Montag, 24. Februar 2014

Andante pumilioso - Im Zwergenschritt

Spielstücke für die Violine (1. Lage)

Hanna Jüngling: Andante pumilioso - Im Zwergenschritt
- Spielstücke für Violine/ 1. Lage -
Zeitschnur Verlag
ISBN 978-3-940764-15-7
Ladenpreis: 12,00 €

In diesem Heft sind 17 Spielstücke vereint, die ich während meiner Unterrichts- und Auftrittserfahrung geschrieben und immer wieder verändert, den Möglichkeiten einzelner Schüler angepasst habe. 
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Manche der Stücke verarbeiten bekannte Lieder aus dem süddeutschen Sprachraum. Manche erinnern an die Musik lustiger Filmreihen. Oder sie entstammen dem internationalen Volksmusikgut. Oder klingen so ähnlich... Manche sind einfach nur erfunden. Sie sind tonal, spielen mit Floskeln aller Art und nutzen die speziellen Effekte der Violine zur Begleitung.
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Die Stücke können auch von erwachsenen und versierten Spielern aufgeführt werden.
Sie sind kurzweilig und unterhaltsam. Sie dauern jeweils zwischen 30 Sekunden und 3 Minuten.


Leseprobe:


Montag, 3. Februar 2014

Catholic LARP und die Geistkirche





Die „Geistkirche“ als die größte Versuchung des Christentums

Die große Versuchung der Kirche zeigte sich von Anfang an in der Fiktion einer „Geistkirche“, die das freie Wirken des Heiligen Geistes in der Subjektivität, Askese und formlos-ästhetischen „Armut“ erkennen will, zur Hauptquelle der Berührung mit Gott macht und in dieser Ausrichtung den Leib Christi in seiner objektiven Ordnung aushöhlt. Bereits die Pastoralbriefe im NT berichten uns von dieser Problematik. Immer wieder muss der Sohn, Jesus Christus, der Gekreuzigte, zurück ins Zentrum des Glaubens gerückt werden.

Die lateinische Kirche hat in vielen Auseinandersetzungen mit häretischen Standpunkten und Bewegungen die objektive sakramentale Struktur des Leibes Christi dogmatisch entfaltet und in der Frömmigkeitspraxis ausgestaltet.

Der Kampf ging stets um die leibhaftige, zentrale Gegenwart des gekreuzigten Herrn Jesus Christus, dessen vergegenwärtigtes einmaliges Opfer Höhepunkt der Kulthandlung (Messopfer) ist, bis Er kommt. Der Lebensatem dieses sichtbaren und objektiven Leibes Christi ist der Heilige Geist. Das Haupt dieses lebendigen Organismus ist Jesus Christus, der die Glieder mit dem Heiligen Geist salbt. Er tut dies durch die Sakramente.[1]
Die Kirche scheint nun nach mehrfachen und anhaltenden schismatischen Abspaltungen der 2000 Jahre lang abgewehrten Versuchung selbst zu erliegen. Wir erleben spätestens seit dem Vaticanum II einen gigantischen Auflösungs- und Zerstörungsprozess innerhalb der römisch-katholischen Kirche unter den zähen, propagandistischen Begriffen „Neues Pfingsten“, „Aufbruch“ und „semper reformanda“.
Man kann nachzeichnen, dass nahezu jede Abspaltung darauf beruht, dass der (missbrauchte) Heilige Geist die reale sakramentale Gestalt des Gottmenschen Jesus Christus verdrängt. Dies geschieht durch die Inanspruchnahme des Heiligen Geistes direkt aus dem Vater „am Sohn vorbei“, als könne Er ohne die konkrete, physische Anwesenheit des Sohnes frei entstehen und im Menschen ohne den Umweg des persönlichen Kreuzesopfers Jesu Christi direkt wirken. Vielfach erscheint die Ausgießung des Heiligen Geistes als Höhepunkt der Offenbarung Gottes an die Menschheit, als Peripetie des kirchlichen und individuellen Heilsdramas, so als ob der Sohn und die Wassertaufe nur eine Übergangsstufe auf ein Höheres hin, nämlich den Empfang des Heiligen Geistes in einer „Feuer-„ oder „Geisttaufe“ (gewesen) sei.




Die Sakramente der Heiligen Katholischen Kirche und der Heilige Geist

Dem ist natürlich prinzipiell entgegenzuhalten, dass nur die Wassertaufe und die Beichte zu den „heilsnotwendigsten“ Sakramenten gehören und daher „Sakramente der Toten“ genannt werden. Sie spenden dem in der Erbsünde Toten die Vergebung und erwecken ihn zum Leben. Die anderen werden „Sakramente der Lebenden“ genannt, weil sie in den bereits geistlich wieder Lebendigen die lebendig machende Gnade vermehren. Die „Versiegelung mit dem Heiligen Geist“, die die Kirche im Sakrament der Firmung durch den Bischof oder Priester spendet, vollendet im Sinne dieser Vermehrung die Taufgnade. Sie ist die Befähigung zum miles Christi, zum „Soldaten Christi“.[2] 

„Die Firmung macht aus uns vollkommene Christen und Soldaten Jesu Christi, indem sie uns die Fülle des Heiligen Geistes gibt: Seine Gnaden und Seine Gaben. Diese bestärken (befestigen) oder kräftigen uns im Glauben und in den anderen Tugenden gegen die dämonischen Mächte.“[3]
Die sakramental verfasste Kirche erwartet den Sohn und dessen Wiederkunft und feiert das Gedächtnis Seines Todes in der Heiligen Eucharistie bis Er kommt. Jesus Christus ist das Prinzip, aus dem das Heil und die Erlösung fließen. Durch Ihn, in Ihm und mit Ihm sind alle Dinge gemacht. Die römisch-katholische Kirche hat sich durch die Auseinandersetzung mit den verschiedenen pneumatologischen Haltungen auf ein christomonistisches Prinzip festgelegt, das sie von allen anderen Konfessionen fundamental unterscheidet. Immer wieder wird ihr deshalb von innen und außen „Geistvergessenheit“ vorgeworfen.[4]
Der Katechismus der Katholischen Kirche sagt dazu:
„Die Firmung prägt ja der Seele ein unauslöschliches geistiges Zeichen ein, den ‚Charakter’. Dieser ist Zeichen dafür, dass Jesus Christus einen Christen mit dem Siegel seines Geistes gekennzeichnet und ihm die Kraft von oben verliehen hat, damit er sein Zeuge sei. (…) Der Gefirmte erhält ‚die Macht, öffentlich den Glauben an Christus wie von Amts wegen (quasi ex officio) mit Worten zu bekennen’ (Thomas v.A., s.th. 3, 72, 5 ad 2)“[5] 

Von „Geistvergessenheit“ kann also keine Rede sein. Es geht vielmehr um ein völlig anderes Konzept von Geisterfülltheit:
Gefühlssensationen, Sentimentalität, verschwimmende Begriffe und Enthusiasmus werden von den Anhängern einer „Geistkirche“ mit einer Berührung durch den Heiligen Geist verwechselt. Je stärker die psychische Erregung, desto mehr wird sie für gottgewirkt gehalten.
Die psychische Erregung ist jedoch, wie jeder Werbefachmann oder Propagandist weiß, der perfekte Einstieg in die Seele und der entscheidende Moment, um von einem fremden Willen besetzt und manipuliert zu werden. Wir sollten das nach den totalitären Exzessen des 20. Jahrhunderts wissen. Niemand kann mehr unter solch aufgeheizten Umständen die Geister unterscheiden. Niemand weiß, ob nicht die Dämonen hier Einzug halten, nachdem man sich des Schutzes durch objektive Normen entledigt hat.
Der dreifaltige Gott spricht demgegenüber den Menschen niemals im Moment der tiefsten Willensschwächung an, sondern dann, wenn der Wille stark, nüchtern und souverän ist. Die objektive Lehre, der Empfang der Sakramente, die äußerste eigene Mühe um Heiligung und die Stille des Herzens sind notwendige Voraussetzungen zur Unterscheidung der Geister.



Die „Geistkirche“ als flüchtiges, geschichtsevolutionistisches Konstrukt

Die Problematik jedes pneumatologischen Konstruktes liegt darin, dass die geordnete, persönliche, souveräne Königsherrschaft Jesu Christi einer vom Heiligen Geist frei gewirkten Friedensherrschaft untergeordnet wird, die sich mehr oder weniger intensiv über das intersubjektive Meinen und Wollen der geistlichen Familie definiert. Die Wahrheit in Jesus Christus wird so zu einer von mehreren Möglichkeiten oder zu einer Vorläufigkeit, einem „Rohling“, der immer wieder aufs Neue behauen werden müsse und nur in der persönlichen und gemeinschaftlichen pneumatischen Erfahrung ihre Erfüllung finden kann. Der Heilige Geist wird zum Ausdruck von Kreativität und Begeisterung, gleichzeitig aber auch von kollektiv kontrollierten, gleichgeschalteten „Geistesgaben“. Mal driftet eine solche „Geistkirche“ in moralische Freizügigkeit „um der Barmherzigkeit willen“ ab. Mal driftet sie in einen quälenden Kollektivismus unter geistlichen Führergestalten ab, der dem einzelnen Gläubigen rigide moralische und asketische Normen abverlangt.
Die Rede im Johannes-Evangelium, dass der „Geist in die ganze Wahrheit führe[6] wird als Beweis für die dogmatische und normative Relativität und Prozesshaftigkeit („semper reformanda“) oder aber für die asketisch-moralische Ausrichtung der Wahrheitserkenntnis aufgefasst.
Die stille leibliche Anwesenheit des geopferten Christus im Allerheiligsten Altarsakrament und die objektive, geordnete und sakramentale Verfasstheit der Kirche, die Spenderin der Gnaden und des Heiligen Geistes ist, sind der Kontrast zu solchen „kreativen“, ungeordneten pneumatologischen Konzepten.
Alle Konzepte einer „Geistkirche“ verfehlen die demütige Unterordnung unter den offenbarten und den uns nicht offenbarten (!) Heilsplan Gottes und driften entweder in die Zügellosigkeit oder übertriebene Askese, manchmal sogar in die schizophrene Koexistenz beider Haltungen ab.
Das Gesicht des Schmerzensmannes, das caput cruentatum, verblasst in ihnen zugunsten eines göttlichen „Helden“, der je nach Färbung mehr einem Rächer der Enterbten wie Robin Hood, mal einem cleveren kleinen Gewinner wie Asterix, mal einem spacigen Superhero wie Anniken Skywalker ähnelt.
Es versteht sich, dass all diese Heldenbilder nicht nur Häresien, sondern auch Blasphemien sind. Dass dies keineswegs Auswüchse meiner Phantasie sind, habe ich im Januar in Augsburg auf der MEHR-Konferenz erlebt. Dort wurde fahnenschwenkend und johlend schon mal die „Herrschaft Jesu Christi“ über einzelne Länder ausgerufen. Der Kreis zwischen „Schon-jetzt“-Theologien wie der kirchlich verurteilten Befreiungstheologie und dem Charismatismus unserer Tage schließt sich an dieser Stelle. Man will die Ohnmacht des Schmerzensmannes nicht aushalten und dem Wirken Gottes mit dem eigenen Tun zuvorkommen. Die Bitte um Wegweisung verkommt zum „Herr wir tun dies und das. Nun segne uns auch!“
Man beachte, dass die Kirche bislang stets Länder oder die Welt in einem bischöflichen oder päpstlichen amtlichen Akt dem Herrn Jesus Christus oder der Jungfrau Maria geweiht hat… dabei allerdings wurde nicht die Herrschaft Jesu „ausgerufen“, denn Er ist ja bereits der Herrscheraber Seine Herrschaft ist nicht von dieser Welt und gilt nichts vor dieser Welt! In einer Weihe bringt der Weihende sich selbst oder einen anderen dem stillen, irdisch ohnmächtigen, und doch ewigen König ganz und gar dar.
Auch das 1925 durch Pius XI. eingeführte Christkönigsfest „rief“ nicht die Herrschaft Jesu Christi „aus“. Es bekannte vielmehr die wahre und ewige Herrschaft Jesu Christi über alle politischen Mächte und Gewalten und bekräftigte die Weihe der Kirche und jedes einzelnen Gläubigen an Ihn. Ein Gedicht von Erich Przywara (1889-1972) bringt dies zum Ausdruck:

O Du mein Heiland hoch und hehr,
dem sich der Himmel beuget,
von dessen Liebe, dessen Macht
die ganze Schöpfung zeuget:
Christus mein König, Dir allein
schenk ich die Liebe stark und rein,
bis in den Tod die Treue.
[7]



Die „Geistkirche“ als ökumenistische Hoffnung


Pneumatologische Kirchenkonzepte erscheinen vielfach als „die“ Chance des Ökumenismus. Über die Freiheit und Vagheit des Geistwehens glaubt man, die verschiedenen Konfessionen und die Zerwürfnisse der Vergangenheit so unter einen Hut bringen zu können, dass keiner „das Gesicht verliert“ oder gar einem Irrtum abschwören müsste.
Der Ökumenismus sucht nach historischen Anknüpfungspunkten zwischen den Konfessionen in älteren und scheinbar „geschmeidigeren“ theologischen Positionen auf beiden Seiten, die sich einander eher annähern lassen als die entschiedeneren Positionen.
Dem ist entgegenzuhalten, dass die Einmütigkeit der Gläubigen ja kein Sandkastenspiel, kein kompromissorientiertes Umsetzen von Bauklötzen ist, sondern die Frage beantworten müsste, was denn eigentlich der Wille Gottes sei.
„Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben, so wie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe.“[8]
Bereits Pius XII. hatte diese unselige Verknüpfung des geistlichen Pneumatismus mit dem Ökumenismus erkannt und verurteilt:
„(Es) weicht von der göttlichen Wahrheit ab, wer die Kirche so darstellt, als ob sie weder erfaßt noch gesehen werden könnte; als ob sie, wie man behauptet, nur etwas "Pneumatisches" wäre, wodurch viele christliche Gemeinschaften, obgleich voneinander im Glauben getrennt, doch durch ein unsichtbares Band untereinander vereint wären.“[9]
Das heißt: es liegen triftige Trennungsgründe vor – andernfalls hätte man sich ja nicht getrennt - und nur die römisch-katholische Kirche steht in der vollen Wahrheit Jesu Christi.

Pius XII. erklärt weiter unumwunden und klar:
„Wie es also in der wahren Gemeinschaft der Christgläubigen nur einen Leib gibt, nur einen Geist, einen Herrn und eine Taufe, so kann es auch nur einen Glauben in ihr geben (Eph 4, 5); und deshalb ist, wer die Kirche zu hören sich weigert, nach dem Gebot des Herrn als Heide und öffentlicher Sünder zu betrachten (Mt 18, 17). Aus diesem Grunde können die, welche im Glauben oder in der Leitung voneinander getrennt sind, nicht in diesem einen Leib und aus seinem einen göttlichen Geiste leben.[10]
Nach diesen Worten sind die progressistischen, modernistischen und charismatischen ökumenistischen Hoffnungen eine Irrlehre. Pius XII. gibt ihnen definitiv keinerlei Chance und begründete dies sehr gut mit Sätzen der Väter:
„Es ist nämlich besser, wie der Bischof von Hippo bemerkt, "im Lebenszusammenhang mit der Kirche geheilt, als aus ihrem Körper als unheilbares Glied ausgeschnitten zu werden" (August., Epist., CLVII, 3, 22: Migne, P.L., XXXIII, 686). "Denn was noch mit dem Leibe zusammenhängt, an dessen Heilung braucht man nicht zu verzweifeln; was aber abgeschnitten ist, kann nicht mehr gepflegt und geheilt werden" (August., Senn., CXXXVII, l: Migne, P.L., XXXVIII, 754).“[11]
Dass dieser Lebenszusammenhang mit der Kirche nicht durch „Charismatiker“ hergestellt werden kann, deren Gaben zwar nicht zu verachten seien an ihrem Platze, aber immer nur durch die Anerkennung des Vorranges der apostolischen Hirten geschehen sollen, sagt Seine Heiligkeit ausdrücklich dazu.[12]
An dieser Stelle muss der vielzitierte Satz aus der dogmatischen Konstitution Lumen gentium von 1964, der aus der Not der Schismen eine Tugend kreieren will, unter dem Hinweis auf die Tradition der Kirche und auf logische Gesetze kritisch betrachtet werden:

„Diese Kirche, in dieser Welt als Gesellschaft verfaßt und geordnet, ist verwirklicht in der katholischen Kirche, die vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird (13). Das schließt nicht aus, daß außerhalb ihres Gefüges vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind, die als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen.“[13]
Diese verwaschene und leicht missdeutbare Formulierung trägt der unbedingten ökumenistischen Absicht einiger Konzilsväter Rechnung, missachtet aber, dass es keine Wahrheit in der Lüge geben kann. Die Tatsache, dass in den abgefallenen kirchlichen Gemeinschaften oder sogar in anderen Religionen nicht jedes Detail für sich selbst genommen falsch ist, hat hinsichtlich der dogmatischen Aussage, dass nur in der katholischen Kirche das Heil zu finden ist, keinerlei Aussagewert. Die Kirche hat niemals die natürliche Erkenntnisfähigkeit des Menschen und Merkmale der Schönheit und Güte in seinen Kulturen bestritten. Wie sollte sie auch, bezeugt sie doch mit höchster Glaubensgewissheit (de fide), dass schon mit den Mitteln der natürlichen Vernunft – wenn auch nicht im übernatürlichen Sinne der sakramental vermittelten, gnadenhaften Erleuchtung - erkannt werden kann, dass Gott als Schöpfer aller Dinge existiert.[14] Die „vielfältigen Elemente der Heiligung“ in kirchlichen Gemeinschaften, von denen der Text redet, sind demgegenüber katholische Trümmer, die sich nach dem Abfall von der Kirche (noch) nicht aufgelöst haben bzw. die nicht aufgegeben wurden. Die Häresie hat ja den Charakter der partiellen Leugnung der Glaubenswahrheit und bedeutet gerade keine vollständige Absage an jedes Detail des Glaubensgutes. Dieser Satz in Lumen gentium hat die nachkonziliare Kirche in eine zunehmende Verflachung und Verirrung auf dem ökumenistischen Weg geführt, deren Früchte immer weiterer Glaubensabfall, der sich allein schon in zunehmenden Kirchenaustritten, Priesterlaisierungen und zurückgehenden Tauf- und Priesteramtsbewerbungen, Ungehorsam gegen die Gebote der Kirche, geistliche Verwirrung und daraus folgend immer weiteren Spaltungen äußert.
Die angeblich in die unglückliche „Vereinseitigung“, den „Christomonismus“[15] führende Entwicklung der römisch-katholischen Kirche bis zum Konzil ist die Entfaltung des depositum fidei, die uns – bei Licht betrachtet - den einzigen Zugang zu Gott ermöglicht, der die Versöhnung und Erkenntnis in Fülle und Ausgewogenheit schenken kann. Es geht nur über die geistliche Vertiefung in die Inkarnation des Gottmenschen, der uns in allem gleich geworden ist, über Seine Erlösungstat am Kreuz und die immer innigere Vereinigung mit Ihm. Die Inkarnation ins Menschsein ist der springende Punkt. Bis heute ist Jesus Christus real präsent in den eucharistischen Gestalten. Aber Er ist nicht insofern real, als Er in Abwesenheit „geistig“ oder „symbolisch“ vertreten würde vom Heiligen Geist, sondern insofern, als Er in der Kraft des Heiligen Geistes leibhaftig in den gewandelten Gestalten von Brot und Wein anwesend ist. Der Heilige Geist bezeugt und erklärt uns die Wahrheit, Leibhaftigkeit und Gottheit des Erlösers. Auch hier sei noch einmal auf Worte Pius XII. verwiesen:
„So hatte Er also die Kirche durch sein Blut gegründet. Am Pfingstfeste aber stärkte Er sie mit der ihr eigenen Kraft vom Himmel. (…) So sandte (…) Er, als die Apostel ihr heiliges Predigtamt antreten sollten, seinen Geist vom Himmel herab, der sie mittels feuriger Zungen berührte und auf die übernatürliche Sendung und das übernatürliche Amt der Kirche wie mit göttlichem Finger hinweisen sollte.“[16]


Maria, die Tochter des Vaters, die Mutter des Sohnes, die Braut des Heiligen Geistes

Für das Ungenügen eines bloßen brennenden, aber blinden Herzens zeugt die Geschichte der Emmausjünger. Der Auferstandene ist mitten unter ihnen, aber sie erkennen seine Gestalt nicht. Gleichwohl brennt ihr Herz durch Seine Auslegungen der Schrift. Jesus sagt ihnen einen Satz, der aufmerken lässt: „Musste nicht der Messias all das erleiden, um so in seine Herrlichkeit zu gelangen?“[17] Dieser Satz sagt uns, dass der Weg zwischen Gott und Mensch nicht nur dem Menschen versperrt worden war, sondern auch dem Sohn selbst. Und der Satz sagt uns, dass die Schöpfung ursprünglich Jesus Christus, dem Sohn, gehört, Sein Eigentum ist, Seine Herrlichkeit ist, Sein Ruhm und Sein Glanz! Er ist der „Erbe des Alls“. Durch den Sündenfall ging Ihm sein Eigentum verloren. Nur durch das Kreuz konnte Er es zurückgewinnen für sich. Der Herr ruft Saulus auf dem Weg nach Damaskus zu „Saul, warum verfolgst du mich“. In diesem Satz geschieht die völlige Identifikation Jesu Christi mit der Kirche.[18]
Die Dogmen zielen auf den Sohn als den einzigen Mittler, „die Tür“ zwischen Gott und Mensch hin. Wer „anderswo einsteigt, der ist ein Dieb und ein Räuber“, sagt Jesus.[19]
Insbesondere auch die Mariendogmen klären diesen Sachverhalt. Sie betonen die Menschheit Jesu Christi aus Seiner allerseligsten, makellosen, ganz und gar menschlichen Mutter. Maria ist die vorweg erlöste Frau, aus deren vollkommen ergebener Haltung Ihr göttlicher Sohn geboren werden sollte. Maria ist es, die Ur- und Vorbild der Kirche, des Leibes Christi wurde, unsere Schule, die uns vorführt, wie wir den Sohn Gottes leibhaftig in uns wachsen lassen sollen. Sie ist „Braut des Heiligen Geistes“. Sie hat den göttlichen Sohn ja nicht aus sich selbst oder weil Sie es wäre, die sich für Ihn hätte befähigen können. Ihre gnadenhafte Brautschaft führt sofort zur zweiten Person der Trinität, die für uns der „Weg“ zum Vater ist. „Niemand kommt zum Vater außer durch mich“, sagte Jesus.[20] Und: „Ohne mich könnt ihr nichts tun.“[21] Wer Maria abwertet und in ihrer gnadenvermittelnden Rolle ablehnt (wie der Protestantismus), kann das Wesen der Trinität kaum erfassen. Wenn Menschen vom Heiligen Geist ergriffen worden sind, bevor Jesus Christus erschienen ist, könnte hier eine ähnliche Aussage gelten wie bei Maria: Es war bzw. ist eine gnadenhafte Vorwegnahme durch den Sohn, denn ohne Ihn kann sich niemand Gott nähern oder von Ihm ergriffen werden. Nun aber, nachdem Er erschienen ist, führt der Weg immer sichtbar über Ihn und Seine Braut, die Kirche.
Die Öffnung des verschlossenen Weges für den Menschen besteht darin, dass Er uns gleich und an unserer Stelle geopfert wurde. Als Menschensohn ist Er gestorben, begraben und auferstanden. Als der auferstandene Menschensohn ist Er in den Himmel gefahren zum Vater und im allerheiligsten Altarsakrament anwesend.[22] Genauso wird ER auch wieder kommen. Bei Seiner Himmelfahrt erklärte Er, dass die „Kraft des Heiligen Geistes“ über die Jünger kommen wird, um Seine Zeugen zu sein auf der ganzen Erde.[23]
Der Heilige Geist samt Seiner sündlosen menschlichen Braut Maria, der „Gussform“ der Kirche, befähigt zur immer vollkommeneren „Christusförmigkeit“ der Kirche und jedes einzelnen Gläubigen, der Zeuge dieser objektiven Wahrheit sein soll.
Der Prophet Daniel hat das bereits lange vor Jesus Christus geschaut:

„Da kam mit den Wolken des Himmels
Einer wie ein Menschensohn.
Er gelangte bis zu dem Hochbetagten
Und wurde vor ihn geführt.
Ihm wurden Herrschaft, Würde und Königtum gegeben.
Alle Völker, Nationen und Sprachen
Müssen ihm dienen.
Seine Herrschaft ist eine ewige, unvergängliche Herrschaft.
Sein Reich geht niemals unter.[24]

Nur durch die menschliche Gestalt des Sohnes, durch die Verbindung mit unserem Fleisch und Blut, ist es uns möglich, den verlorenen Kontakt zu Gott wiederzuerlangen. Diese Versöhnung und Wiedervereinigung stellt also nicht der Heilige Geist noch einmal „extra“ her. Der Heilige Geist gibt uns vielmehr beständig Zeugnis darüber, dass die Verbindung zwischen Himmel und Erde durch diesen Jesus Christus und Sein Opfer wiederhergestellt ist. Er steht uns bei im Glauben daran, Er tröstet uns in diesem Glauben und Er erschließt uns die Christusgeheimnisse immer tiefer, jedem nach Seinem gottgegebenen Talent, zum Aufbau der Kirche und zur immer größeren Ehre Gottes.
Die Entwicklung der römisch-katholischen Theologie und Frömmigkeit faltet dies klar und deutlich aus in den Dogmen und der Lehre, der Betonung des Gekreuzigten, in der Herz-Jesu-Andacht, im traditionellen Rosenkranz, in der wahren Marienverehrung.

Das hat nichts mit „Geistvergessenheit“, sondern mit Christusliebe, mit der Heilung des ganzen Menschen durch seine leibhaftige Umgestaltung in Christus zu tun.

Die Rede von der „Geistvergessenheit“ zeugt von der Geistlosigkeit derer, die dies behaupten. Denn wir können Jesus Christus nur dann im Geist und in der Wahrheit anbeten und bezeugen, wenn der Heilige Geist uns bezeugt hat, dass Jesus Christus, wie die Kirche Ihn uns vor Augen stellt, wahrer Gott und wahrer Mensch und unser Heil ist:
„Keiner kann sagen: Jesus ist der Herr!, wenn er nicht aus dem Heiligen Geist redet.“[25]
Wahre Christusliebe ist daher zwingend ein Synonym für „Geistesreichtum“.



Einige pneumatologische Bewegungen in der Geschichte der Kirche



a. Die Gemeinde in Korinth

Der heilige Paulus drängt in seinen Briefen an die Gemeinde in Korinth sowohl das ungeordnete Wirken überbetonter „Geistesgaben“ zurück als auch den Dünkel derer, die sich durch diese Gaben in ihrer geistlichen Entwicklung erhaben fühlen. Der Völkerapostel mahnt zur Einheit und Nüchternheit. Der schwärmerische Enthusiasmus geht einher mit Spaltungen und der Berufung auf einzelne Männer. Der heilige Paulus leitet seine Gedanken ein mit der Aussage:
„Christus hat mich (…) gesandt (…) das Evangelium zu verkünden, aber nicht mit gewandten und klugen Worten, damit das Kreuz Christi nicht um seine Kraft gebracht wird.“[26]
Was sich in Korinth abspielt, gründet auf „Menschenweisheit“.[27]
Dem sprichwörtlichen charismatischen Treiben in dieser Gemeinde, das sich selbst für „geisterfüllt“ hält, verpasst der heilige Paulus gleich zu Beginn seines Briefes eine kalte Dusche:
„Vor euch, Brüder, konnte ich aber nicht wie vor Geisterfüllten reden; ihr wart noch irdisch eingestellt (…)“[28] 

Der Missstand ist so groß, dass der Apostel sagt:
Ich hatte mich entschlossen, bei euch nichts zu wissen außer Jesus Christus, und zwar als den Gekreuzigten.“[29]

Und zwar als den Gekreuzigten! Überdeutlich schlägt er jeden Versuch, in Richtung „Geistkirche“ abzuheben, zurück.
Kirche – das ist der Leib des gekreuzigten Herrn!
Wahrer Gottesdienst ist nicht das ungeordnete Sich-Kundtun in angeblichen oder wirklichen „Charismen“, sondern die Selbstaufopferung in der direkten Nachfolge Christi:

„Angesichts des Erbarmens Gottes ermahne ich euch, meine Brüder, euch selbst als lebendiges und heiliges Opfer darzubringen, das Gott gefällt; das ist der wahre und angemessene Gottesdienst.“[30]

Anhand der Auseinandersetzung mit den Geist-Enthusiasten entwickelt er die Lehre von der Kirche als dem Leib Christi, einem Organismus, der bestimmten sichtbaren, göttlichen Ordnungen folgt. Die Pflege schwärmerischer Geistesgaben drängt er zurück mit dem Hinweis auf die „höheren Geistesgaben“. Dies sind „Glaube, Hoffnung, Liebe“. Die Liebe ist dabei die größte der Gaben. Aus ihr fließen wiederum Früchte wie Langmut, Güte, Demut, Bescheidenheit, Barmherzigkeit, Vergebungsbereitschaft, Freundlichkeit, Wahrheitsliebe, Tapferkeit, Standhaftigkeit, Geduld. Das alles sind keine schwärmerischen Gaben, die mit Zeichen und Wundern einhergehen, lehnt doch der Apostel ausdrücklich auch die (geistliche) Prahlerei ab, sondern Gaben der nüchternen Vernunft, der Festigkeit des Herzens und der „sozialen Kompetenz“, wie man heute sagen würde.[31] Insgesamt rät der Apostel Paulus, das Streben des Gläubigen solle vor allem anderen „Besonnenheit“, also eine rationale und vernünftige Gabe, sein.[32] Der Christgläubige wird in den objektiven, sichtbaren Leib Christi hineingeformt („aufgeopfert“) und auf das ewige Leben vorbereitet. Die überbetonten „Zeichen-und-Wunder-Charismen“ wie prophetisches Reden, Krankenheilungen, Sprachenrede wachsen sich aus, halten vor dem, was Gott uns bereithält, nicht lange stand.[33] Dem prophetischen Reden wird eine wichtige Bedeutung zuerkannt, wenn es kontrolliert stattfindet.[34] Die Überbetonung der wunderhaften Charismen wertet der heilige Paulus als kindlich, unvollkommen, ja sogar unnütz[35]. An letzter Stelle des Nützlichen rangiert die Zungerede:
„Wenn leblose Musikinstrumente (…) nicht deutlich unterschiedene Töne hervorbringen, wie soll man dann erkennen, was (…) gespielt wird? Und wenn die Trompete unklare Töne hervorbringt, wer wird dann zu den Waffen greifen? So ist es (…), wenn ihr in Zungen redet, aber kein verständliches Wort hervorbringt. (…) Ihr redet nur in den Wind.“[36]
Und der heilige Paulus setzt noch eins drauf: „Wer in Zungen redet, erbaut sich selbst!“[37] Ein vernichtendes Urteil! Der Apostel beschließt diese Belehrung mit der Aufforderung, sich während der Gottesdienste an klare, vernünftige Ordnungen zu halten:
„Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern ein Gott des Friedens. (…) Alles soll in Anstand und Ordnung geschehen!“[38]
Die Fallgrube dieser frühchristlichen „Geistkirche“ ist die geistliche Infantilität, Arroganz und Unfruchtbarkeit, die Selbstbezogenheit, die Fixierung auf Zeichen und Wunder und der Verfall des Glaubens an den gekreuzigten und leibhaftig gegenwärtigen Herrn. Immerhin behandelt der heilige Paulus in diesem Brief neben schweren moralischen Verfehlungen auch die Problematik unwürdigen Kommunionempfangs.[39] Im Kapitel 15 entfaltet der Apostel die Lehre von Christus, dem gekreuzigten Herrn, den Gott auferweckt und zu sich geholt hat. All unser geistliches Streben ist in IHN eingeschrieben und findet seine Vollendung in der Auferstehung des Fleisches in einen überirdischen Leib![40]

b. Montanismus

Der Montanismus ging zurück auf Montanus (2. Jh n. Chr.) und seine beiden geistlichen Gefährtinnen Priska und Maximilla, die über prophetische Gaben verfügt haben sollen. Montanus war der Überzeugung, er erfülle die Vorhersage Jesu auf den Parakleten, der nach Seiner Himmelfahrt in die ganze Wahrheit führen würde. Montanus glaubte, er selbst sei dieser „Beistand“. In Trance rede aus ihm der Heilige Geist, wie er glaubte. Er erlebte Verzückungen und erhielt währenddessen direkte Offenbarungen vom Heiligen Geist. Das Trio bereiste Kleinasien und missionierte für diese angebliche Vollendung des Christentums. Heinrich Kellner schreibt dazu: „Ihr leitender Grundgedanke, ihr Dogma war, die von Christus verheißene Sendung des Hl. Geistes habe sich im Auftreten des Montanus (…), sowie der Prophetinnen Prisca oder Priscilla und Maximilla vollzogen, und die Erhebung der Kirche zur Geisteskirche müsse in erhöhter Sittlichkeit ihren Ausdruck finden. (…) Es scheint, daß auch baldige Erwartung des Weltendes und der Wiederkunft Christi, sowie Errichtung eines tausendjährigen Reiches einen wesentlichen Teil ihrer Lehren und Hoffnungen bildeten.“[41]

Bekannte Männer wie der Kirchenvater Tertullian schlossen sich dieser häretischen Bewegung an. Die Kirche hat die montanistische Bewegung, weil sie weit über die Lehre der Apostel hinausging und ihr teilweise auch regelrecht widersprach, verurteilt. Besonders anstößig war, dass im Zentrum dieser Bewegung nicht Jesus Christus stand, sondern die Gründerperson des Montanus, der sich in seinen Ekstasen mit dem Heiligen Geist identifizierte.

c. Die Ostkirche und das Filioque

Der griechische Osten hat sich vom Papsttum getrennt, als dies auf der Aussage beharrte, dass der Heilige Geist vom Vater und vom Sohn (filioque) ausgehe. Johannes von Damaskus hat im 8. Jh zwar zugestanden, dass der Heilige Geist der „Geist des Sohnes“ sei, aber allein vom Vater ausgehe. Ein Jahrhunderte langes Tauziehen führte zu keiner Einigung. Während der Osten die Herrschaft des Vaters betonte und das freie Wirken des Heiligen Geistes in den durch Jesus Erlösten, erkannte die Westkirche den natürlich freien, aber unlösbaren Zusammenhang von Sohn und Heiligem Geist. Die Erlösung von der Erbsünde, die Reue und Vergebung der aktuellen Sünden und die Befreiung zur geistigen „Rezeptionsfähigkeit“ wird durch den Sohn und durch die Austeilung Seiner Verdienste an uns in den Sakramenten möglich. Die Ostkirche legt beim Messopfer größten Wert auf die Herabrufung des Heiligen Geistes (Epiklese) als der eigentlichen konsekrierenden Kraft. Die römisch-katholische Kirche betrachtet die Wandlungsworte, die der Priester in persona Christi nachspricht, als konsekrierend. Auch wenn dies in der Kraft des Heiligen Geistes durch göttliche Gnade geschieht, ist es doch vor allem anderen das gegenwärtig gesetzte Wirken des Sohnes und Seiner authentischen Wandlungsworte. Die Verwandlung der eucharistischen Gaben wird in der Orthodoxie weniger deutlich und präzise differenziert als in der Westkirche, die in der Transsubstantiationslehre[42] schließlich eine endgültige philosophische Definition formuliert hat. Die orthodoxe Theologie bleibt insofern bei aller Ähnlichkeit vager als die lateinische.
Sie betont das freie Wirken des Heiligen Geistes mehr als die Westkirche, teilt aber die unbedingte Heilsnotwendigkeit der Eucharistie nach den Worten des Evangelisten Johannes mit der Auffassung der römisch-katholischen Kirche:
 
„Jesus sagte zu ihnen: Amen, amen, das sage ich euch: Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben, und ich werde ihn auferwecken am Letzten Tag. Denn mein Fleisch ist wirklich eine Speise und mein Blut ist wirklich ein Trank. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich bleibe in ihm. Wie mich der lebendige Vater gesandt hat und wie ich durch den Vater lebe, so wird jeder, der mich isst, durch mich leben. [43]
Hier wird ausgedrückt, dass das "Leben", das man sicher mit dem Heiligen Geist identifizieren kann, tatsächlich durch den leibhaftigen Genuss des Fleisches und Blutes Christi in uns kommt. Was und wie nun in einer Eucharistiefeier gewandelt wird, bleibt in der Orthodoxie offen. Auch ist die Rolle des Priesters, durch den die Wandlung geschieht, nicht zugespitzt auf das lateinische „In-Persona-Christi-Handeln“. Bischof Hilarion Alfeyew erklärt den Vorgang so:

Die eucharistische Darbringung ist nach ihrem Sinn ein Opfer, in dem Christus selbst »der Darbringende und der Dargebrachte, der Empfangende und der Austeilende« ist - so das Gebet des Priesters während des Cherubim-Hymnus. Christus selbst ist der alleinige Vollzieher der Eucharistie. Er ist unsichtbar in der Kirche anwesend und wirkt durch den Priester.[44]
In der Liturgie der orthodoxen Kirche vollzieht sich die Wandlung so:
„Der Priester bittet in einem stillen Gebet den Herrn, Seinen Heiligen Geist auf das in der Kirche anwesende Volk und auf die vorliegenden Gaben zu senden, damit Er sie heilige. Danach liest er mit leiser Stimme dreimal das Troparion: “Herr, der Du Deinen allheiligen Geist in der dritten Stunde auf Deine Apostel herabgesandt hast, nimm Ihn nicht weg von uns, Du Gütiger, sondern erneuere uns, die wir zu Dir beten.” Der Diakon spricht den 12. und 13. Vers des 50. Psalms: “Ein reines Herz schaffe in mir, o Gott, und den rechten Geist erneuere in meinem Inneren” und “Verwirf mich nicht von Deinem Angesicht und Deinen Heiligen Geist nimm nicht von mir.” Danach segnet der Priester das Heilige Lamm, das auf dem Diskos liegt, und spricht: “Und mache dieses Brot zum kostbaren Leib Deines Christus.” Darauf segnet er den Kelch und spricht: “Und was in diesem Kelche ist, zum kostbaren Blut Deines Christus.”
Schließlich segnet er die Gaben mit den Worten: “Verwandelnd durch Deinen Heiligen Geist.”
In diesen großen und heiligen Minuten werden die Gaben zum wahrhaftigen Leib und Blut des Heilands, obwohl sie dem Aussehen nach so bleiben wie vorher.“[45]

Wir erkennen leicht, dass diese Liturgie nicht die Wandlungsworte Jesu Christi kennt, die Er am Abend vor Seiner Verurteilung sprach. Die Worte des Priesters sind in der Tat nur eine formlose, nicht aus der Heiligen Schrift stammende Bitte an den heiligen Geist, die Gaben zu wandeln.
Aufgrund des Unterschieds in der Trinitätslehre ergibt sich in der Glaubenspraxis eine größere Ausrichtung auf den Heiligen Geist und die Öffnung des einzelnen für Ihn in Buße und Askese:
Gegenüber westlich-lateinischem Ordnungsdenken eher ungewöhnlich wirkt die Relativierung der amtlichen Schlüsselgewalt und sakramentalen Vollmacht: Nicht die Ordination als solche, sondern das Sich-öffnen für den Geist in Buße und Askese sowie die darin erworbene persönliche Heiligkeit setzen in den Stand, den Geist zu vermitteln.[46]
In der mystischen Begegnung Symeons des „Neuen Theologen“ (10. Jh) mit dem Göttlichen Licht, aus dem sich erst nach Jahren härtester mönchischer Askese Jesus Christus selbst ihm als ein weiteres Abstraktum, nämlich die „Nächstenliebe“ offenbarte, ist die Christusvision selige Gottesschau, Vorwegnahme des Himmels. Die Ansprache Christi geschieht „durch den Heiligen Geist“. Symeon soll gesagt haben:

 „Durch den Heiligen Geist geschieht es, dass sich die Auferstehung an allen ereignet. (…) Und ich spreche von jener (…), die sich täglich vollzieht, von jener der toten Seelen, von der Erneuerung und von der spirituellen Auferstehung in geistiger Weise…[47]
Wenn wir zurückdenken an die katholische Unterscheidung der Sakramente der Toten von denen der Lebenden, scheint auf, dass der orthodoxe Heilige offenbar diesen Unterschied nicht kennt.
In Symeons Mystik spielen das menschliche Gesicht und das lebendig machende Opfer Jesu Christi auf Golgotha keine ausdrückliche Rolle. Jesus Christus begegnet als strahlendes Licht und Liebe, das die „toten Seelen“ zum Leben erweckt und noch dazu bereits im Diesseits etwas von der beseligenden Schau Gottes ermöglicht, was doch eigentlich erst dem Jenseits vorbehalten ist. Heißt es nicht: „Als Glaubende gehen wir unseren Weg, nicht als Schauende[48]? Mit diesen abstrakten Merkmalen in Symeons mystischer Schau kann sich jede andere Religion anfreunden. Zwar gilt Symeon als Vater des immerwährenden Jesusgebetes, das um Erbarmen fleht. Aber die Selbstaufopferung in den Tod Christi wird übersprungen.
An dieser Stelle wird deutlich, dass die Orthodoxie durch ihre verschobene Trinitätslehre die Neigung zu euphorischer mystischer Erfahrung, die dem Kreuz und der Menschensohnschaft Jesu Christi ausweicht, zumindest begünstigt.
Es wird ebenfalls erkennbar, dass eine pneumatologische Ausrichtung ohne größere Hürden auch einen Ökumenismus zwischen den unterschiedlichen Religionen befördern könnte – unter Verdrängung des zentralen, allein heilsstiftenden Opfers Jesu Christi!

d. Mittelalterliche Geistbewegungen 

Die berühmteste mittelalterliche Geistbewegung ist die der Katharer oder Albigenser. Sie entstand wohl im 11. Jahrhundert und trat erstmalig nachweisbar in der Gegend von Orléans als Armenbewegung in Erscheinung. Wanderprediger vergaben Sünden durch Handauflegen. Sie vertraten ein dualistisches Weltbild und lehrten, dass ausschließlich die Feuertaufe (Geisttaufe) aus dem Gefängnis des Leibes und zum Heil der Seele führe. Nach einer dreijährigen Initiationszeit erhielt der Gläubige auf eigenen Wunsch diese Geisttaufe, bei den Katarern consolamentum („Tröstung“) genannt. Wer dieses consolamentum per Handauflegung durch die anwesenden perfecti und durch Auflegen des Johannesevangeliums auf den Kopf erhalten hatte, galt als perfectus oder perfecta („Vollkommener“). Ein perfectus oder eine perfecta musste ein asketisches Leben führen. Verboten waren Verzehr von Fleisch, Geschlechtsverkehr, Lügen, das Schwören und viele andere Dinge. Man versammelte sich formlos in Kirchen, privaten Häusern oder im Freien. Erstmalig formierte sich eine regelrechte „Gegenkirche“ mit eigenen Diözesen und Bischöfen (Vorstehern), Diakonen, den perfecti und den credentes (einfachen Gläubigen). Sie hatte sich in Mittel-, West- und Südeuropa zu einer großen Bewegung entwickelt und besetzte in Okzitanien und Oberitalien durch ihre Unterstützung durch Regionalfürsten einige Diözesen. Im 13. Jahrhundert zerstörte die Kirche diese Bewegung vor allem durch die Inquisition und den Albigenserkreuzzug.
Einen weiteren Versuch, dem Heiligen Geist ein besonderes Reich zuzuerkennen, unternahmen die Franziskanerspiritualen, die sich auf die Drei-Zeitalter-Lehre des Joachim von Fiore stützten. Joachim hatte aus der göttlichen Trinität ein Heilsgeschichtsmodell herausgelesen, das bis heute in der charismatischen Bewegung geistert: Der alte Bund sei das 1. Reich des Vaters, die Kirche das 2. Reich des Sohnes, und das 3. Reich nach der Wiederkunft Christi sei das Zeitalter des Heiligen Geistes. Franziskanische Spiritualen bezogen dies auf ihren Orden und wollten den wiederkommenden Jesus und das dann folgende 1000jährige Reich des Heiligen Geistes durch verstärkte Askese empfangen, hatte Joachim doch vorhergesagt, das 3. Reich sei ein Zeitalter der Mönche. Der Franziskaner und Heilige Bonaventura „baute“ den für endzeitlich gehaltenen, an einem extremen Armutsideal orientierten „Reformator“ Franziskus von Assisi als Initialgestalt für das 3. Reich des Heiligen Geistes in das Geschichtsmodell Joachims ein. Bonaventura hielt Franziskus für den „Engel des 6. Siegels“ (Apk. 7, 2+3). Eine nicht geringe Rolle spielt dabei, wie ich aus persönlichen Diskussionen immer wieder erfahre, dass der heilige Franziskus kein formelles Priesteramt innehatte. Er ist so der Prototyp eines nicht sakramental, sondern vom Heiligen Geist informell bevollmächtigten Reformers, das geisterfüllte Ideal des Priestertums aller Gläubigen. Der heilige Franziskus selbst hat die Autorität des Lehramtes aber niemals bezweifelt oder missachtet.
Die Sehnsucht nach der „wahren“ und durchschlagenden „Reform“ und dem Beginn eines Heiliggeist-Zeitalters durchgeistert die Kirche seit mindestens 1000 Jahren und drückt sich in verschiedenen Ordensreformen und schließlich säkularisierten, politischen Erneuerungswünschen und der Etablierung einer Mentalität permanenter, anspruchsvoller Unzufriedenheit aus. Selbst die wirre Ideologie der Nationalsozialisten übernahm aus Joachims Gedankengut Versatzstücke für ihre politische Heilslehre.[49]
Es darf nicht verschwiegen werden, dass Jorge Mario Bergoglio allgemein, aber offenbar selbst im vatikanischen Hofprediger Pater Cantalamessa einen neuen Aufguss solcher pneumatischen Hoffnungen geweckt hat, denn der predigte am Karfreitag 2013 u.a. folgende Sätze:
„Wir müssen unser Möglichstes tun, damit die Kirche immer weniger jenem komplizierten Palast ähnelt, den Kafka beschreibt, und ihre Botschaft frei und freudig aus ihr hinaus kommen kann, genau wie in ihrer Frühzeit. Wir kennen die Hindernisse, die den Boten aufhalten können: die Trennwände, angefangen bei denen, die die verschiedenen christlichen Kirchen voneinander trennen; dann ein Übermaß an Bürokratie, die Überbleibsel der Rituale, Gesetze und Streitigkeiten der Vergangenheit, die heute überholt sind.

Es ist wie mit manchen historischen Gebäuden. Im Laufe der Jahrhunderte hat man sie den Bedürfnissen des jeweiligen Augenblicks angepasst und mit Trennwänden, Treppen, Zimmern und Zimmerchen angefüllt. Es kommt der Augenblick, da man merkt, dass all diese Anpassungen nicht mehr den aktuellen Anforderungen entsprechen, im Gegenteil sogar ein Hindernis darstellen, und dann muss man den Mut besitzen, sie alle abzureißen und das Gebäude wieder in den einfachen und klaren Zustand zurückzuführen, den es gleich nach seiner Erbauung besaß. Das ist der Auftrag, den einst ein Mann erhielt, der vor dem Kreuz in San Damiano betete: „Franziskus, geh hin und stelle mein Haus wieder her.“[50]
Und er beendete seine Ansprache mit folgenden pathetischen und euphorischen Worten:

„Möge der Heilige Geist in diesem Augenblick, da für die Kirche eine neue Zeit anbricht, voller Hoffnungen und Versprechen, in den Menschen die an ihren Fenstern sitzen die Erwartung der Botschaft wieder wecken, und in den Botschaftern den Willen, sie ihnen selbst unter Lebensgefahr zu bringen.“[51]
Man möchte müde abwinken und sagen: Ach geh! Seit dem Konzil hören wir von ständig anbrechender neuer Zeit, neuem Pfingsten und von Fenstern, die aufgerissen werden oder als Warteplatz ewig hoffender Reformsehnsucht dienen sollen.
Allein das Ausbleiben guter Früchte seit 50 Jahren gibt Auskunft über den Geist, der hier wirkt.


Die Reformation und der Heilige Geist

Ohne auf die verschiedenen Strömungen des 16. Jahrhunderts eingehen zu können, sei soviel gesagt, dass die Reformation prinzipiell an der römisch-katholischen Lehre vom Heiligen Geist festhielt, was Dessen Gaben und Früchte betrifft. Die sieben Gaben sind: Weisheit, Verstand, Rat, Stärke, Erkenntnis, Frömmigkeit, Gottesfurcht. Die Früchte des Geistes sind: Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Langmut, Sanftmut, Treue, Bescheidenheit, Enthaltsamkeit, Keuschheit.[52]
Allerdings lehnt der Protestantismus das vermittelnde Weihepriestertum und die Sakramente teilweise sogar ganz ab. Er glaubt nicht, dass der Priester in persona Christi durch die Sakramente wirkt. Es stellt sich also die Frage, woher der protestantische Gläubige den Heiligen Geist erhält, wie Er bei ihm bleibt und worin das erfahrbar ist. Menke stellt jedenfalls fest, dass die protestantische Tradition das „Voraus“ des Geschenkes Christi mit dem Begriff der „Alleinwirksamkeit“ verbunden habe. Man verstehe darunter das pneumatische Wirken des zum Vater erhöhten Erlösers. Aus diesem Grunde werde sehr häufig nicht mehr zwischen dem Erlöser selbst und dem Heiligen Geist unterschieden. Der historische Jesus werde aufgehoben in eine pneumatische Omnipräsenz. Die Rechtfertigung des Sünders geschehe so durch diesen pneumatischen Christus, der im Inneren des Gläubigen wirke, ohne dass dieses Wirken geschichtlich vermittelt werden müsse.[53]
Wenn das so sein sollte, wäre jedenfalls leicht erklärbar, wie aus dem freikirchlichen Protestantismus die Pfingstbewegung entstehen konnte, auch wenn sich pietistische Verbände schon 1909 entschieden und mit Argumenten, die auch für uns Katholiken schlüssig sind, von dieser Bewegung distanziert haben. Immerhin hat die pietistische Bewegung viele katholische Elemente erhalten und ist als Frömmigkeitsbewegung unter Rückbesinnung auf verlorene Traditionen (Jesus-Frömmigkeit, Diakonissen-Schwesternschaften/Kommunitäten) aus dem verknöcherten und erstarrten Luthertum entstanden, das an der Verwerfung der gesunden katholischen Tradition zu ersticken drohte. [54]


Die pentekostale Bewegung und die charismatische Erneuerung


Im Zentrum sämtlicher pentekostalen und charismatischen Bewegungen steht das „Wirken des Heiligen Geistes“, dessen Zeitalter um die Wende des 19./20. Jahrhunderts angebrochen sei. Die Pfingstbewegung entstand aus dem Protestantismus in den USA und teilt im wesentlichen alle ethischen Standpunkte und die Überzeugung von der Verbalinspiration der Bibel, die alle Evangelikalen gemeinsam haben. Der Protestantismus bietet durch seine Ablehnung des Weihepriestertums und seine abschlägige Haltung zu den Sakramenten und wegen der weitreichenden Durchsetzung des „Priestertums aller Gläubigen“ eine ideale Grundlage zur Bildung der Pfingstbewegung. Sie erachtet auf der Basis des Priestertums aller Gläubigen die Geistesgaben für notwendig, um wieder der Urgemeinde zu ähneln, die, ganz in der reformatorischen Tradition des ad fontes als Ideal vor Augen gestellt wird. Diese Geistesgaben sind die Gaben der Krankenheilung, der Prophetie und der Zungerede, eben jene Gaben, die der Heilige Paulus zurückgedrängt hatte…
Charismatische oder pentekostale Gottesdienste sind laut, lassen keine Stille zu, untermalen selbst Gebete mit Rockbandmusik. Die Teilnehmer klatschen, tanzen, schreien unkontrollierte Worte wie „Halleluja“ und Unverständliches in Zungenrede, das  - entgegen der Anweisung des heiligen Paulus – in der Regel nicht übersetzt wird. Der Gesang wird als „Lobpreis“ oder „Anbetung“ bezeichnet. Es kommen spontane Propheten zu Wort, „Krankenheilungen“ werden durch Handauflegung durch Laien vollzogen. Die Predigten kreisen vor allem um das Thema „Heiligung“. Die Bewegung hat daher durchaus asketische Züge und stellt an den einzelnen hohe sittliche Ansprüche.
In den 1960er Jahren des 20. Jahrhunderts konnte diese Bewegung in die katholische Kirche eindringen und hat dort inzwischen einen wahren Eroberungsfeldzug in der nach dem Vaticanum II vielfach verwüsteten Glaubens- und Frömmigkeitspraxis durchgeführt. In aller Regel bekennen sich katholische Charismatiker zum konservativen sittlich-moralischen Wertekanon. Problematisch und schizophren ist jedoch das Verhältnis zur objektiven sakramentalen Struktur der Kirche. Vielfach erfüllen Laien die Aufgaben der Kleriker. Dieser Umstand ist durch die nachkonziliare Betonung des „Priestertums aller Gläubigen“ auch in der katholischen Kirche und die Sinnentleerung und Aufweichung liturgischer Abläufe gut vorbereitet worden. Sowohl Paul VI., als auch Johannes Paul II. und Benedikt XVI. haben die „Charismatische Erneuerung“ in der katholischen Kirche willkommen geheißen und unkritisch gewähren lassen.
Papst Franziskus bekannte sich nach dem Weltjugendtag in Rio 2013 im Flugzeug vor Journalisten ausdrücklich dazu, sich zur charismatischen Erneuerung „bekehrt“ zu haben und hat sich von einem Pfingstprediger segnen lassen.[55]
Die charismatische Erneuerung verbindet sich mit einem überzeichneten Ökumenismus. Die alten Hoffnungen, die schon immer an eine „Geistkirche“ geknüpft worden waren, sind zum scheinbaren Glaubensgut geworden. In der nachkonziliaren, liturgisch stark protestantisierten Kirche, wird insbesondere von den Jüngeren der Verlust der objektiven, sakramentalen Struktur und der überlieferten Liturgie in charismatischen Events aufgrund der Zerstörung, in der sie bereits aufgewachsen sind, nicht mehr empfunden. Selbst Heilige Messen können in der allgemein üblichen Verwilderung des Novus Ordo freizügig ausgeführt werden. Charismatische Heilige Messen gehen mit der Band, lautstarkem Lobpreis und entsprechend tendenziösen Liedern, spontanem und unverständlichen Zungenreden des Zelebranten während des Hochgebetes und der Heiligen Wandlung und dem ekstatischen Zungenrede-Echo der anwesenden Gläubigen einher, was nach den liturgischen Regeln – wie so vieles andere - nicht erlaubt ist und doch praktiziert wird.
In der neueren Zeit verbindet sich der Charismatismus auch mit der Wallfahrt an kirchlich nicht anerkannte Erscheinungsorte und mit dort empfangenen Botschaften und asketischen Geboten, die anerkannte Erscheinungen verdrängen und das gebotene kirchliche Leben unterminieren, auch wenn dort häufig eine scheinbare Rückkehr zu den Sakramenten initiiert wird.[56] Eine Frucht für die Ortsgemeinden bleibt jedoch beharrlich aus.

Vollends gefährlich ist die Vermischung von Charismatismus und Exorzismus bzw. wie man heute gerne sagt „Befreiungsdienst“. Entgegen den kirchlichen Vorschriften werden die Dämonen interviewt, teilweise, wie man mir mitteilte, über den Weg der Zungenrede[57], was streng verboten ist. Abzulehnen ist dabei auch die Verwischung der Befugnis zum Exorzismus. Normalerweise muss die Erlaubnis des Bischofs für jeden einzelnen Fall gegeben werden. Unter den neuen Umständen, die einerseits das Bewusstsein von Hölle, Teufel und Dämonen völlig ins Reich der Märchen verbannt hat, hantieren nun andererseits freischaffende Priester und Laien als Exorzisten und Befreiungsdienstler, ohne dass dies noch überschaut werden kann. Selbst der Chefexorzist des Vatikans, Don Gabriele Amorth, hat keinerlei Hemmungen, auch dem anglikanischen Arzt Kenneth McAll die Fähigkeit zur „Heilung“ durch die anglikanische Eucharistie zuzugestehen. Der antwortet auf die Frage, ob er glaube, dass es möglich sei, die Eucharistie ohne Priester zu feiern:
„Wenn ich mir wirklich bewusst bin, dass der Herr anwesend ist, brauche ich keinen Priester, eben weil der Herr da ist.“[58]
Ich habe selbst erlebt, wie in einer charismatischen Veranstaltung eine Art Kollektivexorzismus, angefeuert durch einen katholischen Laien und die unvermeidliche Rockband, durchgeführt wurde. Nun will ich auf keinen Fall bestreiten, dass es okkulte Belastungen und Besessenheiten geben kann. Und sicherlich ist die Beobachtung richtig, dass unsere scheinbar „normalen“ Befangenheiten nicht nur einfach als „harmlose“ natürliche Schwächen betrachtet werden sollten. Wer die Lehre von der Erbsünde ernst nimmt, muss anerkennen, dass hinter jeder Schwäche der adversarius, der Widersacher steht. Dennoch gehört der geistliche Kampf gegen die Versuchung nicht in ein kollektives, quasi-exorzistisches Zeremoniell, sondern in die Beichte und den geduldigen und langfristigen alltäglichen Widerstand gegen die Sünde. Exorzismen und exorzismusähnliche Zeremonielle, - wie zum Beispiel das „Gebieten“ gegenüber Versuchungen - , sollten erst einmal darauf hin geprüft werden, ob hier überhaupt die Notwendigkeit zu solchen „Geschützen“ angebracht ist. Besonders unheimlich und gefährlich werden solche charismatischen Aktionen, wenn dabei Handauflegungen und das berüchtige Auf-den-Rückenfallen passieren. Wie bereits die Pietisten in der Berliner Erklärung von 1909 feststellten, muss man annehmen, dass die Geister, die hier vertrieben werden sollen, auf diese Weise überhaupt erst herbeigerufen werden.[59]




Der Geist zeugt immer für den Sohn


Die Fixierung auf den heiligen Geist entspringt also einer tief eingepflanzten Unzufriedenheit, die für berechtigt und angemessen angesehen wird. Man kann jedoch fragen, woher diese Unzufriedenheit, dieser ständige Reformhunger eigentlich stammt. Ich kann diese Haltung weder bei Jesus noch bei den Aposteln finden. Die einzige Erwartung, die wir haben sollen, ist die auf das Reich Gottes und die Wiederkunft Christi. Es steht uns aber bei beidem nicht zu, zu wissen oder zu erzwingen, wann und wie dies kommen soll. Unser Amt ist nach der Schrift – und so hat es die Kirche immer verstanden – treu dem zu folgen, was unser Herr uns gebietet und das zu erfüllen, was Er jedem einzelnen zur Aufgabe setzt. Der Heilige Geist führt uns in unserem Herzen in der Nachfolge Christi. Die Gaben des Heiligen Geistes empfangen wir in den Sakramenten.
Der Sohn ist nach Seinem eigenen Zeugnis und dem anderer die Wahrheit, der Logos, der Sinn. Durch Ihn und mit Ihm sind alle Dinge gemacht. Alles, was ist, ist aus Ihm hervorgegangen und Ihm zuliebe erschaffen. Der Heilige Geist, so heißt es, führt uns in die ganze Wahrheit. Die ganze Wahrheit aber ist der Sohn, der gekreuzigte Gottmensch Jesus Christus. Der Heilige Geist gibt, sobald Er auftaucht in den Evangelien, Zeugnis vom Sohn. In der vollkommen sündlosen, reinen Magd und Jungfrau Maria zeugt der Heilige Geist als Seiner Braut mit deren vollem Einverständnis den Sohn Gottes, „trägt“ Ihn also mit Ihr und durch Sie zu uns in unser Fleisch hinein. Die Frucht des Geistes ist in uns also, wenn es recht steht, immer – Jesus, Gottes- und Mariensohn, der Erlöser, der Gekreuzigte. Der Heilige Geist zeugt für den Sohn durch Elisabeth (Mariae Heimsuchung). Er zeugt für den Sohn durch Simeon und Hanna (Mariae Lichtmess). Er zeugt für den Sohn durch Zacharias (Lobgesang des Zacharias). Er zeugt für den Sohn in Gestalt einer Taube bei Jesu Taufe im Jordan durch Johannes. Er zeugt für den Sohn auf dem Tabor. Ebenso bringt der Heilige Geist den Diakon Philippus zu dem Kämmerer aus Äthiopien, damit der ihm die Schrift auf Christus hin auslege, und der Fremde lässt sich sofort taufen.
Das Pfingstereignis muss in diesem Kontext verstanden werden als das Zeugnis des Vaters für den Sohn als dem geopferten Heiland aller Völker und Sprachen, als der Wahrheit, die für alle gilt und sich nun allen schenken will und als die Liebe des Sohnes zu den Menschen und zu Seiner Braut, der Kirche, die Er sich aus allen Völkern ruft.
Es ist also schon mit diesen wenigen Erinnerungen an die Lehre, die aus den Evangelien, der Apostelgeschichte und einigen Pastoralbriefen hervorgeht, klar erkennbar, dass der Heilige Geist immer auf den Sohn verweist und sich niemals neben dessen zentraler Position für uns Menschen verselbständigt.
Der Heilige Geist ist Tröster und Beistand in der Zeit, in der die Kirche nach Christi Himmelfahrt auf Seine zweite Ankunft wartet. Wo der Heilige Geist ist, da ist Jesus Christus. Und wo Jesus Christus ist, da ist der Heilige Geist. Ohne den Sohn, den wir durch den heiligen Geist als den Sohn erkennen, können wir den Vater nicht sehen. Für uns gilt immer: Ubi Spiritus sanctus ibi Crucifixus.

Allen alten und neuen reformatorischen und „reformerischen“ Strömungen innerhalb der Kirche, so konträr sie auf den ersten Blick erscheinen mögen, liegt eine pneumatische Fiktion zugrunde. Diese Fiktion ist also nicht neu und schon gar nicht modern, sondern ein Motiv, das so alt wie die Kirche selbst ist.
Die Kirchenkrise nach dem Vaticanum II hängt unmittelbar mit der Propagierung und Durchsetzung solcher Konzepte einer „pneumatischen Kirche“ durch das Lehramt selbst zusammen.
Das apostolische Hirtenamt, das sich nach dem Auftrag des Herrn ausschließlich als bewahrender und vermittelnder Dienst und vollkommene Unterordnung unter das objektive depositum fidei verstanden hatte, erlitt durch seine konziliare Selbst-Relativierung den Todesstoß. Wir erleben eine gigantische Berufungskrise des Priestertums, die die Zahl der Berufungen dezimiert und die, die sich berufen glauben, in schwere Irrtümer, einen überfordernden Zwang, sich im Amt aufgrund subjektiver Erfahrung und Überzeugung selbst zu setzen und schließlich den Verlust des tragfähigen Sinns einer Priesterberufung gestürzt hat. Unsere Bischöfe leben das fette Leben von Diplomaten, die oft genug ihre Priester in Loyalitätskonflikte im Gehorsam gegen sie selbst, die Kirchenlehre und den Papst bringen. Dass das Papsttum sich in einer tiefen Krise befindet, ist spätestens nach dem Rücktritt Benedikts XVI. überdeutlich geworden.
Sakramentale Handlungen muten heute wie LARP-Performances an.[60] Als Priester verkleidete Männer spielen katholische Kirche, wie sie mal war, aber nicht mehr ist und kombinieren sie mit spacigen Fantasy-Elementen nach Geschmack. Eben noch standen sie am Altar und küssten das Evangelium, dann hampeln sie in Soutane oder zumindest Kollar auf einem charismatischen Lobpreis herum und wieder etwas später ziehen sie ein selbstgebautes geistliches Laserschwert gegen alle jene aus ihrem Zingulum, die sie daran erinnern, dass diese Kirche heilige Normen hat, dass ein Priester die Würde eines Gottgeweihten haben sollte und sich nicht wie jedermann gehenlassen darf… In diesem Moment erinnern sich flugs alle wieder ihrer hochwürdigsten … Autorität, die sich von nichts und niemandem mahnen zu lassen braucht.
Heiliges Theater!




Der Sturz vom Tempeldach


Das pneumatische Konstrukt beruht auf der Vorstellung, dass die Freiheit des Heiligen Geistes der sichtbaren, objektiven Ordnung des Leibes Christi entweder übergeordnet oder parallel gesetzt sei. Man denkt sich den Heiligen Geist als subversive, antiinstitutionelle Kraft. Man übersieht, dass in einer solchen theoretischen Setzung nicht mehr mitbedacht wird, dass man den angenommenen „Heiligen Geist“ mit einem Dämon verwechseln könnte, fehlt doch jedes stabile Kriterium für die Göttlichkeit des Geistwirkens. Die häufigen Warnungen in der Heiligen Schrift vor den bösen Geistern, vor deren Verführungskünsten niemand gefeit ist, die eindringliche Einschärfung der Vorsicht vor den Verstellungskünsten des Satans gehen den Geist-Schwärmern zum einen Ohr hinein und zum anderen heraus. Die erwähnte Willens- und Vernunftschwäche durch die angeblich geistbezeugende psychische Erregtheit und emotionale Aufgewühltheit öffnet den Dämonen jedoch Tor und Tür in die Seele.

Eine in diesem Sinn „pneumatische“ Kirche, eine „Geistkirche“ ist ein konkurrierendes, destruktives Konzept zur sakramentalen Struktur der traditionellen Kirche Jesu Christi.

Ausgerufen wurde der Wandel von einer sakramentalen zu einer pneumatischen Kirche durch Johannes XXIII. In fahrlässiger und fragwürdiger Weise glaubte dieser Papst, vor dem Konzil und im Hinblick auf dasselbe sowohl einen „neuen apostolischen Abendmahlssaal“[61] als auch ein „zweites Pfingsten“[62] ankündigen und erwarten zu dürfen. Große Hoffnungen auf eine Heiliggeist-Erneuerung setzte auch Kardinal Suenens, einer der progressiven Hauptakteure des Konzils. Von ihm berichtet Pater Cantalamessa, selbst euphorisch gestimmt:

„Als Kardinal Suenens, einer der Hauptakteure des Zweiten Vatikanischen Konzils, 1973 zum ersten Mal von der Charismatischen Erneuerung hörte, war er gerade dabei, ein Buch mit dem Titel „Der Heilige Geist – Quelle unserer Hoffnung“ zu schreiben. In seinen Memoiren erzählt er:„Ich unterbrach meine Arbeit an diesem Buch. Es schien mir eine Frage der elementarsten Konsequenz, dass ich erst beobachten müsse, was der Heilige Geist gerade wirkte, so erstaunlich es auch zu sein schien. Dieses Neuerwachen der Charismen interessierte mich auf ganz besondere Weise, weil das Konzil ein solches Erwachen ja gewünscht hatte.“[63]
Uns scheint solche Hybris zur Selbstverständlichkeit geworden zu sein, nachdem vor allem Johannes Paul II. gerne und häufig in dieser Metaphorik redete und schrieb und jede geistliche Bewegung als eine pfingstliche Frucht des Konzils betrachtete – mit Ausnahme der Bewegung um Erzbischof Marcel Lefèbvre, der die katholische Tradition vertrat und damit ganz gewiss dem ersten, in der Heiligen Schrift bezeugten, nicht aber dem zweiten Pfingsten, für das weder eine objektive Notwendigkeit noch überhaupt eine aus der Lehre begründbare Möglichkeit vorlag, zuzurechnen war. Macht man sich klar, dass sowohl das Letzte Abendmahl Jesu Christi mit den Aposteln, auf dem Er die Heilige Eucharistie gestiftet und die apostolische Sendung ausgesprochen hat, als auch Pfingsten, das Geburtsfest der Kirche, bei dem der Heilige Geist ein für allemal mit der Weltkirche, mit „allen Zungen“ verbunden wurde, singuläre heilsgeschichtliche Initialereignisse waren und sind, kommt unweigerlich die Frage auf, wieso die Kirche eigentlich einen „neuen apostolischen Abendmahlssaal“ und ein „zweites Pfingsten“ nötig hat, was denn statt dieser ersten Initialzündung nun als zweite Initialzündung hätte verkündet werden müssen?
Diese Frage hat bisher noch niemand schlüssig und überzeugend beantworten können…
Festzuhalten ist aber, dass das einzige legitime Pfingsten, das, das uns die Apostelgeschichte erzählt, eine reiche Frucht hervorgebracht hat, nämlich die Kirche, die sich in die ganze Welt, zu allen Völkern und auf allen Kontinenten verzweigt hat. Die zweiten, dritten, vierten, unzähligen und illegitimen Nachäffungen des Pfingstfestes, die wir seit 1965 über uns ergehen lassen müssen, haben die Axt an die Wurzel des Baumes gelegt, den das erste Pfingsten hat aufwachsen lassen.

Es fällt bereits bei Johannes XXIII. auf, dass im Zentrum seines Denkens nicht mehr der Gekreuzigte steht, sondern die Wahrung der Schätze der Vergangenheit aus formal-ästhetischen Gründen, wie zum Beispiel die universale lateinische Sprache[64] oder die Priesterkleidung und die Meinung, auf der Basis dieser „erhabenen Weisheit der Alten“ könne die Kirche heute abheben und sich vom Tempeldach stürzen, um der Welt auf wunderbare Weise zu zeigen, dass sie aus der Wahrheit und geeignet sei, das gesamte Menschengeschlecht friedlich zu integrieren, was noch niemals das Ziel kirchlicher Verkündigung, sondern politischer Enthusiasten war. Das Konzil sollte dafür die Flugbasis hergeben und alle Vorsicht, die die Vorgänger, die „Unglückspropheten“, die „immer nur das Schlechte befürchten“, denen es an „Takt“ und „Feingefühl“ gefehlt hat, wie Johannes XXIII. großspurig behauptet hatte[65], walten ließen, über Bord werfen. Bereits hier greift man sich an den Kopf, verständnislos ob dieser Schizophrenie, die einerseits in einer fast verknöcherten Weise im Stile ältlich-humanistischer Gymnasialpädagogik aus der „Weisheit der Alten“ schöpfen und andererseits ohne Fallschirm abspringen will im Wahn, die Engel würden den Stürzenden schon rechtzeitig auffangen. Die Ahnung steigt auf, dass Johannes XXIII. der Versuchung des Satans in der Wüste, die unser Herr in Demut abgewehrt hat, nicht standhält. Unser Herr erwiderte dem Teufel auf die Aufforderung, sich vom Tempeldach zu stürzen und von Engeln auffangen zu lassen, um zu beweisen, dass Er Gottes Sohn sei: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht auf die Probe stellen.[66]
Johannes XXIII., zur Zeit der Einberufung des Konzils bereits ein betagter Mann, stürzte die Kirche in ein satanisches Schauwunder. Er wollte beweisen, dass die Kirche nicht zerschellen würde, wenn sie sich vom Tempeldach stürzte, um endlich der Welt entgegenzukommen, vor der sie sich bislang abgeschlossen habe. In der Tat kommt einer, der sich vom Dach stürzt, dem Boden näher. Die Warnung, dass niemand Gott ungestraft versuchen darf, hat längst ihre Richtigkeit bewiesen.
Aber die Metaphorik Johannes XXIII. legt noch eine weitergehende Interpretation nahe. Die Kirche, die man aus ihrer Bastion reißt in der Absicht, einen „neuen Abendmahlssaal“ und ein „zweites Pfingsten“ zu erzeugen, soll im freien Absturz aus ihren Ordnungen den Flügeln des „Pneumas“ überlassen werden, das sie auffängt und in weite Höhen fliegen lassen wird.

Diese Rede ergäbe keinerlei Sinn, wenn sie nicht darauf abzielte, die tradierte sakramentale Kirche durch eine neue „Geistkirche“ zu ersetzen. Die Kirche der Jahrhunderte zuvor wusste um den Gegensatz zwischen Kirche und Welt, wusste um die heilsgeschichtliche Entwicklung auf das Ende hin. Johannes XXIII. fegt dieses Wissen, das immerhin auch in unfehlbaren Dogmen ausgedrückt ist, mit einem Handstreich weg:
In der gegenwärtigen Entwicklung der menschlichen Ereignisse, durch welche, die Menschheit in eine neue Ordnung einzutreten scheint, muß man viel eher einen verborgenen Plan der göttlichen Vorsehung anerkennen. Dieser verfolgt mit dem Ablauf der Zeiten, durch die Werke der Menschen und meist über ihre Erwartungen hinaus sein eigenes Ziel, und alles, auch die entgegen gesetzten menschlichen Interessen, lenkt er weise zum Heil der Kirche.“[67]
Von welcher „gegenwärtigen Entwicklung der menschlichen Ereignisse“ spricht Seine Heiligkeit? Meint er den Vormarsch des Kommunismus? Oder den „Kalten Krieg“, der damals die Menschen in Atem hielt? Oder die verschwörerischen politischen Aktionen der Vereinigten Staaten und ihrer Geheimbünde? Was meint er mit dem Anschein einer „neuen Ordnung“ der Menschheit? Woher sein Optimismus kurz nach einem mörderischen, bestialischen Krieg mit Millionen Toten und verheerenden Verwüstungen, dessen Folgen auf Jahrzehnte hin unselige Spuren hinterlassen würde?
Eine „neue Ordnung“, die die göttliche Vorsehung nun einläuten will? In seiner Enzyklika „Pacem in terris“ referiert Johannes XXIII. vor allem den Katalog der Menschenrechte und die Konsequenzen daraus für das geordnete Leben im bürgerlichen Staat, so als sei das das Wesen der christlichen Botschaft der politische Humanismus. Im Abschnitt über die „Zeichen der Zeit“ führt er aus, was er möglicherweise mit der „Neuen Ordnung der Menschheit“ meint: Emanzipation der Arbeiterklasse, Emanzipation der Frau, Emanzipation der Völker zu einer einzigen, friedlichen „Menschheitsfamilie“.
Das sind also die „Zeichen der Zeit“, die der Heilige Geist uns zum Zwecke eines „Neuen Pfingsten“ erkennen lässt?
Das Seltsame an den Äußerungen Johannes XXIII. ist, dass das depositum fidei absolut nichts weiß von einer positiven „Neuen Ordnung“, in die die Menschheit eintreten würde, bevor der Herr wiederkommt. Die Schrift weiß allerdings vom Wahn der Menschen, es herrsche nun „Friede und Sicherheit!“, wenn die Ankunft Jesu Christi sie wie ein „plötzliches Verderben“ überfallen wird.[68] Die Heilsgeschichte kennt nach Pfingsten nur das konstruktive Warten auf die baldige Wiederkunft des Herrn, die Vorsicht vor dem Geist der Welt, der im Gegensatz zum Heiligen Geist steht und die Bereitschaft, dem Herrn ans Kreuz zu folgen. Dass das „Bald“ hinsichtlich der Wiederkunft ein wenig länger ausfällt, als der Mensch sich dies vorstellt, berechtigt jedoch keineswegs zu Spekulationen darüber, was der allmächtige Gott sich für die Wartephase ausgedacht hat.
Euphorische apokalyptische Lehren, wie sie in der charismatischen Bewegung häufig anzutreffen sind, die eine wachsende globale Anbetungs- und Lobpreisbewegung vor der Wiederkunft ankündigen, stehen im direkten Widerspruch zur Heiligen Schrift, die einen großen Glaubensabfall und die Erscheinung des Antichristen im Tempel des Herrn (!) vorhersagt.[69]
Uns bleibt, was Jesus uns gelehrt hat, was ein für allemal offenbart ist, immer tiefer zu entfalten, wenn Er es uns gibt, bis Er kommt.
Unsere Aufgabe ist es, alles daran zu setzen, heilig zu werden mit Seiner Hilfe. Das reicht für ein ganzes Leben und für das gesamte Zeitalter der Kirche. Lassen wir uns ein letztes Mal von Pius XII. die große Hoffnung der Geistesgaben erklären, die unser Herr uns durch den Heiligen Geist auszuteilen gedenkt:
„Christus ist Begründer und Urheber der Heiligkeit. Denn es gibt keinen heilbringenden Akt, der nicht aus Ihm als seiner übernatürlichen Quelle sich herleitete. (…) Besonders die hervorragenderen Glieder seines mystischen Leibes beschenkt unser Erlöser unaufhörlich mit den Gaben des Rates, der Stärke, der Furcht und der Frömmigkeit, damit der gesamte Leib von Tag zu Tag mehr und mehr zunehme an Heiligkeit und Reinheit des Lebens. Und wenn die Sakramente der Kirche mit einem äußeren Ritus gespendet werden, dann bringt Er selber die Wirkung in den Seelen hervor (S. Thom., III, q. 64, a. 3. 2). Ebenso ist Er es, der die Erlösten mit seinem Fleische und Blute nährt und die wirren, erregten Leidenschaften beruhigt. Er vermehrt die Gnade und bereitet die Glorie für Seele und Leib.[70]
In diesem Sinne sollen wir den heiligen Paulus verstehen, wenn er uns mahnt:
„Dankt für alles; denn das will Gott von euch, die ihr Christus Jesus gehört. Löscht den Geist nicht aus. Verachtet prophetisches Reden nicht! (…)
Der Gott des Friedens heilige euch ganz und gar und bewahre euren Geist, eure Seele und euren Leib unversehrt, damit ihr ohne Tadel seid, wenn Jesus Christus, unser Herr, kommt.

(…)

Er wird es tun.“[71]


[1] KKK 739
[2] Pius X., Katechismus der Katholischen Lehre. § 274, 275, 278, 285, 309
[3] Ebenda, § 309
[4] Auf diesen Vorwurf hat Karl-Heinz Menke mit einer Monografie zur Sakramentalität des Katholizismus geantwortet: K.-H. Menke: Sakramentalität. Wesen und Wunde des Katholizismus. Regensburg 2012: Verlag Friedrich Pustet
[5] KKK 1304 + 1305
[6] Joh. 15
[8] Joh. 15, 10
[10] Ebenda I,1
[11] Ebenda I,1
[12] Ebenda I,1
[13] Lumen gentium 1964  I,8
[14] Ludwig Ott:  Grundriss der Dogmatik. Bonn 2005: Verlag Nova & vetera
[15] a.a.O. Menke, Sakramentalität, S. 8
[16] a.a.O. I, 2
[17] Lk. 24, 26
[18] Pius XII. Mystici corporis
[19] Joh. 10, 9
[20] Joh. 14, 6
[21] Joh. 15, 5
[22] Pius X., Katechismus
[23] Apg. 1, 8
[24] Daniel 7, 13 ff
[25] 1. Kor. 12, 3
[26] 1. Kor. 1, 17
[27] Ebenda Kapitel 2
[28] Ebenda 3, 1
[29] Ebenda 2, 2
[30] Röm. 12, 1
[31] 1. Kor. 13
[32] Römer 12, 3
[33] 1. Kor. 12, 12ff + 13
[34] 1. Kor. 14, 5 + 39
[35] 1. Kor. 14
[36] 1. Kor. 14, 7 ff
[37] 1. Kor. 14, 4
[38] 1. Kor. 14, 33 + 40
[39] 1. Kor. 11, 17
[40] 1. Kor. 15, 44
[42] Konzil von Trient: Dekret über das Sakrament der Eucharistie 1551
[43] Joh. 6, 53 ff
[46] Vorlesung „Pneumatologie“ § 4 Mittelalterliche Pneumatologie, S. 3 http://www.theologie-skripten.de/pneumatologie/4ma.pdf (abgerufen am 29.1.2014)
[47] Dorothee Moosdorf (1980): Das mystische Licht in der Nächstenliebe. Symeon der „Neue Theologe“ – Ein Mystiker der byzantinischen Kirche. In: Orthodoxie heute. 1980, S. 72/73 http://bibliothek.orthpedia.de/index.php?option=com_mtree&task=viewlink&link_id=234 (abgerufen am 29.1.2014)
[48] 2. Kor. 5, 6
[49] Klaus Berger: Eine Planstelle für Franziskus. In: Vatican-Magazin 6/2013
[51] ebenda
[52] KKK, § 1831, 1832
[53] a.a.O. Menke, S. 243f
[56] Felizitas Küble: Botschaften des Himmels. Charismatik und Falschmystik unter der Lupe. Münster 2007: KOMM-MIT-Verlag
[57] vgl. Diskussion auf meinem Blogforum beim Artikel vom 9.1.2014 zur MEHR-Konferenz in Augsburg
Vgl. auch die Auseinandersetzung zum Thema „Exorzismus und Zungenrede“ bei Felizitas Küble auf http://charismatismus.wordpress.com/2014/01/30/der-kirchliche-exorzismus-eignet-sich-nicht-zum-offentlichen-ausplaudern und http://charismatismus.wordpress.com/2014/01/19/irrungen-und-wirrungen-des-charismatischen-exorzisten-padre-jose-fortea
[58] Gabriele Amorth, Kenneth McAll: Wenn Verstorbene nach Befreiung rufen. Hochaltingen o.J., S. 47

[60] LARP bedeutet „Living Action Role Playing“ und wird in der Mittelalterszene praktiziert, die dabei auch Fantasy- und Science-Fiction-Elemente integrieren kann.
[61] AAS 54 (1962), 789/90 :« ex hoc Vaticano Templo, veluti altero Apostolorum Cenáculo »
[62] Johannes XXIII., Ansprache zum Abschluss der ersten Konzilsperiode, 8. Dezember 1962 „Es wird wirklich das "neue Pfingsten" sein, das die Kirche in ihrem inneren Reichtum und in ihrer mütterlichen Hinwendung auf alle Bereiche menschlicher Tätigkeit erblühen lassen wird; es wird ein neuer Vorstoß des Reiches Christi in der Welt sein, ein immer höheres und überzeugenderes Wiederbestätigen der Frohbotschaft Gottes, der menschlichen Brüderlichkeit in der Liebe, des verheißenen Friedens auf Erden für die
Menschen, die guten Willens sind, entsprechend dem göttlichen Wohlgefallen.“
[64] In der apostolischen Konstitution „Veterum sapientia“ vom 22.2.1962 beispielsweise, die Johannes XXIII. wenige Monate vor dem Konzil feierlich unterzeichnete, preist der die formal-ästhetische Weisheit der lateinischen Sprache als Kirchensprache. Er stellt richtig fest, dass sie geeignet ist, die objektiven Verlautbarungen der Kirche für alle Völker ohne Zurücksetzung einzelner zu vermitteln und den Geist zu formen, um die Wahrheit der Lehre zu erfassen. Er fordert die Förderung der Latinität in der Priesterausbildung. Mit der Abfassung dieses Appells war das Thema jedoch erledigt. Werder sorgte er für die Durchsetzung seiner Forderungen noch stand er weiterhin für sie ein.
[65] AAS 54 (1962), 789/90 Eröffnungsrede zum Konzil Oktober 1962
[66] Mt. 4, 7
[67] AAS 54 (1962), 789/90 Eröffnungsrede zum Konzil Oktober 1962
[68] 1. Thess. 1, 5, 3
[69] 2. Thess. 2, 3+4, 7
[70] Pius XII., Encyclica „Mystici corporis“ 1943, I,2
[71] 1. Thess. 5, 18-20, 23