Montag, 26. März 2018

Die sakramentale Anderwelt der Eucharistie (IV) - "Blutwunder"?



IV. „Blutwunder“?

Die sogenannten „Hostienwunder“ behaupten stets, es handle sich um das tatsächlich auf Golgotha geopferte „blutende“ Fleisch Christi. Die Kirche hat solche Hostienwunder schon vor Jahrhunderten anerkannt und etwa im 15. Jh entgegen theologischen Zweifeln Wallfahrten zu solchen „Bluthostien“ gefördert, zugleich aber auch behauptet, es handle sich auf dem Altar um den verklärten Leib Christi, also ein „unblutiges Opfer“. In der mittelalterlichen Kirche wurde ein ausgiebiger Kult um „Christi Blut“ gefördert. Dem hing zB Katharina von Siena an, die lehrte, die Kirche verwalte als ihr größtes Gut das Blut Christi. „Das Feuer der Gottheit wurde eingerührt ins Blut“[1], schrieb sie. Man mag eine solche Lehre als poetische Ausschmückung der Inkarnation Jesu Christi stehenlassen können, aber sie befremdet insofern, als sie auch auf dichterische Weise die Verfremdung der Lehre Christi kenntlich macht. Aus der Tatsache der Opferung Christi ergibt sich nicht, dass Gott seinen Geist in das Blut gerührt, also mit ihm vermischt hätte. Dieser Schluss ist so unsinnig wie tautologisch, denn Gottes Geist ist nach der gesamten Aussage der Schrift im Blut jeglichen Fleisches (s.u.)! Die „Heiligblut“-Verehrung aber breitete sich zum Wohlgefallen der Kirche aus und konnte zuweilen bizarre Züge annehmen.
Vom 14. bis 16. Jh war der bedeutendste nördliche Pilgerweg der Kirche der von Berlin nach Wilsnack, in deren „Wunderblutkirche St. Nikolai“ Blutwunderhostien aufbewahrt wurden. Die Wallfahrtspraxis erlosch mit der Reformation, als der nun evangelische Pfarrherr die Bluthostien 1552 kurzerhand verbrannte.[2]  

Worauf fußt dieser merkwürdige „Blutkult“?
Aus dem Alten Testament geht kein „Sühnopfer“ hervor. Das Blut der Tiere, die geopfert wurden, spendete ihr Leben als Substitut für das verblassende Leben des Menschen. In Gen 2, 7 wird berichtet, dass dem Menschen als erdgeformter Gestalt der Odem Gottes durch die Nase eingeblasen wurde und er erst dadurch lebendig wurde. Dass wir — gemeinsam mit allem Fleisch — lebendig sind, ist daher immer und kategorisch Teilhabe an Gottes Geist oder Hauch. Der Sitz des Geisthauchs ist nach der Schrift das Blut.
An zahlreichen Stellen des AT wird dem Menschen ebenso kategorisch jeglicher Genuss von Blut untersagt, zum ersten Mal nach der Sintflut (Gen 9, 4). Dieses Gebot wurde aufgrund einer Eingebung des Hl. Geistes (!) auch für die Heidenchristen aufrechterhalten, ein Gebot über das sich die katholische Lehre meinte eigenmächtig hinwegsetzen zu können, das aber in den Ostkirchen und bei manchen Freikirchen weiterhin eingehalten wird. Es handelt sich dabei nicht um eine überholte altertümliche Gesetzgebung, sondern dieses Gebot hat — anders als die meisten anderen Speisegebote des AT — eine brisante Begründung, und der Bruch dieses Gebotes zieht die ewige Verdammnis nach sich: „Jeder Mann aus dem Haus Israel oder jeder Fremde in eurer Mitte, der irgendwie Blut genießt, gegen diese Person werde ich mein Angesicht wenden und ihn aus der Mitte seines Volkes ausmerzen.“ (Lev 17, 10) Es handelt sich also keineswegs um eine Kleinigkeit. Warum diese unerbittliche Aussage? Die Begründung in den Folgeversen ist so einfach wie sie bestürzend eindeutig ist, und ich zitiere sie aus Martin Bubers Übersetzung, weil die deutschen Übersetzungen alle irreführend sind und der Sühneopfertheologie Anselms von Canterbury mehr entgegenkommen als dem Text selbst:

„Denn die Seele des Fleisches, im Blut ist sie, ich gab es euch auf die Schlachtstatt, zu bedecken über euren Seelen, denn das Blut, durch die Seele bedeckt es. (…) Denn die Seele alles Fleisches, sein Blut ist mit seiner Seele, ich sprach zu den Söhnen Jißraels: Blut alles Fleisches, esset nicht, denn die Seele alles Fleisches, sein Blut ists, alljeder, der es ißt, wird gerodet.“[3]

Diese Übersetzung, die ganz dicht am hebräischen Text förmlich „tastet“ und fühlt, sagt uns, um was es beim alttestamentlichen Opfer geht:
Es geht darum, dass der Mensch sich Gott mit einem Geschenk (Opfer) naht. ER möchte das in ihm durch die Sünde verblassende, sich aus-hauchende Leben wieder beleben lassen und trägt Gott das Blut, den Lebensträger eines Tieres vor, indem er es schlachtet und vom Priester das Blut zum Altar bringen lässt. Der Ort der stellvertretenden Sündenhäufung ist der Altar selbst. Er wird durch das dargebrachte Blut geheiligt und gereinigt. Durch dieses Geschenk erwirkt sich der Darbringende Reinigung (hebr. „kfer“=„Bedeckung“ iS einer „Bestechung“) für eine gewisse Zeit. Das schwindende Leben in unserem stets „schwach“ (nicht an sich sündhaft oder böse!) genannten Fleisch, das Verblassen des Odems Gottes, der alleine uns lebendig macht und dessen Schwinden uns dem Tod zuführt, wird substituiert durch das Leben anderer Lebewesen. Blut ist dabei die Trägermasse des Lebens, und Blut schafft es auch, „durch die Seele“ hindurch zu „bedecken“. Auf einem solchen Zusammenhang lässt sich kaum eine stellvertretende „Sühneopfer“-Theologie aufbauen, denn nirgends wurde gesagt, das Tier „sterbe“ stellvertretend für den Menschen oder trage dessen „Strafe“. Es ersetzt ihm vielmehr sein schwindendes Leben durch sein Blut, weil im Blut das Leben ist. Dabei geht es nicht um ein irdisches Verlängern des Lebens, sondern um eine Heiligung mit Leben vor Gott. Doch diese Opfer hielten nicht lange vor. „Es handelt sich nur um Speisen und Getränke und allerlei Waschungen, äußerliche Vorschriften, die bis zu der Zeit einer besseren Ordnung auferlegt worden sind“ (Hebr 9, 10b) Paulus spricht von „Erlösung“ (einem Befreitwerden aus einer Pflicht oder juristischen Satzung), aber nicht von „stellvertretender Sühne“. Er schreibt vielmehr:

„11 Christus aber ist gekommen als Hohepriester der künftigen Güter durch das größere und vollkommenere Zelt, das nicht von Menschenhand gemacht, das heißt nicht von dieser Schöpfung ist.
12 Nicht mit dem Blut von Böcken und jungen Stieren, sondern mit seinem eigenen Blut ist er ein für alle Mal in das Heiligtum hineingegangen und so hat er eine ewige Erlösung bewirkt.
13 Denn wenn schon das Blut von Böcken und Stieren und die Asche einer jungen Kuh die Unreinen, die damit besprengt werden, so heiligt, dass sie leiblich rein werden (Anm HJ: eine unglückliche und irreführende Übersetzung in der EÜ — es heißt „emundatio carnis“ = Reinigung/Heiligung des Fleisches, wobei „Fleisch“ etwas anderes ist als der „Leib“)
14 um wie viel mehr wird das Blut Christi, der sich selbst als makelloses Opfer kraft des ewigen Geistes Gott dargebracht hat, unser Gewissen von toten Werken reinigen, damit wir dem lebendigen Gott dienen.

Es geht also nicht um stellvertretend vergossenes Blut als „Sühne“, als ob Gott blutrünstig wäre und mit Blut befriedigt werden müsste, sondern um den Gewinn neuen Lebens aus dem Blut eines anderen. Der Mensch war Gott aus reiner Liebe ein vollkommenes Opfer, eine vollkommene Gabe wert. Der Sohn, „durch den alle Dinge gemacht sind“ (Johannes-Prolog), schenkte sich dem Vater, um unser schwindendes Leben zu restaurieren. Nur er konnte „kraft des ewigen Geistes“, der in ihm — anders als in Tieren — ist, dieses vollkommene Opfer bringen. Um sich opfern zu können, wurde er Mensch. Durch das Mittel des Blutes mussten im Alten Bund „die Abbilder der himmlischen Dinge gereinigt werden; die himmlischen Dinge aber erfordern wirksamere Opfer“ (V 23). Christus sei als Priester ins himmlische Heiligtum eingegangen, um dort mit seinem Blut die „destitutio peccatorum“ für uns zu erwirken. Die EÜ übersetzt das mit „tilgen“. Die rev. Lutherbibel 2017 übersetzt richtiger mit „aufheben“. Eine „destitutio“ heißt wörtlich sogar „Täuschung“ oder „treuloses Verlassen“. Eine „destitutio“ ist im übertragenen Sinn das Rückgängigmachen einer „institutio“ („Einrichtung“). Die Sünde ist eine „institutio“, eine Institution, eine Einrichtung, seitdem der Mensch sich ihr im Garten Eden ergeben hat. Christus hat durch sein Selbstopfer für ihre „destitutio“, für ihre „Dekonstruktion“, wie man postmodern sagen würde, ihren „Abbau“ gesorgt. Er hat dem Satan die Rechte darauf entzogen, uns in Knechtschaft zu halten. Paulus zieht nicht den Schluss, dass wir „entsühnt“ wären. Er schreibt vielmehr, dass wir ein für allemal „geheiligt“ sind („sanctificati sumus“) und weitere Opfer nicht mehr notwendig sind und auch nicht sein können:

„5 Darum spricht er bei seinem Eintritt in die Welt: Schlacht- und Speiseopfer hast du nicht gefordert, doch einen Leib hast du mir bereitet;
6 an Brand- und Sündopfern hast du kein Gefallen.
7 Da sagte ich: Siehe, ich komme - so steht es über mich in der Schriftrolle - , um deinen Willen, Gott, zu tun.
8 Zunächst sagt er: Schlacht- und Speiseopfer, Brand- und Sündopfer forderst du nicht, du hast daran kein Gefallen, obgleich sie doch nach dem Gesetz dargebracht werden;
9 dann aber hat er gesagt: Siehe, ich komme, um deinen Willen zu tun. Er hebt das Erste auf, um das Zweite in Kraft zu setzen.
10 Aufgrund dieses Willens sind wir durch die Hingabe des Leibes Jesu Christi geheiligt - ein für alle Mal.“ (Hebr 10)

Auch die Eingangsworte des Hebräerbriefes sprechen von keinem „stellvertretenden Sühneopfer“:

„9b Es war nämlich Gottes gnädiger Wille, dass er für alle den Tod erlitt.
10 Denn es war angemessen, dass Gott, für den und durch den das All ist und der viele Söhne zur Herrlichkeit führen wollte, den Urheber ihres Heils durch Leiden vollendete.
11 Denn er, der heiligt, und sie, die geheiligt werden, stammen alle aus Einem; darum schämt er sich nicht, sie Brüder zu nennen.“ (Hebr 2, 9b ff)

Es geht um „sanctificatio“, um „Heiligung“. Christus starb, um uns mit seinem Blut das Leben zurückzuschenken, das in uns aufgrund der Macht der Sünde verblasst und schwindet.
Dieser Zusammenhang ergibt sich auch aus Gen 6, 3, den ich in der unnachahmlichen Sprache Martin Bubers zitieren will:

„Nicht niedre mein Geistbraus sich im Menschen für eine Weltzeit, dieweil er auch Fleisch ist, seien denn seine Tage: hundertundzwanzig Jahre.[4]

Die unmittelbare Verknüpfung von „ruach“ (Gottes Geist) mit dem Leben in allem Fleisch und eine Rücknahme dieses Geistes aufgrund der Sünde, die die Erde total verdorben hatte, begrenzt nach einer Menschheit, deren Glieder hunderte von Jahren alt werden konnten trotz der Sünde, das Leben auf maximal 120 Jahre. Diese Grenze gilt bis heute. Wenn wenige sehr alt werden, kommen sie über diese Grenze niemals mehr hinaus. Das schwindende Leben führt uns dem Tod unweigerlich zu. Christus gab sein Blut für unser Leben. Er trug es, wie wir hörten, ins himmlische Heiligtum vor den Vater. Dort tritt er für uns ein als Mittler zum Vater hin und hält ihm sein Blut, das er auf Erden für uns vergoss, vor Augen. Deswegen sind wir ein für allemal in dem Moment aus dem Rechtsanspruch des Satans auf uns errettet, in dem wir das Geschenk annehmen. Nicht ein „Sühneakt“, der einen blutrünstigen Gott markieren würde, sondern eine schenkende, sich opfernde Liebe gab uns durch Leiden unser verlorenes Leben zurück, das doch nur immer schon Gottes Leben in uns war und von uns selbst verspielt worden war. Es gibt in dieser Verstehensweise keinerlei Grund, dieses vergossene Blut corporaliter auf Erden festzuhalten. Das Opfer ist vollendet und vollbracht.

Der Heiligblutkult aber leibt und lebt wie eh und je. Selbst der aktuelle Papst Franziskus hat in seiner Zeit als Erzbischof von Buenos Aires zwischen den Jahren 1992 und 1996 ein multiples Blut- und Hostienwunder wissenschaftlich untersuchen lassen.

„Dabei wurde festgestellt, daß es sich mit Sicherheit um den Teil eines Menschenherzens handelt. Wie das pathologische Institut weiter feststellte, mußte es sich um das Herz eines noch lebenden Mannes handeln. Es handelt sich um lebende Zellen.“[5]

Die eigentümliche Unklarheit, ob es sich bei der Hostie um verborgenes, aber totes Opferfleisch handle oder um gerade noch lebendes, sterbendes Fleisch eines Geopferten oder aber um unblutiges „Geistfleisch“ des verklärten Herrn im Himmel, manifestiert sich in diesen Tatsachen, stellt aber ihre Absurdität und Vernunftwidrigkeit vor Augen. Ein ähnliches Blutwunder wird 2016 aus dem polnischen Liegnitz berichtet. Die wissenschaftliche Untersuchung ergab auch hier, dass es sich um ein Stück menschliches Fleisch, bzw Herzmuskelgewebe handle. Woher dasselbe stammt, ist damit allerdings nicht geklärt worden. Dass der Vatikan für all dies sehr offen ist, belegen diese Worte:

„In Übereinstimmung mit den Empfehlungen des Heiligen Stuhles bat der kirchliche Würdenträger im April den Pfarrer der Pfarrei Sw. Jacka,  Andrzej Ziombrze, "einen angemessenen Ort für die Reliquie vorzubereiten, so dass sie von den Gläubigen verehrt werden könne."“[6]

Im Kult um das „Blut Christi“ spiegelt sich der Versuch, die Wiederholung der alttestamentlichen Tieropfer ins Christliche zu übertragen, indem das Opfer nicht nur einmalig, sondern auch endlos und in dieser Endlosigkeit auch zahllos häufig wiederholbar gedacht wird, wenn auch „nur sakramental“. Dies aber widerspricht dem Hebräerbrief in einer himmelschreienden Art und Weise, denn dort wird jegliche Wiederholung des einmaligen und abgeschlossenen Opfers verworfen (Hebr 9). Jesus ist ein einziges Mal gestorben, in einem bestimmten Augenblick der Zeit, so wie jeder Mensch es tut. Niemand stirbt mehrere Male, und niemand kann mehrfach geopfert werden — auch nicht in einer Mysterien-Parallelwelt. Sein Opfer liegt hinter uns und ist Vergangenheit, allerdings eine folgenschwere Vergangenheit, nach der nichts mehr so ist , wie es vorher war und auch nicht mehr sein kann.


[1] Alle Sakramente seien hergeleitet und nur wirksam im Blut Christi und Kanäle der Kirche, durch die das Leben zu den einzelnen Gläubigen fließe. Vgl. „Katharina von Siena, Kirchenlehrerin“ auf http://kath-zdw.ch/maria/katherina.von.siena.html, (abgerufen am 20.2.2018)
[2] Wiki-Lexikoneintrag zu Bad Wilsnack https://de.wikipedia.org/wiki/Wunderblutkirche_(Bad_Wilsnack), (abgerufen am 17.2.2018)
[3] Die fünf Bücher der Weisung. Verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig. Darmstadt 1984, S. 320 (Er rief 17, 11+12; 14)
[4] A.a.O., Im Anfang 6, 3. S. 22

[5] Giuseppe Nardi: Eucharistisches Wunder von Buenos Aires – Erzbischof Bergoglio und die wissenschaftlichen Analysen, 5. Juli 2013

https://www.katholisches.info/2013/07/eucharistisches-wunder-von-buenos-aires-erzbischof-bergoglio-und-die-wissenschaftlichen-analysen/

[6] CNA Deutsch/EWTN News: Neues Eucharistisches Wunder in Polen, 19.4.2016, auf https://de.catholicnewsagency.com/story/neues-eucharistisches-wunder-in-polen-0701 (abgerufen am 17.2.2018)