Der Mantilla-Wahn – Ist die Frau kein Ebenbild Gottes?
Einleitung
In den letzten Jahren tobt auf dem
Traditionalisten-Schlachtfeld der Kampf um einen speziellen Kommunion-Schleier
für katholische Frauen, die „Mantilla“.
Ich muss sagen, dass ich, bevor ich
mit Traditionalisten in Berührung kam, noch nie von einer „Mantilla“ gehört
habe. Dieses Accessoire gab es hierzulande noch niemals, wurde von niemandem
verlangt und auch niemals offiziell vorgeschrieben. Ich habe diesbezüglich
viele einheimische hochbetagte Katholiken, darunter auch Priester, befragt. Es
ist definitiv niemals „Tradition“ gewesen.
Fast alle betagten, keineswegs
progressiven Frauen reagierten mit dem Satz „Mantilla - was ist das?“
Und auf die Beschreibung hin, dass
es sich um durchsichtiges Spitzentuch handle, das Frauen in der Hl. Messe
tragen sollten, um eine besondere Frömmigkeit zur Schau zu stellen, schüttelten
sie den Kopf und sagten, davon hätten sie noch nie gehört. Allenfalls könne es
sein, dass solche Bräuche in Südeuropa üblich seien und bei Papstmessen
vielleicht, aber hier in Deutschland? Eine weit über Achtzigjährige wusste,
dass das die „Lefebvristen“ eingeführt hätten, dass man das aber in ihrer
Kindheit unter Pius XI. und XII. niemals so gehandhabt hätte.
Nun wird aber in den letzten beiden
Jahren eine so penetrante Propaganda für dieses Tuch gemacht, als sei das eine
“Tradition“, die „immer“ und überall gegolten habe und vorgeschrieben gewesen
sei und aus „feministischen“ Gründen verweigert werde. Es ist auffallend, dass
derselbe Kampf prinzipiell auch im Islam und verschiedenen protestantischen
Sekten und evangelikalen Freikirchen tobt. Als Bestätigung für die Richtigkeit
dieses Tuchs verweist man auf die orthodoxe Praxis – als ob uns die
schismatische Orthodoxie hier etwas zu sagen hätte oder gar der ohnehin aus
katholischer Sicht häretische Protestantismus! Ganz zu schweigen vom Islam.
Ein Thema, das seit Jahrhunderten
die katholische Kirche nicht berührt hat, soll nun plötzlich eine solche
Wichtigkeit haben?
Angesichts einer solchen neuen
Mode, die nun zur Tradition erkoren wird, sollten doch jedem nüchtern denkenden
Menschen alle Alarmglocken schrillen.
Die Mantilla-Fraktion führt einen penetranten
Stellvertreterkrieg auf ungezählten Internetforen, auf Blogs und in informellen
Gesprächen, und fährt die verrücktesten und zweifelhaftesten Argumente auf, um Frauen
einzuflößen, ihre bisherige Aufmachung in der Hl. Messe sei nicht
„traditionell“ genug. Tatsache ist und bleibt jedoch, dass in den letzten Jahrhunderten
diese Angelegenheit in der Gesamtkirche kein Thema war. Regionale Gebräuche mag
es gegeben haben, aber sie können niemals als Forderung an alle erhoben werden,
wenn das Lehramt niemals eine solche spezielle Forderung erhoben hat und auch
mit den allgemeineren Kleidervorschriften nicht all zu streng umgegangen war.
Ich will mich zunächst mit der
immer wieder aufgestellten Behauptung, der Apostel Paulus habe das Gebetstuch
vorgeschrieben, befassen und danach einige der haarsträubendsten Begründungen
für die „Mantilla für alle“ näher ansehen. Ein besonderes Augenmerk soll auf
das mittelalterliche Decretum Gratiani
gelegt werden, denn Gratian behauptet in diesem kirchenrechtlichen Werk doch
tatsächlich, die Frau solle ihren Kopf bedecken, weil sie kein Ebenbild Gottes
sei, und er geht dabei so weit, eine Stelle aus einem Paulusbrief regelrecht zu
fälschen, indem er einige Worte des Vulgata-Textes austauscht.
1. Der heilige Paulus habe angeblich den Schleier für die Frauen
vorgeschrieben, wenn sie beten.
Hier stellt sich sofort die Frage,
wieso dann, wenn das so sein sollte, das Lehramt seit Jahrhunderten darauf
keinen gesteigerten Wert gelegt habe? Diese Frage wird in aller Regel damit
beantwortet, dass Papst Linus, der zweite Papst, in einem Schreiben, dessen
Echtheit umstritten ist, den Frauen einen Gebetsschleier vorgeschrieben habe.
Abgesehen von der Umstrittenheit
der Echtheit kommt mir unweigerlich die Frage hoch, seit wann für uns
maßgeblich ist, was ein Papst von Anno dazumal vorgeschrieben hat, handelt es
sich dabei doch weder um eine Glaubens- noch um eine echte Sittenfrage…ich
dachte, niemand dürfe alte Verordnungen („proxima-Regeln“) von Päpsten gegen
neuere Gepflogenheiten ausspielen? Ist die „Tradition“ hier etwa
anti-traditionell und macht es wie die Progressiven und Protestanten und zieht
aus den Tiefen der Kirchengeschichte nebensächliche oder inzwischen aufgegeben
Ansichten, die für den Glauben selbst keine Bedeutung haben, oder nicht weiter
verfolgte Bräuche aus den Truhe, erklärt sie zu „urchristlichen“ Wahrheiten und
will damit die jüngste Tradition (die regula
fidei proxima) stürzen?
Ich sehe mir die Stelle im 1.
Korintherbrief an und muss gestehen, selten eine auf den ersten Blick so
verworrene und in sich unlogische Schriftstelle gelesen zu haben – wenn man sie
rein normativ und nicht als eine erörternde Darlegung liest.
Man findet diese einzige themengebundene
Schriftstelle (alleine das verweist schon auf die relative Bedeutungslosigkeit
des Themas) im Korintherbrief (1. Kor. 11, 2 ff). Ich markiere den Text bereits
so farbig, wie ich ihn als eine Erörterung verstehe und werde das genau
begründen:
„2 Ich lobe euch, dass ihr in allem
an mich denkt und an den Überlieferungen festhaltet, wie ich sie euch übergeben
habe.
3 Ihr
sollt aber wissen, dass Christus das Haupt des Mannes ist, der Mann das Haupt
der Frau und Gott das Haupt Christi.
4 Wenn ein Mann betet oder prophetisch redet und dabei
sein Haupt bedeckt hat, entehrt er sein Haupt.
5 Eine Frau aber entehrt ihr Haupt, wenn sie betet oder
prophetisch redet und dabei ihr Haupt nicht verhüllt. Sie unterscheidet sich
dann in keiner Weise von einer Geschorenen.
6 Wenn eine Frau kein Kopftuch trägt, soll sie sich doch
gleich die Haare abschneiden lassen. Ist es aber für eine Frau eine Schande,
sich die Haare abschneiden oder sich kahl scheren zu lassen, dann soll sie sich
auch verhüllen.
7 Der Mann darf sein Haupt
nicht verhüllen, weil er Abbild und Abglanz Gottes ist; die Frau aber ist der
Abglanz des Mannes.
8 Denn der Mann stammt
nicht von der Frau, sondern die Frau vom Mann.
9 Der Mann wurde auch nicht
für die Frau geschaffen, sondern die Frau für den Mann.
10 Deswegen soll die Frau
mit Rücksicht auf die Engel das Zeichen ihrer Vollmacht auf dem Kopf tragen.1
11 Doch im Herrn gibt es weder die Frau
ohne den Mann noch den Mann ohne die Frau.
12 Denn wie die Frau vom Mann stammt, so
kommt der Mann durch die Frau zur Welt; alles aber stammt von Gott.
13 Urteilt selber! Gehört es sich, dass
eine Frau unverhüllt zu Gott betet?
14 Lehrt euch nicht schon die Natur, dass
es für den Mann eine Schande,
15 für die Frau aber eine Ehre ist, lange
Haare zu tragen? Denn der Frau ist das Haar als Hülle gegeben.
16 Wenn aber einer meint, er müsse darüber
streiten: Wir und auch die Gemeinden Gottes kennen einen solchen Brauch nicht.
Diese Stelle ist in der
Argumentation, wenn man sie nicht strukturiert liest, mehrfach gebrochen und
unlogisch und stünde außerdem im krassen Widerspruch zu allem, was wir über
israelitische Normen aus dem Alten Testament wissen – und das kann man gerade
beim heiligen Paulus nicht annehmen, denn er war ein Schriftgelehrter:
Die markierten Verse 2+3 kann man
als Einleitung verstehen. Der Apostel lobt die korinthische Gemeinde für ihren
Eifer, beginnt aber gleich mit dem Thema, das er behandeln will, einer
Reihenfolge. Auf den ersten Blick erscheint sie wie eine Hierarchie, auf den
zweiten Blick aber muss man innehalten und zugeben, dass in Vers 3 ein
Stolperstein steckt, den niemand, ohne häretisch zu argumentieren, außer acht
lassen darf (s.u.).
Schon Vers 4 ist merkwürdig und
mutet absurd an, wenn man sich vergegenwärtigt, was im damaligen Judentum
üblich war und was die Schrift uns im Alten Testament über den Mann und seine
Kopfbedeckungen überliefert:
Es war nach jüdischer Auffassung eben
gerade KEINE Schande für den Mann, verhüllt zu beten, sondern sogar üblich,
dies zu tun – bis heute ist das im Judentum so.
Wir finden durchweg die
Kopfverhüllung gerade der heiligsten Männer in Israel, wenn sie mit Gott reden:
Moses muss beim brennenden
Dornbusch zwar seine Schuhe ausziehen, aber sein Gesicht verhüllen:
„Der Herr sagte: Komm nicht näher heran! Leg deine Schuhe ab; denn der
Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden. Dann fuhr er fort: Ich bin der Gott
deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Da verhüllte Mose sein Gesicht; denn er
fürchtete sich, Gott anzuschauen.“ (Ex. 3, 5f)
Auch der Prophet Elias verhüllt in der
Gottesbegegnung sein Gesicht:
„Er verhüllte sein Gesicht mit dem Mantel,
ging zum Eingang der Höhle zurück und blieb dort stehen. Und noch einmal wurde
er gefragt: Elia, was tust du hier? Wieder antwortete Elia: Ach Herr, du großer
und allmächtiger Gott…“ (1. Könige 19, 13f)
Es ist also vollkommen abwegig, zu
glauben, der heilige Paulus, der doch ein Schriftgelehrter und Gesetzeslehrer
war, könnte entgegen den Vorschriften und Phänomenen so argumentiert haben, wie
er es in diesem Vers 4 referiert!
Da die besagte Stelle häufig auch
so verstanden wurde, als dürfe der Mann keine langen Haare tragen, möchte ich
auch darauf eingehen:
Mehrfach wird im Alten Testament über
bartlose und geschorene Männer unter den Heiden ein hartes Urteil gesprochen.
Im Gesetz des Moses ist das Abscheren der Haare rundum sogar verboten (daher
die sehr langen Schläfenlocken der gläubigen Juden) und der Bart darf nicht
gestutzt werden!
Weiterhin war es sogar das Zeichen
des Gottgeweihten (Nasiräer), dass er besonders lange Haare trug – als Mann! Und
auch von Paulus selbst wird uns berichtet, dass er aufgrund einer solchen zeitlichen
Weihe sein Haar lang wachsen ließ (Apg. 18, 18) und es nach dem Ende des Gelübdes
in einem rituellen Opfer abscheren und verbrennen ließ. Wohlgemerkt tat er das
bereits als Christ.
Die Weihe des Mannes war also nach
biblischem Brauch mit langem Haar verbunden. So kennen wir es auch vom Richter
Simson und anderen alttestamentlichen Gestalten.
Nun war es im Abendland über
Jahrhunderte weg üblich, längere Haare zu tragen und alle möglichen
Kopfbedeckungen zu erfinden – für Männer nicht anders als für Frauen. Im
Orient, vor allem bei den Arabern, aber auch den Indern, finden wir Schleier
auch bei Männern.
Auf dem Grabtuch von Turin, das
nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen echt sein muss, sehen wir das
Antlitz des Gekreuzigten … mit mindestens schulterlangen Haaren!
Es war dagegen bei den Römern
und Griechen, also den Heiden, nicht Sitte, dass Männer lange Haare trugen oder
ihren Kopf bedeckten. Eine Auswertung antiker Texte ergab, dass das
griechisch-römische Heidentum weitgehend ohne männliche Kopfbedeckung und ohne
Langhaarigkeit auskommt, wohingegen Kopfbedeckungen bei Frauen deren hohen
sozialen Staus anzeigten, wenn sie überhaupt welche trug (http://de.wikipedia.org/wiki/Kopfbedeckung#Antike)
. Kopfbedeckung war also hier ein
Ausdruck weiblicher Eitelkeit und eine Demonstration des Reichtums, kombiniert
mit Haarschmuck und Frisurenkult. Letzteres erfährt an anderer Stelle beim
heiligen Petrus eine Absage (1. Petrus 3,3).
Wir können also schon hier fragen,
ob der heilige Paulus nicht auch eine heidnische Position referieren könnte,
etwa so, wie auch der heilige Thomas von Aquin Meinungen vorträgt, denen er
aber nicht zustimmt, sondern nach ihrer Darstellung mit triftigen Gründen etwas
entgegenhält. Immerhin ist die Korinthergemeinde eine Gemeinde im Gebiet des
Heiden mit einer überspannten charismatisch-esoterischen Schlagseite!
Auch die folgenden Verse (Verse 5 - 10) scheinen wie aus einer anderen Denkwelt
zu kommen. Im Judentum war und ist es, wie gesagt, für den Mann üblich, beim Beten
das Haupt zu verhüllen. Die Frau dagegen war in der öffentlichen
Synagogenversammlung erst gar nicht zum Beten oder Prophetischreden zugelassen…
sollte aber auch ihr Haupt verhüllen – nicht anders als der Mann.
Bemerkenswert ist hier bei Paulus eher,
dass überhaupt die Frau ganz selbstverständlich öffentlich in der Kirche beten
und weissagen darf wie ein Mann! Es wird der Frau gerade nicht abverlangt, dass
sie in der Kirche zu schweigen habe.
Es findet sich aber im gesamten
Gesetz des Moses nicht eine einzige Anweisung über eine Kopfbedeckung der Frau.
Schleier werden in durchaus
zweifelhaften Umständen erzählt. So wird z.B. berichtet, dass Prostituierte an
ihrer Verschleierung erkennbar waren. Über Jakobs Sohn Juda wird in der
Begegnung mit Tamar berichtet:
„Juda
sah sie und hielt sie für eine Dirne; sie hatte nämlich ihr Gesicht verhüllt.“
(Gen. 38, 15)
Eine alltägliche Bekleidung der
Frauen und Männer mit Tüchern war ansonsten sicher nicht unüblich (was bis
heute im Orient gilt), etwa so wie auch heute noch in Indien, allerdings ohne
„Ideologie“, sondern als variantionsreicher Brauch.
Die Argumentation hinsichtlich der
unverschleierten Frau ist ins sich verworren: eine Frau, die sich nicht
verschleiert, soll die Haare abschneiden, weil sie „wie“ eine Frau mit
geschorenen Haaren sei?
Viele Theorien über die Entehrung
der Frau durch Abscheren der Haare in der Antike wurden schon vorgebracht –
keine davon ist je eindeutig bewiesen worden. Aber selbst wenn es so wäre,
müsste man fragen, wie es kommt, dass die hartnäckigen Schleierverfechter
offenbar kein Problem damit haben, wenn die Katholikin sich seit 1950 das Haar
abschert, obwohl weibliche Kurzhaarfrisuren nun tatsächlich in älterer Zeit
überall in der Kirche undenkbar waren?! Nicht der Schleier, sondern langes Haar
der Laiin ist wirklich „Tradition“ in der gesamten Kirche gewesen!
Der rigide Satz aus Vers 5 „Ist es aber für eine Frau eine Schande,
sich die Haare abschneiden oder sich kahl scheren zu lassen, dann soll sie sich
auch verhüllen“ ist beim
besten Willen nicht logisch verstehbar. Wieso folgt aus der Tatsache, dass es
eine Schande für die Frau sei, sich die Haare zu schneiden, logisch, dass sie
sich dann zusätzlich noch einmal verhüllen soll? Ist das Haarescheren ein
Zeichen der Unehrenhaftigkeit – was bedeutet es, wenn die Frau doch ohnehin
einen Schleier trägt und niemand sehen kann, ob sie Haare hat oder keine? Wenn
aber der Schleier nach alttestamentlicher Sitte die Prostituierte anzeigen
sollte, wieso soll die Frau, wenn sie sich die Haare nicht abgeschnitten hat, also nicht
entehrt ist, dann dieses Zeichen der Entehrung tragen?
Der Satz klingt in der Sache wirr und
überspannt und man muss esoterische Denkwelten bemühen, um hier einen Sinn zu
kreieren. Das aber passt nicht zum nüchternen Duktus der Heiligen Schrift… Und
dies immer vor dem Hintergrund, dass das gesamte Alte Testament nicht ein Wort
zu dieser Frage vermeldet, also objektiv keine von Gott gebotene Norm vorliegt.
Der heilige Paulus, der sonst so
klar und plausibel, so tief und logisch argumentiert, und sich vor allem nie
mit solch eher magischen und nebensächlichen Themen beschäftigt, soll einen
solchen Satz als seine Position vorgetragen haben?
Ich vermag das nicht zu glauben.
Eher nehme ich an, dass er hier, wie bei Vers 4, eine Position aufgreift, die
in der ohnehin schwärmerischen und geistlich hochmütigen charismatischen
Korinthergemeinde für Wirbel gesorgt haben könnte. Die überspannte
Kopftuchdebatte passte gut in einen charismatischen Kontext.
Besonders krass wirken die
aufgelisteten Sätze von Vers 7-10. Diese Sätze besagen, das Kopftuch müsse der
Engelwelt beweisen, dass die Frau die Vollmacht habe, überhaupt – wie der Mann
– öffentlich zu beten und zu weissagen. Und das alles sei ja auch richtig so,
weil die Frau schließlich als Zweite und für den Mann geschaffen worden sei. Diese
Sätze sind von der reinen Natur her gedacht und scheinen keinerlei Bewusstsein
dafür zu haben, dass der Gnadenstand dem Menschen nicht aufgrund seiner Natur
gegeben wird, sondern alleine aufgrund der Liebe Gottes. Denn die Legitimation
zum öffentlichen Gebet in der Kirche hat die Frau nicht durch ein
Kleidungsstück oder entgegen einer minderwertigen „nachrangigen Natur“, sondern durch Gott
alleine, der sie erlöst hat. Da im Alten Bund sich auch der Mann verhüllt hat,
greift die Argumentation ohnehin nicht. Hinzu kommt, dass im Alten Testament
auch Frauen mit Gott reden, ohne dass dies in irgendeiner Weise problematisiert
oder mit anderen äußeren Reaktionen verbunden wäre als beim Mann. Es ist immer
eine Gnade, wenn Gott sich dem Menschen zuwendet, unverdient und nicht einer natürlichen Ausstattung
geschuldet!
Der Bezug auf die Engel ist
unverständlich. Es gibt keine kanonische Tradition, die den Bezug erklären
könnte. Man muss daher diese Argumentation als in der Tendenz abergläubische,
magische Denkart auffassen, was wiederum gut zum Charismatismus dieser Gemeinde
passen dürfte.
Wir erinnern uns: der heilige
Paulus hat oben in Vers 3 gewissermaßen eine Überschrift über das, was folgt,
gesetzt:
„Ihr
sollt aber wissen, dass Christus das Haupt des Mannes ist, der Mann das Haupt
der Frau und Gott das Haupt Christi..“
Nur ein oberflächlicher, esoterisch
denkender und frauenkritischer Leser kann darin eine Rangfolge („Emanation“) erkennen,
wie sie dann in den Versen 7-10 dargelegt wird. Der Völkerapostel referiert zu Beginn
die wahre Lehre und danach ihre Verzerrung und falsche Schlussfolgerungen.
Ich will den Lesefehler der
Korinther aufzeigen, den er wahrscheinlich meint. Seine Argumentation später ab
Vers 11 unterstützt meine Interpretation, dass er einen Lesefehler aufzeigen
will. Ich werde darauf zurückkommen.
Lesen wir den Vers 3 einmal von
hinten:
Gott (der Vater) ist das Haupt
Christi (des Sohnes).
Christus ist das Haupt des Mannes.
Der Mann ist das Haupt der Frau.
Kann man aus dieser Reihenfolge
eine Rangfolge (Emanation) immer weiter subordinierter Wesen ableiten? Also in
dem Sinn:
„Die Frau ist dem Mann
subordiniert.
Der Mann ist Christus subordiniert.
Christus ist dem Vater
subordiniert.“?
Jedem echten und nüchternen Katholiken
muss hier der Atem stocken – nein!
Es ist häretisch und blasphemisch,
so etwas auch nur im Ansatz in Erwägung zu ziehen!
Man würde einer arianischen
Position folgen!
Wenn aber Christus dem Vater nicht
subordiniert ist, was heißt dann, dass Gott das „Haupt Christi“ sei? Es heißt
einfach nur, dass der Vater das Prinzip des Sohnes ist, weil der Sohn aus dem
Vater geboren ist. Aber er steht nicht „unter“ ihm! Folgt man dieser Reihe
weiter, ergibt sich, dass der Mann (als der erste der beiden Ur-Menschen) durch
Christus geschaffen wurde bei der Schöpfung, denn es heißt, durch Christus sei
alles geschaffen worden. Die Frau als zweite wiederum wurde aus dem Mann genommen,
dies allerdings durch Gott und nicht durch den Mann selbst. Insofern ist zwar
die Frau ebenfalls im Ursprung durch Christus geschaffen, aber nicht
unmittelbar, sondern mittelbar wiederum aus dem Prinzip des Mannes, das zuvor
schon geschaffen war, jedoch ohne dessen Zutun oder Macht über die Frau.
Das Haupt-Sein kann hier um Christi willen keine Subordination
bedeuten. Denn andernfalls müsste man behaupten, er sei dem Vater als seinem
Haupt„untergeordnet“, was wie gesagt eine Lästerung wäre. Und da man in dieser
Reihenfolge einen identischen und nicht wankelmütigen Gebrauch des Begriffes
„Haupt“ annehmen muss, kann er nicht beinhalten, dass die Frau dem Mann
subordiniert ist, ja, sogar eine Subordination des Mannes unter Christus wird
hier nicht ausgesprochen, sondern im Gegenteil die „Vergöttlichung“ des
Menschen, die Christus uns möglich gemacht hat, wird hier dargelegt. Welch eine
Gnade für uns alle!
„Volo
autem vos scire…“, schreibt der heilige Paulus zu Beginn: „Ich will, dass ihr das wisst…“ Und
„das“, das zu Wissende, ist die Herkunft aller aus dem Vater und nicht, wie er
in Vers 7-9 suggeriert, der rein natürlich behauptete und überspannte „Vorrang“
des Mannes vor der Frau!
Gegen die These des Verses 7
spricht auch, dass in der Genesis die Frau eindeutig als Ebenbild Gottes
bezeichnet wird, und dies ohne irgendeinen Abstrich. Das Decretum Gratiani hat diese Stelle nämlich insofern missbraucht,
als es behauptet, die Frau sei nicht
Ebenbild Gottes und müsse sich darum
verschleiern. Wir müssen erkennen, dass auch die pseudokatholische
Schleierdebatte sehr wohl der Intention des islamischen Schleiers entspricht,
was aber deren Verfechter immer empört bestreiten. Man darf ihnen hier Unwissenheit
unterstellen. Mit dieser Argumentation stellt sich Gratian in Widerspruch zur
Genesis und legt somit eine häretische Äußerung dar, die später stillschweigend
irgendwann unter den Tisch gefallen ist.
Das Decretum Gratiani macht aber andererseits verständlich, auf welche
häretische und verzerrte Sicht sich schon der Apostel Paulus damals bezogen
haben könnte – nämlich eine arianische Deutung des Geschlechterverhältnisses,
das dem heidnischen, aber auch dem jüdischen Menschen so selbstverständlich erschien,
dass selbst bei den Kirchenvätern Anleihen an dieses Denken auffindbar sind.
Der antike Mensch konnte sich schlicht nicht vorstellen, dass die Frau NICHT nur
ein schwacher Abglanz des Mannes sein könnte!
Erst die Reflexion über die
Gottesmutter und ihre alle Menschen, sogar die Apostel, überragende Stellung,
hat allmählich und sehr langsam diese Herabwürdigung der Frau aufbrechen und teilweise
heilen können.
Und nun hören wir den Völkerapostel
doch einmal aus dieser Sicht, die ich vorgetragen habe, an. Wie ein
Befreiungsschlag klingt seine nun folgende Gedankenführung in Vers 11+12:
„Doch
im Herrn gibt es weder die Frau ohne den Mann noch den Mann ohne die Frau.
Denn
wie die Frau vom Mann stammt, so kommt der Mann durch die Frau zur Welt; alles
aber stammt von Gott.“
Hören wir es nicht? Mit der
angeblichen Schöpfungshierarchie kann man doch ausdrücklich laut Paulus eben
nicht argumentieren! Nichts anderes sagt uns doch der Apostel: Im Herrn – und
sind wir denn nicht „im Herrn“? sind wir noch Heiden? oder Juden? – im Herrn
sind wir allesamt nichts ohne einander! Und kommen nicht alle Menschen vornehmlich
aus der Frau und nur in schwächerer Weise (aufgrund der fehlenden leiblichen
Einheit mit dem Kind) aus dem Mann? Kam nicht sogar, will man hinzusetzen,
sogar der Sohn durch eine Frau und eben nicht aus dem Willen des Mannes oder
seines Fleisches ins Menschsein?
Vers 13 klingt auf Lateinisch
anders als in der Einheitsübersetzung:
Deutsch übersetzt heißt das: „Urteilt in euch selbst: darf eine Frau unverhüllt
zu Gott beten?“
Der heilige Paulus gibt auf diese
Frage keine Antwort!
Und weiter der Vers 14 auf
Lateinisch:
„Nec ipsa natura docet vos quod vir
quidem, si comam nutriat, ignominia est illi; mulier vero, si comam nutriat,
gloria est illi? »
Deutsch und wörtlich : « Und lehrt euch denn die Natur selbst,
dass dem Mann, der sein Haar bedeckt, dies zur Schande gereicht; dass aber der
Frau, die ihr Haar bedeckt, dies zum Ruhm gereicht?“
Vielfach wird übersehen, dass der
heilige Paulus hier nicht etwa ein göttliches Gesetz bemüht, oder gar das
Gesetz des Moses, sondern die „Natur“. „Natura
docet“, die Natur lehrt? fragt er.
Wenn wir nüchtern denken, müssen
wir zugeben, dass die „Natur“ hier gar nichts „lehrt“, zumal gerade, wie ganz
oben nachgewiesen, der Mann nach dem jüdischen Gesetz sogar die Vorschrift hat,
sich beim öffentlichen Beten zu bedecken.
Uns bleibt nichts, als
festzustellen, dass es in Israel eine gesetzliche Vorschrift für den Mann gab.
Die Frau betet ohnehin nicht in der Synagoge oder im Tempel öffentlich. Das ist
bis heute so, und die liberalen Jüdinnen, die sich inzwischen das Recht
erkämpft haben, an der Klagemauer doch öffentlich zu beten, benutzen dazu
denselben Gebetsschleier, den sonst nur die Männer benutzen dürfen.
Die „Natur lehrt“ über solche
Ordnungen nichts, was man objektiv nachvollziehen könnte – zu unterschiedlich
sind die Sitten der Völker, zu unterschiedlich die klimatischen Bedingungen, als
dass man hier etwas Verlässliches sagen dürfte. Es wäre unnüchterne und
magische Denkart.
Bleibt nur ein Schluss: Es gibt das
jüdische Gesetz und Bräuche, die hier so und anderswo wieder anders sind. Die
Natur sagt uns dazu schlicht nichts Verbindliches.
Der heilige Paulus fragt und
antwortet nicht, überlässt dem Leser, nachzudenken und eine Antwort zu finden.
Am Ende von Vers 15, der über eine
angebliche, „natürliche“ Notwendigkeit der Frau zur Verschleierung beim Beten
spricht, lässt er diese ganze abwegige und magische Natur-Frage wie ein
Kartenhaus in sich zusammenstürzen, denn ihn „lehrt“ die „Natur“ offenbar nur
eines:
„Quoniam
coma pro velamine ei data est.“ Deutsch und wörtlich: „Das Haar ist ihr doch als
Schleier (besser: „Hülle“ oder „Decke“) gegeben!“
Und hat er nicht recht?
Ist der Frau nicht im Allgemeinen „von
der Natur“ („Natura docet…“) besonders
reiches Haupthaar gegeben, das sie tatsächlich weltweit fast durchweg, egal in
welcher Kultur, lang trägt? Wenn die
„Natur“ irgendetwas „lehrt“, dann eben dieses Faktum.
Ich möchte noch einmal fragen, wie
es kommen kann, dass all diese ach so traditionalistischen Frauen (und ihre
männlichen Antreiber) sich wacker diese reiche, gottgegebene „Decke“ abschneiden,
dafür aber umso mehr nun den heidnischen Schleier propagieren und daran auch
noch ihre zur Schau gestellte, so fromm zur Schau gestellte „Subordination“
knüpfen, der doch der Apostel eine Absage erteilt in seinen Ausführungen! Der
heilige Paulus spricht zwar an anderen Stellen von Unterordnung, dies aber nie
einseitig zu Lasten der Frau! Sein Tenor ist nach Epheser 5 die gegenseitige
Unterordnung aller! Er setzt die Stärke und Würdigung der Frau bei all seinen
Aussagen voraus. Vielleicht sogar ihre besondere Stärke, die sie um des Mannes
willen gelegentlich doch zurücknehmen soll, um ihn nicht im Glauben zu
behindern – dies aber freiwillig und ohne verbissenen Druck von außen.
Feste Kleidervorschriften kennt das
Alte Testament und ebenso die Kirche nur im Bezug auf liturgische,
priesterliche Gewänder bzw. Ordenskleidung. Alltägliche Kleiderordnungen des
Volkes sind dagegen wandelbare Konventionen und Gebräuche. Der Schlusssatz der
Stelle spricht davon, dass der Apostel das Thema offenbar nicht für wert hält,
so überspannt zu werden:
„Si quis autem videtur contentiosus esse,
nos talem consuetudinem non habemus, neque ecclesiae Dei. »
Deutsch und wörtlich : « Wenn einer deswegen meint, streiten
zu sollen : wir haben einen solchen Brauch nicht, auch nicht die Kirche
Gottes.“
Es ist übrigens abwegig, das „Um
etwas streiten“ für den "Brauch" zu halten, von dem der Apostel spricht:
Erstens hat die Kirche von Anfang
an eine Diskussionskultur gehabt und zweitens würde man eine solche nicht einen
„Brauch“ nennen.
Mit dem „Brauch“ kann hier sinnvoll
nur eines gemeint sein: überspannte Bräuche über Schleier, männliche Barhäupte
und andere rein äußerliche Gepflogenheiten, die mit einer geradezu esoterischen Bedeutung
versehen werden – das ist dem katholischen Denken nicht nur fremd, sondern
sogar untersagt. Wir sollen nicht magisch denken!
Und das passt auch wieder zu
Paulus: Wir haben keine Kleiderbräuche, außer die, dass wir sittsam gekleidet
sind, Mann wie Frau. Zwar schrieb der CIC von 1917 der Frau und dem Mann sittsame
Kleidung und ihr dabei auch irgendeine Kopfbedeckung vor, dem Mann dagegen Barhäuptigkeit,
schränkte dies aber ein, falls eine andere Sitte vorliegen sollte.
2. Exkurs: Das Decretum Gratiani, die Aberkennung der
Gottebenbildlichkeit der Frau und der Schleier
Die postmodernen Schleierfreunde
übersehen, dass der Schleier, wenn er propagiert wurde, im Zusammenhang mit der
Bestreitung der Gottebenbildlichkeit der Frau geschah:
Gratian (12. Jh) schrieb:
„Hec
imago Dei est in homine, ut unus factus sit
ex quo ceteri oriantur, habens inperium Dei, quasi
uicarius eius, quia unius Dei habet imaginem, ideoque
mulier non est facta ad Dei imaginem. Sic etenim
dicit: "Et fecit Deus hominem; ad imaginem Dei fecit
illum." Hinc etiam Apostolus: "Vir quidem," ait,
"non debet uelare caput, quia imago et gloria Dei
est; mulier ideo uelat, quia non est gloria aut
imago Dei." (http://geschichte.digitale-sammlungen.de/decretum-gratiani/kapitel/dc_chapter_3_3661)
ex quo ceteri oriantur, habens inperium Dei, quasi
uicarius eius, quia unius Dei habet imaginem, ideoque
mulier non est facta ad Dei imaginem. Sic etenim
dicit: "Et fecit Deus hominem; ad imaginem Dei fecit
illum." Hinc etiam Apostolus: "Vir quidem," ait,
"non debet uelare caput, quia imago et gloria Dei
est; mulier ideo uelat, quia non est gloria aut
imago Dei." (http://geschichte.digitale-sammlungen.de/decretum-gratiani/kapitel/dc_chapter_3_3661)
Deutsch übersetzt:
„Dieses
Abbild Gottes ist im Menschen, wie einer dazu ausersehen ist, aus den übrigen
sich zu erheben, um das Reich Gottes innezuhaben, gewissermaßen als sein
Stellvertreter, weil ja nur ein einziger Abbild Gottes sein kann; deswegen ist
die Frau nicht nach dem Abbild Gottes geschaffen. So heißt es nämlich: „Und der
Herr schuf den Menschen; zum Bild Gottes schuf er ihn.“ So auch der Apostel:
„Der Mann“, sagt er. „Darf sich das Haupt nicht verhüllen, denn er ist Abbild
und Glanz Gottes; die Frau dagegen bedecke sich, denn sie ist weder Glanz noch
Abbild Gottes.“
Diese ungeheuerliche Behauptung
Gratians enthält gleich zwei förmliche Widersprüche zur Heiligen Schrift:
Gratian zitiert die Genesis bewusst
verfälschend und verkürzt, um zu beweisen, dass die Frau nicht Ebenbild Gottes
sei, obwohl doch genau das in der Genesis steht:
Genesis 1, 27: „Et creavit Deus hominem ad imaginem suam; ad imaginem Dei creavit
illum; masculum et feminam creavit eos.“ Deutsch: „Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bild; zum Bilde Gottes schuf er
ihn; männlich und weiblich schuf er sie.“
Gratian: „Et fecit Deus hominem; ad
imaginem Dei fecit illum. » Dass die Frau genauso Ebenbild ist,
lässt er weg, um zu beweisen, dass sie es nicht ist. Das ist mehr als dreist!
Gratian zitiert den Apostel Paulus dann
regelrecht falsch und fügt das erwünschte Ergebnis – nämlich dass die Frau kein
Ebenbild sei – mit einer atemberaubenden Dreistigkeit einfach in den
Schrifttext ein:
Paulus: „Vir quidem non debet velare
caput, quoniam imago et gloria est Dei; mulier autem gloria viri est. »
(V. 7) Deutsch : « Der
Mann darf sein Haupt nicht verhüllen, weil er ja Abbild und Ehre Gottes ist;
die Frau ist aber Ehre des Mannes.“
Gratian: „"Vir quidem,"
ait, "non debet uelare caput, quia imago et gloria Dei est; mulier ideo
uelat, quia non est gloria aut imago Dei." (s.o) Deutsch: „Der Mann (…) darf sich das haupt nicht
verhüllen, denn er ist Abbild und Ehre Gottes; die Frau muss sich deshalb
verschleiern, weil sie weder Ehre noch Abbild Gottes ist.“
Wie bereits dargelegt, ist gerade
dieser Vers 7 bei Paulus wiederum im Widerspruch zu den Versen 3, 11+12, kann
also auf keinen Fall ohne die Berücksichtigung dieser anderen Verse absolut
gesetzt werden. Dass jede Veränderung des kanonisierten Bibeltextes eine
schwere Häresie darstellt, ist ebenfalls zu bedenken und es wundert, dass das
Lehramt hier nicht sofort rigoros eingegriffen hat.
Zuletzt ist Gratians einleitende
Begründung ein indirekter Angriff auf den trinitarischen Glauben, der doch in
der Argumentation des heiligen Paulus der gesamten Betrachtung vorangestellt
wird. Wieso sollte nur ein einziger Abbild Gottes sein können, wenn doch die
Genesis das Gegenteil besagt und gerade in den Worten des Paulus deutlich wird,
dass die Abbildlichkeit Gottes die gesamte Schöpfung durchzieht? Gerade weil Gott nicht nur ein „einziger“ ist
wie im Islam, sondern eine Trinität, ist die Abbildlichkeit durchlässig hin zu
den vielen!
Alle Schleierfreunde sollten
ernsthaft darüber nachdenken, ob sie sich einem solch verzerrten und von der
Tendenz her sogar häretischen Gottes- und Menschenbild ergeben wollen. Denn
anders kann man diese Aktion des Gratian gegen die Frau nicht werten, da er
selbst vor einer Umformulierung der Heiligen Schrift nicht zurückschreckt.
Zuletzt ist es angesichts der
Erwähltheit Mariens, die als „Widerschein“ des göttlichen Glanzes bezeichnet
wird, geradezu blasphemisch, der Frau abzusprechen, dass sie selbst Ebenbild
Gottes ist.
3. „Haar“sträubende Gründe für die „Mantilla“
Neben dem falschen bzw.
fragwürdigen Verweis auf den hl. Paulus habe ich bisher nur – man verzeihe mir
– dümmlich-vulgäre, rein ästhetische, eitle und pseudodemütige Gründe für die
„Mantilla für alle“ gehört. Weder Männer noch Frauen sind in der Lage, die
angebliche Wichtigkeit dieses frommen Accessoires sachlich und für einen
katholisch denkenden Menschen plausibel und vernünftig zu erklären.
Die einen erklären einem voller
Ernst, Frauen neigten dazu, immerzu herumzuschauen und würden so durch die
Mantilla gezwungen, sich zu konzentrieren, was ich, wenn ich es nicht als
Beleidigung meines Geschlechtes werten soll, als Ausdruck schlimmster Dummheit
ansehen müsste. Wieder andere meinen, sie fühlten sich so ehrfürchtiger vor dem
Allerheiligsten (was als subjektiver Grund m.E. noch am ehrlichsten und
akzeptabel sein mag, dann aber eben logisch auch nicht „für alle“, sondern nur
für den, der es braucht oder will). Noch andere behaupten, sie zeigten damit
ihre besondere Demut, was wie alle – außerhalb von formellen liturgischen oder
ordensspezifischen Demutssymbolen - zur Schau gestellte Demut bekanntlich das
Gegenteil ausdrückt: nämlich Hochmut. Wahre Demut weiß nicht, kann gar nicht
wissen, dass sie demütig ist…
Sprachunkundige und Menschen, denen
der logische Verstand fehlt, behaupten gerne in auftrumpfender Manier, der
heilige Paulus habe mit dem Satz, das Haar sei der Frau als Decke gegeben in
Wahrheit gemeint, es sei ihr als „Schmuck“ gegeben und müsse deshalb verhüllt
werden, damit die Männer, die nach der Argumentation plötzlich auch als
notorische Herumgaffer dargestellt werden, nicht in Versuchung kämen. Und es
gehe in der Heiligen Messe nun mal nicht drum, dass die Frau im Mittelpunkt
stehe. Ob solcher Sätze muss ich mir immer wieder die Augen reiben: Ich wäre
nicht Traum auf die Idee gekommen, ich wolle mich, wenn ich ordentlich gekämmt
in die Heilige Messe komme, in den Mittelpunkt setzen. Wieso auch?
Und warum dann, wenn auch die
Männer nur herumschauen, nicht die Männer verhüllen, wenn man doch zuvor den
Schleier so nötig der herumblickenden Frau als „Schutz“ verordnen wollte?
Ich möchte es dem Leser ersparen,
weitere Peinlichkeiten aufzuführen, die in diesem Zusammenhang gewöhnlich geäußert
werden. Jeder möge eine Abenteuerfahrt durch katholische Blogs unternehmen und
sich die Legionen an albernen, eitlen und zum Teil offen frauenverachtenden
Kommentaren dazu ansehen.
Zweierlei will ich dazu noch
bemerken:
Der heilige Paulus spricht
definitiv nach jedem hermeneutischen Sachverstand nicht vom „Schmuck“ oder der „Zier“
des Frauenhaars, sondern von der „Decke“. Ein „velamen“ oder „velamentum“
meint niemals „Schmuck“, sondern eine Bedeckung, Hülle, sogar das „Fell“! Das
französische Wort „voile“ (Segel,
Decke, Schleiertuch leitet sich davon ab). Hätte Hieronymus das als „Schmuck“
übersetzen wollen, hätte er es „ornamentum“
genannt. Es zeigt aber, davon abgesehen, die gesamte Argumentation auf, dass es
bei den Korinthern und ihren Forderungen nicht ums Zieren, sondern ums „Bedecken“
bzw. „Verhüllen“ ging. Nur eine völlig textferne Lesart kann den Sinn so
verbiegen.
Von gegenseitigem Aufreizen oder
dergleichen ist bei dem heiligen Paulus keinerlei Rede! Es gehört eine
schmutzige Phantasie des Lesers dazu, diese Stelle so zu lesen!
Man sollte also nüchtern und
sachlich bleiben und weder Mann noch Frau unter dem Aspekt betrachten, bloßes
Reizobjekt zu sein. Jeder und jede ist hier gehalten, sich zu zügeln und sich
nicht zu begierigen Blicken hinreißen zu lassen. Erst mal – so klingt es bei
Jesus – bin ich selbst diejenige, die den anderen nicht mit begehrlichen
Blicken ansehen soll. Es ist in der Kirche schon viel zu viel Unrecht geschehen
dadurch, dass man v.a. der Frau anlastete, wenn der Mann sich nicht zügelte
(aber umgekehrt wäre es genauso ungerecht): Immer muss ich mich zügeln, bevor ich den anderen für mein Versagen
verantwortlich mache!
Im allgemeinen aber gilt eine
ordentlich frisierte Frau nicht als „aufreizend“, und es wird allgemein nicht
als unschicklich empfunden, wenn Frauen mit bescheidener Frisur barhäuptig zu
sehen sind, v.a. dann, wenn sie ohnehin langes Haar haben. Kopfbedeckungen
entspringen bei Mann und Frau weniger der „Sittsamkeit“ als Moden, Konventionen
oder praktischen Notwendigkeiten (Schutz vor Sonne, Regen, Kälte, Schmutz).
4. Die Mantilla führt zu einer unguten und pseudo-liturgischen
Beschäftigung der Frau mit sich selbst
Viele traditionalistische Frauen
tragen das Argument vor, Mantillen seien doch so weiblich, so hübsch und so
reizvoll. Und so sieht man zunehmend junge Damen in den Heiligen Messen, manche
sogar inzwischen in NO-Messen, die die gesamte heilige Messe über an ihrer
Mantilla herumnesteln, denn diese billigen, durchsichtigen Polyestertücher
verrutschen, weil sie ja nur über den Kopf gelegt werden, ständig auf den
eitlen Weibsköpfen, sind natürlich komplett durchsichtig, verdecken also ohnehin
gar nichts, sondern betonen das Haar sogar noch. Eine Frau ohne dieses Tuch
wird gar nicht beachtet. Wenn eine aber dieses Stück Stoff auf ihr Haupt drapiert,
wird sie garantiert von jedem offen oder heimlich begafft. Dieselben Damen
zupfen auch sonst auffallend viel an ihren Kleidern herum. Ich muss zugeben ,
dass mich das sogar stört, wenn eine solche Braut direkt neben mir sitzt und in
kurzen Zeitabständen ihr Tuch wieder zurechtrückt, den Pullover herunterzieht,
an ihrem Röckchen herumzettelt und ständig an sich selbst hinabschaut. Ich bin
auch eine Frau und würde mich so gerne ausschließlich auf das Geschehen am
Altar konzentrieren … durch dieses Spitzentuch wäre ich aber gezwungen, ständig
über meine Haare nachzudenken, und genau das will ich nicht! Die Mantilla hat
uns jedenfalls die vorige Andachtsruhe um ein erhebliches Stück beraubt, und
nur einer kann daran Interesse haben. Sein Name ist es nicht wert,
ausgesprochen zu werden.
War es das, was man unbedingt
wollte? Endlich Aufmerksamkeit für die Frau? Und das während des heiligsten
Geschehens?
Wenn jemand meint, er müsse den
Kopf bedecken, warum dann nicht so, wie es bei uns immer üblich war – mit einem
Hut, einem normalen Tuch oder einer Mütze und vor allem der typisch
keltisch-germanischen Kapuze (Gugel), wie sie bis heute in Nonnen- und
Mönchshabiten integriert ist? Warum dieses Affentheater um dieses
durchsichtige, haltlose Tuch, das die Piusbruderschaft aus fernen Südlanden
importiert hat?
Manchmal sieht man im Internet
Fotos von frommen Messen, in denen ein spitzenweißes bzw. –schwarzes
Kopftuchheer im Kirchenraum sitzt.
Das kann in dieser Uniformität so
nicht richtig sein. Es handelt sich dabei doch um Laiinnen!
Die Laien-Frau hat nun mal kein
liturgisches Amt und sollte auch nicht quasi-liturgisch uniformiert in der Hl.
Messe auftreten. Ich werde den Eindruck nicht los, dass es sich um
Wichtigtuerei handelt.
Denn wie gesagt: warum nicht dezent
gekleidet sein, meinetwegen mit einer regionalen Kopfbedeckung, wenn es denn
sein muss? Warum dieses völlig außerirdische Spitzentüchlein, womöglich noch zu
Jeans und Sweatshirt, schweren deutschen Wintermänteln, halblangen bis kurzen
und hausbackenen Trachtenröcken, flachen Trampelschuhen und groben Strümpfen?
Das Argument, die Mantilla-Frau
ahme Maria nach, entbehrt jeder vernünftigen Begründung. Maria war sicher
gekleidet wie es damals üblich war. Aber keine Frau käme auf die alberne Idee,
sich nun in antiker Mode zu stylen, um Maria nachzuahmen! Zumal ja niemand so
genau weiß, wie Maria wirklich gekleidet war…Warum also nur das Tuch und nicht
auch den Rest der historischen Gewänder? Auch die Behauptung, man ahme darin
Marias Demut nach, ist „an den Haaren“ herbeigezogen. Ich möchte nicht wissen,
wo die Eitelkeit sich überall verbirgt – vor Tüchern wird dieser Dämon wohl
kaum Halt machen, vor allem dann nicht, wenn sie „hübsch aussehen“ und so
unbeschreiblich „weiblich“ sind und als Ausweis für Demut herhalten sollen…
Bleibt zum Schluss zu fragen, ob
wir eigentlich keine dringlicheren Fragen haben derzeit?
Es ist mit Sicherheit nicht
richtig, ständig um Bekleidungsfragen der Frauen zu kreisen.
Wir sollen sittsam gekleidet sein.
Das ist die Sicht des heiligen Paulus und des Lehramtes. Was sittsam ist, ist
kulturabhängig. Japanische oder vietnamesische oder afrikanische Katholiken
werden dabei das zugrunde legen, was in ihrer Kultur als sittsam oder
konventionell gilt.
Es ist dabei auch nicht richtig, assoziiert
mit dem Mantilla-Kampf, einen Grundsatz-Krieg gegen die Frauenhose zu
inszenieren: sie ist hier seit Generationen inzwischen (wieder) etabliert (auch
die Germaninnen hatten welche, wie die Trajansäule es beweist), die halbe Welt
kennt seit Menschengedenken die Frauenhose, fast alle asiatischen und alle
Kulturen, die in kalten Regionen liegen, kennen sie, und das ist weder
unweiblich noch unschicklich.
Auch hier ist es nur wichtig, dass
es wirklich eine Frauenhose ist und nicht eigentlich viel zu enge Männerkleidung,
in die man eine Frau zwängt.
Generell widersteht es mir, aus
diesen Fragen Gesetze oder ein ganzes Glaubensdrama zu machen: das ist einer
Braut Christi nicht würdig.
Es wäre viel gewonnen, wenn die
Frau unbefangen und ohne die naturhaft-heidnische Eitelkeit mit ihrer
Erscheinung umginge, wissend, dass sie natürlich und gut geschaffen wurde und
sich nicht verkrampfen muss, und vor allem: dass sie den schönsten Bräutigam
des Universums hat, der ihr Herz und nicht ihre Kleider liebt und der selbst
durchbohrt wurde um ihretwillen.
6. Der heilige Paulus und die heilige Agnes
Die schönste Geschichte zum Thema
„Haar“ und „Hülle“ ist uns über die heilige Agnes überliefert:
„Da
gebot der Richter, dass man sie sollte bloß ausziehen und also nackt in
der gemeinen Frauen Haus führen. Aber
der Herr ließ ihr Haar so dicht wachsen, dass ihr Leib davon besser bedeckt
war, denn mit Gewand. Und da sie in das Haus der Schande kam, stund da ein
Engel, der gab ihr ein lichtes Gewand, und erfüllte sie mit seinem Glanz das
ganze Haus. Also ward die Stätte der Schmach zum Ort des Gebets.“ (Legenda
Aurea, Von Sanct Agnes. Aus dem lateinischen übersetzt von Richard Benz.
Heidelberg 1984: Verlag Lambert Schneider, S. 134)
Das passt hervorragend zu der
Paulusstelle, ebenso wie die Aussage des heiligen Ambrosius, St. Agnes sei ohne
besonderen Haar- oder Kopfschmuck gewesen und so in der rechten Weise ihrem
Bräutigam entgegen gegangen.
Der natürliche Schleier der Frau
ist ihr Haar, aber der übernatürliche „Schleier“ ist ein Glanz, den kein
Kleidungsstück je hergeben könnte und wird gnadenhaft verliehen – und natürlich
der Frau direkt und nicht, wie Gratian behauptet, nur vom Mann her. Eine direkte „Vermählung“ der Frau
mit Christus wäre ja sonst überhaupt nicht möglich, wie sie bis heute jede Ordensfrau
aber doch feiert!
Alleine die Tatsache, dass die
Kirche in ihrer gesamten realen Auffassung der weiblichen Heiligen von Anfang
an und ganz selbstverständlich von deren Gottebenbildlichkeit und deren
Widerschein Seines Glanzes ausging, offenbart uns, dass die besagten
referierten Sätze des Heiligen Paulus mit sehr großer Wahrscheinlichkeit gerade
nicht dessen Meinung wiedergeben.
©
Copyright by Hanna Maria Jüngling