Montag, 17. Dezember 2018

Trinitätslehre auf dem Prüfstand: Brief X an Unitarier und Trinitarier — Wann, von wem und in welchem Sinne wurde der Christus gezeugt?




Trinitätslehre auf dem Prüfstand: Brief X an Unitarier und Trinitarier — Wann, von wem und in welchem Sinne wurde der Christus gezeugt?


32 So verkünden wir euch das Evangelium: Gott hat die Verheißung, die an die Väter ergangen ist,
33 an uns, ihren Kindern, erfüllt, indem er Jesus auferweckt hat, wie es im zweiten Psalm heißt: Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt.
34 Dass er ihn aber von den Toten auferweckt hat, um ihn nicht mehr zur Verwesung zurückkehren zu lassen, hat er so ausgedrückt: Ich will euch die Heilsgaben gewähren, die ich David fest zugesagt habe. (Apg 13)

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Ein Leser hat mir folgendes geschrieben bzw entgegengehalten hinsichtlich dieser Schriftstelle in Apg 13, 32f und zitierte noch einmal meinen Gedanken im Brief IX an Unitarier und Trinitarier:

 "Es kommt nicht von Ungefähr, wenn die Apg (s.o.) die „Zeugung“ Jesu, also die Geburt aus dem Geist (!), mit der Auferweckung von den Toten ansetzt. Demnach ist die Auferstehung der Moment der Geburt, auf den hin der Christus ausgereift ist."

Obwohl im Griechischen m.W. dasselbe Wort verwendet wird, sind doch m.E. unterschiedliche Dinge damit gemeint. Elberfelder unterscheidet durch "erweckte" und "auferweckte". Ersteres dürfte das Zeugen, Aufstehen, Bevollmächtigen meinen, letzteres die Auferweckung aus den Toten.“

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Zuerst einmal danke ich für diesen interessanten Einwand, und ich werde ihn gerne ein wenig von allen Seiten betrachten:

1. Der Begriff „anastasis“ (Auferweckung/Auferstehung)

Es stimmt: beide Male ist es das Wort anistemi („auferwecken“ oder „auferstehen“ sowohl transitiv als auch intransitiv möglich). Und das Wort hat natürlich ein Bedeutungsspektrum, das in aller Regel „auferstehen (vom Tod)“ oder „wieder erwecken“ meint, in einer schwachen Bedeutung auch „berufen“ oder iS von „sich erheben/hervortreten“ oder „erwecken“ (etwa ein Prophet in einem Volk), oder negativ iS von „sich erheben (gegen)“.

Man kann zunächst festhalten, dass die Bedeutung von „auferstehen/wiedererwecken“ derjenigen von „ins Leben rufen/erwecken“ sehr nah verwandt ist. Damit wird auch eine sinnhafte Verbindung zum „Zeugen/Gebären“ hergestellt. Ein engstes Zusammenwirken von Gott und Mensch wird erahnbar.
Ein unklarer Wortgebrauch kann aber sehr schnell in ein gedankliches Chaos führen, und eine sorgfältige begriffliche Differenzierung ist dringend geboten.

2. Literarische Überlegungen

Doch sehen wir erst einmal nach, wie man diese Stelle in der spätantiken lateinischen Welt verstand und übersetzte, die noch näher am altgriechischen Duktus war. Hieronymus übertrug es so:

33 quoniam hanc (id est : repromissio) Deus adimplevit filiis nostris resuscitans Jesum, sicut et in Psalmo secundo scriptum est : Filius meus es tu, ego hodie genui te.
34 Quod autem suscitavit eum a mortuis, amplius jam non reversurum in corruptionem, ita dixit : Quia dabo vobis sancta David fidelia.

Deutsch — wenn man aus dem Lateinischen übersetzt:

33 denn sie (d.i. die Verheißung) hat Gott an uns, den Kindern (der Väter), erfüllt, indem er Jesus wiedererweckte, wie es im zweiten Psalm geschrieben ist: Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt (oder geboren)
34 Dass er ihn aber von den Toten auferweckt hat, ihn nicht dem Zerfall überlassen wollte, hat er so gesagt: Ich werde euch die heiligen Glaubensgüter Davids geben.

Hieronymus betont also hier in seiner Übersetzung durch die Verstärkung von „suscitare“ (auferwecken) zu „re-suscitare“ (wieder auferwecken) unmissverständlich, dass es beide Male um die Auferstehung geht.

In selber Weise verfährt viel später auch die KJV:

33 God hath fulfilled the same unto us their children, in that he hath raised up Jesus again; as it is also written in the second psalm, Thou art my Son, this day have I begotten thee.
34 And as concerning that he raised him up from the dead, now no more to return to corruption, he said on this wise, I will give you the sure mercies of David.” …

Nicht anders Luther 1545:

33Das dieselbige Gott / vns / jren Kindern erfüllet hat / Jn dem das er Jhesum aufferwecket hat. Wie denn im ersten Psalm geschrieben stehet / Du bist mein Son /Heute habe ich dich gezeuget. 34Das er jn aber hat von den Todten aufferweckt / das er fort nicht mehr sol verwesen / spricht er also / Jch wil euch die gnade Dauid verheissen / trewlich halten.“

Sowohl Hieronymus, Luther als auch die KJV übertragen korrekt die Anschlussformel („hoti de…“ = „dass/weil aber“) des zweiten Verses an den ersten:

„…dass er ihn aber von den Toten auferweckt hat…“ = „…quod autem…“ = „As concerning that“

Es ist dies ganz eindeutig eine klassische, logische Argumentationsformel:

„Es gibt offenkundig ein X. Dass X hier aber existiert, beweist (neben dem Offenkundigen) auch Y…“


Der Vorschlag, der sich auf die ELB stützt, versteht diese Stelle dagegen „prozesshaft“: Es gibt die erste Erweckung, nämlich die im Fleisch, die mit der „Heute habe ich dich gezeugt“-Stelle bewiesen werden soll. Gott hätte demnach im Fleisch gezeugt, und Maria hätte im Fleisch gezeugt und geboren — vermutlich mit Gott, denn das würde aus der Konstellation unweigerlich folgen. Und darauf folgt dann die zweite Erweckung, nämlich die von den Toten, wofür die Stelle mit den „Glaubensgütern Davids“ Beleg sein soll.

In Apg 13 geht es ab V30 um die Auferstehung von den Toten, und dass Jesus vielen erschienen ist nach der Auferstehung. Eine prozesshafte Deutung erscheint auf den ersten Blick schlüssig, v.a. dann, wenn schon tendenziös in diesem Sinne übersetzt wird wie in der ELB, aber auch weil Paulus zwei verschiedene Schriftstellen angibt, die für eine spätere „anastasis“ sprechen, wovon die eine die „Zeugung/Geburt“ anspricht, die zweite die „Glaubensgüter Davids“ (also nicht direkt Bezug auf eine „Auferweckung“ nimmt).

Das ist allerdings aus mS auf einen zweiten (literarischen) Blick nicht schlüssig:

Es ergibt literarisch keinen Sinn, dasselbe Wort in unmittelbarem Zusammenhang und auch noch durch „hoti de“ verbunden je verschieden zu meinen. Man verfährt schreibend so eigentlich nicht. Wortverdoppelungen vermeidet man ohnehin aus stilistischen Gründen und Sinnverwechslungen vermeidet man, um klar zu bleiben und nicht etwa Verwirrung beim Leser hervorzurufen.

Wenn man aber Begriffe verdoppelt, dann immer unter Bekräftigung desselben Sinnes. Eine Verschiebung des Sinnes würde eben eine Unklarheit oder Verwirrung hinterlassen. Der Leser kann nun heraussuchen, was ihm genehm erscheint — vom identischen Sinn bis hin zur maximal möglichen Sinnverschiebung… Das sollte man von Paulus bzw  Lukas nicht annehmen.

Wenn es also im ersten Satz tatsächlich um eine „Zeugung/Geburt“ im buchstäblichen kreatürlichen Sinne gegangen wäre, hätte Paulus bzw Lukas das sicher auch mit einem entsprechend präzisen Wort genauso und klar verständlich geschrieben, zumal er ja gleich darauf aus dem Psalm auch mit dem Wort „gennao“ („zeugen/gebären“) zitiert.


3. Exkurs: Die Verwirrung der Begriffe  „(im Fleisch) zeugen“ und „erwecken“ im Deutschen

Ich habe wahrgenommen, dass einige sehr extreme Protestanten infolge eines fragwürdigen NT-Sprachgebrauches „erwecken“ anstelle von „zeugen“ (iS von „X erweckte den Y“) einsetzen, wenn sie meinen, ein Mann habe einen Nachkommen gezeugt, was aber die griechische Bedeutung von „anestemi“ kaum erfüllt — es müsste dann wenigstens noch ein „ex“-Präfix dabeistehen. Vielmehr steckt in einer solchen Übergriffigkeit eine gewaltige „anastasis“ (iS der Erhebung oder lutherisch poetisch „Hoffahrt“) einiger irdischer Herren gegen den, der alleine „erwecken“ kann: kein Mensch kann andere „erwecken“, indem er oder sie „zeugt“! Das ist aus meiner Sicht eine fixe männliche Idee, die von einer gefährlichen Selbsterhebung zeugt.

Wir zeugen und gebären sowohl als Mann und als Frau stets passiv, auch wenn wir dabei natürlich in Aktion sind, aber ins Leben zu „erwecken“ vermag alleine Gott.
Das gesamte AT kennt eine Idee, dass Menschen andere Menschen ins Leben „erwecken“ nicht. Doch woher kommt diese Wahnidee dann, und warum hält sie sich so hartnäckig und taucht immer wieder auf?

Sie ist der Herkunft nach eng verknüpft mit der Philosophie Griechenlands und vor allem dem Hellenismus: man verstieg sich zu der Behauptung, der Mann erzeuge „aktiv“ Leben, die Frau dagegen nur „passiv“, er sei der „Schöpferische“ und „Gebende“, sie die „Empfangende“ — man muss aber klar erkennen, dass das kein Denken ist, das wir im Alten Testament antreffen. Das Hebräische geht davon aus, dass die Frau auch einen Samen hat und aktiv zeugt. Nirgends werden im AT Frauen „passiv“ geschildert. Sie werden als Frauen und aktiv gezeichnet, wenn es ums Zeugen geht. Männer werden als Männer und ebenfalls aktiv geschildert, wenn es ums Zeugen geht. Sie sind aktiv im Rahmen der menschlichen Aufgabe, die aber fein säuberlich von der göttlichen Wirksamkeit zu unterscheiden ist, die sich mithilfe des Menschen, aber nicht ursächlich durch den Menschen vollzieht.
Die aktive Rolle der Menschen in der Sexualität bedeutet nämlich nicht, dass Menschen Menschen „erwecken“. Es heißt, dass Gott alleine uns Nachkommen erweckt! Menschen können alles mögliche erwecken bzw ins Leben rufen, viele große und kleine Werke — aber Menschen können die Menschen nicht erwecken, obwohl sie durch sie gezeugt und geboren werden!

Wenn die Sadduzäer dies begrifflich einführen, ein Mann „erwecke“ Nachkommen, etwa in Lk 20,28, dann verzerren sie entweder die tatsächliche Formulierung in Deut 25,5f, wo lediglich steht, dass ein Schwager die Witwe ehelichen und sich zu ihr legen soll — anschließend ist nur die Rede von Kindern, die die Witwe gebiert. Oder sie parallelisieren die Rede, die sonst von Gott gilt: so wie alleine Gott Abraham Nachkommen erweckt (aus den Steinen etwa), so soll ein Mann dem verstorbenen Bruder noch Nachkommen erwecken… aber dennoch ist das nicht die AT-Formulierung: Von „Erwecken“ seitens des Schwagers ist keine Rede… es sind interessanterweise die Leugner der Auferstehung (Sadduzäer), die hier — vermutlich ganz philosophisch verstellt — dem Mann etwas zumessen, was ihm nicht zukommt: Gott erweckt dem Mann Nachkommen, der Mann selbst ist dabei hinsichtlich dieser Erweckung ins Leben passives Werkzeug — nicht anders als die Frau.

Hier wurde also ausgerechnet bei den Protestanten im Gefolge sadduzäischer, hellenistischer und später gnostischer Verirrungen eine gehörige Begriffsverwirrung erzeugt, die letztendlich aber auch die Trinitätslehre unterstützt, die ja ganz maßgeblich diese Doktrin von der „Zeugung in Maria“ benötigt, um sich zu rechtfertigen.
Bloß werden plötzlich die Ebenen gewechselt: wo vorher Gott durch zeugende Menschen Leben „erweckte“, erweckt er nun selbst im Fleisch als im Fleisch Zeugender, als schlüpfe er in die Rolle eines Mannes im Fleisch… Das ist ziemlich chaotisch… Sie können mir entgegenhalten: Aber Gott kann doch in Maria Leben erwecken, wenn auch ohne Mann, dann stimmt das zwar, kann aber keine „Zeugung durch Gott“ meinen. Hier müssen einige grundsätzliche Differenzierungen vorgenommen werden:

a. Im Fleisch zeugt immer nur der Mensch.
b. Im Geist zeugt alleine Gott.
c. Leben erwecken kann immer nur Gott alleine.

Das heißt:

Ad a. Gott zeugt nicht im Fleisch.
Ad b. Der Mensch zeugt nicht im Geist.
Ad c. Der Mensch erweckt kein Leben im Fleisch.

Und:

„Zeugen“ und „Erwecken“ wirken zwar im Fleisch auf engste und wunderbare Weise zusammen, sind aber zwei unterschiedliche Aktionen — die erste vollziehen Mann und Frau, die zweite Gott.

In dem Zusammenhang ist auch interessant, dass in den Apokryphen des Johannes (Nag Hammadi) berichtet wird, der aufsässige, gefallene erste Archon Jaldabaoth habe seine Engel angestiftet, aus Menschentöchtern Nachkommen zu „erwecken“ (Bezugnahme auf Gen 6, wo allerdings von „Erwecken“ keine Rede ist). Es geht hier — bei aller Distanz zu diesem gnostischen Text — tatsächlich um eine schöpferische Konkurrenz zu Gott, auch wenn sie vordergündig zum Mann auftritt (die bösen Geister täuschen die Frauen und treten als deren Gatten auf). Die Obsession, dass ein Mann oder ein Engel — wie Gott — Leben erwecken kann und dies mit sexueller Lust verbindet, tritt jedenfalls deutlich zutage und ist nach meiner Erkenntnis eine der tragischen Verirrungen des Denkens in der Christenheit. Diese Akzentverschiebung beim Zeugen/Gebären steht dem gesamten Denken im AT diametral entgegen und verwischt die Distanz, die zwischen göttlicher Zeugung im Geist, der schöpferischen Tat Gottes, wenn er durch menschliche Zeugung Leben erweckt und der geistgewirkten Neugeburt, die den Tod überwindet und alleine von Gott geleistet wird, aus mS besteht.

Man kann aber vielleicht von dieser Problematik aus erahnen, warum das Verhältnis der Menschheit zur Sexualität dermaßen gestört ist, wie wir es seit Jahrtausenden erleiden: Hier wollte sich der Mensch, mit dem Hellenismus dann insbesondere der Mann, tatsächlich an die Stelle Gottes setzen, indem er sich einbildete, er könne Leben erwecken. Dass er sich damit über die Frau stellte, „aus der er“ sich einbildete, Leben zu „erwecken“, wobei „sie ihm“ folglich dann auch „den X oder die Y gebar“, ist eine Perversion der geschöpflichen Konstellation, die das gesamte sexuelle Klima zwischen Mann und Frau, aber noch schlimmer zwischen Gott und Mensch vergiftet hat.


4. Die „Glaubensgüter Davids“ bedeuten die „Auferstehung von den Toten“ und die ist die „Zeugung heute“

Man hätte aber — um zurückzukommen auf die Apg-Stelle — eher erwartet, dass wenn es um einen Prozess des „Erweckens“ gehen sollte, nach dem Zeugungszitat aus Ps 2 ein punktgenaues Auferstehungszitat aus dem AT folgen sollte (deren es ja einige gibt!).
Genau das kommt aber nicht!
Stattdessen diese merkwürdige und schwer zuzuordnende Aussage von den „Glaubensgütern Davids“ als „Beweis“ für die Auferstehung von den Toten.

Nun steht da genau genommen aber etwas anderes:
Es geht ja nicht um einen Prozess, sondern ab V30 schon um die Tatsache der Wiedererweckung Jesu, die auch viele, die den Auferstandenen gesehen haben, bezeugen konnten — Paulus will hier darauf hinaus, dass diese Wiedererweckung im AT angekündigt und nun erfüllt ist.
Gott hat zahllose Menschen erweckt (mithilfe der Zeugungstätigkeit ihrer Eltern) und Propheten insbesondere auch, aber niemals hat er einen von ihnen bleibend aus dem Tode zurückgeholt und auferstehen lassen. DAS erscheint hier doch als die spektakuläre Aussage — daher das Abheben darauf, dass er den Erweckten nicht der Verwesung überlässt bzw präzise der „corruptio“, also dem Zerfall.

Es ist tatsächlich nicht die Tatsache einer „Erweckung“ iS des Geborenwerdens, wie Menschen eben geboren werden und die IMMER von Gott kommt, sondern die Tatsache, dass hier einer „wiedererweckt“ wird, nachdem er gestorben ist, dies aber auf einer anderen Ebene als zuvor im Fleisch.
Daher Hieronymus mit seinem „re-suscitans“ oder die KJV mit dem „raised him up again — wie gesagt: jeder Mensch wird im Fleisch mithilfe der Eltern oder wie immer „erweckt“. Das ist nicht weiter spektakulär.

Spektakulär ist, dass dieser Mann wiedererweckt wurde, und das ist als Zeugung und Geburt durch Gott auf einer geistigen, nicht mehr fleischlichen (kreatürlichen) Ebene zu verstehen.
Dass dies geschehen würde, weist Paulus aus dem AT nach: Gott hat lange vorher angekündigt, dass es den Tag („hajom“ — das „Heute“) gibt, an dem der Mensch auf einer anderen Ebene — nicht im Fleisch, aber dennoch in einem Auferstehungsleib! — wiedererweckt und neugeboren wird. David schaut dabei prophetisch „meinen Herrn“ („adoni“), der wiederum von seinem Herrn dies angesagt bekommt. Die Bezugnahme auf die „Glaubensgüter Davids“ meint also genau dasselbe wie das Psalmzitat selbst: dass Gott dies erfüllen wird, diese Neugeburt auf einer geistigen Ebene, und dass sie natürlich mit diesem „meinem Herrn“ Davids beginnen wird.
Literarisch könnte Paulus damit dem Hendiadyoin folgen, der typischen hebräischen Verdoppelung eines Sachverhaltes, um ihn zu bekräftigen.


5. Conclusio

Die Tatsache, dass im gesamten NT vermieden wird, von einer Zeugung zu sprechen, wo es um Jesus und Maria geht, sollte uns zurückhaltend machen:

Natürlich hat Gott auch Jesus im Fleisch „erweckt“, so wie er das bei allen Menschen tut.
Aber hier geschieht keine gemeinschaftliche Zeugung im Fleisch nach dem „Willen des Fleisches“ oder gar „dem Willen des Mannes“ (Johannesprolog), sondern eine Frau erhält soviel „dynamis“, dass sie ohne Mann fähig wird, einen Nachkommen hervorzubringen. Der Wille des Fleisches zur Fortpflanzung ist hier ganz ausgeschaltet. Marias „Fiat“ kann damit nicht einfach gleichgesetzt werden. Sie wird gefragt und stimmt zu, eine außerordentliche Sache zu vollbringen, die ihr übermenschliche Kräfte verleiht und doch den „Willen des Fleisches“ übergehen. Welch ein Wunder! Man kann, wenn man sich vertieft in diese Tatsachen, immer besser verstehen, warum sie in ihrem Lobgesang dichtet, aber auch sie spricht nicht annähernd von einer „Zeugung im Fleisch“!

46 Und Maria sprach: Meine Seele erhebt den Herrn,
47 und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes;
48 denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder.
49 Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist.
50 Und seine Barmherzigkeit währet für und für bei denen, die ihn fürchten.
51 Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.
52 Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.
53 Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.
54 Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf,
55 wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Nachkommen in Ewigkeit. (Lk 1)

In einem gewissen Sinn weist schon diese überaus krafterfüllte Frau auf die Wiederherstellung, die Wiedererweckung des Menschen, wie er von Gott her eigentlich gedacht und gewollt ist, hin.

Die Wiedererweckung in dem Sinn, der das gewöhnliche Bild sprengt, ist eben die Erweckung von den Toten und die Wiederherstellung aus der „corruptio“, dem Zerfall, dem auch Jesus nicht entgangen wäre, wenn Gott ihn nicht auferweckt hätte. Wie in einem Vorausschein erzählt uns Joh 11 die Geschichte von Lazarus, der bereits verwest, also in den Fängen der endgültigen „corruptio“ des Fleisches ist und von Jesus zurückgerufen wird. Jesus kommt erst, als es wirklich dem Fleisch nach zu spät ist, und erweckt ihn auf, wenn auch noch nicht zur endgültigen Auferstehung. So soll schon der Glanz der kommenden Erfüllung der Hoffnung angezeigt werden.

Da die geistige Neuzeugung der Geschwister Jesu auch an anderer Stelle im NT immer damit ansetzt, dass sie dem Tod als der Folge der Schwäche (Sünde) entrissen werden, ist es logisch, auch bei Jesus die Auferweckung als den Initialmoment der endgültigen und echten geistigen Neuzeugung anzunehmen. Viele haben sich gewundert, warum er rufen konnte, „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!“, wo er als Gott doch hätte wissen müssen, dass er nicht verlassen ist etc. — erklärbar wird dies, wenn man sich klarmacht, dass auch seine Auferstehung im Geist noch bevorstand, obgleich er uns unendlich weit voraus war aufgrund der Sündlosigkeit und Vollmacht, die er auch vorher schon innehatte.
Stellen in den Evangelien wie etwa die, die uns das angstvolle Gebet Jesu zum Vater im Garten Gethsemane vorführen, bei dem er in einem Willensakt, in einer klaren Entscheidung, seinen Willen dem des Vaters unterstellt, zeigen uns, dass die Erlösungstat tatsächlich erst erfüllt werden musste, bevor sie als eingelöst und „gewiss“ galt. Sie war als erfüllte und vollzogene Tat Voraussetzung für die folgende Auferstehung, die schließlich allen anderen Menschen eine Neugeburt möglich mach sollte. Dafür spricht insbesondere die Darlegung Pauli in 1. Kor 15, 14+17+20: „Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer und sinnlos. (…) Wenn aber Christus nicht auferweckt worden ist, dann ist euer Glaube nutzlos und ihr seid immer noch in euren Sünden. (…) Nun aber ist Christus von den Toten auferweckt worden als der Erste der Entschlafenen.“
Es ist ganz ohne Zweifel diese Auferweckung nach vollendeter Tat, die uns diese Neuzeugung/Neugeburt ermöglicht.

Ich habe einmal in einem Weihnachtsstück mit dem Titel „Was wäre, wenn Maria nein gesagt hätte“ mitgespielt. Damals kam von ein paar sehr frommen Menschen der Einwand, Maria hätte nicht nein sagen können, weil ja Gottes Plan schon festgestanden hätte. Genauso Jesus: er hätte einfach nicht nein sagen können, wo er doch schließlich Gott war.

Ich halte das für fatale Fehlschlüsse: die Erlösungstat musste sowohl bei Marias „Vorarbeit“ als „Christusgebärerin“ („christothokos“) als erst recht bei Jesus als dem Messias, der ans Kreuz ging, der der Versuchung zur Macht nicht erlag, mit bewusstem Willen und entgegen einer anderen Entscheidungsmöglichkeit vollzogen werden.

Ohne den freien Willen beider und letztendlich unser aller, die glauben, wäre die Erlösung nicht wirksam geworden, wie ich meine zu erkennen.

Wenn das aber so ist, ist es nicht schlüssig, die „Heute habe ich dich gezeugt“-Stelle vor der Auferweckung anzusetzen.

Dienstag, 11. Dezember 2018

Trinität auf dem Prüfstand — Brief IX an Unitarier und Trinitarier: Was ist ein „wahrer Mensch“? Und: Kann er ein Mischwesen sein?



Trinität auf dem Prüfstand — Brief IX an Unitarier und Trinitarier:

Was ist ein „wahrer Mensch“? Und: Kann er ein Mischwesen sein?


Doppelwesen?

Die Debatte um die Trinitätslehre zieht immer weitere Kreise und wird teilweise sehr aggressiv geführt. Im Zentrum steht meistens die Gestalt Jesu Christi. Die einen wollen unbedingt aus der Schrift beweisen, dass er „Gott ist“, die anderen sind zurückhaltend mit einer solch weitreichenden Aussage, weil ihnen bewusst ist, dass daran enorme Folgeschlüsse hängen müssten, die aber andererseits auch die Trinitarier und Binitarier zu ziehen scheuen.
Nur ganz wenige wägen ab und versuchen, allen Schriftaussagen gerecht zu werden. Hier seien lobend die Website www.trinitaet.com und insbesondere die Aufsätze Stefan Gerbers erwähnt.
Leider führt niemand eine philosophische Debatte — das wäre aber mE sehr wichtig, um die Schlussverfahren, die angewandt werden, zu überprüfen, denn nirgends scheinen mir mehr logische Fehlschlüsse und monströse Denkfiguren zu begegnen als in dieser Debatte.

Aus der bisherigen, heftigen Diskussion speziell um meine Briefe an Unitarier und Trinitarier, die sich nicht nur in den Threads unter den Artikeln, sondern zT auch auf Youtube und privat fortgesetzt hat, stellt sich mir ein Problem vor Augen, das eigentlich die zentrale Frage der christlichen „Bewegung“ war und ist:

Was an der Thematik objektiv irritierend ist, ist die Rolle Jesu, der als Mensch und Menschensohn auftritt, aber auch als Sohn Gottes. Die kirchliche Lösung einer Parallelisierung lautet, wie früher schon ausführlicher in den vorigen Briefen an Trinitarier und Unitarier dargestellt, folgendermaßen:

„Er ist Menschensohn und darum Mensch.“ — entspricht — „Er ist Gottessohn und darum Gott.“

Die Logik der Behauptung beruht darauf, dass man immer nur Sohn sein kann von Leuten, die derselben Art sind wie man selbst. Wenn also Jesus Sohn eines Menschen (Maria) ist und Sohn Gottes (des Vaters/JHWH), dann ist er zwar nicht Maria oder JHWH, aber er ist jeweils desselben Wesens wie Maria und JHWH. Altkirchliche Vorschläge, die Ungleichseitigkeit dieser Konstruktion zu glätten, etwa im Adoptianismus oder auch im Monophysitismus, wurden von der römischen Kirche in aller Schärfe verworfen und verketzert.
Wenn das so ist, muss er eine Doppelnatur haben, ein Doppelwesen sein: „wahrer Mensch und wahrer Gott, ungetrennt und unvermischt“, wie man es angesichts des gedanklichen und logischen Dilemmas auf dem Konzil von Chalkedon 451 n. Chr. zum Dogma erhob, an das zu glauben sei, wenn man nicht des Heiles verlustig gehen wollte.
Angesichts der Monstrosität der „Doppelnatur“ einer Entität erfand man die Vorstellung, dass es sich um „eine Person in zwei Hypostasen“ handle, was die Sache noch monströser machte: Eine seltsame Scheu legte sich auf jeden, der mit dieser dogmatischen Setzung aufgewachsen ist. Das Dogma hält ja sehr wohl das Bewusstsein dafür wach, dass Gott und Mensch sich kategorial eigentlich nicht vermischen können („unvermischt“). Andererseits ist es dem menschlichen Bewusstsein unmöglich, sich eine Entität vorzustellen, die nicht „eine und dieselbe“ ist in all ihren Bestandteilen, wenn man von solchen reden will („ungetrennt“). Eine Gestalt, die in sich ltztendlich doch „getrennt“ ist, ist eine schizophrene, instabile Gestalt, die es in der guten Schöpfung Gottes nicht gibt und geben kann. Die Einheit des Individuums ist konstitutiv für jedes Geschöpf. Wir scheuen mit Recht zurück vor der postmodern politisch salonfähigen Behauptung, ein Mann befinde sich im falschen Körper und sei in Wirklichkeit eine Frau, weil sie monströs wirkt — auch in einem solchen Fall stellt man sich einen Menschen vor, der zwei verschiedene Naturen hat, die sich folgerichtig auch widerstreiten und nun doch nach Einheit und Heilung suchen. Ähnlich monströs ist die Zwei-Naturen-Lehre über Jesus Christus.

Die gedankliche Hürde im Umgang mit Jesus wurde in den altkirchlichen Konzilien so hoch gesetzt, dass kein Mensch damit erkennend klar kam: die einen resignierten vor der Formel, wieder andere spintisierten so lange darüber, bis sie ihnen ganz zauberhaft und mysteriös und geheimnisvoll erschien und jeder, der sie glaubte, sich für einen Eingeweihten in ein göttliches Geheimnis hielt, und wieder anderen wandten sich ganz ab, nicht zuletzt eine Gruppe, die sich schließlich in der islamischen Religion zusammenfand.
Man debattierte darüber, ob der Sohn Gottes angesichts der Dogmen einen oder zwei Willen habe und befand, er müsse zwei Willen haben, weil der Wille konstitutiv für eine „Natur“ sei, und weil Jesus einmal von seinem Willen sprach, den er vor dem Willen des Vaters zurückzustellen gedenke (Gebet zum Vater im Garten Gethsemane). In der späteren Herz-Jesu-Verehrung allerdings scheint diese Individualperson nur ein Herz zu haben — ein Widerspruch zu den altkirchlichen Dogmen, den ich nie ganz verstehen konnte, denn das „Herz“ gehört genauso konstitutiv zu einer Individualperson wie der Wille.
Man betete dennoch fast nur noch zu Jesus, weil man ihn nun für Gott hielt und den, der einen errettet hat, den man sich aber aufgrund der absurden dogmatischen Definition nicht mehr vorstellen konnte, der einem förmlich entglitt. Der Vater geriet ins Hintertreffen, man erwähnte ihn nur noch im Vaterunser… Das Gebet Jesu in Johannes 17,3 an Gott, den Vater, das uns bezeugt, dass es „das ewige Leben“ ist „dich, den einzigen wahren Gott (!) zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast“ erhielt durch die dogmatische Setzung absurde Züge: Jesus hätte zu sich selbst gebetet, und eine Sendung einer göttlichen Hypostase durch eine andere Hypostase wurde unvorstellbar. Die christologischen Auseinandersetzungen konnten nicht durch eine Absurdität gelöst werden. Man verbannte Nestorius, der die Finger in die Wunde gelegt hatte, auf dem Konzil von Ephesus, und erzwang eine weitere Spaltung der Christenheit, indem man Maria zur „Gottesmutter“ erklärte. Die Logik ist klar: Wenn Jesus Christus Gottmensch ist, ist Maria Gottesmutter. Ich bin immer wieder erstaunt darüber, mit welcher Verbissenheit protestantische Kreise auf der Trinitätslehre beharren, zugleich aber Marias Rang als Gottesmutter mit Zähnen und Klauen abwehren: das ist schizophren!
Man sollte sich vielmehr fragen, ob Nestorius nicht die richtige Sicht auf die Dinge hatte: Maria ist „Messiasmutter“ und darum, wie sie im Magnificat selbst sagt, „seligzupreisen von jeder Generation“. Warum der Protestantismus hier — neben seiner dogmatischen Schizophrenie — eine grandiose Verweigerung gegenüber dem ansonsten proklamierten sola-scriptura-Prinzip an den Tag legt, ist nicht verständlich. Wie sollten wir nicht in unserem Jubel über die Ankunft des Messias auch die Frau seligpreisen, die uns von Anbeginn an angekündigt war, die ihn hervorbringen sollte im Auftrag Gottes?!
Nota bene: Gott hätte einfach einen neuen Menschen schaffen können — aber er tat es durch die Frau und Mutter.
Haben wir das je in seiner ganzen Tiefe und Größe erfasst, was das bedeutet?

Noch einmal: Wer selig werden will, muss den Vater, „ton monon alethinon theon“, den „einen wahren Gott“ erkennen und den, den er gesandt hat. Wir sind abgehalten worden durch die dogmatische Setzung, den Unterschied zu verstehen zwischen dem einzigen wahren Gott und dem, den er mit höchsten Vollmachten versehen gesandt hat. Für uns wurden beide undifferenziert „eins“, obwohl sie von Jesus selbst immer als zwei dargestellt werden, als zwei, die zwar in engster Verbindung, in der Mission Jesu auch durchaus „eins“ (übereinstimmend) sind, als Urbild und vollkommenes Abbild, aber nicht als Identität des Wesens. Wenn im Sohn die „Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt“ (Kol 2,9), dann kann er nicht selbst Gott sein. Der Satz klingt eher so: In dem Christus hat Gott eine „Katoikia“ eine leibliche (somatikos) Ansiedlung hergestellt, in der er ohne Trübung sein kann. Eine solche „Katoikia“ (Kolonie) war in der Antike eine Manifestation der Königsmacht. Ein König also manifestierte seine Präsenz an einem bestimmten Ort. Der Christus ist — ohne die Metapher mit allen Implikationen durchführen zu wollen oder zu können — der geschöpfliche Ort, an dem der eine, wahre Gott erneut nach dem Garten Eden seine Gegenwart ungetrübt darstellt. Das macht aber diesen Ort nicht zu Gott.

Die Nähe zwischen Vater und Sohn ist andererseits größer, als wir es uns zu denken wagen, wenn wir voraussetzen, dass Jesus Mensch und nur Mensch ist. Und das NT weist immer wieder auf diese außerordentliche Nähe hin. Aber nirgends wird uns nahegelegt, dass es sich um eine wesenhafte Identität handeln sollte. Die eigentliche, schwindelerregende Aussage in Gen 1, dass am Anfang jeder Mann und jede Frau ein solches vollkommenes Abbild des Urbildes sein sollte, geriet ins Hintertreffen zugunsten einer Brüskierung des Menschen auch nach seiner Errettung. Die Schüsselposition Jesu als eines zweiten Adam, eines zweiten „ersten Menschen“, der mit den Eigenschaften des ersten Adam ausgestattet wurde, um alle Adamskinder zurückzuholen in den ursprünglichen Stand, wenn sie wollen, ist im NT die Stellung eines Menschen und nicht des einzig wahren Gottes. Dafür spricht die durchweg passiv formulierte Vollmacht. Dem Christus ist stets seine Vollmacht gegeben. Er hat sie nicht aus sich selbst heraus. Mir ist aus dem katholischen Umfeld das Argument bekannt, das an dieser Stelle stets angebracht wird: Diese Passivität oder Geringersetzung Jesu gegenüber dem Vater sei ja nur „secundum hominem“ zu denken. Insofern Gott Mensch wurde, müsse er in dieser Menschheit auch geringer sein als Gott. Andererseits lässt das „Ungetrennt“ der beiden Hypostasen in Christus eine solche Differenzierung logisch nicht zu: Es ist ja nicht nur der „menschlichen Hypostase“ Jesu alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben, sondern der Gesamtperson Jesus, die aber dann auch in der Logik solcher Argumente vorrangig eine göttliche Person ist und als solche wiederum nicht geringer sein kann als die restliche Gottheit. Alle Differenz, die er selbst bezüglich seiner Stellung gegenüber dem Vater betont („Nur Gott alleine ist gut“, „Nicht mein Wille, sondern dein Wille…“, „Der Vater ist größer als ich“, etc.) erhält von hier aus betrachtet, wenn wir aufhören, uns an eine absurde dogmatische Formel zu binden, einen einfachen und gut verständlichen Sinn. Durch die dogmatische Entwicklung wurde die Gestalt des Christus für uns andere Menschen einerseits göttlich überzeichnet und andererseits verkleinert: Wir konnten nicht mehr erkennen, welches auch uns wieder ermöglichte Menschentum er uns vor Augen stellte. Geblendet davon, dass alles, was an ihm groß war, „Gott“ war, wurden wir davon abgelenkt, ihm darin nachzueifern aus Furcht, erneut „sein zu wollen wie Gott“, wie man uns einschärfte. Indem wir Furcht hatten, „sein zu wollen wie Gott“, wurde in uns Angst davor erzeugt, schlicht und einfach Mensch sein zu wollen, wie Gott es uns zugedacht hat. Und dieses Menschsein ist etwas schwindelerregend Großes und Gutes.
Unweigerlich stellt sich die Frage: „Was ist eigentlich ‚ein wahrer Mensch’? Und was ist überhaupt der Mensch? Und wer war Jesus wirklich in der Intention Gottes, der ihn gesandt hat?“

Es ist erkennbar, dass es nirgends in der Schrift positiv gezeichnete Doppelwesen gibt oder geben sollte. Was soll ein „wahrer Mensch“ sein, der zugleich auch „wahrer Gott“ ist? Heißt das im letzten Ende nicht doch trotz „Sophisterei“, dass der Mensch auch der Gott ist? Und war nicht das seine Ursünde, dass er sich dazu verstieg? Aber auch die schlichte Logik verlangt ihr Recht: Ein wahrer Mensch ist immer und kategorial ein Mensch, und der wahre Gott ist immer und kategorial der Gott.

Dass metaphorisch auch einmal der „elohim“-Titel an Menschen oder Engel verliehen wird, macht sie im AT nicht zu dem Gott, dem einzigen und wahren JHWH — „elohim“ ist kein Name, sondern ein Titel für eine übergeordnete Gestalt, es ist eine Rolle, aber keine ontologische Setzung!
Man kann auch mengentheoretisch daran gehen: Merkmale, die auf Gott zutreffen, können auch auf den Menschen zutreffen, wenngleich natürlich nicht alle Merkmale beider Mengen. Wir hätten dann aber kein Mischwesen, sondern schlicht eine Schnittmenge an Merkmalen — nichts weiter. Am Charakter der jeweiligen Menge ändert sich dadurch nichts!
Oder man verzichtet vollständig auf den Begriff des „Wesens“ (griech. ousia, lat. substantia), den die Schrift ohnehin nicht kennt: Das Gebot aus dem Dekalog „Du sollst dir kein Bildnis machen“ ist möglicherweise ernster gemeint, als wir gewohnt sind zu glauben. Die katholische Kirche hat dieses Gebot aus den zehn Geboten eliminiert… Durch die Zeichnung eines „Wesens“ könnte das Gebot überschritten sein, auch dann, wenn man nur theoretisch über solches „Wesen“ spricht. Die Folgen sind katastrophal für das Gottes- und Menschenbild. Unmittelbar damit verbunden ist die unselige Diskussion darüber, ob Mann und Frau „ein Wesen“ haben oder zwei. Nach dem Schöpfungsbericht in Gen 2 haben sie — in einer hellenistischen Lesart — ein Wesen, weil Gott die Frau aus der „ousia“, der „substantia“ des ersten Menschen schafft. Von hier aus kam auch die Herabsetzung der Frau auf: Wenn der Mann bereits das vollständige „Wesen“ des Menschen hatte, kann die Frau nur eine uneigentliche Ableitung aus ihm sein, eine Art „Mindermann“. Es kommt nicht von Ungefähr, dass die frühen Väter, die umfangreich die Trinitätslehre reflektierten, auch entsprechende — ganz im Hellenismus verankerte — Monstrositäten über die Frau entwickelten, an deren Folgen wir bis heute leiden.
Wenn wir aber streng im Duktus der Tora sagen: Mann und Frau sind beide jeweils als vollkommene Abbilder Gottes gedacht und dürfen wie Gott nicht weiter abgebildet oder über diese Abbildaussage hinaus kategorisiert werden, dann löst sich sofort der Krampf um die Geschlechter auf. Zu Recht wurde immer auch darauf verwiesen, dass nicht nur die Frau aus „Adam“ genommen wurde, sondern dieser erste Adam dadurch selbst noch einmal entscheidend verändert und spezifiziert wurde als „isch“ (Mann): Erst nachdem die Frau erschaffen ist, taucht in der Genesis erstmalig der Begriff „isch“ auf. „Adam“ ist nach Gen 5,2 der Oberbegriff für Mann und Frau. Die Zeugung Sets durch „Adam“, die gleich danach berichtet wird, kann man durchaus als die gemeinsame Hervorbringung von Mann und Frau verstehen, die diesen Sohn „im Bilde Adams“ vollzogen: dieser Set ist ein Vorläufer auf den Christus hin. Die Altersangaben „Adams“ treffen auf den Mann und die Frau gleichermaßen zu.
Und im selben Duktus erübrigt sich auch die genauere Verhältnisbestimmung des göttlichen „Wesens“ zum Menschen Jesus: Auch er ist Abbild Gottes, wie seine Stammeltern „Adam“, ausgefaltet in Mann und Frau („Adam und Eva“), und er ist es vollkommen in einem neuen Anlauf Gottes zu unserer Wiederherstellung, die wir aus diesem Bild herausgefallen, abgestürzt sind im Garten Eden.


Das alttestamentliche Glaubensbekenntnis vom „Echad“ („Einen“)

Gott ist im AT durchweg „echad“, also einer (und „echad“ meint niemals intentional etwas „Zusammengesetztes“, wie mir ein Kommentator beweisen wollte). „Echad“ meint immer „eins“ oder „einer“, auch als Zahlwort. Dass verschiedene Menschen oder meinetwegen auch Gott und Mensch „echad“ werden können (etwa Mann und Frau, wenn sie gemeinsam zeugen, oder ein Volk, wenn es „mit einer Stimme“ spricht) meint nicht, dass das „echad“ deshalb etwas Zusammengesetztes sein müsste, sondern dass im „echad“ eine Differenz und Zusammensetzung vital aufgehoben wird und nur „eines“ stehenbleibt. Wenn das Volk mit „einer Stimme“ spricht, ist das „echad“ hier das in einer bestimmten Sache einige Volk, das in dieser umgrenzten Hinsicht nun als eines oder einer aufgefasst wird. Eine reale und natürlich weiterhin bestehende Differenz der Mitglieder der Menge spielt keine Rolle — sie ist ja gerade aufgehoben und gilt nicht für die bestimmte Situation. Die Rede vom „echad“ an einer solchen Stelle sagt eben gerade nicht, dass hier etwas Zusammengesetztes vorliegt, sondern dass hier nur eines vorliegt, etwa eine bestimmte Kundgabe oder Zusage. Auch bei der Vereinigung von Mann und Frau wird ja nicht behauptet, dass sie überhaupt „einer“ seien, denn ganz offenkundig sind und bleiben es zwei, sondern dass sie „eins“ werden, um — im Geschlechtsakt generell intentional begriffen, auch wenn nicht in jeder Vereinigung neues Leben entsteht — eine neue Entität zu erzeugen, also einen Sohn oder eine Tochter, der oder die wiederum „echad“ oder „achat“ ist, einer oder eine. Wir würden nicht sagen, ein Mensch ist „zusammengesetzt“ aus seinen Eltern oder dergleichen. Das würde die Bildsprache vom „einen“ sprengen. Offenbar ist vor Gott diese Fähigkeit eines Mannes und einer Frau, gemeinsam zu zeugen, heilig, aber nicht, weil sich zwei Teilstücke zusammensetzen, sondern weil zwei in einem schöpferischen Akt „echad“ werden und eben gerade nicht mehr differenziert werden können: ihre Kinder kann man nicht mehr auseinanderreißen. Was einen Sohn oder eine Tochter zu „einem“ oder „einer“ macht, ist nicht das zusammengerechnete, zusammengesetzte Erbgut beider Eltern (das würde zerfallen in seine Bestandteile…), sondern ein darüber Hinausgehendes, ein schöpferisches Handeln zu neuem Leben, dem Vater und Mutter nur dienen, das sie aber nicht selbst aktiv erzeugen können. Das „echad“ hebt im neuen Leben jede Differenz in der Sache auf, macht aber dennoch die beiden Eltern nicht zu „einer Menschheit“ oder dergleichen. Im gewissen Sinn werden hier Eltern ihren Kindern untergeordnet — ich weiß, dass fromme, autoritätsfixierte Christen das nicht gerne hören — , aber es ist tatsächlich so: weil sie Kinder hervorbringen (können), die jeweils „einer“ oder „eine“ sind durch Gottes heilige Vollmacht, sollen sie sich nicht mehr trennen. Im (potenziellen) Nachkommen manifestiert sich eine untrennbare Einheit. „Echad“ im Bezug auf mehrere, die „echad“ werden, meint eine echte Synthese und Verschmelzung, die die Differenz vergessen macht und spurlos verschwinden lässt.
Es ist also argumentativ abwegig, den Spieß umzudrehen und zu sagen, Gott müsse daher aus mehreren bestehen und zusammengesetzt sein, nur weil manchmal ein „echad“ eine Mehrfältigkeit aufhebt. Erstens hebt das „echad“ sie immer auf, macht sie als solche in der bestimmten Sache irrelevant (nicht generell!). Zweitens ist die Richtung zum „echad“ hin immer die, dass Getrenntes sich zusammenfindet und dann eines ist.
Bei Gott aber wird so argumentiert, als hätte sich der Eine, der „echad“, in etwas Getrenntes ausgefaltet.
Diese Denkweise entstammt ganz eindeutig dem heidnischen Strukturdenken, das generell ebenfalls „eine“ Gottheit annimmt, die sich aufspaltet in einen Polytheismus, oder aber, wie im Hellenismus, davon ausgeht, dass der „Eine“ („Hen“) sich in Emanationen, Seinsstufen fortsetzt. Die Emanationen weisen, je weiter sie entfernt sind vom Ursprung, eine abgeschwächte Gottheit auf, sind aber immer noch gottähnlich.
Merkwürdigerweise wird nicht selten die Zweifältigkeit des Menschen als Mann und Frau als Bild für die göttliche Mehrfältigkeit angesehen. Ich habe selbst lange mit diesem Gedanken gespielt, bin aber davon ganz abgekommen. Gott hat im 2. Schöpfungsbericht in Gen 2 zwar die Frau aus dem Mann heraus geschaffen, ein „Aus einem mach zwei“ dem Anschein nach. Das aber wissen wir nicht wirklich — wir wissen nicht, was sich in dieser Geschichte verbirgt, denn in Gen 1 und Gen 5 wird ausdrücklich gesagt, Gott habe den Menschen als Mann und Frau geschaffen, ganz so, als sei das von Anfang an sein Ansinnen gewesen und eben nicht, einen Mann zu schaffen, der sich dann auch noch zur Frau ausfaltet. Wie weiter oben bereits vorgetragen kann man diesen Bericht auch so verstehen, dass Gott aus „Adam“, dem ersten Menschen überhaupt erst durch die Entnahme der Frau einen Mann im spezifischen Sinn schuf.
Der Gedanke, aus dem Mann habe sich die Frau quasi-emanativ ausgefaltet, fand im Hellenismus und in gnostischen Sekten große Verbreitung. Auf deren Gedankengut beruht der postmoderne „Genderismus“. Vielen Christen ist nicht bewusst, in welche Gesellschaft sie sich begeben, wenn sie solche Gedanken in der Theologie arglos annehmen: Die Frau wäre dann tatsächlich nur ein unbedeutenderer und „böserer“ Ausfluss aus dem Mann und der eigentliche volle Mensch wäre demnach nur der Mann. Diese Frage hat Jahrhunderte lang in Europa die „Querelle-des-femmes“-Auseinandersetzung geprägt…
Und mithilfe der Trinitätslehre und der entweder merkwürdig verzerrten Marienverehrung,  oder einer totalen, im übrigen ganz unbiblischen, Marginalisierung Marias (bei den Protestanten) konnte man dieses falsche Menschenbild mit dem Gottesbild harmonisieren und sich einbilden, das gehe aus der Schrift so hervor. Noch ein paar frauenabweisende Pauluszitate darüber garniert, und man war sich seiner Lehre sicher.

Nun ist zwar nicht zu bestreiten, dass die heidnischen Strukturmerkmale immer wieder mal anzuklingen scheinen in der Schrift. Aber sie werden auch wieder aufgehoben und in andere Kontexte gesetzt, und dies regelmäßig.
Wir finden bezüglich Gottes und des Menschen folglich dem Anschein nach widersprüchliche Aussagen in der Schrift.
Man kann nun sagen: Die Schrift widerspricht sich.
Man kann aber auch sagen: Hier findet eine Auseinandersetzung und Neudeutung, Neujustierung statt, die sich auch dialektischer Methoden bedient oder zu bedienen scheint.
Ich möchte das aus Übersichtlichkeitsgründen hier nicht aufrollen, werde das aber irgendwann später einmal tun, wenn es sich gibt.

Das „echad“ führt jedenfalls niemals zu Doppel- oder Mischwesen. Das Heidentum kennt zwar eine solche Vorstellung, etwa von Halbgöttern oder monströsen Mischgestalten aus Tier und Mensch. Vorausgesetzt wird hier oft, es hätten sich sexuelle Fortpflanzungen verschiedener Arten ergeben. Auch in der abendländischen Rede davon, dass jeder Mensch „sowohl Weibliches als auch Männliches“ — ja, man spricht sogar von „Wesensanteilen“ —  in sich trüge, laboriert in gefährlicher Weise an einer solchen „Mischwesen“-Theorie, die konsequent zu Ende gedacht, zu einem hierarchisch verfassten Pantheismus führen muss: Irgendwie sind alle Ausdifferenzierungen eben doch nur abgestufter Ausdruck des „echad“…. Wie sehr dieses Denken uns nach wie vor prägt, sehen wir auch an der Urknalltheorie, die von einem Jesuitenpater erfunden wurde, der vollkommen im Rahmen der kirchlichen Dogmen schwang (Georges Lemaitre SJ).
Ich möchte aber ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Erschaffung des ganzen Menschengeschlechtes aus „Adam“ als Merkmal des Menschen in der Schrift nicht in Relation zu einer möglichen Ausfaltung des Gottes gesetzt wird — ein solcher Gedanke kam erst durch die Implementierung heidnischer Philosophie ins Frühjudentum ins Spiel. Genaugenommen ist die ganze animalische und florale Schöpfung durch Generativität ein Kontinuum, entspricht darin aber kaum einer trinitarischen „Ausfaltung der Gottheit“. Gott pflanzt sich nicht fort. Es geht auch in der Trinitätslehre nicht um ein „Wachsen und Mehren“ Gottes wie bei den Geschöpfen. In der neidischen und begehrlichen Annäherung unzufriedener Engel an Frauen, die Gen 6 berichtet, wird eher erkennbar, dass es exklusive Fähigkeit des „Fleisches“ (griech. „sarx“ vom indogermanischen Begriff „sarga“ für „Schöpfung“!) ist, im Fleisch zu „wachsen“ und „sich zu mehren“. Die Vorstellung einer „prozesshaften Gottheit“ kennt die Kirchenlehre nicht. An dem Punkt stimmt sie mit den heiligen Schriften überein, die dies ebenfalls nicht kennen.

Wir erkennen in der Schrift eine Abneigung gegen Vermischungen, aber auch eine vollkommene Abweisung von Herbsetzungen der Geschöpfe gegeneinander. Wir finden nirgends im AT die Rede davon, dass irgendein Geschöpf seinsmäßig über einem anderen stünde. Dem Menschen wird die Schöpfung zur Bebauung und Bewahrung gegeben. Er soll sie hegen und pflegen und Nutzen aus ihr ziehen. Aber wir finden nirgends den Hinweis, dass der Mensch ihr ontologisch übergeordnet sei. Wird irgendwo Achtung verlangt oder Anerkennung, basiert sie nie auf ontologischem Vorzug. Auch die postmoderne christliche Überzeugung, es gebe eben „Ämter“, vor denen man Respekt haben müsse, weil Gott hier die einen über die anderen gesetzt habe, um „Ordnungen“ einzuhalten, findet bei genauer Betrachtung keinen biblischen Anhalt. Was immer in der geschwächten Schöpfung an „ordo ab chao“-Mustern zu gelten scheint: Die göttliche Ordnung funktioniert nicht über Unterwerfung und Abwertung. Sie ist dann im Lot, wenn jeder seinen Platz einnehmen darf, der ihm nicht aufgrund der Herablassung anderer, sondern aufgrund seiner individuellen Ausstattung zukommt und mit der er, wie im Gleichnis von den drei Knechten und ihren Talenten wuchern darf, solange er niemandem schadet. Dabei kann er sich förmlich steigern — je nachdem… Die Beschneidung der einen durch die anderen ist Ausdruck der Unordnung und Sünde. Die Aufgabe des Menschen wäre gewesen, in dieser Schöpfung die Werke Gottes zu loben und liebevoll zu betrachten, wie Adam es anfangs tat, als er allem einen Namen gab.

In der Schrift gibt es nur einen einzigen eindeutigen Hinweis auf eine sexuelle Vermischung verschiedener Kategorien: In Gen 6, 1ff wird beschrieben, wie „Gottessöhne“ sich mit Menschentöchtern sexuell vermischt und die „Riesen“ („nephilim“) gezeugt hätten. Im AT wird dieser Sachverhalt als maßgeblicher Grund für die Sintflut angeführt, aber nur knapp beschrieben. Die „nephilim“ seien die „Helden der Vorzeit“, die „berühmten Männer“. Diese Katastrophe wird ausführlich im äthiopischen Henochbuch ausgefaltet, das in der äthiopischen Kirche als kanonische Schrift gilt. Die Riesen sind dort furchtbare Wesen, der Kontakt zwischen Frauen und Dämonen führt dazu, dass die Menschen von den bösen Engeln lernen, wie man Waffen schmiedet, sich schminkt und Zauberei betreibt. Eine Stelle im Judasbrief wird häufig als Anspielung auf diese vorsintflutliche Katastrophe angesehen (Jud 6). Die „nephilim“ waren nach jeder Überlieferung monströse, boshafte Wesen, zwar heldenhaft und berühmt, aber eben erschreckend und verdorbene „Hybride“, auf deren Erscheinen hin die ganze Menschheit, bis auf Noach und seine Familie, verdorben und vernichtet wurde.

Diese einzigen in der Schrift vorkommenden, durch sexuelle Vereinigung erzeugten Mischwesen sind verdorben und Verderber, aber monströs und in aller Perversion machtvoll. Wenn eines klar ist, dann dies, dass sie niemals hätten entstehen dürfen und einem Fall bestimmter Engel entstammen, die ihre Fähigkeiten missbrauchten und, obwohl sie Engel waren, als „Männer“ auftraten und sexuell mit Frauen verkehrten, die im Gegensatz zu diesen Engeln echte Menschen waren. Selbstverständlich hat man nicht unterlassen, diese Konstellation als Beweis für die „Unterordnung der Frau“ anzusehen, um zu erklären, warum Engel nicht Frauen wurden und menschliche Männer bezirzten. Ich möchte dazu bemerken: Es waren die Frauen, die die Faszination, Eifersucht und Gier der Engel hervorriefen — nicht die Männer. Dies sagt uns auch etwas über die Geschlechter, das die spätere Christenheit nicht hören will: offenbar ging von der Frau eine enorme Strahlkraft aus, die sie mitnichten gegenüber dem Mann herbsetzte… Andererseits sind Engel wohl kaum dazu in der Lage, vom Mann gezeugte Kinder auszutragen — anders herum erscheint dies leichter möglich… Von den „nephilim“ wird nirgends gesagt, sie seien selbst nicht auch „nur“ Menschen und nicht etwa „Engel“.
(vgl. die ansonsten sehr lesenswerte Studie von Johann Heinrich Kurtz: Die Ehen der Söhne Gottes mit den Töchtern der Menschen. Berlin 1857)
Man kann sich vorstellen, dass dieses Treiben mit Magie und Kultischem vor sich ging und nicht einfach nur aus Versehen so passierte.
Aber dennoch hat man als Leser den Eindruck, dass der Satz gilt: Was eine Frau hervorbringt, wie immer das geschieht, ist ausschließlich ein Mensch. Ein Mann dagegen kann nichts hervorbringen, es sei denn mit einer Frau.


Was ist „göttliche Zeugung“?

Angesichts dieser abscheulichen Praxis, die in Gen 6 als widergöttlich und pervers beschrieben wird und die ganze Schöpfung unbrauchbar macht, ist es wirklich nicht einsichtig, dass Gott selbst nach demselben Muster wie diese gefallenen „Gottessöhne“ gehandelt haben soll.
Die selbst bei Unitariern behauptete „Zeugung“ Jesu „aus“ Maria, wird tatsächlich nirgends im NT so überliefert. Ich habe in meinem 1. Brief dieses Thema ausführlich behandelt: https://zeitschnur.blogspot.com/2018/07/trinitatslehre-auf-dem-prufstand-brief.html
Von einer durch Gott selbst bestätigten Gottessohnschaft ist erst bei der Taufe im Jordan die Rede. Zu diesem Zeitpunkt hat aber der Mensch Jesus schon 30 Jahre lang existiert, und nun bezeugt Gott vom Himmel her, er habe an diesem Menschen „Gefallen gefunden“ (ähnlich wie dies Maria einst angesagt wurde, bevor sie Jesus hervorbringen durfte — es kann damit also nicht eine Zeugung gemeint sein, wie wir sie landläufig verstehen. Da alle, die an Jesus glauben, „von Neuem geboren“ werden, wie Jesus in Joh 3 dem Sanhedrin-Mitglied Nikodemus sagt und dies keine physische Neuzeugung  meint, sondern eine spirituelle, nicht sexuell verstandene, sollte man auch bei der späten „Zeugung Jesu“ von einem metaphorischen Sinn ausgehen.
Göttliche Zeugung im oder am Menschen meint etwas ganz anderes als eine sexuelle Zeugung, aber die Zeugung, wie wir sie in der Schöpfung kennen, dient als Bild für eine maximale, intensive und ein „echad“ herstellende Hinwendung und Vereinigung seitens Gottes mit den Menschen.
Auch der Hymnus in Hebr 1 gibt kein Argument für eine behauptete sexuelle Zeugung in oder gar mit Maria her:

Die berühmten Worte: „Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt“ (Hebr 1,5) sind Psalmworte (Ps 2 und 110), die Paulus auf Jesus überträgt mit einem ganz anderen Vergleichspunkt: „Zu welchem Engel hat er (das) jemals gesagt?“ Paulus will damit nicht sagen, Gott habe Jesus sexuell gezeugt, sondern er will darauf hinaus, dass Jesus kein Engel, sondern etwas viel Erhabeneres — durch Gott Erhobenes (!) — ist.
Dabei ist die „Zeugung“ dem Anschein nach das unterscheidende Merkmal, denn Engel gelten als geschaffene Wesen — zumindest lehrt die Kirche das so. Vielleicht können wir nicht einmal sagen, dass Gott die Engel nicht auch in irgendeinem metaphorischen Sinn „gezeugt“ oder „geboren“ hat, ganz einfach weil wir es nicht wissen können, aber niemals hat Gott zu einem seiner Wesen gesagt, er habe ihn „heute gezeugt“. Und darum geht es: um das Sagen und Bestätigen, um die Kundgabe für alle Welt im Himmel und auf Erden.
Ps 2,7 spricht von einer Zeugung: „Er sprach zu mir: Mein Sohn bist du. Ich selber habe dich heute gezeugt.“
Das „heute“ durchbricht jedoch den landläufigen Sinn des Zeugens: Wenn der, der zeugt, zu einem spricht, der bereits vorhanden ist und diese Worte verständig aufnehmen kann, er habe ihn heute gezeugt, dann liegt eine metaphorische Lesart nahe. Trinitarier werden einwenden: Der Sohn wurde eben aus Gott gezeugt und geboren vor aller Zeit, und diesem Gottsohn teilte Gott mit, dass er „heute“ ins Fleisch gezeugt werde.
Nun ist aber eine solche Lesart nicht naheliegend, wenn man einmal vergisst, welche trinitarische „Gehirnwäsche“ man seit Jahrhunderten durchläuft.
Zu allererst muss festgestellt werden, dass von einer solchen „ersten Zeugung und Geburt“, die uns das große nicäno-konstantinopolische Credo bekennen lässt, nirgends in der ganzen Schrift die Rede ist.
In Apg 13,33 wird derselbe Psalmvers zitiert, erhält hier aber einen anderen Sinn:
„32 Gott hat die Verheißung, die an die Väter ergangen ist,
33 an uns, ihren Kindern, erfüllt, indem er Jesus auferweckt hat, wie es im zweiten Psalm heißt: Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt.“
Paulus versteht ganz offenkundig die „Zeugung“ als die Auferweckung Jesu.
Der Vers gibt also schon in der neutestamentlichen Interpretation keinerlei Argument dafür her, dass hier von einer „Zeugung in/mit Maria“ die Rede ist.

Wenn man einmal recherchiert, in welchem Sinn in Ps 110 von „Zeugen“ gesprochen wird, entdeckt man ein wahres Handschriften- und Übersetzungschaos, und es wird deutlich, dass ganz und gar nicht sicher ist, ob hier von einem echten oder überhaupt von einem Zeugen bzw Gebären gesprochen wird:
Die EÜ 2016 übersetzt — nicht ohne dazu eine umfangreiche Anmerkung zu machen: „Ich habe dich aus dem Schoß gezeugt vor dem Morgenstern.“
Die Luther 2017: „Aus dem Schoß der Morgenröte habe ich dich geboren wie den Tau.“
Die Elberfelder übersetzt — ebenfalls mit umfangreicher Anmerkung: „Aus dem Schoß der Morgenröte habe ich dich wie Tau gezeugt.“
Die Schlachter 2000: „Aus dem Schoß der Morgenröte tritt der Tau deiner Jungmannschaft hervor.“
Die Vulgata: „Ex utero, ante luciferum, genui te.“ (Aus der Gebärmutter, vor dem Morgenstern, habe ich Dich geboren)
Martin Buber: „Vom Schoß des Morgengrauens her, ist der Tau deiner Kindschaft an dir.“

Der Konsonantenbestand des hebräischen Textes ist in diesem Schlüsselvers (V3) kaum eindeutig zu übersetzen. Der masoretische Text führt zu dem Übersetzungstypus, für den sich Buber entschieden hat.
Die überaus poetische Bildsprache, die trotz unklarer Bedeutung hervorschimmert, verweist schon an sich selbst auf einen Vorgang, der weit mehr ist als eine landläufige Zeugung, wie Menschen sie tätigen.

Auf die sprachliche Fassung der Ansprache des Engels an Maria habe ich in einem anderen Artikel bereits hingewiesen (s.Link o.): Auch wenn wir es gewohnt sind zu glauben, dass der Heilige Geist in Maria „gezeugt“ haben soll, steht das dort im Lukas-Evangelium nicht. Vielmehr heißt es dort, dass Maria von der Kraft des Heiligen Geistes umschattet wird und so ohne Mann einen Sohn hervorbringen wird. Das stimmt exakt mit dem Protevangelium in Gen 3 überein, das von Anbeginn an erklärt, dass der „Same der Frau“ Rettung bringen wird — nicht der Same eines anderen. Auch Gen 3 legt nahe, dass nur die menschliche Zeugungskraft der Frau hier wirksam wird. Es ist sehr schwierig zu behaupten, Gott selber habe hier an dieser Stelle „gezeugt“, um ein „vollständiges“ generatives Muster zu haben. Zweifellos hat er Maria seine Kraft verliehen. Aber mehr lässt sich kaum sagen. Die berühmte Stelle in Gal 4,4 sagt ebenfalls nur, dass der Christus aus der Frau geschaffen wurde. Über die in den deutschen Übersetzungen (nicht aber in der Vulgata!: „factum ex muliere“) übliche und irreführende Fehlübersetzung „geboren vom Weibe“ habe ich an anderer Stelle eine genauere Erklärung abgegeben (s. Link o.).
Die eigentümliche Formulierung in Mt 1,20 an Joseph hat schon einigen Kopfzerbrechen verursacht, weil das Wort „gennao“ an dieser Stelle schwerlich „empfangen“ heißen kann, sondern eher „(was in ihr) hervorgebracht wurde“. Vgl dazu den Briefwechsel zwischen Anthony Buzzard und Bryant J. Williams. Williams verweist darauf, dass der Begriff, der hier in der Ansprache an Joseph verwendet wird, damals in der Säkularsprache — nach Erkenntnis altsprachlicher Forschung — einen weiten Sinn hatte: „In the secular world of the NT times GENNAO has the meaning of "come into being" as well as "produce" in a metaphorical or vague general senses (cf. 2 Tim. 2:23 of quarrels; Gal. 4:24 of the covenants).” Briefwechsel der beiden zum Thema hier: https://lists.ibiblio.org/pipermail/b-greek/2006-December/041352.html
Im Ergebnis gibt auch diese Stelle nicht her, dass der Heilige Geist hier „gezeugt“ haben soll. Außerdem käme man mit dieser Deutung in große Probleme: Wenn der Heilige Geist der eigentliche Vater ist, wer ist dann der von ihm auch im NT stets unterschiedene „(Gott-)Vater“, den Jesus als seinen wahren Vater anspricht?

Man kommt nicht umhin, sich vor Augen zu führen, dass der Messias von der Frau kommt und — wie in Gen 3 angekündigt — ihr „Same“ ist, allerdings aufgrund einer besonderen Befähigung durch die Kraft Gottes. Dass an der unmittelbaren Hervorbringung des Gesalbten und überhaupt jeglicher Gotteskindschaft kein Mann beteiligt sein konnte, legt auch der Johannesprolog nahe, der zugleich aussagt, dass jeder, der glaubt, „aus Gott geboren“ (ebenfalls mit dem Wort „gennao“!) sein wird: „12 …denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden: denen, die an seinen Namen glauben, 13 die nicht aus menschlichem Geblüt noch aus dem Willen des Fleisches noch aus dem Willen eines Mannes, sondern aus Gott geboren sind.“
Hier wird eine radikale Abgrenzung der Gotteskindschaft von jeglicher menschlich-geschöpflichen Generativität vollzogen, die ausdrücklich den „Willen des Mannes“ ausschließt, ja: förmlich brüskiert und vor den Kopf stößt. Nicht geschieht aber eine Abgrenzung in einem geistigen Sinn, der solche geschöpfliche Vaterschaft weit übersteigt. Die Gottessohnschaft kann sich demnach aber auch nicht aus der Mutterschaft Mariens ergeben — obwohl der Heilige Geist ihr enorme Kräfte verliehen hat. Was für den „Willen des Mannes“ gilt, gilt hier notwendig auch für den der Frau, denn auch der „Wille des Fleisches“ (also des „sarx“, des Fleisches, das stets die geschaffene Welt meint) hat keine Potenz, eine Gotteskindschaft hervorzubringen, weil er kategorial verschieden ist zum Willen des Schöpfers und Vaters im Himmel.
Die Neugeburt, die eine Neuzeugung voraussetzt, wenn man sich dieser Metaphorik bedient, die jedes Kind Gottes erfährt, ist notwendige Voraussetzung dafür, ins Himmelreich zu gelangen. Die Rückfrage des Nikodemus, ob er denn so ein zweites Mal von seiner Mutter geboren werden müsse, beantwortet Jesus unter anderem mit folgendem Satz: „…6 Was aus dem Fleisch geboren ist, ist Fleisch, und was aus dem Geist geboren ist, ist Geist.“ (Joh 3) Eine göttliche Zeugung ist also kategorial etwas anderes als eine im Fleisch. Das muss folgerichtig auch von der Entstehung Jesu im Leib seiner Mutter gelten: es ist eine Geburt im Fleisch. Eine wunderbare zugegebenermaßen, aber eben doch im Fleisch. Sie kann nicht zugleich auch mit einer Zeugung im Geist angenommen werden, zumal diese ja erst ermöglicht werden soll durch diesen Messias. Es kommt nicht von Ungefähr, wenn die Apg (s.o.) die „Zeugung“ Jesu, also die Geburt aus dem Geist (!), mit der Auferweckung von den Toten ansetzt. Demnach ist die Auferstehung der Moment der Geburt, auf den hin der Christus ausgereift ist.
Die Zeit „unter dem Gesetz“, im (sterblichen) Fleisch, von der Gal 4 spricht, ist in einem solchen Argumentationsstrang noch nicht die Zeit der Neugeburt. Sie beginnt mit der Auferweckung, die das Vorbild abgibt für die mögliche Auferstehung aller, die es wollen.
Hier liegen allerdings Argumentationsprobleme vor, denn Jesus sagt zu Nikodemus in Joh 3, wer nicht aus Wasser und Geist geboren werde, könne nicht das Himmelreich erlangen. Das klingt so, als müsse der Mensch vor seiner Auferstehung schon neu geboren werden.
Erschwerend kommt hinzu, dass das griechische „gennao“ „zeugen“ und „gebären“ mit einem und demselben Wort benennt — eine exakte Differenzierung von „zeugen“, „produzieren“, „generieren“, „hervorbringen“, gebären“ gibt uns das NT leider nicht an die Hand. Man könnte die Stelle so verstehen: Wer nicht neu gezeugt wird aus Wasser und Geist, kann nicht ins Himmelreich hineingeboren werden.

An diesem Punkt gab es früh Auseinandersetzungen zwischen Gnostikern und Nichtgnostikern. Gnostiker behaupteten, mit der Taufe, also einer angenommenen „Neugeburt“ müsse man folglich bereits auferstanden sein. Auch die pietistische Rede davon, dass man ein „wiedergeborener Christ“ sei, suggeriert, der Prozess sei bereits völlig erfüllt. Die Auseinandersetzung zwischen der katholischen Kirche und dem Protestantismus bezüglich der Heilsgewissheit geht in dieselbe Richtung. Etwas pauschal gesagt folgt der Protestantismus hier insgesamt einer gnostischen Denkweise.
Im NT gibt es beides: mit der Gabe des Heiligen Geistes hat der Gläubige eine „Anzahlung“ erhalten auf die kommende „Herrlichkeit der Kinder Gottes“. Eine Anzahlung… Und er kann sie mittels eines voll bewussten Aktes wieder verlieren („Sünde wider den Heiligen Geist“). Das wäre schwerlich möglich, wenn man schon im vollen Sinne auferstanden wäre.
Traditionell sagte man katholisch daher gerne, man lebe im „Schon und noch nicht“, was sachlich sicher nicht falsch ist.

Der Vergleich mit der „Zeugung im Fleisch“ ist vielleicht treffender als wir ahnen: was wir zeugen, ist schon da, aber noch nicht ausgereift und sichtbar, bis es geboren wird. Ähnlich könnte es sich mit uns verhalten, solange wir in diesem Leben sind. Es ist eine „Schwangerschaft“ Gottes mit uns im Geist. Man könnte den Prozess auch später ansetzen, denn Neugeborene sind noch lange nicht selbständig lebensfähig und müssen mit Muttermilch groß gepäppelt werden. Viele Aussagen in den paulinischen Briefen lassen ein solch evolutionäres Wachstumsmodell anklingen, wobei Paulus sich sogar selbst mit einer gebärenden Frau vergleicht, als er von den Mitgliedern seiner Gemeinden spricht.

Aus dem allen würde folgen, dass dieser Jesus Menschensohn ist, der, anders als alle anderen, alleine — dem Fleisch nach — von einer Frau hervorgebracht wird. Damit wird die erste Schöpfung, bei der dem Fleisch nach aus dem ersten Adam die erste Frau und damit auch der erste Mann hervorgebracht wird, mit dieser Neuschöpfung des „zweiten Adam“ parallelisiert. Nur geht der Weg diesmal umgekehrt. Dass dies so kommen würde, hat Gen 3 früh angekündigt. Aus dieser Tatsache der alleinigen Hervorbringung der Neuschöpfung eines Adam durch die göttlich bevollmächtigte Frau geht erneut hervor, dass es keine ontologische Abstufung zwischen Mann und Frau geben kann, die die Kirche bis heute behauptet. Hinter Maria stehen aber viele Vorfahren, die über David und Sara, Noach, Set zurückreichen bis auf den ersten Menschen („Adam“), der Mann und Frau im Bilde Gottes war.
Gott setzt noch einmal neu an, um durch dieses Nadelöhr des Menschen- und Gottessohnes allen Erneuerung und Rettung anzubieten.
Es ist aber ganz und gar falsch, wenn man die Menschensohnschaft und die Gottessohnschaft ins Fleisch projiziert gewissermaßen „total parallelisiert“. Genau das ist falsch!
Die vielen NT-Hinweise darauf, dass hier „alles neu“ geschaffen wird, unterstreichen diese Tatsache.

Von einem Mischwesen, das man sich mit Formeln wie „ungetrennt und unvermischt“ geradezu absurd zurechtzimmern muss, ist keine Rede. Ein wahrer Mensch ist immer kategorial und ausschließlich ein Mensch. Durch Christus kann jeder Mensch ein Kind Gottes werden in einem erhabenen Sinn. Dennoch wird er dadurch — gleich wie viel ihm Gott ermöglicht — nicht zu dem Gott, der dies alles gibt. In Jesus Christus zeigt sich vielmehr, wie unermesslich hoch Gott von Anfang an den Menschen veranschlagt hat und wie weit wir davon abgekommen sind.