Samstag, 21. September 2013

Kann die Kirche einen „Dialog ohne Vorurteile“ führen?



- Einige kritische Einwände an Papst Franziskus -

Die Kommunikation kam zwischen der Kirche und der christlich inspirierten Kultur einerseits und der modernen, durch die Aufklärung geprägten, Kultur andererseits zum Stillstand. Das Zweite Vatikanische Konzil ebnete den Weg für einen offenen Dialog ohne Vorurteile, auf dessen Grundlage eine ernsthafte und fruchtbare Begegnung erneut ermöglicht wird. Nun ist die Zeit gekommen.
(Papst Franziskus an Eugenio Scalfari, La Republicca 11. September 2013)

C.D. Friedrich: Mönch am Meer


1. “Omnia tempus habent … tempus tacendi et tempus loquendi…”[1]

„Die Kommunikation kam zum Stillstand“ – ja, das gehört zum schmalen Weg der Nachfolge Christi. Hat ER nicht auch ab einem bestimmten Zeitpunkt mit dem Hohen Rat, den Schriftgelehrten und Pharisäern und mit Pilatus nicht mehr diskutiert? Die gelegentliche Notwendigkeit des Kommunikationsabbruches in finsteren Zeiten hat unser Herr uns gelehrt.
Wir kennen alle diese oder ähnlich lautende Sätze, wie sie Franziskus’ Brief an den Atheisten Eugenio Scalfari formuliert, stets wohltönend, auf beiden Seiten hinkend, voller Spitzen gegen Ungenannte und mit einem Sendungsbewusstsein vorgetragen, das in eigenartigem Gegensatz zu seiner argumenatorischen Dürftigkeit steht.
Natürlich zeugen solche Sätze von naiver Friedenssehnsucht und dem Wunsch, etwas Wichtiges und Besonderes zu tun, einen der vordersten Plätze im Reich Gottes einzunehmen.
Je mehr wir jedoch eine Kultur der defensiven Friedenskonzepte propagiert haben, desto brutaler entfaltete sich die Gewalt auf der gesamten Erde. Die Anzahl der Kriege und die Methoden, andere systematisch zu terrorisieren, sind eskaliert. Seit 1945 wälzen sich immer gigantischere Flüchtlingsströme über den Globus wie eine glühende Lavamasse, und lösen vielerorts Überforderung und Destabilisierung aus - das ferne Grollen zukünftiger Vulkanausbrüche und neuer Flüchtlingsströme... Die Tatsache, dass der weltweite, tiefe Unfrieden sich zum Alltagszustand etabliert hat, zeugt für die Unzulänglichkeit aller gängigen „Friedens“-Konzepte und für die Friedensunfähigkeit des Menschen, der dem dreifaltigen Gott abgesagt hat, dessen Wesen unbegreiflich, gemäß der Offenbarung Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, und in dieser Unbegreiflichkeit als Richter und Erbarmer für uns ehrfurchtgebietende Heiligkeit ist.
Ja: Heiligkeit und Gerechtigkeit müssten immer zusammen mit der Liebe genannt werden! Gott gilt uns inzwischen als ein Über-alles-Hinwegseher. Dass zwischen der uns zugewandten Liebe und Barmherzigkeit vonseiten Gottes und uns, die wir Sünder sind, der grausame Opfertod Jesu steht, wird nicht mehr präzise zelebriert und in der Verkündigung durch oberflächliche Moralappelle untergepflügt. Franziskus hat gelegentlich darauf hingewiesen, dass ein Glaube ohne „das Kreuz“ nicht Nachfolge Christi ist – es ist verschwommen formuliert, immerhin verschweigt er es nicht vollständig wie so viele andere Bischöfe![2]
Nach der Lehre der Kirche liebt Gott uns als heiliger und ehrfurchtgebietender Gott! Wer IHN liebt, muss gottesfürchtig und gerecht, wie Simeon  ein homo iustus et timoratus“[3] sein.
Franziskus hat allein deswegen unrecht, weil ihm die Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes keine Erwähnung wert ist. Er folgt damit der „pastoralen“ Sprache des Konzils, die jeden Anklang an die berühmte „Drohbotschaft“ vermeiden will. Demgegenüber muss klargestellt werden: die Frohbotschaft ist definitiv eine Drohbotschaft für alle, die sie nicht annehmen: „Qui credit in Filium, habet vitam aeternam; qui autem incredulus est Filio, non videbit vitam, sed ira Dei manet super eum“ – (Wer dem Sohn glaubt, hat das ewige Leben; wer aber dem Sohn nicht glaubt, wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm.)[4]
Der Begriff der „Demut“, den er so häufig als Kardinaltugend bemüht, ergibt Sinn nur in der Heiligkeit Gottes.
Bei Franziskus fungiert die „Demut“ als kanzelrednerischer Rohrstock gegen kritische Geister, die sich nicht abspeisen lassen wollen mit oberflächlichen und häretischen Appellen. Fast hat man den Eindruck: wer aufgrund eines geistlichen Charismas etwas zu sagen hat, wird mit der Demutskeule ausgebremst, der Hartherzigkeit, Unbarmherzigkeit und der Arroganz geziehen.
Das unreife Motiv des „Hoppla, jetzt komme ich!“ schwingt durchaus mit, wenn Franziskus schreibt: „Nun ist die Zeit gekommen“ für die „tiefgreifende Neuausrichtung der Frage“wobei mir nicht ganz klar werden konnte, um welche Frage es sich genau handelt, aber es scheint, dass Franziskus den polarisierenden Kurs, den die Kirche aufgrund ihres dogmatischen Charakters immer riskiert hat, aufgeben will. Wie anders sollte man seine Worte vom „Austreten aus den engen Pfaden einer … absoluten Gegenüberstellung“ verstehen: „Ich denke, dass dies heute von grundlegender Notwendigkeit ist, wenn dieser von mir erhoffte frohe und konstruktive Dialog vorgebracht werden soll.“ 
Mit dem Konzil haben Johannes XXIII. und Paul VI. die „Öffnung zur Welt“ praktiziert, die nicht mehr das Opfer Jesu und eine Scheidung der Geister zur Rettung der einzelnen Seelen, sondern Allversöhnung, das Shake-hands von Licht und Finsternis und die merkwürdige theoretische Zwangskollektivierung der Menschen zur „Menschheitsfamilie“ ins Zentrum der Verkündigung stellte. Was will Franziskus noch mehr? Was drückt seine Behauptung vom „Stillstand der Kommunikation“ hier und heute aus, 50 Jahre nach dem glorreichen Konzil, als dass es ein Fehler gewesen sei, immer einer Scheidung der Geister treu zu bleiben, wie es vor dem Konzil durchweg geschehen war? Was aber ist seit 1965 geschehen? Man kann ihn so verstehen, als glaubte er, mit ihm fange nun erst die Zeit der wahren Früchte des Konzils an…
Worauf will er hinaus angesichts gravierender antichristlicher Eskalationen innerhalb der aufklärerischen Kultur, die sich seit 200 Jahren immer tiefer ins gesellschaftliche Leben der europäischen und amerikanischen Völker eingraben, genauso wie auch in den Machtbereichen anderer Religionen, vor allem im Islam, eine massive Christenverfolgung zu beobachten ist?



Jesus Christus im Reich des Todes

2. Der „Dialog“ und das Grundprinzip „tertium non datur“

Bei dem vom Papst beschriebenen „Dialog“ geht es um das Gespräch, das keinesfalls ein „Streit“[5] sein darf, zwischen grundsätzlich verschiedene Anschauungen, Religionen und Kulturen, die in ihrer Ganzheit jeweils einen konstituierenden Wahrheitsanspruch aufweisen. Eine Religion oder Kultur ohne dieses Merkmal existiert nicht. 
Die Worte des Papstes an eine japanische Studentengruppe legen nahe, dass man zu Beginn des Dialogs nicht ausschließen dürfe, die eigene Überzeugung zurückzunehmen und zu verändern. Er behauptet, dass eine Kultur bzw. eine einzelne Person (das bleibt unklar) nicht ohne solche Bereitschaft zur Selbst-Infragestellung durch das Fremde oder Entgegenstehende „reifen“ bzw. „wachsen“[6] könne. Diese Aussage ist bedenklich aus päpstlichem Mund – denn die Kirche hat solcherlei nie gelehrt. Vielmehr lehrt sie, dass der Mensch nur in Jesus Christus recht wachsen und reifen könne – er ist der Weinstock, wir sind die Reben. Nur in ihn eingepfropft gedeihen wir. In der Loslösung von Jesus Christus reift der Mensch grundsätzlich nicht zu seinem Heil. Warum projiziert Franziskus diese totale Abhängigkeit von Jesus Christus nun auf andere Kulturen?
Kann man in ein Religions-Gespräch gehen, ohne zuvor stabile Begriffe und Urteile gebildet zu haben? Wüsste man andernfalls überhaupt, worüber man redet? Zweifellos gibt es Übereinstimmungen aufgrund der (begrenzten) natürlichen Wahrheitsfähigkeit der Vernunft. Lehrt aber nicht die vertiefte Reflexion von Begriffen im Rahmen eines komplexen kulturellen Systems, dass gleichlautende Begriffe, die auch die fremde Kultur benutzt, dort anders besetzt sind, manchmal sogar einen (bewussten) Widerspruch aufbauen zum eigenen Begriffsverständnis? Es handelt sich um Äquivokationen, die Anlass zu Missverständnissen, Enttäuschungen, Verwirrung und Rivalitäten geben.
Ich möchte das an einem Beispiel verdeutlichen. Die Tatsache, dass alle monotheistischen Religionen einen einzigen Gott bekennen, ruft eine Äquivokation des Begriffs vom „einen Gott“ hervor. In der Tat meinen aber alle drei einen jeweils anderen Gott. Etwas anderes kann nicht begründet angenommen werden - andernfalls müsste erklärt werden, wie man beim Meinen desselben einander widersprechende Bilder zeichnen kann? Das Argument, dass Gott ja immer derselbe bleibe, auch wenn eine Religion ein falsches Gottesbild habe, und man insofern an denselben Gott glaube, ist unlogisch![7] Eine Religion, die nicht den trinitarischen Gott bekennt und IHN, im Gegenteil, sogar ablehnt – was zum Beispiel zur spezifischen Sendung des Islam gehört – glaubt nicht an denselben Gott wie ein Christ. Ein Muslim meint auch nicht „eigentlich“ denselben Gott. Wie sollte ein Mensch innerhalb eines Gottesbildes, das sogar ausdrücklich dem Gottesbild der anderen Religion widerspricht, an den denselben Gott glauben können? Es ist evident, dass eine solche Annahme absurd ist und eher unserem Harmoniebedürfnis als nüchterner Vernunft entspringt. In der Sprache der Bibel muss man soweit gehen zu sagen, diese Religion bekenne einen Götzen. Bloß weil es ein einziger Götze anstelle von vielen ist, ist das Gottesbild ja nicht zwangsläufig realistischer. Es mag dem eigenen Gottesbild formal scheinbar näherstehen. Das ergibt aber noch keine ausreichende Begründung dafür, einem anderen monotheistischen Gottesbild mehr Realität zuzugestehen als einem wie auch immer gearteten nicht-monotheistischen Glauben. In jedem Fall muss genau geprüft werden, was objektiv ausgesagt wird und in welcher Relation es zur Wahrheit in Jesus Christus steht. Nur der Geist, der Jesus Christus, wie ihn die Kirche bezeugt, bekennt und lehrt, ist in der ganzen, natürlichen und übernatürlichen Wahrheit. So steht es im 1. Johannesbrief: In hoc cognoscitis Spiritum Dei: omnis spiritus, qui confitetur Iesum Christum in carne venisse, ex Deo est.
 
Et omnis spiritus, qui non confitetur Iesum, ex Deo non est; et hoc est antichristi, quod audistis quoniam venit, et nunc iam in mundo est. – (Daran erkennt ihr den Geist Gottes: jeder Geist, der bekennt, dass Jesus ins Fleisch gekommen ist, ist aus Gott. Und jeder Geist, der Jesus nicht bekennt, ist nicht aus Gott; und das ist der des Antichristen, von dem ihr gehört habt, dass er kommt und schon jetzt in der Welt ist.)[8]
Das ist eine klare Aussage der Hl. Schrift: Weil alle nicht-christlichen Religionen diesen Geist nicht anerkennen, sind sie aus christlicher Sicht als Religionen im ganzen falsch – die Wahrheit ist nicht teilbar! Dem widerspricht nicht, dass der eine oder andere Gedanke oder Brauch, der dort aufgrund natürlicher Wahrheitserkenntnis angetroffen wird, isoliert betrachtet, gut sein kann.

Tanz ums Goldene Kalb
Treffen wir nicht allzu oft Widersprüche zum Eigenen an, wenn wir dem Fremden begegnen? Aus meiner Sicht ist es wichtig, den anderen, den Fremden, vielleicht sogar den erbitterten Feind nicht zu unterschätzen: er kann denken, er hat sich seine Position erwählt, er hat einen normalen IQ! Das ist mein Ausdruck von Respekt. Er irrt, weil er ein irrender Mensch ist, wie ich einer war, bevor mich Jesus berührte und wieder bin, sobald ich mich von Jesus abwende. Warum sollten wir annehmen, dass sein Widerspruch ein Missverständnis sei, das sich mit ein paar Dialogsitzungen auflösen lässt?
Wie viel Sinn ergibt der Versuch, eine Aussage, die eine Religion für wahr hält, in „Dialog“ mit ihrem Widerspruch zu bringen? Der Widerspruch geschieht ja nicht aus spielerischen oder belanglosen Gründen. Er ist ernst gemeint. Der erwähnte Antichrist ist keine harmlose Spielfigur, sondern eine mörderische Gestalt, die im Namen bereits die Kontradiktion trägt!.
Auch hier möchte ich ein Beispiel geben: Wenn das Christentum bekennt „Jesus ist von Gott in Maria gezeugt und nicht geschaffen“, der Islam dagegen ausdrücklich bekennt „Allah zeugt nicht und wurde nicht gezeugt“, dann handelt es sich um einen klassischen Widerspruch. Eine fruchtbare Kommunikation kann aus logischen Gründen nicht stattfinden.
Selbst wenn wir nicht entscheiden wollten, ob wir die Aussagen einer Religion für wahr halten, gilt der „Satz vom ausgeschlossenen Dritten“, der uns lehrt, dass zwischen einer Aussage und ihrem Gegenteil keine Mitte, kein Kompromiss möglich ist. Dass also selbst im Falle einer ausbleibenden Wahrheitsentscheidung weder beides gleichberechtigt gelten noch eine Mitte zwischen beidem generiert werden kann.
Man wird mir entgegenhalten, dass nicht alles in einer fremden Religion oder Kultur ein Widerspruch zur christlichen Kultur ist. Dazu möchte ich mit Nachdruck sagen: Es läge mir fern, alles Nicht-Christliche pauschal zu verteufeln. Ich möchte aber auch anmerken, dass nicht alles, was Nichtchristen tun, Ausdruck ihres Nichtchrist-Seins ist. Vieles in anderen Religionen und Kulturen ist aus der menschlichen Verfasstheit erwachsen und an sich selbst neutral. All das Schöne, Spielerische, Musikalische, das, was die natürlichen Gaben des Menschen hervorbringen und was die natürliche Vernunft als Wahrheit zu erkennen vermag, ist gut!
Mir geht es um etwas anderes: Eine Kultur ist immer eine geistige Synthese und kontaminiert mit ihrem Geist alles, was sie integriert. An dieser Stelle sehe ich das Problem.
Nach einer Bekehrung zu Jesus Christus erfährt der Gläubige stets eine Neuorientierung, eine Reform seiner bisherigen kulturellen Verfassung. Vieles wird transformiert, vieles verworfen, alles IHM zu Füßen gelegt. Einem solchen Umgestaltungsprozess ist ja die abendländische Kultur erwachsen… Wer umkehrt zu Jesus Christus, kann unmöglich so bleiben, wie er war. Er lässt sich willentlich von der Wahrheit, die Jesus Christus heißt, umgestalten. Allein das ist schon ein praktischer Beweis gegen den Sinn eines „Dialogs ohne Vorurteile“: in meiner „Umkehr“ vollzieht sich kein lebenslanger „Dialog“ zwischen dem Vorher und Nachher, sondern sogar eine regelrechte Läuterung aus dem Vorher heraus. Die von Gott gut geschaffene Substanz bleibt, alles Akzidentielle verwandelt sich.
Aber zurück zur Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen des „Dialogs“: Welches Ziel hat ein „Dialog“, in den man „offen“, eintritt?
Ist er ein unverbindlicher „kontroverser“ Salontalk unter Vermeidung ernsthafter Konfrontationen und klarer Aussagen, ein bürgerliches Spielchen, wie wir ihn tagtäglich über alle Fernsehkanäle unter der Rubrik „Talkshow“ flimmern sehen?
Fragen über Fragen!
Eines scheint klar geworden zu sein – eine solche Vision vom „Dialog“ ist unmenschlich und beraubt den Menschen seiner Würde. Die Würde des Menschen als imago Dei beinhaltet zentral die Sehnsucht danach und in Jesus Christus auch das unverdiente Recht darauf, in der Wahrheit zu sein – nicht stets auf der Suche außerhalb der Wahrheit nach der immer wieder fliehenden Wahrheit, in Abwandlung des Spruches „Das Kapital ist ein scheues Reh!“.
Man kann nur in der Wahrheit oder außerhalb der Wahrheit sein. Im Licht oder in der Finsternis. Franziskus aber will offenbar ein Schattenreich zwischen Licht und Finsternis kreieren.
Wie anders sollte man Franziskus’ Formulierung im Brief an Scalfari verstehen: Mit anderen Worten verlangt die Wahrheit, die letztlich mit der Liebe vollkommen eins ist, Demut und ein Offensein für die Suche, die Aufnahme und ihren Ausdruck. Dies erfordert Klarheit über die Begrifflichkeit und vielleicht ein Austreten aus den engen Pfaden einer … absoluten Gegenüberstellung, eine tiefgreifende Neuausrichtung der Frage.
„Die engen Pfade der absoluten Gegenüberstellung“ – Franziskus kann damit nur auf die Relativierung der je eigenen Wahrheitsannahmen anspielen. Dieser Satz ergäbe sonst keinerlei Sinn. Da er nachschiebt: „…eine tiefgreifende Neuausrichtung der Frage…“, ist unverkennbar, dass er für ein endgültiges Abrücken vom traditionellen kirchlichen Kurs vor dem Vaticanum II plädiert.
Dieser Kurs aller Päpste vor dem Vaticanum II, des Tridentinums und des Vaticanum I, der die Unvereinbarkeit der philosophischen Grundlagen der Moderne und der Lehre der Kirche vielfältig in Konzilstexten, Dekreten, Enzykliken und Disziplinarmaßnahmen konstatierte, hatte den Gläubigen diese klare Scheidung der Geister dargelegt und als zu Glaubendes abverlangt. Am markantesten stachen hier der Index librorum prohibitorum und der Antimodernisteneid heraus. Beides wurde unter dem Pontifikat Pauls VI. aufgegeben.
Schmerzensmann
Ein weiterer Begriff, der für unsere Betrachtung hier zentral ist, ist die Religions- und Gewissensfreiheit. Franziskus geht darauf ausdrücklich ein:
„Um eine Sünde handelt es sich auch beim Nichtglaubenden dann, wenn er gegen sein Gewissen handelt. Auf es zu hören und ihm zu gehorchen bedeutet, sich angesichts des für gut oder für böse Erkannten zu entscheiden. Und an dieser Entscheidung hängt Güte oder Schlechtigkeit unseres Handelns.“
Franziskus wiegt Scalfari mit diesen Worten in eine falsche Sicherheit hinein. Natürlich muss auch ein Ungläubiger – zwangsläufig möchte man sagen - seinem Gewissen folgen! Was jedoch das Gewissen, das sich nicht an der Wahrheit in Jesus Christus orientiert, für gut oder böse hält, kann vollkommen falsch sein. Die Güte und Schlechtigkeit unseres Handelns hängt gerade nicht daran, dass wir etwas gut oder böse gemeint haben, sondern ob es objektiv gut oder böse war. Selbst der Volksmund fasst dies in einen Sinnspruch: „Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht!“ Diese Tatsache kommt in den biblischen Szenen vom Jüngsten Gericht zum Ausdruck.[9]
Es ist Dogma der Heiligen römisch-katholischen Kirche, dass die Zugehörigkeit zur Kirche für alle Menschen heilsnotwendig ist.
Franziskus’ Satz „Sie (die Wahrheit, Anm. HJ) gibt sich uns immer nur als Weg und als Leben“ muss folglich in dieser Formulierung als falsch bezeichnet werden: Die Wahrheit in der Person Jesu Christi gibt sich uns zwar als Weg und Leben. Daraus folgt aber nicht, dass sie sich uns „immer nur“ als Weg und Leben gibt, wie Franziskus meint. Sie gibt sich uns sehr wohl – und das ist wohl die Differenz zwischen der Lehre der Kirche und der „tiefgreifenden Neuausrichtung“ – in Form objektiver Dogmen, die dem Gläubigen als de fide gelten, auch dann, wenn er sie noch nicht lebendig verstehen kann! Kurz: sie gibt sich uns ausschließlich durch die Vermittlung der Kirche! Es gehört zu den Absurditäten der modernen Theologie zu suggerieren, nur das sei de fide für den einzelnen, was sich ihm bisher erschlossen hat! Cum autem venerit ille, Spiritus veritatis, deducet vos in omnem veritatem.[10] (Wenn aber jener kommen wird, der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit heimführen.) In die ganze, natürliche und übernatürliche Wahrheit! Wir werden in die Wahrheit heimgeführt wie eine Braut, dieses Zuhause existiert schon lange vor uns und erwartet den, der glaubt, ohne zu schauen, als eine fest gebaute Stadt, in der nichts wankt. „Et cognoscetis veritatem, et veritas liberabit vos“ – (Wenn ihr die Wahrheit erkennt, wird euch die Wahrheit befreien.)[11]
Davon hören wir bei Franziskus kein Wort. Er spricht aus sich selbst heraus. Das wird nicht abgemildert durch seine Ich-Botschaft Ohne die Kirche – das können Sie mir glauben – hätte ich Jesus, selbst im Bewusstsein, die unermesslichen (sic!) Gabe des Glaubens in zerbrechlichen Tontöpfen der Menschheit aufbewahrt zu wissen, nicht begegnen können.“ Er hätte Manns genug sein müssen, Scalfari zu sagen: Ohne die Kirche können Sie Jesus, der alleine die ganze Wahrheit ist, nicht begegnen! Der Rückzug auf die Ich-Botschaft bleibt dem Fragenden die Wegweisung schuldig.
Entsprechend hat Papst Franziskus die Notwendigkeit und den Sinn des „Dialogs“ gegenüber jungen Japanern bereits im Sommer 2013 definiert. Lassen wir ihn ausführlich zu Wort kommen:
„Denn wenn wir in uns selbst isoliert sind, haben wir nur das, was wir haben und können kulturell nicht wachsen. Wenn wir aber zu anderen Personen gehen, zu anderen Kulturen, andere Denkweisen und Religionen kennenlernen, gehen wir aus uns selbst heraus und beginnen dieses schöne Abenteuer, dass sich ,Dialog’ nennt. Der Dialog ist sehr wichtig für die eigene Reife, denn im Kontakt mit anderen Personen und anderen Kulturen, auch in der gesunden Auseinandersetzung mit anderen Religionen wächst man: man wächst und reift.“
„Denn wir führen einen Dialog, um uns zu finden, nicht um zu streiten. Und was ist die tiefste Haltung, die wir für einen Dialog brauchen und nicht für den Streit? Die Sanftmut. Die Fähigkeit, Personen und Kulturen mit Frieden aufzusuchen. Die Fähigkeit, intelligente Fragen zu stellen wie: ,Warum denkst du so? Warum macht diese Kultur das so?’ Die anderen zu hören und dann zu sprechen. Zuerst zuhören, dann sprechen. Das ist Sanftmut.“
„Es gibt keinen Frieden ohne Dialog. Alle Kriege, Kämpfe, alle Probleme, die sich nicht lösen und denen wir begegnen gibt es aufgrund eines Mangels an Dialog. Wenn es ein Problem gibt – Dialog: dieser bringt den Frieden, dass ihr einen Dialog zu führen versteht: ,aha, so denkt also diese Kultur, wie schön, dies aber gefällt mir nicht so’… immer aber im Dialog. [12]
Dass ein Mensch, der allein Jesus folgen und sich nicht auf andere Kulturen einlassen will, nicht „in sich isoliert“ ist, ergibt sich allein daraus, dass einer, der in Christus und in Maria ist, keinesfalls mehr „in sich“ selbst „isoliert“ sein kann. Er wächst und reift in Maria zu Jesus Christus hin und andererseits wächst und reift in ihm selbst – wie in Maria – Jesus Christus. Beides gilt. Niemand ist weniger isoliert als ein wahrer Christ! Es ist völlig gleich, ob er dabei das Privileg hat, in der Welt herumreisen zu können. Franziskus richtet ein beklagenswertes, begriffliches Chaos an! Und dies bei der vollmundig geforderten „Klarheit über die Begrifflichkeit“!

Franziskus redet gerne von der „Zärtlichkeit Gottes“ und der „Sanftmut des Christen“. Was meint er damit? Gegenüber den Japanern sagte er wörtlich:  
Und was ist die tiefste Haltung, die wir für einen Dialog brauchen und nicht für den Streit? Die Sanftmut.“ Nüchtern bemerkt ist es hinsichtlich der Wahrheit nicht von Belang, ob sie sanft oder unsanft vorgetragen wird – was wahr ist, ist wahr. In Franziskus’ Sätzen klingt der Spruch „Der Ton macht die Musik!“, aber dieser Satz ist hinsichtlich der Wahrheit – falsch. Die Aufwertung der „Verpackung“ zum unverzichtbaren Bestandteil der Wahrheit, eine irrige Frucht des „Pastoralkonzils“, hat nicht nur die traditionelle Lehrverkündigung in Misskredit gebracht, sondern die Wahrheit ihrer Objektivität beraubt.
Es ist evident, dass dies logischer Unsinn ist. Entweder bin ich „in“ der Wahrheit geborgen (also in Christus) oder eben nicht. Tertium non datur.Utinam frigidus esses aut calidus!“ – (O, wenn du kalt oder heißt wärest!)[13] ruft der himmlische Jesus in der Johannes-Offenbarung. Die Erscheinung des Herrn wird übrigens dort so beschrieben: „et de ore eius gladius anceps acutus exibat“[14](und aus seinem Mund wuchs ein scharfes, zweischneidiges Schwert heraus). Das scharfe, zweischneidige Schwert ist das Kontrastprogramm zu Franziskus’ Dialog!
Franziskus Formulierung ist nicht missverständlich, sondern falsch: „Mit anderen Worten verlangt die Wahrheit, die letztlich mit der Liebe vollkommen eins ist, Demut und ein Offensein für die Suche, die Aufnahme und ihren Ausdruck.“ Nein! Die Liebe ist immer ohne Falsch. Was wahr ist, ist wahr. Was falsch ist, ist falsch. Echte Demut beugt sich der objektiven, schwertscharfen Wahrheit, die Jesus Christus heißt, und nicht dem, was wir, ich selbst oder ein anderer Mensch, momentan gerade für wahr halten, wenn wir überhaupt noch nach objektiver Wahrheit fragen. Denn Scalfari tut dies offensichtlich nicht. Franziskus geht darauf direkt ein: „Sie (fragen) mich, ob es ein Irrtum oder eine Sünde sei zu glauben, dass es keine absolute Wahrheit gebe. Zunächst würde ich auch für einen Glaubenden nicht von einer „absoluten“ Wahrheit im Sinne eines Losgelöstseins und daher einer Beziehungslosigkeit des Absoluten sprechen. Nun ist die Wahrheit dem christlichen Glauben zufolge die Liebe Gottes zu uns in Jesus Christus und daher eine Beziehung! Jeder von uns geht von sich selbst aus, wenn er die Wahrheit aufnimmt und ausdrückt: von seiner Geschichte, seiner Kultur, seiner Lage usw.“
Der Exkurs darauf, dass auch ein Gläubiger nicht von einer „absoluten“, im Sinne einer „losgelösten“ Wahrheit ausgehe, stellt eine krude Verkürzung des kirchlichen Wahrheitsbegriffs dar und ist nichts weiter als ein feiges Um-den-Brei-herum-Reden. Die Wahrheit ist sehr wohl „absolut“, denn sie existiert tatsächlich losgelöst von jeder Bindung an Wahrheitsminderndes, Korrumpierendes, Relativierendes. Und noch etwas: nicht wir gehen von uns aus, wenn wir die Wahrheit(!) aufnehmen! Im Moment der Umkehr zu IHM nehmen wir tatsächlich ausschließlich IHN in uns auf und lassen unsere „Geschichte, unsere Lage, unsere Kultur etc.“  zurück! „At illi continuo, relictis retibus, secuti sunt eum“[15] – (Sie folgten IHM sogleich, nachdem sie ihre Netze liegengelassen hatten.)  Was sie versponnen, gebunden und gefangen gehalten hatte, warfen sie ab und folgten IHM…

Berufung des Petrus und des Andreas


3. An IHM scheiden sich die Geister!

Die Tatsache, dass viele Differenzen zwischen Einzelpersonen und kulturellen Ausprägungen ganz offenkundig im Zusammenhang mit Wahrheit und Irrtum, mit Bosheit und Güte, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit stehen, scheint Franziskus nicht im Blick zu haben, gar nicht ernst zu nehmen – als seien die Mächte und Gewalten in der Luft, vor denen uns der Hl. Paulus warnt, ein Kinderspiel. „Quia non est nobis colluctatio adversus sanguinem et carnem sed adversus principatus, adversus potestates, adversus mundi rectores tenebrarum harum, adversus spiritalia nequitiae in caelestibus.” – (Denn wir kämpfen nicht gegen Fleisch und Blut, sondern gegen Fürsten, gegen Mächte, gegen die Herrscher dieser finsteren Welt, gegen böse Geister in den Himmelsregionen.) In der Waffenrüstung gegen diese Mächte nennt der Hl. Paulus zuerst das Umgürten der Lenden mit der Wahrheit![16]
Nicht von Ungefähr wird am Ende der Zeiten der Weltenrichter Jesus Christus eine Scheidung von „Schafen“ und „Böcken“ vornehmen: nicht alles war gleich „gut“ oder hatte die gleiche Berechtigung. Und vieles, was „gut gemeint“ war, wird ER abweisen und böse nennen! Vor IHM werden Menschen stehen, die einklagen wollen, dass sie doch – sogar „in seinem Namen“ – „dasselbe“ getan hätten wie die vor IHM Gerechten. Mehrfach mahnt uns das NT: Er wird sagen, er kenne sie nicht und wird sie hinauswerfen in die äußerste Finsternis, die ihre Heimat war.[17] Jeder, der diese Worte der Hl. Schrift liest, muss erschauern vor dem Ernst der Lage!
Die Lehre der Kirche kannte aus diesem Grund keinen „Dialog als Mittel des Friedens“. Unser Friede ist allein Christus. Unser Herz ist im Unfrieden, und was im Herzen ist, dringt – ohne Versöhnung mit Gott - unweigerlich nach außen. Frieden heißt in der christlichen Vorstellung, dass der Wille Gottes ohne Abstriche erfüllt wird. Es ist verschiedentlich darauf hingewiesen worden, dass ein solcher Frieden nicht von einem Kollektiv initiiert werden kann, sondern nur in den Herzen der einzelnen Gläubigen entfacht zur Gemeinschaft drängt. „Secundum voluntatem tuam pacificare et coadunare digneris“ -  (Deinem Willen gemäß mögest DU befrieden und vereinigen) beten wir im Alten Messkanon. Erst geschieht die persönliche Befriedung des einzelnen, danach ist die Vereinigung möglich…
In die Realität menschlichen Unfriedens ragt die merkwürdige Aussage Jesu, der Friede, den er gebe, sei nicht der Friede, den die Welt gibt.[18] Sein Friede ist also jenseits alles dessen, was der Mensch an Friedensbemühung vornehmen könnte.
Im Agnus Dei kommt der Einbruch dieser fremden Friedensvorstellung, die nicht von dieser Welt ist, zum Ausdruck: „qui tollis peccata mundi dona nobis pacem“ -  (der Du trägst die Sünden der Welt, gib uns Frieden...). Die Beziehung zwischen unserer Sünde und der privatio des Friedens ist hier deutlich ausgesprochen. Ein rein irdischer „Weltfrieden“ ist – aufgrund des apokalyptischen Kampfes zwischen Licht und Finsternis – vor der Wiederkunft Jesu Christi sogar ausdrücklich ausgeschlossen:
ER, so ist es von Anfang an gesagt, bringt das „Schwert“. An IHM scheiden sich die Geister. An IHM wird offenbar, was in den Herzen schlummert. ER trennt unter uns Licht und Finsternis. So wie Gott am Anfang der Schöpfung das Licht und die Finsternis schied… Angesichts SEINER Gegenwart kann sich keiner verstellen.

Simeon, Maria und das Jesuskind


Simeon prophezeit der Gottesmutter im Tempel: „Ecce positus est hic in ruinam et resurrectionem multorum in Israel et in signum, cui contradicetur — et tuam ipsius animam pertransiet gladius — ut revelentur ex multis cordibus cogitationes.“ – (Siehe, dieser ist gesetzt zum Ruin und zur Auferstehung vieler in Israel und zum Zeichen, dem widersprochen wird – und dir wird selbst ein Schwert durch deine Seele gestoßen werden – damit die Gedanken aus den Herzen vieler ans Tageslicht kommen.)[19]
Zum Ruin! Er wird Widerspruch hervorrufen! Das Schwert in Marias Seele ist keine romantisch-pathetische Beschreibung mütterlicher Affenliebe, sondern die Ankündigung der Teilhabe Mariens am Erlösungswerk ihres Sohnes. Das Schwert in der Seele Mariens ist Teil des Leidensweges Jesu, der den Frieden in Gott möglich machen wird für viele.
Mit Jesus steht jedenfalls der einzelne Mensch vor der Möglichkeit des endgültigen Ruins oder der Auferstehung. Ab jetzt ist die Rede von den Werken der Finsternis und denen des Lichts:
„Nemo vos decipiat inanibus verbis; propter haec enim venit ira Dei in filios diffidentiae.
Nolite ergo effici comparticipes eorum;
eratis enim aliquando tenebrae, nunc autem lux in Domino. Ut filii lucis ambulate

— fructus enim lucis est in omni bonitate et iustitia et veritate —
probantes quid sit beneplacitum Domino;
et nolite communicare operibus infructuosis tenebrarum, magis autem et redarguite;
quae enim in occulto fiunt ab ipsis, turpe est et dicere;
omnia autem, quae arguuntur, a lumine manifestantur,
omne enim, quod manifestatur, lumen est.
Propter quod dicit: “ Surge, qui dormis, et exsurge a mortuis, et illuminabit te Christus ”.[20] -
(Niemand täusche euch mit leeren Worten; wegen ihnen kommt der Zorn Gottes auf die Kinder des Misstrauens.
Darum ergebt euch nicht als deren Teilhaber;
Einstmals wart ihr Finsternis, jetzt aber Licht im Herrn. Auf dass ihr wie Kinder des Lichtes wandelt – die Frucht des Lichtes nämlich besteht in Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit – prüft, was dem Herrn ein Wohlgefallen sei;
Und macht euch nicht gemein mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis, vielmehr aber deckt sie auf;
was nämlich im Geheimen von jenen getan wird, ist zu schändlich, um gesagt zu werden;
alles aber, was offengelegt wird, wird vom Licht sichtbar gemacht,
alles nämlich, was sichtbar gemacht wird, ist Licht.
Deswegen sagt man:
„Steh auf, der du schläfst, ersteh von den Toten auf, damit dich Christus erleuchtet.“
Wer nicht von Christus erleuchtet ist mit seiner willentlichen Zustimmung, liegt „im Grab“, ist „tot“!
Es ist dem Christen nicht erlaubt, mit den „Toten“ an einem Strang zu ziehen:  Nolite iugum ducere cum infidelibus! Quae enim participatio iustitiae cum iniquitate? Aut quae societas luci ad tenebras?[21] (Zieht nicht ein Joch mit den Ungläubigen! Hat denn die Gerechtigkeit teil an der Bosheit? Oder was hat das Licht mit der Finsternis zu tun?)
Distanz ist immer dann geboten, wenn Dinge aus einem bestimmten Geist heraus vorgenommen werden, der der Lehre der Kirche ausdrücklich widerspricht oder bei nüchterner Analyse implizit entgegensteht. Dazu zählen politische, soziale und kulturelle Projekte, die eine starke ideologische Fundierung haben und immer andere Religionen und ihre Kulte.
Es ist nicht „überheblich“, wie Franziskus behauptet, diese geistigen Fundierungen, die den Hl. Geist abweisen, als „Werk der Finsternis“ zu bezeichnen. Wer sich wirklich bekehrt hat, weiß, dass der Mensch außerhalb der Kirche unweigerlich in die Hände der Finsternis gerät. Wer wagt, die Geister voneinander zu scheiden – es ist ja bei vielem nicht einfach, zu erkennen, wes Geistes Kind es ist!?
Und es gibt schon in alttestamentlicher Zeit das Charisma der Unterscheidung der Geister, das derjenige, der es hat, seinen Glaubensgeschwistern schenken muss. Die Gabe der Unterscheidung ist verbunden mit einem prophetischen Charisma. Dass Simeon und Hanna (letztere wird ausdrücklich eine prophetissa genannt)[22] in dieser unscheinbaren Familie, die in den Tempel kam, um ihren Erstgeborenen Gott zu weihen, die Heilige Familie erkannten, dass Simeon in Maria die Gottesmutter und Teilhaberin des Erlösungswerkes sah und ihr das unter Segenssprüchen sogar zusprechen konnte, basiert auf der Fähigkeit, das, was wahr ist und von Gott kommt, sofort zu unterscheiden von allem anderen, das nicht diesen Status hat. Simeon wird ein „homo iustus et timoratus“ genannt, dem der Hl. Geist eingegeben habe, „non visurum se mortem nisi prius videret Christum Domini.“ Unter Einwirkung des Geistes geht er zur besagten Stunde in den Tempel.[23] Auch er ist ein Prophet wie Hanna – ganz eindeutig. Die Kirche braucht auch dieses Charisma. Das Lehramt hätte die Aufgabe, dieses Charisma und seine Frucht im Einzelfall zu prüfen und zu bestätigen.
Aus der zitierten Stelle aus dem Epheserbrief geht hervor, dass die Werke der Finsternis, sobald sie beleuchtet werden, sich zwangsläufig als nicht-lichtvoll erweisen werden: Omne enim, quod manifestatur, lumen est.“ Hinter diesem Satz steht die Vorstellung der Finsternis als Abwesenheit des Lichtes. Wenn etwas wesenhaft finster ist, bleibt es auch im Licht finster, „wie ein schwarzes Loch“. Das Licht scheint und beleuchtet – nichts! Was sich dagegen beleuchten lässt und erkennbare Gestalt gewinnt, das ist Licht! Ein Läuterungsprozess klingt auch hier an dieser Stelle an: das Licht „heilt“ die gekränkte, verminderte, ursprünglich gut geschaffene, verfinsterte Substanz des Menschen. Jesus trat deshalb so überaus wirkmächtig als Arzt in Erscheinung. Das Heilen der menschlichen Gebrechen blieb immer eine zentrale Berufung der Kirche und fand einen sichtbaren Niederschlag in der Pflege und Behandlung Kranker, aber auch in Wunderheilungen durch die Fürbitte der Heiligen. Im Licht der Lehre der Kirche muss alles geprüft werden und wird seinen Charakter erweisen. Es ist nicht „überheblich“, so vorzugehen, wie Franziskus behauptet, sondern so ist es uns geboten zu unserem Heil und dem der ganzen Welt.

Christus Weltenrichter


4. Das „Vorurteil“ als Kampfbegriff gegen die Objektivität

Ein letztes Wort sei gegen den gedankenlosen Einsatz des Begriffes „Vorurteil“ durch Papst Franziskus eingewandt: Wir meinen zu wissen, was ein „Vorurteil“ ist. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein hätte niemand von „Vorurteilen“ gesprochen. Er hätte von einem „Urteil“, „Fehlurteil“ oder „Irrtum“ gesprochen. Man hätte einem bestimmten Urteil aufgrund rationaler Einwände vielleicht nicht zugestimmt. Man hätte aber nicht bestritten, dass das Urteilen, die Gewinnung einer ausschließlichen Überzeugung an sich selbst, legitim sei.
Was aber meint der Begriff „Vor-Urteil“, der 1954 von Gordon Allport theoretisch begründet worden sein soll und als negativer Kampfbegriff alltäglich verwendet wird?[24] Es lässt sich schnell definieren, was die Rede von den „Vorurteilen“ meint: Wer „Vorurteile“ hat, denkt angeblich abwertend oder diskriminierend über andere, liegt damit selbstverständlich falsch und muss zurechtgewiesen werden. Der Begriff ist ein ideologischer Totschläger, denn jedes Urteil kann als Vorurteil zurückgewiesen werden. Fast jedem Alltags-Urteil haftet etwas Vorläufiges an. Daraus ist vernünftig nicht zu schließen, dass ein solches „vorschnelles“ Urteils falsch oder abwertend sein muss. Das Urteil ist sachlich möglicherweise korrekt, aber spontan gefällt. Die Möglichkeit positiver Vor-Urteile wird bezeichnenderweise vonseiten der Begriffsanwender nicht in Erwägung gezogen – auch dies ein Hinweis auf die hohe ideologische Kontamination dieses Wortes.
Und wie kann das „Vorurteil“ scharf abgegrenzt werden von ausreichend begründeten und bewussten Urteilen? Es ist unschwer zu erkennen, dass dies nicht möglich ist. Niemand ist in der Lage, rationale, allgemeingültige Kriterien zu formulieren, nach denen ein illegitimes „Vorurteil“ von einem legitimen Urteil unterschieden werden kann. Rational lässt sich nur über die Begründetheit eines Urteils entscheiden.
Längst hat sich die Rede von der Illegitimität der Vorurteile zum Gemeinplatz aufgeweicht, man dürfe überhaupt nicht urteilen. „Urteilen“ wird als gleichbedeutend mit „ver-urteilen“ aufgefasst. Die Kritikfähigkeit ist verloren gegangen: jedes Urteil wird als ein Urteil ad personam – als narzisstische Kränkung - aufgefasst, nicht mehr in der Sache, also ad rem!
Ironisch sprechen wir bereits von „political correctness“, einem vor-totalitären gesellschaftlichen Klima, das nicht mehr ertragen will, dass jemand aufgrund rationaler Erwägungen zu unerwünschten Urteilen kommt. In mancher Einzelfrage – zum Beispiel der nach der Homosexualität – geschieht inzwischen in vielen Staaten eine Kriminalisierung all jener, die aus wohlerwogenen Urteilen heraus nicht bereit sind ein ideologisch fundiertes Urteil über das Phänomen zu teilen, im Rahmen von „Antidiskriminierungsgesetzen“. Es genügt der verbale Widerspruch, um vor ein Gericht gestellt zu werden.

Franziskus ist zu feige, sich zu Themen wie dem genannten öffentlich zu äußern und windet sich wie eine Schlange zwischen Licht und Finsternis. Er will im Licht sein und doch die Finsternis nicht brüskieren: „Wer den christlichen Glauben lebt, flüchtet nicht aus der Welt oder sucht irgendeine Hegemonie, sondern stellt sich in den Dienst des Menschen; er dient dem ganzen Menschen und allen Menschen, beginnend bei den Peripherien der Geschichte, stets erfüllt von der lebendigen Hoffnung, die trotz allem zu Werken des Guten drängt, und den Augen dem Jenseits zugewandt.“
Der Christ „ist nicht von dieser Welt“. Sein Streben ist, dass er nicht dem Menschen, sondern dem Herrn dienen will. Dass der Herr, der sich zum Diener aller gemacht hat, auch die Seinen zum Dienst an allen aussendet, ist wahr. Ob der Herr im Einzelfall dabei „bei den Peripherien der Geschichte“  beginnen will, sollten wir IHM nicht vorschreiben. Warum sollte er nicht im Zentrum wirken wollen?
Warum aber erwähnt Franziskus nicht, dass der Christ primär seinem Herrn und erst sekundär dem Menschen dient? Weiß er nicht, dass diese primäre Motivation erst das spezifisch Christliche ausmacht und den „Dienst am Menschen“ unterscheidet von der Vergötzung des Menschen, der alle Welt frönt?

Ein tiefer Seufzer entfährt mir – O, Franziskus, warum wirfst Du Dich nicht vor IHM nieder und flehst unsere Mutter um Fürbitte an, warum lässt Du Dir nicht raten von klugen Männern und Frauen, bevor Du redest oder schreibst? Was willst Du hinterlassen mit solch chaotischen und falschen Verlautbarungen? Soll die Kirche unter Dir zusammensinken wie eine vermoderte Leiche? Wenn ich nicht wüsste, dass nicht Du es bist, der die Kirche bewahrt vor den Pforten der Hölle – ich müsste es jetzt befürchten!
O Maria!


Dieser Artikel erschien auch auf Katholisches.info.




Der Text des Briefes an Eugenio Scalfari, der am 11. September 2013 in der italienischen Zeitschrift „La Republicca“ erschienen ist, wurde am 12.+13. September 2013 im katholischen Nachrichtenmagazin „Zenit“ (www.zenit.org/de) in einer eigenen deutschen Übersetzung und auch im Original veröffentlicht: http://www.zenit.org/de/articles/wahrheit-ist-eine-beziehung-erster-teil und http://www.zenit.org/de/articles/wahrheit-ist-eine-beziehung-zweiter-teil
Alle Zitate aus diesem Brief, die ich anführe, stammen aus dieser Zenit-Übersetzung.
______________________________________________________________________

[1] Ecclesiastes 3, 1+7
[2] So beispielsweise in seiner ersten Ansprache nach der Papstwahl
[3] Vgl. Anm. 23
[4] Joh. 3, 36
[5] Beim Treffen mit japanischen Studenten - vgl. Anm. 12
[6] Beim Treffen mit japanischen Studenten – vgl. Anm. 12
[7] Vgl. P. Engelbert Recktenwald: Glauben Christen und Muslime an denselben Gott? Und vgl. P. Franz Prosinger: Derselbe Gott? Auf www.kath-info.de/monotheismus.html am 21.9.2013
[8] 1. Johannes 4,2 ff
[9] Vgl. Mt. 25, 31 ff + Mt. 7, 22
[10] Joh. 16, 13
[11] Joh. 8, 32
[13] Offenbarung 3, 15
[14] Offenbarung 1, 16
[15] Mt. 4, 18
[16] Eph. 6, 12 ff
[17] Vgl. Mt. 25 31 ff oder Mt 7, 22
[18] Joh. 14, 27
[19] Lk. 2, 25 ff
[20] Eph 5, 6-14
[21] 2. Kor. 6, 14
[22] Lk. 2, 36
[23] Lk. 2, 26+27