Montag, 12. Dezember 2016

Adventus III - Gaudete!



Adventus III

Gaudete – freut euch!

Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! Noch einmal sage ich: Freut euch!
Eure Güte werde allen Menschen bekannt. Der Herr ist nahe.
Sorgt euch um nichts, sondern bringt in jeder Lage betend und flehend eure Bitten mit Dank vor Gott!
Und der Friede Gottes, der alles Verstehen übersteigt, wird eure Herzen und eure Gedanken in der Gemeinschaft mit Christus Jesus bewahren.
(Phil 4, 4-7)


Freuen wir uns?
Und überhaupt – was bedeutet hier „sich freuen“?
Bestimmt nicht dieses Sich-Freuen, dieses sentimentale, hedonistische, ichbetonte Sichfreuen unserer Tage, womöglich noch charismatisch aufgeladen mit geistvermeintlichen Zuckungen und kollektiver Freudenparanoia…

Die Freude, von der hier so appellativ gesprochen wird, ist eingebettet in Dunkelheit.
So wie bei den Hirten auf dem Feld in Bethlehem.
Siehe, ich verkündige euch große Freude, hörten die armen Kerle, die nachts auf den Weiden schliefen, bald selbst wie Schafe…
Man stelle sich das mal vor… man schläft nachts im Freien auf der Weide, um einen herum das Schnauben und Räuspern der Tiere, und plötzlich ist da der Himmel voll von… ja was eigentlich, was ist das? Hey! Hey, Männer, was ist das!? Und dann diese Botschaft –
So ein Hirte war vermutlich eine der illusionslosesten Existenzen Israels. Glaube nicht, dass man so einen mit Eiapopeia und religiösen Wahnideen aus dem Schlaf locken konnte. Auch nicht mit Zungenreden, Lobpreis-Parties und ähnlichem Spektakel. Die Kerle waren müde und rangen um jedes Quäntchen Energie. Vermutlich hätte man sie auch nicht mit ästhetisch-liturgischem Firlefanz, „prachtvollen Messgewänder“, hierarchischem Gedöhns, das angeblich den Himmel abbildet und seine Engelschöre, um die wenigen kostbaren Ruhestunden bringen können.
Die Engelschöre, die sie hörten, waren weder hierarchisch noch prachtvoll.
Ihre Gegenwart war so gegenwärtig, dass es weder einer prachtvollen Verstärkung noch einer Hierarchie bedurfte.
Das Wirkliche, das unversehrte Wirkliche kennt weder Hierarchie noch eine Verstärkung des defizitären Seins, es ist so wie es ist, einfach, ganz einfach.
Das Hierarchische ist etwas zutiefst Irdisches, eine Krücke für Seinsdefizite.
Es soll uns helfen, zu verstehen, dass Gott heilig ist, uns Krücken eine Krücken wiederum an Krücken...
Es ist eine Ordnung, aber sie hat keinen ontologischen Wert.
Die Hirten also sehen erst den Engel des Herrn, der ihnen die bekannte Botschaft bringt „Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird…“ (Lk 2, 10), danach „die Menge der himmlischen Heerscharen“, lateinisch „multitudo militiæ cælestis“ (Lk 2, 13).
Die Hirten sahen keine Engelshierarchien, sondern einfach die „Menge der (…) Heerscharen“. Und sie alle lobten einstimmig Gott. Und diese Heerscharen waren „bei dem Engel“, nicht unter ihm, nicht über oder neben ihm, sondern „cum angelo“. Alleine schon, dass die Hirten diese Erscheinung hatten und nicht irgendwelche Hierarchen, spricht ebenfalls für sich.
Das sei nur mal nebenbei erwähnt und allen reaktionären Katholiken ins Ohr geflüstert, die ein Seins-Defizit verklären und damit das rein Irdische… wie im dritten Himmel nach dem Zeugnis des hl. Paulus "unaussprechliche Worte" gesprochen werden, die "kein Ohr je gehört hat", so sind auch die Beziehungsgefüge im Himmel ganz und gar unirdisch und nicht vergleichbar mit irdischen Ordnungen...
Die Überzeichnung des Hierarchischen zum Fetisch, wie sie sich in der Kirche schleichend und über Jahrhunderte weg angebahnt hat, ist antichristlich und bedeutet im Kern eine Total-Verirdischung des Himmlischen. Aus den visionären Engelsordnungen des AT und der Apokalypse kann niemand im Ernst schließen, was im Himmel wirklich ist. Gott ist ja auch kein alter Mann mit weißem Haar, nur weil ein Prophet ihn so im Gesicht geschaut hat.
Was war dem, der "nackt und bloß" und "in einem Krippelein lag", wohl das Hierarchische wert, ihm, dem einzigen, dem pompöse Huldigung gebührt hätte, der darauf so gar keinen, wirklich überhaupt keinen Wert legte?!
Und warum überging der Himmel in der Geburtsnacht die formellen hierarchischen Hirten und sprach reale Schaf-Hirten an, die jedermann als untauglich angesehen hätte als erste Adresse für die frohe Botschaft?

Eingebettet in Dunkelheit ist die himmlische Freude auch bei Paulus. Er muss es gleich zweimal sagen: Freut euch! Doppelt gesagt wirkt besser. Doppelt gesagt offenbart, dass der Appell ein paradoxes Intervenieren ist. Es gibt nämlich, menschlich, gesehen, keinen Grund zur Freude. Düster sieht es aus. Das alles, was da um uns herum ist.
Freuen – warum?
„Ich ermahne Evodia und ich ermahne Syntyche, einmütig zu sein im Herrn. Ja, ich bitte auch dich, treuer Gefährte, nimm dich ihrer an! Sie haben mit mir für das Evangelium gekämpft, zusammen mit Klemens und meinen anderen Mitarbeitern. Ihre Namen stehen im Buch des Lebens.“ (Phil 4, 2).
Wir freuen uns, weil der Erlöser gekommen ist und weil wir im Buch des Lebens stehen dürfen wie Syntyche und Evodia, die sich gerade nicht eins sind und von Paulus ermahnt werden, sie, die doch seine engen Mitarbeiterinnen waren und eben – im „Buch des Lebens“, im „liber vitae“ stehen.

Unser Problem ist heute, dass wir nicht nur nicht einmütig sind, sondern förmlich Einmütigkeit ohne den Herrn suchen und umdeuten. Man müsse irgendwie mit den anderen einmütig sein oder mit dem Papst uns so weiter – und schon sei die Kirche gerettet.
Pustekuchen – so gerade zerfällt die Einmütigkeit, die unanimitas!
Und genau diese Einmütigkeit in Christus hat die Kirche seit Jahrtausenden immer wieder abgelenkt auf die Einmütigkeit mit Menschen, und wenn sie zehnmal angeblich Stellvertreter Christi sind – das allein weist sie nicht als rechtgläubig aus.
Was immer ist, mit der Menge der himmlischen Heerscharen sollen wir Gott loben. Nur das macht einig.
Solange wir auf uns starren und unsere Richtungskämpfe, driften wir auseinander.

Evodia und Synthyche, geschätzte Mitarbeiterinnen des Apostels, und nun sind sie nicht mehr einmütig in Christus. Der „treue Gefährte“ wird gesandt, sie wieder in Christus zu einen, nicht in sich selbst, er hat hier nicht mal einen Namen… so sehr geht es um Christus, der als „der Herr nahe ist“.
Unserer Hierarchie ist der Herr schon lange nicht mehr nahe, schon seit über 150 Jahren nicht mehr. Wie sonst sollte man begreifen, dass sie sich in den Mittelpunkt gestellt hat und den Herrn so behandelt hat, als käme er nie mehr wieder?
„Der Herr ist nahe“, egal, was geschieht.

Und dann ist die Rede von „eurer Güte“, die allen Menschen „bekannt werden soll“.
Mir wird da schwarz vor Augen – von der Kirche hat man so viel Finsteres kennengelernt, zuletzt den Missbrauch von Kindern und Jugendlichen und auch Erwachsenen. Auch wenn er ungerecht aufgeblasen worden sein sollte in den Medien, ist er doch eine Tatsache und eine Schande. Evodia und Syntyche und ihre Reibereien waren Peanuts verglichen mit diesen Widerlichkeiten…
Und doch verkündet sie immer noch, selbst wenn die Finsternis sie schon halb hat, die Botschaft, die einst die Hirten erfuhren, gegen den Strich und zu ihrer eigenen Schande verkündet sie immer noch die Botschaft.

Warum sollte sonst Paulus den Trost aussprechen, dass der „Friede Gottes“ selbst die Seinen „bewahren wird in der Gemeinschaft mit Christus Jesus“, und dies auch noch über „alles Verstehen“ hinaus, wenn nicht unser Problem immerzu dies ist, dass wir nicht verstehen, nicht fertig werden mit unserer Unzulänglichkeit des Verstehens und am liebsten aufgeben wollten?

Trotz dieser Ausgangslage, trotz des defizitären Seins leben wir schon im Sosein in Christus, ohne es genau erfassen zu können. Zu diesem Sosein gehört seine Nähe, deren wir nur schwer gewahr sein können.
Was wenn er so nahe ist, dass er uns durchdringt, durchdringen will und wir auseinanderstreben, weg von ihm und weg von denen, die er durchdringt?

Woher soll ich wissen, dass das alles so ist?
Woher weiß ich, wann und wo es so ist?
Das eben ist die versprochene „Bewahrung der Herzen und Sinne“.
Wir können es nicht ermessen, was mit uns und unter unserer eifrigen Mithilfe geschieht.
Unsere Mithilfe ist aber kein Machenwollen, dieses unsägliche Machenwollen, das wir seit Jahrhunderten in der Kirche kennen, erst als Hybris der Hierarchie, in Backstein gemeißelt im Vaticanum I, nun als Aktionismus aller Christgläubigen, frisch aufgebrüht und längst ranzig geworden im Vaticanum II.

Wer nicht bittet, bekommt nicht. Das Vaticanum I und II haben verlernt, Bitten zu sprechen. Echte Bitten.
Bitten sind seither ultimative Ansprüche an den Himmel.
Und genau deswegen werden sie uns nicht gewährt.
„Betend und flehend mit Dank vor Gott“ sollen wir unsere „Sorgen“ bringen.
Damit sind echte Sorgen gemeint, nicht das politische Blabla katholischer Funktionäre.

Die echten Sorgen…

Ja, wir haben echte Sorgen. Das nächste Jahr wird kein gutes, und wir alle wissen es. Die Schönfärber haben darum Hochkonjunktur. Man glaubt ihnen bis zum nächsten Mord, bis zum nächsten Terrorakt. Die finsteren Mächte sind losgelassen.

Und doch: „Zu jeder Zeit“ sagte Paulus, sollen wir uns freuen. Das ist keine Durchhalteparole, sondern eine Freude ohne das Seins-Defizit, die alleine auf das alles übersteigende Sein Christi baut, ja, sich förmlich in sein Sein hineinziehen lässt, schon hier und jetzt, trotz allem und im Vertrauen darauf, dass dort absolute Sicherheit ist gegen die Finsternis.
Möge sie „allen, die guten Willens sind“, wie der Engel einst sagte, zuteil, diese Freude!