Trinitätslehre auf dem Prüfstand: Brief XII an Unitarier und
Trinitarier — Was ist der Mensch?
Wer war Jesus? Er nannte sich
selbst durchweg „Menschensohn“. Der ben
Adam, das Menschenkind, ist im AT immer ein Nachfahre oder eine Nachfahrin
Adams und Evas und ganz und gar Mensch. „Menschenkind“ ist kein „Titel“,
sondern eine tiefe, sehr tiefe und göttliche Gattungsbezeichnung. Ich möchte
dem nachspüren, um der Fragestellung nach bzw der Leugnung der Gottheit Jesu
vielleicht etwas näherzukommen, die sowohl Trinitarier als auch Unitarier umtreibt
und auf die sie eine eindeutige Antwort suchen:
„Was ist der enosch (der Sterbliche), dass du dich an ihn erinnerst, und der ben adam (das Menschenkind), dass du
dich um ihn sorgst?“
So heißt es in Psalm 8,5. Später,
in den Prophetenbüchern, wird der Prophet Ezechiel speziell als ben adam angesprochen (beginnend ab Ez
2,1 und insgesamt 87mal). Da er hineingenommen wird in die Verkündigung und das
Erdulden der heilsgeschichtlichen Erwartung und das Endgericht, haben manche
Theologen geglaubt, „Menschenkind“ wandle sich hier zum messianischen Titel.
Die Idee, ben adam sei ein messianischer Titel, wird von denselben Theologen
auch darin als bewiesen angesehen, dass der Prophet Daniel einen bar enasch (aram. Menschensohn) sieht,
der hoch zum Thron Gottes geführt wird (Übersetzung nach Buber/Rosenzweig):
„Da, mit den Wolken des Himmels kam
einer wie ein Menschensohn (bar enasch),
er gelangte bis zum Hochbetagten (atik
jomia = „herrlich an Tagen“) und wurde vor ihn gebracht. Ihm ward Gewalt (aram. Schaltan/hebr. schilton — verwandt
mit dem Wort „Sultan“, eigentlich bedeutet es „Ordnung“ oder „Regierung“) und
Ehre (jekar = Glanz, Ehre) gegeben
und Königschaft (aram. Malchu, hebr.
malchut — Königtum), alle Völker, Stämme und Zungen dienten ihm: seine
Gewalt ist in Weltzeit (hebr. olam), Gewalt,
die nie vergeht, und seine Königschaft nie zu zerstören.“ (Dan 7, 13ff)
Der bar enasch (Sohn des Sterblichen) entspricht also dem ben adam (Sohn Adams), aber beides sind
die gängigen Bezeichungen für den Menschen im allgemeinen. Es ist nicht
ersichtlich, dass es sich um einen gesonderten Titel handele, der nun nur noch
einem einzigen Mann zukommt.
Zuvor hatte in der Vision Daniels ein
Gericht stattgefunden, in dem sich „das Tier“
und verschiedene weitere „Tiere“ („chaiot“
= Lebewesen) sich in ihrer Gewalt und Macht zugrundegerichtet hatten.
Es gibt also eine „Gewalt“, die ein
Ende hat und eine andere Art, die kein Ende haben wird.
Aber auch Ezechiel schaut einen,
der wie ein Menschenkind aussieht. Doch diesmal meint er den Allerhöchsten
selbst (Übersetzung nach Buber/Rosenzweig, Jecheskel 1,1):
„Ich sah Gottgesichte (hebr. mar’ot elohim = Spiegel/Visionen
Gottes)…“
Ezechiel sieht ein gleißendes
Feuer, aus dessen Mitte vier Gestalten sichtbar werden. Sie alle haben Menschengestalt
(hebr. dmut adam). Es bleibt unklar,
ob sie zu viert als eine dmut adam erscheinen oder jeder der vier
einer dmut adam gleicht. Es heißt
aber zugleich von ihnen, sie hätten das Ansehen von chaiot, also Tieren oder allgemein Lebewesen. Das ist ausgesprochen
eigentümlich. Buber/Rosenzweig übersetzen dies folgendermaßen:
„Aus jenes (des Feuers) Mitte vier
Lebendiger Gestalt. Und dies ihr Ansehn: Menschgestalt (hebr. dmut adam) an ihnen…“ (V 5)
Die genauere Beschreibung dieser
Lebewesen mit Flügeln, Menschenhänden, Kalbsfüßen, aneinandergeheftet gehen sie
je in die Richtung, in die ihre Gesichter zeigen — ein paradoxes Bild
unendlicher Ausdehnung. Und das Gesicht?
„Die Gestalt ihrer Antlitze aber:
ein Menschenantlitz, zur Rechten ein Löwenantlitz, den Vier, von links her ein
Stierantlitz, den Vier, und ein Adlerantlitz, den Vier. Ihre Antlitze das, ihre
Flügel aber drüberhin ausgespannt.“ (V 10)
Es handelt sich in jedem Fall um
eine eigentümliche Mischung aus Menschen- und Tiergestaltelementen. Die vier
Gestalten, die doch eine einzige sind, werden begleitet von Feuerrädern, die
voller Augen sind (V 18). Dieses Wesen fließt ineinander und strebt
auseinander, wohin der Geistbraus (hebr.
ruach) es führt. Man denkt unwillkürlich an verschwimmende Formen, die sich
auf einer bewegten Wasserfläche spiegeln.
Über diesem hyperdimensionalen
Lebewesen ist ein „Gewölb, wie der Anblick des furchtbaren Eises“ (V 22). Das
„Gewölb“ (hebr. rakia) ist ein Begriff
aus der Schöpfungserzählung. Dort baut Gott ein „Firmament“, eine rakia, die Wasser von Wasser trennt (Gen
1,6). Das, was dieses Gewölbe umfasst, bearbeitet Gott so, dass Land und Meer
sich in Areale trennen: es gibt eine Landfläche und ein großes Meer unter
diesem Gewölbe (V 9), das fortan auch „Himmel“ genannt wurde (hebr. schamajim).
Ezechiel schaut nun über den vier
Lebewesen, die doch eines sind, diese rakia,
sie besteht aus oder erinnert an Eis, gefrorenes Wasser. In der Logik der
Schöpfungserzählung kann sie nur aus Wasser sein, denn sie sollte Wassermassen
der Urflut trennen, bevor irgendetwas anderes Materielles beschrieben wird.
Damit sie „firm“ wurde, fest, ist an gefrorenes Wasser zu denken.
Die rakia trennt in Ezechiels Schauung die vier Lebewesen von dem, der darüber
ist. Die vier verursachen Geräusche wie „den Hall großer Wasser“ (hebr. kol majim rabbim) und eines
Heerlagers (V 24). Dieser „sound“ wird gleichgesetzt mit der Stimme Gottes (hebr. kol schadai).
Oberhalb der rakia, des Gewölbes aus Eis, befindet sich der eigentliche Thron
Gottes:
„Oberhalb des Gewölbs aber, das
über ihren Häuptern war, anzusehn wie Saphirstein Gestalt eines Stuhls (hebr. dmut kisseh), und auf der Gestalt
des Stuhls eine Gestalt anzusehn wie ein Mensch (hebr. dmut ki mareh adam = eine Gestalt wie der Spiegel/die Vision des
Menschen), oben drauf … Das war das Ansehn SEINER Erscheinung (hebr. dmut
kvod JHWH = die Gestalt der Fülle JHWHs). Ich sah, ich fiel auf mein Antlitz.“
(Ez 1,26f)
Der Prophet schaut hier den
Allerhöchsten dmut ki mareh adam, in
einer Spiegelgestalt des Menschen. Anfangs hatte er gesagt, er habe mar’ot elohim gesehen, Spiegelvisionen
Gottes. Aber von einem Titel ist keine Rede. Der Geschaute hat einen
Eigennamen, und er teilt seine Gestalt mit anderen Lebewesen, insbesondere mit
dem adam, dem Menschen.
Eine engste, geheimnisvolle
Gestalt-Nähe von Gott und Mensch kommt hier zum Ausdruck, aber sie ist nicht
auf einen einzigen Menschen oder Erlöser bezogen, sondern allgemein auf den
Menschen.
Dem entspricht auch die Fortführung
des Psalm 8 in Vers 6:
„Ließest ihm ein Geringes nur
mangeln, göttlich zu sein, kröntest ihn mit Ehre und Glanz, hießest ihn walten
der Werke deiner Hände. Alles setztes du ihm zu Füßen…“
(Übersetzung Buber/Rosenzweig Psalm
8,5ff)
Man kann es auch so übersetzen: „Du
hast ihn wenig geringer als Gott (hebr.
elohim) gemacht…“. Angesichts der Ungeheuerlichkeit dieser Aussage
übersetzten die Septuaginta Hieronymus vorsichtshalber „elohim“ mit „Engel“: „Minuisti
eum paulo minus ab angelis…“.
Das Wort „elohim“ meint allerdings,
vor allem, wenn es ohne Artikel gebraucht wird, stets den wahren Gott. In der
Esoterik wird „elohim“ auch im Sinne
höherer Lichtwesen verstanden. Es gibt dafür allerdings keinen
alttestamentlichen Anhalt. Das AT kennt auch einen Gebrauch für die heidnischen
Götter. Selten wird der Begriff auch einmal für einen von Gott Autorisierten
benutzt, meint aber fast durchweg Gott selbst. Wenn er einem Engel oder
Menschen zugeordnet wird, dann nur deswegen, weil sich in ihm Gott zeigt. Eine
Verwechslung Gottes mit dem, den er autorisiert, geschieht dennoch nicht. Für
„Engel“ findet man dagegen an mehreren Stelle im AT die Bezeichnung b’nei elohim (Gottes- bzw Göttersöhne)
(Gen 6, 1-4; Job 1-2).
Die Aussage, dass der Mensch nur
wenig geringer als Gott sei, korrespondiert der mehrfachen Aussage in der
Genesis, dass der Mensch als Mann und Frau „Ebenbild Gottes“ sei.
Gott sagt gleich zu Beginn zu einem
„Wir“, sie sollten nun den Menschen ki
dmutenu, „wie in unserer Gestalt“
machen (Gen 1,26). So habe elohim den
Menschen b’zelem elohim, „im Bilde Gottes“ geschaffen (Gen 1,27).
Zelem ist ein „Abbild“, ein „Ebenbild“.
Dmut ist „Gestalt“. Der Mensch ist nach Gen 1 also nach der „Gestalt“ Gottes geschaffen und sein „Abbild“.
Dies wird nach der Vertreibung aus
dem Paradies bestätigt. Elohim habe
den Menschen als Mann und Frau bidmut
elohim, „in der Gestalt Gottes“
geschaffen (Gen 5,2).
Es ist dem Autor der Erzählung
wichtig, nach allen heilsgeschichtlichen Zäsuren „abwärts“ zu betonen, dass der
Mensch dennoch Ebenbild Gottes bleibt.
So wiederholt sich in Gen 9, nach
der Sintflut, noch einmal im Bund mit der Schöpfung dieselbe Aussage: Niemand,
weder Tier noch Mensch, darf Menschen töten, weil Gott sie b’zelem elohim gemacht habe, „im
Bilde Gottes“ (Gen 9,6).
Beide Begriffe, sowohl dmut als auch zelem bedeuten durchweg, dass etwas „aussieht wie“ oder „ein
Spiegel-Bild/eine Vision von“ ist. Der Begriff „mar’eh“ (s.o.) drückt etwas Ähnliches aus.
Die Lesart der Septuaginta und
Vulgata, Gott habe den Menschen nur wenig geringer als die Engel gemacht,
korrespondiert möglicherweise der Vorstellung, dass das „Wir“, das in Gen 1,26
Menschen schafft, eine Einheit von Gott und Engeln meinen könnte. Diese Lesart
würde voraussetzen, dass Gott Engel an der Erschaffung des Menschen beteiligt
hätte und der Mensch — wie die Engel auch — Gottes Abbild sei, wobei die Engel
hier Gott und seinem Abbild dienen und nicht der Mensch den Engeln dienen soll.
Dieses Verständnis findet sich
weitergesponnen in verschiedenen gnostischen Lehren, die meinen, dass der
Mensch von archontes geschaffen
worden sei, die aber vom wahren Gott abgefallen seien (zB in der Nag
Hammadi-Schrift „Über das Wesen der
Archonten“). Oder aber der Mensch sei von einem „Demiurgen“ geschaffen
worden, der ein böser Gott sei und den Verlust der Göttlichkeit beim Menschen
verantworte.
Es ist an dieser Stelle Vorsicht
geboten: solche Ideen finden sich im AT nicht. Sie sind erst später
hinzugekommen. Über die Frage der Herkunft der Gnosis besteht unter den
Theologen und Philosophen Uneinigkeit. Manche glauben, dass sie erst mit dem
Christentum entstanden sei, manche nehmen heidnische Vorläuferphilosophien an.
Manche Hinweise im NT lassen jedoch hellenistische und gnostische Ideen
anklingen, die sich so ebenfalls im ganzen AT, außer vielleicht den
hellenistischen Spätschriften, nirgends finden. Etwa weist die Stelle in 1 Kor
11,7 auf hellenistische, neuplatonische
Philosophien, die die Frau als Abglanz oder Abbild des Mannes deklarieren, dies
aber in einem emanativen „Abglanzmodell“ von Gottvater über den Christus und
den Mann bis hinunter zur an der Schlussstelle rangierenden Frau tun. Während
der Mann eikon (Bild) und doxa theou (die überweltliche
Herrlichkeit Gottes) darstelle, stelle die Frau nur die doxa andros dar (die Herrlichkeit des Mannes). Dieser Satz steht im
Widerspruch zu Gen 1 und 2 und hat dazu geführt, dass man in der Kirche
behauptet hat, die Frau sei kein direktes Abbild Gottes, sondern bilde den Mann
ab (Decretum Gratiani, Hugo von Pisa, Thomas von Aquin u.a.). Er kann nur vor
dem Hintergrund neuplatonischer Emanationslehren verstanden werden und ergäbe
sonst überhaupt keinen Sinn. Es spricht vieles dafür, dass solche Stellen
entweder nicht die Meinung des Paulus widerspiegeln, sondern nur von ihm
referiert werden, oder aber später den Briefen zugefügt wurden. Das
gewichtigste Gegenargument ist aber die Verheißung an die Frau, dass aus ihrem
Samen der kommen würde, der den Samen der Schlange überwinden und zertreten
würde (Gen 3,6). Der Mann ist hier ausgeschlossen. Wenn aber der ben adam, der den Kopf der Schlangenbrut
zertreten wird, ausschließlich Nachkomme der Frau und nicht des Mannes ist, das
NT uns an vielen Stellen darüber belehrt, dass er ein sündloser Mensch und
vollkommenes Abbild Gottes sei, dann ergibt eine Sicht auf die Frau, die selbst
kein Abbild Gottes ist, keinerlei Sinn: wie sollte dann ausgerechnet aus der
Frau dieser vollkommene Mensch kommen, nicht aber aus dem Mann? Das
hellenistische Judentum pflegte diese Stelle metaphorisch zu verstehen: die
Frau ist Israel oder es sind die Kinder Gottes. Das NT stellt uns aber dann
tatsächlich eine Jungfrau vor Augen, Maria, die ohne Zutun des Mannes in der
Kraft Gottes den vollkommenen ben adam
hervorbringt. Wenn sie nur abbilden kann, was sie vom Mann hat, wäre dieser
Vorgang unmöglich gewesen. In 1 Ko 11 wird mithilfe dieser Stelle eine
Hierarchie begründet, die unbeholfen und angesichts der Schöpfungserzählung
widerspenstig wirkt, die an anderen Stellen auch im NT aufgegriffen wird, hier
allerdings anhand der Tatsache, dass nach Gottes Ordnungen der Mann Vater und
Mutter verlässt, um seiner Frau zu folgen und nicht etwa umgekehrt. Erst der
Fall des Menschen kehrt dieses Modell um und hat zur Folge, dass der Mann sich
hierarchisch über die Frau stellt. Ebenso geben die Worte Jesu nicht her, dass
er sich über die Menschen stellt. Er spricht nach seiner Auferstehung von
seinen „Brüdern“.
Ähnlich abwegig wirkt die
Argumentation in Röm 13, die jede
weltliche Macht als diakonos theou, als
„Diener Gottes“ verabsolutiert, der man nicht nur äußerlich, sondern im Gewissen
unterwürfig zu Gefallen handeln solle, weil sie stets das Gute belohne und das
Böse bestrafe.
Das alles steht in krassestem
Widerspruch zum AT, und bereits die Kirchenväter hatten große Mühe, damit
umzugehen, entschieden sich aber sehr gern für die angeblich paulinische
Version… das war im aufsteigenden Staatskirchentum politisch jedenfalls
korrekter…
Wir sehen jedenfalls, dass das NT
nicht frei von hellenistischer Ideologie ist und die Frage, wer alles an der
Erschaffung des Menschen beteiligt war, nicht klar ist. Eines ist jedoch klar:
Mann und Frau sind gleichermaßen Abbild Gottes — so wird es in der Genesis mehr
als einmal ausdrücklich gesagt. Was immer im NT dazu steht, muss sich damit
konfrontieren.
Wir wissen allerdings aus Gen 1,
dass Gott sowohl den Erdboden als auch das Meer beteiligte an der Erschaffung
der Tiere und Pflanzen (Gen 1,24ff). Auch wenn es immer wieder heißt, er allein habe alles geschaffen, ließ er
sich doch dabei helfen oder gab einen Schaffensauftrag weiter. Nicht zuletzt
erhielt der Mensch als Mann und Frau den Auftrag, weitere Menschen
hervorzubringen bis zum heutigen Tag. Aber weder die Mutter Erde noch das Meer
noch der Mensch sind deswegen „der“ Schöpfer oder gar Gott.
Es ist also keineswegs abwegig,
auch Engel beteiligt zu sehen, wo doch auch sonst bei allen wichtigen
heilsgeschichtlichen Stationen Engel schaffend oder verkündigend mitwirken (als
„Engel des Herrn“, zB am brennenden Dorbusch, beim Auszug aus Ägypten, auf dem
Sinai, als „Gabriel“ bei der Entstehung Jesu im Mutterleib etc.).
Wenn man annimmt, dass ihr Auftrag
war und ist, sowohl Gott als auch seinem Abbild als mächtiger Beistand zu
dienen (aber nicht in einem knechtischen Sinn!), ist es vorstellbar, dass ein
Teil der Engel dies nicht wollte und die Misere der menschlichen Schwächung mit
einer Auseinandersetzung zwischen Gott, Engeln und den beiden Urmenschen
zusammenhängt.
Aus der Stelle in Gen 1,26 zu
schließen, dass mehrere wesensgleiche Gottpersonen den Menschen erschaffen
haben, ist jedenfalls unplausibel und im Schrifttext wirklich überhaupt nicht zu finden. Es ist ohne
jeden Beweis aus dem Text oder anderen Schriften, die dies aussagen würden,
hineininterpretiert. Dass Jesus kein Engel war, sagt uns dagegen der
Hebräerbrief — er war und blieb ben adam
und Engel dienten ihm, ebenso wie Dämonen sich vor ihm fürchteten und den
Dienst verweigerten.
Wenn der Mensch „Abbild Gottes“
ist, dann kommt dem Menschen ursprünglich ein göttlicher Status zu. Es ist von
daher nicht abwegig, wenn er in einem schwächeren Sinne auch als „Gott“ oder
„göttlich“ aufgefasst wird. Dafür spricht auch die Bemerkung in Psalm 8.
Wenn mancher dieses „Wir“ aus Gen
1,26 mit dem
Johannesprolog in Verbindung bringt
und davon ausgeht, dass der dort in V 1 genannte logos Jesus Christus sein müsse, dann hat derjenige auch dafür
keine guten Argumente, die sich aus dem Text selbst ergäben. Dass im Anfang der
logos war und durch ihn alles
erschaffen wurde, dann liegt es erst einmal nahe, dies so zu verstehen, wie es
dasteht: dass nämlich der ganze Sinnzusammenhang und Plan dessen, was ist, bei
Gott ist und immer schon war vor aller Zeit. Mit gar keinem Wort ist dort
ausgesagt, dass dieser logos ein
zweiter Gott oder ein Mensch, aber auch nicht ein Engel sei. Das hat man später
hineingelesen, obwohl der Textbefund dafür nicht ein einziges Wort hergibt.
Metaphern in der Weisheitsliteratur, die „Frau Sophia“ als Frau, die immer
schon vor Gott spielte, vorstellen, sind als Metaphern aufzufassen oder aber als
Phänomene, die dennoch nicht ohne triftigen Grund mit dem Christus
identifiziert werden können.
Auch der Johannesprolog hat
hellenistische Anklänge, aber nirgends wird behauptet, Jesus Christus habe die
Welt oder den Menschen geschaffen.
Die Beschreibung des Menschen als
„nur wenig geringer als Gott“ in Psalm 8, dem Gott „alles unter seine Füße getan hat“, dort als allgemeine
Beschreibung des Menschen, betrifft offenkundig alle b’nei adam. Es erinnert an das, was im NT aufgrund anderer
Psalmaussagen dem ben adam Jesus
speziell zugesprochen wird: Gott habe ihm alle Gewalt im Himmel und auf Erden
gegeben. Jesus sagt dies selbst von sich (Mt 28,18). Und alles, schreibt
Paulus, habe Gott „ihm unter die Füße
getan“ (1. Kor 15,20ff). Dem Christus Jesus werden hier all die Attribute
zugesprochen, die im allgemeinen dem Menschen zukommen sollten. Als Erster ben adam der Entschlafenen, der
auferweckt wurde, kommt ihm auch zuerst wieder das zu, was allen b’nei adam zugedacht war. Er stellt also
den Menschen als vollkommenes Abbild Gottes als Erster wieder dar und ist
insofern in jedem Fall auch ein Gott bzw göttlich.
Aber Wesensgleichheit mit dem Vater
kann man spekulativ nicht einfach annehmen. Das hieße, sich zu weit aus dem
Fenster zu lehnen und suggeriert die irritierende heidnische Vorstellung eines
Mischwesens, das durch Gott mit einem Menschen gezeugt wurde. Wie ich bereits
in einem anderen Brief darlegte, ist hinsichtlich Jesu erst mit seiner Auferweckung
von einer Zeugung die Rede. Die Entstehung Jesu aus Maria wird nicht mit einer
regelrechten „Zeugung“ verknüpft. Maria erhält enorme Kraft Gottes, wird aber
zugleich von diesem Geist Gottes „umschattet“. Es entsteht in keiner Weise der
Eindruck, dass Gott hier physisch „zeugt“, sondern dass er (er)schafft. Es
bleibt ein Geheimnis, was sich hier abgespielt hat, weil kein Mensch sich
vorstellen kann, was Gott als Schöpfer tat. Wir wissen auch als Mütter und
Väter, obwohl wir unsere Kinder gezeugt haben, nicht, was Gottes Werk an uns
genau getan hat. Wie viel mehr bei Maria!
Die Beziehung zwischen Gott und
seinem Abbild im Menschen bleibt aber auch in einem undurchdringlichen
Geheimnis, sagt uns aber der zukünftigen Richtung nach, wer wir sind oder
wieder sein dürfen durch Jesus Christus.
Es träfe, wenn man die Sache so
ansieht, zu, dass Jesus Gott oder göttlich ist, ganz einfach deswegen, weil er
ganz und gar ben adam ist, der dmut elohim, in der „Gestalt Gottes“ oder b’zelem
elohim, „im Bilde Gottes“ ist und als solcher der erste derer, die Gott aus
dem Tod auferweckt und umgestaltet hat zu seinem vollkommenen Abbild.
Mancher wird einwenden wollen, dass
aber doch Jesus Christus auch stets als „Sohn Gottes“ bezeichnet wird.
Dazu kann man folgendes antworten:
Er selbst nennt sich so nicht. Der
Engel Gabriel kündigt ihn Maria, seiner Mutter, an als einen, der „Sohn des Allerhöchsten genannt werden“
wird (Lk 1,32). Bei der Taufe im Jordan schwebt der Geist Gottes wie eine Taube
herab und bekennt sich zu diesem Mann Jesus als seinem „lieben Sohn“. Dasselbe
Bekenntnis geschieht auf dem Tabor (Mt 3,17; Mt 17,5). Ein römischer Wachmann
erkennt den Gekreuzigten und Scheidenden als „wahrlich Gottes Sohn“ (Mk 15,38).
Es finden sich noch zahlreiche
andere Zeugnisse dafür, dass sowohl Gott als auch Menschen in Jesus den „Sohn
Gottes“ bezeugten.
Nur stellt sich eine Frage: was
verstanden sie darunter? Was meinte denn etwa der heidnische römische Soldat,
der wohl kaum ein gelehrter Hellenist oder Pharisäer war, sondern ein
einfacher, heidnischer Römer?
Kann man dies nicht ganz schlicht
verstehen: „Sohn Gottes“ ist einer, in dem die tiefe, tiefe
Gestaltabbbildlichkeit zwischen Gott und Mensch sichtbar und erkennbar wird?
Jesus selbst beschrieb als „Kinder Gottes“ solche, die Frieden
stiften (Bergpredigt, Mt 5,9). Johannes schrieb, „Kinder Gottes“ seien wir jetzt schon, auch wenn es noch nicht
offenbar ist. Der „Same Gottes“, den
er geistig versteht, wirke in uns und mache uns zu seinen Kindern. Er schreibt
die ungeheuerlichen Worte:
„Geliebte, jetzt sind wir Kinder
Gottes, und es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden; wir
wissen, dass wir, wenn es offenbar werden wird, ihm gleich sein werden,
denn wir werden ihn sehen, wie er ist.“ (1. Joh 3,2)
Wir werden ihm — also Gott! —
gleich sein und ihn sehen „wie er ist“!?
Das ist atemberaubend! Aber es stellt diese enorme Nähe zwischen Gott und
Mensch vor die geistigen Augen. Und: Zu keinem Engel hat Gott je dergleichen
gesagt.
Und dies obwohl auch sie im AT
gelegentlich als b’nei elohim
bezeichnet werden (s.o.).
Paulus spricht davon, dass wir
einen „Geist der Kindschaft“
empfangen hätten, der uns Gott als „Papa“
(aram./hebr. abba) ansprechen lässt
(Röm 8,14f). Der Geist Gottes selbst bezeuge uns, dass wir seine Kinder sind.
Manche fassen diese Worte in einem
infantilen Sinn auf: da oben ist der Herrschervater und wir sind die unmündigen
Kinder, die Kleinen, ewig am Rockzipfel Hängenden. Das widerspricht aber der
Beschreibung im Römerbrief ebenso wie anderswo im NT.
Genauso wie irdische Eltern sehen
wollen, wie ihre Kinder groß werden und ihnen gleich werden, vielleicht ihre
Geschäfte weiterführen in Kraft und Stärke, genauso will Gott das vom Menschen.
Es ist die „Freiheit der Kinder Gottes“,
von der Paulus spricht.
Ich gebe zu, dass ich mit den
Gedanken kaum wage, das alles wirklich zu denken, weil ich mich ja nicht
vermessen will. Aber das ist es, was da steht: die Menschen sind zur
Göttlichkeit berufen. Angesichts dieser Berufung zu sagen, Jesus sei „nur“ ein
Mensch, ist nicht richtig. Jesus ist der Mensch schlechthin und damit göttlich,
so wie Gott es dem ben adam zugedacht
hat und nach und nach für viele von uns wie eine Ernte einfahren wird.
Noch eines sei zu den vier
merkwürdigen Tier-Mensch-Wesen gesagt, von denen bei Ezechiel die Rede war. Wir
erinnern uns: sie wurden als Wesen dargestellt, die wie Tiere aussahen, aber
auch in Gestalt eines Menschen erscheinen. Es ist der ruach, der sie treibt, so wie jeder Mensch, der aus dem Geist
gezeugt/geboren ist, wie Jesus es dem Nikodemus erklärt (Joh 3,1ff).
Es sind vier geheimnisvolle
Lebewesen. Man denkt an Engel oder an Götter, die aber vollständig im Einklang
mit dem Allerhöchsten stehen, sonst würden sie nicht vom Geist getrieben. Bei
der Vierzahl unter der rakia, der
Himmelsfeste aus Eis, denkt man spontan an die vier Himmelsrichtungen. Aber die
Mischgestalt zwischen Tier und Mensch erinnert auch spontan an heidnische
Götterbilder: Sphingen, ägyptische Göttergestalten mit Tierköpfen etc. Man kann
nun natürlich auf dem Standpunkt stehen, dies seien alles Trugbilder der
Heiden. Vielleicht sind es aber keine Trugbilder, sondern eher Verzerrungen von
Wirklichem? Die „Myriaden von Myriaden“, die Daniel schaut, die vor IHM, dem
Allerhöchsten stehen, sind reale und himmlische Lebewesen. Die Bilder der
Heiden sind genauso real, aber Verzerrungen und vielleicht Anbetungen
widerspenstiger und hochfahrender Geister, vielleicht eine Mischung aus
verkehrtem und Rechtem, aber es gibt keine Wahrheit in der Lüge, auch wenn die
Wahrheit in der Lüge segmentiert und fragmentiert schlummert. Auch die bösen
Geister, heißt es, glauben und zittern (Jak 2,19). Es ist interessant, dass
Jakobus an dieser Stelle einem Unitarier über den Mund fährt:
„Du glaubst: Es gibt nur den einen
Gott. Damit hast du recht; das glauben auch die Dämonen und sie zittern.“
Vor diesem einen Gott kann man
nicht Glaube und Werke segmentieren, genauso wie man nichts anderes
fragmentieren darf in seiner heiligen Gegenwart. Ja, er ist einer, aber er ist
umgeben von z’waot, von Heerscharen,
von Myriaden und spiegelt sein Wesen und seine Gestalt in so vielen Menschen,
die so zahlreich sind wie die Sterne am Himmel und der Sand am Meer, zuerst aber in Jesus Christus.