der Väter will
deren Nachkommen befreien aus dem Frondienst bei den Ägyptern.
Mose erklärt in
Ex 3 dem Gott am Dornbusch, dass die Hebräer offenbar diesen Gott ihrer Väter
nicht mehr kennen und von ihm werden wissen wollen, wie dieser Gott heiße
(Übertragung nach Buber):
„Mosche sprach zu Gott:
Da komme ich denn zu den Söhnen Jißraels,
Da komme ich denn zu den Söhnen Jißraels,
ich spreche zu ihnen: Der Gott eurer
Väter schickt mich zu euch,
sie werden zu mir sprechen: Was ists um
seinen Namen? —
was spreche ich zu ihnen?
Gott sprach zu Mosche:
Ich werde dasein, als der
ich dasein werde.
Und er sprach:
So sollst du zu den Söhnen Jißraels
sprechen:
ICH BIN DA schickt mich zu euch.
So sollst du zu den Söhnen Jißraels
sprechen:
ER (im Hebräischen steht hier JHWH),
der Gott eurer Väter,
der Gott Abrahams, der Gott Jizchaks,
der Gott Jaakobs,
schickt mich zu euch.
Das ist mein Name in Weltzeit, das mein
Gedenken, Geschlecht für Geschlecht.“
An diesem
Dialog fällt einiges auf.
Zunächst fällt
auf, dass Gott einen Beziehungsfaden anknüpft und seinen vollen Namen für
dieses „olam“, dieses “Zeitalter“ offenbart „Ich werde da sein“ („ehieh“).
Es fällt
weiter auf, dass hier eine positive, dem Mann unter Sünde entfremdete
Männlichkeit spricht: „seh sichri ledor dor“ („Dies ist mein
Gedenken von Geschlecht zu Geschlecht“). In diesem Namen „ehieh ascher ehieh“ drückt sich das Eingedenksein aus, das „s-ch-r“, das Männliche als Gutes,
Göttliches. Dieser Gott, von dem auch die Segnung der „schadajim“ (Brüste) und des „racham“
(Mutterleib) kommt, der nährt und umhüllt in seinem Erbarmen, ist eingedenk
seiner Verheißungen an die Menschen, denen er sie gegeben hat. Wir erinnern uns
mit Gott daran, dass er Abraham und Sara, aber auch Hagar, verheißen hat, mit
ihren Nachkommen zu sein.
Es ist
Abrahams Enkel Jakob, der sich erinnert an die Verheißungen an seine
Großeltern, und sie Gott in einer Ansprache, die er von sich aus an ihn wendet,
als er seinem Bruder Esau wieder begegnete, den er übrigens „adoni“ („mein Herr“) nennt, und zittert um einen guten Verlauf dieses
Zusammentreffens Gen 32,10ff):
„Gott meines Vaters Abraham, („elohei
avi Avraham“)
Gott meines Vaters Jizchak, („elohei
avi Jizchak“)
DU*,
der zu mir sprach: Kehre zu deinem
Land, zu deiner Verwandtschaft, ich will dir Güte erweisen!
(…)
O rette mich doch (…)
Du selbst aber hast gesprochen:
Güte will ich dir, Güte erweisen,
will deinen Samen machen wie den Sand
des Meeres, der vor Menschen nicht gezählt werden kann.“
(*Buber
übersetzt das JHWH, das dort steht, mit „DU“, weil Jakob den Gottesnamen nach
Ex 3 und dem Verlauf der folgenden Begegnung ja noch nicht wissen kann, vgl.
V30))
Jakob erinnert
sich an Gottes Verheißung an Abraham, dem er nachts den Sternenhimmel zeigte
und zusagte, dass er dessen Nachkommen so zahlreich wie die Sterne machen wolle
und wie den Sand am Meer (Gen 13,16; Gen 15,5; Gen 22,17). Das „s-ch-r“, das „Eingedenksein“ wird wirksam in Jakob und führt zu einer
Gottesbegegnung.
Es wird in der
gesamten Episode nichts davon berichtet, dass Jakob einen Altar gebaut oder
geopfert hätte. Er wendet sich direkt und dialogisch an Gott. Zuvor, als er
sich von seinem Onkel Laban trennte, hieß es von ihm noch, er habe einen Bund
mit Laban geschlossen, den sie beim „Gott
Abrahams und dem Gott Nahors (des Bruders Abrahams)“ (Gen 31,53)
besiegelten. Es heißt, Jakob habe geschworen „befachad awiw Jizchak“ (V54), beim „Schrecken seines Vaters Isaak“. Seinen „innersten“ Namen kennt er
nicht. Und in dieser Situation opfert er ein Tier und verspeist es mit Laban und den Verwandten.
Gott wandte
sich später Jakob dann als ein „isch“ („ein
Mann“) zu (Gen 32,23ff), den Jakob selbst für Gott hält, — die Juden
tradieren, es sei der Engel Gabriel gewesen —, kämpfte die ganze Nacht mit ihm,
weil Jakob um ihn rang und ihn erst dann gehen lassen wollte, wenn er ihn
segnete — eine Szene, die auch Züge des Hohenliedes trägt. Auf dieses Ringen um
einen Segen hin gibt der "isch" ihm einen neuen Namen: Israel, „ki saritha im elohim we im anaschim wattuchal“, „denn mit Göttern (Gott) und Menschen hast
du gerungen und gewonnen“.
Als Jakob ihn
bittet: „Haggida na schmecha!“ („Erzähle doch deinen Namen!“),
antwortet der Mann: „Lamma seh tisch’al
lischmi?“ („Warum fragst du so nach
meinem Namen?“), sagt seinen Namen nicht und segnet Jakob.
Jakob wertet
dies offenbar als eine Begegnung mit „El“,
denn er nennt den Ort, an dem dies geschah, „Pni-El“ („Angesicht Els“), denn er habe „Gott
gesehen von Angesicht zu Angesicht, und meine Seele ist errettet“ (V31).
In Ex 3,16
spricht Gott dann erstmalig selbstoffenbarend den JHWH-Namen aus, dessen linguistische
Herkunft und Bedeutung umstritten sind, das aber wahrscheinlich vom Verb „h-j-h“ („sein“) kommt.
Der orthodoxe
Jude Friedrich Weinreb, der ein ausgezeichneter Hebraist war, sagt uns, dass
auch das Tetragramm JHWH der Grammatik der Nomen nach eine eindeutig weibliche
Namensform ist. Weinreb sieht eine Verfälschung in der deutschen Übersetzung
„Herr“ für JHWH und weist darauf hin, dass damit völlig falsche,
männlich-herrscherliche Assoziationen geweckt werden, die dem Hebräischen gar
nicht entsprechen.[6]
In demselben
Dialog Gottes mit Mose nennt Gott sich in V18 auch „elohei iwriim“. In dem Wortstamm „(e)-w-r“ steckt sehr viel. Es ist ein Stamm, bei dem es um
Grenzüberschreitung, um Jenseitiges, Eingewandertes, aber auch die Sünde geht. „Awar“ heißt „vorübergehen“,
„hinübergehen“, aber auch „verstoßen“, „sich vergehen“. „Iwri“ ist der Hebräer, „awerah“
bedeutet „Sünde“, „awar“ als Nomen
auch „Vergangenheit“. Ein „awarjan“
ist ein „Verbrecher“. Der „elohei iwriim“
ist demzufolge vieles: der Gott der „Hebräer“, der Gott der „Sünder“, der Gott
der „Jenseitigen“, der „Eingewanderten“ und des „Vergangenen“, ein Gott auch
der „Verbrecher“ und „Verstoßenen“. Der Bezug auf die „habiru“, die „Fronarbeiter“ und „Aussätzigen“ unter ägyptischer
Herrschaft, passt in dieses Szenario.
Insgesamt
stürzt auf Mose eine enorme Offenbarungsaussage seitens Gottes ein, die sein
Wesen als „Seiender“ (die LXX fasste den Namen „ehieh“ als „ho on“, das
Seiende, auf) entschleiert, dessen nun ausgesprochener Name eine
Beistandstandsformel bedeutet, die ergänzt wird durch eine Verbindung mit
konkreten Namen und einem merkwürdigen, kleinen, kläglich, verabscheut und
geschwächt gezeichneten Volk.
Mit der
Offenbarung des Namens JHWH tauchen erste menschliche Namen auf, die diesen
Namen enthalten, zentral am Ende der Wüstenwanderung „Jehoschua“ (Josua), der die Israeliten nach dem Tod Moses ins
Gelobte Land hineinführt. Es ist sicher kein Zufall, dass es auch wieder dieser
Name es ist, den Maria ihrem Sohn geben soll. „Jesus“ ist die griechische Form von „Jehoschua“. Der Name bedeutet „JHWH
rettet“.
h. Adonai
Eigentümlich
ist in diesem Zusammenhang auch die grammatische Form, die dem Ersatzwort für
JHWH, das die Juden aus Scheu vor dem Heiligen nicht aussprechen wollen,
eignet: Wo JHWH steht, liest man „Adonai“.
Das bedeutet gemäß den gängigen Übersetzungen „(mein) Herr“.
Nun sagt man
aber „mein Herr“ auf Hebräisch normalerweise mit dem Wort „adon“ + Possessiv-Suffix „i“ für „mein“ und spricht: „adoni“. Es gibt auch die weibliche Form
von „adon“ und sie lautet „adona“ (Herrin). Im modernen Hebräisch
entspricht ein „adon“ vor einen
Familiennamen dem deutschen „Herr“: „adon Meier“ bedeutet „Herr Meier“. Auch heute noch schwingt
darin weder Herrschaft noch Besitzanspruch, sondern Respekt und Ehrerbietung
vor dem anderen darin. Wie schon erwähnt, ist ein „adon“ kein „baal“.
Christliche
Autoren sehen bisweilen vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr: Manche meinen
etwa, „adon“ müsse mit Possessivsuffix
1. Pers. sg. immer „adonai“
ausgesprochen werden. Die Masoreten hätten mit der angeblich „falschen“ Form „adoni“ für „mein Herr“ einfach eine
Abgrenzung zwischen menschlichen Herren und dem einen Gott ziehen wollen.
Nur muss man
sich damit konfrontieren, dass das zwei verschiedene grammatische Formen sind!
Ohne Vokalisation werden „adoni“ und „adonai“ gleich geschrieben. An dem
Argument ist richtig, dass die Masoreten einen Unterschied machen wollten. An
dem Argument falsch ist die grammatische Begründung, weil sie ausblendet, was „adonai“ in Wirklichkeit heißt.
Man bildet
zahlreiche Wörter durch einfaches Anhängen von „i“ für „mein“ an den absoluten
Status im Nominativ , zB „chaver“
(Freund) zu „chaveri“ (mein Freund),
oder „davar“ (Wort) zu „dvari“ (mein Wort“); „El“ zu „Eli“ (Mein Gott).[7]
Ich kann an der Form „adoni“ absolut
nichts Falsches sehen. Sie ist bis heute auch im modernen Iwrith vollkommen
geläufig.
Richtig ist
vielmehr: Grammatisch ist „adonai“
eine Pluralform. So wie das Pluralwort „elohim“
mit einem Possessivsuffix für „mein
Gott/meine Götter“ korrekt „elohai“
heißen muss, wäre „adonai“ abgeleitet
von „adonim“ + Possessivsuffix 1.
Pers. sg. Es bedeutete grammatisch demnach „meine
Herren“.
Ein berühmtes
Beispiel ist Gen 18,3 und 19,2: In der ersten Stelle erhält Abraham Besuch von
drei Männern im Hain von Mamre. Er spricht sie in der Vulgata und in allen
deutschen Übersetzungen als „mein Herr“
an. Im masoretischen Schrifttext steht „adonai“.
In der LXX im Singular „Kyrie“. Das
müsste man hebräisch korrekt als „meine
Herren“ verstehen, weil es drei Männer sind. Aber die LXX tat das schon
nicht. Warum nicht? Die Sache hat eine grammatische Problematik: Abraham
spricht diese(n) „adonai“
anschließend im Vers 3 in der 2. Pers.sg. an, und das macht die Sache scheinbar
eindeutig: er hat Besuch von dem einen Gott, der aber wundersamerweise zu dritt
auftaucht. Man sagt allgemein, „adonai“
werde, wenn es Gott meint, beim letzten Vokalzeichen mit einem Qames-A
(Langvokal), wenn es „meine Herren“
meint mit einem Patach-A (Kurzvokal) gekennzeichnet. Die Masoreten haben hier
ebenfalls das Qames-A notiert, meinten also, es sei von Gott die Rede. Bereits
in Vers 4 wird der Singular jedoch wieder aufgegeben und die drei Männer werden
nun, grammatisch korrekt, nicht als einer, sondern als drei in der 2. Pers.pl
angesprochen. In Gen 19,2, als Lot von zwei Engeln Besuch erhält, spricht er
sie auch mit „adonai“ an, aber
diesmal mit dem Patach-A geschrieben.
Die Zuordnung
changiert sprachlich also, und wir müssen zugeben, dass wir das nicht eindeutig
interpretieren können.
Es ist, als
solle uns verwehrt werden, Gott irgendwie „zählbar“ zu machen.
Die angeblich
streng unitarischen Juden fanden es gar nicht anstößig, dass Gott hier in drei
Gestalten auftritt. Weder die Gelehrten, die die LXX vor Christus übersetzten,
nahmen daran Anstoß noch die Masoreten lange nach Christus. Was sagt uns das
über die wirkliche jüdische Auffassung?
Ich erwähne
dieses Wort deshalb ausdrücklich, weil Unitarier und Trinitarier Ps 110,1 gerne
als Referenzstelle für ihre jeweilige Auffassung anführen.[8]
Dort heißt es „N’um JHWH (sprich: adonai)
ladoni schev limini…“ („Feierliche
Rede des JHWH an meinen Herrn: setz dich zu meiner Rechten…“). David, so
meinen Trinitarier wie Unitarier, hat hier den Messias angesprochen, weil diese
Stelle im NT mehrfach und eindeutig auf Jesus hin gedeutet wird (Mt 22,44; Apg
2,34; Hebr 1,13).
Weil die
Masoreten hier „adoni“ vokalisiert
haben, sei doch klar, dass das nicht der „adonai“
sein könne, argumentieren Unitarier.
Trinitarier
verweisen darauf, dass die Vokalisierung des hebräischen Textes erst im frühen
Mittelalter erfolgte und uU nicht wiedergibt, wie der Text ursprünglich gemeint
war. Die Konsonanten von „(a)-d-n-j“
können beide Varianten bedeuten. Eine Prüfung ist anhand der vorchristlichen
Septuaginta möglich: dort sind beide Wörter unterschiedslos mit „Kyrios“ übersetzt („Der Herr sprach zu meinem Herrn…“).
Trinitarier
leiten daraus ab, dass ursprünglich dasselbe Wort gemeint gewesen sein kann bzw
aus der Perspektive Davids der Messias ja noch nicht da war, also nur fiktiv
von ihm gesprochen werden konnte, ohne besondere Intention einer inneren
Differenzierung zwischen dem Herrgott und dem zweiten Herrn, der wiederum der
direkte Herr des Psalmisten ist. Die Differenzierung, die Unitarier gerne
ableiten würden, lasse sich so nicht ableiten.
Für die
Argumentation der Trinitarier spricht, dass die Masoreten mit einer hohen
Wahrscheinlichkeit sehr wohl wussten, dass die Christen genau diese Stelle aus
Ps 110,1 auf Jesus Christus hingedeutet haben — immerhin geschieht das an
mehreren Stellen in verschiedenen Büchern des NT — und durch eine
differenzierte Vokalisation dessen vorausgesetzten „wesensgleichen“, göttlichen
Status abweisen wollten. Da die Trinitätslehre zur Zeit, als die Vokalisation
eingefügt wurde, dogmatisch bereits weit entwickelt war, ist das sehr wohl
denkbar. Die LXX ist dagegen ganz unverdächtig, weil zur Zeit ihrer Entstehung
keine relevante Auseinandersetzung in der Sache vorlag. Sie entstand vor der
Erscheinung Jesu Christi. Die Argumentation der Unitarier steht hier auf sehr
dünnem Eis. Die protestantische Überzeugung, der masoretische Text sei „wahrer“
als die Vorlage, die der LXX zugrunde liegt, ist sachlich wenig stichhaltig, weil
die Vokalisation und Auswahl der Texte erst nachchristlich erfolgte, nicht
unbedingt älteren Lesarten entsprechen muss, sondern bereits manipulative
Tendenzen haben könnte, und hat sich inzwischen an vielen Stellen auch als
falsch erwiesen, seitdem man in Qumran ältere hebräische Textrollen gefunden
hat. Hier sind Sorgfalt und Vorsicht geboten und eine strenge Abstinenz, in der
Schrift um jeden Preis eigene dogmatische Meinungen abgebildet sehen zu wollen.
Das Ersatzwort
„Adonai“ für JHWH ist tatsächlich
eine Art „Titel“, aber eben deswegen, weil es funktional nicht Gottesname,
sondern Ersatzwort für den heiligen Gottesnamen ist. Der Name Jesu ist nicht
nach dem Ersatzwort und Titel, — er spricht kaum von seinem „Kyrios“ —, sondern sein Name ist nach
dem echten Namen Gottes geformt und weist ihn daher auch als einen, der von
Gott kommt, in dem Gott wirkt und der Ausdruck göttlicher Hilfe ist, aus.
i. Das „Schma“
Unitarier
berufen sich gerne auf das israelitische Glaubensbekenntnis, das „Schma“ in Dtn 6,4-9. Dort heiße es doch
„Schma Jisrael JHWH eloheinu JHWH echad“.
Und „echad“ bedeute doch „eins“ oder
„einer“. Trinitarier behaupten demgegenüber gelegentlich, „echad“ könne auch „einig“ bedeuten und bleibe daher offen für eine
Trinität.
Beide
Argumente kommen mir gewollt und gezwungen vor.
Die
Formulierung des Bekenntnisses ist in der Tat eigentümlich: „Höre Israel, JHWH unser Elohim JHWH einzig“.
Es ist für mich keineswegs eindeutig, wo hier Hilfsverben einzusetzen wären.
Auch wird hier wohl kaum abgehoben darauf, dass es religionsphilosophisch als
endgültig bekannt wird, dass es nur einen Gott gibt. Es ist dieses „Schma“ ein Ruf, ein Appell, dass der
Name unseres
Gottes JHWH ist und als solcher einzigartig ist nach allem, was Israel mit ihm
erfahren hat. Der JHWH hat sich herausgehoben aus den Göttern als der
einzigartige, Gewaltige, Numinose und
Liebende mit vielen mütterlich-bergenden Eigenschaften, der sich an dieses
Israel gebunden hat. Das Nomen „schem“
für „Name“ und das Verb „sch-m-(a)“
für „hören“ können zusammengehören und auf einen Stamm zurückgehen. Das „Schma“ bekennt daher vor allem anderen
den Bund mit diesem einen Gott JHWH und will daran immer „eingedenk sein“.
Auch wenn hier
die Bindung an JHWH bekannt wird, wenn er als „einer“ oder als „einziger“
benannt wird, wird damit keine Binnenaussage gemacht: wie er in sich selbst
aussieht, ob er in einem mathematischen Sinn zählbar ist, bleibt im Dunkeln, ob
es andere Götter gibt, wird nicht thematisiert. Relevant ist hier alleine die
Bindung an diesen einzigartigen Gott und seinen Namen JHWH, auf den keine
weitere Offenbarung eines Namens erfolgte, dem aber einige weitere
Namensoffenbarungen vorausgegangen waren, wie ich gezeigt habe, die schon
erahnen lassen, dass es ein vielschichtiger Gott inmitten einer Götterwelt ist,
von der er sich langsam abhob, und aus der er heraustrat und auf die Menschen
zuging und sich mit ihnen in einzigartiger Weise verband wie sonst kein anderer
Gott, von dem wir wüssten.
Auf diesen
einen Satz kann sich weder der Unitarier noch der Trinitarier berufen.
Das Verbot im
Dekalog (Ex 20,2ff; Dtn 5,6ff), neben diesem einen JHWH-Gott weitere Götter
anzubeten, wäre sinnlos, wenn es diese weiteren Götter nicht — wie immer man sie ontologisch verorten soll
— gäbe. Die Verehrung dieses JHWH soll bildlos geschehen. Der Name dieses
Gottes darf unter keinen Umständen missbraucht werden.
Es wird nicht
diskutiert, ob es philosophisch gesehen nur einen einzigen Gott gibt, sondern
ob es für uns nur einen einzigen
Gott geben kann, nämlich diesen einen JHWH, der einzige Gott der wirklich
„s-ch-r“ (unser eingedenk) und „n-k-w“ (uns umhüllend) ist. Nur er ist so und
nur er kann uns das Gegenüber sein, das wir als Menschen abbilden. Nur er
bietet die gewaltige Gestalt, in der wir geschaffen sind, und sie kann und darf
nicht abgebildet werden.
[1] Zur
Übersetzungs- und Interpretationstradition und ihrer Problematik hier einige
wertvolle Hinweise: https://auslegungssache.at/4256/damals-begann-man-den-namen-des-herrn-anzurufen/
[2]
Aufschluss ist dazu dieser Artikel von Ingo Kottsieper: El, 2013, im WiBiLex
auf der Website der Deutschen Bibelgesellschaft, online hier abrufbar: https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/el/ch/8edcb0f2b0d585af563cb63d063c58eb/
[5]
Schriftstellen, die Gott mütterlich oder weiblich zeichnen, sind — anders als
konservative Autoren es behaupten — zahlreich, einige (23) Beispiele hier: Jes
66,13; Jes 49,15f.; Hos 11,1-4; Dtn 32,18; Num 11,12; Jes 42,14, Job 38,8; Hos
11,4; Gen 3,21, Jes 46,3-4; Ps 22,10-11; Jes 66,8-9; Hos 13,8; Ps 123,2; Job
10,10; Ex 19,4; Dtn 32,11-12; Ps 17,8-9; Ps 57,2; Spr 1,20-33; 2,5.10; 3,2.16;
8,22-31; 9,1-6
[6]
Friedrich Weinreb: GottMutter. Die weibliche Seite Gottes. Weiler im Allgäu
1990: Thauros Verlag, S. 21f
[7] Hier
unter Anmerkung b.: https://offene-bibel.de/wiki/Adonai#note_b
An der Begründung dort stimmt einiges nicht, denn die Possessivsuffixe beim
Nomen im Sg. müssen nicht immer an die Pluralform gehängt werden, wie behauptet
wird. Das ist falsch! Sie werden in der Regel an die Status Constructus-Form
gehängt. Das kann man in jeder Hebräischgrammatik nachlesen. Nun hat aber nicht
jedes Nomen einen St.cs., der vom Nom.sg. abweicht! Oft fällt der St.cs. in
eins mit dem St.abs.
[8] Vgl.
Gerber, a.a.O., S. 15