Sonntag, 8. November 2015

Der katholische Zombie (IV) - Schlangenlinien zwischen Konservativismus und Revolution


Der theologische Wirrwarr zwischen Ultramontanismus, Neuscholastik, "Traditionalismus", Falschmystik und Revolution

Gedanken über eine Studie zu Vorgängen in einem Altöttinger Kloster im 19. Jh

Die sehr sorgfältige Recherche des Redemptoristen Otto Weiß über „Weisungen aus dem Jenseits“, die einen haarsträubenden Fall erzreaktionärer und mystizistischer Verfangenheit weiter katholischer Kreise in Bayern (Zentrum war der Kult um eine lebendige Seherin in einem Redemptoristenkloster in Altötting) und Rom aufdeckt, führt vor Augen, dass die innerkatholische „Front“-Gemengelage, wie wir sie heute zeichnen, ganz sicher falsch ist.[1]

Gemeinhin geht man in katholischen Kreisen von einer Front zwischen "Konservativen bzw. "Reaktionären" (wie sie sich im 19. Jh selbst nannten) oder "Ultramontanen" (also Infallibilisten und Papalisten) auf der einen Seite und "Liberalen", die natürlich alle "freimaurerisch" gesteuert wurden und werden, aus. Während im 19. Jh erstere "gewonnen haben", was traditionalistische Kreise heute als ein "letztes Aufleuchten der Rechtgläubigkeit" auffassen und "tradieren", konnten mit dem Vaticanum II letztere das Heft in die Hand bekommen, was aus Sicht der Liberalen eine Befreiung und aus Sicht der Konservativen der Anfang vom Ende war.

Diese Recherche zeigt neben anderen Werken, die seit der Öffnung der vatikanischen Geheimarchive möglich wurden, dass die Gemengelage viel komplizierter ist. Zu denken ist an den verwandten Fall der "Nonnen von Sant'Ambrogio"[2], den Hubert Wolf wissenschaftlich erforscht hat und in den dieselben "Verdächtigen" involviert waren wie in den Fall aus Altötting: allen voran Kardinal Reisach und letztendlich unklar auch Pius IX., dazu im Falle Altöttings und des Vaticanums I Bischof Senestrey von Regensburg und ganz schlimm und ekelerregend der von der Inquisition als Häretiker verurteilte und von Pius IX. dennoch unmittelbar als ultramontaner Chefdenker herangezogene Joseph Kleutgen, der sämtliche theologischen Grundlagen für die päpstliche Infallibilität bzw. das Konzept vom "ordentlichen Lehramt" entwickelte, das Pius IX. dann als offizielle Lehre der Kirche veröffentlichte. Joseph Kleutgen, der "fromme", "glaubenstreue" Jesuit, wurde aber nicht nur als Häretiker (wegen Förderung eines durch die Inquisition längst verbotenen falschmystischen Kultes) verurteilt, sondern stand auch wegen Beihilfe zum Mord in mehreren Fällen und mehreren Sexaffairen, darunter einer mit einer Ordensfrau, vor dem Inquisitionsgericht.
Unter allen Angeklagten der Affaire von Sant'Ambrogio kam er praktisch ungestraft davon und wurde im Gegenteil sogar noch zum Ideengeber des Papstdogmas  erhoben. Auch der involvierte Kardinal Reisach, der wegen des ähnlich gelagerten Falles in Altötting, von dem dieses Buch berichtet, aus Deutschland nach Rom abgezogen werden musste, wurde von Pius IX. in den engsten Vorbereitungskreis für das Vaticanum I eingesetzt.
Wenn man dann noch neuere Forschungen über das Vaticanum I hinzuzieht, wie die von Klaus Schatz SJ oder die von Adrian Lüchinger[3], der die Problematik aus englischer Perspektive beleuchtet (die Kontroverse Kardinal Mannings und John Henry Newmans - wobei Newman erst durch Leo XIII. rehabilitiert wurde), dann schwanen einem wachen Katholiken hier sehr ungute Zusammenhänge:

Falschmystiker waren unlösbar verkoppelt mit den Netzwerken innerhalb der Kirche, die die päpstliche Infallibilität und die Neuscholastik vorantrieben.
Dass diese Kreise in tiefem sexuellem Sumpf stecken konnten, ist nicht nur beim vorliegenden Fall der Seherin Louise Beck, sondern auch an Würdenträgern wie Kleutgen festzustellen.
Man muss aber sehen, dass auch die politischen Kräfte, denen diese Kreise zuneigten, durch sexuelle Entgleisungen und - sagen wir es ungeschminkt - etablierten und systematischen Ehebruch und Frauenverachtung auffielen. Zu denken ist hier etwa an Metternich, dessen systematischer Ehebruch kein gutes Licht auf ihn wirft. Warum man damals, solange ausschließlich Frauen das Nachsehen hatten, in "traditionellen" katholischen Kreisen keinerlei Probleme mit dieser Schweinerei hatte, nun aber, da von progressiver Seite der offene Ehebruch als salonfähig gefordert wird, in Schockstarre verfällt, ist mir ein Rätsel. In Fällen wie dem der Louise Beck wurde die sexuelle Entgleisung ja noch als himmlisch angewiesener "Sühneakt" für die Sünden der Welt verschleiert. Dasselbe Muster treffen wir in Sant'Ambrogio an, das selbst vor bereits institutionalisierten lesbischen Missbräuchen nicht zurückschreckte. Die "Gendertheorie", über die sich Konservative nun so empören, als habe es so etwas in der Kirche noch nie gegeben, war in der Praxis schon längst eingezogen in kirchliche Kreise, nicht zuletzt auch in der jahrhundertelang üblichen Züchtung eines "dritten Geschlechtes" für den Kirchengesang, nämlich der Kastraten, die ganz besonders an bischöflichen Höfen herangezogen wurden und deren furchtbare Lage von Autoren wie Honoré de Balzac ("Sarrasine" von 1831) verarbeitet wurde und in der geistlichen Musik ihren Niederschlag fand (Rossinis "Petite messe solenelle" für die "drei" Geschlechter von 1864, die übrigens wie selbstverständlich auch Frauen vorsah – lange vor dem Vaticanum I und erst recht vor Pius X.!).
Eine einfache Zweitheirat, die heute das „Problem“ ist und die Gemüter der Konservativen erhitzt, erscheint einem da wesentlich "einfacher" und "normaler"...

Exkurs: Man möge mich aber nicht missverstehen und glauben, ich wolle damit eine Zulassung wiederverheiratet Geschiedener zur Hl. Kommunion gutheißen - ganz und gar nicht! Ich kann nur nicht im aktuellen Fall in moralische Echauffage geraten und alle Augen zudrücken vor den verkommenen Zuständen, die im angeblich so glaubentreuen 19. Jh gerade auf konservativer Seite konstatiert werden müssen.
Hinter dem Kastratenunwesen stand der Wahn, man müsse die realen und natürlichen Stimmen der Frauen unterdrücken, zugleich aber müsse man sie ja dabeihaben, weil Gott nun mal den Menschen als Mann und Frau geschaffen hat und nicht nur als Mann. Außerdem gemahnte die Muttergottes als edelstes und höchstes Menschengeschöpf stets an den gottgewollten Rang der Frau, und dass nach mehreren alttestamentlichen, weiblichen Vorbildern auch sie einen der zentralen liturgischen Gesänge gedichtet hatte (Magnificat), verbot an sich die Ausgrenzung der Frau aus dem Gotteslob.
Dennoch brach diese sicher nicht göttliche Frauenfeindschaft sich Bahn. Man möchte manchmal denken, diese Feindschaft zur Frau in ihrem geistlichen Wesen, die sich erst mit der Renaissance und ihren homoerotischen Tönungen und den sexualisierten Frauen-Darstellungen deutlich formierte, wurde mit der ausgehenden Moderne immer pathologischer, um nicht zu sagen "satanischer", denn immerhin hat Gott selbst Feindschaft zwischen dem Satan und der Frau gesetzt und damit jedem, der sich in Feindschaft zu ihr setzt, einen eindeutigen Platz zugewiesen.
Man hatte schon zuvor aus Männern Frauen gemacht, im Falle der Kastraten eben nicht nur durch ein temporäres Transvestitentum wie im frühneuzeitlichen Theater, sondern für immer, um die Frau zugleich auszuschließen und regelrecht geschlechtlich zu ersetzen... Seinen Höhepunkt erreichte dieses seit der Spätantike im Christentum entgegen der Ablehung bedeutender Theologen übliche Unwesen im 16./17. Jh.
Im Klartext bedeutet das einen - wenn auch etwas verschoben konnotierten - Genderismus lange bevor es den postmodernen Genderismus gab. Man hasste die Frau als Frau und Trägerin umfangreicher Talente und Gnaden und wollte sie fast vollständig durch den Mann ersetzen.
Nur die Mutterschaft und die kirchliche Hochschätzung der Mutter, die sich strahlend in der Mutterschaft Mariens manifestierte und ihren Gipfel erreichte, konnte man ihr (noch) nicht entreißen. Vor diesem Hintergrund betrachtet, findet die moderne und fast endgültige Entwürdigung und Perversion der Mutterschaft und die Abwertung bzw. Marginalisierung der Gottesmutter in der Theologie ihre vollständige Konsequenz, die aber eben letztendlich sehr stark in der reaktionären Denklinie angelegt war, die an diesem Punkt mit den Zielen der französischen Revolution vollkommen identisch war, die eine geistige und soziale Emanzipation der Frau bis zur Guillotine verfolgte. Der Charakter der Marienverehrung des 19. Jh müsste auf dieses Phänomen hin genauer geprüft werden. Anders: Eine gesunde und traditionsgemäße Hochschätzung der Muttergottes will so gar nicht zu den restlichen theologischen Umtrieben der Reaktionäre passen. Oder noch anders: Die Marienverehrung erhielt damals die ungesunden Züge, deren böse Frucht ebenfalls erst heute in einer pathologischen Erscheinungssucht aufplatzt wie eine Eiterblase.
Es muss jedem klardenkenden Menschen auffallen, dass nach vielen sehr tiefen, "echt" mystischen und vor allem geistlich und intellektuell potenten Frauen in der Kirchengeschichte, im 19. Jh die weibliche geistliche Rolle sich scheinbar in einem irrationalen und verstiegenenen "Seherinnentum" erschöpfte, das auch gelegentlich auf Männer übergriff und oft mit einem entarteten Begriff von "Sühneseelen" einherging, den es die gesamte Kirchengeschichte lang niemals gegeben hatte.
Erst Pius X. verbot in "Tra le sollicitudine" zwar das Kastratenwesen, aber er wollte das, was zu diesem Unwesen geführt hatte, obwohl das in der Kirche ja mangels eines dafür benötigten Heeres frauen-ersetzender Gender-Männer nie praktikabel war und selbstverständlich Frauen sangen (!), wie ja Projekte wie die kleine Messe Rossinis zeigen, die Frauen endgültig herausdrängen, was aus den genannten praktischen Gründen, vielleicht aber auch aufgrund des gesunden Gefühls im Kirchenvolk dafür, dass das unnatürlich und wohl kaum gottgewollt ist, der nicht nur von Männern, sondern auch von Frauen gelobt werden will und die Frauen in viel größerem Ausmaß zur Musik begabt als den Mann, nicht durchsetzbar war und ist.

Zurück zu den Vorgängen in Altötting und Rom: Die Art und Weise, wie dann ein Pater in besagtem Redemptoristenkloster, der durch den "himmlisch angewiesenen" Zölibatsbruch Gewissensbisse bekam und aussteigen wollte, im Sakrament der Buße erpresst und vernichtet werden sollte, lässt mich auf den Gedanken kommen, dass diese Praktiken vom Bösen waren und sind. Wer so systematisch und wider besseres Wissen sündigt, handelt satanisch.

Dies wirft nun ein düsteres Licht auf den gesamten, krankhaft überzeichneten Anti-Liberalismus und "Antimodernismus", der stets mit einer Freimaurer-Verschwörungstheorie aufwartet und schon im 19. Jh zu burlesken "Kirchenveräppelungen" führte wie z.B. im "Taxil-Schwindel", auf den Leo XIII. unter dem Druck dieser ungesunden, unnüchternen innerkirchlichen Atmosphäre zunächst "hineinfiel" - zur händereibenden Häme böswilliger Zeitgenossen. Hierzu wäre zu bemerken, dass auch in diesem Bereich die Scheidung zwischen den bösen "Freimaurer-Liberalen" (denen innerkirchlich und völlig unsachgemäß zunehmend alles, was nicht direkt und verengt neuscholastisch daherkam, zugerechnet wurde) und den "guten Reaktionären" falsch ist: Ein Fall wie der eines weiteren Vordenkers der päpstlichen Infallibilität, der bekennende und hochreaktionäre Freimaurer Joseph de Maistre[4] scheint einem den Schleier von all diesen postmodernen Vorurteilen über die Gemengelage wegzureißen:
Es gab keinerlei Grund, warum das gefürchtete Freimaurertum ideologisch nicht auch mit dem Antiliberalismus gekoppelt sein konnte. Es war letztendlich wiederum Leo XIII., der wahrscheinlich intuitiv am ehesten ahnte, dass das Freimaurertum alles beförderte, was der Kirche schadete - und damit auch die politische und theologische Verengung und den a-traditionellen Papalismus. Zur Zeit des Vaticanums I und Leos XIII. waren alle scheinbar "liberalen" Kräfte um den Papst herum kaltgestellt oder weggebissen worden. Wenn Leo XIII. in seinem großen St. Michaelsgebet von 1888 davon spricht, dass der Verderber bereits sein Wesen direkt am Sitz Petri ausübe und man sich dazu die realen Szenarien vorstellt, muss man die Sachlage anders beurteilen, als Erzkonservative es gemeinhin tun:
Pius IX. hatte - was ungeheurlich war (!) - einen formellen Häretiker und Kriminellen während dessen Prozess und Haftstrafe als DEN Konzeptor der angeblich rechtgläubigen Theologie installiert und zu diesem Behuf sogar begnadigt, obwohl er, der nach damaligem Recht, wäre er nicht Kleriker gewesen, die Todesstrafe verdient hätte, ohnehin schon sehr mild, um nicht zu sagen ungerecht mild (verglichen mit anderen Beteiligten) verurteilt worden war.

"Hütet euch vor den falschen Propheten ... sie sind wie reißende Wölfe. An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen....Jeder gute Baum bringt gute Früchte hervor, ein schlechter Baum aber schlechte. Ein guter Baum kann keine schlechten Früchte hervorbringen, ein schlechter keine guten...Nicht jeder, der zu mir sagt Herr! Herr!, wird in das Himmelreich kommen, sondern nur, wer den Willen des Vaters im Himmel erfüllt. (Mt. 7, 15 ff)

Das sind die Worte des Herrn, und ich muss erschauern vor ihnen, weil ich weiß, dass ich armer Mensch eher ein falscher als ein rechter Prophet bin, dass der Irrtum so schnell und unerkannt uns als wahr erscheint, und die Wahrheit es schwer hat, in uns Raum zu gewinnen.

Dennoch frage ich mich, wenn ich die "Früchte" all dieser Verwicklungen sehe, ob Leo XIII. nicht möglicherweise auch faule reaktionäre Kräfte meinte, die den Sitz Petri bereits unterwandert hatten. Wenn man sieht, dass ausgerechnet der Orden, der Hauptträger des reaktionären Katholizismus mit allen Konsequenzen (u.a. auch einem ausgeprägten, teilweise offen rassistischen geprägten Antisemitismus) war, nämlich die "Gesellschaft Jesu", in seiner gesamten angemaßten, neuscholastisch verengten "Super-Rechtgläubigkeit" geradezu gespenstisch sein gesamtes Image innerhalb kürzester Zeit wandeln konnte und bald ins glatte Gegenteil verfiel, dann ist das mit Sicherheit nicht - wie es in postmodernen Traditionalisten- und Sedisvakatistenkreisen kolportiert wird - auf eine wundersame "Unterwanderung" des ach so rechtgläubigen Ordens durch "Freimaurer" zurückzuführen, sondern eher darauf, dass das reaktionäre Katholikentum ein fauler Baum mit fauler Frucht ist. Wie anders sollte ein gesunder Baum, wenn wir dem Herrn glauben wollen, so rasant erkranken und niedergehen?

Mit diesen kritischen Sätzen will ich nicht behaupten, dass es die vorurteilshaft angenommenen Frontlinien in der großen Verwirrung nicht tatsächlich auch gab bzw. gibt. Aber ich will beschreiben, dass bereits das Vaticanum I Ergebnis großer Bosheit ist und nicht erst das Vaticanum II. Ebenso will ich darauf hinweisen, dass die Herstellung des liberalen Gespenstes, das angeblich Ursache aller Übel sei, so nicht realistisch ist und vielleicht ein grandioses Manöver der Reaktionäre war, um von den eigenen Machenschaften abzulenken. Es ist tragisch, dass bis heute kaum Katholiken in der Lage sind, sich nicht einem der beiden fanatisch-fantastischen "Lager" zuzuordnen und damit dem Irrtum verfallen, den schon Paulus scharf verurteilte: Wir haben nur einen Herrn und sollen uns nicht auf Menschen berufen, auch nicht auf "Leuchtturmpäpste", "Leuchtturmkonzilien" oder deren ideologisch überhöhten Widerpart.

Vielmehr müsste man - nüchtern und bei Lichte betrachtet - hier das Vaticanum I als den institutionellen Beginn des innerkirchlichen Abfalls betrachten. Nicht von der Hand zu weisen ist ja die Kritik vieler hochgestellter Theologen und auch Würdenträger, die keineswegs den Irrungen eines Ignaz Döllinger nahestanden und vielfach sogar durchaus ultramontan eingestellt waren (!), dass schon das Vaticanum I aufgrund der intriganten (vonseiten der Reaktionäre) und äußerst ungerechten Vorbereitung und des unkorrigierbaren Abweichens von der eigentlich angekündigten Geschäftsordnung, die die Infallibilitätsdebatte gar nicht vorgesehen hatte, das Konzil möglicherweise ungültig und mindestens unvollständig gemacht hat. Wir wissen, dass zweifellos tiefgläubige und keineswegs liberale Theologen wie Bischof Ketteler und Bischof Newman schwerste Bedenken hatten[5], die nicht nur mit den vielbehaupteten "Opportunitätsgründen" zusammenhängen, sondern mit gravierenden theologischen Zweifeln an der Rechtgläubigkeit der Absichten vieler der Majoritätsbischöfe, unausgesprochen sogar Pius IX..

Wenn man sieht, welchem geistlichen und moralischen Sumpf die namhaftesten Exponenten der Infallibilisten entstammten, kann man das Vaticanum I und vor allem seine verheerenden Folgen, die nach einer milden und moderaten Phase mit Leo XIII., dann mit Pius X. und dessen übersteigertem Autoritätswahn einsetzten, nicht mehr ohne Zweifel annehmen.

Eine Priesterbruderschaft, die sich dann auf den eigentlichen "Umsetzer" des Papstdogmas als "den" Leuchtturm-Helden des Glaubens bezieht, dem gegenüber alle anderen Päpste bis zur Unsichtbarkeit hin verblassen, ja soweit, dass man ihnen bei voller Anerkennung dennoch voll "ins Angesicht" widerstehen darf, kann nur irrig lehren. Sie "tradiert" eigenmächtig ein erschütternd gerüttelt Maß all dieser Irrtümer und Bosheiten des 19. Jh als "rechtgläubig" und offenbart in ihren ideologischen Grundsätzen damit ein Stück Wahnsinn. Das Ansinnen, die Liturgie zu erhalten, ist zwar prinzipiell verständlich und richtig, blendet jedoch vollkommen aus, dass mit Pius X., also mit dem angeblichen "Leuchtturm", definitiv der Anfang der Liturgie-Zerstörung gegeben war...
Eine Korrektur müsste auch der unfruchtbare Thomas-Kult erfahren, der in Pius- und Sedisvakantistenkreisen versteinert wird. Erst Pius X. hatte ihn starr zementiert. Leo XIII. hatte ihn zwar als Richtlinie gewünscht, aber zugestanden, das Unannehmbare scholastischer Winkelzüge durchaus modern "kritisch" zu beleuchten und davon abgesehen auch modernen, methodischen Entwicklungen nicht grundsätzlich ihr Recht abgesprochen, sondern auf eine Unterscheidung der Geister in jedem konkreten Fall gedrungen.

Man kann die Falschmystik und die "Züchtung" weiblicher "Medien", die letztendlich die Funktion von "Wahrsagerinnen" einnehmen, als eine Flucht aus den Widersprüchen kirchlichen Handelns, denen man schon im 19. Jh nicht mehr gewachsen war, in den offenen Okkultismus ansehen. Dieselben Kleriker, die großartig tönten mit Schlagworten wie "Ite ad Thomam", gingen selbst nicht wirklich zu Thomas, um ihre Fragen zu beantworten, und erst recht scheint sie die Hl. Schrift und die nüchterne Lehre der Kirche nur noch mittelbar interessiert zu haben. Für sie galt ein "Ite ad Sibyllam", wobei diese Männer selbst erst die mental-desaströse Verfassung dieser Frauen (und gelegentlich auch Männer) erzeugt hatten durch falsche Bildung der Gläubigen.
Man muss auch die Frauen mit aller Schärfe fragen, wie sie sich diesen irrigen Übergriffen pathologischer Männer so biegsam und willig ergaben, anstatt dem Herrn zu folgen und seiner stets theologischen und nüchternen Ansprache an die Frauen. Nicht zuletzt sind es häufig die Frauen selbst, die die satanische Feindschaft zur Frau, die Gott verfügt hat, dem eigenen Geschlecht antun. Überall in der Welt müssen wir mit Bestürzen erkennen, dass Frauen sich zu Handlangern perverser männlicher Ansprüche und Wünsche machen und andere Frauen, die sich dem nicht einfach ergeben wollen, massiv unter Druck setzen und zu vernichten versuchen.
Jesus hat der Frau mit besonderem Nachdruck sogar wie in einem Vermächtnis ihr theologisches Erbteil gegen den Widerstand einer irregeleiteten Sicht auf die Frau zugesprochen: Maria von Bethanien, die den Haushalt vernachlässigte, um mit ihm ein theologisches Gespräch zu führen, habe, so sagte es der Herr, "das bessere Teil erwählt". Und jedem Anspruch, ihr dies abzusprechen, setzte er entgegen: "Das soll ihr nicht genommen werden!"
Es ist eine schwerwiegende Anfrage an spätneuzeitliche, katholische Frauen, warum sie sich für das unwürdige Seherinnen-Affentheater in solcher Häufigkeit hergaben, anstatt mit dem Erbteil Jesu an der Theologie für die Frau, für das die Kirchengeschichte doch so große Zeugnisse ablegt, zu wuchern! Diese Frage muss man mit demselben Nachdruck stellen wie die Frage, warum Frauen sich in der postmodernen, konziliaren Kirche für die pseudo-feministische Zerstörung der komplementären Aufgaben im Reich Gottes instrumentalisieren lassen, ohne damit bisher auch nur einen Blumentopf gewonnen zu haben. Man lässt sie unter dem Dirigat häretischer, männlicher Theologen schreien und verweigert ihnen doch das, was man ihnen nahelegt zu wünschen: die Aufgaben des Mannes, die der nicht mehr erfüllen, aber als Machtinstrument dennoch behalten mag. Auch auf diesem Weg - und hier treffen sich die Reaktionäre wieder einmütig mit den Progressiven - wird das spezifische weibliche Erbteil verschleudert und vernichtet.
Mit solchen "Seherinnen" jedenfalls ließen sich erzreaktionäre Häretiker bzw. Häresieverdächtige (denn wofür Kleutgen als formeller Häretiker verurteilt wurde, das haben auch Reisach und Senestrey betrieben, ohne direkt verurteilt zu werden...wo kein Kläger...) wie Kleutgen, Senestrey, Reisach u.a. andere letztendlich "himmlisch" das bestätigen, was sie ihnen zuvor eingeimpft hatten.

Es ist eine furchtbare Lage, die sich mit diesem Buch erahnen lässt. Manche würden das alles gerne unter den Teppich kehren, aber schon die Schrift kündigte an, dass alles, alles ans Licht kommen würde. Nichts darf dem Licht der Wahrheit entzogen werden - andernfalls stürzt man auch heute den gläubigen Katholiken in Wahngespinste und Verehrung für Personen, die sie nicht nur nicht verdienen, sondern vor denen man fliehen sollte.
Und vielleicht kann es ein Segen sein, wenn die zementierten Fronten durch solche Recherchen die endlich fällige Korrektur erhalten.

Wenn man sich fragt, wieso alle Gebete und Mühen, wieso all die gigantischen Gewaltakte gegen den "Modernismus", wie sie Pius X. aus dem Boden stampfen wollte, den Glaubensabfall nicht aufhalten konnten, sondern eher noch beförderten, ist der Gedanke, dass man auf der Basis frommer Lügen keine Wahrheit "retten" kann, in jedem Fall nicht von der Hand zu weisen.

Nicht nur die Machenschaften um das Vaticanum II müssen ans Tageslicht kommen, sondern auch die um das Vaticanum I, um die Lage scharf sehen zu können.


[1] Otto Weiß: Weisungen aus dem Jenseits? Der Einfluss mystizistischer Phänomene auf Ordens- und Kirchenleitungen im 19. Jh., Regensburg 2011
[2] Hubert Wolf : Die Nonnen von Sant’Ambrogio. Darmstadt 2013

[3] Adrian Lüchinger : Päpstliche Unfehlbarkeit bei Henry Edward Manning und John Henry Newman. Freiburg/Schweiz 2001


[4] Joseph de Maistre: Du Pape, 1819
[5] Vgl. die Studie von Klaus Schatz: Kirchenbild und päpstliche Unfehlbarkeit bei den deutschsprachigen Minoritätsbischöfen auf dem 1. Vatikanum. St. Georgen 1975