Donnerstag, 16. Juni 2016

Apostolae apostolorum II: Eine namenlose Prophetin des Königreiches Christi



II. Die Salbung des Herrn: Die namenlose Prophetin

Die Frau, die man in der Kirche gerne mit Maria Magdalena identifizierte, mit einer „Hure“ also, obwohl dafür keinerlei sachlicher Grund gegeben ist, wird in den Evangelien in drei bzw. vier verschiedenen Berichten genannt.
Es handelt sich um die Geschichte von der „Salbung Jesu in Bethanien“. Die Erzählung findet sich sowohl bei Matthäus (Mt 26, 6ff), als auch bei Markus (Mk 14, 3ff), als auch bei Lukas (Lk 7, 36). Eine ähnliche Geschichte weist das Johannes-Evangelium (12, 1ff) auf.

In den synoptischen Evangelien ist Jesus zu Gast bei einem Mann namens Simon, der zweimal als (ehemaliger) „Aussätziger“ bezeichnet wird (Matthäus, Markus), einmal als „Pharisäer“ (Lukas). Jesus ist dort zu Tisch eingeladen. In allen Erzählungen tritt eine Frau ein, die in der Hand ein Alabastergefäß mit kostbarem Salböl trägt und Jesus damit salbt. In allen Berichten wird die Frau von den männlichen Jüngern hart kritisiert für die Salbung Jesu, vom Herrn selbst aber verteidigt.

Unterschiede bestehen

1. hinsichtlich des Ortes, der nur bei Matthäus und Markus das Haus des Simon in Bethanien ist. Bei Lukas wird der Ort nicht genannt. Im Johannes-Evangelium wird zwar Bethanien genannt, aber das Haus der Geschwister Maria, Martha, Lazarus und nicht das des Pharisäers Simon.

2. hinsichtlich des Körperteils Jesu, der gesalbt wird. Bei Matthäus und Markus ist es der Kopf Jesu bzw. sein Haar. Bei Lukas sind es die Füße. In der ähnlichen Geschichte in Johannes 12 salbt Maria ebenfalls Jesu Füße.

3. hinsichtlich der Begründung des Unwillens der männlichen Jünger: Bei Lukas ist Simon unwillig, weil die Frau eine stadtbekannte Sünderin sei und Jesus sich durch ihre Berührung unrein gemacht habe. In den anderen Evangelien argumentieren Jünger damit, es sei Verschwendung, ein so teures Öl zu dieser Salbung zu verwenden, und man hätte dafür viel Geld bzw. 300 Denare erhalten und den Armen schenken können.

4. hinsichtlich des Standes der Frau: Während sie bei Matthäus und Markus als anonyme Frau auftritt, im Johannes-Evangelium die Salbende die Gastgeberin Maria ist, berichtet nur das Lukasevangelium, dass der Pharisäer Simon sie als „Sünderin“ betitelt, die in der ganzen Stadt bekannt sei.

Man kann bezweifeln, ob es sich bei den Erzählungen in den synoptischen Evangelien um ein und dieselbe Begebenheit handelt. Der Grund liegt darin, dass im Lukas-Evangelium die Begebenheit sehr früh berichtet wird. Sie fällt in die Zeit, in der Jesus im Land unterwegs ist und zum Befremden vieler frommer Juden mit den Sündern keinerlei Berührungsängste aufweist. Johannes der Täufer scheint zu dieser Zeit ebenfalls noch aus dem Kerker heraus zu wirken (Lk 7, 18 ff). In den Erzählungen bei Matthäus und Markus dagegen findet das Zusammentreffen Jesu mit der Frau wenige Tage vor seinem Tod statt. Bei Matthäus sagt Jesus selbst, „in zwei Tagen“ beginne das Pessachfest, und da werde er gekreuzigt werden (Mt 26, 2). Auch Markus beginnt seinen Bericht über die Salbung Jesu mit dem Hinweis, es sei zwei Tage vor Pessach gewesen. Die Erzählung im Matthäus- und Markus-Evangelium weist daher die größten Übereinstimmungen auf, und auf sie will ich mich im Folgenden konzentrieren. Die Erzählung im Johannes-Evangelium hat zwar ähnliche Züge, kann aber alleine schon aufgrund der völlig verschiedenen Gastgeber und Namen nicht „objektiv“ dieselbe Geschichte sein. Der Gedanke liegt selbstverständlich nahe, dass alle vier Erzählungen aus einem und demselben Gut schöpfen. Ob die „Sünderin“ Maria von Bethanien sein könnte, ließe sich zur Not aus den Evangelien rekonstruieren, nicht aber die Identifikation mit der Lieblingsjüngerin Jesu. Eine Verbindung dieser vier Erzählungen zu Maria Magdalena gibt es im Neuen Testament nicht. Als Salbende tritt Maria Magdalena vielmehr erst auf, als Jesus im Grab ist. Früh am Morgen eilt sie zum Grab und will den Leichnam salben (Mk 16, 1). Es spricht nichts dagegen, dass Jesus mehrfach in verschiedenen Situationen durch Frauen gesalbt wurde.

Die namenlose Frau, die nach Matthäus und Markus auf das Gastmahl bei Simon, dem Aussätzigen kommt, ist symptomatisch für die Geschehnisse um den Opfertod Christi.
Es ist eine Frau, die eine Schlüsselrolle innehat. Ihre Anonymität lässt sie als exemplarisch für die Frau überhaupt erscheinen. Sie tritt offenbar überraschend und ungebeten ein und salbt das Haupt Jesu. Dem Unwillen der Jünger begegnet Jesus mit dem Hinweis darauf, dass diese Frau etwas Prophetisches getan habe: sie habe ihn für sein Begräbnis gesalbt. Und wo das Evangelium verkündigt werde, werde man ihrer Tat gedenken.

Was bedeutet das?

Die Frau, die man im Judentum aus allem Heiligen und aus der Beschäftigung mit der Thora ausgegrenzt hat, tritt hier also ungebeten ein – ein Rabbi und (wahrscheinlich) ein Pharisäer hatten sich getroffen. Die Frau tritt einfach hinzu. Während Jesus Männer ausdrücklich berief, ist bei keiner einzigen Frau davon die Rede. Sie hängen sich von sich aus an Jesus oder treten einfach ungebeten hinzu. Und der Herr lässt sie kommen und steht dafür ein, dass sie es dürfen. Ähnlich wie bei den verachteten Kindern wehrt er den Unwillen der Männer ab, denen eher so etwas wie ein „Arkanprinzip“ vorschwebt: „Die Jünger aber wiesen die Leute schroff ab. Doch Jesus sagte: Lasst die Kinder zu mir kommen; hindert sie nicht daran! Denn Menschen wie ihnen gehört das Himmelreich.“ (Mt 19, 13b+14)

„Talium est enim regnum cælorum.“ – „Solchen gehört nämlich das Himmelreich.“ Solchen - das kann man auch auf die Frauen übertragen...
Die Frau tritt also überraschend, ungebeten und absolut zielstrebig ein. Sie weiß ganz genau, was sie vorhat. Doch welches Motiv könnte sie haben?

Salbungen mögen kosmetische Zwecke gehabt haben, aber diese Situation hat keine Merkmale einer „Badezimmer“- oder „Beauty-Salon-Situation“.  Rituelle und auch überraschende Salbungen gebühren nur Königen und Propheten. 

Der „Gesalbte“, der „Maschiach“, dessen griechische Übersetzung „Christus“ lautet, ist ein Gesandter oder Erwählter Gottes, ja, sogar der erwartete Retter der Welt. 

Diese Salbung Jesu erinnert in ihrer Plötzlichkeit an die, die einst der Prophet Samuel auf Geheiß des Herrn an dem Knaben David vollzogen hatte. In 1. Samuel 16 wird uns berichtet, wie Samuel vom Herrn gesandt ins Haus Isais eintritt, die Leute auffordert, sich mit ihm auf ein Opfer vorzubereiten. In einem inneren Dialog zwischen Gott und Prophet wird ihm angewiesen, nach einem etwa noch nicht aufgetretenen weiteren Isai-Sohn zu fragen. Man lässt den jungen David von der Schafweide holen. Gott gibt Samuel ein, diesen zum König zu salben. Der Prophet macht auch hier keine weiteren Umstände und salbt David inmitten der Familie kurzerhand zum König.
Diese Situation steigt auf, wenn man die Geschichte von der Salbung in Bethanien liest. 

Die Frau tritt ein, trägt ein geradezu sündhaft teures Salböl in der Hand und vollzieht ohne langes Federlesens das, was keiner der Männer, auch nicht des Zwölferkreises, für nötig befunden hätte, nämlich die Salbung Jesu zum König und Retter. Sie spricht kein Wort. Sie vollzieht gestisch, was keiner öffentlich zu sagen wagt: 
Dieser ist der Gesalbte des Herrn, er ist der Herr und König über des All, denn alles ist durch ihn gemacht.

Seine Salbung ist hier eine Salbung zum wahren König der Welt, zum verborgenen König, und es ist symptomatisch, dass nicht irgendein stolzer, hochgestellter Mann diese Salbung Jesu für das verborgene Reich Gottes vornimmt, sondern eine Frau, deren Name uns nicht einmal bekannt ist. 
Wie es die Gottesmutter im Magnificat schon sagt: Die Niedrigen erhebt er, die Mächtigen stürzt er, die, die den Luxus innehaben, die stürzt er, an allen Schlüsselstellen wendet sich der Herr zuerst an eine Frau: er lässt sich durch die niedrige Magd gebären, er offenbart zuerst der Elisabeth, wen Maria im Leib trägt, er erscheint zuerst Maria Magdalena und anderen Frauen am Grab, und er lässt sich von einer Frau zum verborgenen König salben. Damit wird das gesamte antike System vor den Kopf gestoßen.
 
Die Geschichte hat allerdings neben dieser ersten Tiefenschicht noch eine zweite, darunter liegende Tiefenschicht: Der Herr wird getötet werden und die Salbung ist auch die für einen, der zu Grabe getragen wird. Das sagt er selbst den Jüngern: „Sie hat im voraus meinen Leib für das Begräbnis gesalbt.“ (Mk 14, 8)  

Mit der Salbung Jesu zum König in diesem Äon und mit den kostbarsten Mitteln dieses Äons also wird auch zugleich sein Tod angesagt. Es ist tiefgründig, was hier erzählt wird und passt zum Machtverzicht Jesu, als er der Versuchung zur Macht in der Wüste widerstand:
Jesus ist der König des Alls, weil durch ihn alle Dinge gemacht sind, aber er stirbt der pervertierten Macht in dieser Welt, ja, er geht an ihr und mit ihr förmlich zugrunde. So erhält das, was dem König gebührt, einen verfremdeten Charakter.
Die männlichen Jünger erfassen nicht, dass es hier um die Salbung des sterbenden Königs in der sterbenden Welt geht und halten es für „Verschwendung“.

Warum sollte man für immer der Tat dieser Frau gedenken, wenn sie nur eine der vielen Nettigkeiten, meinetwegen Liebeserweise oder Opfer durch Frauen für Jesus gewesen wäre? Jesus sagt voraus, dass man niemals mehr vergessen werde, was sie getan hat. Das heißt: Bis er kommt, soll man über diese Geschichte nachdenken und begreifen, was sich damals abgespielt hat. Denn dies hier ist eine Schlüsselerzählung für das rechte Verständnis des Reiches Gottes.
Eine Frau wurde zur Prophetin der Königsherrschaft Christi, die mit seiner Inkarnation für alle Welt sichtbar begann, durch das Grab ging und ein Äon lang ihre Kinder sammelt, um im himmlischen Jerusalem mit ihm für immer zu regieren, als selbst mit seinem heiligen Namen Gesalbte:

„Sie werden sein Angesicht schauen und sein Name ist auf ihre Stirn geschrieben.“ (Apk 22, 4)

Mittwoch, 15. Juni 2016

Apostolae apostolorum I: Maria Magdalena und andere Frauen als erste nachösterliche Gesandte des Herrn



Apostolae apostolorum

Maria Magdalena und eine namenlose Prophetin

I. Maria Magdalena und andere Frauen

Die katholische „Tradition“, Maria Magdalena mit der anonymen „Sünderin“ und Maria von Bethanien zu identifizieren, wurde weder von den Christen der ersten Jahrhunderte geteilt, noch ist sie nach moderner theologischer Forschung haltbar.

Die gesamte Ostkirche kennt Maria Magdalena als die, die in den Evangelien namentlich überliefert ist. Und dies zeichnet sie als die bedeutendste weibliche Jüngerin Jesu, der er sieben Dämonen ausgetrieben hat (Lk 8, 2), die Jesus finanziell unterstützt, die (zusammen mit anderen Frauen) mit ihm den Kreuzweg geht, unterm Kreuz steht und als erste ans Grab eilt.

Und vor allem ist sie nach dem Johannes-Evangelium in einem ausführlichen Bericht (Joh 20, 11-18), nach dem Matthäus-Evangelium (Mt 28, 9) und nach dem Markus-Evangelium (Mk 16, 9) eindeutig der erste Mensch, dem sich Jesus als Auferstandener zeigt.
Dieser Befund in den kanonischen Evangelien ist so unmissverständlich, dass man sich einige Fragen stellt angesichts der Tatsache, dass die Kirche diese Tatsache in der Abfolge der Evangelien-Lesungen in der Osteroktav förmlich unterdrückt hat und zuerst die Erscheinung des auferstandenen Herrn vor allen in Frage kommenden Männern, selbst den Emmaus-Jüngern, vorträgt, bis sie dann endlich am Donnerstag nach dem Ostersonntag den Bericht über die Begegnung Marias mit Jesus, den sie zuerst für den Gärtner hält, als Schlusslicht rezitieren lässt. Sie setzt an den Anfang der Lesungen denjenigen Bericht, der bei der Entdeckung des leeren Grabes durch die Frauen abbricht und verschweigt, wie es gleich danach weiterging, so, als habe der Auferstandene die Frauen, die sich zuerst an sein Grab bemühten, übergangen und sich erst den Männern, die nicht von sich aus an sein Grab kamen, gezeigt und danach erst die Frauen gewürdigt.

Zu dieser Unterdrückung der wahren und in den Evangelien dreifach bezeugten Vorgänge passt auch die Aufschäumung Maria Magdalenas zu einer Ex-Hure oder Hetäre, die den Rest ihres Lebens im Fellgewand oder in Lumpen wegen ihrer schlimmen Sünden verbracht habe. 

Carlo Crivelli: Maria Magdalena 1476

 Die abendländische Kunst kennt sie als schöne, vergeistigte Frau, aber auch als extrem aufreizend gezeichnete und sinnliche Frau und zugleich auch als teilweise immer noch ansehnliche oder vollkommen zur Vogelscheuche mutierte Büßerin. Ihre Identifizierung mit der „stadtbekannten Sünderin“ (Lk 7, 36 ff), geht auf Gregor den Großen im 6./7. Jh zurück, der dafür allerdings keine sachlichen Gründe angeben kann. Er reimt sich das so zusammen, weil er in den sieben Dämonen, die Jesus der Maria ausgetrieben hat, die sieben Laster zu erblicken glaubt. Seine Schlussfolgerungen sind nach logischen und sachlichen Kriterien haarsträubend.[1] Die Predigt Gregors des Großen scheint alles dafür zu tun, um Marias Ansehen herabzusetzen und sie unter dem Deckmantel der Beschreibung einer reuigen Sünderin vor allem aller denkbaren Sünden überhaupt erst anzuklagen und sich daran zu weiden.

Tizian: Maria Magdalena als Büßerin 1533


Eine weitere Identifikation Maria Magdalenas mit Maria von Bethanien (Lk 10, 38 ff), die sich von Jesus lehren ließ und der Jesus dies als das „Bessere“, das sie „erwählt“ habe, unbedingt gegen eine angeblich wichtigere Haushaltspflicht und Sorgepflicht zuerkennt, ist genauso unhaltbar und geht aus den Evangelien mit keinem Wort hervor.

Donatello: Maria Magdalena 14. Jh


Von dieser Verzerrung durch Gregor den Großen leiten sich alle schlüpfrigen Legenden über Maria Magdalena ab, die heute ihren einsamen Gipfel in der romanhaften Überzeichnung Maria Magdalenas als der Liebhaberin oder Ehefrau Jesu erhalten haben. Man unterstellt – Ironie der Geschichte - der Kirche, sie habe genau diese sinnliche Tradition unterdrückt. Diese Wendung der Maria-Magdalena-Traditionen ist die faule Frucht jahrhundertealter kirchlicher Verzerrungen und führt uns vor Augen, wohin solch fahrlässige und vor allem frei erfundene Lehren wie die des Papstes Gregor führen können… Die Sünder in der Hierarchie der Kirche jedenfalls erhalten in Romanen wie „The Da Vinci Code“ von Dan Brown, in dem Maria Magdalena sinnliche Frau Jesu sei und der leibliche „heilige Gral“ nur einen Denkzettel für die Verzerrungen und Legenden, deren Samen sie doch selbst in die Welt gesprüht hatten. Schmerzlich ist vor allem, dass damit durch die Hierarchie einer der vielen scheinbaren Makel auf die heilige Kirche gebracht wurde, und dass die Welt längst die Bedeutung einer Apostelin „aufgespießt“ hat, die die Kirche nicht anerkennen wollte, obwohl die Evangelien sie doch darstellen und die frühe Kirche dies – neben der aufkeimenden Unterdrückung - noch so tradiert. Hinzugekommen sind in jüngerer Zeit verschiedene Schriftfunde frühchristlicher Texte, in denen Maria Magdalena ebenfalls als bedeutendste Jüngerin und Apostelin beschrieben wird.[2]

Jules-Joseph Lefebvre: Maria Magdalena 1876


Es ist daher vollkommen richtig und eine große Freude, dass Franziskus den Gedenktag Maria Magdalenas nun zu einem Fest erhebt.[3]
Für diesen Festtag wurde ein Präfation erstellt, die Maria Magdalena folgendermaßen würdigt:

„Qui in hortu maniféstus appáruit Maríæ Magdalénæ,
quippe quae eum diléxerat vivéntem,
in cruce víderat moriéntem,
quæsíerat in sepúlcro iacéntem,
ac prima adoráverat a mórtuis resurgéntem,
et eam apostolátus offício coram apóstolis honorávit
ut bonum novæ vitæ núntium
ad mundi fines perveníret.“
[4] 

((Jesus Christus), der im Garten - wie geschrieben steht – Maria Magdalena erschienen ist,
die ihn als Lebendigen geliebt hat
die ihn am Kreuze sterben sah,
die den suchte, der ins Grab gelegt worden war,
und als Erste den von den Toten Auferstandenen angebetet hatte,
hat sie geehrt mit dem Aposteldienst an den Aposteln selbst,
damit die frohe Botschaft des neuen Lebens
an die Enden der Welt durchdringe.)

Fra Angelico: Noli me tangere 1440
Der begleitende Artikel von Erzbischof Arthur Roche, dem Sekretär der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, benennt im Schlussabsatz die Gleichwürde des Apostelamtes der Maria Magdalena:

„Sie ist Zeugin des auferstandenen Christus und verkündet die Botschaft von der Auferstehung des Herrn wie die übrigen Apostel. Daher ist es richtig, dass die liturgische Feier dieser Frau denselben Grad eines Festes erhält, den die Apostelfeiern im Römischen Generalkalender erhalten haben und dass die besondere Sendung dieser Frau herausgearbeitet werde, die Beispiel und Modell für jede Frau in der Kirche ist.“ [5]

Maria Magdalena belehrt die Apostel, England 12. Jh

Die Rede Maria Magdalenas davon, dass sie den „Herrn“ (den Kyrios) gesehen habe (Joh. 20, 18), legitimiert sie bereits im biblischen Kontext als „apostola“ im selben Sinne, mit dem auch Paulus später in 1. Kor. 9, 1 sein Apostelsein „außerhalb der zwölf Jünger“ als gleichwertiges Apostolat legitimiert. Den Titel der „apostola (apostolorum)“ haben ihr daher einige Kirchenlehrer unbefangen gegeben – nach Hippolyt von Rom oder Rabanus Maurus selbst noch Thomas von Aquin.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass in der altkirchlichen Auffassung die apostolische Beauftragung der Maria Magdalena nicht nur ihr, sondern allen Frauen erteilt wurde, die mit ihr im Grabesgarten unterwegs waren. Hieronymus äußert sich eindeutig:

„Mihi tantum (…) sufficiat, Dominum resurgentem primum apparuisse mulieribus, et apostolorum illas fuisse apostolas, ut erubescerent viri non quaerere, quem iam fragilius sexus invenerat. »[6]

(Mir genügt es, dass der auferstandene Herr zuerst Frauen erschienen ist, und dass sie Apostelinnen der Apostel waren, damit die Männer schamrot würden darüber, dass sie nicht gesucht hatten, den das zerbrechlichere Geschlecht schon gefunden hatte.)

Oliver Achilles[7] hat in altkirchlichen Dokumenten eine Stelle aus einem Kommentar Hippolyts von Rom zum Hohenlied gefunden, der ebenfalls davon ausgeht, dass der Auftrag an Maria Magdalena an mehrere Frauen erging und daher als generalisiertes Apostelamt allen Frauen gilt, die von Jesus persönlich beauftragt werden:

„Ein gutes Zeugnis offenbaren uns jene, die Apostel wurden für die Apostel, gesandt durch Christus. Zu denen zuerst die Engel sagten: ‚Gehet und saget den Jüngern: Er geht vor euch hin nach Galiläa. Dort werdet ihr ihn sehen.‘ Und damit jene Apostel nicht zweifelten an den Engeln, so begegnete den Apostel Christus selbst, damit diese Frauen seien Apostel Christi und durch Gehorsam das erfüllten, was mangelte der alten Eva. Von nun an werden sie, gehorsam gehorchend, als vollkommene erscheinen.“[8]

Im Kommentar Hippolyts findet sich auch folgender Ausruf:
O selige Tröstung! Eva wird Apostel genannt!“

Auch diese Formulierung versteht das, was Maria Magdalena empfängt, als ein Apostelamt für jede Frau, die von Jesus selbst gesandt wird.
Die echte Tradition Maria Magdalenas also lässt uns erahnen, dass Jesus es sich nicht nehmen lässt, Frauen zu beauftragen, die den männlichen Aposteln etwas anzusagen haben, ohne dass letztere dies zuvor oder danach bestimmen könnten.
Hippolyt weist darauf hin, dass auch in der Erzählung der Evangelien die männlichen Apostel dem Aposteldienst der Frauen nicht glauben. Sie sind zu stolz, und Hippolyt beschreibt ihren Hochmut mit drastischen Worten und illustriert, wie Jesus dadurch, dass er, obwohl sie den Gesandten Jesu – also den Frauen - nicht glaubten, ihnen dennoch erschien, sich ihres Kleinglaubens erbarmt und sie zugleich kritisiert:

„Und darum hielten sie (die Männer) sie (die Frauen) für Verirrte. Damit sie aber nicht wiederum als (…) Verirrte, sondern als die Wahrheit Redende sich erweisen, erscheint ihnen Christus an der Stelle und spricht: ‚Friede sei mit euch!’ Womit er dies als wahr zeigte: Als ich den Frauen erschien, (sie) zu euch sendend, habe ich (sie) als Apostel senden gewollt.“[9]

Hippolyt kann sich dabei auf das Markus-Evangelium stützen, in dem beschrieben wird, wie Jesus die Verstocktheit der männlichen Jünger gegen die Frauen verurteilt:

"Später erschien Jesus auch den Elf, als sie bei Tisch waren; er tadelte ihren Unglauben und ihre Verstocktheit, weil sie denen nicht glaubten, die ihn nach seiner Auferstehung gesehen hatten." (Mk 16, 14)

Diese frühschristlichen Haltungen offenbaren, dass man damals ein Apostelamt der Frau für wahr und gleichwürdig hielt, wenn auch nicht im Sinne des Priesteramtes und das Problem, dies anzuerkennen, eindeutig beim Stolz des Mannes sah.
Bemerkenswert ist daran also nicht, dass man damit ein Frauenpriestertum rechtfertigen könnte. Bemerkenswert ist vielmehr, dass es ein Apostelamt gibt, das dem der Apostel vorgelagert ist und der direkten Begegnung mit Jesus entspringt. Diese Begegnung darf vom „Lehramt“ nicht leichtfertig und im Hochmut des klerikalen Amtes für „untergeordnet“ erklärt werden. Wenn es vom Herrn selbst kommt, ist es nicht unter-, sondern übergeordnet.

Die Frage wäre, wie man hier ein falsches von einem rechten weiblichen Apostelamt unterscheiden kann.
Diese Frage stellt sich aber, wenn man sich nicht beirren lässt von maximalistisch-infallibilistischen Irrlehren, auch beim formellen Apostelamt. Und die rigide Behauptung, die Hierarchie mache alleine schon deshalb alles recht, weil sie die Hierarchie ist, ist durch die Geschichte und vor allem den aktuellen Zustand der Kirche auf beschämendste widerlegt.



[1] Die aber, welche Lukas eine sündige Frau, Johannes aber Maria nennt [Joh 12,3], halten wir für jene Maria, von welcher Markus versichert, dass ihr sieben Dämonen ausgetrieben wurden [Mk 16,9; Lk 8,2= Maria Magdalena]. Und was wird mit diesen sieben Dämonen bezeichnet, wenn nicht sämtliche Laster? Denn da die ganze Zeit durch sieben Tage zusammengefasst wird, dann wird richtigerweise mit der Siebenzahl eine Gesamtheit bezeichnet. Sieben Dämonen also hatte Maria, die voll von allen Lastern war. Aber siehe: Weil sie die Flecken ihrer schändlichen Lebensweise ansah, lief sie, um sich zu waschen zu der Quelle der Barmherzigkeit und errötete auch nicht vor der Tischgesellschaft. Denn da sie sich in ihrem Inneren zutiefst schämte, meinte sie, es gebe nichts, wofür sie sich äusserlich schämen müsste.
Was also wundern wir uns, Brüder, ob der Herr, als Maria kommt, sie aufnimmt? Soll ich sagen, er nimmt sie auf oder – er zieht sie? Ich sollte besser sagen, er zieht sie und nimmt sie auf, da er sie sicherlich selbst in seiner Barmherzigkeit im Inneren an sich gezogen, sie äusserlich mit Sanftmut aufgenommen hat. Aber wenn wir jetzt den Text des heiligen Evangeliums durchlaufen, sollen wir auch die Reihenfolge beachten, in der sie gekommen ist, um geheilt zu werden.
Sie brachte eine Alabasterflasche von Salböl, stand hinten zu den Füßen Jesu und begann, seine Füsse mit Tränen zu benetzen; sie trocknete mit ihren Haaren seine Füsse, küsste sie und salbte sie mit dem Salböl.. (Lk 7,37c-38)
Es ist klar, Brüder, dass die Frau, die früher auf unerlaubte (unmoralische)Taten ausgerichtet war, das Salböl für den Duft ihres Fleisches selbst verwendete. Was sie also schändlich für sich verwendet hatte, das brachte sie jetzt Gott. Mit ihren Augen hatte sie Irdisches begehrt , nun aber beweinte sie zerknirscht und voll Reue ihre Augen. Die Haare hatte sie zur Zierde ihres Gesichtes verwendet, nun aber trocknete sie damit ihre Tränen. Mit dem Mund hatte sie hochmütig geredet, küsste aber die Füsse des Herrn und presste ihn auf die Fusssohlen ihres Erlösers. Wie viele Vergnügungen sie in sich hatte, so viele Opfer erlangte sie von sich. Sie verwandelte die Zahl ihrer Vergehen in die von Tugenden, um Gott mit Leib und Seele in Busse zu dienen, so weit sie schuldhaft von sich aus Gott verachtet hatte.« (MPL LXXVI 1239-1240 MÜ – entspricht S. 83 in der PDF-Datei).

[2] Silke Petersen: Maria aus Magdala. 2011. Kapitel 3 „Apokryph gewordene Schriften des frühen Christentums“ https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/maria-aus-magdala/ch/ddd3d9408b85e07c1c25b5601caaaae0/#h8 (15.6.2016)
[6] Hieronymus: Kommentar zum Propheten Zefanja, Prolog. In: S. Eusebii Hieronymi Commentariorum in Sophoniam prophetam. Liber unus. Prologus, digitalisiert hier: http://www.documentacatholicaomnia.eu/02m/0347-0420,_Hieronymus,_Commentariorum_In_Sophoniam_Prophetam_Liber_Unus,_MLT.pdf (15.6.2016)
[8]) G. Nathanael Bonwetsch: Hippolyt’s Kommentar zum Hohenlied auf Grund von M. Marr’s Ausgabe des grusinischen Textes herausgegeben. Leipzig 1902, S. 67 ff
in: Akademie der Wissenschaften, Berlin, Kommission für spätantike Religionsgeschichte: Oscar von Gebhard und Adolf Harnack (Hg.): Texte und Untersuchungen zur altchristlichen Literatur, Neue Folge achter Band. Der ganzen Reihe Band 23. Heft 2
Digitalisiert hier: https://archive.org/details/texteunduntersuc23akad (15.6.2016). Im Buch S. 63 ff
[9] A.a.O. S. 70

Samstag, 11. Juni 2016

Die Frauenkrise VII: Papolatrie, Führerzentrierung und Maskulinismus

3.6. Faschistische Verweltlichung und Glaubensabfall



Die postmoderne weibliche Irritation in der Kirche ist nicht Ursache der Kirchenkrise, sondern deren langfristige Folge. Die wahre Hoch- und Wertschätzung, Gerechtigkeit und Liebe der Frau gegenüber ist einer der Seismographen der Rechtgläubigkeit. Wer dem Herrn nachfolgen will, muss ihn in seiner Haltung der Frau gegenüber nachahmen, oder er folgt dem Widersacher nach.
Wer die Frau „untergeordnet“ sehen will, hasst die Kirche und will sie beherrschen. Dieser Impuls, über die Kirche zu herrschen, kennzeichnet aber sowohl gewisse Staatsgewalten als auch das Papsttum und die Hierarchie selbst: beide wollen sie die Seelen (die „Braut Christi“) dominieren und die Hierarchie des 19. und frühen 20. Jh forderte nach jesuitischer und teilweise franziskanischer „Kadaver“-Ideologie absoluten und blinden Gehorsam der Gläubigen – gegenüber der Hierarchie! Die Hierarchie hat sich selbst und insbesondere das Papsttum als „gottgleich“ dargestellt und den Gläubigen eingeimpft, wenn sie dem Papst blind gehorchten, gehorchten sie Gott. Es ist mir unbegreiflich, dass so weite Teile der konservativen Katholiken den hellen Wahnsinn, der in diesem Anspruch steckt, nicht begreifen: das ist nicht die Freiheit Christi, die hier propagiert wird, sondern ein katholischer Islam oder ein faschistisches Führerprinzip.
In Rom sitzt seit dem Vaticanum I spätestens ein römischer Augustus, der sich selbst vergötzt hat. Sätze wie „La traditione sono io!“ („Die Tradition, das bin ich!“)[1] von Pius IX. oder das Eintrichtern der absoluten Papstliebe als Synonym für „Gottesliebe“ bei Pius X. in folgendem Satz: „Wie muss man den Papst lieben? Wer liebt, der gehorcht. Wer den Papst liebt, diskutiert nicht. Der Papst ist das Haupt, von dem niemand sich tyrannisiert zu fühlen braucht, denn er repräsentiert Gott, er ist der Vater par excellence, der in sich alles vereint, was liebenswert, heilig und göttlich ist“[2] klingen einem gesunden katholischen Empfinden als maßlos und übertrieben.

Nicht die Frau hat sich irgendetwas angemaßt, wie Traditionalisten gerne behaupten (Wo denn? Und wann denn? Etwa weil sie nun gleiche Bürgerrechte haben? Oder wählen gehen dürfen?!), sondern der Mann setzt sich generell und insbesondere der Frau gegenüber mit Gott gleich. Die Frau ist die Projektionsfläche maskuliner Selbstherrlichkeit. Am Verhalten zu ihr offenbart sich, wes Geistes Kind ein Mann ist.
Diese Haltung, dieser Anspruch, diese maskuline Selbstvergötzung ist der Auslöser der Kirchenkrise.
Man kann es einmal zugespitzt sagen: Frauen, die sich als Zeichen ihrer geistlichen Minderwertigkeit und Unterordnung unter … den Mann ...  verschleiern, drücken damit aus, dass der Mann das „velamen“ ist, das sie sich vor die Augen hängen, um Jesus nicht mehr sehen zu müssen. Mein Herr hat nicht gesagt: Folgt dem Petrus, er ist der „Vater par excellence“, sondern er mahnte Petrus: „Du folge mir nach!“ (Joh 21,22) und „Und ihr sollt niemanden unter euch Vater nennen auf Erden; denn einer ist euer Vater, der im Himmel ist.“ (Mt. 23, 9) Es erschreckt mich, wenn ich an die Wehe-Worte Jesu an die Schriftgelehrten und Pharisäer denke. Das ganze 23. Kapitel des Matthäus-Evangeliums erinnert an die römische Hierarchie, durch die Papstvergötzung aber vor allem an dies:

„Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr das Himmelreich zuschließt vor den Menschen! Ihr geht nicht hinein und die hineinwollen, lasst ihr nicht hineingehen.“ (Mt 23, 13)

Es ist eine hauchdünne Linie zwischen berechtigter Verwerfung der Lüge und der Verketzerung der Wahrheit. Die einfache Gleichung: „Wahr und göttlich ist alles, was der Papst sagt“, die sich Päpste wie Pius IX. oder Pius X. angemaßt haben, ist selbst häretisch. Ein kurzer – redlicher - Blick in die Kirchengeschichte offenbart Abgründe von schweren Sünden, Fehlentscheidungen und sogar regelrechten Irrtümern durch Päpste. Wie konnte man also so leichtfertig den Papst zu einem magischen Fetisch aufbauen?

Der Papst mag väterliche Eigenschaften haben und den Vater im Himmel als seinen Herrn unbedingt achten und alles tun, um dessen Reich kommen zu lassen, aber der „Vater par excellence“ kann er niemals sein, denn gerade das „par excellence“ kommt eben nur dem Vater im Himmel zu. Das wahre christliche Vaterbild hat der heilige Josef gelebt: er verschwand vollkommen, wurde unsichtbar, gerade das, was der Mann so kategorisch von sich weist und der Frau abpressen will – das wäre echte väterliche Autorität. Man kann ohne zu zögern sagen, dass es zahllose Priester mit einer solchen Haltung gab und auch noch gibt: sie haben sich weggeschenkt an Jesus, um ihn „im Fleisch sichtbar bleiben zu lassen, bis er kommt“. Von Päpsten kann man das erheblich seltener sagen… Ein Papst, von dem man nichts sieht, wenn man auf ihn schaut, der den Menschen den Weg freigibt, förmlich „aus dem Weg geht“, damit sie Christus finden, der als Wegzeichen am Wegrand fungiert, der wie der gute Hirte nicht voran-, sondern hinter den Schafen geht – das wäre das „echte“ Papstamt. Der „Fels Petrus“ ist nicht der „Grundstein“ und nicht das Fundament der Kirche, denn das kann nur Christus selbst sein, sondern der „Schlussstein“ des Torbogens aus vielen lebendigen Steinen in den Himmel hinein. Dieser Schlussstein ist in jedem Rundbogen unerlässlich und wichtig, aber er ist nicht der Stein, auf den das Gebäude gegründet wäre. Der „Eckstein“ ist nach dem mannigfachen Zeugnis der Schrift Jesus selbst! Ein „Eckstein“ ist ein Stein, der größer und schwerer ist als die anderen Steine. Er wird in die Ecke eines Natursteinmauerwerks eingebaut. Auf ihm ruht der Zusammenhalt und die Stabilität des ganzen Gebäudes. Ein Eckstein thront nicht über allem, sondern stützt von unten her. Die Kirche besteht aus lebendigen Steinen. Es ist der erste Papst, der davon spricht: Petrus. Er schreibt nicht davon, dass er der Chef und der Fels “par excellence“ sei und alle zu ihm schauen müssten, sondern er sagt etwas anderes:

„Ad quem accedentes lapidem vivum, ab hominibus quidem reprobatum, a Deo autem electum, et honorificatum :
et ipsi tamquam lapides vivi superædificamini, domus spiritualis, sacerdotium sanctum, offerre spirituales hostias, acceptabiles Deo per Jesum Christum.
Propter quod continet Scriptura : Ecce pono in Sion lapidem summum angularem, electum, pretiosum : et qui crediderit in eum, non confundetur.(1. Petrus 2, 4 f) 

(„Zu diesem lebendigen Stein eilt hin, von den Menschen ist er verworfen, bei Gott aber erwählt und geehrt: und zu ebensolchen lebendigen Steinen baut euch auf, zu einem geistlichen Haus, zu einem heiligen Priestertum, um geistliche Opfer zu bringen, die Gott gefallen durch Jesus Christus. Deswegen heißt es in der Schrift: Seht, ich lege in Zion einen höchsten, auserwählten, wertvollsten Eckstein: und wer an ihn glauben wird, der wird nicht durcheinander gebracht werden.“)

Es ist wichtig, dass wir uns immer wieder durch das Schriftwort den Blick für das schärfen lassen, was der Glaube bedeutet: er bedeutet keine Papolatrie und keine Hoffnung auf den Papst, sondern alleine auf Jesus Christus. Der Papst hat ein Amt, und es besteht darin, die Herde zu weiden, Menschen zu fischen und vor allem: Jesus radikal nachzufolgen. Und ob er das tut – das zu beurteilen hätte man niemals in dieser totalitären Weise tabuisieren dürfen. Die Folge dieser Tabuisierung ist der große und institutionell erzwungene Glaubensabfall.

Wenn die Priesterbruderschaft St. Pius X., die sich auf ein solches Imperatoren-Idol beruft, sich über die Päpste seit Johannes XXIII. beschwert, dann muss man sich fragen, welche Schizophrenie ihre Köpfe besetzt hält: Wollten sie ihrem Idol Pius X. folgen, müssten sie alles „fressen“, was aus Rom kommt, alles – von Liturgiereformen über Lehrveränderungen bis hin zu regelrechten Umkehrungen. Warum dann bitteschön so „widerständig“?!
Dieselbe Frage müssen sich aber auch die Sedisvakantisten gefallen lassen, die zwar hart mit der FSSPX ins Gericht gehen, selbst aber einem noch ausgeprägteren Papstfetischismus folgen – auch sie müssten erklären können, mit welchem Recht sie sich „anmaßen“, die aktuellen Päpste als falsche Päpste zu definieren. Wollten sie ihrem Papstwahn folgen, hätten auch sie alles zu schlucken, was aus Rom kommt, zu parieren und ohne Diskussion zu gehorchen: das hat das Idol Pius X. angeordnet. Und es steht in dieser Logik niemandem zu, darüber zu entscheiden, ob ein Papst ein „echter“ oder „unechter“ Papst ist. Um das zu entscheiden, müsste man gewisse „modernistische“ oder „liberale“ Grundannahmen machen, die diese Personen doch sonst scheuen wie der Teufel das Weihwasser…

Gerade Monsignore Umberto Benigni, auf den sich Pius X. in seinem Machtanspruch stark abstützte, der Mann, der den mehrdimensionalen, vatikanischen Spitzel- und Geheimdienst  „sodalitium pianum“ innerhalb des Staatssekretariats im Kampf gegen den „Modernismus“ aufbaute, wird von Zeitgenossen mehrfach als Menschenverächter, ja sogar als „Glaubensloser“ geschildert. Pius X. war ihm nicht nur totaler „Vater“, sondern es wird auch berichtet, er habe den Sarto-Papst als „Mama“ bezeichnet[3], denn der Papst stellt sowohl Gott als auch die ganze Kirche dar… Man beachte, wie in der extrem-integralistischen Zuspitzung der Mann sich auch noch das Muttersein selbst einverleibt…
Misanthropisch und getragen von Hass ist etwa sein Satz:

„Guter Freund, glaubt ausgerechnet Ihr daran, daß die Menschen zu etwas Gutem in der Welt fähig sind. Die Geschichte ist ein andauernder und verzweifelter Brechreiz, und für diese Menschheit taugt nur die Inquisition.“[4]

Benigni trat in Deutschland mit der propagierten totalitären Gehorsamsforderung auf: Dem Papst müsse man in „allen“ Dingen gehorchen, und Pius X habe gesagt, der Papst tue „immer das Rechte“, weil er der „Vater“ sei.[5]
Bestürzend klingt folgende Aussage über ihn:

„Ich hörte von vertrauenswürdigen Personen, die ihn näher kennen, sie schildern ihn als ‚glaubenslos’…“[6]

Gegen sein Lebensende hin wandte er sich dem Faschismus zu und veröffentlichte ein umfangreiches Werk über die angeblichen Ritualmorde der Juden. Benigni, der mit seiner extremen Haltung nach dem Tode Pius X. nicht mehr so leicht durchkam, wandte sich später der Politik zu:

„Benedikt XV., der Nachfolger Pius X., war kein Freund Benignis. Ein Jahr darauf wurde das Sodalitium von Gaetano De Lai allerdings wieder unter neuen Leitlinien hergestellt. Es blieb dann bis 1921 aktiv, da dann dessen Tätigkeiten öffentlich wurden und Benigni zur Auflösung seines Geheimdienstes gezwungen wurde. Enttäuscht und verbittert wandte er sich Mussolini und dem Faschismus zu. Gasparri und Benedikt XV. galten im (sic!) als Zerstörer der Kirche, die alles ruinierten. Benigni gründete einen neuen, einen faschistischen Geheimdienst und kämpfte nun vor allem gegen Demokratie und andere soziale wie gesellschaftliche Liberalisierungen. Er starb 1934 in Rom. Keiner seiner ehemaligen Priesterfreunde kam zu seiner Beerdigung.“[7]

Papolatrie, Führerzentrierung und Maskulinismus – das sind die Früchte des Antimodernismus, und es sind faule Früchte, die man mit dem Mann am Kreuz nicht zusammenbringt. Diese Früchte erinnern an radikale islamische Haltungen.

Schon sitzen in unseren Fernsehtalkshows vollverschleierte muslimische Konvertitinnen, sehen mit Mühe durch ihre vergitterten Augenschlitze in die Runde und wollen der Welt erklären, dass die Polygamie und damit die Übermacht des Mannes natürlich und daher zu erlauben und gesund für jede Ehe und überhaupt das gesellschaftliche Leben sei… und nicht selten stimmen katholische Traditionalisten dieser grundsätzlichen maskulinistischen Tendenz (wenn auch nicht hinsichtlich einer formell erlaubten Polygamie) islamischer Einstellungen zu. Man kämpft ausdrücklich auf propagandistische, hetzerische und unsachliche Art für die Restauration maskuliner Übermacht und glaubt, damit ein Werk Gottes zu tun („Verzicht auf neutralen Standpunkt“).[8]

In den letzten Monaten wurde das Leben des des Paters Pedro Poveda verfilmt. P. Poveda (1874 – 1936) war ein spanischer Priester, der besonders die Bildung und Gleichstelung von Frauen förderte. Er wurde 1936 ermordet. Liest man die Einträge auf Wikipedia[9] oder im Heiligenlexikon[10] über ihn, wird offenbar bewusst verschleiert, wer ihn ermordet hat: Nein, es waren nicht die Kommunisten, wie es suggestiv erscheint! Es waren die Faschisten Francos, denen er mit seiner Haltung nicht genehm war. Und er war offenbar nicht der einzige Priester und Katholik, der von den Franco-Truppen ermordet wurde, weil er sich dem faschistischen Glaubensabfall widersetzte.[11]

Wir sind wieder da angekommen, wo wir vor der Christianisierung aufgehört hatten… und noch schlimmer…[12]


[1] Bekannter Ausspruch Pius IX., hier zitiert nach Georg Denzler: „Die Tradition bin ich“. Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt 35/2000, kann online gelesen werden: http://www.georgdenzler.de/Die_Tradition_bin_ich.html (4.5.2016)
[2] Ansprache Pius X. vom 19. 11. 1912, zitiert nach Otto Weiß: Der Modernismus in Deutschland. Regensburg 1995. S. 52
[3] Josef Jung: Das Werk Gottes oder Kirchen-Stasi? – Das „Sodalitium Pianum“ (1911-1921), vom 19.10.2014 in der katholischen Wochenzeitung „hinsehen.net“, online lesbar: https://hinsehen.net/2014/10/19/werk-gottes-oder-kirchenstasi/ (4.5.2016)
[4] Benigni an Buonaiuti, zitiert nach Otto Weiß, Modernismus, a.a.O. S. 120
[5] Vgl. Otto Weiß, a.a.O.; S. 120
[6] Vgl. Weiß, a.a.O., S. 137, Anm. 10
[7] Josef Jung a.a.O.
[8] Im Internet gibt es ein stark bei katholischen Traditionalisten und Sedisvakantisten beliebtes Portal namens „WikiMANNia“, mit einem Istanbuler Impressum (!), das in seinem Programm folgende offenkundig ressentimentgeleitete und sprachideologisch eingefärbte Selbstbeschreibung voranstellt:

„Dieses Wiki ist eine Wissens-Datenbank über Be­nach­teili­gun­gen von Jungen und Männern, sowie Be­vor­zu­gun­gen von Maiden und Frauen. Die Belege hierfür sind im ganzen Internet teilweise sehr un­über­sicht­lich verteilt und werden hier über­sicht­lich strukturiert, kon­zen­triert und unter­ein­ander verknüpft an­ge­sammelt. WikiMANNia ver­zich­tet auf einen neu­tra­len Stand­punkt und bietet eine feminis­mus­freie Er­gän­zung zum Infor­ma­tions­an­gebot des Internets. WikiMANNia ist die Antithese zur feministischen Opfer- und Hass­ideologie. Keine Angst vor dem Feminismus, nieder mit der Schweigespirale. Seit Januar 2009 sind 2.949 Artikel entstanden. Über unser Kontaktformular können Sie uns mit Informationen unterstützen und auch Wünsche, Vorschläge und Anregungen mitteilen. Für eine Mitarbeit in diesem Wiki ist eine einfache Registrierung ausreichend.
Frauen sind nicht das unterdrückte Geschlecht.
Frauen sind das subventionierte Geschlecht.“


[11] Vgl. http://www.pedropoveda.org/ , auch Bericht auf Deutsch hier: https://charismatismus.wordpress.com/?s=poveda (11.6.2016)
[12] Erschütternd die Schweizerin Nora Illi, die mit einem Schweizer Konvertiten verheiratet ist und solche Ansichten zum besten gibt. Etwa bei Sandra Maischberger ind er ARD-Sendung „Menschen bei Maischberger“ http://www.focus.de/kultur/kino_tv/schleierhafter-auftritt-bei-sandra-maischberger-sex-ansichten-der-burka-traegerin-nora-illi-verwirren-alle_aid_836112.html (7.4.2016)

Dienstag, 7. Juni 2016

Franziskus alleine im Irrgarten



Die aktuelle Debatte um die seltsam indifferente Haltung des Papstes und der deutschen Bischöfe gegenüber der Tatsache, dass islamische Aggressivität in der ganzen Welt eine zunehmende Bedrohung für viele, ganz besonders für Christen ist, offenbart ein lange gehegtes und gepflegtes philosophisches Defizit. Die große Empörung, die seit einiger Zeit durch die katholischen Medien flutet, ist verständlich, aber ihrerseits oberflächlich. Und Franziskus hat sich, wie so oft, mal wieder unklar oder einfach viel zu knapp ausgedrückt - vorausgesetzt, er wollte etwas Bedeutsames sagen...

Jedes politische und religiöse Denkgebäude ist um Geschlossenheit bemüht. Es soll in der Lage sein, das gesamte Bedürfnis einer Gemeinschaft und des Einzelnen nach einem geordneten Leben und einem Weg zum himmlischen Ziel zu erfüllen.
Anders gesagt: wer von etwas überzeugt ist, kann nicht zugleich dem Widerspruch zu dieser Überzeugung ein gleiches Recht im Anspruch auf die Wahrheit zubilligen.

Jede Religion muss einen Alleingeltungsanspruch behaupten, denn andernfalls gäbe es keinen Grund, ihr zu folgen. Nun sind Religionen aber nicht vom Himmel gefallen und meinen auch nicht alle „dasselbe“, wie man es aus unbedarften Mündern wie einen cantus firmus der Oberflächlichkeit hören kann. Alleine die Tatsache, dass sich Religionen oder Konfessionen voneinander abgespalten haben, sollte uns doch zeigen, dass sie definitiv nicht alle „dasselbe“ meinen. Denn hätten sie das getan, wären sie nie auseinandergedriftet. Viele glauben ernsthaft, ihr persönliches Desinteresse an der Religion bilde den einzig möglichen Herzenszustand der Menschheit zum Thema Religion ab. Sie belächeln solche Eiferer, die eine Religionsspaltung verursachen, sind doch deren Fragen aus ihrer Sicht unbedeutend. Entsprechend vulgär fällt die zeitgenössische Auseinandersetzung in den Medien und in der Kunst aus – von wenigen Ausnahmen abgesehen.

Schaut man in die Weltgeschichte, fällt auf, wie sehr Religionen historische Phänomene und konkurrierend entstanden sind:
Unzählige Male bezeugt das Alte Testament, dass Gott sich hier ein Volk erwählt hat, das er sich im Gegensatz zu allen anderen mit ihren „Baalen“ und „Götzenbildern“, „heiligen“ will. Im Selbstverständnis der Religion Israels meint man also überhaupt nicht dasselbe wie alle anderen Völker, wenn es um die Religion geht. Im Gegenteil: Israel übt eine fundamentale Kritik daran, dass die Heiden Holzbilder, die sie sich zuvor geschnitzt haben, anbeten und Götzen dienen, die nur Auslagerungen der eigenen Seelenvorgänge seien.
Oder sehen wir nach Indien. Der Buddha zog viele Jahre, durch die Hindureligion mit ihren brahmanischen und yogischen Lehren ebenso wie durch ein materielles und lustvolles Leben unerfüllt geblieben und suchend, durchs Land, bis ihn die Erleuchtung unter dem berühmten „Bodhi-Baum“ ereilte. Auch hier meint der daraus entstehende Buddhismus gerade nicht „dasselbe“ wie hinduistischen Lehren.
Das Christentum entstand aus der Religion Israels, nachdem die jüdische Priesterkaste für den Tod des Rabbis gesorgt hatte, den einige für den erwarteten Messias hielten. Auch hier meint weder das Judentum „dasselbe“ wie das Christentum noch das Christentum „dasselbe“ wie das Judentum. Mit der Entwicklung des trinitarischen Gottesbildes entstand ein größtmöglicher „Affront“ gegen den jüdischen Glauben. Diese Problematik spiegelt sich im Prozess Jesu bereits selbst, aber auch in der Auseinandersetzung mit den jüdischen Hohepriestern und der anschließenden Hinrichtung des ersten Märtyrers Stephanus.
Das Christentum rang von Anfang an gegen gnostische Irrlehren, seit der „konstantinischen Wende“ im 4. Jh massiv mit häretischen Abspaltungen, die vom trinitarischen Gottesbild abwichen. Und immer ging es dabei um so schwerwiegende Gründe, dass die Betroffenen nicht mehr der Meinung waren, sie meinten „dasselbe“.

Aus jüdischen und christlichen Versatzstücken entstand der Islam, dessen Glaubensbekenntnis eine eindeutige Polemik gegen den trinitarischen Glauben der Christen sein wollte und will. Das islamische Glaubensbekenntnis verweigert ausdrücklich den Glauben, Gott könne zeugen (wie Gottvater) oder gezeugt sein (wie Gottes Sohn), was das christliche Credo dagegen ausdrücklich bekennt. Manche Forscher vertreten heute die Ansicht, diese Religion sei Folge mehrerer christlicher, arianisch gefärbter Häresien. Sie tritt auf mit dem Anspruch, Gottes letztes Wort zu allen religiösen Dingen gewesen zu sein und den Monotheismus in seiner edelsten und reinsten Form restauriert zu haben. Trotzdem blieb auch diese Religion nicht monolithisch, sondern zerfiel gleich zu Beginn in mehrere Lager. Der Zerfall in dieser Religion kann durch die noch vorhandene „Mehrheits“-Richtung nicht ausgeblendet werden. Die beiden großen Kontrahenten dieser Religion versuchen in einem gigantischen politischen, stark autoaggressiven und weit in die nichtislamische Welt hinausstrahlenden destruktiven Akt, den weiteren Zerfall aufzuhalten, was aber nicht gelingt: immer mehr islamische Staaten werden zu sogenannten „failed states“, Staaten, die unregierbar geworden sind. Das „Haus des Friedens“, wie sich die islamische Gemeinschaft selbst nennt, ist ganz offenkundig ein Haus, in dem Mord und Totschlag die Herrschaft übernommen haben und viele fragen sich, ob diese Religion aus sich selbst heraus wirklich friedensstiftende Kraft hat und haben kann. Die Beantwortung dieser Frage ist Thema vieler Gespräche und Diskussionen, wobei sich die Stimmen derer mehren, die dies wegen der gewalttätigen Gründergestalt und ihres „kanonischen Vorbildes“ bezweifeln. Viele Konvertiten vom Islam zum Christentum unternahmen diesen für sie folgenschweren Schritt, weil sie im Islam keine Liebe fanden und nur einen voluntaristisch agierenden Gott, im Christentum dagegen einen Gott, der sie liebt und ihnen verlässliche Zusagen gibt. Die Dunkelziffer an Konvertiten ist hoch. Warum aber sollten sie diese Mühe auf sich nehmen, wenn beide Religionen „eigentlich dasselbe“ meinten?
Es gibt auch Konversionen umgekehrt. Wer zum Islam konvertiert, ist meist von dessen einfacher Gotteslehre beeindruckt und einem überschaubaren Regelwerk, das ein Gefühl von Wahrheits- und Heils-Sicherheit einflößt. Viele ehemalige Christen nennen als Grund für ihre Konversion zum Islam, die christlichen Dogmen seien „unlogisch“ bzw. unverstehbar, vor allem das Gottesbild. Die Vorstellung eines „einen“ Gottes, um dessen Differenziertheit sich der Mensch nicht kümmern muss, erscheint ihnen erträglicher. Auch spielt die Vorstellung vom „leidenden Gott“ für viele eine anstößige Rolle – Gott am Kreuz? Das kann nicht sein … es will ihnen nicht in den Kopf, wie es auch schon vielen Juden nicht einleuchten wollte.

Der aufgeklärte Westen glaubt seit 200 Jahren, man könne all diese triftigen Differenzen zwischen den religiösen Lebens- und Weltkonzepten durch bewusst herbeigeführte religiöse Ignoranz oder wenigstens Indifferenz aufheben. Die Vorstellung, man erkläre die Religion zur „Privatsache“ und gestalte ein laizistisches Gemeinwesen, verlockt mit erleichternden Potenzialen: endlich können wir zusammenleben, ohne uns gegenseitig zu fressen oder zu unterwerfen!
Allerdings hat sich die Religion im Angesicht der Säkularisation nicht nur selbst aufgehoben, sondern auch überall radikalisiert – warum das so ist, harrt noch eingehender Untersuchung… Im Abendland ist das Sektenwesen angewachsen und hinter der Fassade der Privatheit spielen sich häufig Dramen ab.
Im säkularen Staat hat sich die Religion mit ihren internen Ordnungen der staatlichen Ordnung zu unterwerfen.
Nicht nur der Islam erkennt das aber definitiv nicht an, denn er ist eine politische Religion, die einen Dominanzanspruch in sich trägt, der zur Sendung dieses Glaubens gehört.
Auch die Kirche hat das gesamte 19. und einen großen Teil des 20. Jh genau wegen dieses Anspruchs ihre Krise selbst herbeigeführt: mit dem drohenden Zerfall des Kirchenstaates zerrüttete sich in wenigen Jahrzehnten der über mehr als ein Jahrtausend systematisch immer höher geschraubte Machtanspruch des Papsttums, den man nur noch schwer oder gar nicht mit dem „Kreuzweg“ des Herrn der Kirche zusammenbringen konnte, der doch der Weg des Christen und der Kirche sein muss. Jedenfalls hat es der Herr genau so verfügt. Nicht von pompöser weltlicher Allmacht hat er gesprochen, nicht davon, dass Päpste die Universalherrscher der Welt seien, sondern davon, dass seine Diener nicht mehr sein sollen als der Herr, dessen Machtverzicht in dieser Welt in den Versuchungen Jesu in der Wüste programmatisch ausgesprochen wird: der Satan bot Jesus die Welt an. Der Preis dafür war, sich vor dem Bösen auf die Knie zu werfen und ihn anzubeten. In dieser Erzählung scheint auf, dass es in diesem Äon Macht über die Welt nur im Verbund mit dem Bösen geben kann.
Was immer zur Verteidigung der aufgeblähten weltlichen Macht der Kirche vorgebracht wird – es lässt sich mit der Predigt und dem Leben und Sterben des Herrn nicht vereinbaren. Ein unguter Samen hat sich in die Kirche eingeschlichen, wohl von Anfang an schon, und seine Saat ging langsam und verhängnisvoll auf.

Verhängnisvoll heißt: Selbst wenn Päpste den Versuch unternommen haben, diesen totalitären Anspruch auf weltliche und geistliche Übermacht über alle weltlichen Fürsten rückgängig zu machen, gelang es nicht mehr. Man verlor die Macht, konnte aber den Anspruch auf die Dominanz in der Gestaltung der Gemeinwesen nicht aufgeben, ohne das, was sich als Kirche etabliert hatte, zu stürzen. Eine Amalgamierung von rein irdischen und geistlichen Traditionen war entstanden, die kaum mehr voneinander zu lösen war.
Die Tragik der Kirche ist nach dem Vaticanum II, dass einerseits eine berechtigte und längst überfällige Reform eingeleitet wurde. Andererseits aber war es unmöglich, dieses über so viele Jahrhunderte gewachsene institutionelle Gebilde der Kirche in kurzer Zeit von seinen Auswüchsen zu reinigen.
Nimmt man Jesu Rede ernst, ist es sogar unmöglich, diese Reinigung des „Ackers“ zu erreichen. Der Christ muss aushalten, dass nirgends auf Erden größere Schizophrenie wirkt als in der Kirche. Warum? Wir wissen es nicht! Aber der Herr sagte, Unkraut und Weizen sollten zusammen aufwachsen und niemand solle versuchen, das Unkraut auszureißen. Wer es versuche, reiße den gesunden Weizen mit aus. Die radikalen Restaurationsversuche des 19. und frühen 20. Jh haben der Kirche vermutlich den größeren Schaden zugefügt, als dies vielen klar ist. In der radikalen ultramontanen und später der Antimodernismus-Krise wurde mehr Gesundes zerstört, als die Kirche es verkraften konnte. Die Hierarchie überblendete ihre Befugnisse, um das „Übel mit der Wurzel auszureißen“. Um also genau das zu tun, was Jesus untersagt hatte:

„Da sagten die Knechte zu ihm: Sollen wir gehen und es ausreißen? Er entgegnete: Nein, sonst reißt ihr zusammen mit dem Unkraut auch den Weizen aus.“ (Mt. 13)

Und sie erntete auch genau das, was Jesus angekündigt hatte: Es war die Hierarchie, die auch den Weizen ausriss.
Unsere Krise liegt nicht am wachsenden Unkraut, sondern daran, dass Hierarchen glaubten, es ausreißen zu müssen und damit das Gesunde zerstörten.
Wo soll ein Papst hier und heute da noch anfangen?
Eigentlich müsste er sein Pontifikat zu einem Pontifikat der Buße, des Schweigens und Gebetes machen. Aber auch das ist unmöglich. Oder nur möglich in der Unmöglichkeit, wofür der Rückzug Benedikts XVI. ebenso stehen kann wie der Coelestins V.

Franziskus ist nach den in der Absicht vorsichtigen („pastoralen“) und in der Wirkung vor allem chaotischen Reformversuchen der Päpste der zweiten Hälfte des 20. Jh endgültig eine Jammergestalt der Hilflosigkeit.
Wenn ihm angesichts der Gewalttätigkeit des Islam unsere eigene Gewalttätigkeit in der Geschichte einfällt, dann mag man das angesichts der aktuellen Weltlage für unausgegoren halten, aber er spricht einen christlichen Alptraum aus, der in uns pocht, um den wir allesamt ganz genau wissen und den wir uns auf tausend Weisen schönreden. Daher erntet er auch solche heftige Entrüstung:

Die Hierarchie hat fast zu allen Zeiten in nicht geringem Maß die Sendung Jesu verraten, der wirklich nicht so war wie Mohammed… Aber wir, die Christen ... waren sehr oft genauso wie die Muslime. Und das nicht aus Versehen, oder weil wir es nicht besser gewusst hätten, sondern ganz bewusst. Wir bastelten eine Alltags-Theologie, die solche Gräuel erlaubte, Päpste schrieben neben Gegenteiligem auch sehr wohl Lehramtstexte, die Mord, Vertreibung und Versklavung nicht nur rechtfertigen, sondern auch anordnen konnten. Das Kirchenrecht trug in einer Welt, die den Staat zum verlängerten Arm kirchlicher Ansprüche umfunktioniert hatte, tatsächlich auch scharia-ähnliche Züge. Auch wir Christen verstümmelten Menschen (vor allem in Byzanz). Auch wir verfolgten und verbrannten Ketzer und führten Religionskriege im eigenen Gebiet. Auch wir unterdrückten (trotz Polygamie-Verbotes) die Frau und setzten sie auf erbärmliche Weise, fundiert von gewissen Kirchenvätern und ihren heidnisch inspirierten Philosophien, so weit zurück, dass man sich fragen konnte, welchen Rang dann die Braut Christi sich selbst eigentlich noch zuerkennen wollte…Auch wir drückten bei der Hurerei der männlichen Fürsten alle Augen zu, während wir ein ähnliches Verhalten bei Frauen unverhältnismäßig dramatisierten. Auch wir hassten die Juden, ghettoisierten sie, grenzten sie aus fast allen Berufen aus, markierten sie äußerlich nach dem Vorbild des Umgangs der Muslime mit den Juden, verleumdeten sie, pressten ihnen Sondersteuern ab, vertrieben sie und zettelten fromme Pogrome gegen sie an.
Und auch wir haben für all das Heerscharen von traditionalistischen Apologeten, die es besser wissen müssten. Auch sie sprühen so beschämend oft vor Hass, Selbstgerechtigkeit und Respektlosigkeit und radikalisieren sich in immer weiteren Spaltungen.
Es ist ein bestimmter „Pool“ von Narrativen entstanden, was denn überhaupt „Tradition“ sei. Während Progressive oft auf frühchristliche Traditionen zurückgreifen wollen, haben sich die meisten Traditionalisten auf die Engführungen des 19. Jh eingependelt. Sie betrauern weniger einen objektiven Traditionsverlust als den Verlust eines kirchlichen Ambientes, das man bis zum Beginn des 20. Jh mit einem enormen propagandistischen Aufwand als alleine gültig etabliert hatte.
Unzählige Bücher bejammern den Zustand und fordern eine „Rückkehr zur wahren Lehre“. Sie alle wissen offenbar ganz genau, wie ein gesundes kirchliches Leben in der wahren Lehre auszusehen hat, sind sich darüber aber mehr als uneinig. Und überhaupt: Nachdem man jahrhundertelang unter rigidem Lehrzwang, erstickenden Alltagsnormen und Denkverboten geseufzt und das Vaticanum II befreit willkommen geheißen hatte, sehnt man sich nun so unreflektiert und unbedarft zurück an die Fleischtöpfe Ägyptens?

Franziskus weicht geistlichen Fragen und Themen sehr oft und auffallend aus – so, als wüsste er nichts mehr dazu zu sagen. Er schreibt endlose Lehramtstexte über Umweltpolitik und sentimentale Gedanken zur Liebe nieder, aber das, was die Menschen brennend interessiert, lässt er aus – nämlich klare Antworten auf klare Fragen.
Die Progressiven haben begriffen, dass sie ihn nicht wirklich für sich vereinnahmen können, und die Traditionalisten und Konservativen ebenfalls.
Er ist einsam in der Kirche.
Irgendwie tappt er in einem Irrgarten herum.

Was also hat er vor, um was geht es ihm?
Und vor allem: Was kann er überhaupt leisten, nachdem sein Vorgänger die Segel gestreckt hat?

Fragen wir doch einmal anders: Wie gläubig sind die Menschen wirklich? Wie gläubig waren sie früher? Was ist denn überhaupt Glaube? Ich meine: wenn man aufhört, zum Glauben zu erpressen oder zu verführen, und stattdessen das freie „Fiat“ geduldig erwartet und die Beziehung des Einzelnen zu Gott nicht mehr dermaßen überreguliert und kontrolliert, wie dies lange ausgeübt wurde?
Es sieht aus, als hätte man nur die Wahl zwischen erpresstem, rein formellem Glauben, einem Glaubens-Brauchtum und einem wachsenden Desinteresse am Glauben.
Ist das so?

Wir sind heute längst schon jenseits des Scheidewegs: heute muss in religiöser Hinsicht niemand mehr etwas selbstverständlich und schon gar nicht deswegen, weil es immer so üblich oder immer „Tradition“ war. Vor allem weiß man heute auf eine ruhigere und objektivere Art und Weise um die anderen, die einem schon so lange und so hartnäckig widersprechen. Und die Welt ist enger geworden, wir hängen alle mehr zusammen als früher und wirken uns gegenseitig tief in die Gesellschaften hinein und dies meist auf eine problematische Weise. Die innerislamische Katastrophe zeugt davon, dass man dort versucht, um jeden Preis diese Entwicklung zu verhindern. Allein – es ist zu spät!

Das traditionalistische Schisma dagegen, das sich in der Kirche schon vollzogen hat und weiterhin anbahnt, versucht auf einem ähnlichen Weg wie der Islam, wenn auch bislang noch unter Verzicht auf physische, nicht aber psychische Gewalt, die freie Auseinandersetzung mit der Welt hier und heute zu verhindern. Der katholische Traditionalismus hat einerseits Züge evangelikaler Sekten wie der Hutterer und Amishen, die die Kostüme und Lebensstile älterer Zeiten für ein göttliches Gebot halten. Andererseits bedient er sich modernster Techniken, um seine Ideologie zu verbreiten, vor allem die postmodernen Kommunikationsmedien. Seine Neigung zum politisch „Rechtsgerichteten“ hängt mit diesem Wunsch nach Konservierung älterer politischer Zustände zusammen. Ein krudes, selbstgebasteltes Gemisch aus Kirchenlehre, überspanntem Moralismus, monarchistisch ausgerichtetem Nationalismus und altbewährten, aber unbegründbaren (und nie so gelehrten!) Vorurteilen wird als „wahrer Glauben“ ausgegeben. Auf die Dauer entpuppt sich dies als hochkomplexe Märchenwelt mit überbordenden Widersprüchen. In gewissem Sinn ist es eine katholische Glamourwelt. Sie erfüllt tiefe Sehnsüchte nach gerechten Königen und schönen Prinzessinnen und einem gottseligen Arkadien in diesem Äon. Aber erfüllt sie die Sehnsucht nach Gott als dem wirklich ganz Anderen, der aus jeglicher Perspektive dieses Äons, auch der traditionellsten, glamourösesten und „ehrbarsten“, doch unsichtbar bleibt?
Aussteigerberichte aus traditionalistischen Kreisen und neuen geistlichen Gemeinschaften führen eine erschreckende Doppelmoral, heuchlerische Frömmigkeit und die Struktur von Geheimgesellschaften vor Augen.
Wer ein bisschen nachdenkt, merkt also bald, dass es damit für das, was einst unsere abendländischen Mystikerinnen entdeckten, nämlich den Weg in die „innere Seelenburg“, die man dem Herrn schon übergeben hat, und in deren verborgenstem Gemach der Geist zum Geist spricht, bei den Traditionalisten nichts ist. Sie pflegen lieber „ignatianische Exerzitien“ und üben den formellen „Kadavergehorsam“ ein. Ihre Präferenz gilt dem Hierarchischen und der Unterwerfung – ganz ähnlich wie im Islam. Sie lehnen die Demokratie ab und unterstellen moderneren, politischen Gerechtigkeitskonzepten „Gleichmacherei“, ohne diesen Vorwurf im einzelnen zu begründen oder begründen zu können.
Die katholischen Traditionalisten sind ebenso wie die Charismatiker und die Progressiven Leute, die ihre Auffassung vom „wahren Glauben“ eben nicht primär an der Lehre, sondern an deren sinnlicher Ausgestaltung aufhängen und darum mehr Ideologie als Glaube pflegen.

Franziskus wirkt in diesem Hexenkessel wie einer, der selbst völlig desillusioniert ist, der sich von der Religion hüben wie drüben nichts mehr erwartet. In hastiger täglicher Rede wirft er mal den einen, mal den anderen einen Happen hin. Und alle bekommen ebenso hastig, mal hier mal da auch etwas hinter die Löffel.

Es stellt sich die Frage für uns alle, wie man hier und heute glauben kann, ohne in die alten Fallen zu tappen und ohne den Glauben zugunsten der postmodernen Unsicherheit zu relativieren oder aufzugeben.

Jesu fragte einst, ob er noch Glauben finden werde, wenn er kommt. Das ist die Frage, die uns angeht.
Sie stand immer im Raum, diese Frage.

Nach seiner Lehre ist der Glaube ein Kreuzweg und der Weg der Kirche einerseits ein „Menschenfischen“, andererseits aber ein Niedergang in dieser Welt mit dem Herrn. Die Kirche kann in dieser Welt ebenso wenig eine Erfolgsstory sein wie der Lebensweg Jesu!
Wer, der wirklich glaubt, kann sich darüber wundern?

Oder haben wir an etwas anderes geglaubt, viele Hunderte von Jahren? Haben wir selbst Jesus mit Mohammed verwechselt und gedacht, wir müssten eine christliche Umma schaffen, und das um jeden Preis?
Obwohl der Herr uns das - gerade das! - nicht verheißen hat?

Wenn das unser Problem ist, und ich glaube, es ist unser Problem, dann kann man nachvollziehen, dass ein Papst einfach nicht mehr weiterweiß.
Benedikt zog sich vornehm zurück – Franziskus steht hilflos im Raum und rettet sich in einen Dauerdialog, dessen Ergebnisse ihm gleich sind.

Er redet, als wollte er die Zeit überbrücken, bis –

Ja: bis was eigentlich?