"Überschätzte" Dogmen?
Von
der Sophistik, die Dogmen, die man einst um jeden Preis definieren musste, in
Dogmentreue inhaltlich zu marginalisieren trachtet
Eine Antwort an Dr. Heinz-Lothar Barth
Eine Antwort an Dr. Heinz-Lothar Barth
Dass das Vaticanum I nicht nur bei
den Zeitgenossen damals den Eindruck einer unsauberen Schmierenkomödie
aufkommen ließ, von den hellsten Köpfen als ein Konzil des Traditionsbruches
erlebt wurde und bis heute umstritten ist, erlebt anhand des derzeitigen
Pontifikats eine Neuauflage der Überlegungen und Zweifel am Vaticanum I, die seit
1870 nie verstummt sind.
Wir haben seit 1870 schon viele
glühende Apologeten der Papstdogmen erlebt. Aber seltsamerweise beweist uns ein
großer Teil derselben in immer neuen Pirouetten, dass v.a. das
Unfehlbarkeitsdogma eigentlich irrelevant sei. Das zweite Dogma vom
Universalprimat wird ausgeblendet, es scheint den meisten Katholiken nicht
bewusst zu sein.
In der katholischen Zeitschrift „Die Tagespost“ wurde vor einigen Wochen
der „Weckruf“ „#sineDubiis — Wir gehen
mit Papst Franziskus“ von Matthias Jean-Marie Schäppi und Friedrich Reusch diskutiert.
Dieser „Weckruf“ richtete sich an katholische Konservative. Auf ihrem Blog „TheCathwalk“[1]
verteidigten die Autoren am 18.2.2017 die Exhortation (nachsynodales Schreiben)
„Amoris laetitia“ von Papst Franziskus
vom 8. April 2016. Doch nicht nur das: Sie kritisierten die auf diese
Exhortation hin formulierten und an den Papst gerichteten „Dubia“ durch vier bekannte Kardinäle, darunter zwei Deutsche, Kardinal
Brandmüller und Kardinal Meisner, von Mitte September 2016[2].
Der „Weckruf“ erschien etwas später im Rahmen einer Kontroverse am 25. 2. 2017 in der „Tagespost“ als „Pro“- gegen die
Contra-Position Michael Hesemanns. Das nachsynodale Schreiben AL hatte zuvor
schon im Kirchenvolk infolge der umstrittenen Familiensynode Unruhe und
Empörung ausgelöst. Im Zentrum der Aufregung steht die Frage nach der Zulassung
von wiederverheiratet Geschiedenen zur Hl. Kommunion. Franziskus spricht an
keiner Stelle davon, dass sie nun möglich sei. Sein Schreiben dreht sich — neben
vielen anderen Kapiteln aus dem Themenbereich von „Ehe & Familie“ — um den
pastoralen Umgang mit den Betroffenen.
Die „Dubia“ der vier Kardinäle vom September 2017 greifen diese Unruhe,
wie sie sagen, aus ihrer Hirtensorge heraus auf. Sie verlangen auf einen
ausführlichen und belehrenden an Franziskus gerichteten Fragekatalog Ja- oder
Nein-Antworten ohne weitere Diskussion. Sie unterstellen vor allem den
Abschnitten 300—305 Mehrdeutigkeit und sogar die Intention, die bisherige Lehre
der Kirche aufheben zu wollen (v.a. in Dubium 2, dazu s.u.)
Nachdem Franziskus darauf nicht umgehend
geantwortet hatte, machten sie ihr Schreiben nur zwei Monate später, im
November 2016, für alle Welt öffentlich[3],
was nach so kurzer Zeit — wenn man die Langsamkeit des römischen
„Amtsschimmels“ bedenkt — durchaus als Nötigungsversuch erscheint. Nicht
verschwiegen werden darf, dass der Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal
Müller, sowohl dieses Vorgehen als auch die inhaltlichen Behauptungen der vier
Kardinäle ebenfalls (informell) öffentlich verurteilt hat.[4]
Danach brach erst recht ein
Entrüstungssturm im konservativen Lager aus. Das traditionell orientierte
Kirchenvolk brach schließlich den fraglichen Sachverhalt herunter auf die
Meinung, Franziskus habe das Dogma von der Unauflöslichkeit der Ehe geleugnet
und sei darum ein Häretiker, und es sei gewissermaßen eine Frechheit, dass er
den vier Kardinälen nicht antworte.
Die Autoren des „Weckrufes“ beklagten einen theologischen
und logischen Widerspruch im traditionsorientierten Lager, der seit dem Vaticanum
II spätestens und vor allem durch das Schisma, das Erzbischof Lefebvre ausgelöst
hat, schwelt:
Man könne nicht geradezu
übersteigert „lehramtstreu“ sein wollen und zugleich die Autorität des Papstes
in dieser Weise angreifen, wo doch gerade sie nach 1870 sogar ganz einseitig
„der“ Ausweis der Rechtgläubigkeit geworden war und den Papst mit einer
perfekten, absolutistischen Immunität gegenüber jeder Kritik und jedem
Ungehorsam ausgestattet hat. Genau dieses Faktum wird im Falle „unbotmäßiger“
Päpste jedoch — aus der Sicht streng ultramontaner Katholiken —ebenso vehement
geleugnet wie es wiederum extrem eingefordert wird, wenn ein Papst dem
entspricht, was dieselben Kreise von ihm erwarten.
Nicht dass ein Leser nun meint, ich
hielte solche Szenarien nicht für natürlich oder rechtens — selbstverständlich
sind Päpste zu einem guten Stück wohl immer schon Gallionsfiguren bestimmter
kirchenpolitischer Lager gewesen, und daran wird sich durch kein Dogma der Welt
je etwas ändern. Das ist gewissermaßen „conditio humana“. Ich plädiere hier für
Gelassenheit. Es ist normal, dass Päpste von den einen bejubelt, den anderen
scharf kritisiert werden.
Auf die Kontroverse in der „Tagespost“ vom 25.2.2017 erschienen
viele Leserbriefe. Der erste, der uns hier interessiert, ist derjenige von
Christoph Matthias Hagen vom 28.2.2017. Er stimmt in diesem Brief den „Weckruf“-Autoren in ihrer „papalistischen“
Argumentation ausdrücklich, und selbst dem einfachen Verstand leicht erfassbar,
nicht zu, in der Sache jedoch schon.
Warum ich dies ein bisschen polemisch formuliere, wird man später besser
verstehen. Hagen nimmt das Konzept einer prinzipiellen „Papsttreue“ aufs Korn,
die, rein positivistisch verstanden, hohl ist. Anders gesagt: Es ist sinnlos,
dem Papst zu gehorchen, weil er der Papst ist. Man kann ihm nur gehorchen, wenn
er auch recht hat. Nur steht es ja außer dem Papst niemandem zu, darüber zu
urteilen, ob er recht hat. Das aber ist nun der Dreh- und Angelpunkt seit Pius
IX., wie ich meine: Genau dies, ein rein positivistischer
Kadavergehorsamsglaube, wurde von jenem Papst mit aller Unerbittlichkeit
gewissermaßen als „Lebenswerk“ durchgezogen und zum Faktum gemacht, das die
Kirche zuvor so — außer in der jesuitischen und franziskanischen Ordenstradition
— nicht kannte. Ein lebendiger, unbedingt pneumatischer Christglaube kann per
definitionem kein Kadavergehorsam gegenüber Menschen sein! Im NT finden wir
nicht eine einzige Aussage, die eine solche Auffassung stützen könnte. Im
Gegenteil — dort wird tatsächlich nicht das Ansehen der Person oder gar eine
Hierarchie kultiviert, sondern eine Kette von apostolischen Dienern, die nach
der Diktion des „Urpapstes“, Petrus, „keine
Beherrscher“ sein sollen (1. Petr 5, 3), sondern sich so, wie es jedem Christgläubigen
zukommt, dem anderen unterordnen. Genauso spricht auch Paulus (Eph 5, 21): „Seid einander untertan!“ Es ist
auffallend, dass für den Raum der Kirche im NT gerade die alten
Herrschaftsstrukturen der Sünde vollkommen überschritten werden, weil in
Christus nicht mehr Jude noch Grieche, Mann noch Frau, Freier oder Sklave ist
(Gal 3, 28). Im sogenannten
antiochenischen Zwischenfall (Gal 2, 11 ff), in dem Paulus dem Petrus massiv und
öffentlich widerstand, berief er sich darauf, dass er „nicht geringer“ sei als
die „großen Apostel“ (vgl. 2. Kor 11,
5). In der Tat kann eine Amtsperson niemals über der Sache stehen, die sie
vertritt oder mit ihr identifiziert werden. Alleine der Versuch, dies im Falle
des Papstes zu tun („Die Tradition, das bin ich!“, „Die Kirche, das ist der
Papst.“) muss als häretisch angesehen werden. Niemals kann es einem Menschen
zukommen (außer allenfalls Maria, weil sie sündlos war), dass Akt und Potenz in
ihm zusammenfallen.
Eine Berufung auf ein abstraktes
Glaubensgut ist zwar aufgrund des NT vollkommen legitim, nicht aber nach den
Dogmen seit 1870. Sie war seither, v.a. wegen des Dogmas vom Universalprimat,
nicht mehr möglich, weil Pius IX. sich zum alleinigen und unhinterfragbaren
Medium der rechten Interpretation des Glaubensgutes erhob, wofür auch sein
unglaublicher Satz „Die Tradition, das
bin ich!“, den er in den Wirren des Vaticanum I äußerte, mit aller
Deutlichkeit spricht. Selbst Roger Aubert lässt in seiner Geschichte des
Vaticanum I durchscheinen, dass er diesen Satz samt der ideologischen Absicht,
die damals seitens Pius IX. vorangetrieben werden sollte, als eine schwere
Entgleisung einstuft.[5]
Alle kircheninternen Brüche
seither, gehe es dabei um die FSSPX oder verschiedene sedisvakantistische
Gruppen, hängen mit der Schizophrenie zusammen, die aus den Dogmen von 1870,
aber auch dem kirchlichen Ungeist, der den Papst damals sogar zur „dritten
Inkarnation Christi“[6]
erheben wollte (was Gott sei Dank nicht gelungen ist!), folgt.
In meinem darauf folgenden Leserkommentar
in der Tagespost vom 4. März 2017 hob ich darauf ab, dass die aktuelle
Problematik und Debatte um möglicherweise falsch lehrende Päpste und die Frage,
wie man sich ihnen gegenüber verhalten kann, soll oder darf, aufgrund der
dogmatischen Konstitution „Pastor
aeternus“ von 1870 (Vaticanum I) für den Gläubigen aus logischen Gründen nicht
mehr lösbar ist. Durch die beiden Papstdogmen von 1870 sind wir für immer in
eine Schizophrenie gestürzt worden ist, aus der es kein Entrinnen „guten
Gewissens“ mehr gibt. Was immer ein Papst mache, wir seien ihm „ohne Netz und doppelten Boden ausgeliefert“.
Weiter schrieb ich: „Ob er also etwas
Neues lehrt oder rechtgläubig bleibt, kann per definitionem niemand außer ihm
selbst wissen“. Diese Position stütze ich auf das Faktum des realen
Dogmentextes von 1870. Doch dazu später. Ich schloss meinen Brief mit dem Satz:
„(Wir
werden andernfalls) aus der absolutistischen Falle, in der wir seit 1870
stecken, nie wieder hinausgelangen, die sich seit Jahrzehnten in immer
quälenderen innerkirchlichen Szenarien ausdrückt.“
Auf diesen meinen Leserbrief
antwortete am 6.3.2017 Christoph Matthias Hagen in einem weiteren Leserbrief.
Er stimmte mir in meiner Analyse der Krisenlage, die der seinen, wie jeder
erkennen kann, nahe stand, zu und fügte an, dass das Vaticanum I das Vaticanum
II überhaupt erst hervorgerufen habe und das eine nicht ohne das andere gesehen
oder revidiert werden könne.
„Ohne
den Papstabsolutismus von 1870 wäre nie ein Papst auf die Idee gekommen, eine
derart radikal-umfassende Liturgiereform wie 1970 durchzuführen. Und wenn doch,
wäre sie nicht durchsetzbar gewesen. (…) Die Dogmen von 1870 sind vielleicht
nicht falsch oder unwahr. Sicher sind sie aber risikoreich. Erkennbar war es
aber, wenn man sehen konnte und denken wollte, schon 1870.“
Wie recht Hagen damit hat, werden
wir weiter unten sehen.
Daraufhin erschien am 14.3.2017
eine umfangreichere Erwiderung Dr. Heinz-Lothar Barths, die sich an der Kritik Hagens
am Vaticanum I rieb, dabei aber keinerlei Hemmungen zeigte, gleich am Anfang
des Leserbriefes deutliche Kritik am Vaticanum II zu formulieren. Was man im
einen Falle also vollkommen ausschließt, genehmigt man sich im andern Falle
ohne Gewissensnot. Herr Dr. Barth demonstrierte damit vermutlich unbewusst
genau diejenige schizophrene Haltung, auf die sowohl die Verfasser des „Weckrufes“ als auch auf eine eigene
Weise Herr Hagen und ich hinweisen wollten. Auch wenn das Vaticanum II keine
Dogmen definiert hat, ist es dennoch niemals statthaft gewesen, dass Laien oder
Kleriker ein rechtmäßiges, von einem rechtmäßigen Papst einberufenes Konzil für
zweifelhaft, falsch lehrend oder gar ungültig hätten ansehen und diese Meinung
innerhalb der Kirche hätten verkünden dürfen. In einer krisenhaften Lage wie
der unseren aber muss auf der Suche nach den Ursachen, wenn man Zweifel an
einem Konzil äußert, Zweifel an jedem Konzil möglich sein.
Dass wir seit längerer Zeit in
einer objektiven Krise sind und diese Krise von der Hierarchie ausgeht, kann andererseits
niemand bezweifeln, der die Kirche liebt und mit ihr fühlt. Die gängige
Meinung, das Vaticanum II habe „alles kaputtgemacht“ lässt sich kaum
aufrechthalten, wenn man nicht Pius IX. und das Vaticanum I als die
eigentlichen Auslöser dessen, was im Vaticanum II möglich wurde, erkennt.
Barth stellte Hagens Satz vom „risikoreichen Dogma“ in Beziehung zu
Kardinal Kaspers, wie er schreibt „berühmt-berüchtigter
Äußerung“, die der in seiner „Einführung in den Glauben“ von 1972 zu Papier
brachte, Dogmen könnten „durchaus
einseitig, oberflächlich, rechthaberisch, dumm und voreilig“ sein.
Barth fügt hinzu, „man“ dürfe „nicht vergessen“, die Lehre der Papstdogmen sei „feste Lehre der Kirche von Anfang an“.
An dieser Stelle stieg mir unvermittelt die Besorgnis auf, dass der Herr Dr.
Barth womöglich nicht weiß, wie heftig umstritten dieses Dogma nicht nur 1870
auf dem Konzil war, sondern dass es in der enggeführten Definition weder einen
Schriftbeweis, noch einen eindeutigen Traditionsbeweis vorbringen konnte und
den frühen Kirchenvätern völlig unbekannt war. Aus einem latenten Vorrang des
Petrus geht durchaus weder logisch noch rechtlich das hervor, was wir in „Pastor aeternus“ lesen.[7]
Vielmehr finden wir eine Linie päpstlicher Selbsterhebung und Machtansprüche
seit dem frühen Mittelalter, die sich mit der Zeit als „Selbstläufer“ verstärkt
hat, aber beileibe nicht von allen geteilt, sondern im Gegenteil Gegenstand
heftiger Auseinandersetzungen war.[8]
Nicht zuletzt war das in dieser Weise vor allem im ungeistlichen Sinne
machtbewusste Papsttum Auslöser politischer Krisen, Kriege und einer
Doppelmoral, die sich bis zur Französischen Revolution wie ein kaum mehr übersehbarer
Schuttberg aufgeworfen hatte. Die Kirche hatte einen weltlich-geistlichen
Januskopf ausgebildet, der in unübersehbare politische Händel verstrickt war.
Darauf haben viele, teilweise sogar
die besten Köpfe des 19. Jh wie Ignaz Döllinger, Bischof Hefele, Bischof
Ketteler, auch Bischof Newman u.v.a. hingewiesen, aber nicht nur sie. Auch weniger
bekannte Konzilsväter wie Bischof Stroßmayer von Djakovo waren geradezu
verzweifelt über die Neuartigkeit dessen, was da in viel zu kurzer Zeit und
ohne, dass es zuvor überhaupt als das Thema des Vaticanum I angekündigt worden
wäre, „heruntergerissen“ wurde. Eine ebensolche Skepsis und Verärgerung lässt
sich auch in Kardinal Newmans Werk nachzeichnen, dessen Position Barth mE nur verkürzt
wiedergibt. Newman stand wie alle Gegner dieses Dogmas vor dem Dilemma, nach
erfolgter Definition gezwungen zu sein, seine vorherige Glaubensüberzeugung auf
„Knopfdruck“ auszuwechseln — für viele sogar in ihr blankes Gegenteil, ging es
doch auf dem Vtaicanum I, wie Klaus Schatz gezeigt hat, keineswegs nur um das
Argument der „Opportunität“, sondern wie schon zuvor auf dem Tridentinum um handfeste
theologische und kirchenhistorische Hindernisse, die danach zwar unterdrückt
wurden, aber bis heute nicht ausgeräumt sind. Newman sprach während des Konzils
in seinem Tagebuch sogar davon, dass die Kirche in einer „Gefahr stehe, wie sie nie zuvor je größer für sie bestanden“ habe,
größer also auch als die Gefahr in der Arianismuskrise, mit der er sich
intensiv auseinandergesetzt hatte.[9]
Barth hält dieser alten und immer
noch aktuellen Sorge Newmans prinzipiell entgegen, dass man diese Gefahr nur
dann gegeben sehe, wenn man „das Dogma
überschätze“.
Auch hier scheint mir Barth — wie
sehr viele Menschen übrigens — den Dogmentext nicht genau gelesen oder in
seinem Wortlaut nicht ernst genug genommen zu haben, der immerhin weit über
jeder Interpretation desselben steht. Es nützt wenig, Interpretationen des
Dogmas über den tatsächlichen Dogmentext zu stellen und dem, der das Dogma in
seinem Wortlaut untersucht, womöglich noch, wie Barth das leider tut, mit einer
ungezogenen Herablassung zu kontern. Mit diesen sachlich oft unzureichenden,
nachträglichen Interpretationen oder Beschönigungen kann nicht entkräftet
werden, aus welchem Geist diese Dogmen durchgepeitscht wurden und anschließend
so auch für lange Jahrzehnte dem Kirchenvolk eingeimpft wurden. Maßgeblich ist
und bleibt, rechtlich gesehen, der Dogmentext selbst, danach seine Rezeption in
päpstlichen Lehrschreiben und nicht
die apologetische Literatur über das Dogma.
Die Dogmatisierung der
Unfehlbarkeit des Papstes und seiner Universalgewalt erfolgte unter
tagespolitischem Druck, brüllender Sommerhitze und konzilsinternen Intrigen. Sie
erfolgte entgegen dem Willen eines viel zu großen Teils der Konzilsväter, die mindestens
(!) ein Fünftel oder Viertel der Bischöfe ausmachten, am Ende, um das schlecht
vorbereitete und überhastete Gebilde nicht mit abstimmen und nicht
mitverantworten (!) zu müssen, nach und nach vorzeitig abreisten. All jene, die
dem Dogma nicht zustimmten, mussten danach selbiges in ihren Diözesen
vertreten. Sie versuchten, wenigstens die Bedeutung der Dogmen so tief wie
möglich herab zu “interpolieren“, um selbst damit leben zu können und in ihren
Diözesen nicht unglaubwürdig zu werden, hatten sie doch zuvor dort nicht selten
das Gegenteil des nun definierten Dogmas gegenüber ihren Diözesen und den
beunruhigten weltlichen Regierungen vertreten. Im Raum stand die Befürchtung,
dass die Katholiken durch das Dogma vom Universalprimat des Papstes in einen
Zwiespalt zu ihren weltlichen Regierungen gedrängt werden könnten und die
Kirche so einen „Staat im Staat“ aufbauen könnte. Der deutsche Kulturkampf
rührte genau aus jener Besorgnis. Viel zu oft unterschlägt man in der
katholischen Apologetik, dass die beiden unseligen Dogmen nicht nur ein
Schisma, sondern auch diese politische Krise in Deutschland hervorriefen. Pius
IX. approbierte alles, was sich nur irgendwie zustimmend zu den Dogmen hernach
äußerte, auch Ausführungen, die wiederum untereinander nicht übereinstimmten.[10]
Barth zitiert in seinem Leserbrief
Kardinal van Rossum, der erklärt habe, man müsse, um die Papstdogmen recht zu
verstehen, den Unterschied zwischen „ordentlichem“
und „außerordentlichem“ Lehramt
begreifen. Und nur „außerordentliche
Lehrakte“ seien mit den Dogmen gemeint.
Wer jedoch die Dogmentexte liest,
sieht auf den ersten Blick, dass davon gar keine Rede sein kann. Dort wird
keine präzise Einschränkung auf bestimmte Teile des Lehramtes vorgenommen. Ich
werde das noch zeigen. Dabei werden wir auch erkennen müssen, dass das Lehramt
selbst sich später ausdrücklich gegen eine solche Bedeutungseinschränkung
verwahrt hat.
Vielleicht kann man es aber auch so
sehen:
Mithilfe dieses Interpretations-„Kniffs“
hat sich der sensus fidei fidelium
schon damals aus der dogmatischen Schizophrenie befreit, die nun faktisch verhängt
worden war. Man hat sich wie in einem gesunden Reflex — von kaum noch zu
erwartenden Dogmen abgesehen — im Grunde des Dogmas entledigt. Etwas, das
sowieso nie genutzt wird, hätte nicht definiert werden müssen… Praktisch wurde
es in einer solchen Interpretation gegenstandlos. Beschwichtigend wird oft
vorgetragen, nach 1870 sei ja nur „einmal Gebrauch gemacht worden“ von dem
Dogma, nämlich 1950 bei der Definition der Assumptio Mariens. Fragt sich dann
allerdings nur, warum dann ausgerechnet um ein nahezu gegenstandsloses Dogma so
erbittert gestritten werden und eine Kirchenspaltung inkauf genommen werden
wollte?!
Hinzukommt, dass die Kirche eine
Unterscheidung von „ordentlichem“ und
„außerordentlichem Lehramt“, die „unser Herr Jesus Christus“ eingeführt
habe, vor Pius IX. nicht kannte. Kurz vor dem Vaticanum I wurde sie beiläufig
eingeführt, später aber nicht aber auf das Dogma bezogen.
Ich schrieb damals am 15.3.2017
eine Erwiderung an Herrn Dr. Barth, die aber nicht veröffentlicht wurde. Ich
gebe sie hier zur Kenntnis:
„Es ist erstaunlich,
mit welcher Leichtigkeit im Lager der Traditionalisten Sätze aus immerhin
dogmatischen Konstitutionen des Vaticanum II offen angezweifelt und verworfen
werden, das Vaticanum I aber, das hinsichtlich seiner formellen Abläufe
wesentlich fragwürdiger war und mit Sicherheit eines Tages, wenn die Kirche
noch tiefer gefallen sein wird, noch einmal auf den Prüfstand kommen muss, aber
mit einem „katholischen“ und unantastbaren Heiligenschein versehen wird.
Man muss sich schon
entscheiden. Was man sich selbst beim einen Konzil erlaubt, muss man den
anderen beim anderen zugestehen…
Nun geht es ja nicht
darum, ob der eine oder andere Satz fragwürdig, zeitgemäß oder sogar regelrecht
irrig ist, der von Päpsten oder Konzilien kommt. Es geht um einen logischen
Widerspruch in dogmatischen „Entfaltungen“.
Die Unterscheidung
zwischen einem „ordentlichen“ und einem „außerordentlichen“ Lehramt ist eine
zwar reaktionäre, aber dennoch nur zeitgeistige und moderne Erfindung des 19.
Jh. Davon sprach man 1800 Jahre lang in der Kirche nicht. Pius IX. ließ diesen
Begriff 1863 in seinem Brief an Erzbischof Scherr erstmals in die Debatte
einfließen. Dieses Breve, kurz vor der Einberufung zum Vaticanum I formuliert,
verlangt dem Theologen Unterwerfung gegenüber jeglicher päpstlicher Äußerung
ab, auch wenn es unklar hinzufügt, es sei nicht alles Teil des Glaubensgutes.
Zwar könne man einen widersetzlichen Gelehrten nicht direkt als Häretiker
bezeichnen, aber dennoch ähnlich wie einen solchen behandeln… Das Dilemma, von
dem wir hier reden, wird hier schon deutlich.
Wer die dogmatische
Konstitution „Pastor aeternus“ sorgsam liest, muss entdecken, dass dort keine
Unterscheidung getroffen wird zwischen einem „ordentlichen“ und einem
„außerordentlichen Lehramt“. Die Art und Weise, in der der Papst den Gläubigen
etwas als zu glauben vorlegt, wird nicht genauer definiert, lässt also somit
objektiv offen, was nun ins Spektrum des Unfehlbaren gehört und was nicht.
Ferner wird dem Gläubigen abverlangt, dass er sich generell der gesamten
Regierungsgewalt des Papstes nicht nur (manchmal) zähneknirschend, sondern mit
innerer Zustimmung unterwirft. Dem, der dem zuwider handelt, wird in Aussicht
gestellt, „Schiffbruch“ im Glauben zu erleiden.
Herr Dr. Barth darf
sich dieser Forderung nicht einfach verschließen, denn sie gehört mit zu den
Dogmen des Vaticanum I. Andernfalls würde er gewissermaßen im Reflex, aber
uneingestanden dasselbe tun, was Kardinal Kasper offen tut: das Riskante dieser
Dogmen einfach ignorieren oder sogar verneinen, als wäre es nicht da. Es ist
aber da.
Unser Dilemma heute
ist, dass diese beiden Dogmen sich selbst in die Absurdität geführt haben. Das
ist ein logisches Problem, mit dem keine Seite fertig wird.
Wer erleidet nun
„Schiffbruch“?
Die, die dem Vaticanum
II und Franziskus folgen, auch wenn dieses Konzil und dieser Papst das
Gegenteil von dem zu lehren scheinen, was ihre historischen Antipoden des 19.
Jh wortgewaltig und streng verkündeten?
Oder die, die dem
Vaticanum II bzw. einigen Sätzen und Franziskus nicht folgen, weil sie das Nicht-Schiffbrucherleiden
eben doch nicht an den Papst, sondern an einen Traditionsstrang binden?
Auf dem Vaticanum I
wurde erbittert debattiert, ob eine solche Zuspitzung päpstlicher Gewalt, wie
sie damals durch die Maximalisten erreicht werden wollte, wirklich im Nukleus
der Überlieferung steckt. Die Sachargumente der Minimalisten waren die
redlicheren. Auch das Schriftzitat Dr. Barths gibt diese Dogmatisierung nicht
her. Schon damals wurde zu bedenken gegeben, dass es ja nicht sein kann, dass
man eines Tages Fehler, die mit Macht in der Kirche vorangetrieben wurden von
bestimmten Interessengruppen, wenn diese Fehler nur lange genug vorangetrieben
wurden, auch schriftfern als „Tradition“ angesehen werden dürften. Weder die
Schrift noch die Väterliteratur gibt die Entwicklung in dieser Maximalisierung
her, die nicht zuletzt einer der Hauptgründe für die diversen Kirchenspaltungen
war und ist.
Wie man die Sache
dreht und wendet, man entrinnt dem logischen Dilemma nicht. Das Dilemma ist,
dass wir mit dem Vaticanum I objektiv einem theologischen Voluntarismus
ausgesetzt sind, den niemand mehr lösen können wird und der uns derzeit eiskalt
einholt.“
Aufgrund des damals schon extrem
einseitigen und den vollständigen Sachverhalt verkürzenden Schreibens Barths
entstand der Eindruck des klassischen „Was nicht sein kann, das nicht sein
darf“. Vor allem erkennt er nicht, dass für das Verständnis des
Unfehlbarkeitsdogmas nicht nachfolgende beschwichtigende Interpretationen
irgendwelcher Kanonisten oder Apologeten, sondern das im selben Schreiben
definierte Jurisdiktionsdogma des Papstes maßgebend ist. Diese beiden Dogmen zusammen erlauben keinerlei Spielraum mehr,
sich einem Papst entgegenzustellen, was immer er tut. Theoretisch muss der
Papst sich an die Lehre der Kirche halten, aber es ist kein Instrument mit auf
den Weg gegeben worden, eine Prüfung, ob er das denn tue, zuzulassen. Er hat
deswegen immer recht, weil er der Papst ist und mit seinen Urteilen und
Entscheidungen per definitionem „nicht
von der Zustimmung der Kirche abhängig ist“ (s.u.).
Inzwischen hat die Forschung sehr
viele Archivakten bearbeitet, und es sind zahlreiche, ganz neue Werke zum
fraglichen Themenkreis erschienen. Diese neuesten Forschungsarbeiten über die
Szenarien um das Vaticanum I ernüchtern erheblich. Herr Dr. Barth scheint diese
neueren Forschungen noch nicht zur Kenntnis bekommen zu haben oder aber mancher
konservativen Polemik gegen solche Arbeiten zu folgen. Ich empfehle jedem, sich
hier unbedingt auf dem Laufenden zu halten. Bis heute wurde August Bernhard
Haslers umfangreiche Quellenstudie zum Vaticanum I[11]
mit Herablassung, Polemik und Abwertung bedacht. Sein Material ist jedoch von
niemandem widerlegt worden und steht im Grunde als eine übergroße, anklagende Frage
im Raum der Kirche. Vor seinem Tod arbeitete er an einer Untersuchung über den
Zusammenhang zwischen dem dogmatisierten Papstabsolutismus von 1870 und den
späteren Führerkulten. In der Tat besteht hier ein geistiger Zusammenhang, für
den viele Fakten sprechen. Die anfängliche Verkennung der Nationalsozialisten
durch reaktionäre Katholiken fußte ausdrücklich immer auf der Meinung, nun
werde endlich wieder eine „gottgewollte“ streng führerzentrierte, hierarchische
Regierung eingerichtet, die womöglich das alte römische Reich („Drittes Reich“)
wiedererstehen lassen würde.[12]
Auch die Förderung des italienischen Faschismus durch Pius XI. hängt
unmittelbar mit den politischen Leitbildern zusammen, die aus dem Vaticanum I
auf politische Herrschaft übertragen wurden.
Aber auch Klaus Schatz SJ Studien
zum Vaticanum I[13]
offenbaren, wie komplex die Situation war, welch schmerzhafte Erfahrungen und
Vorgänge sich abspielten und wie machtbewusst und oft unredlich die
ultramontan-maximalistische Fraktion um Pius IX. herum agierte, zumal der Papst
zunehmend Druck ausübte auf die Vorgehensweisen des Konzils.[14]
Tiefe Einblicke in die
Befindlichkeit Newmans gibt die Studie von Adrian Lüchinger.[15]
Weiter zeichnen die neueren Studien Hubert Wolfs, etwa über die Sitten um Pius
IX., der offenbar falschmystischen Kulten, um es vorsichtig zu formulieren,
nicht abgeneigt war, in deren Dunstkreis geradezu haarsträubende, auch im Sinne
des Strafrechts kriminelle und im Sinne des Kirchenrechtes formell häretische
Dinge geschahen, die den Papst aber nicht davon abhielten, einen dieser
Delinquenten, nämlich Josef Kleutgen SJ, zu „begnadigen“ und bevorzugt für
seine konziliaren Unfehlbarkeitsambitionen anzustellen, eine Konstellation, der
mir aus der gesamten Kirchengeschichte nicht bekannt ist. Kleutgen war schlussendlich
der, der den Dogmentext entworfen hat. [16]
Einen ebenso erschreckenden
Einblick in die geistige und moralische Verfassung der ultramontanen
Maximalisten bietet die Studie von Otto Weiß über die Vorgänge um die Seherin
Louise Beck, um die ein ausufernder, spiritistischer Kult mit sexuellen und
häretischen Exzessen durch die Redemptoristen in Altötting, Bischof Reisach,
Bischof Senestrey (beides fanatische Kämpfer für das Unfehlbarkeitsdogma) und
einige andere hohe Würdenträger bis hinauf nach Rom aufgebaut worden war. Es
besteht für den Autor der naheliegende Verdacht, dass die Seherin über Bischof
Reisach, der von Pius IX. nach Rom geholt worden war, um das Konzil
vorzubereiten, und der „ein Kind der Mutter“ (also in den kultischen
spiritistischen Altöttinger Kreis gehörte) war, hinsichtlich der geplanten
Dogmen konsultiert worden war. Louise Beck diente als Medium für die Weisungen
der „Mutter“, hinter der sich die verstorbene Ehefrau eines der
Redemptoristenpatres verbarg, die regelmäßig beschworen wurde, um anzusagen,
was der Himmel von seinen Dienern im politischen Geschäft verlange. Louise Beck
wurde von mehreren kirchlichen Würdenträgern bei wichtigen politischen
Handlungen um solche Anweisungen und Ratschläge aus dem Jenseits gebeten.[17]
Man kann annehmen, dass dies auch hinsichtlich des Vaticanum I geschah. Die
vorbereiteten Schemata sahen jedenfalls keine gesonderte Debatte über die
päpstliche Sonderstellung vor, sondern eine dogmatische Konstitution über die
Kirche („De ecclesia Christi“), im Rahmen
derer die Papstfrage nur ein Unterkapitel ausmachte. Es überrascht daher, dass
auf dem Konzil plötzlich nur dieses Unterkapitel übergroß aufgeblasen wurde.
Ich möchte anfügen, dass ich
keineswegs polemisch auf die Forschungslage verweise, sondern aus eigener
Erfahrung spreche. Ich habe selbst einmal diese „traditionalistischen“ Standpunkte
vertreten und musste entdecken, dass sie bei nüchterner Betrachtung der Dinge
und intellektueller Redlichkeit nicht haltbar sind. Hinzukommt, dass gerade bei
den neueren Dogmen meist der Schrift- und Traditionsbeweis entweder ganz fehlt
oder auf äußerst brüchigem Boden steht. Nicht umsonst wurden sie bereits als
eine Art „Dogmata honoris causa“ behandelt, Dogmen zweiter Klasse gewissermaßen,
Dogmen, die nichts klären, sondern die als Vehikel der hierarchischen Macht-
oder Verehrungsdemonstration dienen sollen und inhaltlich zum mindesten nicht
falsch sein sollten.[18]
Anders gesagt:
Mit fortschreitender Zeit wird die
Definition von Dogmen in ihrem alten, frühchristlichen Zweck, nämlich
Glaubenssätze überhaupt erst einmal zu schärfen und gegen häretische Tendenzen um
des Seelenheiles der Gläubigen willen zu verteidigen, immer unplausibler. Man
muss mit Recht fragen dürfen, wozu man nach 2000 Jahren etwas für den Glauben
Grundsätzliches erst jetzt zu klären hätte. Immerhin hätten Christen dann 2000
Jahre lang u.U. ungeahndet einem glaubens- und das Seelenheil schädigenden Irrtum
angehangen. Dogmen sind seit Pius IX. zum Herrschaftsinstrument geworden. Sie
mögen inhaltlich nicht falsch sein, aber nicht jeder Glaubenssatz ist geeignet,
Dogma zu sein. Während etwa das Dogma von der Dei Genitrix in der frühen Kirche
einer handfesten christologischen Notwendigkeit entsprang, kann für das
Immaculata-Dogma keine solche Notwendigkeit erkannt werden.
Die oft zu hörende, scheinplausible
Auffassung, man sei kein Häretiker, solange man eine Lehre ablehne, die noch
nicht definiert sei, man werde aber sofort danach zu einem solchen, wenn man
nicht „Gewehr bei Fuß“ seine bisherige Überzeugung über Bord wirft und sich
bedingungslos der neuen Lehre „unterwirft“, ganz so, als seien
Glaubensüberzeugungen mechanische, seelenlose Bausätze, die man auf Knopfdruck,
Befehlen entsprechend, umbaut, weist einen Glaubens-Positivismus auf, der an
sich schon als Glaubensabfall betrachtet werden muss. In einer pneumatischen
Kirche mit einem geheiligten allgemeinen Priestertum wäre ein solcher Zustand
schlechterdings absurd.
Wenn ich etwas, das ich gerade noch
geglaubt habe und auch glauben durfte, auf Befehl hin nicht mehr glauben darf,
dann habe ich weder das eine noch das andere wirklich je im Glauben angenommen.
Glaubensüberzeugungen sind ja kein
Firnis, den man annimmt und abstreift je nach Opportunität gegenüber der
Hierarchie. Und wenn man sie doch so sehen will, verdienen sie den Namen der
Überzeugung nicht. Ein solcher Glaube ist kein Glaube, sondern eine sektiererische,
voluntaristisch gefärbte Gehirnwäsche. Wenn vorher mein Seelenheil inhaltlich
davon nicht abhing, warum sollte es nach einer Dogmatisierung plötzlich davon
abhängen?
Nun operieren aber päpstliche Texte
seit dem 19. Jh unverhohlen mit genau jener Drohung, einen jeden, der es nicht
schafft, eine Glaubensüberzeugung oder auch einen Zweifel schnell genug
vollständig aus seinem Herzen zu reißen, als Häretiker unter Anathem zu scheuchen.
Entsprechende Irritationen rief diesbezüglich
bereits das Immaculata-Dogma in der Zuspitzung von 1854 hervor. In der
Engführung der Formulierung von 1854 wurde diese Lehre nicht fraglos immer und
von allen geglaubt. Ganz im Gegenteil. Sie war nicht nur den Kirchenvätern
gänzlich unbekannt, sondern ist auch im Schrifttext nirgends direkt oder
indirekt auffindbar. Die Bulle „Ineffabilis
Deus“, in der Pius IX. diese Lehre nun verkündete, ist gemessen an dieser historischen
und theologischen Realität atemberaubend unbesorgt um die gut bezeugten
Auseinandersetzungen in der Kirchengeschichte, in deren Verlauf diese Lehre sogar
aktiv und heftig von den hervorragendsten Lehrern der Kirche, wie Thomas von
Aquin, Albertus Magnus, Bonaventura und Katharina von Siena ausdrücklich
abgelehnt wurde. Man kann sogar mit Recht sagen, dass das, was Pius IX. da
behauptet, schlicht nicht der Wahrheit entspricht. Diese zugespitzte Lehre
gehörte in den ersten 1000 Jahren nicht zur festen Glaubenstradition und danach
galt sie als „opinio nova“ und war
heftig umstritten — das ist eine historische Tatsache.
Es kann sich also nicht um eine
Lehre handeln, die immer und überall von allen geglaubt oder interesselos
sowieso angenommen wurde, sondern um eine Lehre, die neu entstand und Gegenstand
gezielter Machtpolitik war. An der Sorbonne verweigerte man ab dem späten 15.
Jh Anwärtern die akademischen Titel, wenn sie nicht unterschrieben, sich für
die Verbreitung eben dieser Lehre einzusetzen, die dann durch Pius IX. nach 400
Jahren solcher erpresster Propaganda zum Dogma erklärt wurde. Der Glaube wurde
hier also bewusst gelenkt, erzwungen und alle Zweifler und Gegner, die sich vor
allem unter den innerkirchlichen Intellektuellen und Gelehrten vom
Dominikanerorden fanden, mit unlauteren Mitteln ausgeschaltet. Wer verzichtete
schon auf seinen Magister- oder Doktortitel, nur weil er diese Lehre vielleicht
nicht glaubte? Andererseits bedeutete der Schachzug, alle Absolventen der
renommiertesten mittelalterlichen Universität Europas zu einem Bekenntnis zu
dieser umstrittenen Lehre zu erpressen, eine gewisse Garantie für deren
Verbreitung auf dem ganzen Kontinent. Pius IX. stieß in seinem Dogmentext die
Bischöfe vor den Kopf, weil er nicht erwähnte, dass er in Einigkeit mit ihnen
das Dogma verkünde. Vielmehr hatte er sich von den Bischöfen mitteilen lassen,
wie das Volk über diese Lehre denke… Man würde eine solche Methode heute
raffiniert und „populistisch“ nennen.
Die neuen Mariendogmen haben den
Glauben an sie nicht vermehrt. Im Gegenteil — wie Newman es vorhergesagt hatte,
würde deren Definition den Glauben an sie schwächen bzw verwirren (!).[19]
Und tatsächlich: seit 1854 ist nicht etwa eine gesunde Marienverehrung konsolidiert worden, sondern es entstand ein blühender und ungesunder, mystizistischer Marienaberglaube, der von der gesunden Gestalt der klugen und nüchternen Frau in
Christus und Mariens im besonderen vollkommen abgeführt hat. Die Kirche leidet heute unter einer Flut angeblicher oder wirklicher "Marienerscheinungen", mithilfe derer gezielt Politik betrieben wird und über die zahlreiche Irrlehren und ein massiver Okkultismus in die Kirche eingedrungen sind. Die Früchte
solcher Definitionen, die ohne Not als Vehikel anderer Ambitionen dienen, sind
faul. Deswegen ist der Inhalt des Dogmas zwar nicht falsch, aber es ist falsch,
aus bestimmten Typen von Glaubenswahrheiten Dogmen zu kreieren.
Genau das hat mit hoher
Wahrscheinlichkeit Kardinal Kasper gemeint und ähnlich auch Christoph Matthias
Hagen.
Die Rede davon also, dass man mit
erfolgter Definition nun das Rechte zu glauben habe (also das, was der Papst
definiert hat) und im Falle des bloßen inneren Zweifelns bereits zum Häretiker
abgestempelt wird, weil man ja nun das Irrige glaubt, lässt unter logischen,
nicht nur glaubenspositivistischen Gesichtspunkten gesehen, die Frage
aufsteigen, ob die Ablehnung dieser Engführung von 1854 vorher nicht ebenso
irrig war wie nachher und die genannten Kirchenväter und hervorragenden
Kirchenlehrer dann nicht allesamt in einem Irrtum befangen waren, wenn er
andererseits so markig bewertet wird, dass man deswegen von nun an Menschen mit
der Hölle droht?
Ist das Problem nun, dass man den
Inhalt des Dogmas bezweifelt oder nicht schlicht dies, dass man dem Papst nicht
willenlos und ohne noch nach einem Verstehen und Erfassen von
Glaubenswahrheiten zu trachten, in allem blind folgt? Tut man aber letzteres,
ist von einem echten Glauben nicht mehr zu reden, wie bereits dargelegt.
Die katholische Kirche hat sich so
einem Voluntarismus geöffnet, der sie in die Nähe islamischer
Unterwerfungstheologie rückt, aber auch andererseits ganz moderne Konzepte des
Geniewahns oder des Übermenschenglaubens (die dem Papst zugeordnet werden
können) anklingen lassen. In der frommen Literatur des späten 19. Jh kann man
Notizen finden, die in diese Richtung gehen. Leider finde ich die Quelle nicht
mehr, aber ich las einen Reisebericht eines Priesters, der in Rom zu seinem
übergroßen Glück eine Audienz beim Papst bekam. Seine Gefühle, als er sein Idol
sah und mit Jesus identifizierte, erinnern an die hysterischen Reaktionen
jugendlicher Popkonzertbesucher der Sechzigerjahre. Aber noch Kardinla Meisner
äußerte sich einmal ähnlich schwärmerisch in einer Gesprächssendung bei
„Beckmann“ im ARD, als er ebenfalls behauptete, aus dem Gesicht Benedikts XVI.
leuchte Jesus heraus.
Was jedoch Glaubenswahrheit und
jede Wahrheit betrifft: Logisch betrachtet ist die Wahrheit aus sich selbst
heraus wahr und nicht deshalb, weil einer sie definiert. Ebenso ist der Irrtum
in sich selbst irrig — nicht weil einer sagt, das sei ein Irrtum.
Zunächst möchte ich auch noch den
Leserbrief zitieren, den Christoph Matthias Hagen am 14.3.2017 auf Dr. Barths
Ausführungen folgen ließ:
„Mit großem Interesse
habe ich die Erwiderung Heinz-Lothar Barths auf meinen vorausgegangenen
Leserbrief vom 7. März 2017 zur Kenntnis genommen. Wie immer argumentiert er
kenntnisreich und anregend und verbindet damit Literaturhinweise, denen
nachzugehen stets lohnt. Tatsächlich hatte ich bei meiner rhetorisch gezielt
zugespitzten Formulierung, von vielleicht nicht falschen oder unwahren, aber
risikoreichen Dogmen zu schreiben, die von Barth als berühmt-berüchtigt
qualifizierte Einschätzung Walter Kaspers im Sinn. Dieser möchte ich mich zwar
nicht vollumfänglich anschließen und denke persönlich auch nicht, dass Kasper
damit behaupten wollte, sämtliche Adjektive, die dieses Zitat enthält, träfen
in jedem Einzelfall kumuliert zu. Ich gebe zu bedenken, dass es jedenfalls doch
so ist, dass eine Wahrheit nicht unbedingt dogmatisch fixiert sein muss, um
gültig und durchaus verbindlich dem Glauben der Kirche zugehörig zu sein. In
diesem Sinne können Dogmatisierungen meines Erachtens tatsächlich voreilig oder
zumindest überflüssig sein, weil sie eine Festlegung bedeuten, die sich im
Nachhinein als entbehrlich oder eben auch als riskant erweist. Letzteres sehe
ich bei den Dogmen von 1870, vor allem der päpstlichen Unfehlbarkeit, in der
Tat als gegeben an, habe aber bereits in meinem ursprünglichen Leserbrief, auf
den Barth sich bezieht, dezidiert und unmissverständlich ausgedrückt, deshalb
keineswegs die altkatholische Ablehnung dieser dogmatischen Definitionen zu
teilen. Was ich meine, lässt sich wohl auch am Dogma vom 1. November 1950 gut
zeigen: Dieses war gewiss nicht in dem Sinne notwendig, dass ohne es der Glaube
an die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel in der Kirche erloschen wäre
oder fehlen würde. Mein Anliegen war vor allem, meine im Laufe der Jahre immer
deutlicher gewordene Überzeugung in die Diskussion einzubringen, dass Vaticanum
I Vaticanum II erst ermöglicht und es deswegen eine Schwierigkeit bedeutet,
dass beispielsweise in der Priesterbruderschaft St. Pius X. ein ganz bestimmter
Traditionsstrang fortlebt, den ich als eine konkrete theologische und
kirchenpolitische Strömung verstanden wissen will und den man treffend als
ultramontan-jesuitisch charakterisieren kann. In den Modernismusbegriff gingen
vielfach wohl auch ungerechtfertigt jene spirituellen, theologischen und
kirchenpolitischen Richtungen ein, die in den Jahrhunderten zuvor in der Kirche
unbestrittenes Heimatrecht besaßen und dem rechten Glauben nicht widersprachen,
indes nicht als ultramontan-jesuitisch zu fassen sind.
Speziell im gegenwärtigen Pontifikat entsteht
also das Problem, dass konservative und vor allem traditionalistische Kritik,
in der mehr oder weniger stark ein ultramontaner, autoritärer Papalismus
bejahend vorausgesetzt ist, sich an einen Papst richtet, der diesen Papalismus
vielleicht als erster ähnlich selbstbewusst und konsequent praktiziert wie Pio
Nono, ihn aber inhaltlich in einer Weise füllt, die traditionsgebundenen
Katholiken vielfach im Kontrast zur beständigen Lehre und Praxis der Kirche zu
stehen scheint und zunehmend auch jene Konservativen befremdet, die bisher sich
stets aufseiten des Heiligen Vaters verorteten und sich nun verwundert in ein
Gegenüber zu ihm gedrängt fühlen, um den politischen Begriff der Opposition
nicht zu strapazieren.“
Sein damaliger, unsere Fragen
erstickender Leserbrief in der „Tagespost“ hat Dr. Barth offenbar keine Ruhe gelassen.
Er hat ihn nun ausgeweitet zu einem umfangreichen Artikel in der „Kirchlichen Umschau“ vom April 2017
Herr Dr. Barths aktueller Text
beginnt schon mit einer höchst unsachlichen Einleitung, die viel gekränkte
Eitelkeit vermuten lässt. Er habe doch ausführlich über das Schreiben „Amoris laetitia“ bereits referiert,
also müsste doch klar sein, dass mit dem päpstlichen Schreiben ein Problem
vorliege. Er spricht von „papalistischen
Tendenzen“ und bezeichnet jene Personen, die er nicht nennt, aber angreift,
als so „beratungsresistent wie Luther“.
Von dieser unspezifischen Schuldzuweisung geht Dr. Barth sofort zum Schlag
gegen Christoph M. Hagen über, dessen ersten Leserbrief er „fatal“ nennt. Er hängt sich, wie schon in seinem Leserbrief in der
„Tagespost“ an der Formulierung auf,
Dogmen könnten „risikoreich“ sein. Er
reagiert mit spürbarer Empörung auf Hagens bewusste Nähe zu Kardinal Kaspers „berühmt-berüchtigter“ Äußerung. Noch
einmal wiederholt er seine ultramontan-jesuitisch eingefärbten Ansichten über die
Papstlehre, die schon immer so geglaubt worden und darum „unantastbar“ sei. Allerdings gibt er zu, dass sich diese Lehre „erst aufgrund der Zeitumstände so
entwickelt“ habe. Er verschweigt, dass sich diese Lehre nicht ausschließlich "fest" und ohne heftige, ca. 1000 Jahre alte Gegenwehr entwickelt hat, um
deretwillen die Kirche sich in mehreren Schüben gespalten hat. Und „alleine schon deswegen“ sei sie „irreversibel“. Das ist zwar nicht
logisch, offenbart aber den schon erwähnten problematischen Positivismus. Recht
hat der, der die Macht hat, auch wenn es nicht plausibel ist, keine einhellige
Überzeugung der ganzen Kirche war oder ist und deshalb keine unanimitas auf sich vereinigen konnte.
Barths Schriftzitate sind wie schon zuvor in der „Tagespost“ und wie die Minimalisten auf dem Konzil damals schon
ausführlich nachwiesen, nicht ausreichend, um diese Lehre zu begründen. Barth
beginnt anschließend einen Tour d’horizon durch die Legende von der tapferen
Papstkirche gegen den abgrundtiefen und hochgefährlichen Modernismus, dieses
inzwischen zum Gähnen abgenutzte Schwarzweiß-Märchen über die Herkunft der Kirchenkrise…
Barth zitiert ein weiteres Mal
Newman, der „kein prinzipieller Gegner“
des Papstdogmas gewesen sei und das Dilemma vorausgesehen habe, das folgen würde,
wenn ein Papst installiert würde, der nicht mehr dem folgt, was man in einem
bestimmten Lager für die einzig richtige „Tradition“ hielt.
Erneut halte ich an diesem Punkt
inne, denn Newman sehr wohl ein prinzipieller Gegner des Dogmas, wie es aus der
Studie Lüchingers hervorgeht. Barth ist hier unpräzise: Man kann sicher sagen,
dass Newman selbst an eine Unfehlbarkeit des Papstes glaubte, allerdings nicht
losgelöst von der der Kirche (wie es das Dogma ausdrücklich formuliert). Er war
kein Gegner des Unfehlbarkeitsglaubens, aber das Dogma hielt er prinzipiell für
verheerend, wie ich schon mit mehreren Zitaten angedeutet habe. Man kann im
Falle Newmans sehen, dass er ein gutes Stück opportunistisch reagierte, nachdem
das Dogma nun einmal definiert war. Was hätte er auch tun sollen? Er gab zu,
nicht rechtzeitig interveniert zu haben.[20]
Pius IX. hatte im Einberufungsschreiben „Aeterni
Patri“ nicht mitgeteilt gehabt, dass er die Papstdogmen zu definieren
gedenke. Newman war darüber sogar erbost. Er schrieb: „Dann erzählt Bischof Manning, (…) (die Definition) werde sicher
erfolgen, und überdies, sie sei seit langem beabsichtigt gewesen! Lange
beabsichtigt und doch geheimgehalten! Sind die Gläubigen jemals in dieser Weise
behandelt worden?“[21]
Wie er waren alle nicht-eingeweihten
Bischöfe (also alle potenziellen Gegner) mit diesem Thema so spät überrascht
worden, dass sie sich darauf nicht mehr vorbereiten konnten.
Newmans teilweise komplizierte
Gedankenführung und Entwicklung zum Thema „Unfehlbarkeit“ kann hier nicht
weiter ausgeführt werden. In jedem Fall aber stellte er der päpstlichen
Unfehlbarkeit ebenso komplizierte Überlegungen zum Primat des persönlichen
Gewissens gegenüber und relativierte früh die Aussagen des Dogmas. 1879 soll
Döllinger über Newman gesagt haben, Leo XIII. würde diesen Mann niemals zum
Kardinal erhoben haben, wenn ihm bekannt gewesen wäre, welche Ansichten er über
das Unfehlbarkeitsdogma geäußert habe, was alleine an der englischen Sprache
liege, die in Rom wenig verstanden werde.[22]
Gerade Newman ist der denkbar schlechteste Zeuge für die Zeugenschaft, zu der
Barth ihn heranzieht. Ich habe übrigens in meiner Heimatpfarrei vor vielen
Jahren einen Priester erlebt, der Newman oft ganz im Gegenteil als Kronzeugen
des Rebellentums gegen das Unfehlbarkeitsdogma anführte. Auffallend ist zudem
an seinem Ansatz, das Dogma irgendwie verträglich zu machen, dass er behauptet,
die päpstliche Unfehlbarkeit sei dieselbe wie die der Kirche, obwohl das Dogma
sich hier merkwürdig ausdrückt und die Unfehlbarkeit der Kirche in einem
eigenen Schema vorgesehen, aber nicht diskutiert worden war.[23]
An Newman wird deutlich, wie die
dem Dogma skeptisch gegenüber stehenden Bischöfe je eigene Wege suchten, sich
mit den beiden neuen Dogmen zu arrangieren, sie aber durch eigene theologische
Konzeptionen, im Falle Newmans mithilfe einer Theologie des Gewissens als
„Stimme Gottes“ im Herzen, die Vorrang vor der des Papstes habe, zu einem guten
Teil unterliefen.
Barth holt nun zu einer
Beschuldigung Hagens aus, die man böswillig nennen muss. Er schreibt:
„Und
Newmans und anderer Ausführungen sollten von Zeitgenossen wie Christoph
Matthias Hagen zur Kenntnis genommen werden, bevor man das Unfehlbarkeitsdogma
papalistisch auslegt und dann kritisiert.“
Barth hat Hagen offenbar gar nicht
verstanden. Hagen hob auf den Dogmentext ab und die aus ihm erwachsende
Problematik. Zu „Newmans oder anderer
Ausführungen“ hat er sich nicht geäußert, da ja nicht sie das Dogma sind,
sondern das Dogma ist das Dogma… Barth fährt fort und unterstellt, Hagen gerate
daher in diese papalistische Gefahr, er „überschätze“
das Unfehlbarkeitsdogma, eine Behauptung, die wir nachher überprüfen werden.
Barth spricht unter Zitaten des großen Mosebach, der das Vorwort zu einem Buch
des noch größeren Roberto de Mattei geschrieben habe, von einer „Übertreibung der geistlichen Vollmacht“
des Papsttums, die dem „naiven Gläubigen“
den Eindruck vermittelt habe, die Unfehlbarkeit „erstrecke sich auf jedes erdenkliche Feld des Lebens“, also nicht
legitim gewesen sei.
An dieser Stelle möchte ich Barth
entgegenhalten, dass er sich außerhalb dessen bewegt, was das Lehramt selbst zu
dieser Frage gesagt hat. Was interessiert hier Newman, was interessiert
Mosebach oder de Mattei, wenn Päpste zu dem Thema eine andere Stellung bezogen
haben?
Ich möchte zitieren aus der
Enzyklika „Humani generis“ von Pius
XII. von 1950, ein Rundschreiben, das „einigen
falschen Ansichten, die den katholischen Glauben zu untergraben drohen“
wehren wollte. Im Kapitel 4 geht Pius XII. ausführlich auf einen „falschen Begriff vom Lehramt der Kirche“
ein. Nachdem er beklagt, dass viele Theologen, das, was Päpste in ihren
Rundschreiben und Erlassen lehrten, nicht für ernst und verbindlich nähmen,
schreibt er:
„Man
darf ebenfalls nicht annehmen, man brauche den Rundschreiben nicht zuzustimmen,
weil die Päpste darin nicht ihr höchstes Lehramt ausüben. Sie sind aber doch
Äußerungen des ordentlichen Lehramtes, von dem auch das Wort Christi gilt: ”Wer
euch hört, der hört mich”. Sehr häufig gehört das, was
die Enzykliken lehren und einschärfen, sonst wie schon zum katholischen
Lehrgut. Wenn die Päpste in ihren Akten ein Urteil über eine bislang
umstrittene Frage aussprechen, dann ist es für alle klar, dass diese nach der
Absicht und dem Willen dieser Päpste nicht mehr der freien Erörterung
unterliegen kann.“[24]
Dr. Barth möge sich klarmachen,
dass es hier um nichts Geringeres als die schon erwähnte Gewissenzustimmung
geht, zu der der Katholik verpflichtet ist, und die ihm eben nicht, wie Newman
meint, die Ausflucht des persönlichen Gewissens offenhält.
Aus dieser Formulierung geht
eindeutig hervor, dass auch päpstliche Lehren, die nicht zum „außerordentlichen
Lehramt“ gehören, „nicht mehr der freien
Erörterung unterliegen können“. Und es geht daraus auch hervor, dass solche
endgültigen Entscheidungen nicht zwingend auf dem Wege des „außerordentlichen Lehramtes“ geschehen müssen. Und dass das so
ist, begründet er mit ihrer Zugehörigkeit zu unfehlbar zu Glaubendem. Pius XII.
greift hier unmittelbar zurück auf den Anspruch, den Pius IX. in seinem Breve
an Erzbischof Scherr formuliert hatte, auf das ich oben schon einmal
hingewiesen habe. Es ist hier nicht der Raum, in aller Breite zu zeigen, wie
stark Päpste selbst diesen papalistische Anspruch erhoben haben, insbesondere
auch Pius X. Die Zitate mögen an dieser Stelle genügen.
Erneut zitiert Barth Kardinal van
Rossum, der gewissermaßen auf eigene Faust erklärt, dass man den Papst, wenn er
im ordentlichen Lehramt irre, kritisieren dürfe.
Nun ist aber gerade diese Ansicht,
erinnert man sich an Pius XII. Anspruch oben, hochgradig zweifelhaft. Wenn man
sich ansieht, wie Paul VI. mit einer solchen Kritik seitens Erzbischof Lefebvres
umging, scheint erneut auf, dass Päpste offenbar nicht der Meinung sind, dass
man sie rechtmäßig kritisieren oder gar gegen sie stellen dürfe, solange sie
nur keine feierlichen Dogmen verkünden.
In seinem Brief „Cum te“ an Lefebvre von 1976 schreibt er:
In seinem Brief „Cum te“ an Lefebvre von 1976 schreibt er:
„Du
bedauerst, dass die Autorität in der Kirche zu wenig geachtet wird. Du willst
den unverfälschten Glauben, die Hochachtung vor dem Amtspriestertum und den
Eifer für die allerheiligste Eucharistie in ihrem vollen Sinn als Opfer und
Sakrament erhalten. (…) Wie aber könntest Du in Ausübung dieser Rolle
behaupten, Du seiest verpflichtet, dem letzten Konzil entgegenzuwirken, in
Opposition gegen Deine Brüder im Bischofsamt, ja sogar dem Heiligen Stuhl zu
misstrauen, den Du als „das Rom der neomodernistischen und neoprotestantischen
Tendenz” bezeichnest, und sich in einem offenen Ungehorsam gegen Uns einzurichten?
Wenn Du wirklich, wie Du in Deinem letzten persönlichen Brief versicherst,
„unter Unserer Autorität” arbeiten wolltest, ist es zunächst nötig, diese
Zweideutigkeiten und Widersprüche zu bereinigen. (…) Das Erste Vatikanische
Konzil hat die dem Papst gebührende Zustimmung mit folgenden Worten definiert:
„Hirten jeglichen Ritus und jeglichen Ranges und die Gläubigen, einzeln sowohl
wie alle zusammen, haben die Pflicht hierarchischer Unterordnung und wahren
Gehorsams, nicht allein in Sachen des Glaubens und der Sitte, sondern auch in
Sachen der Ordnung und der Regierung der über den ganzen Erdkreis verbreiteten
Kirche. Durch Bewahrung der Einheit sowohl der Gemeinschaft als des Glaubens
mit dem römischen Bischof ist die Kirche Christi auf diese Weise eine Herde
unter einem Hirten. (…) Im Grunde genommen willst Du, Du selbst und Deine
Anhänger, an einem bestimmten Augenblick im Leben der Kirche stehenbleiben.
Deshalb lehnst Du es ab, der lebendigen Kirche anzuhangen, die immer die Kirche
ist; Du brichst mit Deinen
rechtmäßigen Hirten. Du verachtest die rechtmäßige Ausübung ihres Amtes.“[25]
Man möge mir verzeihen: Aber das
ist eine andere Sprache als die, die uns Barth als die rechtmäßige beweisen
will!
Wenn er auf Sätze in der „Tagespost“ Bezug nimmt, die behaupten,
bei einem Konflikt zwischen der kirchlichen Autorität und der heiligen
Tradition binde die Tradition, „die
kirchliche Autorität stehe nur im Dienst der Tradition“, dann ist diese
Ansicht alleine durch meine Zitate von Pius XII. und Paul VI. vollständig
widerlegt. Pius X., auf den sich die FSSPX so frenetisch bezieht, hätte einer
solchen Ansicht etwas gehustet, um es einmal salopp zu formulieren.
Vor allem Paul VI. hebt
ausdrücklich auf die Lebendigkeit der Tradition ab, die nicht auf den Zustand
einer bestimmten Epoche eingefroren werden könne. Garant der Tradition ist aber
auch in seiner Vorstellung, ganz wie bei Pius IX., er selbst als Papst. Eine
„Tradition an sich selbst“, auf die man im Zweifelsfall zurückgreifen könne,
gibt es nach dieser Auffassung nicht! An dieser Stelle wird Hagens Einwand
sinnvoll, der von einem Traditionspositivismus spricht, der hohl wird. Ich
wähle an der Stelle eher den Vorwurf des Voluntarismus: wenn es alleine beim
Papst liegt, die Tradition recht auszulegen, unterliegen wir folglich
päpstlicher Auslegungswillkür, weil es uns nicht zusteht, ihn zu kritisieren.
Und DASS uns das nicht zusteht, sagen uns die Päpste doch selbst!
Barth verdreht Hagens Worte so
stark, dass sie völlig sinnentstellt sind. Ihm „erschließe sich nicht“, warum Hagen den Traditionalisten „Papalismus“ vorwerfe. Nun denn — Herr
Dr. Barth hätte Hagens Text genauer lesen sollen, denn Hagen hat nichts
dergleichen formuliert. Hagen geht es wie Schäppi und Reusch darum, dass
ausgerechnet diejenigen, die der stark papalistisch fundierten Theologie des
19. Jh folgen, sich an einem autoritären Papst wie Franziskus stören.
Es ist übrigens interessant, dass
bereits im 19. Jh von den späteren Altkatholiken vorausgesehen wurde, dass die
ultramontanen Maximalisten sofort umkippen würden, wenn ein Papst nicht mehr
ihrem Geschmack entsprechen würde:
„Diese Zeloten und Spiritualen dem Worte nach, bereiten, wenn Gott nicht
bald uns würdigt einzuschreiten, einen neuen Abfall von der Kirche vor, und
zwar ihren eigenen Abfall, sobald einmal ein Papst ihnen nicht zu Willen ist,
da sie Gehorsam nicht gelernt haben. In einem solchen Falle würden sie auch
nicht anstehen, die von ihnen als Prüfstein der Orthodoxie verteidigte
Unfehlbarkeit des Papstes aufzugeben.“[26]
Um diese schizophrene Haltung ging
es nicht nur damals Kritikern, sondern auch Schäppi, Reusch, Hagen und mir
(ohne dass wir damit automatisch altkatholische Positionen ergreifen würden!).
Nach weiteren gelehrten, aber
einseitigen Überlegungen knöpft Barth sich nun endlich auch noch mich vor. Ich
schlage in dieselbe Kerbe wie Hagen. Zunächst zitiert er, dass ich den „Dubia“ einen würdelosen und
diktatorischen Stil vorwerfe und kontert, „die
Dame“ (es handelt sich um mich) scheine „einen
anderen Text vor Augen“ gehabt zu haben als er. Mag sein — fragt sich
allerdings, wer von uns beiden den Text der Kardinäle gelesen hat. Zumindest
der Möglichkeit nach muss der Lesefehler ja nicht zwingend bei „der Dame“ liegen. Ich möchte daher doch
begründen, warum ich mich in dieser Art geäußert habe:
Wenn etwa die vier Kardinäle
Franziskus vorschreiben wollen, wie er zu antworten hätte, finde ich das auch
dann einigermaßen diktatorisch, wenn es jahrhundertealte Tradition sein sollte:
„Das
Besondere im Hinblick auf diese Anfragen besteht darin, dass sie so formuliert
sind, dass sie als Antwort „Ja“ oder „Nein“ erfordern, ohne theologische
Argumentation. Diese Weise, sich an den Apostolischen Stuhl zu wenden, ist
nicht unsere Erfindung; sie ist eine jahrhundertealte Praxis.“
Auch ist der rhetorische Stil, der
geradezu perfide mit Unterstellungen arbeitet, keine Art, in respektvoller
Weise einen Zweifel zu äußern. Ich zitiere Dubium 2:
„Ist
nach dem Nachsynodalen Apostolischen Schreiben „Amoris laetitia“ (vgl. Nr. 304)
die auf die Heilige Schrift und die Tradition der Kirche gegründete Lehre der
Enzyklika „Veritatis Splendor“ (Nr. 79) des heiligen Johannes Paul II. über die
Existenz absoluter moralischer Normen, die ohne Ausnahme gelten und in sich
schlechte Handlungen verbieten, noch gültig?“
Damit wird dem Papst unterstellt,
er habe womöglich beabsichtigt, die Lehre der Kirche außer Kraft zu setzen. Und
plötzlich sind die Heilige Schrift und die Tradition wieder interessant… Wollte
man dies nicht unterstellen, ist die ganze Frage unsinnig! Wenn man glaubt,
dass der Papst das natürlich NICHT wollte, dürfte man niemals so fragen. Man
muss sich zudem fragen, für wie dumm die Autoren den Papst eigentlich halten —
meinen sie etwa, er würde, falls er die Lehre zerstören wollte, ihnen mit einen
schuldbewussten und leutseligen „nein“ (also die Lehre sei nicht mehr gültig!) antworten?!
Nur einem bereits festgelegten und
geistig stark „verrannten“ Menschen mag es nicht mehr bewusst sein, dass ein
solcher Umgangsstil generell unangemessen ist.
Barth wehrt meine Ansicht ab, seit
1870 seien wir dem Papst „ohne Netz und
doppelten Boden ausgeliefert“ und wiederholt wieder einmal, dass das
Vaticanum I nur das lehre, was man schon immer geglaubt habe. Das „seither“ hätte ich streichen müssen…
Es wird ermüdend. Ein Irrtum wird
nicht dadurch wahrer, dass man ihn ständig wiederholt.
Ich zitiere extra für den Dr. Barth
noch etwas von Pius X., aus dem ebenfalls eindeutig hervorgeht, dass auch er
diese Lehre für eine Neuerung gehalten haben muss:
„Haben wir nicht
zur rechten Zeit die Abhaltung des Vatikanischen Konzils erlebt und damit die
Glaubenserklärung der Unfehlbarkeit des Papstes, die allen künftigen Irrungen
rechtzeitig einen wirksamen Riegel vorschiebt? Sind wir nicht Zeugen
ungeahnter und nie da gewesener Beteuerungen der Liebe gewesen, die aus allen
Ständen und Länderstrichen die Gläubigen schon seit längerer Zeit hierher zog,
dem Stellvertreter Christi Verehrung und Huldigung zu erweisen?“[27]
Wenn Pius X. hier nicht von einer Neuerung ausgehen würde, müsste man fragen, inwiefern diese Lehre vorher fest gegolten haben soll, wenn sie offenbar unwirksam war. Erst jetzt, durch das Dogma, hat man einen "Riegel", den man den Irrungen vorschieben kann. Es gab also den Riegel des Inhaltes dessen, was das Dogma ausdrückt, vorher nicht.
Immerhin folgt Dr. Barth mit ironischem Unterton meinem Vorschlag, sich den Dogmentext genau anzusehen.
Immerhin folgt Dr. Barth mit ironischem Unterton meinem Vorschlag, sich den Dogmentext genau anzusehen.
Meinen Problempunkt erkennt er
nicht. Der Problempunkt ist nicht, dass der Papst laut „Pastor aeternus“ nichts Neues erfinden darf. Barth versteht nicht,
dass diese Zusicherung eine Hohlklausel ist, wenn niemandem das Recht zusteht,
die Tradition eines Papstes auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu prüfen als ihm
selbst! Solche Beweisführungen nennt man in der klassischen Logik eine
Tautologie. Ich habe bereits anhand päpstlicher Verlautbarungen gezeigt, dass
es päpstliches Selbstverständnis ist, dass nicht Kritiker, sondern
ausschließlich sie selbst das letzte Wort darüber haben, ob sie recht lehren.
Ich habe natürlich großes
Verständnis für Barths Ansicht, dass jeder Gläubige, auch wenn er keinerlei
theologische Bildung hat, Abweichungen vom rechten Glauben erkennen und
beurteilen kann.
Allein: das lehrt das Vaticanum I
nun mal nicht, und auch das Vaticanum II lässt dem Laien oder untergeordneten
Kleriker in dieser Sache nur wenig Raum.
Der Text des Unfehlbarkeitsdogmas
umfasst in der Tat alle Lehren, den Glauben und die Sitten betreffend, die der
Papst dem Volk unter Verweis auf seine höchste Autorität („ex cathedra“) als festzuhalten vorlegt, und es ist dabei völlig
gleich, ob er dies im „ordentlichen“
oder „außerordentlichen“ Lehramt, in
einer feierlichen oder alltäglichen Form tut:
„Wenn
der römische Papst „ex Cathedra“ spricht, - das heißt, wenn er in Ausübung
seines Amtes als Hirte und Lehrer aller Christen mit seiner höchsten
Apostolischen Autorität erklärt, dass eine Lehre, die den Glauben oder das
sittliche Leben betrifft, von der ganzen Kirche gläubig festzuhalten ist, -
dann besitzt er kraft des göttlichen Beistandes, der ihm im heiligen Petrus
verheißen wurde, eben jene Unfehlbarkeit, mit der der göttliche Erlöser seine
Kirche bei Entscheidungen in der Glaubens- und Sittenlehre ausgerüstet wissen
wollte. Deshalb lassen solche Lehrentscheidungen des römischen Papstes keine
Abänderung mehr zu, und zwar schon von sich aus, nicht erst infolge der
Zustimmung der Kirche. Wer sich aber vermessen sollte, was Gott verhüte, dieser
Unserer Glaubensentscheidung zu widersprechen: der sei im Bann."
Die Formulierung des Dogmas im
Original, die auf Deutsch hier etwas verwaschen wurde, lautet an der damals heftig
umstrittenen und von Pius IX. am Schluss eigenmächtig eingefügten Stelle
folgendermaßen:
„Ideoque eiusmodi Romani Pontificis
definitiones ex sese, non autem ex consensu Ecclesiae irreformabiles
esse. »
„Und
deswegen sind diese Definitionen des Römischen Pontifex aus sich, nicht aber
aus der Übereinstimmung der Kirche heraus irreversibel.“
Dieser Satz ist schwierig und wurde
immer wieder kontrovers verstanden. Die einen sahen in dem „ex sese“, dass damit gemeint sei, die Definitionen seien aus dem
Papst heraus irreversibel. Sie nahmen das an, weil die Lesart, sie seien „aus sich selbst heraus irreversibel“
andererseits den Schluss des Satzes sinnlos macht. Denn wenn etwas aus sich
selbst heraus wahr ist, ist es nicht nur von der Übereinstimmung der Kirche,
sondern auch von der Definition des Papstes unabhängig.
Die Formulierung birgt also eine
logische Absurdität in sich, will aber eines ganz sicher: die Kirche jenseits
des Papstes als mögliche Kritikerin seiner Akte abweisen.
Es bleiben also viele Fragen offen,
denn der Papst referiert seine höchste Autorität bei allen möglichen
Gelegenheiten, seien es Heilig- und Seligsprechungen, seien es Aussagen in
Briefen oder apostolischen Schreiben, wie es ihm eben gefällt…
Zum Schluss möchte ich erwähnen,
dass Barth als Beispiel für eine irrtümliche jurisdiktionelle Entscheidung
eines Papstes die Aufhebung des Jesuitenordens 1773 durch Clemens XIV. anführt.
Nun weiß jeder einigermaßen Bewanderte, dass die Historie nicht ganz so einfach
ist, wie er sie darstellt. Das Auftreten des Jesuitenordens als päpstliche
Sturmabteilung und Propagandabataillon war von Anfang an hochgradig umstritten
und in vielen Hinsichten und Einzelfällen objektiv fragwürdig. Clemens XIV.
nennt ja ausführlich in seinem Aufhebungsbreve „Dominus ac redemptor“ die
Probleme, die durch das Verhalten der „Kompagnie“ entstanden waren. Äußerst
befremdlich ist die geradezu abergläubische Meinung Barths, Clemens XIV. habe
nur auf Druck der Fürsten hin, die selbstverständlich „vom Geist der Aufklärung und der Freimaurerei infiziert“ gewesen
seien, gehandelt und damit mit den Sturz des Ancien Régime verursacht, die
wunderbare Allianz von „Thron und Altar“,
die allerdings — so muss ich entgegenhalten — noch nie zum Glaubensgut gehört hat
noch dem gesunden Menschenverstand nach eine zwingende Berechtigung hätte. Man
könnte allerdings auch genauso gut sagen, am folgenschwersten sei die
Wiederzulassung des Ordens 1814 durch Pius VII. gewesen, in dessen Folge der
fanatische Papalismus, der übrigens auf die Ideen eines bekennenden
Freimaurers, nämlich Joseph de Maistre zurückging, das 19. Jh wie ein Brand
abfackelte und die Kirche daran hinderte, sich den Fragen und Problem ihrer
Zeit nicht nur defensiv, sondern offensiv und kompetent zu stellen. Ob es das
Bündnis von Thron und Altar gibt oder nicht, ist für die Kirche völlig
unerheblich. Ob aber die Wunde, die ihr mit dem Vaticanum I geschlagen wurde,
je heilen kann, wenn man nicht die Geschichte seither noch einmal bearbeitet,
ist objektiv und angesichts der Zustände in der Kirche mehr als fraglich. Es
geht dabei nicht darum, ob dem Papst Unfehlbarkeit zukommt, sondern darum,
worauf eigentlich der Glaube in den Herzen beruht: ausschließlich auf
päpstlicher Definitions-Macht oder auf dem Wirken des Hl. Geistes in der
Herzen, vor dem auch der Papst, will er „die
Lämmer“ recht „weiden“, immer
Respekt haben sollte.
Hanna Jüngling, am 6.5.2017
Richtigstellung Christoph Matthias Hagens hinsichtlich dessen bei Dr. Barth falsch dargestellten Positionen hier nachlesbar: http://www.katholisches.info/2017/05/die-paepstliche-unfehlbarkeit-notwendige-richtigstellung-zur-aktuellen-debatte/
Richtigstellung Christoph Matthias Hagens hinsichtlich dessen bei Dr. Barth falsch dargestellten Positionen hier nachlesbar: http://www.katholisches.info/2017/05/die-paepstliche-unfehlbarkeit-notwendige-richtigstellung-zur-aktuellen-debatte/
[1]
Abrufbar hier https://www.thecathwalk.de/2017/02/18/sinedubiis-wir-gehen-mit-papst-franziskus/
(5.5.2017)
[2] Vgl. die Zeitangabe im Artikel "Ungelöste Knoten" in Amoris Laetitia: Vier Kardinäle appellieren an Papst Franziskus“ von CNA Deutsch hier http://de.catholicnewsagency.com/story/vier-kardinale-appellieren-an-franziskus-zu-ungelosten-knoten-in-amoris-laetitia-1317 (5.5.2017)
[3] Der
vollständige Brief an Franziskus kann hier nachgelesen werden: https://www.jochen-roemer.de/Gottes%20Warnung/Hintergrund/Archiv/Beitraege/Kl%C3%A4rungsbedarf%20zu%20%60Amoris%20laetitia%C2%B4%20-%204%20Kardin%C3%A4le%20richten%20eine%20Dubia%20an%20den%20Papst.pdf
(5.5.2017)
[4]
Darüber berichtete Radio Vatikan am 9.1.2017, abrufbar hier http://de.radiovaticana.va/news/2017/01/09/kardinal_m%C3%BCller_kritisiert_vier_kardin%C3%A4le_schaden_f%C3%BCr_kirche/1284516
(5.5.2017)
[5] Roger
Aubert: Vaticanum I. Mainz 1965. S. 263, 266f,
[6] Das
trug allen Ernstes Bischof Mermillod von Genf vor, der von einer dreifachen
Inkarnation Christi sprach, nämlich im Schoß seiner Mutter, in der geweihten
Hostie und im Papst.
[7] Dazu
schreibt der ans sich immer um Lehrtreue bemühte Klaus Schatz SJ: „Die … Frage, ob über Simon-Petrus hinaus an
ein bleibendes Amt gedacht ist, dürfte, rein historisch gestellt, negativ zu
beantworten sein, also in der Fragestellung: Dachte der historische Jesus bei
der Beauftragung des Petrus an Nachfolger? War sich der Verfasser des
Matthäus-Evangeliums … bewusst, dass Petrus und sein Auftrag jetzt in den auf
ihn folgenden römischen Gemeindeleitern fortlebt? […] Wenn wir weiter fragen,
ob sich die Urkirche nach dem Tod des Petrus bewusst war, dass seine Vollmacht
auf den jetzigen Bischof von Rom übergegangen ist, dass also der Gemeindeleiter
von Rom jetzt Nachfolger Petri, Fels der Kirche und damit Träger der Verheißung
nach Mt 16,18ff ist, dann muss diese Frage, so gestellt, sicher verneint
werden. […] Hätte man einen Christen um 100, 200 oder auch 300 gefragt, ob der
Bischof von Rom Oberhaupt aller Christen ist, ob es einen obersten Bischof
gibt, der über den anderen Bischöfen steht und in Fragen, die die ganze Kirche
berühren, das letzte Wort hat, dann hätte er sicher mit Nein geantwortet.“
Zitiert nach Peter Bürger: Die dritte „Inkarnation Gottes“ in Rom, Oktober
2009. https://www.heise.de/tp/features/Die-dritte-Inkarnation-Gottes-in-Rom-3382932.html
(6.5.2017)
[8] Hier
ist unbedingt daran zu erinnern, dass es während des Tridentinums aus
verschiedenen theologischen Hindernissen unmöglich war, über den Primat des
Papstes Einigkeit zu erzielen. Dazu Klaus Schatz: Der Primat als
konfessioneller Identitätspunkt in der Neuzeit. Skript der Philosophisch—theologischen
Hochschule St. Georgen, o.J.
[9]
Newman schrieb am 12. 12.1869
in sein Tagebuch: „Save the church, O my
Fathers, from a danger as great as any that has happened to it.“ zitiert nach Adrian Lüchinger:
Päpstliche Unfehlbarkeit bei Henry Edward Manning und John Henry Newman. Freiburg/Schweiz
2001, S. 268
[10]
August Bernhard Hasler: Wie der Papst unfehlbar wurde. Macht und Ohnmacht eines
Dogmas. München 1979. S. 182 ff
[11] August Bernhard Hasler: Pius IX. 1846–1878,
päpstliche Unfehlbarkeit und 1. Vatikanisches Konzil: Dogmatisierung und
Durchsetzung einer Ideologie. Hiersemann, Stuttgart 1977
[12]
Hervorgetan hat sich hier etwa der damals bekannte Abt Idefons Herwegen von
Maria Laach, der an einer “Reichtstheologie“ arbeitete. Vgl. dazu die
faktenstarke Studie von Marcel Albert: Die Benediktinerabtei Maria Laach und
der Nationalsozialismus. Paderborn 2004
[13]
Klaus Schatz: Kirchenbild und päpstliche Unfehlbarkeit bei den
deutschsprachigen Minoritätsbischöfen auf dem 1. Vatikanum (Miscellanea
Historiae Pontificae 40). Rom 1975
[14]
Davon berichten Aubert, a.a.O. S.291 ff oder Hasler a.a.O. aufgrund zahlreicher
Quellen
[15]
Lüchinger a.a.O.
[16]
Hubert Wolf: Die Nonnen von Sant’Ambrogio. München 2013
[17] Otto
Weiß: Weisungen aus dem Jenseits?: Der Einfluss mystizistischer Phänomene auf
Ordens— und Kirchenleitungen im 19. Jahrhundert. Regensburg 2011
[18] Ein
solcher Gedanke wird nahegelegt, wenn man bestimmten positivistischen
theologischen Tendenzen, etwa dem Hans Barions, folgt, solche werden referiert
hier: Christoph Matthias Hagen: Dogma als Liturgie — die juridisch-kultische
Dimension des Ritus. In Una Voce Korrespondenz, Köln, Heft 4/2009, S. 322 ff
[19]
Newman befragte sein Gewissen darüber, warum er das Papstdogma so sehr ablehne
und notierte u.a. in seinem Tagebuch am 12.12.1869: „I doubt whether the Immaculata Conception and the Assumption, being
defined, will ultimately increase devotion, or rather limit it.“ Vgl.
a.a.O. Lüchinger S. 268, Anm. 1136
[20]
Lüchinger, S. 286
[21]
Lüchinger, S. 273
[22]
Lüchinger, S. 288
[23]
Lüchinger, S. 303
[24] Pius
XII., „Humani generis“ (1950), deutsche Fassung http://www.stjosef.at/dokumente/humani_generis.htm#anmerkung03
(5.5.2017)
[25] Paul
VI.: Cum te (1976, deutscher Wortlaut http://www.kathpedia.com/index.php/Cum_te_(Wortlaut)
(5.5.2017)
[26] Paul
Wenzel: Das wissenschaftliche Anliegen des Güntherianismus. Ein Beitrag zur
Theologiegeschichte des 19. Jh. Essen 1961, S. 131: J. Reinkens in einem Brief
an Nickes
[27] Pius X.: Ad diem illum laetissimum
1904