Montag, 4. November 2019

Trinitätslehre auf dem Prüfstand: Brief XIII an Unitarier und Trinitarier — Maskil: Wessen Sohn ist der Christus?

Trinitätslehre auf dem Prüfstand: Brief XIII an Unitarier und Trinitarier — Maskil: Wessen Sohn ist der Christus?


41 Als aber die Pharisäer versammelt waren, fragte Jesus sie 42 und sagte: Was haltet ihr von dem Christus? Wessen Sohn ist er? Sie sagen zu ihm: Davids. 43 Er spricht zu ihnen: Wie nennt David ihn denn im Geist Herr, indem er sagt: 44 "Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde lege unter deine Füße"? 45 Wenn nun David ihn Herr nennt, wie ist er sein Sohn? 46 Und niemand konnte ihm ein Wort antworten, noch wagte jemand von dem Tag an, ihn weiter zu befragen. (Mt 22)

Eine Frage nach dem Christus (Messias) im Neuen Testament
Kaum eine Stelle im Neuen Testament trifft mehr ins Herz der Auseinandersetzung zwischen Trinitariern und Unitariern.
Sie ist vor allem deswegen so brisant, weil sie uns keine leicht erkennbare, eindeutige Antwort gibt. Sie lässt die Frage nach dem Christus offen. Wie eine Art Rätselspruch lässt sie den Leser und ganz offenkundig auch den damaligen Hörer zurück mit einer Frage, über die er nachdenken soll. Wenn also mancher dem Nachdenklichen damit kommt, er dürfe oder solle darüber nicht nachdenken, man müsse nicht alles wissen, dann ist diese Stelle in den Evangelien eine deutliche Zurechtweisung solcher Stimmen, denn immerhin stellt diese Frage hier der Herr selbst. Es ist NICHT die Frage hochmütiger Gelehrter, sondern etwas, was Jesus selbst den Menschen mit auf den Weg gibt. Denken wir also darüber nach!
Wie wichtig das Nachdenken über diese Frage sein dürfte, offenbart ein Satz aus dem sogenannten „hochpriesterlichen Gebet“ Jesu kurz vor seiner Hinrichtung:
„1 Dies redete Jesus und hob seine Augen auf zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist gekommen. Verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrliche,2 wie du ihm Vollmacht gegeben hast über alles Fleisch, dass er allen, die du ihm gegeben hast, ewiges Leben gebe!3 Dies aber ist das ewige Leben, dass sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen. (Joh 17)
Wenn das ewige Leben davon abhängt, dass wir erkennen, wer Vater und Sohn sind, dann darf niemand uns ein schlechtes Gewissen einjagen, wenn wir alles dran setzen, diese Frage immer wieder „in unseren Herzen bewegen“, wie es einst Maria tat, denn auch über sie wird immer wieder gesagt, sie habe dies getan, wenn es um die Frage danach ging, wer eigentlich ihr Sohn in Wahrheit ist!
Wie die damaligen Pharisäer empfinden wir, dass wir vor ein Rätsel gestellt werden, das niemand so leicht zu lösen vermag, das sich nicht über eine philosophische Spekulation erschließt, aber doch mit den inneren Augen erkannt werden kann, das uns aber vor die äußeren Augen hält, dass Jesus als Mensch etwas ist, das wir in äußerer Gedanklichkeit nicht erreichen können, obwohl doch auch wir Menschen sind. Wir spüren, dass die Frage nach seinem Menschsein mit uns viel mehr zu tun hat, als wir es spontan ertragen oder verstehen können.
Nach den Schriften der Israeliten wird der Messias der Sohn Davids sein, also ein konkreter Nachfahre König Davids. Konkret nach der Blutlinie, konkret nach jüdischem Verständnis aber auch der „Art“ nach, dem „Geist“ nach. Das Geschlecht Davids meint viel mehr als die Nachkommen seines physischen Samens, denn die werden uns schon im AT weitgehend als Abtrünnige gezeichnet. Es muss also um mehr gehen. Von David heißt es, er sei ein „Mann nach dem Herzen Gottes“ gewesen (1. Sam 13,14; Apg 13,22). Der Christus wird ihm darin entsprechen. Die leiblichen Nachkommen, ja sogar die geistigen Nachkommen Davids aber entsprechen ihm darin in aller Regel nicht. Nur wenige Ausnahmen führen am Ende zu der leiblichen Davidstochter Maria, die Jesu wirkliche Mutter war und ihn insofern auch zu einem wirklichen, leiblichen Nachkommen Davids qualifizierte, — abgesehen von der geistigen Prägung, die sie ihm gab — , und dem Davidssohn Josef, dem Ziehvater Jesu, der — ohne dem Samen nach sein Vater zu sein — geistig doch ganz und gar ein Sohn Davids war und insofern dem Jesuskind ein wahrer davidischer Vater sein konnte.

Maskil — Zum Unterschied von Weissagung (N’vuah) und verselbständigter Weisheit (Chochma)
Der zentrale Hinweis auf diese Qualität Davids als „Mann nach dem Herzen Gottes“ und des Bundes Gottes mit ihm erzählt Psalm 89. Dieser Psalm ist ein „maskil“, wie es zu Anfang heißt. Buber nennt dies „Eingebungsweise“ und deutet damit, subtil und feinsinnig den prophetischen Charakter an (s.u.). Im biblischen Kontext ist ein „maskil“ ein Lehrgedicht. Später wurde im Judentum aus dem „maskil“ ein Gelehrter, ein Verständiger, ein Philosoph, einer der weniger das Sagenhafte als das Logische und Erkennbare ins Licht hebt.[1] „Maskil“ kommt vom Wortstamm „s-ch-l“ und dort der Hifil-Form „hiskil“: zu deutsch bedeutet dies „Einsicht haben“, „verständnisvoll/verständig sein“. „Sechel“ ist der menschliche Verstand.[2]
Wir werden sehen, welche geistige Haarlinie sich in diesem Begriff des „maskil“ ausdrückt:
Ein „maskil“ also, eine Herausforderung unserer Erkenntnis und unseres Nachdenkens, gibt uns in Psalm 89 der Dichter Eitan, „Eitan, der Esrachiter“, der im Ersten Buch der Könige als einer der weisesten Männer benannt wird, dem nur König Salomo überlegen ist (1. Kön 5,11). Der „maskil“ hängt folglich mit der „chochma“, der Weisheit, zusammen. Was ist echte, lebendige Weisheit ist in diesem biblischen Zusammenhang? Sie ist nicht Geheimwissen oder Arkanlehre, sondern die Einsicht, die dem Menschen allgemein möglich ist, zu der jeder herausgefordert werden soll, der den Psalm liest. Die Einsicht stellt sich aber auf eine prophetische Weise ein, keine „logische“.
Doch was „lehrt“ uns dieser Psalm 89 oder besser: was „lehrt“ er mich?
Es ist ein eigentümlicher Text. Er beginnt mit dem Lobpreis der Treue Gottes zu dem Bund, den er mit David geschlossen hat. David ist bereits eine messianische (gesalbte) Gestalt. Menschen, mit denen Gott zuvor einen Bund schloss (Noach, Abraham, Mose etc.) erhielten zwar Berufung und Verheißung, aber keine Salbung. Die Salbung hat prophetischen und königlichen Charakter. Sie erfolgt mittels eines Salböls und/oder des Geistes Gottes.
Gepriesen wird nun die Größe Gottes, die unvergleichlich ist, unvergleichlich mit allem, was im „Luftraum“ („schachak“) ist, in dem die „bnei elim“ sind, die „Göttersöhne“, oder „Gottessöhne“, wie oft auch übersetzt wird. Gott begrenzt den Hochmut des Meeres, er hat das (mythische) Chaos-Ungetüm Rahav, das im Meer haust und ein Verwirrer, Bedränger und Durcheinanderbringer ist, durchbohrt. Rahav wird gelegentlich mit Ägypten identifiziert, aus dem Gott die Hebräer herausgeführt hat (Ps 87).
Dann zitiert Eitan die Visionen seiner Vorfahren:
„Hilfe (bzw eine Krone) habe ich auf einen Helden gelegt, ich habe einen Auserwählten erhöht aus dem Volk. 21 Ich habe David gefunden, meinen Knecht. Mit meinem heiligen Öl habe ich ihn gesalbt. 22 Meine Hand soll beständig mit ihm sein, und mein Arm soll ihn stärken. 23 Kein Feind soll ihn bedrängen und kein Sohn der Ungerechtigkeit ihn bedrücken. 24 Ich will seine Bedränger vor ihm zerschmettern. Die ihn hassen, will ich niederstoßen. 25 Meine Treue und meine Gnade sollen mit ihm sein, und durch meinen Namen soll sein Horn erhöht werden. 26 Ich will seine Hand auf das Meer legen, und seine Rechte auf die Ströme. 27 Er wird mich anrufen: Mein Vater bist du, mein Gott und der Fels meines Heils! 28 So will auch ich ihn zum Erstgeborenen machen, zum Höchsten unter den Königen der Erde. 29 Ewig will ich ihm meine Gnade bewahren, und mein Bund soll ihm festbleiben. 30 Und ich will seine Nachkommen einsetzen für immer und seinen Thron wie die Tage des Himmels.“ 
Hier fällt auf, dass diesem Davidssohn, dem „gibor“, dem „Helden“, begabt mit Kraft bis an die Grenzen des Menschlichen, der da kommen soll, etwas von der zuvor beschriebenen Macht Gottes gegeben wird: Wie Gott wird er das Meer beherrschen können. Aber es ist Gott, der seine Hand nimmt und auf das Meer legen wird. Die Stelle beschreibt keine göttliche Gestalt, die dies aus sich heraus vermag, sondern von Gott selbst dazu autorisiert und erhöht wird. Diese Erhöhung greift Jesus selbst immer wieder auf und bezieht sich auf sie (s.u.).
Und der gesalbte „gibor“ wird Gott als „awi“, als „mein Vater“ anrufen — im Alten Testament eine absolute Seltenheit. Von niemandem wird das berichtet, nicht von Adam und Eva, noch von Noach oder Abraham, noch Sara oder Jakob, auch nicht von Aaron, Mose oder Miriam. Diese Anrede ist außergewöhnlich.
Weder ein Feind noch der „ben avla“, der „Sohn der Deformation/Sünde“ darf ihn überwältigen; dieser Begriff kehrt im NT als „filius perditionis“ wieder und meint einmal den Verräter Judas, das andere Mal den Antichristen.
Nun folgt eine Klage darüber, dass Gott seinem „maschiach“, seinem Gesalbten, zürnt. Die Konfrontation könnte kaum eindringlicher beschrieben werden:
„40 Preisgegeben hast du den Bund mit deinem Knecht, hast zu Boden geworfen und entweiht seine Krone. 41 Du hast niedergerissen all seine Mauern, hast seine Burgen in Trümmer gelegt. 42 Es haben ihn alle ausgeplündert, die des Weges vorübergehen. Er ist zum Hohn geworden seinen Nachbarn. 43 Du hast erhöht die Rechte seiner Bedränger, hast erfreut alle seine Feinde. 44 Auch hast du zurückweichen lassen die Schärfe seines Schwertes und hast ihn nicht bestehen lassen im Kampf. 45 Du hast aufhören lassen seinen Glanz und zur Erde gestürzt seinen Thron. 46 Du hast verkürzt die Tage seiner Jugend, mit Schmach hast du ihn bedeckt. //“
Wie ist das möglich? Wie kann das sein? Gott hat doch einen Bund geschlossen?
Eitan hat zuvor schon eine Antwort aus der alten Vision gegeben:
„31 Wenn seine Söhne mein Gesetz verlassen und nicht wandeln in meinen Rechtsbestimmungen,32 wenn sie meine Ordnungen entweihen und meine Gebote nicht halten,33 so werde ich ihr Vergehen mit der Rute und ihre Ungerechtigkeit mit Schlägen heimsuchen. 34 Aber meine Gnade werde ich nicht von ihm weichen lassen und nicht verleugnen meine Treue. 35 Ich werde meinen Bund nicht entweihen und nicht ändern, was hervorgegangen ist aus meinen Lippen. 36 Einmal habe ich geschworen bei meiner Heiligkeit - wie könnte ich David täuschen!“
Es gibt David und die Mitte seiner Söhne. Sie haben den Bund gebrochen, und sie spüren die Folgen, aber Gott hat den Bund nicht gebrochen.
All diese Ungereimtheit, die wir erleben, hängt damit zusammen, dass Gott seinem Bund treu ist, aber wir nicht. Genau diese Ungereimtheit und Schmach liegt auf dem „maschiach“, dem „Gesalbten Gottes“, dem Sohn Davids. Er oszilliert zwischen der versprochenen Erhöhung und Befähigung und den irrlichternden Wahnwelten, die ihn umtosen und förmlich „umwerfen“ dürfen, weil er einer der Menschen ist, weil seine menschlichen Geschwister ihn in diese Lage bringen, die alle Menschen dem Tod aussetzt, auch den Gesalbten. Er wird für das geschlagen, was seine Brüder und Schwestern hervorgebracht haben: die Huldigung an Rahav, die Herausforderung der Meereswogen, die Kontaktaufnahme mit dem „ben avla“, dem Sohn des Verderbens, die verkehrte Wahl und den Hohn über die Wahrheit.
Eitan schließ mit der Anrufung Gottes, die Ihm vor Augen halten will, dass niemand aus dieser Verfangenheit kommen kann ohne die Hilfe des Allerhöchsten, die er David doch deswegen geschworen hat, eben weil keiner der „bnei adam“, der Menschenkinder, sich selbst helfen kann in dieser Not:
„49 Welcher Mann lebt und wird den Tod nicht sehen, wird sein Leben befreien von der Gewalt des Scheols? // 50 Wo sind deine früheren Gnaden, Herr, die du David zugeschworen hast in deiner Treue? 51 Gedenke, Herr, der Schmach deiner Knechte. In meiner Brust trage ich all die vielen Völker mit ihrem Hohn, 52 womit deine Feinde gehöhnt haben, HERR, womit sie gehöhnt haben die Fußspuren deines Gesalbten! 53 Gepriesen sei der HERR ewig! Amen, ja Amen!“
Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass dies ein prophetischer Psalm eines weisen Mannes ist. Es verbindet sich die Gelehrsamkeit und Erkenntnis mit der Gabe der Prophetie, der Weis-sagung. Eine „gesunde“ oder „lebendige“ Weisheit außerhalb dieser Verbindung gibt es nicht und grenzt solche Verständigkeit ab von allem okkulten, verselbständigten Wissen. Hier spielt mit hinein, dass die Schlange Eva damit verführte, ihr solche „Weisheit“ in Aussicht zu stellen, „Wissen“, das Wissen um Gut und Böse, als sei es eine definierbare geistige Welt, in die man „eingeweiht“ werden könnte. Der Baum, so heißt es, habe Eva gefallen, weil er „verständig macht“, „lehaskil“. Wir haben hier wieder unseren Wortstamm „s-ch-l“ (Gen 3,6).
Die „Weisheit Ägyptens“ hat mit dem „maskil“ und der Weissagung deshalb nichts zu tun, weil das eine losgelöst von der Vitalität Gottes und statisch, als ein gigantisches Normengebilde verstanden ist, das andere an die Vitalität Gottes gebunden und von ihr in jedem Moment inspiriert.
Statische Weisheit ist nicht dasselbe wie dynamische Weisheit. In Salomo brach sich beides. Sie sind, obwohl gleichen Ursprungs, Kontrahenten wie Finsternis und Licht.[3] Das eine, die Weissagung, die „n’wuah“, die den „nawi“, den Propheten hervorbringt, ist nicht dasselbe wie die Weisheit, die als „chochma“ sich verselbständigt und den Weltweisen „chacham“, den Schriftgelehrten oder Weisheitslehrer im genauen Wortsinn, aber keinen Propheten, hervorbringt. Erstere ist ihrem Ursprung liebend zugewandt und in ihm schwingend, die andere kehrt den Ursprung in ein mechanistisches Gefüge, dem der Weise Leben verleiht durch sein Weise-Sein.

Herr 1, Herr 2 und Sohn
Doch zurück zu unserer Szene mit Jesus und den Pharisäern. Der Rätselspruch bringt den normalen menschlichen Sinn durcheinander, weil die hierarchischen Beziehungen in ihm ähnlich wie auf der „unmöglichen Treppe“, die der Mathematiker Penrose entwickelt hat, ins Wanken kommen. Man kann sagen, dass Jesus mit einem Handstreich unsere hierarchische Denkweise zusammenstürzen lässt. Was hier über den Messias gesagt wird, wirkt absurd angesichts unserer hierarchischen Logik, aber die Pharisäer spüren, so wie wir alle, dass nicht das Wesen des Messias absurd ist, sondern unser hierarchisches Denken …
Der Christus ist der Sohn Davids. Söhne sind immer den Vätern unterstellt nach der Logik der Menschen. Wie kann es dann sein, dass der Vater den Sohn als „Herrn“ anspricht?
„Wenn nun David ihn Herr nennt, wie ist er sein Sohn?“
Man könnte zunächst sagen, eine der Prämissen ist dann eben falsch: Er ist nicht der Sohn Davids, oder aber er ist nicht der Herr Davids. Nun wird aber letzteres ausgeschlossen durch die Bemerkung, dass der „Herr des Herrn“ jenen zu sich erhöht und auffordert, zu seiner Rechten Platz zu nehmen. Im Bild gesprochen sitzen da nun zwei auf dem Thron: der erste und eigentliche Herr und der zweite, den er zu sich erhöht. Dass dieser zweite Herr ein Sohn Davids sein wird, ist in der Schrift viele Male bezeugt, dem Glaubenden unmöglich zweifelhaft.
In der Tat überschneidet sich im zweiten Herrn, dem „Herrn 2“ der „Herr 1“, also der eindeutig als Gott gezeichnete Herr, mit David, dem königlichen Menschen. IST er darum aber, wie die Trinitätslehre es dogmatisch definiert, sowohl Gott als auch Mensch, ein „Gottmensch“? Oder ist nicht genau eine solche Lehre der Versuch, etwas, das nur in der lebendigen Weisheit Gottes verständlich ist, festzubannen in einen albernen menschlichen Satz, der in seiner „Weisheit zu Torheit“ wird?
Dem muss man in jedem Fall entgegenhalten: Was den „Herrn 2“ zu einem „Herrn“ macht, hat er übertragen bekommen und nicht aus sich selbst heraus. Dies geht eindeutig aus dem Zitat hervor, das in Mt 22 direkt aus Psalm 110,1 übernommen wird. Jeder schriftkundige Israelit kannte diese Stelle. Einer, der bereits wesensgleich mit Gott ist, muss von ihm nicht erhöht werden zu seiner Rechten. Gemeinhin entgegnet der traditionsbewusste Katholik diesem Argument, diese Sätze aus dem Psalm und den Evangelien seien ja nur „secundum hominem“ gemünzt, also nur hinsichtlich der Menschheit Christi, die nun mit-erhöht würde. Das Menschsein, das sich die Gottheit durch ihre Inkarnation angezogen habe, habe sie gewissermaßen „heruntergezogen“ in unsere Niederungen und müsse nun hinaufgehoben werden.
Ganz einsichtig ist das allerdings nicht, denn wenn einer „Gottmensch“ ist, ist er, bevor er Mensch ist doch unhintergehbar Gott und müsste aus eigener Macht auch die Erhöhung seines Menschseins schaffen. Andernfalls ist er eben doch nicht wesensgleich mit Gott. Man kann vermuten, dass die Arianer genau daran auch hängeblieben, nach menschlicher Denkweise ja völlig zu recht! Denn zum göttlichen Wesen gehört auch die Allmacht oder Machtfülle. Wir kenn die poetische Formulierung „Er entäußert sich all seiner Gwalt“ aus einem Kirchenlied — nur: wo steht das in der Schrift? Die Stelle in Philipper 2,6, die hier als Beleg angeführt wird, sagt genau dies allerdings nicht, sondern etwas anderes, worauf ich schon einmal eingegangen bin (Link—) und noch einmal eingehen werde an anderer Stelle. Die „Entäußerung der Gewalt“ ist bereits theologische Auslegung im Sinne der kirchlichen Dogmatik.
Man argumentiert hier so, als ob Gott einer „multiplen Persönlichkeitsstörung“ nahekomme, in sich selbst gewissermaßen Personen abgespalten, sich dissoziiert habe.
Ich muss zugeben, dass mich der Gedanke abstößt und in seiner Greulichkeit und Monstrosität in die Flucht schlägt: Kann das sein? Was immer sich um Gott herum bewegt an „z’waot“, an „Heerscharen“, wer immer im Luftraum und im Meer an „bnei elim“ oder „Rahav“, „Leviatan“, „Tannin“, Göttern, Engeln und Dämonen etc. unterwegs ist, wovon das AT ja durchaus deutlich Kunde gibt: Gott, der Allerhöchste, ist einer und spricht immer als einer.
Er ist eben nicht dieser seltsame Chamäleondrache, der ständig die Maske wechselt (und „persona“ heißt eigentlich „Theatermaske“!). Dass er sich im Menschen abgebildet hat bedeutet nicht, dass damit eine multiple Persönlichkeit gemeint ist. Dieser Rückschluss ist und bleibt selbst nach logischen Kriterien unzulässig. Man würde auch von keinem menschlichen Elternpaar sagen, sie drückten sich wegen ihrer zahlreichen Kinder in zahlreichen Personen aus, die aber alle „eins“ seien, nämlich sie selbst. Das ist absurd. Man gefällt sich zwar in dieser nebulösen Rede von den „allen“, die irgendwie „eins“ sind, aber man bleibt in diesem gedanklichen Sumpf auch so tief stecken, dass man in aller Regel nicht mehr vordringt zu der Frage, wer Vater und Sohn wirklich sind, der Frage, die ja nicht dogmatisch definiert werden sollte, sondern um die geistig gerungen werden müsste.
Müssten wir nicht täglich rufen: Wer bist Du, Gott, Vater? Wer bist Du, Herr Jesus, sein Messias und Sohn?
Aber ist es nicht gerade diese Frage, die wir Gott gar nicht mehr stellen, weil wir glauben, aufgrund einer kirchlichen Feststellung wüssten wir es schon ganz genau?
Nach dem Johannes-Evangelium ist aber genau dies die Frage aller Fragen des Glaubens (s.u.)!
Die Frage ist, wie diese Überschneidung zwischen Gott und Mensch zu deuten ist, gilt sie doch generell jedem Menschen von der Schöpfung her, die den Menschen grundsätzlich, ob Mann ob Frau, „im Bild Gottes“ bekennt und bezeugt, dass jeder und jede ursprünglich sogar „in der Gestalt Gottes“ ist (Gen 1). Die Misere der „bnei adam“ liegt darin, dass sie diesen Status verloren oder verwundet haben und sich den Ungeheuern ausgeliefert haben, etwa dem Rahav. Der „Herr 2“, wiewohl ein Mensch, weil er von einer leiblichen Nachfahrin Davids geboren wurde, die von besonderen Qualitäten ist, weil sie als solche Nachfahrin von Gott „mit höchster Gunst/Gnade erfüllt“ wird, als „kecharitomene“ (Lk 1,28), ist von dieser Verfangenheit jedoch ausgenommen. Die Außerordentlichkeit beginnt tatsächlich schon bei Maria, aber nicht nur bei ihr. Der „Sohn Davids“, der als „maschiach“ verheißen war, sollte nicht aus dem Schmutz davidischer Deformationen kommen, sondern von jemandem, der selbst eine gewisse davidische „Messianität“ aufwies. Es ist daher von Belang, dass auch Josef, der Mann Marias, als „Gerechter“, als „dikaios“ (was dem hebräischen „zaddik“ entspricht) beschrieben wird. Jesus wurde also von einer Frau hervorgebracht, die ebenfalls „nach dem Herzen Gottes“ war und geschützt von einem Mann, der den höchsten jüdischen Ehrentitel trug, der dasselbe bedeutet: einem Gerechten.
Dass in der „Heiligen Familie“ bereits die gängigen hierarchischen Strukturen gebrochen wurden, habe ich an anderen Stellen immer wieder beschrieben. Die protestantische Aversion gegen eine Seligpreisung Marias verweigert sich tatsächlich der Schrift, die solche ausdrücklich vorsieht, wenn auch nicht in der Verzerrung, die die Verehrung in der Kirche erfahren hat. Das soll uns hier aber nicht weiter beschäftigen.
Der „Hammer“ ist vielmehr die Konstellation vom Vater David, der seinen Sohn „im Geist“ (wie Jesus sagt) als „Herrn“ anspricht. Die typisch menschliche Reaktion zu sagen, dann müsse dieser Sohn irgendwie Gott sein, wobei man mit einer abenteuerlichen Argumentation über die Begriffe „adonai“ (für Gott) und „adoni“ (Christus, eigentlich „mein Herr“) in Psalm 110,1, in der LXX generalisiert mit „kyrios“ wiedergegeben, schließt, dann müssten folglich alle, die irgendwie mit „kyrios“ angesprochen werden, irgendwie auch Gott sein. Das ist nicht nur unkorrekt in Betrachtung des hebräischen Grundtextes, sondern auch sonst.
Inwiefen ist der „maschiach“, der Christus, ein „kyrios“, ein „adon“, ein „Herr“? Er ist es den Schriftstellen gemäß einzig und allein deswegen, weil Gott ihn dazu autorisiert hat. Und Gott kann erhöhen wen er will und weswegen er will.
Jeder Schluss, der darüber hinausgeht, ist außerhalb dessen, was wir wissen können.
Jesus wurde von Gott erhöht. David sah, dass einer seiner Nachkommen von Gott erhöht werden würde und dies für ewig, denn das wusste offenbar auch Eitan genau.
Jesus wiederum wusste es auch, und er wusste auch, dass er derjenige ist. Aber in der Diskussion mit den Pharisäern lag sein schmachvoller Weg, den Eitan beschrieben hatte, noch vor ihm. Jesus konnte zu diesem Zeitpunkt noch nichts weiter dazu sagen, aber alle anderen spürten, dass „etwas in der Luft lag“, dass eine gewaltige Bewegung auf sie zukam, die Erlösung verhieß oder Verderben, je nachdem, was der einzelne Mensch wählt.
Kurz vor seinem Tod aber ist uns das hochpriesterliche gebet Jesu überliefert, das viel mehr Auskunft gibt über die rätselhafte Stelle in Psalm 110 und den Evangelien:

„Ehe die Welt war“
Jesus spricht unter Worte:
„4 Ich habe dich verherrlicht auf der Erde; das Werk habe ich vollbracht, das du mir gegeben hast, dass ich es tun sollte. 5 Und nun verherrliche du, Vater, mich bei dir selbst mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war! 6 Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Dein waren sie, und mir hast du sie gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt. 7 Jetzt haben sie erkannt, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir ist; 8 denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie angenommen und wahrhaftig erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und haben geglaubt, dass du mich gesandt hast.“ (Joh 17)
Viele lesen aus diesen Sätzen ebenfalls die Trinitätshypothese ab. Sie fragen, was denn anders damit gemeint sein soll, dass Jesus betet „Und nun verherrliche du, Vater, mich bei dir selbst mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war!“ 
Sie verstehen diese Worte iS einer Präexistenz Jesu bei Gott. Und da er bei Gott und nicht irgendwo anders war, denken sie, er müsse ebenfalls Gott sein. Der Gedankengang ist nachvollziehbar, aber ist er tatsächlich das, was da steht?
In den wenigen Sätzen finden wir nicht nur den scheinbaren Hinweis auf eine Präexistenz Jesu bei Gott, sondern undeutlich auch eine Präexistenz der Seinen, die Jesus ihm wieder zuführen sollte, in Vers 6: „Dein waren sie…“. Man kann aber bei vorsichtiger Untersuchung nicht behaupten, dass hier von einer Präexistenz die Rede ist. Wir sind gewohnt, mit solchen Vorstellungen umzugehen und sind stets in der Gefahr der Projektion. Der Text sagt genau genommen nichts anderes als, dass Gott alles vorherweiß und vorherwusste, dass er alles vorhergesehen hat und alles umschlossen ist in seinem Plan. Er hatte vor aller Schöpfung schon seinen „maschiach“ vor Augen in aller Schönheit und genauso alle, die die Seinen sein würden. Wie genau sich dieses Vorherwissen Gottes gestaltet, können wir aus dieser Stelle nicht erfahren.
Wesentlich wichtiger aber ist, dass Jesus dem Vater sagt, er habe nun den Auftrag erfüllt, dem Vater die Seinen wieder zuzuführen. Sie sind wieder in die richtige Richtung „ausgerichtet worden“, haben die rechte „Peilung“ erfahren, präzise auf den Vater hin durch das, was Jesus ihnen vom Vater überliefert hat. Jesus sagt, sie hätten es dadurch erkennen können. Es wundert mich, dass diese so wichtige Feststellung Jesu völlig ins Hintertreffen kam vor der Spekulation über die Trinitätslehre.
Das lange Gebet Jesu umkreist die Einigkeit von Vater und Sohn, aus der die Einigkeit der Seinen folgen soll; erwähnt wird, dass die Kluft zum gegenwärtigen „kosmos“ sich so sehr vergrößern wird, dass die Seinen, wenn sie nun zurückbleiben und Zeugen Jesu sein werden, umhüllt und bewahrt werden müssen. Jesus sorgt sich um den „maskil“, dass er lebendiges Gotteserlebnis und Weissagung bleibe und nicht zu toter confessio werde, an der jeder lebendige Glaube zerbrechen wird, wie wir es nun jahrhundertelang erlebt haben. Wie Leopold Ziegler es in einem Aufsatz hellsichtig darlegte[4], störte nichts das lebendige Gottesverhältnis mehr als der Zwang zu Bekenntnissen, dem die Schwurformel „Wenn du nicht x glaubst, bist du ausgeschlossen“ zugrunde liegt und nicht der Jubel über die persönlich erfahrene Beseelung und die persönliche Hoffnung auf die Auferweckung.
Wir finden zurück zu der Unterscheidung von lebendiger Weissagung und Verständigkeit und toter Weisheit, dem Bewegtwerden von Gott, der vor aller Zeit um mich wusste in Christus, und dem Eingeweihtwerden in ein mechanistisches Geheimwissen ohne das „Abbild des unsichtbaren Gottes“ (Kol 1,15). Philippus bat Jesus einst: „Zeige uns den Vater!“ Jesus antwortete ihm: „Wer mich sieht, sieht den Vater!“ (Joh 14,8f) Auch in diesem Abschnitt geht es wieder um die dringende Notwendigkeit, den Vater durch den Sohn zu erkennen. Das alles heißt aber nicht, dass der Sohn Gott ist, sondern es heißt, dass er sein vollkommenes Abbild ist — das, was der Mensch eigentlich hätte sein sollen. Wir dürfen nicht — trinitarisch gebildet — Rückprojektionen in die ursprünglicheren Texte vornehmen. Präzise verstanden geben sie nicht das her, was die Kirche behauptet.
Das, was sie aber hergeben, ist brisant, weil davon das ewige Heil abhängt. Ich möchte uns alle dazu ermutigen, das NT im Hinblick auf diese Dinge neu zu lesen. Es ist nicht wichtig, sich in zeitbedingte Gemeindeordnungen zu vertiefen und seine Mitmenschen damit zu schikanieren, wie es so oft unter Christen geschieht. Davon hängt fast gar nichts ab.
Von der Erkenntnis darüber, wer der Sohn ist und wer der Vater, hängt alles ab.





[1] https://www.wortbedeutung.info/Maskil/
[2] Langenscheidt-Achiasaf, Handwörterbuch Hebräisch-Deutsch von Jaacov Lavy, Berlin München Tel Aviv 1975, S. 570
[3] Zu diesem Schluss sind andere Gelehrte gekommen. Das Online-Portal der Deutschen Bibelgesellschaft schreibt beispielsweise im selben Sinn unter dem Stichwort „Weisheit“:
„Weisheit blendet alles aus, was mit Gottes Handeln in der Geschichte seines Volkes zu tun hat. Zugang zur Geschichte könnte dort geschehen, wo das Königtum zur Sprache kommt, das aber nicht in konkreten geschichtlichen Verortungen, sondern in übergreifenden Aussagen zum Wesen des Königtums verhandelt wird (dazu Blumenthal mit einem Vergleich Ägypten – Israel). Parallel zur Ausblendung der Geschichte in der älteren Weisheit geht die Ausblendung der Prophetie. Weisheit und → Offenbarung erweisen sich so zunächst als alternative Konzeptionen für die alttestamentliche Weltsicht (von Rad; auch Crenshaw).“ https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/weisheit-at/ch/a1e1bd748bb6b5326fcf7c72780593a4/
Es ist daher auch fragwürdig, ob in der „Weisheit“ der „Logos“ vorgeformt sei, wie Trinitarier traditionell meinen und darin der Christus als „personifizierter Weisheit Gottes“. Manche übertragen dies auf Maria. Beides ist so betrachtet unplausibel: Der Christus ist eine einmalige menschliche Gestalt, die nicht in der Weisheit, auch nicht der Weisheitsliteratur, sondern ausdrücklich und ausschließlich in der Prophetie, der Weissagung vorgeformt wurde.
[4] Leopold Ziegler: Gotterlebnis oder Konfession. Online http://www.leopold-ziegler-stiftung.de/werke/6/gotterlebnis-oder-konfession