Das Rätsel von der
Heiligen Weisheit
Zu
einem Gedankengang Erhart Kästners im „Aufstand der Dinge“
I. Der Hunger nach "mehr" Weisheit: Eva und Adam
Der Wunsch nach Weisheit und
Erkenntnis durchzieht die gesamte Heilige Schrift. Uns wird von der Genesis an bis
weit ins Neue Testament hinein das Streben nach Weisheit als der Dreh- und
Angelpunkt menschlicher Güte und Bosheit geschildert.
Der erste Mensch, der seine
Erkenntnis und die damit verbundene Weisheit „vergrößern“ will, als ob Weisheit
vermindert oder vermehrt werden könnte (!), ist die von der Schlange betörte Eva
im Garten Eden. Nur darum greift sie zu der verbotenen Frucht und isst sie: im
Inventar ihrer Erkenntnisse fehlt ihr – vergiftet von der Zurücksetzung durch die
Schlange und das Stillschweigen Adams - etwas, und das will sie unbedingt „hinzuerwerben“.
Aber immerhin teilt sie es gerne mit dem anderen Menschen, dem Mann. Und der
greift ohne jedes erkennbare Nachdenken und ohne irgendein Wort zu sagen,
blitzschnell zu. Zu frag- und bedenkenlos greift er zu…
Warum tat er das so unmittelbar und
ohne zu zögern?
http://www.ewige-anbetung.de/Worte/Heilige_Schrift/Adam_und_Eva/Adam_und_Eva_1.jpg |
Das göttliche Gebot zur
Zurückhaltung vergaß er in dem Augenblick, in dem es darum ging, dass er nun
das Schlusslicht im Wettbewerb der Erkenntnis-Vermehrung sein könnte. Der Neid
war ins Herz des Mannes eingezogen: Nicht dass womöglich Eva nun weiser war als
er! Also auch er war abgefallen und glaubte, Weisheit könne man vermehren oder
vermindern und darum zum Gegenstand des Wetteiferns und der Machtausübung
machen. „Wissen ist Macht“ – dieser Satz stammt direkt von Adam. Gottes
Schlusskommentar zum Geschehen ist denn auch voller beißender Ironie: „Seht doch nur, Adam ist geworden wie
unsereins! Er erkennt Gut und Böse. Dass er jetzt nur nicht die Hand
ausstreckt, auch vom Baum des Lebens nimmt und isst und ewig lebt!“ (Gen 3,
22).
Die Weisheit hatten sie verloren.
Die Weisheit hatten sie verloren.
II. Die Sehnsucht nach der verlorenen Weisheit: König Salomo und die Königin von
Saba
Gutes und Böses wollte Eva
unterscheiden können, aber damit war es wohl nicht so weit her nach dem Genuss
der Frucht… Warum sonst hätte der liebenswerte Davidssohn Salomo auf Gottes
Aufforderung, von ihm etwas zu erbitten, die folgende Antwort gegeben:
„Verleih
deinem Knecht ein hörendes Herz, damit er dein Volk zu regieren und Gutes vom
Bösen zu unterscheiden versteht.“ (1. Könige 3, 9)
Gott gewährt ihm diese Bitte „um Einsicht“ und „um auf das Recht hören“ (V. 11):
„Siehe,
ich gebe dir ein so weises und verständiges Herz, dass keiner vor dir war und
keiner nach dir kommen wird, der dir gleicht.“ (V. 12)
Salomo fällt danach salomonische Urteile
und erwirbt einen sagenhaften Ruf bis an die Enden der Erde. Jeder weiß von der
legendären Begegnung zwischen der Königin von Saba und Salomo. Die Königin von
Saba, selbst eine große Erkenntnisliebhaberin, reist extra mit großen Gefolge
und vielen Geschenken um seiner Weisheit willen nach Jerusalem, um sich davon
zu überzeugen, ob sein Ruf wahr ist. „Ihr
stockte der Atem“, wird uns berichtet, als sie mit Salomo sprach und sah,
wie er dem Herrn einen prächtigen Tempel gebaut hatte.
„Deine
Weisheit und deine Vorzüge übertreffen alles, was ich gehört habe. (…) Weil
Jahwe Israel ewig liebt, hat er dich zum König bestellt, damit du Recht und
Gerechtigkeit übst.“ (1. Kön 10, 7 + 9)
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III. Die Weisheit und das hörende Herz
Die Verbindung von Weisheit und
Gerechtigkeit wird deutlich. Ein Weiser, ein wirklich kluger und einsichtiger
Mensch, muss auch gerecht sein. Weisheit ist die Frucht der Gottesfurcht.
Salomo und die Königin von Saba
erscheinen für einen Moment des Äons fern des Paradieses wie eine Vision des
wieder aufgerichteten ersten Menschenpaares. Die Fraukönigin ersehnt das
unauffindbare Kleinod eines wirklich klugen und rechtschaffenen Mannes und
findet es in Jerusalem. Und Salomo, der König Israels, dessen Name „Frieden“ bedeutet, überstellt dieser
Frau, die fast wie eine himmlische Gestalt noch einmal seine Weisheit zur
Entfaltung bringt, alles, was sie nur begehrt, ohne zu zögern, ohne etwas zu
verweigern oder zurückzuhalten, denn es gab „nichts,
was dem König verborgen war und was er ihr nicht hätte sagen können“ (V. 3)
und er „gewährte der Königin von Saba
alles, was sie wünschte und begehrte.“ (V. 13)
Der König beschenkt die Königin, so
heißt es abschließend im selben Vers, „wie
es nur der König Salomo vermochte“.
Doch sie reist wieder ab in ihr
Land.
Der Zauber wiederhergestellter
Menschlichkeit konnte nicht bleiben unter den Bedingungen dieses Äons. Das
wusste diese Frau.
Ja, Gott gab dem Salomo „Weisheit und Einsicht in hohem Maß und
Weite des Herzens – wie Sand am Strand des Meeres.“ (1. Kön 5, 9)
In dieser Ausstattung ist er ein
Vorläufer der wahren Weisheit, die in Christus aus der Jungfrau Maria in unser
Fleisch zu uns als vollkommene Gestalt kam. Salomo besaß Weisheit „in hohem Maße“, mehr als alle anderen
Menschen, aber Christus war die Weisheit selbst und machte Maria zum Thron seiner
Weisheit, zur „sedes sapientiae“.
Salomo ist der direkte oder indirekte Verfasser der Weisheitsliteratur des
Alten Testamentes.
Weisheit ist ein Überbegriff über
alles organische und lebendige theoretische und praktische Erkennen, über die
Fähigkeit, sich ihr vollkommen anzuvertrauen und das, was sie eingibt,
gestalterisch in den Lebensvollzug zu integrieren ohne Vorbehalt und Zögern.
Salomos Weisheit führt direkt zu einer Befriedung der politischen Verhältnisse
(1. Kön 5, 26).
IV. Weisheit gebiert Frieden – Stolz gebiert Krieg
Doch der König Salomo, der die
Schönheit und das Königtum der Frau in ihrer ganzen Größe und Wahrheit verstand,
erlag der Selbstüberhebung. Er war süchtig nach der Frau, nach der Frau aus
allen Völkern, er umgab sich mit Frauen, und der ungute Drang, den Zauber der
Frau in der Sexualität, selbst in einer wohl kaum mit jeder einzelnen gelebten
Sexualität, zu bannen, überwältigte ihn:
„Er
hatte 700 fürstliche Frauen und 300 Nebenfrauen. Sie machten sein Herz
abtrünnig.“ (1. Kön 11, 3) Er ergab sich den Götzen der verschiedenen
Frauen und „teilte“ sein Herz: es schlug nicht mehr alleine für den einzigen,
unteilbaren Gott, der doch die Weisheit ist!
Das Buch der Könige berichtet, dass
Gott dem König Bundesbruch vorwirft und ihm ein Gericht verheißt: er will ihm das
Königtum, das er doch David auf ewig verheißen hat, entreißen.
Die Weisheit ist eine und unteilbar, man kann ihr nur
ganz oder gar nicht angehören. Wer weise ist, kann nur eine Frau haben, denn
sie ist Hort der Weisheit, wenn sie ein hörendes Herz hat. Und wehe dem, der
sich an ihr vergeht… Ihm ergeht es schlimmer als einem, der sie nie kannte und
aus Unvermögen und Dummheit sündigt. Gott kündigt an, was geschehen wird:
Israels Königtum wird in die Hände der Knechte gelangen. Nur ein einziger Stamm
soll in der Hand der Nachkommen Davids bleiben um der Verheißung willen, die
Gott ihrem Stammvater gegeben hatte. Und sofort schwindet auch der politische
Frieden. Salomo beschließt seine späten Tage mit Kriegen, die seine Nachbarn
über ihn bringen und mit einem vor Neid zerfressenen Herzen, das ihn danach
trachten lässt, den Beamten Jerobeam, den Gott ihm schon angekündigt hat als
den künftigen König und der sich gegen ihn erhebt, zu töten. Der Friede war mit
der Weisheit ausgezogen.
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V. Weisheit und die Gabe der Unterscheidung der Geister
Wir lernen daraus, dass es einen
Frieden ohne Weisheit und Gerechtigkeit nicht gibt. Diese Weisheit aber kann
niemand sich selbst geben. Sie ist eine Gottesgabe. Es wundert daher nicht,
dass die „Unterscheidung der Geister“, die „discretio
spirituum“, im Neuen Testament eine Geistesgabe, ein Charisma ist, das Gott
alleine verleihen kann.
Man fragt sich betroffen, warum
Salomo, der doch der weiseste Mensch gewesen sein soll, am Ende der Weisheit
verlorenging. In seiner Weisheit wurde er zum Narren. Der Grund für seinen
Verlust ist derselbe wie der bei Adam: er hat Gott, der doch die Weisheit ist, nicht gehorcht und sich selbst
über die Unterwerfung und Stilisierung der Frau zum Götzen der Weisheit
gemacht. Die Königin von Saba ließ sich einst nicht missbrauchen für diesen
Zweck und auch nicht vergötzen, denn sie reiste wieder ab „in ihr Land“. Sie
wurde keine Haremsdame der selbsternannten Weisheit und ordnete sich dem weisen
König auch nicht unter, denn nur Gott alleine verdient diese Unterordnung unter
die Weisheit.
VI. Weisheit und Demut
Die Weisheit hängt innig mit der
Demut zusammen. Wer weise ist, ist auch demütig. Von Jesus heißt es, dass er „von Herzen demütig“ sei (Mt 11, 29).
Die wahre Weisheit ist auch die wahre Demut in Person. Demut aber ist
Dienstbereitschaft. Als Salomo mit der Königin von Saba alles teilte, was ihm
geschenkt worden war, war er noch dienstbereit. Als er Frauen sammelte, als er
sie besitzen wollte, als er nicht mehr teilte, sondern herrschen wollte, verlor
er das Königtum. Das Königtum Christi ist darum „nicht von dieser Welt“, nicht an solcher Herrschaft interessiert.
Wahre Demut aber kennt sich selbst
ebenso wenig wie wahre Weisheit sich selbst kennen kann. Wir wissen, dass Sätze
wie „Ich bin demütig“ oder „Ich bin weise“ förmlicher Beweis dafür sind, dass
der, der sie sagt, weder demütig noch weise ist (unser Herr ausgenommen).
Wer sich selbst womöglich noch von
Natur aus für „weise(r)“ ansieht, liegt quer zur neutestamentlichen Mahnung: „Bleibt demütig! Haltet euch nicht selbst
für weise!“ (1. Kor 12, 16)
An dieser Aufforderung lasen auch
in der Kirche die größten Philosophen gerne vorbei (s.u.).
VII. Weisheit und Macht: Weisheit und Torheit wie in einem Vexierbild
Die „discretio spirituum“, die „Unterscheidung der Geister“ ist
Geistesgabe und wird dann verliehen, wenn Gott es will. Nur dann. Man „hat“ sie
nicht, sondern sie wird zuteil. Wer sie „haben“ will oder sie sich wesenhaft
womöglich noch selbst zuschreibt, verliert sie sofort. Besonders gefährlich ist
die Verklammerung von angeblicher Weisheit und Macht.
Man muss hier auch einige Frage
stellen bei der von bestimmten Kräften in der Kirche verabsolutierten
Philosophie Thomas von Aquins. Auch er setzte voraus, dass der, der empirisch herrsche,
herrschen müsse und solle, weil er „weiser“ sei als die, über die er herrscht.
„Herrschaft“ heißt hier förmlich „weiser sein“ (s.th. Ia 92 a. 1 arg. 2), wohl
zum Nutzen des Beherrschten, aber um den Lohn der Überheblichkeit, die sich
seinsmäßig erhaben wähnt über den, dem sie „dient“. Der unter den alten
Kirchenvätern eher verbreiteten Sicht, dass solche Herrschaftsgefüge eine Folge
der Sünde seien, hält er entgegen, dieser hierarchische Zustand zwischen den
Menschen habe so schon vor dem Sündenfall bestanden. Nur die Umkehr des
Herrschens in eine Lebensform, die sich dienen lässt und nicht dient, sei Folge
der Sünde. Überlegene Weisheit und Würde behandelt er sogar wie ein
Wesenmerkmal, das angeboren sei. So sei etwa der Mann grundsätzlich und
wesenhaft „würdiger“ und „weiser“ als die Frau. Nun zeugen solche Gedanken
nicht nur von einer peinlichen Arroganz und maskulinem Narzissmus, sondern auch
von einem gefährlichen Hochmut.
Immerhin finden wir solche Gedanken
nicht im Befund der Heiligen Schrift, sondern das Gegenteil scheint dort zu
finden zu sein. Wir hören immer wieder davon, dass die Weisen der Welt in ihrer
Weisheit vor Gott Toren geworden seien:
„Wer
den Tempel Gottes verdirbt, den wird Gott verderben. Denn Gottes Tempel ist
heilig, und der seid ihr. Keiner täusche sich selbst. Wenn einer unter euch
meint, er sei weise in dieser Welt, dann werde er töricht, um weise zu werden.
Denn
die Weisheit dieser Welt ist Torheit vor Gott. In der Schrift steht nämlich: Er
fängt die Weisen in ihrer eigenen List.
Und
an einer anderen Stelle: Der Herr kennt die Gedanken der Weisen; er weiß, sie
sind nichtig.“ (1. Kor 3, 17 ff)
Von einem ebensolchen, beinahe
unbeschreiblichen Überlegenheitsdünkel gegenüber dem Rest der Menschheit ist
auch der Islam gezeichnet, der uns darin immer mehr zum Problem wird, uns
leider aber unsere eigenen Verfehlungen überzeichnend vor Augen hält wie ein
Gottesgericht:
VIII. Erhart Kästners „Aufstand der Dinge“ von 1973: Die Hagia Sophia
als Mahnmal des Weisheitshochmuts der Christen
Ich stieß neulich auf eine Stelle
in den „Byzantinischen Aufzeichnungen“, die Erhart Kästner 1973 unter dem Titel
„Aufstand der Dinge“ als letztes großes Werk vor seinem Tod veröffentlichen
konnte. Er beginnt sein Buch mit dem Text „Gotteshaus gottlos“ und beschreibt
darin den Zustand der Hagia Sophia, als er sie besuchte, die 1935 unter Ata
Türk zum Museum gemacht, endgültig gottleer wurde.
Der moderne Besucher spürt dennoch
das „Numen“ in ihr, die ehemals erbetene und gefeierte und geheimnisvolle
Präsenz Gottes, die niemand löschen kann, die aber dennoch nun vollends
geleugnet wurde und sich nur dem noch mitteilt, der den inneren Menschen dafür
öffnet. Einen irdischen Mittler gibt es nicht mehr.
Das nächste Kapitel kommt gleich
zur Sache und ist mit dem einfachen Wort „Macht“ überschrieben. Kästner
entwirft einen ganz anderen Begriff von „Macht“ und echter „Weisheit“, als dies
aus den an dieser Stelle so dumpfen Vorstellungen des Thomas abgeleitet werden
muss.
„Macht“ ist nicht Übermacht oder
Überlegenheit über andere, ist nicht „Herr-Sein“, auch nicht eine
überheblich-paternalistische „Dienstbereitschaft“, die doch nur getarnte
Herrscherlichkeit sein will, sondern:
„Zu
Macht kommen heißt, zu seiner höchsten Möglichkeit kommen. In Macht sein:
Sonnenhochstand. Macht: eines Dinges großer Moment, seine Glücksstunde. Macht:
wenn etwas ganz bei sich selbst ist.“ (Erhart Kästner: Aufstand der Dinge.
Byzantinische Aufzeichnungen. Frankfurt a. M. 1976. S. 24)
Justinian also, der diesen Dom
baute, war mächtig. Aber war es eine Macht, wie Kästner sie zeichnete?
Er schreitet fort und fragt:
„Wer
ist das, die heilige Weisheit“? (S. 37)
Was er entfaltet, liest sich wie
eine zunehmende Verdüsterung eines historischen Sachverhaltes.
Er beginnt den Abstieg in den irdischen
Orkus christlicher Verfehlung der heiligen Weisheit mit der Feststellung, dass
es bezeichnend sei, dass niemand nach ihr frage, nach ihr, der heiligen
Weisheit. Man rede immer nur über all die vielen Menschen, die ihr Können in
die Waagschalen geworfen haben, um diese Manifestation menschlicher Größe zu
erbauen.
Er zitiert Prokop, der immer angeführt
werde mit den Worten Justinians, der bei der Einweihung des Doms am
Weihnachtsfest im Jahr 537 gerufen habe, er habe den vormaligen Erbauer des
Tempels in Jerusalem, den König Salomo, - wir erinnern uns: der mit Weisheit
begabt wurde und sie verspielte - , nun übertroffen mit diesem Bau:
„Ruhm
und Ehre dem Allerhöchsten, der mich für würdig hielt, ein solches Werk zu vollenden.
Salomo, ich habe Dich übertroffen.“
Es ließe sich unendlich viel sagen
über den genialen Kuppelbau, der Vorbild für den Typus der noch heute überall
anzutreffenden Moscheebauten wurde, über den enormen Aufwand, mit dem in doch
wenigen Jahren dieser gigantische Dom entworfen und fertiggestellt wurde.
Allein – Kästners Erwähnung alles dessen bleibt seltsam trüb, denn er hat noch
etwas vor Augen, das ihn umtreibt.
https://de.wikipedia.org/wiki/Hagia_Sophia |
IX. Die Unerforschlichkeit der Weisheit Gottes
Kästner stößt bitter auf, dass
dieser Bau, der den Bau Salomos übertreffen wollte, den demütigen Umgang mit
der unerforschlichen Weisheit Gottes geradezu konterkariert hat und vielleicht
darum, auch wenn Gott lange Geduld hatte, gestürzt wurde, erst in die Niederung des
Bethauses einer puren Machtreligion und schließlich sogar in die totale
Säkularisierung.
Salomo erhielt von Gott die
Erlaubnis, ihm einen Tempel zu bauen, nachdem der Allerhöchste sie David
verwehrt hatte… David habe, sagte der Herr, Kriege geführt und Blut vergossen: „Du sollst meinem Namen kein
Haus bauen; denn du hast Kriege geführt und Blut vergossen.“ (1. Chr 28, 3)
Wer ist würdig, dem Herrn ein Haus
zu bauen, wo es doch der Herr ist, der uns ein Haus gebaut hat? Wer
menschliches Blut vergossen hat aber, ist niemals würdig, dem Herrn ein Haus zu
bauen. David erkannte das an und teilte es genauso dem Volk mit. Darum sollte
Salomo, der unschuldig war und noch rein, den Tempel bauen.
Was ist zu halten von christlichen
„Stellvertretern Christi“, an deren Händen Blut klebt?
https://en.wikipedia.org/wiki/Justinian_I |
Kästner bezweifelt wohl zu Recht,
dass Justinian sich nur einen Moment mit der Unerforschlichkeit der Heiligen
Weisheit befasst hat:
„War
das der Gedanke des allerchristlichsten Kaisers? Des Weltherrschers? Des
Nachfolgers der Cäsaren, der es übernommen hatte, im Namen Christi zu
herrschen, zu handeln, Entschlüsse zu fassen, da das verheißene Ende aller
Dinge nicht kam? Es musste ihm fernliegen… (…) Die Unerforschlichkeit Gottes
könnte beschwiegen, kaum gebaut werden.“ (S. 38 f)
Aber das ist noch nicht alles, was
ihn befremdet.
X. …aus dem blutigsten Vorgang die Kirche wuchs
„Dass
aus dem blutigsten Vorgang die Kirche wuchs, die uns der Inbegriff von Macht
und Milde zu sein scheint: ein Rätsel, nicht wegzuschieben.“
Kästner referiert die fünf Tage des
Nika-Aufstandes im Jahr 532, in dessen Folge die alte Basilika der Hagia Sophia
verbrannte. Der Nika-Aufstand richtete sich gegen die strenge und willkürliche
Herrschaft Justinians und schien diese Willkür auch in einer eigenen fehlenden
Zielgerichtetheit wiederzuspiegeln. Auslöser war die Hinrichtung einiger
Unruhestifter in Sachen verfehlter Politik des Kaisers und das Versagen der
Henkerswerkzeuge bei zweien von ihnen, worin das Volk einen Fingerzeig Gottes
sah und um deren Begnadigung bat. Justinian blieb hart und wollte
„durchregieren“. Die beiden Verurteilten wurden von Mönchen in einem Kloster in
Sicherheit gebracht. Das Volk wurde immer unruhiger, forderte die
Amtsenthebungen ihrer schlimmsten Peiniger unter den Regierungsbeamten, was
Justinian erfüllte, aber der Volkszorn war zu lange provoziert worden und nicht
mehr zu bremsen. Auch müssen vielschichtige Verschränkungen der Zusammenhänge
angenommen werden, die eine Beruhigung kaum mehr möglich erscheinen ließen.
Justinian dachte offenbar an Abdankung, nachdem das gesamte Palastviertel von
Aufständischen vollkommen niedergebrannt wurde. Ob er wirklich von Kaiserin
Theodora zum Weitermachen überzeugt wurde, mag man auf sich beruhen lassen.
Jedenfalls rief er das Volk im Hippodrom, der großen Pferderennarena, zusammen.
Das Volk kam zusammen, und Justinian bot den Aufständischen nach einer Einigung
Straffreiheit an. Doch konnte man sich nicht einigen und draußen wurde ein
Gegenkaiser ausgerufen, den das Volk im Hippodrom, eben noch im Gespräch mit
dem alten Kaiser, nun frenetisch feiern wollte. In Wirren und Frontwechseln
einzelner Personen und Gruppen kam es unter der Leitung Kaisertreuer im
Hippodrom, dessen Eingänge man verrammelte, nachdem Sschwerbewaffnete
eingedrungen waren, zu einem der größten Massaker der Spätantike, bei dem 30
000 bis 40 000 wehrlose Männer getötet wurden. Es war eine Schandtat.
Am Tag danach befahl Justinian den
Abbruch der verkohlten Reste der Vorgängerkirche. Nach 40 Tagen wurde der
Grundstein für die Hagia Sophia gelegt.
„Großmord
und Bau der Hagia Sophia, das ist leider untrennbar. Um Himmels willen: Welche
Heilige Weisheit konnte denn also gemeint sein?“ (S. 44)
Kästner reflektiert die ambivalente
Persönlichkeit, die spätantike Quellen von Justinian zeichnen. Ein
unerbittlicher hartnäckiger Disputant, wenn es um Theologie ging. In
irgendeiner Weise tiefgläubig. Ein Mann, der das Recht „bauen“ wollte. Auf ihn
geht das „corpus iuris civilis“
zurück, das „CIC“, das Vorbild für den späteren römisch-katholischen „codex iuris canonici“… Asketisch wird
er geschildert, ohne erkennbare Gefühlsregungen und unendlich grausam. Ein
Mörder, wenn es sein musste.
Kästner bleibt auch unerbittlich:
„Also
was ist das, die Heilige Weisheit, der dieser Kaiser diese Kirche geweiht hat?
(…) Was liegt auf dem Grunde?“ (S. 51)
Kästner verweist uns auf berühmte
Paulus-Stellen, in denen Christus mit der Weisheit identifiziert wird. Aber
dieser Jesus Christus hatte doch gesagt, sein Reich sei „nicht von dieser Welt“?
Und doch hatte Konstantin dieses „ungeheuerliche Kopfüber“ geschafft, das
aus Christus einen innerweltlichen Mega-Herrscher gemacht hat, einen „Pantokrator“ und der Kaiser maßte sich
an, dessen „Mit-Regent“ zu sein und
darum auch „Mit-Weiser“ und „Mit-Inhaber des Zorns Gottes“. Kästner
würdigt den Gedanken, dass eine Regentschaft „von Gottes Gnaden“ das Elend des Herrschens niederhalten sollte, „indem man Macht anband an eine Macht, die
nicht von dieser Welt war“. (S. 53) Er stellt jedoch den schnellen,
allzuschnellen Verfall dieser Vorstellung fest, der gar nicht anders als
schnell sein konnte, wenn man logisch denkt. Dieser erschreckende große
Gedanke, der in seinem Einbruch in die Einsicht etwas Plötzliches, Unerwartetes
und Blitzartiges hatte, konnte nicht verweilen. Wenn irdische Macht sich anbindet
an die irdische Ohmacht dessen, der in dieser Welt am Kreuz starb und dessen
Reich nicht von dieser Welt ist, dann kann es sie eigentlich gar nicht geben.
Das Missverständnis war vorprogrammiert: christliches Kaisertum konnte über
kurz oder lang nur einen antichristlichen Charakter bekommen.
Die Rede vom „vicarius Christi“, vom Stellvertreter Christi ist seelengefährlich.
Sie ist wie ein scharfes Messer, das im Nu von der ewigen Seligkeit trennen
kann. Es gibt ein „an Christi statt“
auch im Neuen Testament, begegnet dort aber ausschließlich geistig. Eine
Ummünzung in irdische Anmaßung von Personen, die sich für „weiser“ halten als
andere, ist dort nirgends zu finden.
Wir erinnern uns an Kästners
Diktion echter „Macht“: es ist nicht Anmaßung über andere, sondern
größtmögliche Entfaltung der Potenzen. Und die können per definitionem den
anderen nicht herabstufen, denn am Leibe Christi kann nicht einmal das Haupt
zuungunsten der Entfaltung der Arme und Beine, der Leber und Niere und was sich
immer findet, seine Potenzen entfalten. Das einzelne Glied kann sich nur dann vollkommen entfalten, wenn es die
anderen auch tun. Und es liegt eine Schwierigkeit in der auch katholischerseits
so gerne getätigten Rede davon, dass schließlich nicht alle das Haupt sein könnten
(wobei die, die das betonen, sich selbst meistens die Position beim Haupt
zumessen). Nun wissen wir aber nicht wirklich, wie der Herr seine
Stellvertretungen verteilt, denn er sagte ein ums andere Mal, dass die Ersten
die Letzten sein werden. Und auch das Magnificat nimmt diese Perspektive ein: „Er stößt die Mächtigen vom Thron und erhebt
die Niedrigen.“ Wenn also einer sich anmaßt, sich für den vicarius Christi zu
halten, quasi institutionell, obwohl die Heilige Schrift gerade ein solches Amt
niemals formell vergeben hat (!) und jede Überzeichnung des Kaiser- oder
Papsttums tatsächlich, weil es sich eben doch als von dieser Welt her ansieht, als
antichristlich angesehen werden muss, kann es sein, dass er nicht das ist,
wofür er sich hält und trüge er zehnmal eine Tiara oder eine Kaiserkrone, so
würde sie ihm zum zweischneidigen Schwert, das sich ihm am Ende entgegenstellt.
Kästner findet daher angesichts
seines Besuches der Hagia Sophia auch eine Antwort auf seine quälende Frage,
wer denn die Heilige Weisheit sei, die hier zugrunde läge:
„Wenn
man er fertigbrächte, den Kopfüber-Gedanken, die grandiose, hochfragwürdige
Umstülpung, die darin bestand, daß der Stellvertreter des leidenden Heilands,
der die Herrschaft über diese Welt eben gerade nicht wollte -: wenn es möglich
wäre, diesen Kopfüber-Gedanken ohne den Rost so vieler Jahrhunderte zu denken,
so als besäße er noch die Gewalt seines Eintritts: wie müßte er entsetzen.
Wenn
es also auch kaum noch gelingen kann, den Gedanken Mit-Regent, Mit-Richter, Mit-Weiser
Christi so zu denken, als ob er einträte, so gibt es doch, was der Geolog einen
Aufschluß nennt. Wenn nämlich durch eine Verletzung, also in einem Steinbruch
oder in einem Bahn-Durchstich auf einmal offenliegt, was vorher verwachsen war.
So
ein Aufschluß ist, wenn man das Macht-Wunder des Hagia Sophia-Doms zusammen mit
dem Großmord des Januartages bedenkt. Mit dem Verstand nicht zu fassen.
Immerhin stellt sich das wieder ehr: ein großes Entsetzen.“ (S. 54)
Es ist vielleicht ein solches „Entsetzen“,
das die Königin von Saba empfand, als ihr „der
Atem stockte“ (s.o.) angesichts der Weisheit, die aus Salomo damals noch
sprach. Aber was tat sie daraufhin?
Sie pries Gott, tauchte ein paar
Tage ein in diese Weisheit und dann – ging sie, wie sie gekommen war, ohne
weitere eifernde Macht, aber reich beschenkt und insofern in ihren Potenzen
entfaltet wie nie zuvor.
http://www.catholic-church.org/ao/O-17.html |
Dass aber Konstantinopel und seine
Hagia Sophia-Kirche in der Einsicht, dass diese Kirche auf einem blutigen
Massenmord auferbaut wurde, am Ende von der Religion vereinnahmt und
schließlich ganz „entmachtet“ wurde, von der Religion, die doktrinell ihre
Entfaltung auf der anmaßenden Unterwerfung anderer, und sei sie noch so blutig,
gründet und dies für gottgewollt hält, dass dies das Schicksal des oströmischen
Reiches mit seiner Machtkirche wurde, das erscheint, so betrachtet, ganz
folgerichtig. Die „Heilige Weisheit“, wenn wir damit Christus meinen, hat sich ihr Recht zurückgeholt und wird es sich eines Tages von der Wüsten-Fratze
pervertierten Christentums erst recht zurückholen.
Und wir?
Man muss erschauern und sich
fragen, was geschieht, wenn die Stunde des Menschensohns bei uns in Westrom
schlägt.
© by HMJ 2016