Freitag, 9. November 2018

Trinitätslehre auf dem Prüfstand - Brief VII an Unitarier und Trinitarier: Zahlen, Zählbarkeit, Maßwerke



Zahlen, Zählbarkeit, Maßwerke


Die gesamte Trinitätsdebatte krankt daran, dass sie mit instabilen Zahlbegriffen hantiert.

Was sind Zahlen?
Wir nutzen sie einerseits zur Theoriebildung und Abstraktion von unserer Wahrnehmung. Wir vermessen die Welt, erklären Relationen und berechnen alles Mögliche, das wir danach als „Wirklichkeit“ behaupten. Solange das, was wir berechnet haben, irgendwie „funktioniert“ in einem „Weltapparatverständnis“, sehen wir unsere Theorien bestätigt.
In einem solchen Konstrukt ist die Zahl ein Mittel, um die Welt quantitativ auf der Basis einer Grundeinheit zählbar zu machen.
Wir nutzen sie andererseits als aber auch, vielleicht abgeleitet von unserer empirischen Erfahrungswelt, um rein abstrakt gedachte Ordnungen zu untersuchen, für die wir verschiedene Typen von Zahlen oder Zahlbereiche definieren. Zahlen sind mathematische Objekte, die in geordneten und definierten bzw definierbaren Beziehungen zueinander stehen.
Zahlen tauchen auch als Ziffern und Nummern auf. Sie markieren Objekte im Sinne einer Etikettierung und Listung. Eine solche Markierung erfolgt im Rahmen eines mengentheoretisch gedachten Zählmodells und reduziert das Objekt auf willkürlich erfasste Merkmale, die es mit anderen Objekten innerhalb einer Menge gemeinsam hat.
Wir gehen in der digitalisierten Postmoderne mit Zahlen- und Symbolcodes, mit Verschlüsselungen der Dinge in Abfolgen von Ziffern und anderen Symbolzeichen nach definierten Ordnungen.
Es gibt aber auch die Zahl als „heilige Zahl“ verstanden.
Bestimmte Zahlen sind Symbole für etwas Mystisches oder Okkultes. Etwa taucht in der Hl. Schrift sehr oft die Zahl 7 als eine Zahl auf, die zur Vollkommenheit Gottes steht, aber als solche nicht erklärt wird. Es ist eine Setzung.
Die Zahlsymbole haben einerseits eine außerhalb der Zahl liegende Bedeutung (etwa die „Vollkommenheit“ denken wir uns auch ohne die Zuordnung zur 7), andererseits suggerieren sie eine Verknüpfung des Begriffes mit etwas Numerischem, können den Zusammenhang aber nicht abstrakt klären. Während mathematische Zahlen formell bleiben, gewinnen sie in der Numerologie einen ontologischen Wert zu ihrem rein formellen Wert hinzu. Uns begegnet ein solche Umgang mit Zahlen oder auch Symbolquantifizierungen zB in der Kabbala, der Alchemie, dem Templermythos, der Freimaurerei, verschiedenen Mystiken, aber auch der Musikphilosophie und der Astrologie. Die Debatte um den „Bibel-Code“, der in den vergangenen Jahren viele faszinierte, gehört mit hinein in dieses Phänomen.

Das bedeutet zusammengefasst, dass wir Zahlen als formelle mathematische Objekte wahrnehmen, mithilfe derer wir unsere Welt quantifizieren und strukturieren. Andererseits finden wir Strukturen in der Natur vor, die wir mithilfe der Zahlen verallgemeinernd beschreiben können.
Eine postmoderne, gefährliche Entgleisung stellt die (digitalisierte) Bezifferung und Codierung von Personen, Personenmengen dar.
Trotzdem kennen wir die „heilige Zahl“ intuitiv und ohne dass wir verstehen könnten, warum sie heilig ist bzw heilige Ordnungen neben zerstörerischen Impulsen darstellen kann.

Ein Trinitarier kann nicht sagen, warum es so wichtig ist, dass Gott „drei in einem“ ist. Die Schrift gibt ihm keinen eindeutigen Hinweis darauf. Die Tatsache, dass Gott sich dem Menschen auf verschiedene, jeweils nicht vergleichbare Weise zeigt, lässt den Schluss auf eine Trinität im Sinne einer geheimnisvollen Summe dreier Personen nicht zu. 1+1+1 ist in der Tat niemals 1, wenn man so will. Aber schon eine Änderung der Beziehung der drei Einsen zueinander, eine Herauslösung aus dem sehr schlichten Summenkonzept ergibt ein anderes Bild: Man könnte es als Potenz oder Wurzel denken, und dann stellt man fest, das 1x1x1 oder 1³ sehr wohl 1 ist oder 1:1:1 ebenfalls 1 ist. Allerdings müsste man dann die Dreierpotenz relativieren und zugeben, dass sie in Wahrheit eine n-Potenz ist. Aber auch bei einer schlichten Summe, die meint, dass 3x1 dennoch 1 bleibt, müsste zugeben, dass n1 = 1. Der Trinitarismus macht sich an dieser Stelle etwas vor. Voraussetzung zu dieser Überlegung ist, dass man die 1 als Basiszahl einer Zahlenreihe annimmt.
Versteht man die 1 anders, nämlich als eine allumfassende Menge aller Dinge, dann passt in sie summarisch und potenziell alles hinein.
Nun haben aber auch die Unitarier ein Problem: Wenn Gott 1 ist im Sinne einer Abgrenzung von allem Potenziellen in der Eins, dann reduziert man ihn auf eine Basiseinheit des Seienden. Mir erscheint das ungehörig — immerhin handelt es sich um Gott und nicht um eine buchhalterische Recheneinheit.

Zahlenmystiker werden mir antworten, hier träfe eben ein numerisch-mystisches mit einem formell-mathematischen Zahlenverständnis zusammen — und zwar werden das sowohl unitarische als auch trinitarische Numerologen so sagen müssen.

Wir befinden uns also in einem Circulus vitiosus.
Warum es heilige und destruktive Zahlsymbole gibt, hat uns noch niemand schlüssig erklären können, aber die Zahlenmagie reizt uns natürlich, uns, die wir „doppelseitig“ angelegt sind mit zwei Armen und Beinen, Augen, Ohren, Nasenlöchern, Lungenflügeln, Nieren, Eierstöcken, Hoden, Brüsten, Hinterbacken…
Was immer wir glauben — Zahlen gehören in unsere Schöpfung hinein.

Ob sie deswegen in den gesamten Kosmos gehören, ist damit nicht bewiesen.
Die meisten Denker gehen davon aus, dass die irdischen Naturgesetze auch im ganzen Kosmos gelten müssten.
Das aber wissen wir nicht.
Und in jedem Fall ist ein umfassender Schöpfergott seiner Schöpfung nicht oder nicht 1:1 unterworfen. Die „Ebenbildlichkeit“ von Mann und Frau zu diesem Gott lässt keine Schlüsse auf die genaue Art des Abbildes zu, schon gar kein numerisches.
Und noch weniger kann man Rückschlüsse vom Abbild auf das Urbild in formeller Hinsicht ziehen. Es bleibt stehen: „Keiner hat Gott je gesehen“.

Ich weiß nicht, warum es so schwer ist, einfach stehenzulassen, dass es in der Schrift den JHWH-Gott gibt, der auch „elohim“ genannt wird, mit einem Plural-Begriff, der auch Menschen gelegentlich zukommt oder den Göttern, die nicht dieser Gott sind, dass daneben Jesus als „Sohn Gottes“ iS eines vollkommenen menschlichen Abbildes erscheint, das uns erlöst, und die gewaltige göttliche „dynamis“ uns als „ruach“ oder „Heiliger Geist“ bzw „Geist Gottes“ begegnet, sich uns selbst kommunikativ mitteilt und uns sogar im Sinne einer Teilhabe an der göttlichen Natur lebendig macht.
Wer will darüber in Zahlenrelationen fachsimpeln?