VII. Stäbe
— Lituus, Szepter, Zauberstab, Prügel, Fasces oder Wanderstock?
Nachdenken über die herrliche Freiheit
Gottes und seiner Kinder und die trostlose Unfreiheit des kultischen
Liktorenbündels in Rom und anderswo
In der jüngeren Theologiegeschichte
kreuzen sich zwei Gedankenwege:
Der anfangs erwähnte Odo Casel OSB
entwarf seine
„Mysterientheologie“,
die das eucharistische Geschehen im Sinne heidnischer antiker Mysterienspiele
deutet. Und im 19. Jh schrieb Alexander Hislop sein berühmtes Buch
„Von Babylon nach Rom. Der Ursprung der
römisch-katholischen Religion“.
[i]
Ähnlich wie Martin Luther in seiner Schrift
„De
captivitate babylonica ecclesiae“ von 1520 sieht Hislop im in die Kirche
eingedrungenen Papstkult, in dessen Folge die Abendmahlsfeier pervertiert
wurde, die Anmaßung und Häresie Nimrods, des ersten gewalttätigen
Weltherrschers, der den Turm zu Babel baute, verwirklicht. Aus Luthers kurzer
Erwähnung dieses Gedankens schafft Hislop einen ausführlichen Gedankengang.
Hislops sprachliche Ableitungen werden häufig und zu recht kritisiert. Die
Grundaussage seines Buches aber deckt sich, sorgsam durchdacht, mit dem
Denkansatz Odo Casels, wenn auch „gegenläufig“.
Beide gehen vom selben Grundgedanken
aus, dass der katholische Kult nicht nur heidnisch inspiriert ist, sondern ihn
„ideal“ verwirklicht. In unseren Tagen wird wiederum in negativer
Interpretation von Theologen und Religionswissenschaftlern wie Hubertus Mynarek
der Katholizismus als ein Machtgebilde beschrieben, das aus allen antiken
heidnischen Religionen ein Sammelsurium an Motiven zusammengeklaubt und
kompiliert habe, die populär und vermarktbar sind, jederzeit mit neuen
Elementen angereichert werden können und auf diese Weise eine perfekte
Strategie sind, die Welt zu unterwandern und zu beherrschen.
[ii]
Casel setzt voraus, dass die Kirche
immer diesen Kult gehabt habe, den sie aus Ermangelung an Vorbildern im AT dem
Hellenismus entnahm, der aber, wie alle heidnischen Kulte, nur ein schwacher,
aber grundsätzlich einer guten Urreligiosität entstammender „Vorläufer“ auf die
Kirche hin gewesen sei. Hislop dagegen glaubt, dass man mit dem Kultwesen schon
in der Vorzeit der babylonischen und ägyptischen Religion überhaupt erst
abgekommen sei vom wahren Gottesdienst und seine heidnische Ausprägung nicht
Vorläufer auf die Kirche oder Christus hin war, sondern eine Perversion
jeglichen rechten Glaubens, die durch Nimrod eine erste zentrale und
„welteinheitsstiftende“ Dimension errang, die von Gott selbst zerstreut wurde.
Die Zerstreuung der Menschheit in Völker und Sprachen ist — so verstanden —
ebenso Folge einer ersten, spirituell getönten und welteinheitsstiftenden
Herrschaft wie Voraussetzung für das Einwirkenkönnen seitens Gottes und damit
eine erzieherische Gnade. Daraus folgt nicht, dass die Menschheit nicht
eigentlich eine wäre. Auch folgt daraus nicht, das nun Nationen etwas seien. Es
folgt daraus, dass in der Schwäche unserer Lage eine Zerstreuung in Völker uns bisher
davor bewahrt, unserer hochmütigen Schwäche ganz zu verfallen.
Doch schauen wir uns eines nach dem
anderen etwas genauer an:
Odo Casel skizziert kritisch die
nachtridentinische Verkrustung des kirchlichen Eucharistieverständnisses weg
vom
„gemeinsam gefeierten Mysterium der Erlösung“
hin zu einer losgelösten Verehrung des Altarsakramentes in Form subjektivierter
Andachten (wie der Herz-Jesu-Verehrung, des Marienkultes, verschiedener
Heiligenkulte), aber auch einer Potenzierung der Beichte, einer nicht mehr
gesunden Selbstbeobachtung, der Abhängigkeit von „Seelenführern“ und der
Vorstellung, die Messe sei ein Begegnungsort mit dem gegenwärtig werdenden
Herrn. Casel stellt zu recht fest:
„Das
Gnadenleben, das Bewußtsein der Erlösung trat zurück hinter dem besorgten Kampf
um das individuelle Seelenheil.“
[iii]
Wem fiele da nicht sofort Luthers verzweifelte Suche nach einem
„gnädigen Gott“ und die zum Widerruf
erpresste Jeanne d’Arc ein, die sich im 15. Jh geweigert hatte,
nicht zu glauben, dass sie ganz und gar
aus der Gnade lebe! Wir werden später auf die Frage zurückkommen, was Casel
unter
„Bewusstsein der Erlösung“
genau versteht. Klarsichtig erkennt er — wohl unbeabsichtigt — den Zusammenhang
dieser Verkrustung
und Verfremdung mit
dem Machtstreben des Papsttums:
„Mit
dem Begriff der Kultgemeinde ging das konkrete Gemeinschaftsgefühl der Gemeinde
(Pfarrei, Diözesen) zurück und verlor an Intensität zugunsten der
weltumspannenden, aber naturgemäß weniger lebendig wirksamen Bindung an die
Universalkirche.“[iv]
Damit wird der vor 1000-500 Jahren
noch verfrüht erhobene „Weltherrschaftsanspruch“ der spätmittelalterlichen
Kirche durch Gregor VII. und Bonifaz VIII. ausgesprochen. Die „Welt“ als ganze war
noch nicht oder nicht mehr bekannt. Die Fixierung auf ein bestimmtes Modell der
Erde (Globuserde), die vor 500 Jahren überhaupt erst in Gang gesetzt wurde,
sollte daher als Element der Versklavung unseres Geistes nicht unterschätzt
werden.
[v]
Als man aber glaubte, sie vollständig entdeckt und beschrieben zu haben, setzte
das ein, was Casel kritisch beschreibt.
Casel überwindet in dieser
kritischen Beschreibung nicht den kultischen Charakter der Hl. Messe. Man hat
den Eindruck, dass der Horizont seiner Kritik die Frage, ob denn Jesus Christus
überhaupt einen Kult geboten hat, nicht erreicht.
Auf Infragestellungen seiner
Theorien, etwa durch P. Johann Baptist Umberg SJ
[vi],
reagierte er mit einer methodisch tautologischen Wiederholung seiner Prämissen.
Er leugnet nicht die Vereinnahmung heidnischer Mysterienpraxis durch die
Kirche, tut aber diejenigen, die fragen, warum das Christentum denn überhaupt
glaubte, das notwendig zu haben, mit einer verräterischen Arroganz als
„simpliciores“ ab. Er kommt nicht umhin,
zuzugeben, dass das, was von Jesus und den Aposteln überliefert wurde, auch
ohne „Mysterien“-Kult ausgekommen wäre. Für ihn ist nicht entscheidend, ob die
Kirche ohne diese Kultpraxis ausgekommen
wäre,
sondern ob sie faktisch ohne sie ausgekommen
ist. Und weil sie nicht ohne Mysterienkult ausgekommen ist, ist er
auch notwendig und richtig. Eine solche Argumentation ist gefährlich, denn sie
suggeriert, dass ein Irrtum nur lange genug etabliert worden sein muss, um
seinen Charakter als Irrtum zu verlieren. Wahr ist in einem solchen Denken
immer nur das, was sich machtvoll durchsetzt. Er verweist auf die umfassende
Mysterienbegriffswelt der Kirche der Spätantike und zieht den Schluss:
„Man
kann doch wohl nicht annehmen, daß die Kirche ihren Kult ein Mysterium nennt,
weil er kein Mysterium ist; auch ist
es nicht die Art der Kirche, mit hochtönenden, fremdartigen Ausdrücken um sich
zu werfen, um ihrem Tun einen exotischen Schimmer zu geben; ferner wird sie es
auch vermeiden, ihre Kinder durch einen uneigentlichen Gebrauch solcher Termini
in Irrtümer zu stürzen.“[vii]
Diese Argumente halten einer
wissenschaftlichen und vor allem einer logischen Prüfung nicht stand. Natürlich
kann möglicherweise das, was sich nach der staatlichen Vereinnahmung des
Sol-Anbeters Konstantin als Staatskirche etabliert, aus Anpassungsgründen einen
wesensfremden Kult, der sich bereits schon hineingefressen hat in die
Versammlungen der Christen, einführen, obwohl der christliche Glaube
ursprünglich keinen Kult kennt. Natürlich kann die Kirche Begriffe einführen,
um diese Anpassungsleistung plausibel zu machen — es geht doch nicht um „exotischen Schimmer“! Und zu guter
letzt muss man, wenn man klug ist, damit rechnen, dass eine durch die
politische Macht korrumpierte Kirche, die in sich zuvor zerstritten und uneins
war über viele wesentliche Fragen, ihre Kinder sehr wohl in „Irrtümer stürzt“. Es gibt keinen
vernünftigen Grund, dies auszuschließen, zumal das NT keinen Glauben „an die
Kirche“ iS einer organisierten Machtinstitution gebietet — vielleicht mit gutem
Grund. Wir wissen, dass in irdischen Institutionen immer das Recht dessen gilt,
der sich durchsetzt. Er schreibt die Geschichte —die Wahrheit wird dem
Mächtigen zugeschrieben, aber das Reich Christi ist nicht von dieser Welt und
ihren Mächtigen, auch dann nicht, wenn sie plötzlich „christlich tun“. Das NT
kennt — unter Verfolgung und Not geschrieben! — den Glauben an Jesus Christus,
es kennt die Einigkeit in der Lehre der Apostel und die Bürgerversammlungen der
„Freien“ („ecclesiae“) in Christus,
aber bereits schon in dieser Zeit heftige Auseinandersetzungen in der Lehre und
vor allem den Rückfall in heidnische oder gesetzliche Denkweisen. Eine
Institution „Kirche“ mit autoritärer Lehrbefugnis, einer angeblich von Christus
selbst gestifteten „Hierarchie“, womöglich unter einem unfehlbaren Papst, kennt
es nicht. Im Grunde geht das NT von einem pneumatologisch ausgerichteten ecclesiae-Konzept (ein Plural!) aus, das
nicht formell festgeschrieben werden kann, um nicht am Ende die Wahrheit und
das freie Wirken des Hl. Geistes zugunsten einer verkehrten oder korrupten
Institution aufgeben zu müssen. Die johanneischen „Antichristen“, die aus dem weiteren Apostelkreis kommen, „aus unserer Mitte“ (1. Joh 2 19), aber
auch die „Irrlehrer“, die die
Gemeinden schon damals heimsuchen, gehen ja nicht erklärtermaßen von einem
„wahren Ort“ einer „wahren Kirche“ weg, sondern sie haben sich „eingeschlichen“ (Judas 4f). Sie streben nicht weg von den
Gemeinden, sondern sie streben allesamt in sie hinein, um sie zu verderben. Man
muss damit rechnen, dass sie sich an dem Ort der ecclesiae auch behaupten und vorgeben, sie seien der wahre
Christus. Wer das nicht annimmt, nimmt die eindringliche Warnung Jesu, des
Johannes, des Judas und des Paulus vor den „reißenden Wölfen“ im Gewand der
Schafe nicht ernst und macht sich selbst zur leichten Beute.
Man kann Casels leichtfertige Argumentation,
die so oder so ähnlich auch an anderer Stelle auftaucht, als ein gutes Beispiel
für die Maxime „Was nicht sein kann, das nicht sein darf“ ansehen. All seine
„Beweise“ für einen frühen Kult aus der Väterliteratur sind entweder zu späte
„Beweise“ und für die Frühzeit nicht aussagekräftig, oder sie sind uneindeutig
und könnten auch anders gedeutet werden.
Casel gibt zu, dass das Judentum
und der Glaube Israels keinen Mysterienkult kannten. Er behauptet weiter, dass
„die Kirche dem ihr eigenen Eidos des
Mysterienkultes sprachlichen Ausdruck verleihen wollte“ und zu diesem
Behufe
„mußte sie die antike Kultsprache
der Mysterien verwenden.“ Mit diesem Akt schuf sie sogar die
„ideale Verwirklichung“ dessen, was im
antiken heidnischen Mysterienkult keimhaft angelegt gewesen sei.
[viii]
Das sind Argumente, die, gegen den
Strich gelesen, belegen, dass diese Auffassung des Christentums als eines
Mysterienkultes nicht etwa eine biblische Konsequenz, weder aus dem Alten Bund
noch erst recht aus dem Neuen Testament, sondern das „Eidos“ der „Kirche“ ist, was immer man unter „Kirche“ nun
verstehen will. „Eidos“ heißt hier:
„immanente Form“, eine Art „Wesenskern“ der Kirche. Es handelt sich dabei um
eine Prämisse, die nicht weiter begründet wird oder werden könnte. Casel geht
von der Voraussetzung aus, es sei der „Kirche“ von Anfang an immanent gewesen,
einen Kult auszubilden, wobei sie damit nicht das Erbe Israels fortsetzt,
sondern das heidnische Erbe, das sie dabei auch noch „ideal“ verwirklicht.
Casel lässt eine Hinterfragung
dieser Hypothese, die er wie eine conditio
sine qua non vorträgt, um keinen Preis zu.
Gewiss fragt sich der Leser, warum
er so sehr daran hängt, dass Christlichkeit zugleich „Kult“ bedeuten müsse. Es
ist naheliegend, diese Frage damit zu beantworten, dass er wie alle braven und
systemkonformen Katholiken das, was sich bereits etabliert und teilweise
dogmatisch verfestigt hat, nicht mehr unterschreiten würde, auch dann nicht,
wenn alles vernünftige Denken und unzweifelhafte Forschungserkenntnisse dagegen
sprächen. Es ist im Denken der Katholiken tief verankert, dass der Fall eines
grandiosen Irrtums nicht mehr eintreten kann, denn die Kirche lehrt
„unfehlbar“. Was alles unter das „unfehlbar Vorgelegte“ fällt, ist aber
nirgends präzise und eindeutig definiert und die Meinungen gehen darüber weit
auseinander. Den höchsten Gewissheitsgrad hat aber alles, wovon die Kirche
behauptet, es sei „de fide“ und genau
so „von Gott geoffenbart“.
Für Casel kann der Gegenstand des
christlichen Glaubens ohne Kult weder erkennbar, noch wirksam werden:
„Das
Mysterium ist eine heilige, kultische Handlung, in der eine Heilstatsache unter
dem Ritus Gegenwart wird; indem die Kultgemeinde diesen Ritus vollzieht, nimmt
sie an der Heilstat teil und erwirbt sich dadurch das Heil.“
[ix]
Diese Aussage ist mehr als
problematisch, denn es findet sich keinerlei Hinweis im NT darauf, dass das
anfangs so aufgefasst wurde und folglich nur so sein könne. Im Gegenteil fällt
alles, was das NT zum Thema „Heilsgewinnung“ sagt, als geradezu erfrischend
„formlos“ und befreiend auf. Nirgends wird ein Kult geboten, nirgends eine — im
strengen Sinne — rituelle Form. Es werden zahlreiche Menschen beschrieben, die
angetrieben durch die Sehnsucht nach dem Heiligen und nach Erlösung sich auf
verschiedenste Weisen aufmachen und Jesus suchen. Nicht selten verstoßen sie
damit gegen rituelle und gesetzliche Vorschriften und werden von Jesus in
Schutz genommen — ob es um Krankenheilungen am Schabbat, um Jesu Berührung mit
der (daher „unreinen“) blutflüssigen Frau oder seine Verteidigung der
Ehebrecherin gegen eine Steinigung war. Er hat nicht einen, nicht eine
hinausgewiesen. Der Wortwechsel zwischen Jesus und der Samariterfrau am
Jakobsbrunnen weist auf eine Form der Anbetung hin, die sich völlig von dem,
was bisher üblich und bekannt war, abheben wird:
„20 Unsere
Väter haben auf diesem Berg Gott angebetet; ihr aber sagt, in Jerusalem sei die
Stätte, wo man anbeten muss.
21 Jesus
sprach zu ihr: Glaube mir, Frau, die Stunde kommt, zu der ihr weder auf diesem
Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet.
22 Ihr
betet an, was ihr nicht kennt, wir beten an, was wir kennen; denn das Heil
kommt von den Juden.
23 Aber
die Stunde kommt und sie ist schon da, zu der die wahren Beter den Vater anbeten
werden im Geist und in der Wahrheit;
denn so will der Vater angebetet werden.“ (Joh 4)
Fraglich ist auch die Auffassung,
die Kultgemeinde müsse „an der Heilstat
teilnehmen“, um das Heil „dadurch zu
erwerben“. Das NT spricht davon, dass man diese Heilstat annehmen muss in das eigene Herz, und
„Annahme“ als persönliche Zustimmung ist ein wesentlich anderer Akt als die persönliche
„Teilnahme“: „Quotquot autem receperunt
eum, dedit eis potestatem filios Dei fieri, his qui credunt in nomine ejus.“
(Joh 1, 12) — „Wie viele auch immer ihn
aufgenommen haben, denen gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, denen, die an
seinen Namen glauben.“ Das ist die neutestamentliche Aussage im
Johannes-Prolog, die uns sagt, wie man das Heil erwirbt! Casel verkennt, dass
eine bloße äußere Teilnahme keine Herzensannahme impliziert. Er hält die
Veräußerlichung des Beiwohnens in einer Hl. Messe für eine Fehlentwicklung der
nachtridentinischen Kirche. Er sieht nicht, dass auch ein aktiveres Mittun des
einzelnen im Mysterienspiel über die Problematik der Veräußerlichung
hinsichtlich des Evozierten nicht hinausgelangen kann, weil er ja voraussetzt,
dass der Gläubige inwendig noch nicht ein für allemal ergriffen ist von der
„Urtat“ Jesu..
Demgegenüber will ich betonen: Wiederholen
kann und darf man eine Heilstat nicht. Könnte man es, würde man sie
annullieren. „Consummatum est“, sie
ist vollbracht. Wir leben aus ihrer Frucht und nicht aus ihrem Vollzug, der
ewig währen würde. Ewig ist die Frucht, aber zeitlich war der Vollzug.
Gravierend ist der Hinweis Jesu an
die Samariterin, dass Gott nicht in Riten und Formen oder an bestimmten Orten
angebetet werden will, sondern „im Geist
und in der Wahrheit“. Das heißt: „nicht im Fleisch“ und „nicht in der
äußeren Form“, die immer unwahr bleiben muss, wenn sie es ist, die Wahrheit wie
ein Stützkorsett ausdrücken soll — Wahrheit bedarf keiner rituellen Form, weil
sie aus sich selbst heraus und vollkommen wahr ist und ihre angemessene Form
selbst findet. Aus einer natürlichen Form kann keine übernatürliche Wahrheit
erzeugt werden. Aber die übernatürliche Wahrheit kann sich im Bereich des
Natürlichen auf ihre Weise kundtun.
Jedem möglichen Einwand begegnet
Casel mit dem alten scholastischen Kniff, das behauptete kultisch zu
verwirklichende
„eucharistische
Mysterium“ sei voll vereinbar mit den
„Denkgesetzen“,
wo aber nicht, gelte, dass die
„fides der
menschlichen Unzulänglichkeit supplementum praebet“.
[x]
Auch diese Argumentation ist
bekannt als das scherzhafte „Der Chef hat immer recht, und wenn er nicht recht
hat, gilt, dass er immer recht hat.“
Mit diesem Kniff ist jeder noch so
berechtigte Einwand schachmatt gesetzt: der Glaube macht es möglich, jede noch
so große Absurdität zu glauben… und zugleich erklärt man den Gläubigen in
schwindelerregenden Gedankenpirouetten, dass Glaube und Vernunft sich
gegenseitig bedingten…
Um zu vermeiden, in der
Messopfertheologie das einmalige, historische Opfer erneut zu opfern,
definierte die Kirche, dass es „nur“ sakramental, also im Mysterium, ein Opfer
sei. Casel zitiert die bekannten Sätze:
„Christus in mysterio, in sacramento iterum
moritur, iterum immolatur.“[xi]
„In
mysterio“ bzw „in sacramento“
meint hier „in sakramentaler Seinsweise“. Das Kreuzesopfer werde „sakramental vervielfältigt“. Was aber
soll das heißen? Wer ist in der Lage, diesen Gedanken wirklich zu verstehen?
Das alles klingt ungeheuer gelehrt,
schwärmerisch und „geschwollen“, aber als „simplex“
frage ich dennoch: „Warum muss es denn
vervielfältigt werden? Genügt das eine Mal denn nicht als Faktum in der
historischen Zeit für alle Ewigkeit, eben weil der, der es vollzog, vom Himmel
und aus der Ewigkeit kam?“
Wenn man eine Schuld tilgt, muss
man sich bis ans Ende des Lebens täglich erneut vor Augen halten, dass man
einst ein Schuldiger war? Muss man allezeit wie Lots Frau erstarren im Stand
des Zurückblickens auf Sodom?
Was soll andernfalls der Satz Jesu
heißen: „Nemo mittens manum suam ad
aratrum, et respiciens retro, aptus est regno Dei.“ (Lk 9, 62) — „Niemand, der seine Hand an den Pflug legt
und zurückschaut, ist geeignet für das Reich Gottes.“
Casel behauptet, man könne den
Charakter der Eucharistiefeier als Mysterienfeier schon bei Paulus und den
frühesten altkirchlichen Zeugnissen erkennen und sieht in Berengar von Tours im
11. Jh den ersten wesentlichen Angriff auf diese angeblich immer vorhandene
Auffassung.
Das ist nicht nur — wenn man sich
etwa die paulinischen Ausführungen ansieht — eine unhaltbare Aussage, sondern
auch, wenn man die Kirchengeschichte und die ersten Auseinandersetzungen zur
später dogmatisierten Abendmahlslehre untersucht, die im 9. Jh unverkennbar und
gut bezeugt ausbrechen. Die Lehre von der Transsubstantiation etwa, genauso wie
die, dass Christus überhaupt corporaliter
realpräsent und die Messfeier eine sakramentale „Nachahmung“ des
Opfergeschehens sei, wird als neue Lehre
durch Amalar von Metz im 9. Jh aufgebracht. Ältere Auffassungen mögen in der
nachkonstantinischen Zeit von einem „Opfer“
ausgehen, aber es wurde nicht deutlich definiert, und doch eher als geistiges Opfer verstanden. Es war
durchaus nicht klar, wer oder was das Opfer in dieser Feier ist — ist es
Christus, das Lamm Gottes, oder ist unser Dank und Lob das Opfer, das Gott
wohlgefällt, wenn wir in seiner Nachfolge und im Gedenken an ihn das Brot
brechen?
In Casels weiteren Ausführungen
wird deutlich, warum er es für logisch unerlässlich hält, ein sakramentales
Opfer anzunehmen, das corporaliter gedacht werden muss:
„Wie
kann ein vergangenes Ereignis für uns heute wieder Wirklichkeit werden? Das
Problem ist (…) eng verbunden mit dem der realen Präsenz und an sich nicht
größer als dieses. (…) Die kirchliche Tradition betont immer wieder, daß es
sich nicht um eine Wiedergegenwärtigsetzung des historischen Aktes an sich, als
solchen handelt; sie stellt gegenüber: semetipso oder in facto und in
sacramento (mysterio). Christus ist einmal gestorben in semetipso, täglich
stirbt er in sacramento.“[xii]
Die erste logische Frage, die sich
angesichts solcher Gedanken stellt, ist: Warum muss denn überhaupt „ein vergangenes Ereignis für uns heute
wieder Wirklichkeit werden“? Die zweite logische Frage lautet: Warum muss
Christus um jeden Preis immer noch „täglich
sterben“, und damit er nicht „in
semetipso“ stirbt, muss er „in
sacramento“ sterben?! Wer ist derjenige, der ein großes Interesse daran
hat, dass Christus immerzu sterben muss, nenne man es doch, wie man will, im
Ergebnis muss er immerzu sterben… und dass er lebt, muss zurücktreten hinter
diesem „ewigen“ Sterbenmüssen…
Beginnen wir, vernünftig und
ehrfürchtig von Jesus und folgerichtig und nüchtern zu denken:
Hat ein Ereignis, das eine neue
Situation schafft, nicht eine neue Wirklichkeit ein für allemal geschaffen?
Warum glaubt Casel mit der Kirche, sie müsse immer wieder sakramental neu
hergestellt werden? Sie ist doch
wirklich — und zwar „wirklich wirklich“. Wozu der Zauber von einer
„sakramentalen Wirklichkeit“ der „wirklichen Wirklichkeit“? Ich frage mich, wie
ernst er das Kreuzesopfer so überhaupt nehmen kann, wenn er glaubt, es müsse
sakramental wirklich werden, als sei es nicht „wirklich wirklich“… Woher diese
Idee, man müsse die wirkliche
Wirklichkeit einer sakramentalen
Wirklichkeit „gegenüberstellen“?
Oder anders gefragt: Ist ein in die Zeit gesenktes Ereignis, sobald es
vergangen ist, nicht mehr „wirklich“?! Mit einer solchen Sichtweise müsste ich
bezweifeln, dass ich je geboren wurde, dass ich einmal Abitur gemacht habe und
mein Studium abgeschlossen habe. Ich müsste meine Eheschließung bezweifeln und
jede Erfahrung, die mein Leben unwiderruflich verändert hat, nur deshalb, weil
sie in der Zeit begrenzt wurde, ihre Wirkung aber stets bezeugt, dass sie
geschehen und darum wirklich ist. Ich müsste jeden Mörder laufen lassen, weil
seine Tat, sobald sie abgeschlossen ist, angeblich nicht mehr „wirklich“ wäre…
Wir feiern die Geburtstage unserer
Kinder nicht, damit der Gefeierte immer wieder geboren wird auf einer
fantastischen Ebene und wir ohne eine solche Feier bezweifeln müssten, dass er
wirklich ins Leben gekommen ist, sondern weil wir uns freuen, dass er da ist,
dass er, der vorher nicht war, jetzt ist.
Man wird auch, um die Erfindung des
Autos zu feiern, nicht immerzu das Auto wieder neu erfinden müssen, man wird es
nicht nötig haben, sich durch die evozierte Neuerfindung immerzu des Autos zu
vergewissern — eine Welt ohne Autos ist doch längst Geschichte, eine Welt mit
Autos ist Faktum. Nicht anders, ja, noch viel schärfer, ist es mit der Welt
nach Christus. Haben wir nicht die gesamte Zeit nach ihm anders berechnet als
die vor ihm, und sind nicht alle Jahre nach seiner Erscheinung „anni domini“?!
Der grundlegende Denkfehler Casels
(und vieler anderer) besteht darin, dass sie ein historisches Ereignis nicht
als das auffassen, was es ist: in der Zeit einmalig, aber eigendynamisch
folgenreich und vom Wesen her fähig, eine gänzlich neue Situation als Faktum zu
schaffen, das unwiderruflich ist. Wir zählen die Zeit vor und nach Christus,
aber wir meinen damit nicht, dass wir immerzu Christus wirklich werden lassen
müssten, sondern dass die Zeit nach ihm unwiderruflich eine andere Situation
ist als die Zeit vor ihm.
Es ergibt, wenn man so gradlinig
denkt, keinerlei Sinn, Christus täglich „in
sacramento sterben zu lassen“: Warum sollte man das tun? Mit welchem Ziel,
welcher Absicht und welchem Effekt? Was bietet die sakramentale Opferung über
das historische Opfer hinaus denn an „Mehrwert“ hinsichtlich der Erlösung?
Bietet sie nicht vor allem einen spirituellen Erlebniswert, eine großartige
ästhetische und fantastische Ausschmückung, mithilfe derer die Priesterkaste
die Gläubigen an sich bindet und vor allem sich selbst erhöht und notwendig
macht, und weniger das Einfache, was in ihr ursprünglich gemeint war (nämlich
die Erlösung aus der Sündenverfallenheit), die seither schlicht gilt?
Und immer wieder sei gefragt: War
es das, was Jesus wollte? Casel interessiert dies nicht. Er ist völlig umfangen
von dem, was eine bestimmte „Lobby“ in der Kirchengeschichte wollte, als sei
das das Maß der Dinge.
Er stützt sich ganz und gar auf die
„sakramentale Welt“, die die kirchliche Überlieferung geschaffen habe und wirft
seinen Kritikern vor, sie beachteten nicht, dass man hinsichtlich dieser
„sakramentalen Welt“ nicht mit den Maßstäben der alltäglich erlebten Welt
argumentieren könne.
Mir erscheint dies als Ausflucht:
schaffe ich eine virtuelle Welt, eine Art „Anderwelt“,
wie man heute in esoterischen Kreisen sagt, und behaupte, ohne sie
vorauszusetzen könne man die alltägliche Welt spirituell nicht verstehen, mache
ich nichts anderes als das, was die Heiden tun und was das Heidentum kennzeichnet.
Casel gibt selbst zu, dass Israel
solches Denken nicht kannte. Man müsste präzise sagen: im AT findet eine
scharfe Auseinandersetzung zwischen einem solchen heidnischen Denken statt und
einem eigentümlichen Ernüchterungsprozess, den Israel durchläuft. Immer wieder
werden die heidnischen Kulte entzaubert, entmythologisiert und mit ihnen auch
die damit verknüpften Vorstellungswelten.
Wenn also das Erbe Israels eine
Ernüchterung bedeutet, und Jesus ganz diesem Erbe entstammte, ist es nicht
einsichtig, warum der Sohn Gottes und Israelit ausgerechnet ein Mysterium iS
des Heidentums gemeint haben sollte, als er das Abendmahl feierte, oder
womöglich dessen doch durchweg kritisierten Denkansatz „ideal“ habe entfalten wollen.
Die sakramentale Halbwelt will so
gar nicht zu der Schärfe und Klarheit, zu der gewaltigen geistigen Welt passen,
mit der der erlöste Mensch nun in Berührung gebracht wird ohne jedes Beiwerk
der „schwachen und armseligen Elemente“
dieser Welt (Gal 4, 9). Und hat nicht gerade Paulus vor solcher philosophischer
Verzeichnung gewarnt: „Videte ne quis vos
decipiat per philosophiam et inanem fallaciam secundum traditionem hominum
secundum elementa mundi et non secundum Christu.“ (Kol 2, 8) — „Seht zu,
dass nicht einer euch täuscht durch Philosophie und eitlen Trug gemäß der
Tradition der Menschen und gemäß den Elementen der Welt und nicht Christus
gemäß.“
Im NT spiegelt sich eine erneute
scharfe Trennung zwischen dem nüchternen Glauben, der „Christus angezogen hat“
(wie ein Kleid) und dem Zauberdenken der spirituellen Traditionen der Heiden.
Paulus beklagt, dass die Gläubigen freiwillig zurückfallen entweder ins
jüdische Gesetzesdenken (das er an dieser Stelle mit der Schwäche der
heidnischen Denkansätze vergleicht) oder in pagane, meist philosophisch getönte
Spekulationen und Regeln:
„Convertimini
iterum ad infirma et egena elementa!“ (Gal 4, 9) ruft er aus. „Ihr kehrt euch wieder zurück zu den
schwachen und erbärmlichen Elementen!“
Es ist — nach Paulus — die
Versklavung unter die „elementa egena“,
die uns zu den armseligen, aber mysteriösen spirituellen Verrenkungen zwingen,
die sakramentalen Halbwelten schaffen müssen, um sich den Trost der religiösen
Verwurzelung zu schaffen. Wir sind aber doch losgekauft worden, um Söhne und
Töchter zu sein und damit Erben vor Gott, die jetzt schon in ihren Herzen den
heiligen Geist empfangen haben, der uns erlaubt, „Abba“ (Vater) zu rufen (Gal 4, 5f).
Wenn es so ist, wie Paulus sagt,
ergibt es keinerlei Sinn, in einem Mysterienspiel das Kreuzesopfer sakramental
wirklich werden zu lassen. Es ist
wirklich, indem wir nun Söhne und Töchter sind.
Dass dies aber so ist, beruht auf Glauben und nicht auf Schauen:
„5 Gott
aber, der uns gerade dazu (zu einem Verschlungenwerden vom Leben, Anm HJ, vgl V
4) fähig gemacht hat, er hat uns auch als ersten Anteil den Geist gegeben.
6 Wir
sind also immer zuversichtlich, auch wenn wir wissen, dass wir fern vom Herrn
in der Fremde leben, solange wir in diesem Leib zu Hause sind;
7 denn
als Glaubende gehen wir unseren Weg,
nicht als Schauende.“ (2. Kor 5, 7)
Unser erster „Anteil“ an der neuen Lebendigkeit und der „neuen Kreatur in
Christus“ ist nicht ein Kult, sondern der „Geist“.
Die gebotene Abendmahlsfeier muss
von daher anders verstanden werden. Jesus sprach von einer „commemoratio“. Casel erwähnt diesen Begriff als einen typischen
Begriff des Heidentums und seines Mysterienglaubens.
Was ist eine „commemoratio“ bei den Heiden?
Eine „commemoratio“ ist allerdings auch im römischen Kontext nicht
vordringlich eine Mysterienhandlung, sondern eine „(erinnernde) Darlegung“ oder auch ein „Anführen“ (Zitieren) von etwas, dessen man in dieser Weise gedenkt.
„Commemorare“ als Verb meint immer
das Gedächtnis einer denkwürdigen Sache oder Person. Mit dem Gedenken
vergegenwärtigt man sich und möglichen Teilnehmern oder Zuhörern in der Tat
das, was denkwürdig ist. Eine mysteriöse Halbwelt aber, in die man die
Denkwürdigkeit „zaubert“ oder kultisch hinein hebt, ist damit im Normalfall
nicht verbunden.
Die Praxis antiker Mysterienkulte
ist uns — auch an dieser Stelle muss man Casels Denkansatz kritisieren — nur in
Umrissen bekannt, weil sie stets der Geheimhaltung unterlag. Nur die Mysten
hatten teil, nicht etwa jedermann. Auch dies unterscheidet den Mysterienkult
fundamental von christlichen Gemeinschaftsfeiern, an denen niemand
ausgeschlossen sein kann, der getauft ist und im Glauben steht. Dass die Kirche
selbst den Begriff der „commemoratio“
liturgisch völlig anders versteht als bei der Eucharistie-Lehre, habe ich
bereits an anderer Stelle in diesem Aufsatz referiert.
Richtig ist aber, dass die alten Mysterienspiele
drei typische „Vergegenwärtigungen“ vollzogen, die dem, was Christen erinnern
bzw als Glaubensgegenstand kennen, ähnlich scheinen: den Kult eines sterbenden
und auferstehenden Gottes, den Mutterkult und den Unsterblichkeitskult.
Vorchristlich und parallel zur
Ausbreitung des christlichen Glaubens kennt man den Isis- und Osiriskult aus
Ägypten.
Die Hochphase der Mysterienkulte
scheint aber erst im Hellenismus und nach Christus erreicht worden zu sein.
Mysterienkulte und Christentum
entwickeln sich daher zeitgleich. Erstere erreichten ihre Blüte, letzteres
verbreitete sich schnell im ganzen Reich.
Der Eleusiskult, der Dionysos-Kult,
der Kybele-Kult konnten sich durch die Mobilität innerhalb des römischen
Reiches genau wie das neu entstandene Christentum leichter und weiter
verbreiten. Einige Kaiser waren selbst Geweihte dieser Kulte. Ein interessantes
Phänomen sind die „galli“, die
heiligen Eunuchen im Dienst der Muttergöttin (Kybele), die nach ihrer
Kastration nur von Opferfleisch leben durften. Die Selbstentmannung im Rahmen
eines Mysterienkultes wurde allerdings von den römischen Behörden nicht
akzeptiert und unter Strafe gestellt.
Eine Besonderheit stellte der
Mithraskult dar, der seit dem 1. Jh n. Chr. im römischen Reich eine sehr weite
Verbreitung fand und als eine Abart des Sol-Kultes verstanden werden kann. Auch
hier ist nicht sicher bekannt, was die eingeweihten Mysten „dramatisierten“. Es
scheint ein „sakramentales“ Opfer-Mahl gegeben zu haben, bei dem Brot, Wein,
Fleisch und Blut geopfert und genossen worden sein sollen. Der höchste Priester
wurde „papa“ genannt und trug eine
Mitra, ein rotes Kleid, einen Ring und einen Hirtenstab. Er war „mitra lituoque decorus“ wie ein römisch-katholischer
„episcopus“ oder „Abbas“ (Abt).
Über Parallelen zwischen
Mithraskult und Christentum wird in der Forschung diskutiert. In jedem Fall
scheint die Gestalt des Mithras-Summus-pontifex bis in die feinsten Attribute
das Vorbild des Papstes und der Bischöfe zu sein, denn das NT kennt nichts
davon! Offen bleibt, ob das Christentum vom Mithraskult Elemente übernommen hat
oder der Mithraskult umgekehrt eine Nachahmung des Christentum sei, dies aber
Elemente der großen paganen Religionen aufnahm.
Ich möchte in diesem Zusammenhang
auf das Insignium des „Stabes“ („lituus“)
zu sprechen kommen, das in der Kirche eine große Rolle spielt:
Der bischöfliche Krummstab ist keineswegs
ein gemeiner Hirtenstab der Schäfer oder ein Wanderstab müder Pilger mit
blasigen Füßen, sondern leitet sich vom Augurenstab des antiken religiösen
Herrschers oder Gottes her, der sehr oft mit einem Krummstab dargestellt wurde.
Der Stab bedeutete das Herrschaftsszepter. Mit einem herrscherlichen Hirtenstab
werden Pharaonen ebenso dargestellt wie Osiris und Horus. Der Stab
symbolisierte die Macht über Wiedergeburt und Erneuerung, die Kraft des
Sonnenstrahles, des Phallus, ebenso wie einen „Zauberstab“. Die römischen
Hauptgötter wie Jupiter oder Ceres tragen alle einen solchen Stab. Der Stab ist
Zeichen der Herrschaft und der Sendung.
Wie ging Israel mit diesem starken
heidnischen Symbol um, das sich überall in der Welt auf die eine oder andere
Weise findet? Welche Rolle spielte es in seiner Geschichte?
In Psalm 45, 7 wird Gott alleine
ein „gerechtes Szepter“ (hebr. „schevet mischor“) zugesprochen.
In Gen 49, 10 wird ausgesagt, der Stamm Juda habe nur solange das Szepter, bis
sein „Schilo“, der „Löwe aus Juda“ (Apk 5, 5), der
wirkliche König käme. Diese Stellen sagen deutlich, dass keinem Menschen ein
Szepter zukommt, vor allem dann nicht, wenn der „Löwe aus Juda“ bereits bekannt geworden ist und mit Jesus Christus
identifiziert wurde. Er führt den wahren Hirtenstab und niemand sonst, wie es
in der Gen ausgesagt ist. Dieser Hirtenstab aber bedeutet weder Gewalt noch
Zauber für die Seinen, weder Phallus noch Prügelstock, sondern Trost und
Wegweisung (Ps 23: hebr. „misch’an“ —
„Stütze“; „schevet“ (s.o.)), wo sich sonst an den Stab in der ungerechten
Finsternis dieser Welt nur Böses und Trauer heftet.
Eine eigentümliche Bedeutung hat
ein Stab
(hebr. „matteh“ — Stab, Stecken,
Stamm) im Rahmen der Erzählung vom Auszug aus Ägypten im Buch Exodus
(hebr. „Schemot“, „Namen“), und der
Wüstenwanderung, die im Buch Numeri
(hebr.
„Bemidbar“, „In der Wüste“) beschrieben wird. Zunächst fordert Gott Mose
auf, den Stab, den Mose in der Hand hat — vermutlich den Hirtenstab, den er als
Schäfer der Herden seines Schwiegervaters nutzte, ein schlichter
„matteh“ —, auf die Erde zu werfen: es
wird eine Schlange draus
(hebr.
„nachasch“). Mose soll sie am Schwanz packen, und sie wird wieder zu einem
Stab (Ex 4, 2 ff). Diese Verbindung von „Stab“ und „Schlange“, die die Ägypter
beeindrucken soll, hat einen unguten Beigeschmack, wenn man bedenkt, wer die
Stammeltern einst verführte und wer sich hinter der Schlange verbarg und die
ganze Welt beherrscht. Unweigerlich treten uns die kultischen Schlangensymbole
der Ägypter vor Augen, insbesondere der Uräus.
[xiii]
Die Erzählung trägt eine gewisse Ironie in sich, wenn man sich vor Augen hält,
dass die Uräusschlange den Göttern und Pharaonen vorbehalten war, nun aber
durch einen schnöden Hirtenstecken von einem Sklavenabkömmling und Flüchtling
erzeugt und wieder zum Verschwinden gebracht werden kann. Es ist wie eine Persiflage
auf die ägyptische Mythologie, die hier dargestellt wird.
Gott fordert später Aaron wiederholt
auf, den Pharao durch Wunder zu beeindrucken (Ex 7, 9+15+17+19; 8, 1+12). Aber
Aaron als Mitglied der Sklavennation Israel und Bruder Moses’ hat mit Sicherheit
keinen auch Herrschaftsstab mit sich geführt! Gott hieß ihn, einen Stab (den
schlichten „matteh“) zu nehmen, als
er sich dem Pharao vorstellen sollte. Die Erzählung scheint Aaron den
ägyptischen Zauberern gegenüber zu stellen:
Die ägyptischen Zauberer haben
ebensolche Stäbe, mit denen sie vergleichbare Wunder vollziehen können. Nachdem
die Stabwunder Aarons sich als unbezwingbar erwiesen haben und der Stab des
Sklaven die Stäbe der königlichen ägyptischen Zauberer „verschlungen“ hatte (Ex 7, 12), wechselt Gott das Medium: Nun wird
nur noch durch Rede und andere Zeichen das Eingreifen Gottes angekündigt. Im
Kapitel 9, 8 sollen Aaron und Mose mit der bloßen Hand Ofenruß in die Luft
werfen, um damit eine Seuche über ganz Ägypten bringen. Es bedarf keines „Zauberstabes“
mehr! Auch die folgende Plage geschieht auf Befehl Gottes nun mit der bloßen
Hand: „Streck deine Hand zum Himmel
empor! Dann wird Hagel auf ganz Ägypten niedergehen.“ (V 22). Man muss
genau lesen: Mose tut nicht das, was Gott ihm gesagt hat, sondern er streckt seinen Stab gegen den Himmel. Der Herr
lässt es daraufhin dennoch donnern und blitzen. Man mag diese feine
Unterscheidung für „Hand“ und „Stab“ noch für unwesentlich halten. Wir wissen
jedoch aus dem Verlauf der Erzählung, dass Mose auch später noch einmal mit
diesem Stab agiert, wo Gott etwas anderes befohlen hat und deshalb samt Aaron
das Heilige Land nicht betreten darf:
„7 Der
HERR sprach zu Mose:
8 Nimm
den Stab und versammle die Gemeinde, du und dein Bruder Aaron! Sagt vor ihren
Augen zu dem Felsen, er solle sein Wasser spenden! Auf diese Weise wirst du für
sie Wasser aus dem Felsen fließen lassen und der Gemeinde und ihrem Vieh zu
trinken geben.
9 Mose
holte den Stab von seinem Platz vor dem HERRN, wie der HERR ihm geboten hatte.
10 Mose
und Aaron riefen die Versammlung vor dem Felsen zusammen und Mose sagte zu
ihnen: Hört, ihr Meuterer, können wir euch wohl aus diesem Felsen Wasser
fließen lassen?
11 Dann
hob er seine Hand hoch und schlug mit seinem Stab zweimal auf den Felsen. Da
kam Wasser heraus, viel Wasser, und die Gemeinde und ihr Vieh konnten trinken.
12 Der
HERR aber sprach zu Mose und Aaron: Weil ihr mir nicht geglaubt habt, um mich
vor den Augen der Israeliten zu heiligen, darum werdet ihr diese Versammlung
nicht in das Land hineinführen, das ich ihnen gegeben habe.“ (Num 20)
Gott verlangte, auf das bloße Wort,
die bloße Ansprache hin das in dem Felsen vorhandene Wasser hervorzurufen. Der
Stab hatte offenbar einen „Platz vor dem Herrn“ gehabt, sollte auch durchaus in
der Hand sein, aber er sollte nicht zum Einsatz kommen, denn die Israeliten
brauchen weder Herrschaftszeichen noch Zauberstäbe, und was sie bedürfen,
erhalten sie auf Geheiß Gottes! Hier sollte nicht Wasser „gezaubert“ werden, wo
keines war, sondern Wasser, das vorhanden, aber nicht sichtbar war, durch ein
Wort der Ansprache aus seiner Felsenkammer hervorgebracht werden. Mose aber
verhält sich wie ein ägyptischer Zauberer und Herrenmensch: er schreibt sich
selbst die Kraft zu, Wasser aus dem Felsen zu holen und spricht nicht die Worte
des Herrn, sondern schlägt den Felsen — zweimal, heißt es, weil es vielleicht
beim ersten Mal nicht gelingen wollte… Nebenbei bemerkt: welch ein Unterschied
zwischen der Art Gottes, mit seinen Geschöpfen zu reden und der des heidnisch
geprägten Menschen, als der Mose und Aaron sich hier selbst zeichnen: Gott
spricht seine Geschöpfe an, auch einen Felsen, der Wasser in sich verborgen
trägt, und sagt: Spende doch dein Wasser! Das Geschöpf hätte ohne Zweifel auf
diese liebevolle Ansprache hin sein Wasser herausfließen lassen für Mensch und
Vieh. Der heidnische Mensch prügelt wortlos auf das Geschöpf ein, prügelt seine
Schätze aus ihm heraus, mehr als nötig ist…
Den meisten Christen ist die
Problematik des Augurenstabes, des (Hirten-)stabes als heidnischem
Herrschaftssymbol, und seine innere Verbindung zum Symbol der Schlange nicht
klar.
Um so mehr verstehen es die Juden.
Chajm Guski
[xiv]
schrieb vor einigen Jahren einen Artikel über die Frage, was damals eigentlich
passiert war in der Wüste. Er bemerkt sehr scharfsinnig, dass Mose nicht nur
den Stab zum Einsatz brachte, wo Gott es anders wollte, sondern auch im
Zusammenhang mit der „ehernen Schlange“, die Mose aufrichtete, als die
Israeliten brennenden Schlangen ausgeliefert worden waren, nachdem sie wider
Gott gemurrt hatten, eine Merkwürdigkeit zu erkennen ist:
„Das
Volk verstand und wandte sich an Moses, er möge diese Plage abwenden. Um dies
zu tun, gebietet ihm Gott: „Mache einen Seraf und setze ihn auf eine Stange zum
Zeichen, und jeder, der gebissen wurde, soll diesen ansehen. So soll er am
Leben bleiben.“ Danach berichtet die Tora, dass Moses eine kupferne Schlange
anfertigte, wenngleich in dem eigentlichen Auftrag nichts davon zu hören war.
Bei Jeschajahu begegnen uns auch Serafim, die allerdings vollkommen anders
beschrieben werden. „Serafim standen über ihm. Jeder hatte sechs Flügel. Mit
zwei Flügeln bedeckten sie ihr Gesicht, mit zweien bedeckten sie ihre Füße, und
mit zweien flogen sie. Sie riefen einander zu: Heilig, heilig, heilig ist der
Herr Zebaot.“
[xv]
Das hebräische Wort „saraf“ hat in originalen (jüdischen) hebräischen
Wörterbüchern nur eine Bedeutung: es ist ein „Seraph“, ein loderndes
Engelwesen. Der Wortstamm SRF bedeutet „brennen“, „Feuer“ oder „Brand“.
Entsprechende Wortbildungen liegen vor: „srefa
awak“ etwa als „Schießpulver“. Eine Bedeutung als „Schlange“ kann
allenfalls im Sinne einer beißenden, Brandschmerz verursachenden Gestalt
verstanden werden, wenn „saraf“ als
Adjektiv verbunden wird mit dem Wort für „Schlange“. In Num 21, 6 heißt es,
Gott habe „nechaschim serafim“ über
die Israeliten gebracht: lodernde, brennende Schlangen. Der Auftrag, an einer Fahnenstange
(hebr. „al-nes“, „an einer Bannerstange bzw. einem Feldzeichen, einer Standarte“) etwas
aufzurichten, spricht aber, wie Guski zurecht anmerkt, von keiner „Schlange“,
keiner „nachasch“ mehr, sondern nur
von einem „saraf“ — also einem Lodernden
(Engelwesen). Den „nechaschim serafim“,
den brennenden Schlangen wird ein bloßer „saraf“
(ohne das Attribut der Schlange) entgegengesetzt.
Wir erinnern uns, dass Mose vor dem
Auszug aus Ägypten seinen Stab zur „Schlange“ vor dem Pharao verwandelte,
danach wieder in den Stab. Aber in Ex 7, 9 wird nicht das gewöhnliche Wort für
„Schlange“ verwendet, sondern ein allgemeines Wort für ein urweltliches Fabeltier
aus dem Chaoswasser: Ein „tannin“ ist
nicht primär eine Schlange, sondern eher ein Drache, ein Meeresungeheuer oder auf
Neuhebräisch ein Krokodil. Der Einsatz eines Stabes tritt hier in Zusammenhang
mit einer Verbindung zu unterweltlichen, bösen Chaoskräften und hinterlässt
denselben unguten Beigeschmack, den schon das Zauberkunststück in Ex 4
hinterließ: die Macht solcher Stäbe führt immer hinab zum Bösen und ins Chaos.
„Schlange“ heißt wie oben bereits
geschildert „nachasch“, auch im Sinne
eines Zauberbildes einer Schlange. Die Schlange, die einst Eva ansprach und
täuschte, wurde als „nachasch“
bezeichnet (Gen 3, 1). Mose aber machte keinen „saraf“, nicht ein Bild eines lodernden Engelwesens, wie Gott
angewiesen hatte, sondern eine „nechasch
nechoschet“, eine Kupferschlange, wobei hier ein homophones Wortspiel
mitschwingen könnte, und erhöhte sie auf einem Banner. Wie in allen vorherigen
Fällen, an denen Mose nicht gehorchte, sondern den Auftrag Gottes abwandelte,
hielt Gott dennoch seine Versprechen ein: wer auf diese Kupferschlange blickte,
wurde geheilt.
Wir befinden uns in einer
spannenden Forschung in der Schrift, die uns Dinge entdecken lässt, die die
Kirche verschüttet hat. Die Erwähnung dieser Kupferschlange durch Jesus selbst
im Johannes-Evangelium hat schon viele irritiert: warum wird Jesus hier mit
einer Schlange verglichen, die „erhöht wird“, wo doch die Schlange die
Verführerin des ersten Menschenpaares gewesen war? Viele sind ähnlich irritiert
durch die Vorstellung, der gläubige Blick auf ein Sinnbild des Heidentums oder
sogar des Satans soll die Israeliten von den Bissen geheilt haben…
„14 Und
wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht
werden,
15 damit
jeder, der glaubt, in ihm ewiges Leben hat.“ (Joh 3, 14)
Macht man sich aber klar, dass Gott
dem Mose gar nicht aufgetragen hatte, eine Schlange, sondern einen „saraf“ auf die Standarte zu hängen, was
immer damit gemeint war, gewinnt die Sache einen anderen Sinn. Gott hat sich im
Umfeld Moses’ mehrere Male als etwas Loderndes oder Brennendes gezeigt: der
„Engel des Herrn“ am brennenden Dornbusch und beim Exodus allgemein als
nächtliche Feuersäule. Die Aufforderung, ein solches „Loderndes“ hoch
aufzurichten, schillert hin und her zwischen einer solchen göttlichen, aber
auch einer giftigen satanischen Erscheinung, wie die Ägypter sie verehrten. Es
wird sich wohl nicht klären lassen, was genau der Herr mit einem „saraf“ gemeint hat.
Wie schon bei der Erzeugung von
Wasser aus dem Felsen erbarmt sich Gott, obwohl Mose ihm „aus dem Ruder läuft“.
Auffallend ist vielmehr, dass Gott trotz aller Verworrenheit und
Eigeninterpretation durch Mose treu blieb. Moses Ungehorsam hatte jedoch
schwerwiegende Folgen (s.u.).
In jedem Fall gehört der
„Augurenstab“, dieses antike Zauberwerkzeug, das die Macht garantieren und
ausdrücken sollte, ins Inventar heidnischer Götter und Priester und wird mit
dem Symbol der Schlange verbunden. Auch in der christlichen Zeit finden wir an
zahlreichen Bischofstäben Schlangensymbole.
[xvi]
Guski zeigt die Bedeutung der Schlangen im ägyptischen Glauben auf, was Mose
als Ziehkind der Pharaonentochter gewiss nicht unbekannt geblieben war:
„Mit
Sicherheit können sich noch einige der Kinder Israels, die das Leben in Ägypten
noch kannten, an die Speikobra an der Stirn des Pharao oder in der ägyptischen
Mythologie erinnern. Tatsächlich wissen wir heute, dass sich diese Schlange
ihrer Gegner durch gezieltes Spucken mit einem Sekret entledigt und dass dieses
Sekret zu schmerzhaften Verätzungen und Verbrennungen führen kann.
Mit diesem Bildnis der Schlange spielt Moses wortwörtlich mit dem Feuer, denn
in der Welt der Ägypter wurde diese Schlange mit dem „feurigen Sonnenauge“ des
Himmelsgottes Horus verbunden. In einem altägyptischen Hymnus heißt es: „Herrin
des Himmels, Herrscherin der beiden Länder, Auge des Horus und seine Leiterin,
Herrin der Ewigkeit, Feurige, Rote, deren Flamme schmerzt …““
[xvii]
Es ist bestürzend, wie das
Stabsymbol, die Schlange und das Sonnenauge des heidnischen Baals miteinander
verknüpft sind und völlig unbesehen — wie einst bei Moses’ verworrener Eigenmächtigkeit
— mit dem verbunden wurde, der durch Schlange, Augurenstab und Sonnenauge
verdrängt werden soll bis heute. Wir erfahren aber bereits noch aus dem AT,
dass die Israeliten aus dieser Kupferschlange auf der Standarte einen Abgott namens
„nechuschtan“ gemacht hatten, den
König Hiskia schließlich nach vielen Jahrhunderten zerstören ließ:
„3 Genau
wie sein Vater David tat er, was dem HERRN gefiel.
4 Er
schaffte die Kulthöhen ab, zerbrach die Steinmale, zerstörte den Kultpfahl und
zerschlug die Kupferschlange, die Mose angefertigt hatte und der die Israeliten
bis zu jener Zeit Räucheropfer darbrachten - man nannte sie Nehuschtan, Bild
aus Erz.
5 Er
setzte sein Vertrauen auf den HERRN, den Gott Israels. Unter allen Königen
Judas, die nach ihm kamen oder vor ihm lebten, war keiner wie er.
6 Er
hing dem HERRN an, ohne von ihm abzuweichen, und bewahrte die Gebote, die der
HERR dem Mose gegeben hatte.“ (2. Kön 18)
In Weisheit 16 wird ausgesagt, es
sei nicht die Kupferschlange gewesen, die errettet habe vor den tödlichen
Bissen der Feuerschlangen, sondern alleine der Herr selbst:
„7 Wer
sich dorthin wandte, wurde nicht durch das gerettet, was er anschaute, sondern
durch dich, den Retter aller.
8 Dadurch
hast du unsere Feinde überzeugt, dass du es bist, der aus allem Übel rettet.“
Die Juden haben tradiert, dass es
nicht das Abbild der Schlange war, das sie rettete, sondern alleine Gott
selbst. Im Mischna-Traktat „Rosch
haschana“ (3, 8), wird folgendes, mit den Versen aus Weisheit
übereinstimmend, interpretiert:
„Tötet
denn etwa eine Schlange oder macht eine Schlange lebendig? Nein, sondern: Wenn
die Israeliten nach oben blickten und ihr Herz ihrem Vater im Himmel
unterwarfen, wurden sie geheilt, und wenn nicht, kamen sie um.“
[xviii]
Moses Verschiebung des Befehls des
Herrn hatte Unheil hervorgerufen, auch wenn Gott sich erbarmt und Israel
dennoch errettet hatte. Der Fehlimpuls Moses’ trug seine unguten Früchte. Aber
das Erbarmen Gottes war größer. Die Verklammerung des Hinweises auf die
Kupferschlange, die Mose gemacht hatte, mit der Beschreibung Hiskias, der sein Vertrauen auf Gott setzen
wollte, spricht eine deutliche Sprache, ohne Moses’ Schwäche weiter ins Zentrum
zu rücken, denn er ist doch derjenige, dem Gott die Gebote übergeben hatte.
Der Stab nimmt auch im NT einen
eigentümlichen Raum ein: In der Apokalypse (Apk 12) wird das männliche Kind der
Frau, die von der Sonne gekleidet und von 12 Sternen umgeben und den Mond unter
ihren Füßen hat, die Völker mit einem „eisernen
Stab“ weiden, aber zuvor in den Himmel entrückt. Ein solcher Stab steht
vermutlich nur einem zu: dem ewigen Hirten, dem „princeps pastorum“, dem Erzhirten, der am Ende Recht sprechen
wird. Beachtlich ist in dem Zusammenhang, dass nirgends im gesamten NT die Gemeindevorsteher als „Hirten“ bezeichnet werden, wie die
Kirche, auch die protestantische, dies suggeriert. Nur an einer Stelle in Eph
4, 11 ist davon die Rede, dass einige die Geistesgabe des „Hirten und Lehrers“ erhalten — ein Charisma, kein formelles Amt.
Sonst zeigt uns das NT einzig und allein einen Hirten, nämlich Jesus Christus
selbst. Der überstrapazierte Begriff des priesterlichen oder vorstehenden „pastor“ (Hirten) im kirchlichen Kontext
hat keinen neutestamentlichen
Anhaltspunkt. Dagegen kannte das Heidentum ausführlich solche „Hirten“, die als
Ausdruck ihrer Macht einen Herrscherstab mit sich führten.
Durch die katholisch geprägte
Forschung geistert jedoch beharrlich die Meinung, Jesus selbst hätte den
Aposteln Herrschaftsstäbe verliehen oder das Tragen eines Stockes
vorgeschrieben. So schreibt beispielsweise Adolph Leopold Ritter von Wolfskron
in einem Aufsatz über die Entwicklung des Bischofsstabes, Jesus Christus habe
„den Aposteln die priesterliche Gewalt
ertheilt (…), als er sie aussandte zu lehren und befahl, Stäbe zu tragen“.
Die entsprechende Fußnote, die er an dieser Stelle setzt, verweist aber nicht
auf eine Schriftstelle, sondern auf kirchliche Regelwerke und die künstlerische
Darstellung des Engels Gabriel mit einem Lilienstab.
[xix]
In den Evangelien fällt demgegenüber auf, dass Jesus bei der Beschreibung der
Ausstattung der Jünger Tasche, Kleidung und Geldbeutel förmlich ausschließt. Das
Thema „Wanderstab“ ist widersprüchlich und unklar:
„9 Steckt
nicht Gold, Silber und Kupfermünzen in euren Gürtel!
10 Nehmt
keine Vorratstasche mit auf den Weg, kein zweites Hemd, keine Schuhe, keinen Wanderstab; denn wer arbeitet,
ist seines Lohnes wert.“ (Mt 10, 10)
In der entsprechenden
Parallelstelle bei Markus heißt es dagegen:
„Er
gab ihnen Vollmacht über die unreinen Geister
8 und
er gebot ihnen, außer einem Wanderstab
nichts auf den Weg mitzunehmen, kein Brot, keine Vorratstasche, kein Geld im
Gürtel,
9 kein
zweites Hemd und an den Füßen nur Sandalen.“ (Mk 6)
Wie immer man das verstehen soll —
Jesus sprach von einem Wanderstab, einer „virga“,
einer Gehhilfe, keinem Herrschaftszeichen! Vielleicht wollte er sagen, man
könne eine Gehhilfe mitnehmen, aber keinen Prügel, kein Herrschaftszeichen,
denn ähnlich widersprüchlich ist die Beziehung zum Schuhwerk: In der
Matthäus-Stelle heißt, sie sollten „keine
Schuhe“ mitnehmen, in der Parallelstelle bei Markus dagegen heißt es, sie
sollten „nur Sandalen“ tragen.
Genauso wie hier zwischen Schuh und Schuh ein Unterschied gemacht wird, könnte
auch zwischen Stab und Stab einer gemacht worden sein: nur die einfachste und
geringste Ausstattung sollen sie mitnehmen, keine Herrscherinsignien!
Wie jedenfalls leicht zu erkennen
ist, genießt der „Stab“ in der gesamten Schrift eine äußerst ambivalente, sogar
ablehnende Würdigung und ist absolut nicht dazu qualifiziert, religiöses Symbol
der angeblich christlichen irdischen „Hirten“ zu sein!
Die Debatte darum, ob der
Mithraskult etwa Eigenschaften und Symbole des frühen Christentums übernommen
habe, halte ich für abwegig, denn das frühe Christentum stammt aus dem
Judentum, das all jene Merkmale nicht oder nur ambivalent kannte und auch mit
keinem Wort in seinen frühen Schriften erwähnt. Der Mithraskult ist weniger
mythisch ausgerichtet als philosophisch und doktrinär. Die Gestalt der
„Kirche“, wie wir sie als die „alte“ oder „frühchristliche“ kennen, ist fast
vollständig ein Produkt des 4. Jh. Die Zeit davor liegt im Schatten.
Merkwürdigerweise sind uns außer den neutestamentlichen Schriften kaum
aufschlussreiche Dokumente über die Praxis in den frühen
„ecclesiis“ überliefert, die zu den Schriften des NT überhaupt
inhaltlich und logisch passt, fast so, als habe einer alles verschwinden
lassen, was uns die Anbindung an die vorkonstantinische Zeit möglich machen
könnte. Erhalten ist offen und ohne zeitweiliges Verschollensein nur das, was
die spätere Entwicklung des 4. Jh zu bestätigen scheint, etwa Briefe des
Ignatius von Antiochien, die einen ausgeprägten Machtanspruch der Bischöfe und
Diakone gegenüber den Laien einfordern, den das NT aber nirgends je formuliert
hätte. Irritierend ist, dass Ignatius schreibt, die wahren Gläubigen von
Ephesus gehörten demselben
„Mysterienverein“
an wie
„Paulus, ein berühmter und
großartiger Mensch“.
[xx]
Die wenigen Zeugnisse aus der
Frühzeit aber lehren uns alle etwas anderes als das, was die Kirche später
lehrt. Nicht nur die
„Didache“ (1.
Jh), die keinerlei Erwähnung eines Opfers vornimmt, aber dennoch einige Worte
über die rechte Feier der Eucharistie formuliert, sondern auch Texte wie der
Barnabasbrief (1./2. Jh) enthalten eine ausführliche Polemik gegen jeglichen
Opferkult und weisen anhand des AT sogar nach, dass Gott keine blutigen Opfer
seitens des Menschen brauche (Barn 2, 4 ff). Das Opfer Christi ist für ihn
solitär und einzigartig und keinesfalls einer Blutgier Gottes geschuldet. Der
Glaube, es müssten auch nur in irgendeiner Weise rituelle Opfer gebracht werden
durch den Menschen, nennt er „Irrglauben“.
[xxi]
Auch im 1. Klemensbrief gibt es die Aussage:
„Gott braucht gar nichts, er hat nichts nötig, außer daß man ihm die
Sünden bekennt.“ Unter Psalmzitaten verweist er auf David, der bezeugt,
dass unter „Opfer“ vor Gott das
„Lobopfer“ zu verstehen ist
. Außerdem:
„Ein Opfer ist es für Gott, wenn ihr von
Herzen bereut.“ [xxii]
(1. Klem 52, 1) Das materielle Opfer kann grundsätzlich vom Herzensopfer
abgespalten werden und ist daher für sich selbst genommen wertlos. Nicht
Opferkulte sind bedeutsam, sondern
„aller
Lobpreis“, den die Adressaten Gott
„darbringen“
durch
„unseren Mittler, den Hohepriester
und Bischof Jesus Christus.“ (1. Klem 64)
[xxiii]
Auch der 2. Klemensbrief, den Klaus
Berger um das Jahr 75 n. Ch. datiert, spricht im Zusammenhang mit dem „Opfer“
von Gebetsdarbringungen:
„Wir sollen
unsere Anbetung Gott wie ein Opfer fromm darbringen, damit wir die Angst (…)
überwinden können.“ (2. Klem 2, 2)
[xxiv]
Klaus Berger, der die Sammlung
frühchristlicher Schriften neu übersetzte und herausgab, hat auch solche
Fragmente wie das
„Buch Elchesai“ aus
dem frühen 2. Jh aufgenommen,
„weil sie
zeigen können, wie eigenartig die Wege sein konnten, auf denen christliche
Botschaft sehr schnell nach Jesu Tod transformiert wurde.“
Interessanterweise taucht in diesen Fragmenten auch erstmalig der Begriff
„sacramentum“ („Fahneneid“) im
Zusammenhang mit der Taufe auf. „Sakrament“ meint hier aber einen rituellen
Initiationsakt, den auch Berger formgeschichtlich in die Gebräuche paganer
„Mysterienvereine“ einordnet.
„Die (…) Eideshelfer bei der Taufe sind de facto
nichts anderes als einzelne „’Elemente’ der Welt.“
[xxv]
Die
„infirma et egena elemanta“,
deren Rückfall schon Paulus beklagte (s.o.). Der Begriff des „Sakramentes“ oder
„Mysteriums“ also ein
„schwaches und
nichtiges Element der Welt“?
Nach dieser kurzen Erwähnung der
zeitgleichen „breitenwirksamen“ Entwicklung der römisch-griechischen
Mysterienkulte mit einem christlichen „Kult“, müsste die Frage geklärt werden,
ob nicht das mysterienkultische Element, amalgamiert mit anderen Elementen
heidnischer Religion, dem alten Israel und seiner Theologie nach der Reinigung
von allen heidnischen Einbrüchen, die uns das AT so zahlreich berichtet,
schließlich ausdrücklich und gänzlich fremd, in dieser Zeit das ganze
Heidenchristentum „unterwandert“ oder „durchsetzt“ und zu etwas anderem gemacht
hat, als es ursprünglich, von Jesus und den Aposteln her, war. Es ist kaum
möglich, den Verdacht, dass dieser Prozess durch die „konstantinische Wende“
unumkehrbar die Richtung annahm, an deren späten Ausläufern wir mehr oder weniger
verwirrt stehen, abzuschütteln. Wenn dieser Verdacht zuträfe, sind alle
späteren „Entfaltungen“, alle späteren Auseinandersetzungen und Schismen, alle
theologischen Streitigkeiten Folge des verschütteten, verloren gegangenen
Anfangs. Für diesen „Anfang“, das erste christliche Jahrhundert, liegen außer
den ausführlichen Schriften des NT, einiger wegen der Datierung und Echtheit
teilweise umstrittener oder nur wieder bei späteren „Vätern“ bezeugten, aber
nicht vorliegenden (Brief-)Literatur der „apostolischen“ Väter und Apologeten
[xxvi]
und der erst spät im 19.Jh wieder gefundenen
„Didache“ (Zwölfapostellehre) keine klaren, eindeutigen Zeugnisse
vor, wohingegen v.a. mit dem 4. Jh eine ganze Flut an theologischer Literatur
erscheint, die sogenannten „Kirchenväter“, die als maßgebend betrachtet werden.
Genaugenommen sind aber deren Schriften Zeugnisse einer bereits erfolgten,
späten Wende.
Es kann nicht angehen, dass wir
eine mögliche Verfremdung in früher Zeit, die aber bereits ein
Vierteljahrtausend Christentum hinter sich hatte, einfach als ein Faktum
hinnehmen, das „Wahrheit“ beweisen soll, die Widersprüche zu den Textzeugnissen
des NT und der ganz frühen Schriften
ignorieren oder überlagern mit Fabeleien und auf diesen schwankenden
Boden bis heute und immer intensiver neue theologische Theorien abstützen.
Häufig wird gesagt, Cyprian von
Karthago (+ 258) „beweise“ mit seinem 63. Brief, dass man von Anfang an die
Eucharistie als „Messopfer“ verstanden habe.
[xxvii]
Nun beweist dieser Brief bei genauerem Hinsehen trotz der Opferterminologie
weniger, als es den Anschein hat, zumal er sich gegen eine fehlerhafte
Eucharistiepraxis in Afrika wendet, bei der anstelle von Wein nur noch Wasser
verwendet wurde. Insgesamt jedoch entsteht in diesem langen Schreiben des 3. Jh
der Eindruck, dass Cyprian das eucharistische Opfer als Dankopfer und
Gedächtnismahl versteht, dessen Gestalten „Darsteller“ des Leibes und Blutes
Christi sind, und dies gewissermaßen „punktgenau“, was er aufgrund
alttestamentlicher Hinweise ausführlich nachzeichnet. Mit keinem Wort aber
identifiziert er Brot und Wein wesenhaft iS der späten
Transsubstantiationslehre mit dem buchstäblichen Leib und Blut Christi. Bei
Sätzen wie
„Auch bei der Vollendung und
Erfüllung dieses Vorgangs hat der Herr Brot und den mit einer Weinmischung
gefüllten Kelch dargebracht und er, der die Fülle (der Wahrheit) ist, hat das
nur bildlich Angedeutete verwirklicht“[xxviii]
geht eindeutig hervor, dass Cyprian die Gestalten von Brot und Wein für
„nur bildliche Andeutung“ (in der
israelitischen Pessachtradition) eines wesentlich Größeren hielt, das in
Christus erfüllt ist und darum auch für sich selbst steht und nicht erneut
bildlich angedeutet werden müsste.
Nun ist aber die Zeit schon weit
fortgeschritten um die Mitte des 3. Jh, und Meinungen eines Bischofs aus Afrika
können ohnehin kein „Beweis“ für eine „ursprünglich gemeinte“ Auffassung und
Praxis sein, noch dazu, wo er gegen eine verbreitete nordafrikanische Praxis
anschreibt, über deren Herkunft und Begründung wir im Ungewissen sind. Seine
Ausführungen sind schlicht ein Zeugnis einer Auffassung in der Leitung einer
Kirchenprovinz, geben aber über die Qualität dieser Meinung kaum mehr als eine
selbstreferentielle Antwort. Die in der Kirche übliche tautologische
Argumentationsweise ist philosophisch schwerlich haltbar. Warum sollte ein
bestimmter Bischof mehr rechthaben als andere, oder woher wissen wir, dass er
vor allen anderen mehr recht hatte? Nur weil sein Zeugnis noch existiert, das
der anderen aber nicht mehr und wir nicht einmal mehr sachgemäß nachprüfen
können, was diese anderen aus ihrer eigenen Sicht taten und dachten?
Für die frühe, allzu frühe Realität
dieser Problematik spricht , dass bereits Paulus sie anspricht und beklagt: die
„elementa egena“ dringen ein in die
Gemeinde und verunstalten von Anfang an die „ecclesia
Dei“, die Bürgerversammlung Gottes, eine Versammlung der Freien, und wollen
sie abtrünnig machen und zurückführen in die Knechtschaft.
„Religio“
ist dem Wesen nach eine formelle Sklaverei, die sich das Numinose ebenso sehr
vom Leib hält wie sie es zu kontrollieren versucht und vereinnahmen will. Für
die Christen müsste aber gelten, dass „ipsa
creatura liberabitur a servitute corruptionis in libertatem gloriæ filiorum
Dei“ — „die Schöpfung befreit wird aus der Sklaverei der Zerrüttung zur
Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes“ (Röm 8, 21).
Wenn Religion bedeutete, als ein
solcher Sklave dem Numinosen in Kulten und Ritualen zu dienen, selbst aber „korrumpiert“ zu bleiben, „zerrüttet“, dann ist eine solche religiöse
Praxis immer Äußerlichkeit, gleitet am schwindenden, dahinfahrenden Menschen
ab, steht ihm entgegen, gaukelt ihm auf ästhetischer Ebene als Sterblichem im
Vergänglichen Zugriff auf die Transzendenz zu und vereinnahmt ihn doch nur zu
einem neuen und am Ende trostlosen Sklavendienst. Das „Edlere“ und weniger
Verfallsanfällige unter den materiellen Gaben verwechselt er mit der Ewigkeit
Gottes. Und die Menschheit zerteilt er in „Göttliche“ und „weniger Göttliche“. Sein
Herz muss leer bleiben, während sein Mund und seine Hände Religiöses
vollbringen. Wenn er Opfer darbringt, muss ihm aufgehen, dass seine Religion
Leben zerstört, weil das Leben bereits zerrüttet ist. Religion schafft in der unvollkommenen und korrumpierten
Schöpfung eine Vergrößerung der Distanz zu allem Göttlichen. Es bindet an eine
imaginierte, keine reale Transzendenz und wirft den Menschen zurück in seine
Nichtigkeit angesichts der gewaltigen geistigen Welt, der er sich gegenüber
sieht und von der er nichts weiß. Es ist deutlich, dass auch der Glaube Israels
trotz des göttlichen Heilsansatzes mit seinem Gesetz ein solcher Sklavendienst
bleiben musste, auch wenn er die zentrale und gewisse Aussicht auf Erlösung
enthält. Paulus sagt uns, was der Glaube der Christen ist und was nicht. Der
Glaube der Christen kann keine Religion sein, keine erneute Sklaverei. Er
besteht aus Sehnsucht, fester Zuversicht, Hoffnung, und einer „Erstlingsgabe“,
der Gabe des NT, die ich nun schon so oft und immer wieder entdeckt habe: der Gabe
des Hl. Geist, des Geistes der Freiheit. Des Geistes, den die Kirche
ausgetauscht hat durch eine erneute „servitas“
im eucharistischen Kult, der eine schizophrene Verbindung der leeren Religion
mit dem wahren Glauben versucht.
„19 Denn
die Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes.
20 Gewiss,
die Schöpfung ist der Nichtigkeit unterworfen, nicht aus eigenem Willen,
sondern durch den, der sie unterworfen hat, auf Hoffnung hin:
21 Denn
auch sie, die Schöpfung, soll von der Knechtschaft der Vergänglichkeit befreit
werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes.
22 Denn
wir wissen, dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in
Geburtswehen liegt.
23 Aber
nicht nur das, sondern auch wir, obwohl wir als Erstlingsgabe den Geist haben,
auch wir seufzen in unserem Herzen und warten darauf, dass wir mit der Erlösung
unseres Leibes als Söhne offenbar werden.“ (Röm 8)
Das „mysterium iniquitatis“ (2. Thess 2, 7), das Geheimnis des Bösen,
wirkt der Freiheit entgegen, treibt allzu leicht zurück in die Knechtschaft. Es
ist alleine schon aufgrund der NT-Aussagen unhaltbar zu glauben, es sei
jahrhundertelang in der Ebene der selbsternannten (!) „Hirten“ alles zum Besten gestanden und man könne sich auf deren
Meinungen verlassen. Dass dem nicht so war von Anfang an, beklagt nicht nur
Paulus, sondern auch Johannes. Die „Antichristen“,
schrieb er klar und deutlich, gehen von ihnen selbst, also aus der Mitte der Apostel
und früheren Zentralgestalten der Christenheit, aus:
„18 Meine
Kinder, die letzte Stunde ist da. Ihr habt gehört, dass der Antichrist kommt,
und jetzt sind viele Antichriste aufgetreten. Daran erkennen wir, dass die
letzte Stunde da ist.
19 Sie
sind aus unserer Mitte gekommen, aber sie haben nicht zu uns gehört; denn wenn
sie zu uns gehörten, wären sie bei uns geblieben. Es sollte aber offenbar
werden, dass sie alle nicht zu uns gehören.“ (1. Joh 2)
Zu glauben, dass eine staatlich
geförderte und gehätschelte „Kirche“, die bestimmte Personen und gedankliche
Richtungen, die Zweifel bekommen und Fragen stellen, ausschließt und verjagt
wie Schadenszauberer, selbst rein bleibe, ist mehr als unvorsichtig und naiv.
Die eindringliche Warnung des NT vor den Irrlehrern würde sich erübrigen, wenn
man nur immerzu auf die „Kirche“ hören müsste bzw deren Machthaber, die uns
schon sagen, wer die Bösen und wer die Guten sind.
Es ist kaum zu glauben, aber man
hat die römische Christenheit tatsächlich auf eine so absurde Ansicht
konditioniert. Jesus, Paulus, Johannes hätten sich demnach ganz umsonst Sorgen
gemacht, denn schließlich werden ihre „Stellvertreter“ ja allezeit das Rechte
verkünden. Warum Jesus klar bezeugte, dass am Ende ein heillose Verwirrung sei,
so heillos, das keiner mehr gerettet werden könnte, wenn die Zeit nicht
verkürzt würde (Endzeitreden Jesu Mt 24, 21ff; Mk 13, 19ff; Lk 21, 7ff), mag
man sich angesichts einer solchen Großsprecherei seitens der Kirchenhierarchie
fragen. Wenn Jesus schon seinen Zuhörern sagt: „Gebt Acht, dass man euch nicht irreführt“ (Lk 21, 8), dann besteht
diese Gefahr nicht so sehr außerhalb, sondern vor allem innerhalb der Kirche,
erfordert einen mündigen, gebildeten Christen und nicht diesen Leibeigenen der
Hierarchie, zu dem der Gläubige nicht zuletzt aufgrund einer fragwürdigen
Theologie der Eucharistie gemacht worden ist.
Die Widersprüchlichkeit der
verschiedenen Lehren der Hierarchen über die Jahrhunderte weg, die zahlreichen
Schismen, aber auch die aktuellen Zerwürfnisse seit dem Vaticanum I und II
sprechen ihrerseits eine klare Sprache, denn diese Zerwürfnisse haben triftige
Gründe: Viele sehen auch heute die angebliche Einheit der Lehre nicht mehr
gewahrt, etwa die Altkatholiken, die Piusbruderschaft oder verschiedene
sedisvakantistische Gruppen. Wie immer man zu diesen Gruppen theologisch stehen
mag, ist doch ihre Existenz, die zu immer neuen Spaltungen geführt hat und
führt, Zeugin einer großen geistigen Verwirrung, die nicht durch diese
Menschen, sondern durch die Kirche mit ihren ständigen dogmatischen und
katechetischen Neuerungen ausgelöst worden ist, angesichts derer die „älter
Sozialisierten“ ihre Glaubenswelt, der man bis vor wenigen Jahrhunderten, als
man es noch leichter konnte, öffentlich sogar Menschen geopfert hatte, nicht
mehr verstehen. Warum aber glauben einfache Menschen, wenn es mit ihnen recht
steht, ein solcher Machtapparat, der eine solche Blutspur durch die Geschichte
zieht, könne im Ernst der „fortlebende
Christus“ sein? Warum habe ich das geglaubt? Man hat uns immer wieder
erklärt, wir seien eben alle „nur Menschen“, und wo Menschen seien, da
„menschle“ es eben, und Gott wisse schon, wem er seine Kirche anvertraut habe. Und
wer Anstoß nehme an den hierarchischen Mordbrennern der Geschichte und
Gegenwart sei eben selber nur hochmütig und halte sich selbst für etwas
Besseres oder wolle sein armes Menschsein überschreiten. Mit einer solchen
Auskunft stellt man Gewalttäter denen gleich, die sich für Christus selbst
hingegeben haben und um Christi willen von jeder bösen Tat und jedem bösen
Gedanken frei bleiben wollen. Und man unterstellt Gott, seine Erlösung sei null
und nichtig angesichts des „menschelnden Menschen“ und Christen könnten sich
aufführen wie Teufel, weil sie eben „nur Menschen sind“. Gott habe demnach
seine Kirche den Teufeln übergeben und wisse schon, was er tue. Nun plötzlich
ist nicht mehr von den starren „Früchten“ und „Gaben“ des Hl. Geistes die Rede,
die immerhin so etwas wie Barmherzigkeit oder Friedfertigkeit enthalten müssten
und durch das angebliche Sakrament der Firmung doch im irgendwann einmal
Gefirmten, noch dazu, wenn er Kleriker wurde, vorhanden sein müssten, und die
man durch obsessiven Kommuniongang, ständiges Beichten und beständigen Genuss
der „Seelenspeise“ doch leicht hervorbringen müsste, noch dazu wenn man ein
Hierarch ist, der doch in der Weihe ein sakramentales „Wesensmerkmal“
eingeprägt bekommen haben soll, das ihn Christus ähnlicher macht als der
normale Gläubige es je sein könnte. Nun plötzlich setzt dieselbe Kirche, die in
Trient leugnete, dass man aufgrund des Glaubens selig wird, den Glauben wieder ganz
hoch an — die Werke mögen gerne teuflisch sein, aber dennoch soll man glauben,
dass es sich mit den Tätern und der Kirche, die sie als „Stellvertreter
Christi“ mit ihrem geringelten Hirtenstab anführen, schon recht verhalte. Wer
müsste sich da bei klarem Verstand nicht fragen, was das für ein „Christus“
ist, der hier „vertreten“ wird…
Welch eine blasphemische und leere,
welch eine gottlose und anmaßende Sicht der Dinge. Sie könnte nicht trostloser
sein!
Was spricht angesichts dieser Öde der
erbärmlichen „Kleider machen Leute“-Logik
dagegen, dass Jesus Christus, der echte
Christus, realpräsent ist, wenn sich „zwei
oder drei in seinem Namen versammeln“ — ohne Kult, ohne Hokuspokus, ohne
Kleider, Weihen oder Titel? Und welcher Reichtum besteht darin, wenn diese, die
sich versammeln, wirklich diesen Hl. Geist als „Anzahlung“ oder „Erstlingsgabe“
in sich tragen und inwendig bereits in dieser „libertas gloriae filiorum Dei“ leben? Was bedarf es da noch der
Äußerlichkeiten und Rituale, der Sakramente und Formen, die die Nähe Gottes
garantieren müssten? Der in den Versammelten wirkende Geist wird sich die ihm
angemessene Form schon selbst mit ihnen schaffen. Die Versammlungen solcher
„Kinder Gottes“ sind Zusammenkünfte der Wartenden. Sie warten noch mit der ganzen
Natur und Schöpfung auf die Erlösung des Leibes und das Offenbarwerden ihrer
Kindschaft.
Man wird mir entgegenhalten, dass
darauf schon viele gesetzt hätten, aber auch in solchen Zusammenkünften sich
derselbe Ungeist „dezentral“ eingenistet habe wie er „zentral“ im Machtapparat
der Kirche wirke.
Das ist ein Faktum, das ich sehe
und das mich nur zu einem Schluss führen kann: Es kann keine ungefährdete
christliche „Institution“ geben. Sobald der Ort oder die Organisation Christus
garantieren soll, ist es aus, und man kann warten, wann ein solches Werk
korrumpiert ist.
„Kirche“ gibt es weder auf Vorrat
noch auf Planung hin. Es ist wie mit dem Manna in der Wüste: es ist immer nur
für einen Tag gedacht. Wer es heimlich aufhob und speicherte, fand am Morgen verfaultes
Brot vor. Gott gab am nächsten Tag erneut, was zum Leben notwendig war (Ex 16,
19f). Dementsprechend sagte Jesus — und warum sollte das nicht auch für die
Seinen in dieser Fremde gelten:
„33 Sucht
aber zuerst sein Reich und seine Gerechtigkeit; dann wird euch alles andere
dazugegeben.
34 Sorgt
euch also nicht um morgen; denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen.
Jeder Tag hat genug an seiner eigenen Plage.“ (Mt 6)
Warum haben wir das Vertrauen
aufgekündigt, dass das genau so auch für die Kirche gilt? Schon im
Prophetenbuch Jesaja wird geschaut, wie die wahre Kirche leben wird bei ihrem
Auszug aus „Babel“:
„8 Meine
Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege - Spruch
des HERRN.
9 So
hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch erhaben sind meine Wege über eure
Wege und meine Gedanken über eure Gedanken.
10 Denn
wie der Regen und der Schnee vom Himmel fällt und nicht dorthin zurückkehrt,
ohne die Erde zu tränken und sie zum Keimen und Sprossen zu bringen, dass sie
dem Sämann Samen gibt und Brot zum Essen,
11 so
ist es auch mit dem Wort, das meinen Mund verlässt: Es kehrt nicht leer zu mir
zurück, ohne zu bewirken, was ich will, und das zu erreichen, wozu ich es
ausgesandt habe.
12 In
Freude werdet ihr ausziehen und in Frieden heimgebracht werden. Berge und Hügel
brechen vor euch in Jubel aus und alle Bäume auf dem Feld klatschen in die
Hände.
13 Statt
Dornen wachsen Zypressen, statt Brennnesseln Myrten. Das geschieht zum Ruhm des
HERRN zum ewigen Zeichen, das niemals getilgt wird.“ (Jes 55)
Der Glaube an Jesus Christus ist im
wahrsten Sinne des Wortes für den Christen eine freie Improvisation. In jeder Minute wird ihm durch die
„Erstlingsgabe“ des Hl. Geistes gegeben, was er ist und tun soll.
[i] Alexander Hislop: The Two Babylons; or, the Papal Worship
proved to be the worship of Nimrod and his wife, Edinburgh 11853,
21858
[iii] Odo
Casel: Mysterientheologie. Ansatz und Gestalt. Regensburg 1986. S. 30
[v] Vgl.
Artikel zur Debatte um die „Flache Erde“
[vi] P.
Johann Baptist Umberg SJ: „Mysterien“-Frömmigkeit?, in: Zeitschrift für Aszese
und Mystik 1 (1926), S. 351—366)
[xiii] Friedhelm Hoffmann: Uräus. In: Michaela Bauks,
Klaus Koenen, Stefan Alkier (Hrsg.): Das wissenschaftliche Bibellexikon im
Internet (WiBiLex), Stuttgart 2006 ff
[xv]
Chaijm Guski: Gelobt sei die Schlange! Warum die
Israeliten von den wilden Tieren angegriffen wurden und wie Gott sie geheilt
hat. In: Jüdische Allgemeine, 21.6.2007
[xvi]
Vgl. die gelehrte Arbeit Adolph Leopold Ritter von Wolfskrons: Der
Bischofsstab, dessen liturgisch-symbolische Bedeutung und allmähliche
Entwicklung seiner Gestalt. In: Mittheilungen der K.K. Central-Commission zur
Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale. S. 256—262. Wien 1857
[xix]
Adolph Leopold Ritter von Wolfskron: Der
Bischofsstab, dessen liturgisch-symbolische Bedeutung und allmähliche
Entwicklung seiner Gestalt. In: Mittheilungen der K.K. Central-Commission zur
Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale. S. 256—262. Wien 1857. S. 257
[xx]
Ignatius von Antiochien: Brief an die Epheser. 1./2. Jh, a.a.O., S. 783
[xxi]
Brief des Barnabas. In: Das Neue Testament und frühchristliche Schriften.
Übersetzt und kommentiert von Klaus Berger und Christiane Nord. Frankfurt 2005.
S. 283
[xxii]
Der Erste Klemensbrief. A.a.O., S. 716
[xxiv]
Der Zweite Klemensbrief. A.a.O., S. 726
[xxv] Das
Buch Elchesai. Vorbemerkung des Hg., a.a.O., S. 771
[xxvi]
Als Beispiele seien genannt: Clemens von Rom, Papias von Hierapolis, Ignatius
von Antiochien, Polycarp von Smyrna, Hermas, Justin der Märtyrer, Athenagoras
von Athen, Aristides, Irenäus von Lyon, Melito von Sardes