Dienstag, 12. Dezember 2017

Reflexionen über die Eucharistie



Reflexionen über die Eucharistie

Nachdem mehrere Kommentatoren auf dem „Christlichen Forum“ unter einem Artikel (https://charismatismus.wordpress.com/2017/11/09/dekret-des-erzbischofs-von-brindisi-verhaengt-kirchliche-massnahmen-gegen-seher-mario/) zu einem an sich ganz anders ausgerichteten Thema schließlich beim Thema „Eucharistie“ gelandet sind und über sie intensiv schriftlich „kommuniziert“ haben, habe ich in den vielverzweigten Baumstrukturen dieses Threads völlig den Überblick verloren. Neben der Herausgeberin des Blogs, Felizitas Küble, und einer Posterin mit dem Nickname „Ester“ beteiligte sich der Poster Claus Stephan Merl mit nachdenklichen und suchenden Überlegungen. Herr Merl schrieb mir am Ende noch einen Kommentar, den ich aber bisher nicht beantwortet hatte. Stattdessen aber entspann sich zwischen ihm und „Ester“ ein kleiner Disput. Diesen Disput möchte ich in voller Länge zitieren und anschließend selbst Herrn Merl antworten und interessierte Leser dazu anregen, sich an diesen Reflexionen mit zu beteiligen:
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„Liebe Frau Jüngling,
da müssen Sie sich keinen Vorwurf machen, wenn ich noch nicht so recht mit der Eucharistie weitergekommen bin. Es ist ja auch nicht so, dass ich mein Fragen nicht betend „begleiten“ würde.
Ich knüpfe nochmal an dem Punkt an, dass niemand im Traum daran dachte, oder es auch nur versucht hätte, von Jesu Blut zu trinken oder von seinem Körper zu essen, egal, ob das vor oder nach der Kreuzigung, nach der Auferstehung oder erst recht nach der Himmelfahrt Jesu hätte stattfinden sollen. Wenn Jesus also davon spricht, sein Leib sei eine wahre Speise und sein Blut ein wahrer Trunk, kann er es nicht wortwörtlich meinen.
Ich verweise in diesem Zusammenhang auf das Wort Jesu, wonach man diverse Gliedmassen sich entfernen solle, die einen zur Sünde verführen wollen. Außer Origenes hat das wohl niemand wirklich praktiziert; und selbst das ist zweifelhaft. Es ist jedenfalls nichts von massenhaften Selbstverstümmelungen der Christen bekannt.
Es gibt also im Hebräischen diese sehr drastischen Ausdrucksformen, die natürlich etwas völlig Wahres transportieren ohne deshalb wortwörtlich gemeint zu sein. Es ist hier bisweilen vom Stilmittel der Übertreibung die Rede. Ich bin mir aber nicht sicher, ob es dieser Begriff wirklich trifft.
Was also ist die transportierte Wahrheit des „Jesu Fleisch essen und sein Blut trinken“? Vielleicht helfen folgende Überlegungen weiter:
Für mich steht doch das ganze Christ-Sein, die Nachfolge Jesu unter folgendem Vorzeichen:
Um ein wahrer Jünger Jesus sein zu können, muss ich zuerst eine neue Kreatur sein. Mein „alter Mensch“ ist völlig ungeeignet dazu. Es findet also ein Austausch statt. Mein altes Ich stirbt mit Christus am Kreuz, mein neues Ich aufersteht mit ihm. Die Wassertaufe drückt das aus. Dieser „neue Mensch“, das ist „Christus in mir, die Hoffnung der Herrlichkeit“ oder, um es mit Paulus zu sagen: „Nun lebe nicht mehr ich, sondern Christus in mir.“ Das betrifft zunächst nur meinen Geist und muss sich jetzt in mein gesamtes Menschsein; d.h. in meine Seele und meinen Leib hinein „übersetzen“ oder inkarnieren.
Und dieser Prozess der Heiligung oder neudeutsch „Transformation“ ist nur möglich, wenn Christus selbst in mir Gestalt annimmt. Oder anders gesagt: Es kommt zu einer vollständigen Übernahme des Wesens Christi in mir. Jedenfalls so vollständig wie dies auf dieser Seite des Grabes möglich ist. Vollendet wird das natürlich erst mit unserer leiblichen Auferstehung.
Und genau hier kommt die Metapher des „Essens von seinem Fleisch“ und „des Trinkens von seinem Blut“ zum Tragen. Sie beschreibt die Radikalität und Ausschließlichkeit eines Lebens, das danach ausgerichtet ist, Christus widerzuspiegeln. In 2. Kor. 3, 18 wird als Ergebnis des Wandels im Neuen Bund folgendes ausgesagt:
„Wir alle aber schauen mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn an und werden so verwandelt in dasselbe Bild von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, wie es vom Herrn, dem Geist, geschieht.“
Es ist nicht nur die Wiederherstellung unserer Stellung vor dem Sündenfall, als wir ohne Sünde im Bild Gottes erschaffen wurden, sondern geht darüber hinaus bis zur Teilhabe an der göttlichen Natur. Man macht sich oft keinen Begriff davon, was Erlösung in der letzten Konsequenz bedeutet.
Freilich bedarf es unserer Mitwirkung. Nicht in dem Sinn, dass wir irgendetwas aus uns heraus; d.h. aus unserer natürlichen Verfasstheit produzieren oder beisteuern könnten. Nein, es geht um aktives Empfangen dessen, was schon für uns bereit liegt. Oder um es in einem Beispiel zu sagen: Der Ertrinkende in der Wüste, dem plötzlich ein Fremder einen Becher mit Wasser reicht, würde es im Traum nicht einfallen, das Ergreifen des Bechers und das Trinken des Wassers als besondere eigene Leistung anzusehen; geschweige denn zu behaupten, er habe sich damit dass Wasser verdient.
Und so ruft uns Jesus dazu auf, ihn zu essen und zu trinken im Sinne dessen, ihn in seinem Menschsein völlig in einer ständigen und aktiven Bereitschaft zu empfangen. Das ist die einzige Nahrung, die uns das Leben in Christus ermöglicht.
Unser ganzes Leben ist damit eucharistisch und das feiern wir beim Herrenmahl. Das ist der neue Bund, in dem sich Jesus Christus uns vorbehaltlos hingibt, damit wir ihn völlig ergreifen und „verstoffwechseln“. Wie tun das in diesem Mahl selbst wie wir es auch sonst ständig tun sollten.
Diese Interpretation macht für mich im Moment am meisten Sinn.
Folgende Analogie fällt mir dazu ein: Im Ehebund kehren Mann und Frau zu dieser mystischen Einheit zurück, aus der sie entstanden sind. Eva wurde ja aus Adam heraus erschaffen. Das musste sein, damit sie sich erkannten. Der sexuelle Akt bewirkt geistlich real diese Einheit, ob wir es fühlen oder nicht. Deshalb ist sein Missbrauch auch so dramatisch. Sind z.B. meine Frau und ich aber als Ehepaar im Willen des Vaters „ein Fleisch“, dann leben wir das nicht nur dann, wenn wir miteinander schlafen, sondern dann bestimmt das unsere Beziehung.
Ist das Ihrer Meinung nach sinnvoll, Frau Jüngling? Falls nicht, warum nicht?“
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Darauf antwortete „Ester“:

„… genauso ist es, indem wir kommunizieren, kommt das Sein und Wesen Christi in uns hinein, und wir können nur so an seiner, der gottmenschlichen Substanz teilhaben, indem wir eben sein Fleisch und Blut essen.
Und damit das nicht nur im Geist geschieht, sondern real, muss auch notwendig diese Hostie und dieser Wein real und wirklich Fleisch und Blut Christi geworden sein.“
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Darauf antwortete Herr Merl:

„Hallo Ester,
„kommunizieren“ ist ein guter Begriff, auch wenn wir nicht unbedingt das Selbe darunter verstehen. Wenn ich wiedergeboren bin, dann lebt Christus bereits in mir. Und im Geist habe ich mit ihm Gemeinschaft.
Liebe Grüße“
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Darauf antwortete „Ester“:

„Eben nur geht diese Gemeinschaft, zu der wir gerufen sind, über das geistige hinaus.
Das Grundwesen des Katholischen und auch der permanente Stein des Anstoßes ist, dass das Katholische seine Glaubenswahrheiten durchweg körperlich und fleischlich versteht.
Wir heißen nicht nur Kinder Gottes, wir sind es!“
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Darauf antwortete Herr Merl:

„Hallo Ester,
Sie schreiben:
„Das Grundwesen des Katholischen und auch der permanente Stein des Anstoßes ist, dass das Katholische seine Glaubenswahrheiten durchweg körperlich und fleischlich versteht.“
Das möchte ich doch zugunsten des Katholizismus vehement bestreiten. Ich möchte aber nicht ausführlich auf Ihre Wortwahl eingehen, weil – wie ich an anderer Stelle schon mal ausgeführt habe – das Problem darin besteht, dass Katholiken und Nichtkatholiken unter den gleichen Begriffen durchaus nicht das Gleiche verstehen.
Abgesehen davon tasten wir uns hier ja vor und versuchen, es zu vermeiden, endgültige „dogmatische“ Sätze zu formulieren.
Nur ein Hinweis sei mir gestattet:
Der Begriff „fleischlich“ ist im Neuen Testament durchweg negativ besetzt. Er steht im scharfen Kontrast zu „geistlich“. Paulus sagt, wir sollen „geistlich“ gesinnt sein und nicht „fleischlich“, denn der „natürliche“ oder „fleischliche“ Mensch kann und will das von Gott geistgewirkte Leben nicht verstehen und akzeptieren. Ja, er bekämpft es geradezu.
Selbst Jesus, der „im Fleisch“ gekommen ist und ohne Sünde war, wusste: „Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.“
Aber, wie gesagt, wahrscheinlich haben Sie das nicht gemeint.“
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Darauf schrieb „Ester“:

„… aber Herr Merl genau das ist ja der immerwährende Skandal des Katholischen, dass es darauf besteht, dass das Wort Fleisch geworden ist und als der Auferstandene im auferstandenen Fleisch in den Himmel aufgefahren ist, und das um uns im Fleisch zu erlösen,
Wir werden einen Körper haben, dort, wenn wir bei Gott sein werden!
Richtig ist, aber auch, dass das Fleisch schwach ist und der Geist zwar willig, aber dennoch in diesem Ringen mit dem Fleisch oft erliegt, und wir geistliche Menschen werden sollen und müssen, wenn wir zu Christus gehören wollen,
Aber diese geistlichen Menschen sind keine umherschwebenden Astralkörper, sondern Menschen aus Fleisch und Blut und sollen als solche in die Gemeinschaft der Heiligen kommen
dazu soll ja auch die ganze Schöpfung erlöst werden, auch und wenn, die Gestalt dieser Welt vergehen wird.“
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Nun schaltete sich Felizitas Küble ein:

„Guten Tag,
natürlich ist Christus körperlich auferstanden, sein Leib im Himmel ist derselbe wie einst auf Erden, aber in einem anderen, nämlich einem verklärten Daseinszustand, der nicht mehr den irdischen Naturgesetzen unterliegt. „Fleisch und Blut“ bzw. der menschliche Leib erfährt bei der Auferstehung eine himmlische Verklärung, überirdische Vergeistigung und gottgeschenkte Verherrlichung, ohne deshalb seine Realität zu verlieren.
Das sollte man schon dazusagen!
Freundlichen Gruß!
Felizitas Küble“
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Herr Merl antwortete „Ester“:

„Hallo Ester,
Inkarnation ist keine katholische Spezialität. Bei den Begriffen „Fleisch“ oder „fleischlich“ muss man die Bedeutungsinhalte sehr sauber auseinander halten. “Jesus kommt im Fleisch“ heißt: Er wird Mensch. Daran ist nichts „fleischlich“ in dem Sinn wie Paulus den Begriff verwendet. Entscheidend ist, WORAUS ein Mensch lebt.“
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Zunächst einmal, lieber Herr Merl, hänge ich mich am Begriff „Transformation“ auf. „Transformation“ heißt „Umformung“. Die paulinische Ausdrucksweise, dass Christus in uns Gestalt annehmen werde, bedeutet mehr als nur eine Transformation. Es ist nicht einfach nur eine „Umschichtung“ des vorhandenen Leibes aus der alten Substanz , sondern ein „neuer Mensch“, wie Paulus sagt.
Es ist also eine regelrechte Erneuerung — kein „Upcycling“, um es Neudeutsch zu sagen! Eine Erneuerung im Lebensvollzug, die durch Hinzugabe bestimmter Gegenstände und das Mitwollen des Menschen erreicht wird.
Wenn Paulus uns sagt, „durch den Sohn seien alle Dinge gemacht“, und er sei „der Erbe des Alls“, dann bedeutet das, dass die Gottebenbildlichkeit des Menschen ursprünglich eine direkte Sohn-Ebenbildlichkeit gewesen ist. So zumindest verstehe ich das. Der Mensch hat durch einen Akt der Distanzierung diese Ebenbildlichkeit in ihrer Vollkommenheit verloren. Ist er aber — auf eigenen Wunsch — kein vollkommenes Ebenbild des Sohnes mehr, kann er nicht überleben und muss sterben. Seine Unsterblichkeit bleibt nur intakt, wenn sie sich vollständig aus dem herleitet, „durch den alle Dinge gemacht sind“. Durch die tödliche Wunde der Sünde in Adam aber sind wir alle gezeichnet und können  diese Zeichnung nicht ohne Hilfe überwinden. Das ist unsere Wirklichkeit: wir müssen sterben, weil wir ihn verneinen. Diese Grundhaltung haben wir „in Adam“ alle mitvollzogen. Das ist ein geheimnisvoller Satz, der uns ungerecht vorkommt, aber so wird uns die Sachlage von Paulus erklärt. Sie Vorstellung der Präexistenz ist hier mit im Spiel, wird aber nicht weiter ausgebreitet. Die Menschheit war offenbar in Adam von Anfang an vollständig anwesend. Das Konzept der „Erbsünde“ ist ein missverständliches Vehikel, diese Tatsache plausibel zu machen, hat aber abgeführt und die Sexualität zum Objekt der „Ursünde“ gemacht und in der Kirche einen ungesunden und hysterischen Umgang mit der Sexualität hergestellt. Davon ist aber im NT nicht einmal die Rede (und im AT sowieso nicht)! Die hinzugegebenen äußerlichen und fassbaren Gegenstände und Zeichen der wirklichen Gegenwart Christi, die die Erneuerung in uns notwendig bewirken, sind die Taufe und die Firmung (im katholischen Kontext gerne als „unauslöschliche Wesensmerkmale“ bezeichnet) für alle Christen, im Falle des Weihepriestertums auch die Priesterweihe. Alle anderen Sakramente sind für die einzelne Person nicht heilsnotwendig. Man sagt aber, sie seien für die Kirche im Ganzen notwendig zur Erlangung des Heiles. Es ist insofern eine Hierarchie der Sakramente durchaus erkennbar, und an ihrer Spitze steht die Taufe mit der Firmung.
Nun muss man deutlich unterscheiden, dass die Taufe (Wassertaufe) und die Firmung (Geisttaufe) neutestamentlich in diesem Sinne begründbar sind, das Priestertum allerdings, wenn überhaupt, indirekt und auf theologischen Umwegen, und selbst dann ist sein Konzept nicht so eindeutig wie die beiden Taufkonzepte. Ich bin mir nicht mehr sicher, ob ein guter Teil der Kirchenkrise nicht mit diesem schwer begründbaren Konzept samt seinem Beiwerk wie etwa der zölibatären Lebensform und der absoluten Machtkonzentration hinsichtlich aller Belange der Kirche auf das Weihepriestertum zusammenhängt. Man hat faktisch (nicht zwingend theoretisch) die Wertigkeit der Sakramente verschoben und umgekehrt.
Man hat dass Konzept der Abhängigmachung der Gläubigen vom Priestertum, das im NT in dieser Form nicht nachweisbar ist, so auf die Spitze getrieben, dass ihm nur der Zusammenbruch blieb.
Und den Zusammenbruch erleben wir seit Jahrzehnten in einer schockierenden Deutlichkeit. Aber viele verstehen den Zusammenhang nicht. Ähnlich wie verzweifelte Muslime in Pakistan nicht begreifen können, dass der extreme Islam das Land zugrunde richtet, und durch noch radikaleren Islamismus die Rettung erzeugen wollen, begreifen auch sie nicht, dass die Kirche, da sie doch dem Anschein nach durch einen feudalistischen „Ultramontanismus“ gerettet erschien, trotz allem zusammenbrechen musste und verdächtigen „Freimaurer“ als bekannten „großen Unbekannten“ der bösen Tat. Wir befinden uns in einer surrealen Situation, die direkt auch mit der Frage nach der Eucharistie zusammenhängt.
Jesus selbst sagt zu Nikodemus, einem Mitglied des Sanhedrin, wer nicht neu, „von oben“ geboren werde aus „Wasser und Geist“, der könne „nicht in das Reich Gottes“ kommen (Joh 3). Das ist mehr als nur eine Umformung, das ist eine völlig neue Gestalt, die aber an die je alte auf geheimnisvolle Weise anknüpft. Eine Person fängt tatsächlich noch einmal von vorne an, wird noch einmal geboren. Auf die natürliche Geburt aus dem Fleisch kann keine Erneuerung und keine Erlösung gegründet werden. Dass die Geisttaufe bereits im NT extra verliehen worden sein muss, erkennen wir an Stellen wie in Apg 8, 15 ff, wo es heißt: „Diese zogen hinab und beteten für sie, dass sie den Heiligen Geist empfingen. Denn er war noch auf keinen von ihnen herabgekommen; sie waren nur getauft auf den Namen Jesu, des Herrn. Dann legten sie ihnen die Hände auf und sie empfingen den Heiligen Geist.“  Diese Stelle deutet an, dass eine einfache Wassertaufe vielleicht diese Festigung im Heiligen Geist noch nicht auslöst. Wenn man vielleicht einwenden wollte, dass die betroffenen Leute „nur“ auf den Namen Jesu getauft worden seien und nicht auf die Hl. Dreifaltigkeit, wie Jesus es geboten hatte, muss dem entgegengehalten werden, dass der Text uns nichts über eine etwaige Ungültigkeit der Taufe sagt. Vielmehr scheint man diese Taufe anzuerkennen, aber festzustellen, dass der Hl. Geist noch nicht verliehen worden sei. Und aus der Tatsache, dass es sehr wohl eine Rolle spielt, ob er verliehen wurde, darf man folgern, dass dies auch in der frühen Kirche keine Nebensächlichkeit gewesen sein kann.
Ebenso spricht das Pfingstereignis dafür, dass eine besondere Geistbeseelung, von der Jesus ankündigte, sie verleihe den Jüngern eine „Kraft“ (Apg 1, 8), ausgegossen werde. Die Geistbeseelung in Christus geschieht also im Pfingstereignis frei durch das freie Wirken Gottes und andererseits auch durch Handauflegung. Die Kirche kann nicht ohne an der Realität der Texte vorbeizuargumentieren behaupten, der Hl. Geist könne Menschen nicht jenseits konkreter Sakramente verliehen werden. Es wird sowohl im AT davon berichtet, dass der Geist Gottes über Menschen kommt, wann er will und wie er will,  und das NT hat an dieser Freiheit Gottes nichts geändert. Die Bitte um den Hl. Geist ist demgegenüber eher sekundär, zumal er ja bereits bei der Taufe verliehen wird. Und der, der diese Handauflegung vornimmt, muss selbst die Vollmacht dazu haben, den Hl. Geist zu vermitteln. Ob allerdings diese Vollmacht rein formalistisch und im Extremfall sogar aufseiten des Spenders persönlich glaubenslos als möglich anzusehen ist, geht aus dem NT nicht hervor. Der kirchliche Kniff zu sagen: Der Spender müsse ja nur die rechte „Intention“ haben und das „tun wollen, was die Kirche tut“, ist zwar zur Entlastung der Gläubigen gedacht, die sich andernfalls beständig fragen müssten, ob sie überhaupt recht getauft oder gefirmt worden seien, aber andererseits kann ich nicht verstehen, wie im Fall einer Firmung ein zwar formal bevollmächtigter, aber ungläubiger Mann wollen können soll, was die Kirche tut, wenn er dem doch willentlich entgegensteht. Unglaube ist doch nicht etwas Beiläufiges! Anders als bei der Taufe scheint bei der Firmung doch eine besondere Vollmacht vonnöten zu sein. Die Taufe geschieht auf das Begehren dessen, der getauft wird. Sie wird, vorausgesetzt dabei geschieht die korrekte Form, dadurch gültig. Jeder, selbst einer, der gar nicht weiß, was Taufe bedeutet, darf sie auf Verlangen im Notfall dem Begehrenden spenden. Bei einer Firmung ist das nicht möglich, denn hier wird eine Kraft vermittelt, die aus Gott selbst stammt. Schon hier offenbart sich eine merkwürdige Unsicherheit für den Fall, dass der Spender nicht tun will, was die Kirche tut, also nicht die rechte Intention hat. Man sagt tröstend, man nehme natürlich erst einmal an, dass stets die rechte Intention vorliege, selbst dann, wenn der Spender nicht glaube, wolle er sicher nicht entgegen dem handeln, was die Kirche tue, andernfalls würde er es ja nicht tun, und setzt die Kriterien dazu so tief herab, wie nur möglich, untergäbt damit aber letztendlich die grundsätzliche Vollmacht dessen, der die Firmung spendet. Denn jeder, der halbwegs bei Verstand ist, wird zu recht fragen: Was ist eine Firmspendung wert, wenn sie im Un- oder Fehlglauben des Spenders vollzogen wird? Solche und ähnliche Fragen trieben bereits John Wycliff im 14. Jh und Jan Hus im frühen 15. Jh angesichts eines verheerendes Bildes um, das die Hierarchie abgab. Anders als bei der Taufe ist der Gläubige hinsichtlich der Firmung ja vollkommen passiv und „machtlos“.

Nun muss Ester energisch widersprochen werden insofern, als Jesus in demselben Gespräch mit Nikodemus doch ausdrücklich sagt, aus dem Fleisch könne nichts als nur Fleischliches und damit nur Sterbliches und Verlorenes kommen: „Was aus dem Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; was aber aus dem Geist geboren ist, das ist Geist.“ (Joh 3, 6). Der neue Mensch aber wird nicht mehr aus dem Fleisch geboren, sondern aus „Wasser und Geist“. Was materiell ist, wird hier mit „Wasser“ benannt. Aus Wasser ist die erste Schöpfung gemacht, aus den Urfluten, dem Chaoswasser, dem hebräischen „t’hom“, wie die Genesis 1 berichtet. Der neue Mensch muss das Grab dieses Chaoswassers verlassen und durch „strukturiertes“, „lebendiges Wasser“ gereinigt werden, um ein vollkommenes Geistwesen zu werden. Das Wasser steht für seine leibliche Existenz, aber wie lebendiges Wasser ist die Materie dieses neuen Leibes, auf den wir noch hoffen, biegsam, „flüssig“ und frisch, vollkommenes Vollzugsorgan des Geistes.
Wie es aussieht, gibt es den Worten Jesu zufolge hier keine Schnittstelle! Ganz eindeutig und ohne jeden Zweifel drückt Jesus hier ein Entweder-Oder aus.
Eine zweite Sache tritt Ester entgegen, denn niemals hat die Kirche je behauptet, es handle sich bei der Eucharistie um das nicht-verklärte Fleisch und Blut Jesu Christi. Ester liegt also auch im allgemeinen überlieferten katholischen Kontext — wenn man präzise denken will — nicht richtig. Die Eucharistie ist tatsächlich „geist-leiblich“, also so, wie der erneuerte Mensch sein wird im Himmel, daneben auch göttlich, weil Jesus Christus nicht nur Mensch, sondern auch Gott ist.
Insofern hat Frau Kübles Einwurf hier die richtige Zielrichtung, spricht aber die letzte Konsequenz nicht ganz deutlich aus: dass es eben nicht „Fleisch“ im irdischen Sinne ist, das hier substanziell „gewandelt“ wird, sondern verklärtes Fleisch, das vollkommener Verweser des Geistes ist.
Nun ist seit Trient bzgl. der Eucharistie soviel geschrieben und gelehrt worden, und leider zielte sehr viel davon darauf ab, sich vom konfessionellen Gegner möglichst weit zu distanzieren. Auf diese Weise haben alle sich in ein Extrem verbissen. Protestanten (außer den Lutheranern) wissen teilweise mit dem Abendmahl gar nichts mehr anzufangen. Häufig bestreiten sie sogar, dass es Sakramente überhaupt gebe geschweige denn, dass sie irgendeine Heilsnotwendigkeit besäßen. Manche bestreiten sogar, dass die Taufe heilsnotwendig sei. Da ist nun guter Rat teuer, denn soweit ich das NT verstehe, ist die Taufe sehr wohl heilsnotwendig, mindestens das Verlangen danach (wenn der Vollzug verunmöglicht ist).
Im Evangelikalismus ist das Abendmahl völlig leer, zur überflüssigen Symbolhandlung geworden. Und viele feiern es erst gar nicht mehr oder nur ganz selten und dann ohne eine besondere Zuspitzung, handeln damit aber dem Auftrag Jesu zuwider. Denn wenn Jesus eine rituelle Handlung anweist, dann gewiss nicht deshalb, weil sie doch auch sonst und auf anderem Weg verwirklicht wird. An dieser Stelle müssen sich protestantische Theologien hinterfragen.

Herrn Merls Ansatzpunkt, man „esse“ und „trinke“ doch metaphorisch gesprochen immer den Herrn, wenn man zu diesem Geistwesen verwandelt werde, erinnert mich an solche evangelikale Argumente.
Ja, ja, es stimmt: wir nehmen den Hl. Geist auf und werden dadurch als Einzelpersonen und als Communio (Gemeinschaft) erneuert. Aber ist das dasselbe wie das, was das Abendmahl meint?
Auf der katholischen Seite ist dagegen eine Versinnlichung geschehen, auf die sich Ester gründet und an der Ester festhält. Sie hat sich diese Lehren, die sie vertritt, nicht aus den Fingern gesogen, sondern von irgendwoher übernommen. Die Jesuitentheologie versinnlichte den Glauben über das Maß hinaus, das eingehalten hätte werden müssen. Es ist zwar auf katholischer Seite grundsätzlich richtig, dass man den Menschen als Leibwesen viel stärker einbezieht und berücksichtigt und sogar würdigt. Das ist gut. Aber wenn man beginnt, das, was doch nach der eindeutigen Lehre im NT geistig angelegt ist, nun auch noch zu versinnlichen, teilweise sogar rein fleischlich gedacht, dann wird es problematisch. Diese Problematik weist die spätneuzeitliche Kirche vermehrt nach 500 Jahren Societas Jesu (SJ) wie eine schwärende und verderbliche Wunde auf. Der bigotte Katholizismus dreht sich nur noch um Moral und da v.a. das 6. Gebot (Sex) und alles, was draus folgt, ist dabei aber teilweise schlüpfrig bis hin zur vulgär-pharisäischen Peinlichkeit.
Hinsichtlich der Eucharistie brachte die SJ die Ideologie von der „Seelenspeise“ ins Spiel. Sie war es auch, die vehement für eine sehr häufige Kommunion eintrat, um den Gläubigen damit zur Abhängigkeit vom Kirchgang und der Hierarchie zu erziehen. Man nutzte ein wirkliches und biblisches Gebot Jesu, um die Gläubigen zu entmündigen und von der Hierarchie abhängig zu machen.
Diese Tendenz muss sich schon vor dem Tridentinum abgezeichnet haben. Denn Luther wandte sich explizit in seiner fast unheimlichen Schrift „Von der Winckelmesse und Pfaffenweihe“ von 1533 dagegen. Luther berichtet, wie der Teufel mit ihm in der Nacht über die Priesterweihe, die er selbst ja empfangen hat, disputierte. Der Teufel nimmt hier die Rolle des „advocatus diaboli“ ein und Luther will sehen, ob er nicht sogar recht hat mit seinen Einwürfen gegen die Konstruktion von Hl. Messe und Priestertum: In einem ersten Punkt sagt Luther unumwunden, er sei gar nicht wirklich christgläubig, aber geweiht gewesen und fragt sich, wie er so habe (die Gaben) wandeln können. In einem zweiten Punkt sagt Luther, es sei nach der Beschreibung im NT nicht rechtens, das Sakrament zu wandeln und alleine zu genießen. Immer und ausschließlich werde es gewandelt, um an andere weitergereicht zu werden. Die Eucharistiefeier können nur eine Feier der ganzen Communio sein und bedürfe daher auch der konkreten Communio (Wo zwei oder drei…). Die Schrift zeige uns nicht einen Fall, in dem das anders sei. Er habe sich also als Priester gegen das Gebot Christi vergangen, der selbst ja auch sein Fleisch nicht für sich selbst gegeben habe, sondern für die vielen. Im dritten Gedanken verweist Luther auf das paulinische Wort, man feiere die Eucharistie, um den Tod des Herrn zu verkünden, bis er kommt, und stellt auch hier bei der einsamen Messe des einzelnen Priesters ein Vergehen gegen dieses Gebot Christi fest. Im vierten Gedanken nennt Luther es ein „Greuel“, dass die sakramentalen Gaben nicht vollständig weitergereicht werden (also auch das Blut Christi). Im fünften Gedanken klagt Luther sich selbst an, dass er reiner „Opferpfaffe“ gewesen sei, der damit ein eigenes „Werk“ getan habe anstatt Diener der Gemeinde zu sein, durch die alleine er überhaupt die Vollmacht ausüben hätte dürfen. Durch die Erniedrigung und den Ausschluss der Laien aus dem Priestertum habe er das Opfer Christi verfremdet und an sich gerissen — widerrechtlich. Im weiteren wendet er sich gegen die Praxis, die Hl. Messe unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu feiern und ihre „Früchte“ womöglich irgendwelchen fernen Personen für Geld „zuzuwenden“, Lebenden wie Toten. Für ihn ist das Problem der Bruch zwischen den Gläubigen und dem Klerus, der sich an Christus und seinem Sakrament vergeht. In einem bestimmten Verständnis prangert Luther hier einerseits eine Virtualisierung und magische „Spiritualisierung“ des Messopfers an. Alleine, dass es irgendwo stattfinde, genüge schon, um irgendwo an unabsehbaren Gelegenheiten, seine „Früchte“ zu entfalten, nicht aber mehr zwingend in dem, der die Kommunion leiblich genießt. Ich möchte an dieser Stelle gleich bemerken, dass die Kirche heute Luther in jedem Punkt offiziell zuzustimmen gelernt hat. Freilich lehnen die nun jahrhundertelang anders getrimmten Katholiken der traditionalistischen Färbung dies nach wie vor und vehement ab. Luther nahm Anstoß daran, dass das Sakrament der Eucharistie als einziges Sakrament entgegen der Meinung Christi einsam gefeiert werde, wo doch alle Sakramente nur Sinn in der konkreten (nicht der virtuellen) Gemeinschaft der Gläubigen ergeben. Man könne doch auch die Taufe nicht virtuell feiern und jemandem in Abwesenheit „zuwenden“. Und — Luther wird drastisch — es werde doch auch aus einem Beischlaf mit einer Frau, der man weder versprochen noch sonst irgendwie ausdrücklich verpflichtet ist, keine Ehe, nur weil vielleicht der Beischläfer in seinem Herzen denkt, das sei aber nun für ihn eine Ehe.
Um Luther zu verstehen, muss man sich vor Augen halten, dass er eine enorme Verunsicherung und Verdunkelung der Sakramente wahrnimmt durch die Kirche und ihre Machthaber. Insbesondere die Eucharistie wurde ihres Sinns beraubt, magisch vergeistigt und zugleich total versinnlicht im Sinne eines „Werkes“ des „Opferpfaffen“. Seine verzweifelte Aussage „sola scriptura“ ist ein Notbehelf, nicht ein Ausdruck des „Eigentlichen“. Wo alles genommen wurde, was Christus schenkte, bleibt nur noch das Wort allein, auch wenn das von Christus so nicht gedacht war. Ihm ist sehr wohl bewusst, dass es „eigentlich“ Christi „Wort und Sakrament“ sein müssten, aber er hat jedes Vertrauen in die Hierarchie verloren und die erschütternde Angst, durch die verbogenen und verzerrten Sakramente sogar dem Teufel zu dienen. Luther weiß nicht mehr, ob er Gott oder dem Satan dient, wenn er tut, was die Kirche behauptet, das getan werden müsse und dafür Gehorsam einfordert. Gerade wir heute müssten seine Verfassung doch sehr gut verstehen können! Luther äußert eine wahre Endzeitstimmung in seiner kleinen Schrift:

„Denn auf der Veter leben und thun können wir nicht trawen noch bawen/ Sondern auff Gottes wort allein/ weil Christus vns selbs gar trewlich gewarnet hat/ Matthei am vier vnd zwenzigsten/ das solcher jrthum komen solle/ dar ein auch die ausserweleten verfurt werden mügen/ Vnd da neben setzt/ Wo solche tage nicht verkürtzet würden/ wurde kein mensch selig/ Da zeiget er ja klerlich an/ das vnter den Christen das wort vnd Sakrament vnd Tauffe (durch welche wir müssen selig werden/ vnd sonst nicht) solle so jnn ferligkeit geraten/ das niemand da durch müge selig werden/ Nu haben wir vnter dem Bapstum solche zeit erfaren/ Denn ob wir wol die Tauffe/ Sacrament vnd Wort gehabt/ sind sie doch (wenn wir gros vnd alt worden) durch menschen lere vnd misbreuch so verkeret vnd vertunckelt/das wir vns nicht mehr der selben haben können rhümen/ Sondern haben vns der frembden Messen/ eigen wercken/ Müncherey/ Walfarten/ Heiligen dienst/ vnd der gleichen/ müssen trösten/ nicht anders/ denn wie sich die Türcken vnd Juden/ jrer werck vnd Gottes dienst trösten/ Vnd ist auff solchen des Bapstums verkerung vnd grewel/ aller welt gut gangen/ ob nu die ausserweleten hierin mit verfüret worden sind/ hat sie Gott an jrem ende (wie Sanct Bernhard vnd ander mehr) wol können herausreissen (gleich wie Lot aus Sodom/ vnd die sieben tausent zur zeit Elias/ Darumb auff ir thun und reden/ on Gottes wort/ nichts zu wogen ist/ jnn solcher hohen ewigen sachen.

Ist aber der leib vnd blut Christi da/ So mus jderman sagen vnd bekennen/ das sie die grössesten Gottes diebe vnd Kirchen reuber sind/ so auff erden jhe komen sind/ Denn das Sacrament (wie oben gesaget) ist nach Christus meinung da zu geordent vnd eingesetzt/ das mans sol den andern Christen reichen odder mit teilen/ als eine Communio vnd gemeine speise zur stercke vnd trost jres glaubens/ Das thun vnser Winckelmesser nicht/ sondern nemens vnd behaltens allein (…) vnd verkeuffen sie dar nach (…)“ (Martin Luther: Von der Winckelmesse und Pfaffenweihe, 1533, ohne Seitenangaben)

Bei manchen Kritikpunkten Luthers wird man mit Recht sagen, die Kirche habe versucht, nachzujustieren. Auch scheint die Bemühung der Jesuiten, den Gläubigen stärker zur Teilnahme an der Eucharistiefeier zu binden, dem auf den ersten Blick zu ähneln, was Luther doch als „Meinung Christi“ darlegte. Es ist aber nur der erste Blick. Die jesuitische Theologie führte wohl zur häufigeren Kommunion, änderte aber am Machtmissbrauch über die Eucharistie gar nichts — im Gegenteil: die absolute Macht über das Sakrament und die Marginalisierung der Gemeinde, die doch den Priester überhaupt erst mit der Wandlung beauftragt, ging so weit, dass sie völlig aus dem Blick geriet. Der Priester erfüllte nun nur mehr den Auftrag Roms, nahezu in einem luftleeren Raum. Im Prinzip ist die Gemeinde gar nicht nötig. Und die Hierarchie hüllte sich, wenn nun doch Laien anwesend sein sollten, in das anmaßende Gefühl, sie teile den Gläubigen das „christliche Manna“ als „Seelenspeise“ aus, zu dessen Genuss sie „verpflichtet“ wurden, die Gläubigen aber seien unmündige Empfänger. Unmerklich machte man die Gläubigen von dieser „Seelenspeise“ abhängig, als gäbe es sonst keinen Kontakt zwischen Christus und den Seinen. So konnte Ester schon an anderer Stelle sagen, wir hätten Christus doch nur in der Eucharistie. Man hat diese Auffassung den Gläubigen nahegelegt, aber ist sie wahr?
Und es waren auch die Jesuiten, die die marianische Frömmigkeit bis hin zum Kitschigen und Anstößigen ausbauten, also faktisch eine weitere Hürde zwischen Christus und die Seinen aufbauten. Sie sollten sich an die Gottesmutter wenden und nicht mehr an Christus. Christus wurde ihnen gewissermaßen „in kontrollierten Broteinheiten verabreicht“, sonst aber vorenthalten. Mir ist bewusst, dass das wie eine Überzeichnung klingt, aber wenn man sich die Früchte dieser Theologie ansieht, ist dieser Eindruck nicht von der Hand zu weisen.
Das Konzil von Trient hatte (In „Sacrosancta oecumenica (3)) noch an die Bischöfe die Mahnung ausgegeben, über die Gläubigen nicht zu herrschen und ihnen gegenüber keine Gewalt anwenden, eine entsprechende Mahnung an Päpste unterblieb aber. Zunächst bedeutet eine solche Mahnung an die Bischöfe, dass man ihre Übermachtstellung gegenüber den Gläubigen nicht zu reformieren gedenkt und der Appell nur an ihr Wohlwollen gerichtet wird, ihnen selbst aber, falls sie zuwider handeln, keinerlei Strafe droht, denn man beeilt sich hinzuzufügen, dass niemand von den Gläubigen gegen Entscheidungen der Bischöfe appellieren könne. Man kann also das Lippenbekenntnis zugunsten der Milde gegenüber den „Untertanen“ im wahrsten Sinne des Wortes den „Hühnern geben“, denn es wird ja im weiteren Text bereits gleich wieder ausgehebelt. Zwar wird zugestanden, dass Hierarchen zuweilen schwerste Vergehen vollbringen, aber die Hürde, diese Männer zur Anzeige und Amtsenthebung zu bringen, sind so hoch gesetzt und am Ende der reinen Willkür seitens der Kirche unterworfen (die sich stets vorbehält, ob sie die Zeugen anerkennen will), dass wohl kaum je ein Hierarch wegen Vergehen gegen die Gläubigen sich ernsthaft verantworten musste. Die Tatsache vieler verschleierter Verbrechen seitens der Hierarchie ist ein fernes Resultat des Tridentinums, dessen Rechtssetzungen in der Kirche bis heute in vielen Punkten wirksam und gültig sind. Der postmoderne Pädophilieskandal etwa wäre nach mehreren unter den Teppich gekehrten Jahrzehnten und Jahrhunderten, die er schon währte, und den Verantwortlichen bekannt war, munter weiter betrieben worden, hätte nicht alle Welt darüber Alarm geschlagen. In diesem Falle ist es opportun, sich zu beugen, aber mental und auf einer prinzipiellen Ebene denkt die Kirche nicht daran, sich zu beugen und würde im nächsten Falle ihre Verbrechen wieder vertuschen und ihre Hierarchen schützen. Andernfalls müsste sie ihre Gesetze radikal ändern, was sie aber nicht tut.

In derselben Trienter Sitzung also, in der man über das Altarsakrament konferierte und Beschlüsse fasste, konsolidierte man die autoritäre Macht der Hierarchie gegenüber den Gläubigen.
Luther hatte in seiner kleinen Schrift die große Angst geäußert, dass der Pfarrer in der Stillmesse vielleicht gar nicht wirklich die rechten Wandlungsworte spreche. Niemand außer ihm höre ihn, und nirgends sonst verlasse man sich auf der Welt nur auf einen einzigen Zeugen. Niemand wisse, was er da vorne am Altar wirklich murmle, und niemand könne wissen, ob er sich nicht eines Sakrilegs teilhaftig mache unter solchen Heimlichtuer-Umständen. Luther empfiehlt die geistige Communio in einer Stillmesse, um der Gefahr der Teilhabe an einem Sakrileg zu entgehen.
Man liest Luthers Sätze und stellt sich unweigerlich die Frage, woher er solche Ängste entwickelt hat. Er war selbst katholischer Priester und berichtet uns, was er erlebt hat:

„Vnd wens Gott gleich nicht geboten hette/ das wir eines eintzeln mans wort vnd werck nicht sollten gleuben/ So zwünge uns doch die erfarung vnd not selbs dazu/ auch jnn diesen heimlichen odder Winckelmessen/ Ich bin zu Rom gewest (nicht lange) hab da selbs viel messe gehalten/ vnd auch sehen viel messe halten/ das mir grawet wenn ich dran dencke/ Da höret ich unter andern guten groben grumpen/ vber tissche/ Curtisanen lachen vnd rhümen/ wie ettliche messe hielten (vnd vber dem brot vnd wein sprechen/ diese wort/ Panis es/ panis manebis/ Vinum es/ vinum manebis/ vnd also auff gehaben/ Nu ich war ein junger vnd recht ernster fromer Münch/ dem solche wort wehe thetten/ Was solt ich doch dencken? Was konde mir anders einfallen/ denn solche gedancken? Redet man hie zu Rom frey/ offentlich vber tissche also/ Wie? Wenn sie alzumal/ beide Bapst/ Cardinal/ sampt den Curtisanen also messe hielten? Wie fein were ich betrogen/ der ich von ihnen so viel Messe gehört hette/ Vnd zwar ekelt mir seer da neben/ das sie so sicher vnd fein rips raps kundten Messe halten/ als trieben sie ein gauckel spiel/ Denn ehe ich zum Euangelio kam/ hatte mein neben Pfaff seine Messe aus gericht/ vnd schrien zu mir/ Passa/ Passa/ jmer weg/ kom da von etc.
Nu wissen wir/ das der Curtisanen tugent vnd glauben viel aus Rom und Welschland gebracht/ vnd beide Stifft vnd Pfarren wol da mit beschmeisst sind worden/ Denn wir haben viel ruchloser Thumbherrn (?)/ Vicarien vnd Altaristen gesehen/ die fast eines wildens/ wüsten lebens/ mit schwelgen vnd hurerey tag vnd nacht zu brachten/ vnd dennoch des morgens Messe gehalten haben/ Wer will hie burge da sein/ vnd vns gewis machen/ das sie nicht auch haben auff solche Römische vnd Curtisanische weise Messe gehalten/ vnd vns lassen eitel brod vnd wein anbeten? (…)
Ich bin durch solche exempel/ gebrand/ gewitzigt vnd gewarnet/ das ich nimer mehr will bey solcher Winckelmessen sein/ oder mus ich da bey sein/ so will ich doch jr nichts achten (…) so bleibt mein glaube vnbetrogen/ des bin ich gewis.“ (a.a.O.)

Luther zitiert in diesem Zusammenhang auch, dass Thomas Müntzer frei zugebe, er habe morgens früh den Nonnen Messen halten müssen und aus Übellaunigkeit und Müdigkeit auch gerne mal die Wandlungsworte nicht gesprochen…
Luthers Trauma des Unernstes, der Messe-Sakrilgien und Blasphemien aus dem Munde zahlreicher Weiheträger führt zum generellen, nagenden Zweifel daran, dass ein Priester überhaupt durch das ständige, fast achtlose und so oft übermüdete Messelesen die rechte Intention habe bzw ein Zuhörer gewiss sein könne, dass er die rechte Intention habe. Luthers Zweifel an der Hingabe des gewöhnlichen Priesters entspringt nicht einer theoretischen Erwägung, sondern der eigenen Erfahrung als Priester unter Priestern.
Das Trienter Konzil aber befasste sich trotz der Notwendigkeit weder mit einer Reform des Papsttums, noch mit einer ernsthaften Klerusreform. Man rang sich nur zu einer Residenzpflicht der Bischöfe durch — was für die Kirche eher eine Peinlichkeit darstellt, selbst eine solche Selbstverständlichkeit bisher nicht gewährleistet zu haben.
Die spätere liturgische Reform, auch wenn der Messritus insgesamt von großer Schönheit wäre, wenn er denn im rechten Geist ausgeführt wird, verfestigte die Problematik nur, denn die grundsätzliche Virtualisierung der Hl. Messe wurde nicht aufgegeben.
Die einzige weitreichende Reform des Trienter Konzils im Bezug auf geistliche Personen richtete sich gegen zölibatäre Frauen und in geringerem Maßen auch Ordensmänner : Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Bonifaz VIII., der selbst unter dem Verdacht gestanden war, Häretiker zu sein und eine frauenfeindliche Bulle („Periculoso“) verfasst hatte — ein Verdacht, der bis heute nicht ausgeräumt ist und für den immer noch viel spricht — schikanierte man die Nonnen, Mantellatinnen und freien Beghinen durch eine rabiate „Klosterreform“ („Cum catholica ecclesia“ 1563), schränkte ihre Rechte und Möglichkeiten erheblich ein und verdonnerte sie förmlich zu einer rigiden Klausur. Es ging, wie es scheint, um das regelrechte Wegsperren einflussreicher geistlicher Frauen. Eine Katharina von Siena wäre nach dem Tridentinum nicht mehr möglich gewesen.
Das Reformdekret ist gegenüber anderen Texten dieses Konzils bemerkenswert weitschweifig und ausführlich. Wenn es um die Beherrschung der Frau ging, fand man viele Worte. Wenn es um eine Selbstreinigung der Hierarchie ging, versagten dieselben bis auf ein Minimum.
An der grundsätzlichen Problematik der Praxis der Eucharistiefeiern und des „Verkaufs“ ihrer „Früchte“ hat sich nichts geändert. Man hat allerlei definiert, etwa dies:

„Wenn jemand sagt, Christus im Altarsakramente dargereicht, werde nur geistlicherweise genossen und nicht auch sakramental und wirklich, der sei im Bann.“ (Can 8, Sacrosancta oecumenica (3) 1551)

Oder das:

Wenn jemand leugnet, dass in dem heiligsten Altarsakrament, wahrhaft, wirklich und wesentlich der Leib und das Blut, zugleich mit der Seele und der Gottheit unsers Herrn Jesu Christi und folglich Christus ganz enthalten sei, sondern sagt, er sei in demselben nur, wie in einem Zeichen oder Bilde oder der Kraft nach, der sei im Bann.“ (Can 1, ebenda)

Oder dies:

„Wenn jemand sagt, in dem hochheiligen Altarsakrament verbleibe die Wesenheit des Brotes und Weines zugleich mit dem Leibe und Blute unsers Herrn Jesu Christi und jene wunderbare und einzige Umwandlung der ganzen Wesenheit des Brotes in dem Leib und der ganzen Wesenheit des Weines in das Blut leugnet, indessen nur die Gestalten des Brotes und des Weines verbleiben, welche Umwandlung eben die katholische Kirche sehr passend Transsubstantiation nennt, der sei im Bann.“ (Can 2, ebenda)

Letzterer Kanon betrifft besonders Luthers Erfahrungen, dass die Geistlichkeit diesen Glauben ja selbst oft nicht teile und sich darüber sogar während der Zelebration lustig mache. Die mechanistische, magische Auffassung der Wandlung leistete diesem Missstand Vorschub. Es ist schwerlich denkbar, dass solcher Unernst sich durch konziliare Appelle hätte umkehren lassen. Für Luther liegt das Problem in einer grundsätzlichen Fehlkonstruktion, an der aber nichts geändert wurde. Aber Luther hatte nicht nur ein Problem mit dem Missbrauch der Eucharistie durch einen Klerus, der sie „machen“ muss.
Er litt auch an der Ungewissheit über die rechte Intention des Zelebranten und daran, dass die, die sie nicht haben, am wenigsten zugeben werden, dass sie sie nicht haben. Luthers Antwort lautet: Heilige Messen sollten nur öffentlich und laut vollzogen werden, damit man erfassen kann, dass wenigstens der Wortlaut eingehalten wird. Das Tridentinum hat jedoch in dieser Hinsicht die gesamte Problematik unreformiert gelassen und durch Lippenbekenntnisse, eine Versteifung auf einen bestimmten philosophischen Ansatz (der aus der Schrift in keiner Weise hervorgeht) und eine Zentralisierung der Riten geglaubt, die Unsicherheiten ausräumen zu können.

Was aber geschieht denn bei der Eucharistiefeier, und warum hat Jesus sie eingesetzt, wo er doch andererseits versprochen hat, in unseren Herzen wohnen zu wollen ohne „materiellen“ oder materiell gewandelten Zwischenschritt. Auf diese „Zweiheit“ der Gegenwart Jesu weist Herr Merl hin. Die Geistbeseelung des Menschen ist ja etwas anderes als die Teilnahme an der Eucharistiefeier und kommt frei und in Gottes Souveränität zustande.
Die Erklärungshilfe mithilfe der „Transsubstantiationslehre“ für das eucharistische Wandlungswunder, die mit der Vorstellung operiert, Gegenstände könnten eine Gestalt behalten, ihr eigenes Wesen dabei aufgeben und ein anderes, unsichtbares beherbergen, reizte mit Sicherheit viele Geister schon zum Spott, weil sie dem normalen Menschenverstand so wenig plausibel erscheint wie sie gemessen an einem echten Mysterium als Erklärung angemessen scheint. Die spottenden und lästernden Pfaffen Luthers, die am Altar stehen und den beiden eucharistischen Gaben sagen, dass sie bleiben, was sie sind, resultiert aus dieser mangelnden Plausibilität und der Unzulänglichkeit einer solchen Erklärung angesichts eines Mysteriums.

Die Kirche hat sich durch ihre selbstgewählte Bindung an die heidnisch-griechische Philosophie auf ein bestimmtes Erklärungsmuster über die Dinge festgelegt und selbiges weiterentwickelt, aber nicht überschritten. Alles, was unplausibel oder dem Menschen natürlicherweise unmöglich scheint, hat sie philosophisch in einer bestimmten Weise analysiert, um es hernach, mit diesem Stempel versehen, wieder zusammenzusetzen.
Ein zentraler Begriff ist dabei das „Wesen“ oder die „Natur“. Die Frage stellte sich in mehreren zentralen theologischen Zusammenhängen: Wie kann Gott Mensch werden, wo es sich doch um zwei Wesenheiten oder Naturen handelt? Die Kirche antwortet darauf mit dem Begriff der „hypostatischen Union“: Christus ist eine Persönlichkeit mit zwei Naturen. „Hypostase“ heißt hier „Natur“. In der Trinitätslehre spricht sie von „drei Hypostasen“ des einen Gottwesens. „Hypostase“ bedeutet hier „Person“. Und wie können Brot und Wein zu Leib und Blut Christi werden, wo es doch um zwei verschiedene Wesenheiten geht? Und warum nimmt man in Christus zwei Naturen an, streitet sie aber unter Bannfluch hinsichtlich der eucharistischen Gaben ab? Anders gefragt: Warum ist es theologisch so abwegig, anzunehmen, dass sich auch in den eucharistischen Gaben eine Doppelnatur zusammenfindet, nämlich die der Gaben Brot und Wein und die Christi als Geopferter und Verklärter? Ich gebe zu, dass ich diese Frage aus logischen Gründen stelle, aber selbst nicht lösen könnte und auch niemals verstanden habe, warum die Kirche sie abschlägig beschieden hat. Im aristotelischen Kontext gibt es nämlich keine Gestalt des Gegenstandes, die unabhängig von seinem Wesen sein kann. In dieser Lehre wird jedoch konstruiert, dass in ein und derselben Gestalt das Wesen vollständig ausgetauscht würde, gewissermaßen „rückstandsfrei“. Das Akzidens (Gestalt von Brot und Wein) unterwirft, aus einer bestimmten Perspektive gesehen, die Substanz (Leib und Blut Christi). Wenn Jesus Wasser zu Wein verwandelte, geschah ein zwar wunderbarer, aber nachvollziehbarer Prozess:
Was aussah wie Wasser und schmeckte wie Wasser sah mit einem Male aus wie Wein und schmeckte wie Wein. Aus einem Gegenstand wurde vollständig ein anderer, materiell wie substanziell. Da Materie und Form klassisch argumentiert in Abhängigkeit stehen, kommt bei der Transsubstantiationslehre ein Moment hinzu, dass weit über die aristotelische Begrifflichkeit hinausreicht und den Menschen ratlos zurücklässt: Hier wird etwas, das aussieht wie Brot und Wein und schmeckt wie Brot und Wein zu Leib und Blut Christi, sowohl zu dem geopferten Leib als auch dem bereits verklärten, aber es schmeckt nach wie vor wie Brot und Wein und sieht aus wie Brot und Wein. Anders als auf der Hochzeit zu Kana gibt es für den, der beiwohnt oder kommuniziert, keinerlei fassbaren Hinweis, anhand dessen er überprüfen könnte, ob diese Wandlung überhaupt stattgefunden hat. Das blanke Autoritätsargument ist nicht hinreichend, wie man an der tiefen Unsicherheit Luthers, aber auch seiner zynischen Zeitgenossen („Panis es…“) erkennen kann.
An dieser Lehre stießen sich lange vor Luther aus philosophischen und logischen Gründen einige Theologen, etwa Berengar von Tour im 11. Jh. Viele versuchten, die Eucharistie im Rahmen scholastischer Begriffe nachzuvollziehen, wie etwa auch Savonarola, der darüber einiges schrieb, das aber die Sache kaum verständlicher macht und im übrigen leugnet, dass Christus örtlich in der Hostie sein könne, weil er schließlich örtlich im Himmel sei. In der Hostie und im Wein sei er „sakramentisch“. Was aber ist der Unterschied zwischen einer „örtlichen“ und einer „sakramentischen“ Anwesenheit?
Trient versuchte später, zu präzisieren, was genau bei der Hl. Wandlung geschehe:

„Denn noch hatten die Apostel die Eucharistie (Mt 26,26 u. Mk 14,22) aus den Händen den Herrn empfangen; als er doch schon selber wahrhaft versicherte, dass das, was er darreichte, sein Leib sei; und immer war dieser Glaube in der Kirche Gottes, dass sogleich nach der Konsekration der wahre Leib unsers Herrn und sein wahres Blut unter den Gestalten des Brotes und Weines zugleich mit seiner Seele und Gottheit da sei; der Leib aber zwar unter der Gestalt des Brotes und das Blut unter der Gestalt des Weines, vermöge der Kraft der Worte, derselbe Leib aber unter der Gestalt des Weines und das Blut unter der Gestalt des Brotes und die Seele unter beiden, kraft jener natürlichen Verbindung und Vergesellschaftung, durch welche die Teile Christi des Herrn, der (Röm 6,9) schon vom Tode auferstanden ist und nicht mehr sterben wird, unter sich vereinigt sind; die Gottheit endlich, wegen jener ihrer wunderbaren persönlichen Vereinigung mit dem Leibe und der Seele. Deswegen ist es sehr wahr, das gleichviel unter einer von beiden Gestalten und beiden enthalten ist. Denn Christus ist ganz und unversehrt unter der Gestalt des Brotes und unter jeglichem Teile dieser Gestalt und eben so ganz unter der Gestalt des Weines und unter dessen Teilen da.“ (a.a.O.)

Unweigerlich muss ich an die Debatte denken, die Frau Küble immer wieder eröffnet hat über Fatima und das Engelsgebet von 1916, in dem das durch eine Engelsvision an die drei Kinder offenbarte Gebet davon spricht, der Beter „opfere Leib und Blut und die Gottheit Christi auf“ (die er in „allen Tabernakeln der Welt“ annehmen dürfe), was doch nicht gehe, wo doch nur die Menschheit, nicht aber die Gottheit geopfert werden konnte.
Ich habe wohl verschiedene Male darauf hingewiesen, dass die Formulierung des Engelsgebetes wortwörtlich die tridentinische Formel wiedergibt. Frau Küble hat mir stets eine ähnliche sophistische Antwort gegeben, etwa des Inhaltes, der Trienter Kanon meine ja nicht, dass man eine solcherart konsekrierte Hostie erneut aufopfern könne, sondern nur, dass sie Leib und Blut und die Gottheit Christi enthalte. Dieses Argument mag zwar auf einer gewissen logischen Ebene richtig sein, kommt aber mit der kirchlichen Lehre ins Gehege, an der sich Luther so stark rieb: Solange die Kirche lehrt, man könne die virtuellen „Früchte“ einer Hl. Messe einem unabsehbaren Einsatzort „zuwenden“, muss man auch anerkennen, dass in diesem Akt der „Aufopferung“ (und nichts anderes meint diese Rede des „Früchtezuwendens“) dann auch alles, was in der Hostie steckt, aufgeopfert, also in seiner Frucht zugewandt wird, auch die Gottheit Christi. Frau Küble wies alle Gegenargumente gegen die ihren ab, die ihr zeigen sollten, dass Fatima nicht im Widerspruch zur Lehre der Kirche über die Eucharistie steht, wie sie oft meint, wohl aber natürlich im Gegensatz zu jedem nüchternen Glauben. Man kommt hier in eine Zerreißprobe: Entweder man glaubt die sperrige, mechanistische und das Mysterium zerstörende philosophische Krücke, mit deren Hilfe die Kirche sich erlaubt, ein Mysterium zu entschleiern, oder man hält am verschleierten Mysterium fest und muss zugeben, dass das Engelsgebet aus Fatima unsinnig wirkt. Man kann aber kaum an beidem festhalten. Und dieser Umstand sollte jedem Katholiken, der selbständig denkt, unheimlich sein. Unweigerlich quellen Fragen empor. Quälende Fragen des denkenden Menschen, der noch dazu auch sehr wohl die neutestamentlichen Texte kennt.
Warum versuchte die weströmische Kirche, auf Biegen und Brechen ein Mysterium begrifflich gewissermaßen „maximal präzise“ zu fassen, versuchte sich also an etwas, das in sich selbst zum Scheitern verurteilt ist? Was ein Mysterium ist, wird sich nun einmal nicht in philosophische Begriffssetzungen bannen lassen. Warum hat sie es nicht beim Mysterium belassen und einfach nur gesagt: was immer hier geschieht, es ist ein Mysterium, in dem der wahre Christus auch (aber nicht nur) gegenwärtig ist und uns nährt? Warum blieb man nicht dabei, das zu tradieren, was in den restlichen alten Kirchen überliefert wird, dass nämlich Christus in Brot und Wein auf dem Opferalter „nach der Ordnung Melchisedeks“ anwesend ist,  und die Gaben auf das Gebet der Kirche hin durch die Assistenz des Priesters gewandelt werden? Warum hinsichtlich des Priestertums der Austausch des dienenden Hirtenkonzeptes durch ein „Stellvertreter Christi“-Konzept?
Was ist geschehen, dass heute Orthodoxe schreiben:

„Die Orthodoxe Kirche glaubt, wie auch die Katholische Kirche, an die Realpräsenz Christi im eucharistischen Brot und Wein. Die von den Gläubigen dargebrachten Elemente Brot und Wein werden durch das Herabkommen des Heiligen Geistes als Antwort auf das Gebet der Gläubigen mit dem Bischof (oder in seiner Abwesenheit dem Priester) an der Spitze zum Leib und Blut des Herrn. Dies ist ein Sakrament (Geheimnis, Mysterium), das unser Verstand nicht begreifen kann, das wir aber im Glauben annehmen. Versuche der verstandesgemäßen Erklärung („Rationalisierung“) der Sakramente haben stets zu Häresien und zur Spaltung der Gläubigen geführt. Wir müssen das glauben, was Christus uns dazu gesagt hat, und zwar dass die in der gottesdienstlichen Versammlung konsekrierten Elemente Brot und Wein Sein Leib und Blut sind.“ (http://www.mitropolia-ro.de/index.php/2013-11-26-15-28-18/lehrreiche-worte/261-die-eucharistie-in-der-orthodoxen-tradition)

Sofort erkennt man, dass auch die Orthodoxen Stillmessen ablehnen und die Dominierung der Gemeinde durch das Opferpriestertum ausdrücklich ablehnen. Es ist die Gemeinde, die anwesend ist, im Messkanon der tridentinischen Liturgie wird sie ja korrekt immer noch als die „circumstantes“ benannt, die die eigentlichen „Auftraggeber“ des Priesters sind. Die Liturgie Trients offenbart uns jedoch nicht, welche Lehren an ihr hängen. Äußerlich gesehen ist sie der orthodoxen nicht fremd, sehr wohl aber von der theologischen Deutung her. Kriecht nicht der Verdacht in uns hoch, dass nicht die gebannten und als Häretiker und Schismatiker beschimpften anderen, sondern die katholische Kirche selbst durch ihre — gemessen am Mysterium — intellektualistischen, aber dennoch vulgären Rationalisierungsversuche die ganze Kirche durcheinandergerüttelt und gespalten hat, genauso, wie es das orthodoxe Zitat ausdrückt? Die Frage stellt sich unweigerlich, wenn man ernst nimmt, dass die Eucharistie ein echtes Mysterium ist.
Und was kam von dieser katholischen Lehre bei den einfachen Gläubigen an? Was stellten sie sich vor, wenn sie kommunizierten oder einer Hl. Messe beiwohnten oder vor einem Tabernakel beteten? Lag es nicht in der Natur der Sache, dass sich am Ende ein magisches, versinnlichtes Verständnis bei den Laien einstellte? Und was stellten sich die Philosophen vor, die Priester und Gelehrten? Wie viele glauben denn wirklich daran?!

Wie unklar die Transsubstantiationslehre letztendlich die Frage nach der Realität der Eucharistie ließ, offenbaren spätere Erklärungsversuche, die Rom nicht billigte. Etwa legten die Jesuiten Josef Bayma SJ und der General Pierre Beckx SJ 1875 Anfragen an das Hl. Offizium Erklärungsversuche vor, die das Unverständliche verständlicher machen wollten, allerdings ohne Erfolg. In einem Dekret vom 7. Juli 1875 wurden die Erklärungsversuche verworfen (ASS 11 (1878/79) 606f). Die Anfrage versuchte die unverständliche Lehre, dass eine Substanz ausgetauscht werde, während sie unter einer dem Anschein nach wesenfremden Gestalt bliebe, philosophisch im Rahmen neuscholastischer Winkelzüge zu erhellen, indem sie auf eine Theorie des „Selbststandes“ eines Gegenstandes hinauswollte. Da Brot und Wein keinen Selbststand als Leib und Blut Christi haben könnten, könnten sie nur im Sinne des Selbststandes Christi als sein Leib und Blut aufgefasst werden. Auch der Mensch in Christus stehe ja nicht in sich selbst als solcher, sondern nur aus der Substanz Christi. Die Erklärung wirkt hilflos. Roms Ablehnung erfolgte wie üblich autoritär und ohne Begründung.

In der neueren römischen Theologie wurde der Begriff des „Pascha-Mysteriums“ eingeführt, der auf Odo Casel OSB zurückgeht und das Mysterium wieder betonen wollte. Angesichts der Zustände in vielen Kirchen kann man bezweifeln, dass durch diese neue und interessante Theologie ein Verständnis erwachsen ist. Casels liturgietheologische Gedanken sind tiefschürfend, fordern die Bereitschaft zu einer verantwortliche Reflexion. Durch die jahrhundertealte Entmündigung des Gläubigen wirkt sich die Trägheit der Katholiken hier tödlich aus: die Sammlungen von den „horrores missae“ sind Legion, in denen alles, nur nicht dieses „Pascha-Mysterium“ aufscheint. Man hat verschwommene Vorstellungen von einem Gemeinschaftsmahl, von sozialer Gerechtigkeit und Hilfsbereitschaft, dem pathetischen Friedensgruß, aber ein lebendiger Bezug zum Leib Christi scheint weniger vorhanden.

Was aber soll dieses Mysterium denn darstellen?
Wenn Christus immer mit uns auf geistige Weise verbunden ist, warum dann extra noch einmal die Eucharistie?

Ist es nicht doch einfach nur das, was im Novus Ordo missae gesagt wird:
Priester: Geheimnis des Glaubens.
Gemeinde: Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit.
Ist es nicht doch die orthodoxe Vorstellung, dass in diesem zentralen Akt der Kirchenversammlung der Gläubigen der Leib Christi, der die Kirche ja sein soll, aufgebaut wird? Es also nicht um das persönliche und ganz private Seelenheil oder eine private Seelenspeise geht, sondern die des Individuums in der Gemeinschaft des Leibes Christi, des Herrn, der geopfert wurde und bereits auferstanden und verklärt ist, und dem wir aus dem Opfer hier auf Erden hinauffolgen, dies aber niemals einsam? Geht es nicht vor allem um die Repräsentanz des Erlösers, der am Kreuz starb durch die Communio? Wie aber geht das zusammen mit den römischen „Stellvertreter“-Phantasien? Waren Luthers tiefe Bedenken nicht doch gerecht und zutreffend? Hat er nicht doch intuitiv erfasst, was an der römischen Praxis völlig pervertiert war? Und treten wir nicht auf der Stelle und haben in einem halben Jahrtausend nicht geschafft, von hier bis um die nächste geistliche Ecke zu kommen?

Man kann der tridentinischen Liturgie nicht vorwerfen, dass sie diese Grundgedanken verändert hätte, genauso wenig wie man dies dem Novus Ordo vorwerfen kann. Unser Problem ist eine heillose theologische Verwirrung hinter der Liturgie. Es ist der ideologische Wahnsinn, der sich an liturgische Vorgänge und Reformen geknüpft hat und aus dem Leib Christi, zumindest was die katholische Kirche betrifft, ein verwüstetes Schlachtfeld gemacht hat.

Ich breche meine Gedanken hier ab. Es sind fließende Gedanken, die keine Proklamation von etwas sein sollen, sondern der Versuch zu verstehen, in welcher Krise wir eigentlich wirklich sind und warum kaum einer versteht, was in einer Eucharistiefeier wirklich vor sich geht. Ich möchte an Luthers Angst erinnern, dass das Sakrament in einem apokalyptischen Szenario so verzerrt worden sein könnte in der weströmischen Tradition, dass es nicht mehr den Auftrag Christi erfüllt, sondern pervertiert. Er wurde schon vor 500 Jahren von dieser Angst erfasst. Wie viel mehr könnten wir heute besorgt darüber sein, ob wir nicht in einen großen Irrtum hinein erzogen wurden, der nur aufgrund eines läppischen Autoritätsargumentes immer weiter wirkt und nicht mehr gesunden kann.
Wie gesagt: Ich proklamiere hier nichts, sondern es sind quälende Fragen, die aufsteigen und ausgesprochen werden.

Ich freue mich über Mitdenkende und Mitdiskutanten.




Mittwoch, 22. November 2017

Fake Heavens V — Die Leuchtkörper an der Himmelsfeste



Fake Heavens V —  Die Leuchtkörper an der Himmelsfeste

1. Leuchtkörper — luminaria — me’orot

Wie bereits erwähnt, stellt uns der Schöpfungsbericht der Genesis Sonne, Mond und Sterne als Leuchtkörper, als „me’orot“, also als Leuchten,  die nicht Licht reflektieren, sondern selbst spenden, dar. Noch die Vulgata übersetzte dieses Wort korrekt als „luminaria“ (von lat. „luminarium“). „Luminaria“ sind Lampen, Leuchten, Leuchtkörper, dazu ausersehen, etwas zu bestrahlen, zu beleuchten oder zu erhellen.
Ihr Ort ist ihnen von Gott „an“ der Himmelsfeste zugewiesen worden. Ihre Aufgabe ist grundsätzlich, „ut luceant in firmamento cæli, et illuminent terram“ (Gen 1, 15), dass „sie am Firmament des Himmels leuchten und die Erde illuminieren.“
Wir kennen in den letzten Jahrzehnten das neue artistische Metier des „Lichtkünstlers“. Im Wikipedia-Artikel finden wir dazu folgende Charakterisierung:

„Zeitgenössische Lichtkünstler arbeiten vor allem mit künstlichem Licht als Lichtquelle. Von Lichtkunst kann nur dann gesprochen werden, wenn der Einsatz von Lichtquellen ästhetischen Zwecken dient. Das trifft in aller Regel nicht auf Installationen zu, deren Zweck es lediglich ist, Gegenstände im Dunklen durch Beleuchtung sichtbar zu machen, oder die einen profanen Zeichencharakter haben (wie die Farblichter in Verkehrsampeln), sowie auf kommerzielle Leuchtreklame, die nicht den Rahmen konventionellen Designs sprengt. Die meisten Werke der Lichtkunst benötigen zur Entfaltung ihrer vollen Wirksamkeit die weitgehende Abwesenheit von natürlichem (Tages-)Licht und von konkurrierenden künstlichen Lichtquellen.“[1]

Was den Genesis-Bericht betrifft, ist kein Zweifel möglich: Die Beschreibung sagt uns, dass sie nicht irgendwo in Lichtjahren Entfernung in einem „Affentempo“ auf geheimnisvollen Ellipsen- oder Spiralbahnen herumschwirren (warum sollten sie das überhaupt tun?!) und dabei auch nebenbei leuchten oder reflektieren, sondern allesamt fest am Firmament stehen bzw von Gott befohlene Wege gehen müssen und dort ihre Aufgabe erfüllen, nämlich die Erde hell zu machen. Ihre Wege, das Hin und Her, oder auch Kreisbewegungen aller auf eine je eigene Weise, wurden von alters her am Firmament gedacht und müssen nicht Ellipsen um die Erde oder die Sonne bedeuten. In einer eindrücklichen und schlüssigen Weise analysiert das äthiopische Henochbuch diese Wege — auf einer flächig gedachten Erde, die umgeben ist von verschiedenen „Toren“, durch die die Gestirne ein und ausschwärmen. Es gibt keinen Grund, ein solches Modell zu belächeln. Die „Leuchten am Firmament“ sind funktional zu verstehen, aber auch „künstlerisch“, denn sie illuminieren dieselbe Welt auf zwei prinzipiell unterschiedliche Weisen, und diese beiden Weisen haben eine unendliche Zahl an jeweiligen Ausgegestaltungsmöglichkeiten. Kein Tag auf dieser Welt wiederholt sich, was die Beleuchtungsszenerie betrifft. Keine Nacht auf dieser Welt gleicht in ihrer Illumination der anderen. Die Sonne und der Mond werden gleichberechtigt benannt. Die Sonne ist etwas größer und alleinstehende Führerin des Tages, der Mond ist etwas kleiner, aber von einem Heer an Sternen umgeben der Führer der Nacht (Gen 1, 16). Die Sterne werden in der Schrift gelegentlich mit den Heerscharen assoziiert, die Gott um sich herum hat. Sterne repräsentieren auch Heilige.  
Qui autem docti fuerint, fulgebunt quasi splendor firmamenti : et qui ad justitiam erudiunt multos, quasi stellæ in perpetuas æternitates.“ (Dan 12, 3) — „Die aber verständig sind, funkeln wie der Glanz des Firmaments : und die viele zur Gerechtigkeit geführt haben, funkeln wie die Sterne in alle Ewigkeit.“
Und damit auch niemand diese Ordnung missverstehe oder umdeute, wiederholt der Autor der Genesis sie noch einmal abschließend in V 17 f: „Et posuit eas in firmamento cæli, ut lucerent super terram, et præessent diei ac nocti, et dividerent lucem ac tenebras.“ — „Und Gott setzte sie an das Firmament des Himmels, damit sie über die Erde leuchten und dem Tag und der Nacht vorstehen („praeesse“) und das Licht von der Finsternis scheiden.“
Diese Stelle lässt erahnen, dass es auf der Erde eigentlich gar keine absolute Finsternis mehr geben sollte, denn auch die Nacht wird auf Geheiß Gottes und unter der Regierung des Mondes und seiner vielen Sterne hell erleuchtet. Das ist ein außerordentliches und merkwürdiges Phänomen: Obwohl ein Nachthimmel vollständig erleuchtet ist von Myriaden von Sternen und dem oft fast stechenden Mondlicht, wirkt die nächtliche Beleuchtung wie „heruntergedimmt“, aber glasklar. Das Mondlicht scheint darüber hinaus kühlende Wirkung zu haben.[2] Das Volk hat es allgemein mit dem Glanz des Silbers in Verbindung gebracht: fein, kühl, „betagt“ oder sogar „ewig“.
Die Nacht mit dem Mond und den Sternen stellt etwas wie eine Ahnung des kommenden Reiches Gottes dar. Gott zeigt dem Abram den Nachthimmel und verheißt ihm geistliche Nachkommen in der unzählbaren Menge der Sterne, die er am Nachthimmel sieht:
„Sieh doch zum Himmel hinauf und zähl die Sterne, wenn du sie zählen kannst. Und er sprach zu ihm: So zahlreich werden deine Nachkommen sein.“ (Gen 15, 5)
Es deutet sich etwas von Gott selbst an, zu dem der Mensch Ebenbild ist, dem Gott, der selbst nicht einfach, sondern dreifältig ist und der „Jhwh Z’wa’ot“ ist, im liturgischen Gebrauch und Schriftübersetzungen transkribiert „Herr Gott Zebaoth“ oder „Deus Sabaot“ genannt. Gelegentlich wird dieser Gottesname als „Herr der Mächte“, als „Pantokrator“, „Herr der Heerscharen“ oder „Allherrscher“ übertragen.
Doch was bedeutet das?
Das hebräische „zawa“ ist das „Heer“, die „Armee“. Die moderne israelische Armee heißt abgekürzt „zahal“, gebildet aus „z’wa hahagana le Jisrael“ (Armee der Verteidigung Israels). Der Mond mit seinen unzählbaren Sternen erinnert an diesen Gott, der umgeben ist von unzählbaren Mächten, denen er befiehlt, ja, die er manchmal auch in scheinbarer Abwesenheit („Neumond“) am Himmel stehen lässt. Abram und Sarai sollen ebenfalls so viele Heerscharen an Nachkommen haben und dabei Gott abbilden. Der Begriff des „Herrn der Heerscharen“ taucht im Pentateuch noch nicht auf, sondern erst später, als die Verheißung an Abram und Sarai sich erfüllte und aus ihnen Abraham und Sara gemacht hat. Es ist interessant, dass Gott Sarai umbenennt in „Sara“ — ein hebräischer „Sar“ ist ein Feldherr und General, der über ein Heer befiehlt. Die Metaphorik für Gott als Befehlshaber über Heerscharen schließt hier konkret die Frau mit ein. Es kommt nicht von Ungefähr, dass Gott dem Abram dies anhand des Nachthimmels vor Augen führt, was er ihm verheißt und worin er ihm auch mitteilt, inwiefern er ihn und mit ihm (denn Gott nennt ihn „Vater der vielen“) wieder restauriert wird als Ebenbild Gottes.
In tiefer Nacht sehen wir Abram hier, in seiner Frau unfruchtbar, es ist der Beginn der Heilsgeschichte aus tiefer Finsternis und Lähmung durch die Sünde. Die Nacht aber hat Gott in seiner Güte von Anfang an mit Myriaden von Lichtern übersät, uns zum Trost und zur Aussicht darauf, dass diese nicht zählbare Licht-Kulisse aufgehen wird, bis der Erlöser selbst als einer dieser Sterne ins Fleisch kommen würde:

 17 Ich sehe ihn, aber nicht jetzt, ich erblicke ihn, aber nicht in der Nähe: Ein Stern geht in Jakob auf, ein Zepter erhebt sich in Israel. Er zerschlägt Moab die Schläfen und allen Söhnen Sets den Schädel. (Numeri 24, 17)

Man beachte dies: es ist nicht die Sonne, nicht der scheinbar gleißend helle Tag, die Sinnbild der Verheißung sind, sondern die „über-sternte“ Nacht. Engel und Menschen werden daher im AT immer wieder als „Sterne“ bezeichnet. Wie in einem früheren Aufsatz bereits erarbeitet, stellt das AT in mehrfacher Hinsicht eine radikale Absage an jeden Sonnenkult dar, eine Ausgangslage, der die Kirche irgendwann leider Adieu gesagt und eine ungute Vermischung erzeugt hat!
Die dringlichste Stelle im AT ist die, an der im Sturz des Königs von Babel der Engelsturz des Satans beschrieben scheint:

12 Ach, du bist vom Himmel gefallen, du strahlender Sohn der Morgenröte. Zu Boden bist du geschmettert, du Bezwinger der Völker.
13 Du aber hattest in deinem Herzen gedacht: Ich ersteige den Himmel; dort oben stelle ich meinen Thron auf, über den Sternen Gottes; auf den Berg der (Götter-)versammlung setze ich mich, im äußersten Norden.
14 Ich steige weit über die Wolken hinauf, um dem Höchsten zu gleichen.
15 Doch in die Unterwelt wirst du hinabgeworfen, in die äußerste Tiefe. (Jes 14)

Der „strahlende Sohn der Morgenröte“ wurde in der Vulgata als „Lucifer“ übersetzt, als der „Morgenstern“ — von daher kommt die Engführung des Verständnisses des Begriffes „Lucifer“ im späteren Mittelalter. Die erwähnten „Sterne Gottes“ sind Engelwesen. Die Erzählung spielt sich buchstäblich in dem Raum ab, der in der Schöpfungsgeschichte vorgestellt wird.

Die Langatmigkeit und die Wiederholungen der Ereignisse des vierten Schöpfungstages sagen uns, dass das, was da beschrieben wird, unter keinen Umständen umgedeutet werden darf: so ist es, wie beschrieben, und keinen Deut anders. Warum die Kirche sich darüber hinweggesetzt hat, ist schwer zu verstehen.
Doch was wird uns noch gesagt über die Gestirne?


2. Himmelskörper als „horologium“ und „Zeit-Zeichen“

Leicht überliest man, dass bereits der Schöpfungsbericht in V 14 uns sagt, die Gestirne seien „Zeichen“: „…dividant diem ac noctem, et sint in signa…“ — „…sie sollen Tag und Nacht scheiden, und sie sollen Zeichen sein…“. Im hebräischen Text ist die Rede von „otot“, von „Zeichen“. Ein „ot“ ist ein Zeichen, das etwas anzeigt und im Zeichensein seinen Charakter hat. Die Gestirne zeigen nach V 14 Zeiten („mo’adim“), Tag und Nacht und Jahre an, aber sie sind im weiteren Verlauf der Heiligen Schrift auch Vorzeichen und Warnzeichen für Apokalyptisches. Was die Vulgata neutral als „tempora“ übersetzt, birgt im Hebräischen einigen Zündstoff: „mo’ed“/“mo’adim“ — das sind zwar auch Festzeiten, aber es sind im wesentlichen gesetzte Fristen, Termine für Versammlungen und Gerichtstage, Anzeiger der Heilszeit und des Gerichtes. Vom selben Stamm wie „mo’ed“ kommt das Adjektiv „mu’ad“, das „gewarnt“ bedeutet. Es zeigt sich in diesem Wort nicht ein Kreislauf der Zeiten an, sondern im weitesten Sinne eine „sich erfüllende Zeit“, die nicht unendlich gedacht wird ohne Sinn und Verstand oder als bloße Bewusstseinsverfassung des Menschen angenommen wird, sondern als Zeitraum, als Vollzugsmedium, innerhalb dessen Gottes „Drama“ abläuft, das sich in der Bewegung der Gestirne mitvollzieht und „abzeichnet“. Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber übersetzte diesen V 14 so: „Leuchten seien… daß sie werden zu Zeichen, so für Gezeiten, so für Tage und Jahre…“.[3] Diese „Zeitzeichen“ der Gestirne sind quasi eine Bühnenbeleuchtung und werden eines Tages abgeschaltet werden, wenn alle aus dem Theater hinaustreten und seine Mauern abgebrochen werden.

Die „Zeit-Zeichen“ der Gestirne, die „otot“, sind für das gesamte Äon eine große, genial gestaltete „mechanische Uhr“, ein „horologium“, das liebevoll und prächtig gestaltet ist und unermüdlich abläuft wie ein Werk, das aufgezogen wurde und abläuft. Aber es ist nicht nur das. Es spricht am Ende durch den Ausbruch aus dieser Regelmäßigkeit auch von der baldigen Ankunft des Menschensohns.

Der Apostel Paulus spricht im Galaterbrief 4, 4 von der „Fülle der Zeiten“, der „plenitudo temporis“. Die „plenitudo temporis“ spricht hier vom Heilsereignis der Geburt des Sohnes Gottes aus einer Frau. Im Epheserbrief 1, 10 ist ebenfalls die Rede von der „plenitudo temporis“:

9 … notum faceret nobis sacramentum voluntatis suæ, secundum beneplacitum ejus, quod proposuit in eo,
10 in dispensatione plenitudinis temporum, instaurare omnia in Christo, quæ in cælis et quæ in terra sunt.

„… er hat uns das Geheimnis seines Wollens angezeigt, gemäß seinem Wohlgefallen, das er zur Verwaltung der Fülle der Zeiten bekannt gemacht hat, um in Christus alles wieder aufzurichten, was im Himmel und auf Erden ist.“

Die „plenitudo temporis“ ist „erfüllte Zeit“, „erfüllte Frist“, so wie biblisch davon gesprochen wird, es sei „die Stunde“ für etwas „gekommen“ — fürs Gebären vor allem, aber auch fürs Sterben oder auch für das öffentliche Wirken Jesu auf der Hochzeit zu Kana (Joh 2, 4): „Nondum venit hora mea.“ — „Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“
Die „erfüllte Frist“ annulliert tatsächlich die Zeit davor in ihrer Prozessualität. Was sich in ihr erfüllte, ist zu seinem Ziel gekommen und lebt im erfüllten Ziel weiter. Sie selbst aber als „Medium“ der Vergangenheit „ist nicht mehr“.
Diese dunkle und glückselige Ahnung an das „Ewige“ kennt man aus der Art und Weise, wie wir musizieren und Musik hören: Wir hören sie, obwohl sie sich prozesshaft entfaltet unter unseren Händen, und in unserem Bewusstsein erscheint sie doch als „eines“, man hört am Ende immer noch den Anfang und alles, was aus ihm folgte, und nichts in einem Musikstück ergibt Sinn, das sich nicht zwingend vom ganzen her erschließen müsste, auch dann, wenn wir dieses Ganze „noch nicht“ völlig „zu Ende“ gehört oder gespielt haben. Haben wir es aber zu Ende gespielt oder gehört, ist das Stück nur eben diese „eine“. Wir nehmen es nicht primär als etwas wahr, das gerade noch erklingt und zugleich in der Vergangenheit läge, sondern als ewige Gegenwart.

Die Geburt Jesu, diese sich erfüllende Zeit, wird durch Gestirnzeichen angekündigt. Nur ein Kriterium macht einen Menschen zum Menschen: dass er von einer Frau geboren wird. Gottes Annahme unserer Natur kann sich nur darin Ausdruck geben, dass er von einer Frau geboren wird. Man hat daher Maria nicht zu Unrecht ebenfalls mit einem Gestirn gleichgesetzt („stella maris“ — der Nordstern/Polaris bzw. Orientierungsstern der Schiffsleute und das Zentrum, um den sich der gesamte Gestirnehimmel dreht). Es ist tatsächlich so, dass die Heilsgeschichte und die Berufung des Menschen, an ihr mitzuwirken, in dieser großen Rolle der Menschwerdung Gottes durch die Mithilfe der Frau ihre Erfüllung findet. Die Geburt des Sohnes Gottes ins Fleisch findet wie die Vision Abrams über seinen Nachkommen in der Nacht und unter Begleitung von nächtlichen Himmelszeichen statt.
Wir alle kennen die Geschichte von den Weisen aus dem Osten, die aufgrund einer nicht bekannten Quelle wussten, dass ein göttlicher König im Heiligen Land zur Welt kommen würde, und reisten diesem Himmelszeichen nach, bis es den genauen Ort des Kindes in der Krippe anzeigte (Mt 2). Sie sehen den Stern zu Hause und machen sich unverzüglich auf den Weg (V 2): „Vidimus enim stellam ejus in oriente, et venimus adorare eum…“ — „Wir haben seinen Stern im Osten gesehen, und kommen nun, ihn anzubeten.“ Aus dem Kontext ergibt sich, dass es sich um einen Stern handeln muss, der erst aktuell „aufgegangen“ ist. Fast alle deutschen Übersetzungen übertragen daher mit „Wir haben seinen Stern aufgehen sehen…“. Zacharias preist den Herrn, nachdem seine Zunge gelöst wurde, weil nun der verheißene „oriens ex alto“ kommt, der „Morgenstern aus der Höhe“ (Benedictus). Christus wurde mit diesem „Oriens ex alto“ identifiziert und in der frühen Kirche daher auch „lucifer“ genannt (Morgenstern). Wir finden den Begriff in der Vulgata, die damit den Morgenstern, an einer Stelle aber auch den Engel, der vom Himmel stürzte meint (s.u., Jes 14, 12) oder einmal in den Petrusbriefen:
„Et habemus firmiorem propheticum sermonem : cui benefacitis attendentes quasi lucernæ lucenti in caliginoso donec dies elucescat, et lucifer oriatur in cordibus vestris.“ (2. Petr 1, 19) — „Wir haben die noch sicherere Predigt der Propheten: tut gut daran, sie zu beachten wie ein Licht einer Lampe in der Düsternis, bis der Tag anbricht und der Morgenstern in euren Herzen aufgehen wird.“

Erst in der Literatur des hohen und späten Mittelalters wird der Begriff „lucifer“ ausschließlich mit dem Satan identifiziert, nachdem sich in der Theologie komplizierte Engellehren etablieren konnten, die nicht nur aus biblischen Quellen stammen, was einige Verwirrung angerichtet hat: manche Evangelikale glauben aus diesem Grunde, die Kirche bete im österlichen „Exsultet“ oder in der lateinischen Bibel den Teufel an.
Dass der „oriens ex alto“, der „lucifer“, „aus dem Osten“ her kommt, als „Orientierungsstern“, gehört mit zur Bedeutung des „oriens“. Er wird in der römischen Antike gleichgesetzt mit der Venus, die einmal als Morgenstern, einmal als Abendstern aufgeht, seltener auch mit der Sonne, also merkwürdig doppeldeutig ist. Die Venus kündet in der Morgendämmerung den baldigen Aufgang der Sonne und in der Abenddämmerung den Aufstieg des Mondes mit den vielen Sternen. Sie kündet immer Licht und alles Gestirnelicht — das Sonnen-, Mond- oder Sternenlicht. Sie weist uns darauf hin, dass die Nacht nicht wirklich finster ist, weil Gott sie uns vom Mond und Myriaden von Sternen erleuchten lässt, wie „heruntergedimmt“, damit der Leib sich entspannen kann, aber ganz finster ist es nicht, es sei denn die Wolken-Zeichen der Urflut bedecken den freien Blick ins Firmament. Es ist buchstäblich so, wie der Psalmist es sang: „Auch die Finsternis ist nicht finster vor dir, die Nacht leuchtet wie der Tag, wie das Licht wird die Finsternis.“ (Ps 138/139)
Erst in der klaren Nacht erkennt der Mensch handgreiflich, wo er steht und welche Hoffnung er haben darf. Der helle Tag mag ihn über sich selbst und seine Lage blenden. Die Nacht lässt ihn ahnen, worauf er hofft.
Die Sterndeuter aus dem Osten sind gewissermaßen der lebendige Beweis dafür, dass dieser Stern in einer auffallenden oder astrologisch besonderen Konstellation am Himmel stand, weil er im Osten aufging und im Osten, wo alles Licht aufgeht, zuerst gesehen wurde und später nach Westen wanderte. Man hat oft diesen Stern mit einem Kometen oder einem außergewöhnlichen zusätzlichen Himmelsphänomen gleichgesetzt. Viele neuzeitliche Gelehrte haben schon versucht, dieses Himmelsphänomen zurückzuverfolgen und konnten bis heute im Rahmen des heidnisch-neuzeitlichen Weltbildes und Kalenders (!) nicht mit Gewissheit und Übereinstimmung der politischen Rahmenbedingungen, die die Evangelien nennen, rekonstruieren, was das gewesen sein könnte. Eine scheinbar „normale“ Venuserscheinung wäre nichts Besonderes gewesen. Es gibt weder einen bekannten Kometen noch eine Planetenkonjunktion, auf die zu diesem Zeitpunkt die beschriebene Phänomenologie präzise zutreffen kann. Auch kennen wir keine weiteren antiken Berichte über eine besondere Erscheinung (der Venus) zum präzisen Zeitpunkt der Herrschaft des Herodes. Die Erscheinungen in den Jahren vor und nach den Terminen, die das NT uns gibt, müsste uns dazu zwingen, diese Termine zu korrigieren.
Vielleicht handelt es sich tatsächlich um etwas, das nur die Sterndeuter gnadenhaft sehen konnten?
Die Sterndeuter berichten, dass sie im Osten einen Stern hätten aufgehen sehen, der für sie nach ihren Erkenntnissen bedeutet, dass in Israel ein göttliches Kind geboren worden sein muss. Nach dem langen Weg nach Westen gehen sie zum König Herodes und den Gesetzeslehrern der Juden und fragen nach, wo wohl der neue König sein könnte. Man gibt ihnen den richtigen Ort, nämlich Bethlehem, an, weil man die Schrift kennt, aber die Rabbis glauben selbst trotz aller Gelehrsamkeit nichts, und Herodes hat nur Angst davor, dass der wahre König der Könige ihm den Rang ablaufen könnte und schmiedet umgehend Mordpläne. Er erkundigt sich nach dem genauen Zeitpunkt der Erscheinung des Sterns bei den Weisen. „Qui cum audissent regem, abierunt, et ecce stella, quam viderant in oriente, antecedebat eos, usque dum veniens staret supra, ubi erat puer. Videntes autem stellam gavisi sunt gaudio magno valde.“ (V 9 f) — „Als sie den König hörten, machten sie sich auf, und siehe, der Stern, den sie im Osten gesehen hatten, ging vor ihnen her, bis er über dem Ort stehenblieb, an dem der Knabe war. Als sie aber den Stern sahen, wurden sie von übergroßer Freude erfüllt.“
Sie hatten den Stern offenbar einige Zeit lang nicht mehr gesehen. Die Gesetzeslehrer mussten aussprechen, wo der Messias der Prophetie gemäß geboren werden würde und es den Heiden bestätigen. Danach sahen die Weisen aus dem Morgenland den Stern wieder. Es wird uns nicht berichtet, dass außer ihnen noch jemand diesen Stern wahrgenommen hätte.
Wer war der Stern? Und wie kann ein weit am Himmel entfernt stehender Stern exakt auf ein Haus in einem Dorf auf der Erde zeigen?
War es vielleicht gar nicht die Venus, sondern ein Stern, der bisher nicht in Erscheinung getreten war? Anstatt nun dem Trugschluss zu verfallen, dann habe es ihn auch nicht gegeben und sei eine Erfindung des Evangelisten oder ein subjektives „inneres Erlebnis“ der Weisen, oder die Datierung der Geburt Jesu müsse falsch sein, die das NT uns angibt, könnte man bedenken, dass der Stern vielleicht einmalig von Gott selbst beauftragt worden war, aufzugehen, um diese Männer nach Bethlehem zu führen. Ein kleiner, unbedeutender Stern in den Myriaden von Sternen am Firmament, der nie aufgefallen war, wurde vielleicht für einen Augenblick, der aber die „plenitudo temporis“ bedeutete, in den Vordergrund gerufen, nur berufenen Augen sichtbar, um diese wichtige Mission zu erfüllen. Oder aber der Stern war wirklich die Venus, der Morgen- und Abendstern, aber in einer für die Sterndeuter außergewöhnlichen Sternenkonstellation, vom Rest der Gelehrten nicht beachtet?
Die Heidenchristen haben diesen Stern im einfachen und innigen Glauben immer besonders geliebt, künstlerisch ausgestaltet und in ihren Liedern besungen. Alle Kinder malten noch in meiner Kindheit den Stall in Bethlehem und diesen wunderbaren großen Stern darüber. Der Weihnachtsstern war und ist der besondere Stern der Heiden, die ins Heilige Land gerufen wurden und nach dem Willen Gottes zeitgleich mit den Juden erfassten sollten, dass die Erlösung nun zum Greifen nah gekommen war für die ganze Welt, über die der Himmel ausgespannt ist. Der Stern von Bethlehem ist das größte und schönste Himmelszeichen in der Heilsgeschichte. Manche setzen diesen Stern mit dem Sternbild Jungfrau bzw. Maria gleich, weil sie es war, die als Mutter des Erlösers ihm selbst vorausging. Verschiedentlich deutete man diesen Stern als Wegweiser für die Heidenvölker analog zur Feuersäule, die die Israeliten ins Gelobte Land führte.
Aber es gibt noch andere solche Zeichen in der Heiligen Schrift, und die meisten davon sollen erst zukünftig erscheinen. Doch sehen wir erst einmal in die Vergangenheit:

Die apokalyptische Schlacht zwischen den Israeliten und einer Allianz mehrerer Kanaaniter-Könige, die Josua 10 berichtet, weist gleich mehrere Himmelszeichen auf. Der Einzug der Israeliten ins Gelobte Land stellt eine wichtige Zäsur in der Heilszeit dar. Gott habe selbst vom Himmel her Steine auf die Feinde geworfen, einen Hagelsturm, sein Kampf mit himmlischen Steinen gegen die Kanaaniter sei wesentlich umfangreicher gewesen als alles, was die Israeliten mit ihrem kriegerischen Können vermocht haben. Josua habe Gott gebeten, sowohl die Sonne, als auch den Mond etwa 24 Stunden lang still stehen zu lassen, was Gott einmal in der Weltgeschichte auch gewährt habe, um diesen wichtigen Kampf zum guten Ende zu bringen. Dem abendländischen Heidentum der frühen und späteren Neuzeit gibt dieser Bericht Rätsel auf, denn in einem Weltbild, in dem Kugeln umeinander kreisen und die Sonne womöglich der ruhende Mittelpunkt ist, und der Mond um die Erde umläuft, ergibt dieser Bericht kaum Sinn. Stillstehen könnte hier nur die Erde samt dem Mond. Es wird aber andersherum erzählt. Nur eine flache Erde, über der Sonne und Mond in gegenseitiger Abhängigkeit zueinander ziehen, kann ein solches Phänomen plausibel machen. Andernfalls hätte hernach der ganze Kosmos durcheinander sein müssen. Nur wenn die Erde Mittelpunkt des Kosmos ist, ist dieses Ereignis vorstell- und nachvollziehbar. Den Autoren des Textes, wie es vielfach geschieht, zu unterstellen, sie seien zu unbedarft gewesen, um zu „wissen“, dass ein solcher Sonnen- und Mondstillstand unmöglich sei, weil sie noch nicht „erkannten“, wie das All aussieht, ist unzulässig. Es handelt sich um einen Bericht, der zwar poetisch verarbeitet ist, dessen Faktenerzählung deswegen aber auf keinen Fall unterschätzt werden darf:

„12b Sonne, bleib stehen über Gibeon und du, Mond, über dem Tal von Ajalon!
13 Und die Sonne blieb stehen und der Mond stand still, bis das Volk an seinen Feinden Rache genommen hatte. Das steht im «Buch des Aufrechten». Die Sonne blieb also mitten am Himmel stehen und ihr Untergang verzögerte sich, ungefähr einen ganzen Tag lang.
14 Weder vorher noch nachher hat es je einen solchen Tag gegeben, an dem der Herr auf die Stimme eines Menschen gehört hätte; der Herr kämpfte nämlich für Israel.“ (Jos 10, 12)

Die Herrschaft Gottes über die Sonne und den Mond zielt hier darauf ab, dass Israel sich angesichts dieser Ereignisse darüber vergewissern darf, dass der mächtige Gott auf seiner Seite steht, denn niemandem sonst gewährte der Schöpfer diese Machtdemonstration. Erneut setzt sich diese Stelle eindringlich gegen jegliche Verehrung der Gestirne, insbesondere der Sonne, als Gottheit ab.[4]
Es gibt überhaupt keinen Grund, die Wahrheit und buchstäbliche Richtigkeit dieser Erzählung anzuzweifeln. Es ist so Jahrhunderte und Jahrtausende lang tradiert worden, ohne dass sich einer daran gerieben hätte. Warum sollten Menschen früherer Zeitalter uns an Realismus unterlegen sein? Es wird als Wunder, als singuläres Ereignis beschrieben und zeugt alleine schon dadurch von einem völlig normalen Wirklichkeitssinn, der solcherlei Dinge eben im Normalfall ausschließt. Ähnlich ist es mit der Jungfräulichkeit Mariens, die heute hartnäckig und nahezu panisch geleugnet wird, obwohl sie zentrales Bekenntnis der Kirche immer war: warum sollte diese Information falsch sein, wo doch der Evangelist Lukas die Jungfrau Maria selbst dem Engel Gabriel sagen lässt, sie verkehre doch nicht mit Männern und könne darum auch nicht schwanger werden, worauf der Engel ihr eine singuläre, außerordentliche Situation ankündigt. Auch hier zeugt die Beschreibung doch von einem gesunden Realitätsbewusstsein, das sogar ausgesprochen kritisch gegenüber Wundern oder Aberglauben wirkt. Nach den Gesetzen der Logik ist es unmöglich, eine singuläre Abweichung von allgemeiner Erfahrung auszuschließen. Wenn Jungfrauen ohne Mann nicht schwanger werden, kann doch eine entsprechende Allaussage niemals garantieren, dass nicht doch eines Tages eine Ausnahme geschieht, die Allaussage aber grundsätzlich weiterhin gilt. Allerdings widerspricht es jeder Logik, etwas zu behaupten und zur Allaussage zu machen, das buchstäblich im „luftleeren Raum“ hängt und keinerlei empirische oder philosophische Begründung aufweisen kann, die zwingend oder notwendig ist.
Warum sollte also diese Erzählung des Stillstands der Sonne und des Mondes  nicht gelten, nur weil vor 500 Jahren plötzlich einige kamen und behaupteten, es sähe da draußen im „Weltraum“ ganz anders aus, ohne das je bewiesen zu haben? Das eine ist die lebendige Erfahrung der Israeliten mit Gott, die sie tradieren, das andere eine reine Theorie ohne jede Erfahrung und Nachweis, der man nach dem Motto „Was nicht sein kann, das nicht sein darf“ unterpflügt, was einem nicht passt und was man damit vielleicht annullieren will. Wir mögen unsere Phantastereien über das All tausendmal zeichnen, in Computeranimationen und Hollywoodfilmen vor Augen stellen und einer hybriden „Wissenschaft“ immer weiter ausmalen — es gibt nicht eine einzige, jedem Menschen mit Gewissheit verfügbare Erfahrung über dieses „moderne“ Weltbild, auch keine außerordentliche und singuläre…. Die Erfahrung führt notorisch bis heute ein anderes Bild vor Augen. Warum die Skepsis gegen einmalig Bezeugtes und daneben diesen blinden Glauben an nie Erwiesenes?

Die Sonne sollte mitten am Tag stehenbleiben, damit die Lichtverhältnisse für den Kampf optimal bleiben. Sie konnte nur dann stillstehen, wenn mit ihr auch der Mond stillsteht. Die Abhängigkeit besteht also nicht in einer Art „Emanation“ von der Sonne als dem Herrschergestirn über die Erde hin zum Trabanten Mond, sondern zwischen den gleichberechtigten und voneinander wechselseitig abhängigen Gestirnen Sonne und Mond, die der Erde und ihrer Illumination dienen.

Die Reaktion der Kirche auf Galilei war seltsam „oberflächlich“ und typisch jesuitisch: wir glauben nicht aus Überzeugung in der Sache, sondern weil die Kirche es (vermeintlich) schon immer so vorgetragen hat. Der Widerstand gegen die neuen kosmologischen Lehren geschah nicht aus einer intensiven Auseinandersetzung in der Sache, sondern um des bereits eingeschlagenen dogmatischen Wegs willen, der ein offenes Abweichen von der Lehre, die Kirche könne sich nicht irren, und alles, was sie einmal festgelegt habe, müsse um jeden Preis gelten, zunächst nicht erlaube. Kardinal Bellarmins SJ Reaktion auf Galilei war im Grunde opportunistisch. Seine Argumentation gegen Galileis „Hypothesen“ (diese Sprachregelung verlangte die Kirche in der Sache zu recht), ist ein reines Autoritätsargument: Wenn in der Heiligen Schrift hier etwas anderes steht und das Trienter Konzil die Irrtumslosigkeit der Schrift dogmatisch festgelegt hat, kann man hier nicht plump das Gegenteil dessen behaupten, was die Schrift überliefert. Die Frage war nicht, ob Menschen damit möglicherweise in der Sache einem Irrtum verfallen, sondern ob die Glaubwürdigkeit der Hierarchie geschmälert werden könnte. Ebenso habe die Kirche sich auf die Bindung an die übereinstimmende Auslegung der Kirchenväter festgelegt, und es sei daher nicht möglich, eine Sache völlig neu aufzurollen. Auf den Einwand, es handle sich hier möglicherweise gar nicht um eine Glaubensfrage „ex parte obiecti“, antwortet er, es handle sich aber um eine Glaubensfrage „ex parte dicentis“ , habe doch schließlich der weiseste Mensch auf Erden, Salomo, es auch so gesehen, dass die Sonne einem Lauf folge und nicht die Erde, also müsse es so auch wahr sein, einfach nur darum, weil es so überliefert sei. Es ist mit den Händen zu greifen, dass der Jesuitengelehrte sich gegenüber der Sachfrage verweigert, solange nicht gesichert ist, dass die Kirche sich nicht in Widersprüche verwickelt und darum Glaubwürdigkeit einbüßt. Der Rückzug auf eine Glaubensfrage „ex parte dicentis“ ist bereits die Vorhut für eine Umdeutung des in der Tradition Gesagten.
Man wird als Leser den Verdacht nicht los, dass Kardinal Bellarmin SJ, der also keinerlei Anstrengung unternahm, die Frage in der Sache zu untersuchen, durch den Verweis auf bloße Wortlaute und Autoritätsargumente zurückrudert oder das, was er dem Anschein nach verwirft, in Wahrheit sofort unterstützen würde, wenn es für den Machtanspruch der Kirche gefahrlos geschehen könnte.[5] Bellarmin soll vielmehr sogar die neue Lehre insgeheim unterstützt haben insofern, als er dazu anregte, sie aus dem Stand der bloßen Hypothese zu holen und nachzuweisen. So blieb auch das Ergebnis des Prozesses gegen Galilei im Ungefähren: Man warf ihm nicht vor, was er lehrte, sondern dass er es nicht beweisen konnte.[6] Die späteren Aktivitäten insbesondere des Jesuitenordens, dessen vornehmstes Fachgebiet nach der Theologie von Anfang die Astronomie war (!), zeugen jedenfalls nicht von einer ernsthaften Bindung an die Überzeugungen der Alten, sondern von dem Versuch, die neue Lehre zu belegen und voranzutreiben. Der ultramontane Machtrausch des Ordens nach seiner Wiederzulassung infolge des Wiener Kongresses trieb neben dem alten jesuitischen Projekt der Verabsolutierung des Papsttums wie zuvor schon die moderne Kosmologie voran. Einige der neueren Hypothesen (wie z.B. die Urknalltheorie) gehen auf Jesuiten zurück — freilich ohne wissenschaftlich saubere Beweise (nach wie vor) und ohne Rücksicht auf die Schriftüberlieferung in ihrem Wortlaut. Es werden vielmehr gigantische Tautologien erzeugt, und sehr viele Menschen sind intellektuell nicht mehr in der Lage, diese Mogelpackung zu durchschauen. Es ist für „normale Leute“ unmöglich geworden zu unterscheiden, ob es sich um ernsthafte, handfeste astronomische Theorien handelt, für die triftige phänomenale Gründe sprechen, oder um eine geniale Science Fiction-Installation. Und nicht nur das. Es waren auch die Jesuiten, die diese neuen Lehren in alle Welt trugen und zum Gegenstand der „Mission“ machten. So wurden Heidenvölker in einem nur geringen und hochumstrittenen Umfang christianisiert, aber insgesamt erfolgreich von ihrer einheimischen Kosmologie abgebracht.[7] Der in der Sache eindeutige Schriftbefund wurde seitens der Jesuiten auf verschiedenen Wegen bekämpft. Ein Weg bestand in der Relativierung des Schriftwortes als Reaktion auf das protestantische „Sola-scriptura“-Prinzip. Sie unternahmen bereits im 17. Jh einige Anstrengungen, um das Schriftwort nach eigenem Gutdünken jeweils als bloße „Meinung“ anzusehen und holten sich dadurch Zensuren durch verschiedene theologische Universitäten ein, etwa Löwen und Douai. So stimmten Jesuiten in der Schriftkritik mit Luther überein, indem sie apokryphe Schriften der Septuaginta als nicht direkt vom Hl. Geist inspiriert behaupten, hierin aber weitergingen und diese Meinung auch auf den Kernbestand der Schrift, etwa bei historischen Büchern, übertrugen.[8] Beistand erhielten sie von dem katholischen französischen Exegeten Richard Simon, der im 17. Jh als erster die „historisch-kritische“ Bibelexegese in großem Umfang betrieb. Diese Methode erlaubt eine willkürliche Bewertung biblischer Sachverhalte, solange man echte oder auch nur dem Anschein nach echte Argumente dafür vorbringen kann. Der Text und seine Überlieferung wird dadurch in seiner Autorität erheblich zurückgestuft. Im Falle der Jesuiten rückte an die Stelle des relativ sicheren Textbefundes oder einer handfesten, schriftlich fixierten Auslegungstradition die päpstliche Unfehlbarkeit in der Lehre. Man hat protestantischerseits vermutlich niemals begriffen, dass der nachtridentinische, jesuitisch geprägte Katholizismus nicht nur die Schrift, sondern auch die überlieferte, fixierte Tradition beiseite rückt und nur noch das „leibhaftige“ Traditionsprinzip, im Papst inkarniert, anerkennen will. Die häufige evangelische Polemik gegen das alte Traditionsprinzip verfehlt insofern vollkommen die Problemlage, zumal die Schrift ja selbst Ergebnis tradierten Glaubens war und ist. Bei genauerem Hinsehen kann man erkennen, dass das alleine auf den Papst fixierte unfehlbare Traditionsprinzip der neueren protestantischen Auslegungswillkür, die vorerst noch dem Anschein nach jedem einzelnen überlassen wird, entspricht. In beiden Fällen wird eine objektive, „materielle“ Grundlage des Glaubensgutes relativiert und einer Subjektivierung und scheinbaren „Vergeistigung“ überlassen, die im einen Fall als „derzeitig gerade absolut“ („regula fidei proxima“), im anderen Fall als „derzeitig gültig“ behauptet wird, hier freilich anders gefärbt. Man sagt, man sehe etwas „heute“ so. Nicht anders aber ist das Papstprinzip gelagert, wenn auch in anderen Kostümen. Die Tatsache einer manchmal unsicheren Textüberlieferung wird in beiden Fällen so überbewertet, dass die Suggestion erzeugt wird, man könne folglich den Texten als Offenbarungsgrundlage nicht gewiss vertrauen.

Wenn man also bedenkt, dass das Hauptproblem des 16. und 17. Jh, das in der Kirche verhandelt wurde, nicht die neue Kosmologie selbst war, sondern deren vermutlich prinzipielle Unbeweisbarkeit, dann lässt dies aufhorchen. Es ist dieser Umstand offenkundiger Unaufrichtigkeit, der mich an dieser Stelle vor der Kirche zurückweichen lässt. Die Kirche hätte es demnach bei einer „Nichtbeteiligung“ an der Debatte belassen müssen. Sie tat es aber nicht, sondern trieb langfristig selbst den Abfall von dem voran, was sie wie ein Stachel im Fleisch in ihren eigenen alttestamentlichen und frühchristlichen Traditionen Lügen straft. Alleine, dass ihr einziges Interesse war, wie man den Widerspruch ohne Autoritätsverlust den Menschen unterjubeln könne, erregt Abscheu in mir. Es hat eben den Anschein, dass die Kirche nicht nur defensiv reagierte, sondern selbst die neuen Lehren hervorbrachte und einfließen lassen wollte ins Glaubensgut. Das Urteil Pierre Leichs über die „Causa Galilei“ entbehrt aus meiner Sicht nicht der Tragikomik:

„Bis Galileis Dialogo vom Index Librorum Prohibitorum gestrichen wurde, dauerte es bis zum Jahr 1835. Die Galilei-Akten wurden 1880 unter Leo XIII. geöffnet, doch entstanden zunächst nur tendenziöse Publikationen. Immerhin anerkannte dieser Papst Galileis Argumente über die Beziehung von Wissenschaft und Offenbarung der Bibel, doch ein bleibender Schaden im Verhältnis von Ratio und Religio war längst entstanden.“[9]

Die Sache verhält sich andersherum, denn Galilei war es, der nicht aufgrund einer „ratio“, sondern aufgrund einer Voreingenommenheit, die man in einem gewissen Sinn als „religio“ bezeichnen kann, seine kosmologischen Behauptungen aufstellte. Es war ja gerade die Problematik, dass er seine Meinungen ebenso wenig beweisen konnte wie die Kirche dies bei der biblischen Überlieferung vermochte, die in seinem Inquisitionsprozess verhandelt wurden. Es steht hier also nicht „ratio“ gegen „religio“, sondern „religio“ gegen „anti-religio“, aber „religio“ ist beides!
Es bleibt die Frage im Raum stehen, warum es der Kirche so wichtig war und ist, dass die Menschen nicht an die Kosmologie glauben, die aus der Schrift und den vorzeitlichen Überlieferungen aller Völker hervorgehen. Warum legte sie es langfristig darauf an, den Menschen abzuschneiden von der Überlieferung der Urzeit, die nicht weniger plausibel ist als die moderne Kosmologie, dabei aber den Vorteil hat, von jedermann empirisch nachvollzogen werden zu können, wohingegen die neuzeitliche Astronomie einer Geheimlehre gleichkommt, die nur für Eingeweihte erfahr- und erkennbar ist. Es ist bizarr, dass die ganze Welt sich dies gefallen lässt und bereitwillig glaubt, was objektiv so zweifelhaft ist wie kaum etwas anderes in diesem Leben.

Doch zurück zu den Gestirnen als „Zeichen“ für apokalyptische Ereignisse in der Heiligen Schrift:
Von „kosmischen“ Zeichen ist nicht nur die Geburt Jesu gekennzeichnet, sondern auch sein Tod. Die letzten drei Stunden vor seinem Tod, als er am Kreuz hing, waren mitten am Tag verfinstert:
A sexta autem hora tenebræ factæ sunt super universam terram usque ad horam nonam.” (Mt 27, 45) — “Von der sechsten bis zur neunten Stunde aber brachen Finsternisse über die gesamte Erde herein.”
Es ist merkwürdig, dass fast alle deutschen Übesetzungen das „super universam terram“ („über die gesamte Erde“) als „über das ganze Land“ übertragen und damit den Eindruck erwecken, das sei nur in Israel zu sehen gewesen. Die lateinische Formulierung zumindest lässt keinen Zweifel darüber, dass diese Finsternis auf der ganzen Erde einbrach. Und das mitten am Tage (von Mittag bis drei Uhr nachmittags). Sonnenfinsternisse dauern niemals so lange. Man stellte Spekulationen an, welche natürlichen Ursachen diese Himmelsphänomene hervorgerufen haben könnten und kann es bis heute nicht erklären. Dabei steht das kopernikanische Weltbild ganz besonders und unerbittlich im Weg. Manche meinen, es war eine ziemlich dunkle Tagzeit, so, wie es düster wird bei einem Unwetter. Das mag man daraus schließen, dass nach dem Tod Jesu um 15.00 Uhr ein schweres Erdbeben geschah. Bei diesem Erdbeben spalteten sich Felsen, und Gräber öffneten sich und gaben die bereits entschlafenen Heiligen heraus. Sie wurden in ganz Jerusalem gesehen. Das „Wetter“ ist hier also mehr als nur ein gewöhnliches Unwetter, und die „Finsternisse“ ausgerechnet zur Mittagszeit, wenn es natürlicherweise nach aller Erfahrung am hellsten ist, weisen auf eine außergewöhnliche Schwächung der Sonne hin. Lukas bestätigt dies: „Et obscuratus est sol.“ (Lk 23, 45) — „Die Sonne wurde verdunkelt.“
Dieses Zeichen konnte also wie der Sonnen- und Mondstillstand bei Josua und der Stern von Bethlehem bis heute von niemandem zweifelsfrei aus den natürlich Abläufen der Gestirne, die wir beobachtet haben, erklärt werden.
Wir erkennen daraus vor allem eines: die Gestirne gehorchen dem Befehl ihres Schöpfers und reagieren auf das, was geschieht zwischen Himmel und Erde.
Wenn die „ganze Schöpfung in Wehen seufzt bis heute“ (Röm 8, 22), dass unsere „Kindschaft offenbar wird“, die Hoffnung der Christen, dann ist es nicht schwer, sich vorzustellen, dass die Sonne, als der Sohn Gottes am Kreuz starb, in Erschütterung und Trauer nicht mehr scheinen konnte. Mit seinem Tod wich das Licht aus ihr, die doch all ihr Licht von ihm bezieht, weil er derjenige ist, „durch den alle Dinge geschaffen sind im Himmel und auf Erden“ (Kol 1, 16).

Es stehen für das Ende der Zeiten noch eine ganze Reihe dramatischer Himmels- und Gestirnezeichen aus. Es ist notwendig, sich die apokalyptischen Voraussagen der Heiligen Schrift, die noch nicht erfüllt sind, genauer anzusehen.


3. Die Gestirne am Ende der Tage

Die eindeutigsten und unzweifelhaftesten Aussagen dazu sind uns von Jesus selbst überliefert.
Die synoptischen Evangelien geben uns die Endzeitreden Jesu kurz vor seinem Tod wieder.

25 Es werden Zeichen sichtbar werden an Sonne, Mond und Sternen und auf der Erde werden die Völker bestürzt und ratlos sein über das Toben und Donnern des Meeres.
26 Die Menschen werden vor Angst vergehen in der Erwartung der Dinge, die über den Erdkreis kommen; denn die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden.
27 Dann wird man den Menschensohn in einer Wolke kommen sehen, mit großer Kraft und Herrlichkeit. (Lk 21)

Im Markus-Evangelium führt der Herr diese Zeichen an den Gestirnen genauer aus. Er sagt eine große Not hervor, „wie es noch nie eine gegeben hat, seit Gott die Welt erschuf, und wie es auch keine mehr geben wird“ (Mk 12, 19). Später sagt er:

24 Aber in jenen Tagen, nach jener Drangsal, wird die Sonne verfinstert werden und der Mond wird nicht mehr scheinen;
25 die Sterne werden vom Himmel fallen und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden.
26 Dann wird man den Menschensohn in Wolken kommen sehen, mit großer Kraft und Herrlichkeit.
27 Und er wird die Engel aussenden und die von ihm Auserwählten aus allen vier Windrichtungen zusammenführen, vom Ende der Erde bis zum Ende des Himmels.

Nahezu wortgleich berichtet Matthäus (Mt 24, 29ff).
Hier stoßen uns im Hinblick auf die Gestalt der Erde gleich mehrere Dinge auf:

1. Wenn Sterne vom Himmel fallen werden, dann ergibt das keinen Sinn, wenn man sich vorstellt, die seien Millionen Lichtjahre entfernt und womöglich um ein Vielfaches größer als die Erde. Es ergibt auch keinen Sinn, sich darauf herauszureden, es müssten dann eben Meteoritenschauer sein. Damit ist nicht zu rechnen, denn wenn die Sterne vom Himmel fallen, dann wird man sie anschließend am Himmel vermissen. Indirekt bestätigt wird dies durch Off 8:

10 Der dritte Engel blies seine Posaune. Da fiel ein großer Stern vom Himmel; er loderte wie eine Fackel und fiel auf ein Drittel der Flüsse und auf die Wasserquellen.
11 Der Name des Sterns ist Absinth - Wermut - . Ein Drittel des Wassers wurde Absinth und viele Menschen starben durch das Wasser, weil es bitter geworden war.
12 Der vierte Engel blies seine Posaune. Da wurden ein Drittel der Sonne und ein Drittel des Mondes und ein Drittel der Sterne getroffen, sodass sie ein Drittel ihrer Leuchtkraft verloren und der Tag um ein Drittel dunkler wurde und ebenso die Nacht.

Ein „Hinunterfegen eines Drittels der Sterne liest man auch in Apk 12. Dort fallen die Sterne durch eine heftige Schwanzbewegung des Drachen:

Ein anderes Zeichen erschien am Himmel und siehe, ein Drache, groß und feuerrot, mit sieben Köpfen und zehn Hörnern und mit sieben Diademen auf seinen Köpfen.
Sein Schwanz fegte ein Drittel der Sterne vom Himmel und warf sie auf die Erde herab.

In gar keinem Fall darf man hier also von einer bloßen Häufung von Sternschnuppen und „Meteoriteneinschlägen“ ausgehen.

2. Die Beschreibung der Erscheinung des Menschensohnes in den Wolken am Himmel, die von allen gesehen wird, lautet folgendermaßen: „Alle Völker werden jammern und klagen und sie werden den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf den Wolken des Himmels kommen sehen.“ (Mt 24, 30) Wenn der wiederkommende Herr von allen gesehen werden kann, kann die Erde keine Kugel mit „Antipoden“ und „Down-Under“ sein. Sie muss flächig angelegt sein. Nur so ist eine Sicht aller auf ihn möglich.

3. Da übereinstimmend überliefert wird, dass Jesus die von ihm „Auserwählten aus allen vier Windrichtungen zusammenführen (wird), vom Ende der Erde bis zum Ende des Himmels“ (s.o.), dann ist die Erde so angelegt, dass es Sinn ergibt, sie flächig und von einem Flächenzentrum her in vier Richtungen hin zu strukturieren. Auf einer Kugel kann es nur bedingt „Windrichtungen“ geben. Es mag dort Winde geben, die man in bestimmten Kugelabschnitten verorten kann, aber sie geben keine Vierzahl der „Richtungen her“. Die Problematik einer Kugel ist, dass es auf ihr keine wirklichen Richtungen geben kann, kein echtes Oben und Unten und: vor allem kein „Ende der Erde“ und erst recht kein „Ende des Himmels“. Die Formulierung lässt viel eher ein Bild entstehen, bei dem das Ende der Erdfläche mit den Zeltenden des Himmel zusammenstößt, und dieser Ort das äußerste Ende der Erde (von einem Mittelpunkt der Fläche aus gesehen) und des unteren Himmels bedeutet.

4. Jesus sagt, die „Kräfte des Himmels“ würden „erschüttert werden“.
Aufgrund seiner Zuordnung dieser Kräfte zu den Gestirnen muss man annehmen, dass er meint, dass die althergebrachten Gestirneläufe, die im Alten Testament vielfach sogar als Garanten der ewigen Güte und Macht Gottes sind (Jer 31, 35; Job 38, 33; Jer 33, 25f) am Firmament durcheinander gebracht werden. Diese Rede ergäbe keinerlei Sinn im heliozentrischen Kugelmodell. In der gängigen Astronomie und Kosmologie werden ja unentwegt Sensationen im All angenommen, ohne dass dies eine besondere Auswirkung haben kann, ist doch dieses All viel zu gigantisch gedacht. Fast jede „Erschütterung“ wird ausgelagert in Millionen Lichtjahre Entfernung. Das einzige, was man als „Gefahr“ evoziert, ist der Zusammenstoß des „Planeten Erde“ mit anderen Gestirnen, etwa Kometen oder Asteroiden, aber genau dies wird niemals geschehen, weil die Erde kein Planet ist und nicht in einem unendlichen Raum herumfliegt. Alle militärischen Mächte wissen das sehr genau, auch wenn sie die Menschheit immer wieder in Atem halten mit entsprechenden Szenerien und Verängstigungen. Es ist ein mediales Spiel von Gerüchten und Dementis, das keiner mehr ernst nimmt.
Es gibt nur eine reale Gefahr, und die besteht darin, dass der Mensch durch seine himmelschreienden Sünden das Gefüge des Firmamentes durcheinander bringt.

In Off 8 wird genauer ausgesprochen, was mit der Erschütterung der Kräfte gemeint ist: Bei den vier ersten Posaunen wird ein Drittel der Leuchtkraft der Gestirne verloren gehen. Zuvor stürzen „Feuer und Hagel“ vom Himmel ins Meer und vernichten ein Drittel der Lebewesen darin, ein „großer Stern“ fällt wie „eine Fackel“ in die frischen Gewässer, in „Flüsse und Quellen“, also das geordnete, lebendige Wasser und vernichtet ein Drittel aller darin lebenden Tiere. Die Menschen sterben an diesem verseuchten Wasser. Es ist unsinnig, sich einen solchen Vorgang auf einem Erdball vorzustellen. Auf einer Erdfläche aber ist es leicht denkbar, dass mit einem solchen Sternensturz die zentrale Zufuhr des frischen Wassers zerstört wird, die irgendwo unter unseren Füßen sein könnte. Wir erinnern uns, dass im Garten Eden „ein Strom“ entspringt, der die ganze Welt bewässert, und sich in vier Hauptströme verzweigt, von denen einer der „Euphrat“ ist (Gen 2, 10 ff). Man kann aus dieser Schöpfungserzählung entnehmen, dass die gesamte Frischwasserzufuhr von einem einzigen großen Unterstrom aus der Urflut herrührt. Bestätigt wird diese Sicht durch Salomo, der schrieb: Alle Flüsse fließen ins Meer, das Meer wird nicht voll. Zu dem Ort, wo die Flüsse entspringen, kehren sie zurück, um wieder zu entspringen.“ (Kohelet 1, 9) das „Meer“ ist hier die „Quelle“ der Flüsse. Das bedeutet, dass Salomo davon ausgeht, dass die Meere sich aus einer großen Urquelle speisen, aus der auch die Quellflüsse sich speisen. Es würde also genügen, einen der Hauptströme empfindlich zu treffen und damit dieses „Drittel der Menschen“ zu verseuchen. Vom Euphrat ist auch bei der Ausgießung der Zornschalen die Rede: „Der sechste Engel goss seine Schale über den großen Strom, den Eufrat. Da trocknete sein Wasser aus, sodass den Königen vom Aufgang der Sonne der Weg offen stand.“ (Off 16, 12) In der Größenordnung Edens wäre damit ein Viertel des frischen Wassers annulliert. Von den restlichen drei Hauptströmen würde einer verseucht.
Bei der Beschreibung der „Zornschalen“ in Kap. 16 wird in V 8 geschaut, dass die Sonne durch die Ausgießung einer Zornschale viel stärker brennt als zuvor und die Menschen versengt und sie schwere Verbrennungen davontragen werden von ihrem Schein. Da diese Steigerung ihrer Leucht- und Brennkraft nach der Einbuße um ein Drittel geschieht, kann man sich hier nicht auf die oft prognostizierte Entwicklung der Sonne im heliozentrischen Modell berufen.[10] Nach einem gewaltigen Erdbeben, das schwerer sein wird als alle Erdbeben je zuvor, werden „gewaltige Hagelbrocken, zentnerschwer“ vom Himmel fallen (V 21). Es müssen unvorstellbare Vorgänge in der Luft und am Firmament geschehen, um solche großen Eisstücke von oben herabzuwerfen. Dass Gott allerdings einen großen Vorrat an Hagel für das „tempus hostis“, „Zeit der Drangsal“, wie die Einheitsübersetzung 2016 überträgt, eigentlich aber die „Zeit des Widersachers/“Reichsfeindes““, also die Endzeit, vorbereitet und gelagert hat, sagt uns bereits das Alte Testament im Buch Job:

2Bist du zu den Kammern des Schnees gekommen, hast du die Kammern des Hagels gesehen,
23 den ich für Zeiten der Drangsal aufgespart, für den Tag des Kampfes und der Schlacht? (Job 38)

Martin Buber überträgt diese Stelle mit den Worten:

„Bist du zu den Speichern des Schnees gekommen
Und hast die Speicher des Hagels besehn,
die für die Frist der Drangsal ich sparte, f
für den Tag des Kampfes und der Kriegschaft?[11]

In der Erzählung über Josuas Eroberung des Gelobten Landes haben wir bereits davon gehört, dass Gott selbst aus diesem Vorrat Hagelbrocken auf die dämonischen Völker herabwarf (Jos 10, 11). In Gen 15, 16 werden insbesondere die Amoriter als moralisch verkommenstes Volk benannt. Die schweren Gräuel der Amoriter erwähnt auch 1. Kön 21, 26, denen sich der israelitische König Ahab aufgrund des Einflusses seiner heidnischen Frau Isebel ergeben hatte. Ihre gnadenlose Vernichtung durch Josua hängt mit dieser Dämonie der Abgötterei zusammen und grausamen Praktiken, wie etwa der, die eigenen Kinder durch Feuer gehen zu lassen.
In Jesus Sirach 46, 5 wird Bezug genommen auf dieses für Israel starke Erlebnis, dass Gott selbst im Kampf gegen die Dämonie Hagelbrocken vom Himmel stürzen ließ:
„Er rief den Höchsten, den Mächtigen an, als ihn die Feinde ringsum bedrängten; und der große Herr erhörte ihn mit Hagelkörnern von gewaltiger Kraft.“
Der grausame Kampf um das Gelobte Land war nicht einfach nur eine schnöde Landnahme, sondern ein Kampf gegen die Finsternis, die ganze Völker erfasst und verdorben hatte.
Die Offenbarung knüpft hier an die apokalyptische Tradition des Alten Testamentes an, in der es um den Kampf um Licht und Finsternis geht. In der zukünftigen Auseinandersetzung aber vertritt niemand mehr auf Erden das Licht mit einer realen Streitmacht.
Die „Frist der Bedrängnis“, das Ereignis der „Enge“, der „Bedrängnis“ oder auch des „Widersachers“, die „et-zar“, kann im Hebräischen das Wort „zar“ entweder als Ereignis und Zustand der Bedrängnis auffassen oder personal im Sinne einer Frist, einer Zeitspanne, einer begrenzten Phase des „Bedrängers“ oder „Feindes“.

Auch wenn man sich das eine oder andere Detail für sich genommen im Rahmen des kopernikanischen Modells vorstellen könnte, ist es doch insgesamt in dessen Rahmen nicht denkbar — alleine die Frage, wie ein Drittel der Myriaden von Sternen, wenn man annimmt, sie stellten eigene Galaxien und Sternenheere dar, die fast unendlich weit entfernt sind, einfach so plötzlich verschwinden, nicht mehr leuchten bzw in ihrem Schein abgeschirmt sein sollten und/oder auf die Erde stürzen sollen ist nicht beantwortbar. Nur in einem flächig angelegten Modell, über dem sich das Himmelszelt mit den Firmamentgestirnen wölbt, ist diese Beschreibung vorstellbar und sinnvoll.

Die Zerrüttung der Ordnungen am Firmament korrespondiert der Zerrüttung durch die Sünde bei den Menschen. Je weiter die Menschheit, je weiter vor allem die Fürsten sich von den Ordnungen Gottes in ihren Herzen und Taten entfernen, desto gefährdeter ist die kosmische Ordnung:

1 Alle Bewohner des Landes sollen zittern; denn es kommt der Tag des HERRN, ja, er ist nahe,
ein Tag des Dunkels und der Finsternis, ein Tag der Wolken und Wetter (…)
10… der Himmel erbebt; Sonne und Mond verfinstern sich, die Sterne halten ihr Licht zurück.
11 Und der HERR lässt vor seinem Heer seine Stimme erschallen; ja, überaus zahlreich ist sein Heer, ja, gewaltig groß ist der Vollstrecker seines Befehls. Ja, groß ist der Tag des HERRN und voll Schrecken. Wer kann ihn ertragen? (Joel 2)

Das Gericht, der „Tag des Herrn“, geht einher mit der Offenbarwerdung der Folgen menschlicher Untaten im Himmelsgefüge:

Wenn dein Leben erlischt, will ich den Himmel bedecken und seine Sterne verdüstern. Die Sonne decke ich zu mit Wolken, der Mond lässt sein Licht nicht mehr leuchten.
Deinetwegen verdunkle ich alle die strahlenden Lichter am Himmel und lege Finsternis über dein Land - Spruch GOTTES, des Herrn.  (Ez 32)

Die Bosheit des Menschen ruft den Regress in den chaotischen Zustand des ungezähmten „t’hom“, der tödlichen Urflut hervor. Diesmal zeigt er sich nicht am unkontrollierten Einbruch in die Erde, sondern an der Auflösung der festgefügten „Pfeiler“ der Erde (Job 38, 6):

10 Die Sterne und Sternbilder am Himmel lassen ihr Licht nicht leuchten. Die Sonne ist dunkel bei ihrem Aufgang und der Mond lässt sein Licht nicht scheinen.
11 Dann werde ich am Erdkreis die Bosheit heimsuchen und an den Frevlern ihre Schuld. Dem Hochmut der Stolzen mache ich ein Ende und erniedrige die Hoheit der Tyrannen.
12 Die Menschen mache ich seltener als Feingold, die Menschenkinder rarer als Golderz aus Ofir.
13 Darum werde ich den Himmel erzittern lassen und die Erde wird beben, weg von ihrem Ort, wegen des Grimms des HERRN der Heerscharen am Tag seines glühenden Zorns. (Jes 13)

Ein letzter Hinweis gilt dem berühmten Bild in Apk 12. Dort heißt es:

Dann erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt.
Sie war schwanger und schrie vor Schmerz in ihren Geburtswehen.
Ein anderes Zeichen erschien am Himmel und siehe, ein Drache, groß und feuerrot, mit sieben Köpfen und zehn Hörnern und mit sieben Diademen auf seinen Köpfen.
Sein Schwanz fegte ein Drittel der Sterne vom Himmel und warf sie auf die Erde herab. Der Drache stand vor der Frau, die gebären sollte; er wollte ihr Kind verschlingen, sobald es geboren war.
Und sie gebar ein Kind, einen Sohn, der alle Völker mit eisernem Zepter weiden wird. Und ihr Kind wurde zu Gott und zu seinem Thron entrückt.
Die Frau aber floh in die Wüste, wo Gott ihr einen Zufluchtsort geschaffen hatte; dort wird man sie mit Nahrung versorgen, zwölfhundertsechzig Tage lang.

Ich möchte die zahlreichen traditionellen Spekulationen über diese Stelle nicht vermehren. Jede mögliche Deutung, etwa die auf die Kirche oder auf Maria oder die „Tochter Zion“ klemmen an irgendeiner Stelle und sind unstimmig. In unserem Zusammenhang interessiert nur die Zuordnung der Leuchtkörper des Himmels zu dieser Erscheinung. Die „zwölf Sterne“ auf dem Haupt der Frau legen eine Deutung nahe, die an die Bildsprache anderer Diademe in biblischen Prophetien anknüpft, bei denen verschiedene „Hörner“ oder „Köpfe“ beschrieben werden. Sie bedeuteten demnach Personen. Man kann in jedem Fall eines aus diesem Bild entnehmen: Sonne und Mond sind dieser Frau dienstbar: die Sonne ist ihr Gewand, der Mond, etwa als Sichel vorgestellt, ist ihr „Schnabelschuh“. Die alttestamentliche Entmythologisierung des Gestirnglaubens erfährt hier einen Höhepunkt, denn die Gestirne sind dienstbare Wesen auch dem bräutlichen Menschen. Das Bild der Frau mit den zwölf Sternen, die wie ein Kranz um ihr Haupt gelegt sind, erinnert auch an den alttestamentlichen Traum Josefs:
„Er hatte noch einen anderen Traum. Er erzählte ihn seinen Brüdern und sagte: Siehe, ich träumte noch einmal: Und siehe, die Sonne, der Mond und elf Sterne warfen sich vor mir nieder. (Gen 37, 9)
Aus dem Kontext geht dort hervor, dass mit den elf Sternen seine elf Brüder gemeint waren. Wer Sonne und Mond sind, bleibt im Dunkeln. Die Zuordnung von „Sternen“ zu identifizierbaren Personen wird jedoch auch hier deutlich.
In der Bildsprache bedeutet der Kranz ein Ehrenzeichen oder eine Krone: die zwölf Sterne gereichen der Frau zur Ehre und garantieren ihre Reinheit.
Die Hinwegfegung eines Drittels der Sterne durch den Drachen kann anknüpfen an die Aussage Jesu, es würden die realen Sterne auf die Erde fallen, aber auch andeuten, dass ein Drittel der Engel mit dem Satan gestürzt ist. Und weiter kann damit auch ausgesagt sein, dass ein Drittel des Menschengeschlechtes verloren ist und sich willentlich gegen den wahren Gott stellt.


4. Sterne als Engel, Geister und Heilige

Aber auch in einem weiteren Zusammenhang, der eher die Bedeutung des „Sterns“ als Bezeichnung eines Engels oder Heiligen meint, wird in der Apokalypse 9 gesprochen:

1 Der fünfte Engel blies seine Posaune. Da sah ich einen Stern, der vom Himmel auf die Erde gefallen war; ihm wurde der Schlüssel zu dem Schacht gegeben, der in den Abgrund führt.
2 Und er öffnete den Schacht des Abgrunds. Da stieg Rauch aus dem Schacht auf, wie aus einem großen Ofen, und Sonne und Luft wurden verfinstert durch den Rauch aus dem Schacht.
3 Aus dem Rauch kamen Heuschrecken über die Erde und ihnen wurde Kraft gegeben, wie sie Skorpione auf der Erde haben.
4 Es wurde ihnen gesagt, sie sollten dem Gras auf der Erde, allen grünen Pflanzen und allen Bäumen keinen Schaden zufügen, sondern nur den Menschen, die das Siegel Gottes nicht auf der Stirn haben.
5 Es wurde ihnen befohlen, die Menschen nicht zu töten, sondern nur zu quälen, fünf Monate lang. Und der Schmerz, den sie zufügen, ist so stark, wie wenn ein Skorpion einen Menschen sticht.
6 In jenen Tagen werden die Menschen den Tod suchen, aber nicht finden; sie werden sterben wollen, aber der Tod wird vor ihnen fliehen.
7 Und die Heuschrecken sehen aus wie Rosse, die zur Schlacht gerüstet sind; auf ihren Köpfen tragen sie etwas, das goldschimmernden Kränzen gleicht, und ihre Gesichter sind wie Gesichter von Menschen,
8 ihr Haar ist wie Frauenhaar, ihr Gebiss wie ein Löwengebiss,
9 ihre Brust wie ein eiserner Panzer; und das Rauschen ihrer Flügel ist wie das Dröhnen von Wagen, von vielen Pferden, die sich in die Schlacht stürzen.
10 Sie haben Schwänze und Stacheln wie Skorpione und in ihren Schwänzen ist die Kraft, mit der sie den Menschen schaden, fünf Monate lang.
11 Sie haben als König über sich den Engel des Abgrunds; er heißt auf Hebräisch Abaddon, auf Griechisch Apollyon.
12 Das erste Wehe ist vorüber. Siehe, noch zweimal wird das Wehe kommen.

Es ist eine merkwürdige Stelle. Sie erinnert an den Engelssturz im Buch Jesaja (s.0.), als vom Stern „Lucifer“ gesprochen wird, dem „Sohn der Morgenröte“, der abgestürzt ist. Die dämonischen Wesen, die aus dem Schacht hervorquellen, zu dem dieser „Stern“ den „Schlüssel“ hat, haben einen „König“, den „Engel des Abgrundes“, der auch „Apollyon“ heißt. Apollyon, wenn er den Gott Apollon meint, ist sowohl der „Zerstörer“ (Gott de Todes und der Pest), als auch der Sonnengott, der Gott der Musik, der Dichtung, der Fruchtbarkeit und Viehherden. „Abaddon“ ist für die Juden der „Zerstörer“, der Todesengel bzw ein Höllenkreis.[12]

Wir haben gesehen, dass die Heilige Schrift die Vorstellung kennt, bei den Sternen handle es sich um personhafte Wesenheiten. Nicht nur der Vergleich der unzählbaren Sterne mit einer unzählbaren Nachkommenschaft Abrahams legt dies metaphorisch nahe, sondern die Identifikation der „b’ne elohim“, der „Göttersöhne“ mit Sternen. Immer wieder lesen wir eine direkte Verknüpfung von Sternen mit Göttersöhnen, der „Entourage des Allmächtigen“ im Himmel:

6 Wohin sind ihre (der Erde) Pfeiler eingesenkt? Oder wer hat ihren Eckstein gelegt,
7 als alle Morgensterne jauchzten, als jubelten alle Gottessöhne? (Job 38)

Im Jesajabuch wird uns der Gott vorgestellt als der Heerführer, der die zahllosen Sterne alle mit Namen kennt und befehligt:

Hebt eure Augen in die Höhe und seht: Wer hat diese Gestirne erschaffen? Der vollzählig herausführt ihr Heer, er ruft sie alle beim Namen. Wegen seiner Fülle an Kraft und mächtiger Stärke fehlt kein einziges. (Jes 40, 26)

Dies bestätigt Psalm 147, 4: „Er bestimmt die Zahl der Sterne und ruft sie alle mit Namen.“

Einerseits entmythologisiert die Schrift die Gestirne und unterwirft sie radikal dem Befehl des Schöpfers. Sie sind dienstbare Gehilfen der Schöpfungsordnung und Stabilität des Himmels und der Erde. Andererseits entpersonalisiert sie sie aber nicht in derselben radikalen Weise. Es bleibt für uns in diesem Äon wohl offen, wer oder was sie in Wahrheit sind. Eines aber ist gewiss: sie sind im Kontext der gesamten Schrift nicht das, was man uns in der modernen Kosmologie erzählt.


[1] Wikipedia-Artikel zum Stichwort „Lichtkunst“, abgerufen am 16.11.2017: https://de.wikipedia.org/wiki/Lichtkunst
[2] Der experimentelle Nachvollzug des kühlenden Mondlichtes geschieht derzeit sehr häufig und wird immer wieder bestätigt, als Beispiel sei dieses Blog zitiert: https://exitmatrixnet.blogspot.de/2016/11/mondlicht-kuhlt.html (6.11.2017). Aber bereits die Alten sprachen vom „kühlenden Mondlicht“ — es ist keine neue Entdeckung. Etwa besingt dieses Phänomen ein provençalisches Schifferlied:
Es löscht das Meer die Sonne aus,
Kühlendes Mondlicht ist erwacht,
Der gold'ne Adler läßt sein Haus
Müde dem Silberschwan der Nacht….“
[3] Die fünf Bücher der Weisung. Verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig. Darmstadt 1984, S. 10
[4] Vgl. dazu meinen Artikel „Sol invictus 2.0 — Das Licht und die Sonne“ (2017), abrufbar hier: http://zeitschnur.blogspot.de/2017/08/sol-invictus-20-das-licht-und-die-sonne.html
[5] Die Auseinandersetzung wird beschrieben bei Graf Paul von Hoensbroech, Der Jesuitenorden. Eine Enzyklopädie aus den Quellen zusammengestellt und bearbeitet. 1. Band A—J. Leipzig 1926. S. 458 — Die von mir beschriebene Haltung seitens Kardinal Bellarmins kommt in einem Brief an Foscarini vom 12.4.1615 zum Ausdruck.
[6] „In der katholischen Kirche hatten sich offenbar die Kräfte durchgesetzt, welche die Frage nicht zum Glaubensinhalt machen wollten. Im Gegensatz zum Gutachten wird nicht mehr von „Häresie“ gesprochen und die Lehre von der Bewegung der Erde wird nicht für „irrig im Glauben“ gehalten, sondern nur noch als „schriftwidrig“ bezeichnet. Galilei wird auf Befehl des Papstes schon am 26. Februar 1616 von einem der höchsten Kirchenvertreter, Kardinal Roberto Bellarmin, mit dem Inhalt des Dekrets persönlich bekannt gemacht. Dieser Bellarmin hatte ein Jahr zuvor geäußert, das Copernicanische System sei als Arbeitshypothese dem ptolemäischen System möglicherweise überlegen – nur könne seine Bezeichnung als erwiesene Tatsache nicht toleriert werden.
Der Streitpunkt im späteren Prozess wird sein, ob ihm von Bellarmin verboten wurde, die Copernicanische Lehre zu behaupten oder ob ihm nur das Dekret mitgeteilt wurde. Da sich die Dokumente widersprechen, konnte dieser Punkt bereits damals nicht wirklich geklärt werden.“ Pierre Leich: Die schwierige Beziehung zwischen von Ratio und Religio: Der Inquisitionsprozess gegen Galileo Galilei. November 2010. Abgerufen auf https://www.theologie-naturwissenschaften.de/startseite/leitartikelarchiv/galileo-galilei.html (8.11.2017) Evangelische Akademie im Rheinland Bonn, Verantwortlich Dr. Frank Vogelsang, Red. Dr. Andreas Losch

[7] Beispielhaft ist dafür das Wirken der Jesuiten in China. Bereits 1582 reiste Matteo Ricci SJ nach China und wirkte dort als Mathematiker und Astronom. Am bekanntesten ist uns heute Adam Schall von Bell SJ, der 1618 nach China gesandt wurde und dort m Kaiserhof bereits die abendländische Astronomie einführte, zunächst noch nach der Lehre Tycho Brahes, bald aber kopernikanisch und in Kooperation mit dem Protestanten Johannes Kepler. Wegen der doktrinären Religionsvermischung („Akkomodation“) durch die Jesuiten und Auseinandersetzungen mit den Dominikanern über diese Frage im 18. Jh wurde der Orden durch Rom angewiesen, diese Vermischung zu unterlassen. Daraufhin wurde der Orden 1722 aus China ausgewiesen. Jegliche Akkomodation wurde nach fortgesetzter Widersetzlichkeit der „Kompagnie“ 1744 von Benedikt XIV. verboten.
[8] Über die gezielte Herabsetzung biblischer Überlieferung seitens der Jesuiten vgl. Johannes Huber: Der Jesuiten-Orden nach seiner Verfassung und Doctrin, Wirksamkeit und Geschichte. Berlin 1873. S. 236 ff Der Autor beschreibt dort, wie die Jesuiten, um ihre Lieblingsdoktrin, nämlich die Unfehlbarkeit des Papstes und seine Universalherrschaft, zu begründen, Schrift und Tradition gegenüber der Lehre vom „Felsen“ zurücktreten, die allerdings auf bloße reine Fiktionen und gefälschte Dokumente gesetzt wurde. Nicht nur Luther fügte der Schrift je nach ideologischer Absicht Worte hinzu oder wertete sie ab, sondern auch aus der Societas Jesu geschah dies nachweislich und gravierend. Die vergleichsweise „nebensächliche“ Frage der Kosmologie stand daher aus der Sicht der SJ auf so wackeligen Beinen, dass es nur darum gehen konnte, sie möglichst elegant aufzulösen und zu ersetzen durch eine neuere Lehre. Die protestantische „Bibelkritik“ des 19. Jh hatte in Wahrheit ihren Vorläufer und Ideengeber bereits in katholischen Vorläufern außerhalb und vor allem innerhalb des Jesuitenordens.
[9] A.a.O.
[10] Demnach soll die Sonne den in ihr befindlichen Wasserstoff verbrennen, um relativ kontinuierlich zu leuchten. Wenn er verbraucht ist, soll sie sich aufblähen und anschließend ihre Gasschichten abstoßen („planetarischer Neben“) und in sich zusammensacken. Dies alles soll frühestens in 500 Millionen Jahren beginnen. Immer wieder gehen darüber Berichte durch die Medien, etwa hier https://www.abendblatt.de/ratgeber/wissen/forschung/article107152298/Und-wann-explodiert-die-Sonne.html (Hamburger Abendblatt vom 6.9.2017), abgerufen am 21.11.2017. Oder hier http://www.focus.de/wissen/weltraum/odenwalds_universum/frage-von-frauke-bruesemeister-was-passiert-wenn-die-sonne-explodiert_aid_303314.html (Focus vom 23.5.2008), abgerufen am 21.11.2017.
[11] Die Schriftwerke, verdeutscht von Martin Buber. Darmstadt 1984, S. 333
[12] Das „Anchor Bible Dictionary“ von 1992 führt dazu aus: „APOLLYON. The Greek name, meaning "Destroyer," given in Revelation 9:11 for "the angel of the bottomless pit" (in Hebrew called Abaddon), also identified as the king of the demonic "locusts" described in Revelation 9:3-10...In one manuscript, instead of Apollyon the text reads "Apollo," the Greek god of death and pestilence as well as of the sun, music, poetry, crops and herds, and medicine. Apollyon is no doubt the correct reading. But the name Apollo (Gk Apollon) was often linked in ancient Greek writings with the verb apollymi or apollyo, "destroy." From this time of Grotius, "Apollyon" has often been taken here to be a play on the name Apollo. The locust was an emblem of this god, who poisoned his victims, and the name "Apollyon" may be used allusively in Revelation to attack the pagan god and so indirectly the Roman emperor Domitian, who liked to be regarded as Apollo incarnate.” Diese Information und weitere interessante Details zum Thema sind zu finden auf https://philologos.org/bpr/files/a009.htm, abgerufen am 22.11.2017.