Geister im Weizenfeld
1. Discretio spirituum:
hanc donationem secundum gratiam da nobis hodie, Domine!
Von Anfang an bedurfte die Kirche
der Gabe der Unterscheidung der Geister. Das mysterium iniquitatis, das
Geheimnis der Bosheit, hat immer in der Kirche gewühlt.
Der Apostel Paulus schrieb dazu:
Nam mysterium iam operatur iniquitatis; tantum qui tenet
nunc, donec de medio fiat – denn das Geheimnis der Bosheit wirkt
bereits; nur muss der, der jetzt noch aufhält, aus der Mitte gerückt werden.
[1] Die
Beseitigung des geheimnisvollen Hemmnisses wird zur Erscheinung des
Antichristen führen. Eingeleitet wird dieses Ereignis durch eine zuvor
stattfindende große Apostasie. Wenn der Mensch der Bosheit, der Sohn des
Verderbens, der
homo iniquitatis, filius perditionis auf dem
Höhepunkt seines Erfolges ist, wird der Herr wiederkommen und ihn mit dem Hauch
seines Mundes töten,
Dominus Iesus interficiet spiritu oris sui et destruet
illustratione adventus sui.[2]
Auf vielerlei Weise wird seit
einigen Jahrzehnten versucht, diese Blickrichtung des Gläubigen abzulenken ins
reine Diesseits. Besonders perfide ist es, wenn dabei mit Worten der Schrift argumentiert
wird:
…ut non cito moveamini a sensu neque terreamini (…) quasi instet dies
Domini. Ne quis vos seducat ullo modo... - Lasst euch nicht leicht
durcheinander bringen oder schrecken (…) als sei der Tag des Herrn schon da.
Lasst euch von niemand und auf keine Weise irreführen.“
[3] Mit Zitaten
wie diesem will man uns festfrieren: Der Herr kommt nicht so bald, das kann
dauern… Mit Hilfe des Parusie-Verzögerungs-Schemas wird uns gelehrt dargelegt,
dass der Herr wahrscheinlich überhaupt nicht kommt oder in so weiter Ferne,
dass es dem berühmten Sankt-Nimmerleinstag gleichkommt. Schließlich ist seine
Wiederkunft sowieso „immanent metaphorisch“ gemeint – Christus als eine Art
Schlaraffenland, das sich die Menschheit in unaufhaltsamem Fortschritt selbst
schaffen wird. Der Herr selbst wird zitiert, der gesagt hat, wir wüssten weder
den Tag noch die Stunde seiner Wiederkunft –
quia nescitis diem neque
horam.[4] Man beeilt
sich zu versichern, dass der bloße Gedanke an das Ende für das geistliche Leben
irrelevant sei. Es wird unterschlagen, dass Jesus ausdrücklich dazu ermahnt, wachsam
zu sein, eben
weil wir nicht Tag noch Stunde wissen:
Videte,
vigilate; nescitis enim, quando tempus sit (…) ne, cum venerit repente,
inveniat vos dormientes. – „Haltet die Augen auf, wacht, ihr wisst nämlich
nicht, wann die Zeit ist (…) damit er nicht, wenn er wiederkommt, euch
schlafend vorfindet.“
[5]
Wir können demnach zwar die exakte
Zeit („Tag“, „Stunde“) nicht wissen, aber uns werden doch Zeichen für das
nahende Ende genannt. Jesus beschreibt „Eröffnungswehen“, die – wie viele
Frauen wissen – lange dauern können. Die „Wehen“, die Jesus nennt, sind das
massenhafte Auftreten von falschen Propheten, Irrlehrern und Leuten, die
behaupten, sie seien Christus oder hätten ihn irgendwo konkret als
Wiedergekommenen gesehen. Es sind gehäufte Naturkatastrophen und weltweite,
massiv verdichtete, chaotische Verhältnisse.
[6] „Wehen“, unter
denen der,
qui tenet nunc, donec de medio fiat, „der noch aufhält aus
der Mitte gerückt wird“, zum „Geburtskanal“ hin getrieben wird, wie ein
ausgereifter Fötus im Mutterleib
. Die Kirche ist gewissermaßen in
„Kindsnöten“ mit dem Kind, mit dem sie so lange schwanger war. Das
apokalyptische Bild von der gebärenden Frau, das uns die Johannes-Offenbarung
im 12. Kapitel berichtet, führt uns die Gestalt der
mater ecclesia vor
Augen, einerseits in der konkreten Gestalt der allerseligsten Jungfrau und
Gottesmutter Maria, andererseits in der mystischen Person der Braut, der
Kirche, in der der Heilige Geist SEINEN Logos gezeugt hat, den sie gebiert, den
Sohn der Verheißung, den Retter und Heiland. Aber kaum geboren will der Drache
IHN verschlingen. Das Kind wird zu Gott entrückt und die Frau kann sich in die
Wüste retten. Die weihnachtliche Geburt Jesu Christi aus der Jungfrau Maria
wird hier zum Zeichen für die ganze Geschichte der Kirche. Die Erscheinung
Jesu, seine Geburt und sein Tod, werden durch die Kirche im sakramentalen
Geschehen seit ihrer Entstehung in die Zeit hinein verlängert. Sein
unergründliches Opfer wird vergegenwärtigt bis er kommt. Wir können IHN durch
unser Priester wirklich und leibhaftig in unsere Mitte holen. Aus diesem Grund
muss die Gottesmutter mitgedacht werden: sie ist bei all diesem realen
sakramentalen Geschehen unlösbar dabei, wie sie schon die
historisch-leibhaftige Erscheinung des Herrn von Anfang bis Ende treu und tragend
begleitet hat.
Wer ist also in medio, in
der Mitte, und soll de medio, aus der Mitte gerückt und anschließend
sofort gefressen werden, damit sich der totale „Antichrist“ an seine Stelle
setzen kann? Ist es nicht Jesus, der „Erbe des Alls“, verborgen und
sichtbar anwesend im Allerheiligsten Altarsakrament?
Durch die Aufklärung wird die
königliche Realpräsenz Jesu und die Andacht zu seiner allerseligsten Mutter
philosophisch und politisch noch rabiater ausgehöhlt und bekämpft als durch die
Reformation. Mit der Liturgiereform von 1970, die sich lange vorbereitet hatte,
wurde ER auch räumlich aus der Mitte gerückt, verbannt in Seitenaltäre oder
frei stehende Tabernakel, die auf jeden Fall nicht mehr im Zentrum sind. Sein
Platz in der Mitte - ist
geistlich leer, ersetzt durch den
diesseitigen Menschen. Wir ehren in IHM heute nicht mehr den Mensch gewordenen
Gott, sondern den vergötterten Menschen, das Geschöpf. Jesus sagt uns, dass das
Ende dann unmittelbar bevorsteht, wenn
videritis abominationem desolationis,
quae dicta est a Daniele propheta, stantem in loco sancto – „ihr dann am
heiligen Ort den
unheilvollen Gräuel stehen seht, der durch den
Propheten Daniel vorhergesagt worden ist“
[7]. Noch ist die
Verehrung des rein Menschlichen anstelle des Herrn nur eine Verzerrung, noch
ist es kein konkretes „Gräuel-
Bild“. Aber von der theoretischen
Umdeutung des Gottessohnes, des Gottmenschen Jesus, in einen bloßen „Menschensohn“
ist der Weg zu einem Gräuel nicht weit. Die Kirche hat im 4. Jahrhundert die
Todeskrankheit des Arianismus durch definitive konziliare Lehrentscheidungen
noch einmal überwunden. Obwohl diese Definitionen bekannt und gültig sind,
stammt die heutige Häresie aus derselben Wurzel, die die Gottgleichheit Jesu
auch damals nicht anerkennen wollte und bedeutet im heutigen Kontext einen
klaren Glaubensabfall bei vollem Bewusstsein.
ER ist sowohl in der Lehre als auch
sichtbar in den Kirchen zugunsten einer zerdeuteten Verdiesseitigung SEINER
Erscheinung beiseite geschoben worden. Der Begriff „Messopfer“ wird vermieden.
Die stattdessen eingeführte Rede von der„Eucharistiefeier“ erinnert an ein
Erntedank-Wort, evoziert mit dem Begriff „Gabenbereitung“ den Altar, den die
Bauern am Ende des Sommers symbolisch mit ihren Feldfrüchten aufbauen…
Funktional also dem Messopfer entgegengesetzt, in dem sich das Kreuzesopfer
Christi real vollzieht, trägt die Eucharistiefeier schwebend Züge des Kainsopfers.
So lässt sich der Hass der Hirten gegenüber dem Abelaltar der früheren Zeiten
erklären: Gott nimmt das „Feld-Opfer“
nicht „gnädig an“ - die Kirche
löst sich seit dieser Reform innerlich auf! Der Neid auf die Sammlung um die
Stätten, an denen die Alte Messe gefeiert wird, treibt manchen Hirten zur
Zerstörung an, wie wir es jüngst beobachten konnten, als Papst Franziskus dem
Orden der Franziskaner der Immaculata die Feier im Alten Ritus per Dekret, ohne
Grund und entgegen dem geltenden Recht verbot.
[8] Es steht
abzuwarten, was man im liturgischen Geschehen an den geistlich leeren Platz des
Herrn
in medio stellen wird. Das interreligiöse Gebetstreffen in Assisi
1986, initiiert durch Johannes Paul II., war ein erster Schock
[9]. Jesus fügt in
seiner Rede zu diesen Dingen einen herausfordernden Rätselspruch ein:
qui
legit, intellegat![10]
– „Wer liest, verstehe!“
Seit 200 Jahren verdichtet sich die
Austreibung des Kindes Jesus samt seiner
Mutter aus seinem Eigentum. Seit
200 Jahren aber mahnt uns regelmäßig Maria, manchmal ER selbst, auch in Gestalt
des „Kindes Jesus“:
Die Erscheinungen von Lourdes, La
Salette und Fatima oder die Visionen einzelner Gläubiger wie beispielsweise
Katharina Emmerick, Faustyna Kowalska, Thérèse Martin oder Maximilian Kolbe
können als Hilfe angesehen werden, die uns gegeben wird, um tatsächlich die
Zeit nicht zu verschlafen. Ist es nicht eine große Gnade, dass die
Gottesmutter, als apokalyptisches Zeichen, uns immer wieder gewarnt und an
Gottes große Barmherzigkeit erinnert hat, die er
uns in Jesus erweist?
Das Wort Jesu fordert meine
Wachsamkeit ein. So eindringlich Jesu Mahnung zur Wachsamkeit, so eindringlich
auch die Mahnung zur Vorsicht … und zur Unterscheidung der Geister.
Nach dem Willen Jesu ist es das
ordentliche Lehramt, das für uns die Geister unterschied und endgültige
Entscheidungen traf, mit denen wir den Glaubenskampf bestehen konnten. Seit dem
2. Vatikanischen Konzil, dem „Pastoralkonzil“, einer Art klerikalem Dampfbad,
sind wir zunehmend verwaist. Ein großer Teil der Hirten macht, was er will,
liest in die lehramtliche Tradition hinein und heraus, was ihm beliebt, und hat
damit schon zwei Generationen verwirrt und verführt, ohne dass dies gravierende
Konsequenzen vonseiten Roms (gehabt) hätte. Es gibt kaum noch sichere und klare
Weisung. Autorität haben einerseits die geweihten Hirten, vor denen man
inzwischen vor allem seine Seele retten muss. Andererseits sind es – auch das
muss ausgesprochen werden - die Frauen und Mütter, die Gott vor allem als
„marianische“ Autorität in der Unterweisung der Nachkommen eingesetzt hat. Eine
fast „größere“ Vollmacht, die der Frau gegeben ist und von ihr abgelehnt wird.
Wie viele Kinder werden aus den Leibern ihrer Mütter gerissen, bevor sie das
Licht der Welt erblickt haben? Wie viele Frauen weisen das Amt der Mutterschaft
kategorisch – nicht nur aufgrund äußerer Umstände - ab? Und wie viele Kinder
werden von den Müttern wirklich in Gottesfurcht erzogen? Wie viele werden in
den Schulen von Lehrerinnen verbogen, denen nicht in erster Linie pädagogische
oder wissenschaftliche, sondern die geistliche Kompetenz fehlt, ohne die wir
nichts recht tun können? Warum stehen die Klöster leer? Es ist furchtbar, das
sagen zu müssen: Viele Frauen, eigentlich zur geistigen und leiblichen
Mutterschaft berufen, wie die geweihten Hirten mit einer hohen Autorität
ausgestattet, sind wie sie zu Verderberinnen der Seelen geworden. Das Kreuz
unserer Tage ist der große Abfall vom dreifaltigen Gott und die Mühe, die sich
jeder aufrichtig Fragende machen muss, auf die Suche zu gehen, die Lehre der
Kirche bis 1960 besonnen und angesichts ihrer Autorität
hörbereit zu
studieren. Es geht existentiell darum, sich von den falschen
und dabei
rechtmäßigen Autoritäten nicht verführen zu lassen – eine tragische Situation.
Die Gabe der Unterscheidung ist folglich für jeden einzelnen heute notwendig
und wird in reichem Maße gespendet, sobald wir darum bitten. Je größer die
Verwirrung, desto größer Gottes Barmherzigkeit. Ich glaube das, weil Jesus versprochen
hat, dass die
Seinen seine Stimme
erkennen werden:
Oves meae vocem meam audiunt (…) et non rapiet eas quisquam
de manu mea. – „Meine Schafe hören auf meine Stimme (…) und niemand wird
sie meiner Hand entreißen.“
[11]
Dieses Wort versichert jedem, dass er in dem für ihn notwendigen Maß die Gabe
der Unterscheidung erhält.
Unterpfand ist die Gottesmutter,
die nach der Offenbarung des Johannes ihre Kinder – die, die Jesus gehorchen –
um sich schart und mit ihnen in die Wüste flieht. Dies ist gesagt, als müssten
wir mit einem vollständigen Versagen des Papsttums rechnen. Wenn dies geschehen
wird, bleibt unsere Mutter ihrer von Gott verliehenen Autorität treu und wacht,
wo der Klerus längst die Schafe reißt. Der Klerus bis auf Johannes, ihren
Kleinod-Sohn, der als einziger Mann unter vielen Frauen tapfer den Kreuzweg bis
ganz zum Schluss mitgegangen ist. Es gibt diese wunderbaren Mariensöhne unter
den Priestern. Wir dürfen darauf vertrauen, dass Maria ihre Kinder, die SEINEN,
einander zuführt. Und weil sie ein Fleisch ist mit dem Heiligen Geist, werden
wir unter ihrem Schutzmantel geborgen die Geister unterscheiden können.
Seit 50 Jahren versagen sowohl das
Papsttum als ein übergroßer Teil des Episkopats in ihrer ureigensten Aufgabe,
nämlich dem unfehlbaren Lehramt, auf eine konvulsivische und schmerzhafte
Weise. Man kann diesen Prozess tatsächlich mit Wehen vergleichen. Der Schmerz
ebbt gelegentlich wieder ab…und kommt umso heftiger wieder. Gerade Frauen
müssten das leibhaftig und geistlich am besten erkennen können…
Die Zeit der Immaculata ist
gekommen.
2. Das Gaudium im Weizenfeld
Gaudet mater ecclesia… Mit
diesen Worten eröffnete Johannes XXIII. im Oktober 1962 das 2. Vatikanische
Konzil.
[12]
Man möge mir meine nun folgenden kritischen Überlegungen verzeihen. Was die
wehenartigen Konvulsionen betrifft…es fällt mir bei Benedikt XVI. nicht schwer,
ihn als den „Heiligen Vater“ zu ehren. Johannes Paul I. durften wir nicht
kennenlernen. Johannes Paul II. hatte Züge eines „Heiligen Vaters“, die aber
ganz plötzlich verblassen konnten hinter einer schillernden venezianischen
Maske… oder umgekehrt? Bei Johannes XXIII., Paul VI. und Franziskus bleibt mir
jede zärtliche und respektvolle Anrede im Halse stecken. Warum? Die Anrede
„Heiliger Vater“ ergibt nur Sinn, wenn ich im
pastor pastorum die Stimme
des guten Hirten vernehmen kann, wie sie mich auch sonst in meiner Andacht
anspricht … es tut mir leid. Aber zurück zur Eröffnungsrede des Konzils. Sie
ist der Schlüssel zum Verständnis sowohl des Konzils als auch zu den
Ereignissen seither.
[13]
Großspurig wies Johannes XXIII. in ihr die
vaticinatores rerum adversarum,
die „Unglückspropheten“ zurück, die immer nur das Schlechte befürchteten,
quasi
rerum exitum instet, als stünde das Ende der Dinge bevor.
[14]
Möglicherweise hat er den Anklang an das Paulus-Zitat aus dem 2.
Thessalonicher-Brief bewusst gesucht. Ganz abgesehen davon, dass der
mater
ecclesia das
gaudium seither sichtlich vergangen ist, kann es einem
heutigen Gläubigen kalt den Rücken hinablaufen, wenn er sich die Worte des
damaligen Papstes noch einmal vor Augen stellt. Die Worte Johannes XXIII.
zeugen heute, im
Aggiornamento-Standby-Modus, der buchstäblich alles
herbeigeführt hat, was die
vaticinatores rerum adversarum in
prophetischer Klarsicht befürchtet hatten, von einer unbegreiflichen
Überheblichkeit und Fahrlässigkeit. Allein wegen dieses gespenstischen Faktums
dürfte er nicht heiliggesprochen werden… Befremdlich ist auch die Einordnung,
die er für dieses Konzil vornimmt. Wenn Benedikt XVI. und andere nach einer
Kontinuität zur Tradition suchen und den faktischen Bruch im Leben der Kirche
seit dem Konzil für ein Missverständnis überspannter Modernisten halten, dann
möchte ich sie zurückfragen, ob sie nicht sehen, dass schon in der
Eröffnungsrede diese konziliare Hybris offenkundig wird. Johannes XXIII.
widerspricht der Auffassung, dass die Moderne das geistliche Leben der Kirche
bedrohe. Dieser Auffassung haben seit der französischen Revolution alle seine
Vorgänger Ausdruck gegeben! Ich möchte dazu nur das Stichwort
„Antimodernisteneid“ in den Raum rufen… Ihn scheint weder das gerade
überwundene
moderne, infernalische „Dritte Reich“ mit seinen
Vernichtungslagern, denen Millionen Menschen zum Opfer fielen, in irgendeiner
Weise zu beunruhigen, noch der kaum zurückliegende
moderne 2. Weltkrieg
mit weiteren Millionen von Opfern, noch das
moderne, teuflische Regime
des Kommunismus, das dabei war, die halbe Welt zu knechten und weitere
Millionen in seinen Gulags zu ermorden, ganz aktuell die Kuba-Krise inszeniert
und die kafkaeske Berliner Mauer errichtet hatte, und schon gar nicht die
moderne,
eiskalte Fratze des Kapitalismus, die bereits im 19. Jahrhundert durch Leo
XIII. in „Rerum novarum“ von 1891 als der Sklavenhalter des
modernen
Menschen erkannt worden war
[15].
Die Tatsache, dass all diese Gräuel nur aufgrund der modernen geistigen und
technologischen Entwicklung sein konnten und können, ficht ihn nicht an. Im
Gegenteil: er schwadroniert von einer „Neuen Gesellschaftsordnung“, auf die die
Welt zugehe, und man darf sich fragen, woher er diesen Begriff nimmt. Aus dem
depositum
fidei stammt er jedenfalls nicht. Das kennt nur den heilsgeschichtlichen
Plan Gottes, die Sorge der Kirche um die Rettung der Seelen angesichts des
schrittweisen Offenbarwerdens des
mysterium iniquitatis vor der
Wiederkunft Jesu Christi. Warum Johannes XXIII. einen Seitenhieb auf
vorangegangene Konzilien machen muss, wo er doch gleichzeitig deren
Geistgewirktheit in pathetischen Worten preist, ist ebenfalls unerklärlich. Die
sachlich unhaltbare Behauptung, die Konzilien vergangener Tage hätten nicht
wirklich frei ablaufen können, weil die säkulare Macht sie beeinflusst oder
sogar initiiert, das anstehende Konzil jedoch endlich die notwendige Freiheit
erreicht habe, wie ein wahrer „neuer apostolischer Abendmahlssaal“ zu sein
[16],
für den es – so muss man dazwischenrufen – doch weder Verheißung noch
Notwendigkeit gab (!), kann nur Kopfschütteln auslösen.
[17]
Vollends irritierend ist die total inhaltsleere Erzählung über das
Zustandekommen der Konzils-Idee:
Zuerst haben Wir fast unerwartet
dieses Konzil im Geiste erwogen, dann haben Wir es in schlichten Worten vor dem
heiligen Kollegium der Kardinäle an jenem denkwürdigen 25. Januar 1959 (…)
ausgesprochen. Sogleich wurden die Anwesenden durch eine plötzliche Bewegung
des Geistes, wie vom Strahl eines überirdischen Lichtes, berührt, und alle
waren freudig betroffen, wie ihre Augen und Mienen zeigten. Zugleich entbrannte
in der ganzen Welt ein leidenschaftliches Interesse, und alle Menschen begannen
eifrig auf die Feier des Konzils zu warten.
[18]
Was konkret außer dem Wort
„Konzil“, das im übrigen schon lange diskutiert, von Pius XII. vorbereitet und
aus Furcht vor einem Einbruch durch den Modernismus aufgeschoben worden war, hier
solchen emotionalen Furor ausgelöst haben soll, erschließt sich dem
aufmerksamen Leser nicht. Johannes XXIII. bezieht sich weder auf die
Vorarbeiten zu einer Fortsetzung des 1. Vatikanischen Konzils durch seine
Vorgänger, noch erwähnt er die Notwendigkeit, das durch den
deutsch-französischen Krieg unterbrochene 1. Vatikanische Konzil zu Ende zu
führen. Er redet, als finge mit seinem Pontifikat etwas ganz und gar Neues an.
Es ist fragwürdig, was sich hinter dem Satz „
Statim adstantium animi subito
tacti sunt, quasi supernae lucis radio coruscante, et suaviter omnes affecti in
vultu oculisque“ verbirgt. Johannes XXIII. sagt nicht, dass der Heilige
Geist die Kardinäle ergriffen, sondern ein „aus der Höhe kommender Lichtstrahl“
sie berührt und erregt habe
(radio lucis supernae). Auch will das
ärgerlich starke Vorhandensein der
vaticinatores rerum adversarum, der
„Unglückspropheten“, nicht so recht in diesen behaupteten allgemeinen
Freudentaumel passen. Die Aussagen des damaligen Pontifex erscheinen unglaubwürdig,
wenn man bedenkt, dass die meisten Bischöfe der Weltkirche vor dem Konzil in
ihren
vota tatsächlich die Verurteilung des Kommunismus, eine endgültige
Ablehnung des Modernismus und die Erklärung eines Dogmas zur Miterlöserschaft
Mariens gewünscht hatten.
[19]
Alles in allem jedenfalls scheint es, Johannes XXIII. habe die Terminologie der
Kirche ausgehöhlt und mit einem hochmütigen Gemisch neuzeitlicher, humanistischer
Weltverbesserungsideen ausgestopft. Aus seinen Worten geht hervor, dass er es
ist, der den Anspruch eines „Superkonzils“ formuliert hat. Ich habe selbst
früher geglaubt, Johannes XXIII. habe sich eben etwas blumig, aber doch
rechtgläubig geäußert. Seitdem ich genauer hinsehe, kann ich meine damalige
Überzeugung nicht mehr aufrechthalten. Der Anspruch, die sichere und wahre
Lehre, die
doctrina certa et immutabilis, ohne Abgrenzung von Irrtümern,
die sich angeblich von selbst auflösen, nun „vor allem pastoral“,
praesertim
pastoralis, und
quam tempora postulant nostra, „wie es unsere Zeiten verlangen“, zur Erbauung des ganzen Menschengeschlechts zu verbreiten,
ist irrig. Denn es war nie Lehre der Kirche, dass Irrtümer einfach verschwinden
können „wie Morgennebel“ und die Menschen ohne Belehrung „ganz von selbst“
darauf kommen, dass der Verstoß gegen Gottes Gebote und der Fortschrittswahn
nur zur Zerstörung führen.
[20]
Ein Blick in unsere Wirklichkeit 50 Jahre nach dieser Rede zeigen in
beschämender Weise, dass die Menschen, ganz im Gegenteil, immer schlimmer gegen
Gottes Gebote verstoßen. Das 2. Vatikanische Konzil wird mit dem Anspruch, die
ganze Welt auf „pastorale“ Weise zu durchsonnen und politisch zu befrieden
eingeführt. Konzilien hatten niemals eine pastorale, sondern eine klärende,
definierende, rein lehramtliche Funktion für die Kirche. Die Mission der Kirche
ging niemals über das Bezeugen, Lehren und Taufen hinaus – auch wenn es einen
zeitweise engen Schulterschluss zwischen weltlicher Macht und Kirche gab. Wie
sollte man ohne geklärte Begriffe in den Ortskirchen und in der Mission
„pastoral“ fruchtbar sein können? Wir sehen eine Kirche vor uns, in der nicht
mehr gelehrt wird, in der paradoxerweise die Pastoral zusammengebrochen ist.
weil man sich in das, was der Mensch schon „von selber“ verstehen wird, nicht
mehr „einmischen“ will (wie mir ein Hochwürden ungehalten sagte). Für das
Lehramt war nie relevant, was die „Zeiten fordern“, sondern was die Forderung
Gottes zu jeder Zeit ist. Folglich konnte kein Konzil ohne Dogmenerklärung und
Verwerfung in Auseinandersetzung mit seiner jeweiligen Zeit auskommen. Johannes
XXIII. kann nicht erklären, warum dies nun heutzutage ganz anders sein sollte
als in den Jahrtausenden davor, sagt er doch selbst, dass sich die Probleme des
Menschen nicht geändert hätten. Er deklariert in beispielloser Arroganz den
Widerspruch zur tradierten Mission der Kirche als deren allerneueste Mission.
Die Weigerung, Definitionen und Verwerfungen vorzunehmen heißt, die Kirche dem
Zeitgeist auszuliefern – und genau so ist es geschehen. Mit der Bezugnahme auf
Jesu Gebet am Vorabend seines Opfertodes (
"Ut unum sint") projiziert der
damalige Papst das Mysterium der Einheit als weltlich verstandene Einheit an
den Himmel. Ebenso verkehrt Johannes XXIII. die Vision vom Himmlischen
Jerusalem in eine ausschließlich diesseitige Hoffnung. Die „Einheit des
Menschengeschlechtes“ sei die notwendige Voraussetzung dafür, dass die irdische
mit der himmlischen Stadt verähnlicht werde:
hoc sibi proponit Oecumenica
Synodus Vaticana Secunda – „dies hat sich das 2. Vatikanische ökumenische
Konzil zur Aufgabe gemacht“.
[21]
Bis dahin war die Kirche davon ausgegangen, dass diese Welt nicht
vervollkommnet, sondern vergehen wird. Von Weltverbesserertum war niemals die
Rede. Der Christ folgt dem Meister hinaus
vor die irdische Burg, wie ER
in der Welt kaum geduldet:
Exeamus igitur ad eum extra castra, improperium
eius portantes; non enim habemus hic manentem civitatem, sed futuram
inquirimus. – “Lasst uns also zu ihm
vor das Lager hinaus ziehen und
seine Schmach auf uns nehmen. Denn wir haben hier keine Stadt, die bestehen
bleibt, sondern wir suchen die künftige.“
[22]
Jedem sorgfältigen Leser muss
auffallen, dass die Lehre Johannes XXIII. nicht mehr der Tradition der Kirche
entspricht. Die eingebauten rechtgläubig klingenden Passagen können darüber
nicht hinwegtäuschen.
Welcher Geist hat diesen Mann
getrieben, der sich den Namen des Kleinod-Priesters Johannes gegeben hat und
dessen Haltung und Wesenszüge perfekt konterkariert hat? Seine Rede ist ihrem
Stil und ihrer ausgehöhlten Begrifflichkeit nach schlicht und einfach …
esoterisch, die Rede eines Logenbruders! Roncalli war ein Pseudo-Johannes!
Jesus hat uns ein bedeutsames
Kriterium zur Unterscheidung der Geister genannt:
Attendite a falsis
prophetis, qui veniunt ad vos in vestimentis ovium, intrinsecus autem sunt lupi
rapaces. A fructibus eorum cognoscetis eos; numquid colligunt de spinis uvas
aut de tribulis ficus? – „Hütet euch vor den falschen Propheten; sie kommen
zu euch wie (harmlose) Schafe, in Wirklichkeit aber sind sie reißende Wölfe. An
ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Erntet man etwa von Dornen Trauben oder
von Disteln Feigen?“
[23]
Ich will mich nicht versteigen,
aber den Worten Jesu folgend kann man nichts anderes feststellen, als dass die
vollmundig angekündigten Früchte dieses Superkonzils in der Hauptsache Dornen
und Disteln sind. Die verheerenden Wirkungen entlarven das Konzil und seine
damals so erregten „Macher“ als – lupi rapaces, reißende Wölfe. Es
erscheint mir grenzenlos naiv oder unaufrichtig, dies alles nur für ein
Missverständnis zu halten.
Seither haben die, die Jesus nicht
mehr gehorchen, aber dennoch in der Kirche wirken wollen, der
mater ecclesia
einen hinterhältigen Bürger-Krieg mit den Waffen sophistischer
Begriffsentkernungen bereitet. Mit päpstlichem Segen wurde die
mater
ecclesia der Herrschaft der
historia, quae vitae magistra est, unterstellt
.
Diesen humanistischen Satz schleuderte Johannes XXIII. den
„Unglückspropheten“ entgegen. Er widersprach damit nicht nur ihnen, sondern
auch der tradierten christlichen Auffassung, dass
nur der Heilige Geist
wahrer Lehrer der Kirche ist.
[24]
Der Trumpf der reißenden Wölfe ist mit päpstlicher Legitimation der
evolutionäre („relativistische“) Wahrheitsbegriff, den sie in bewussten
Gegensatz zum tradierten Wahrheitsbegriff der
mater ecclesia setzen. Sie
betreiben mit gelehrter Blasiertheit ihr babylonisches Verwirrspiel und nehmen
dafür keinen geringeren als den Heiligen Geist, den sie zu einer geschichtlichen
Wahrheitsfunktion degradiert haben, die in ihr eigenes Ermessen gelegt ist, in
Anspruch.
[25]
Man sagt dies und meint jenes, wobei jenes immer vage und unklar bleibt
angesichts des unbändigen Flusses inflationärer Bedeutungsverschiebungen. Es
gibt keinen Begriff der Dogmatik, der nicht bereits x-mal gescannt und
verfremdet worden wäre. Das Ergebnis ist allgemeiner Wildwuchs und Resignation.
Die einfachsten Glaubenssätze sind zum Problem geworden. Seit dem Konzil
verlassen Priester scharenweise ihren Stand und die Kirchenaustritte der Laien
nehmen immer weiter zu… Wer dennoch klare Worte spricht, wer mutig einsteht für
die unteilbare Wahrheit, die einen Namen hat:
!Dominus Jesus!, der wird
innerhalb der Kirche verhöhnt und domestiziert. Dieser Hohn steckte in den
Worten Johannes XXIII, der diesen Menschen vorwarf, ihnen fehle der „Sinn für
Differenzierung und Takt“
[26].
In immer neuen Anläufen will man
denen, die den konkreten Geboten Jesu folgen wollen, Maulkörbe verpassen und
ihnen weismachen, dass sie Polarisierer und Friedensstörer seien. Das
Pontifikat Benedikts XVI. war trotz aller erwähnten Abstriche, die gemacht
werden müssen, ein kurzer Lichtblick, eine „Wehenpause“, in der viele
Glaubenstreue wieder Mut schöpften. Seitdem Franziskus zum Papst gewählt worden
ist, erleben wir nicht nur den raschen Zerfall dessen, was der noch hinter den
Mauern lebende Heilige Vater versuchte zu integrieren. Vor unseren bestürzten
Augen trennt sich ein großer Teil der sogenannten Konservativen wie Spreu vom
Weizen. Auch sie verweigern nun offen, mit der Sprache und den Sätzen redlich umzugehen
und haben sich dem Trend des oberflächlichen Zerdeutens angeschlossen. Sie
lassen sich leiten vom Ansehen der Person und einem kranken Gehorsamsbegriff,
als müsste ein Gläubiger dem Satan gehorchen, nur weil der sich als Engel des
Lichts ausgibt und schon längst in den höchsten klerikalen Ämtern Platz
genommen hat. Präzise Argumentationen werden aggressiv oder in der Verkleidung
einstudierter Demut abgewehrt. Auf konservativen Internet-Plattformen wie
Kath.net hat sich seit Monaten die Zensur gegenüber allen kritischen
Stellungnahmen etabliert. Klare und aufrichtige Gedanken sind der Düsternis,
die die Kirche inzwischen zu weiten Teilen unbewohnbar macht und lähmt,
unerträglich. Sie fürchtet nichts mehr als das helle Licht der Barmherzigkeit
Gottes, die naturgemäß ohne Gericht nicht auskommen kann – welchen Sinn sollte
der Begriff Barmherzigkeit ohne drohendes Gericht auch haben? Per viscera misericordiae Dei nostri, in quibus visitabit nos oriens
ex alto, illuminare his, qui in tenebris et in umbra mortis sedent, ad
dirigendos pedes nostros in viam pacis. So hat es uns das lateinische Benedictus so
unübertrefflich zugesagt. „Durch die fleischgewordene Barmherzigkeit unseres Gottes
wird uns besuchen der Oriens (die „im Osten aufgehende Sonne“, der „uns
Orientierung gebende“) aus der Höhe, damit die erleuchtet werden, die im
Finstern und im Todesschatten sitzen, und unsere Füße auf den Weg des Friedens
geleitet werden.“ Jeder, der diesem Oriens in aller schlichten Klarheit
folgt, gleißt in der Finsternis wie ein Prisma und wird gehasst für die
Verletzung, die er dem trüben und erschlafften Auge zufügt. Man bevorzugt die
Funzeln der Dämonen mit ihrem weichlichen Rotlicht.
Die sogenannten Konservativen haben
den Fehler gemacht, unbesehen „Vergangenes“ für wahr zu halten, anstatt
differenziert danach zu fragen, was präzise und ohne Relativierung ewige Lehre
der Kirche ist. Nur eine Klärung des Wahrheitsbegriffes rettet vor dem
Abgleiten in Häresie und Apostasie. Die Konservativen haben solche Analysen
bislang verschlafen. Die Wahrheit, der in die Zeit gesetzte rote Faden, ist
keine evolutionäre Einrichtung. Es ist immer derselbe Faden - auch wenn er so
lang ist wie die Heilsgeschichte. Und dies nicht symbolisch, nicht „im
übertragenen Sinne“, sondern im Sinne des Logos, des Lammes Gottes,
in
viscera misericordiae Dei, ganz leibhaftig. Nichts drückt diese Wahrheit
mehr aus als das Geheimnis des Messopfers, das vollkommen vergegenwärtigte, in
die Zeit verlängerte fleischgewordene Opfer, das von mir nichts Geringeres
fordert, als mich in sich hineinziehen zu lassen. Dieses Geheimnis kann ein
Mensch nur durch die Erleuchtung des Heiligen Geistes verstehen. Er empfängt
sie, wenn er aus Maria, der Braut, ins Reich Gottes hineingeboren wurde und von
ihr weiterhin erzogen wird. Der Kniefall bei der Feier des Messopfers wird ihm
dann eingegeben werden, jene liturgische Geste der totalen Hingabe, die von so
manchen inzwischen, was nur schlüssig ist (!), verweigert wird. Das behauptete
gaudium
der
mater ecclesia ist ein herrischer Befehl an die Gottesmutter, sich
gefälligst zu freuen. Sie selbst hat nämlich 1917 ihren großen Schmerz über das
Ausmaß des Unglaubens verkündigt und aufgetragen, den dritten Teil des
Fatima-Geheimnisses 1960 zu veröffentlichen, was Johannes XXIII. zu verhindern
wusste. Ihr
dolor wird nach ihren eigenen Worten ein
triumphus
sein und steht noch aus: ihr unbeflecktes Herz wird
triumphieren – am
Ende.
[27]
Am Ende, an das wir in unserem Hochmut und unserer Selbstgefälligkeit nicht
kommen wollen, dessen Triumph Johannes XXIII. aus eigener Vollmacht und vor der
Zeit auf die selbstgemalte Fahne einer humanistisch umgedeuteten Kirche
schreiben wollte. Mit ihm hat der beispiellose Niedergang des Papsttums und der
Kirche eingesetzt, den wir seither erleben. Johannes XXIII. hat die Immaculata
nicht nur einfach ignoriert. Er hat ihr die Feindschaft angetragen, indem er
sie beiseite geschoben, ihr den Mund verboten und das Gegenteil zu ihren
Warnungen verkündet hat. Ist nicht unsere allerseligste Mutter die
Exponierteste unter den „Unglückspropheten“? Die Abneigung dieses Papstes
gegenüber dem gottgegebenen fraulichen und mütterlichen Einfluss auf den Klerus
gewinnt von da aus betrachtet einen doppelt finsteren Sinn.
[28]
3. Der Taumel im Weizenfeld
Seit dem Konzil wird gerne das
Gleichnis vom Unkraut und vom Weizen
[29]
angeführt, um uns in der Krise davon abzuhalten, das Charisma der
Unterscheidung der Geister auszuüben.
Oft wird darauf hingewiesen, dass
das Unkraut wohl der berüchtigte Taumellolch war, der noch dazu von einem Pilz
befallen wurde, der das ganze Weizenfeld verderben konnte. Die Arbeiter in
dieser Erzählung kommen zum Hausherrn und fragen ihn irritiert, ob er denn
nicht guten Samen gesät habe. Der Angesprochene begreift, dass ein Feind ihm
den bösen Samen ins Feld gesetzt haben muss. Den Vorschlag, das Unkraut
auszureißen, verwehrt der Herr: Nicht dass ihr den Weizen mit dem Unkraut
ausreißt! Lasst alles ausreifen bis zur Ernte, dann wird getrennt. Aha, rufen
nun die Schlaumeier, da seht ihr es - man könnte Weizen für Unkraut halten und
umgekehrt. Das ist jedoch Unsinn: mit keiner Silbe wird ausgedrückt, dass
Unkraut und Weizen nicht unterscheidbar wären. Jesus sagt in seiner Deutung, das
Weizenfeld sei die Welt. Die Welt –
nicht das Reich Gottes. Ist die Welt
nicht so? Hat Gott nicht alles gut geschaffen? Hat nicht der Satan dies durch
seine Saat verdorben? Und ist nicht durch die Jungfrau Maria und ihr
unvergleichliches
Fiat wieder guter Same ins gnadenvolle, reine Herz
einer Frau gegeben, die den neuen Adam, Jesus, gebar – ? Es gibt die
Menschenkinder, die mit Maria das
Fiat sprechen und die, die diese Gnade
abweisen. Man kann sie und ihre Werke nach den Worten Jesu aufgrund der Früchte
voneinander unterscheiden, ja, man muss sie sogar voneinander unterscheiden
können, wie Jakobus schreibt.
[30]
Allerdings muss man genau hinsehen, sich die Mühe aufrichtiger und vorsichtiger
Prüfung machen. Es kann also in dem Gleichnis nicht darum gehen, dass wir zu
keinem Urteil über die Dinge um uns herum kommen dürften. Wie anders sollte das
Lehramt sonst prinzipiell seinem Auftrag, zu binden und zu lösen, gerecht
werden können? Wie sollte sonst überhaupt ein Mensch selig werden können?
Es geht vielmehr darum, dass in
dieser gefallenen Schöpfung alles mit allem verbunden ist. Alle sind ineinander
verflochten, die Guten und die Bösen. So wie sich die Wurzeln des Taumellolchs
mit dem des Weizen unter der Erde verschränken. Die eschatologische Perspektive
dieses Gleichnisses will keine Debatte darüber anregen, ob wir überhaupt
unterscheiden können, was gut oder böse ist. Die Gabe der
discretio
spirituum wird sichtlich vorausgesetzt. Sie führt vielmehr vor Augen, dass
allein Gottes Liebe und Gnade es ist, die bis zum Ende ausharren will, bis der
letzte Weizenhalm ausgereift ist, die dieselbe Sonne aufgehen lässt über
Gerechte und Ungerechte, die nicht aufhören lässt Saat und Ernte, Frost und
Hitze, bis die „Vollzahl“ derer, die gerettet werden, erreicht ist.
[31]
Es muss offenbar werden, was in jedem von uns steckt. Und jeder bekommt ein
ganzes Leben lang Zeit. Gnadenzeit.
Nur wer vom Taumellolch gekostet
hat, kann Unkraut und Weizen nicht mehr unterscheiden. Wir sollen nicht auf den
Urheber des Unkrautes hören und ins euphorische Taumeln kommen, sondern der
Stimme des guten Hirten folgen, die wir erkennen dürfen, wenn wir darum bitten.
Der narkotische Taumel, den das Unkraut verursacht, etwa der Wahn, man könne
oder müsse (warum eigentlich?) ein „2. Pfingsten“ erzeugen oder gar einen
„neuen Abendmahlssaal“, stammt nicht von Jesus. Was nach genauer Betrachtung in
einem blasphemischen Irrlicht erscheint, darf auf keinen Fall verwechselt
werden mit der Freude, die das Herz festigt, wenn der Heilige Geist es beseelt,
der mit dem Pfingstfest, das uns die Apostelgeschichte erzählt, im übrigen ein
für alle mal gegeben ist. So wie es nur ein Weihnachten, einen Karfreitag,
ein Ostern etc. gibt, wenn auch in „in die Zeit gesetzter Verlängerung“. Aber
das ist etwas anderes als der hier proklamierte Neuansatz!
Aus Liebe zu den anderen Menschen
sollen wir geduldig abwarten und für sie beten, solange sie und wir Zeit
geschenkt bekommen.
Ist diese Zeit verstrichen, wird
Gott das Unkraut aussondern und verbrennen lassen und den Weizen alleine übrig
lassen. Im Ergebnis ist das Gleichnis eine Geschichte vom kommenden Gericht
nach einer langen Gnadenzeit.
Die euphorische Rede Johannes
XXIII. zur Eröffnung des Konzils wirkt heute wie eine schale Brühe. Was er
proklamierte, ist nicht nur nicht eingetroffen, sondern das blanke Gegenteil
hat sich schleichend, Schritt für Schritt seither vollzogen. Es ist kein gaudium
im Weizenfeld, sondern narkotischer Taumel, es ist kein „zweites Pfingsten“ und
kein „neuer Abendmahlssaal“, was er da angestoßen hat, sondern Krankheitsrausch
und lacrimae, lacrimae, lacrimae, Katzenjammer über den großen Schaden,
der entstanden ist. Wollte ich glauben, dass dieses Konzilsdesaster den
Heiligen Geist als Urheber haben soll, müsste ich meinen Glauben aufgeben! Ein
gesunder Baum kann doch nicht solch faule Früchte tragen! Es sind ja nicht
verfehlte Reaktionen auf eine klare Lehre des Konzils, die so destruktiv sind,
wie uns die Verfechter der „Hermeneutik der Kontinuität“ es darstellen wollen.
Nein, es sind die widersprüchlichen Lehren des Konzils selbst, das kein wahres
Konzil sein wollte – und nur ein Konzil, das die Lehre definiert, ist ein
wahres Konzil! -, die zu dieser Agonie geführt haben.
Die Wachsamkeit, die Jesus uns
abverlangt, beansprucht alle unsere intellektuellen und seelischen Kräfte.
Niemand kann sich mehr um eine Entscheidung herumdrücken. Wer ausweicht, fällt
unweigerlich dem Ungeist zum Opfer, der in der mater ecclesia so frech
immer mehr Platz einnimmt.
Die Zeit ist unleugbar weit
vorangeschritten. Was wird als nächstes geschehen?
Ich erwarte es mit Grauen. Aber
noch viel mehr erwarte ich den Herrn und hoffe, dass ER selbst mir und allen
meinen Geschwistern dazu verhilft, diese Hoffnung nicht zu verlieren. Nur das
wahrhaft unbefleckte Herz Mariens kann uns angesichts der fast total
korrumpierten Amtshierarchie in dieser Verwirrung noch ein verlässliches
Lehramt sein. Damit wird plötzlich verständlich, warum seit 100 Jahren sowohl
durch Erscheinungen der Gottesmuter als auch durch private Visionen
eindringlich die Andacht zur Immaculata als Heilmittel angeboten wurde: Jesus
sagte, kein Mensch könnte mehr selig werden, wenn nicht die schlimme Zeit am
Ende verkürzt würde.
[32]
Wir sind seit Generationen so verwirrt, dass wir kaum noch zu erkennen
vermögen, wie verdorben unser gesamtes Denken und Fühlen ist. Nur das
„unbefleckte Herz“ der Gottesmutter kann hier noch Orientierung bieten – dies
aber wie eine frische Quelle. Wer sich ihr weiht, kann mit Siebenmeilenstiefeln
fortschreiten in der Nachfolge Christi. Die Immaculata selbst „springt“ ein für
die abgefallenen Apostel, die wie Sterne vom Himmel gestürzt sind, und steht
den wenigen Wunderwerken Gottes, den echten Kleinod-Priestern, diesen kleinen
Zeugen des Jüngers Johannes, als himmlische Mutter zur Seite und damit uns
allen. Welche tiefe Weisheit, kurz vor diesen Geschehnissen im Jahre 1950 ihre
leibliche Aufnahme in den Himmel zum Dogma zu erklären. Maria ist definitiv
Königin über die Engel und Apostel und darf uns so zweifellos vertrauenswürdige
Hüterin in dieser schweren Zeit sein.
O Maria!
© Hanna Jüngling 2013
[1] 2.
Thessalonicher 2, 7
[2] 2.
Thessalonicher 2, 3+8
[3] 2.
Thessalonicher 2, 2+3 – deutscher Text eigene Übersetzung
[13] Roberto de
Mattei: Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte.
Stuttgart 2012. S. 224
[14] AAS 54
(1962), 789 - Saepe quidem accidit, quemadmodum in cotidiano obeundo
apostolico ministerio comperimus, ut non sine aurium Nostrarum offensione quorundam
voces ad Nos perferantur, qui, licet religionis studio incensi, non satis tamen
aequa aestimatione prudentique iudicio res perpendunt. Hi enim, in
praesentibus humanae societatis condicionibus, nonnisi ruinas calamitatesque
cernere valent ; dictitant nostra tempora, si cum elapsis saeculis comparentur,
prorsus in peius abiisse ; atque adeo ita se habent, quasi ex historia, quae
vitae magistra est, nihil habeant quod discant, ac veluti si, superiorum
Conciliorum tempore, quoad christianam doctrinam,
quoad mores, quoad iustam Ecclesiae libertatem, omnia prospere ac recte
processerint. At Nobis plane
dissentiendum esse videtur ab his rerum adversarum vaticinatoribus, qui
deteriora semper praenuntiant, quasi rerum exitium instet. In praesenti
humanorum eventuum cursu, quo hominum societas novum rerum ordinem ingredi
videtur, potius arcana Divinae Providentiae consilia agnoscenda sunt, quae per
tempora succedentia, hominum opera, ac plerumque praeter eorum exspectationem,
suum exitum consequuntur, atque omnia, adversos etiam humanos casus, in
Ecclesiae bonum sapienter disponunt.
- In der täglichen Ausübung unseres Hirtenamtes verletzt es uns, wenn wir
manchmal Vorhaltungen von Leuten anhören müssen, die zwar voll Eifer, aber
nicht gerade mit einem sehr großen Sinn für Differenzierung und Takt begabt
sind. In der jüngsten Vergangenheit bis zur Gegenwart nehmen sie nur Mißstände
und Fehlentwicklungen zur Kenntnis. Sie sagen, daß unsere Zeit sich im
Vergleich zur Vergangenheit nur zum Schlechteren hin entwickle. Sie tun so, als
ob sie nichts aus der Geschichte gelernt hätten, die doch eine Lehrmeisterin
des Lebens ist, und als ob bei den vorausgegangenen Ökumenischen Konzilien Sinn
und Geist des Christentums, gelebter Glaube und eine gerechte Anwendung der
Freiheit der Religion sich in allem hätten durchsetzen können. Wir müssen
diesen Unglückspropheten widersprechen, die immer nur Unheil voraussagen, als
ob der Untergang der Welt unmittelbar bevorstünde. In der gegenwärtigen
Entwicklung der menschlichen Ereignisse, durch welche, die Menschheit in eine
neue Ordnung einzutreten scheint, muß man viel eher einen verborgenen Plan der
göttlichen Vorsehung anerkennen. Dieser verfolgt mit dem Ablauf der Zeiten,
durch die Werke der Menschen und meist über ihre Erwartungen hinaus sein
eigenes Ziel, und alles, auch die entgegengesetzten menschlichen Interessen,
lenkt er weise zum Heil der Kirche.
[15] ASS XXIII
[1890-1891] 641-670 Leo XIII. Spricht darin von der verderblichen Wirkung des
„Geistes der Neuerung“
[16] AAS 54
(1962), 789/90 Etenim satis est cursim ecclesiasticos annales pervolvere, ut
statim manifesto pateat, vel ipsa Oecumenica Concilia, quorum vicissitudines
aureis litteris Ecclesiae fastis consignatae sunt, saepe non sine gravissimis
difficultatibus ac doloris causis, ob indebitam civilis potestatis interpositam
auctoritatem, celebrata fuisse. Huius enim mundi Principes interdum sibi quidem
proponebant sincero animo Ecclesiae patrocinium suscipere ; quod tamen
plerumque non sine spirituali detrimento ac periculo fiebat, cum iidem saepius
rationibus politicis ducerentur suisque utilitatibus nimium studerent. Fatemur
quidem hodie Nos vehementi dolore affici, quod inter vos complures Ecclesiae
Pastores desiderantur, Nobis sane carissimi, qui ob Christi Fidem in vinculis
detinentur vel aliis impedimentis praepediuntur, et quorum recordatio Nos
permovet ut pro ipsis fiagrantissimas
Deo preces admoveamus; attamen non sine spe ac magno solacio Nostro
hodie factum esse cernimus, ut Ecclesia, tot profanis praeteritae aetatis
impedimentis tandem expedita, ex hoc Vaticano Templo, veluti altero Apostolorum
Cenáculo, per vos vocem suam, maiestatis gravitatisque
plenam, attollere possit.
- Es genügt ein kurzer Blick
auf die Kirchengeschichte, um sofort zu erkennen, wie die ökumenischen
Konzilien selber, die doch eine Reihe ruhmreicher Taten der Kirche waren, oft
durch unzulässige Einmischung der staatlichen Autoritäten nicht ohne große
Schwierigkeiten und Schmerzen begangen werden konnten. Die Fürsten dieser Welt
nahmen sich zwar zuweilen vor, mit aller Aufrichtig dem Schutz der Kirche zu dienen,
aber das geschah meistens nicht ohne geistlichen Schaden und Gefahr, da jene
Herren oft von politischen Gesichtspunkten geleitet wurden und eine recht
eigensüchtige Politik trieben.
Wir möchten Euch heute
gestehen, wie sehr Wir darunter leiden, daß viele unserer Bischöfe hier
abwesend sind, uns aber sind sie sehr teuer. Sie wurden wegen ihrer Treue zu
Christus eingekerkert, oder sie werden durch sonstige Hindernisse festgehalten.
Der Gedanke an sie veranlasst Uns, glühende
Gebete an Gott zu richten. Dennoch erkennen Wir nicht ohne Hoffnung und zu
Unserem großen Trost wie die Kirche heute, endlich von so vielen Hindernissen
irdischer Art befreit, aus dieser Vatikanischen Basilika wie aus einem
neuen apostolischen Abendmahlssaal durch Euch ihre Stimme in voller Majestät
und Größe erheben kann.
[17] Roberto de
Mattei, S. 197 ff: Die politische Bedrohungslage durch den Kommunismus und eine
geheime Abmachung zwischen Kardinal Tisserant und dem russisch-orthodoxen
Erzbischof Nikodim, einem KGB-Funktionär, hatte sogar erheblichen Einfluss auf
das Zurückweichen des Konzils vor einer Verurteilung des Kommunismus. Unsere
Liebe Frau von Fatima hatte die verheerenden „Irrtümern Russlands“
vorhergesagt. Das Konzil konnte sich trotz Ihrer Warnung und trotz der Voten
vieler Bischöfe nicht zu einer Verwerfung durchringen.
[18] AAS 54 (1962), 788
- Quod autem ad originem et causam attinet maximi huius eventus, propter quem
placuit Nobis vos hic congregare, satis est iterum afferre testimonium humile
quidem, sed quod Nos ipsi experientia possumus probare : primo enim paene ex inopinato
hoc Concilium mente concepimus, ac deinde simplicibus verbis enuntiavimus coram
Sacro Purpuratorum Patrum Collegio fausto die illo vicesimo quinto mensis
Ianuarii anno millesimo nongentesimo quinquagesimo nono, in festo Conversionis
Sancti Pauli Apostoli, in ipsa eius Patriarchali Basilica ad viam
Ostiensem. Statim adstantium animi subito tacti sunt, quasi supernae lucis
radio coruscante, et suaviter omnes affecti in vultu oculisque.
Simul vero vehemens studium toto terrarum orbe exarsit, cunctique homines
Concilii celebrationem studiose exspectare coeperunt. -
[19] Roberto de Mattei,
S. 153+154
[24] Vgl. Joh. 16, 13: Cum
autem venerit ille, Spiritus veritatis, deducet vos in omnem veritatem; non
enim loquetur a semetipso, sed quaecumque audiet, loquetur et, quae ventura sunt, annuntiabit
vobis.
[25] Der Begriff
des „Neuen Pfingsten“ für das 2. Vatikanische Konzil zeugt von einer Hybris.
Ein Beispiel für die alltägliche klerikale Hybris dieser Haltung ist folgendes
Zitat: Pfarrer Josef Mohr auf http://www.se-nord-hd.de/html/2012694.html?t=c27272cc0839d12580bab49e67e13020&
- Predigt vom 27.5.2012: "Es geht um die Zukunftsfähigkeit der
röm.-kath. Kirche: „Wer nicht mit der Zeit geht, muss mit der Zeit gehen!“
Dieses Sprichwort, so fürchte ich, wird sich für unsere Kirche auf dramatische
Weise immer mehr bewahrheiten, wenn sie nicht wage-mutig einen neuen Aufbruch,
ja einen neuen Ausbruch wagt aus jener Erstarrung und Lähmung, welche der
Pfingstgeist immer neu überwinden will."
[28] Artikel in
der „Welt“ vom 27.10.2008 hatte die Überschrift: „Johannes XXIII. – der sturste
aller Päpste“ und beschreibt, wie dieser Papst Priestern sogar verbot, mit
ihrer eigenen Mutter im Auto zu fahren.
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