Das Königtum Gottes
I. Begriffe und ihre Verwirrung
II. Sara, die Freie und „Eleuthera“
(das freie Jerusalem)
III. Baalskulte, Hellenismus (Weltweisheit)
und geistgewirktes Prophetentum (Chochma)
IV. Millenarismus als Versuchung
V. Der „kosmos“ (Weltordnung) dieses
Äons und die dafür gegebene „exousia“ (Vollmacht)
VI. Die herrschaftsfreie Zeit der
„Richter“ und ihr Scheitern
VII. „exousia“ und „katechon“ (Vollmacht
zur Staatsgewalt und „der, der noch aufhält“)
VIII. Ist die Seele „sterblich“?
IX. Die Ironie der „Vollmacht von
oben“
X. Die Frequenz der wahren „malchut“
XI. Schwerter zu Pflugscharen?
XII. Theodizee
I. Begriffe und ihre Verwirrung
Alleine schon die meisten deutschen
Übersetzungen der hebräischen und griechischen Begriffe im Alten und Neuen
Testament, die dem deutschen „Reich Gottes“ oder dem „Himmelreich“ zugrunde
liegen, sind tendenziös und verzerrend. Hebräisch ist die Rede von der „malchut“, griechisch von der „basileia tou theou“. Doch was bedeuten
diese Begriffe eigentlich wirklich?
„Malchut“
kommt von „melech“ (König). Das Verb „malach“ bedeutet „regieren“, hängt aber
auch mit „nachdenken“ oder „sich beraten“ (nimlach)
zusammen. Ein „derech hammelech“ ist
ein „gebahnter Weg“, ein „gerader, gangbarer Weg“, der beste Weg gewissermaßen,
der, der allen Aspekten gerecht wird. Auf Deutsch nennen wir das metaphorisch,
genau wie im Hebräischen, einen „Königsweg“. „Keyad-hammelech“ heißt „großzügig“ oder auch „in Fülle“.
Am ehesten kommt eine Übertragung
des Begriffes der „malchut“ mE im deutschen
Wort „Königtum“ zum Ausdruck. Es ist weniger ein Innehaben als ein Sein. Nun
muss man wissen, dass das Suffix „-tum“
aus dem Althochdeutschen kommt und als „Tuom“
ein eigenständiges Nomen war, das zum Suffix erstarrte. Ein „Tuom“ ist eine „Würde“ oder auch ein
„Urteil über ein Tun“, ein „Charakter“, ja sogar ein „Wesen“. „Königtum“ ist
also nicht ein Anspruch, ein Besitz oder eine „Macht“ oder gar „Herrschaft“,
wie man das verzerrend auf Deutsch so oft überträgt, sondern es ist königliche
Autorität, es ist ein Königswesen, es ist ein Adel, der in sich selbst ruht und
keiner Machtinsignien bedarf: wer diesen Adel innehat, hat ihn sichtlich und
spürbar in sich und aus sich selbst und bedarf weder eines Zeichens dafür noch
einer bedrohlichen Ausstattung, die auch noch dem letzten im Feld unter die
Nase reibt, dass er sich ja vorsehen soll, weil dieser da nämlich die „Macht“ hat. Wer in einem solchen letzteren,
irdischen Sinne „machtvoll“ auftritt, „Macht hat“, ist nichts als ein Blender,
Lügner, Betrüger und Gewalttäter — ein wahrer Teufel.
II. Sara, die Freie und die „Eleuthera“ (das
freie Jerusalem)
Nun hat aber das Abendland das
„Königtum Gottes“ alleine schon durch den unseligen Begriff der „Herrschaft“,
der substanziell negativ und gewalttätig vorgestellt werden muss für die, die
die Rolle der Unterworfenen darstellen sollen, im Grunde total pervertiert und
das Gegenteil daraus gemacht. Echtes Königtum kennt keine „Untertanen“. Die
alt- und neutestamentliche Perspektive spricht die, die zu Gott gehören,
grundsätzlich als Königliche an. Sie sind eben keine Beherrschten und
Unterworfenen, sondern Begnadete und Erhobene wie Maria (Magnificat). Das Neue
Testament schärft seinen Lesern doch immer wieder ein, dass sie den
Untertanengeist (Röm 8,15. „pneuma
douleias“ = „Untertanengeist“) ablegen sollen, denn sie sind „Kinder
Saras“, der Freien. Sara stellt
allegorisch die „Jerousalem eleuthera“,
das „freie Jerusalem“ dar. Und diese „Stadt oben“ ist „meter panton hemon“, „unser aller Mutter“ (Gal 4,21ff), die uns „geboren hat“ (Jes 51,2). Gott selbst
gab dieser „unserer Mutter“ ihren Namen „Sara“,
und er bedeutet: „Fürstin“, „Herrin“, „Freie Frau“, auch „Vornehme“, aber eben
iS der gewaltfreien Autorität, was v.a. in einer Übertragung mit „Vornehme“
deutlicher wird (Gen 17,15). Weil Gott dieses Königtum hier so deutlich an
einer Frau, und nicht an einem Mann (!), festmachte, wurde deutlich, dass es
nicht um die typische maskuline Gewalt- und Herrschaftsattitüde gehen kann, die
unterwirft und erniedrigt, um sich selbst zu erhöhen, sondern um den Stand als „eleuthera“, als Freie, gehen muss. In
diesem Zusammenhang ist interessant, dass es in der griechischen Mythologie die
sagenhafte Stadt „Eleutherai“ gab,
eine Stadt der Freien, und man hat auch i der Forschung über eine „Göttin der
Freiheit“ („Eleuthera“) spekuliert,
aber sie ist in der gesamten griechischen Literatur nicht nachweisbar. Diese
„Göttin“ ist eine Sehnsuchtsfigur.
Nicht der freie Mann, der doch nur Macht
missbraucht, ist Leitfigur der Menschheit, sondern die freie Frau, die aus der
Niedrigkeit erhoben wird. Es hat eine tiefe Logik, dass der Messias Jesus sich
eben nicht als ein solcher gewalttätiger Mann präsentierte, sondern sich von
solchen gewalttätigen Männern erniedrigen ließ.
Die Schrift des AT und NT kennt das,
wonach sich auch das Heidentum aus einer Ahnung heraus sehnte: die „Eleuthera“. Es ist nach Paulus Sara,
sie ist Allegorie für die Stadt „Jerousalem
eleuthera“, und sie ist unsere „Mutter“.
Wer von einem freien Mann gezeugt wird, ist nicht unbedingt selber ein Freier. Er
kann Hurensohn sein oder Sklave, wie Ismael. Es ist irrelevant, wer der Vater —
ist in einem geistlichen Sinn. Gott muss der Urheber sein, aber er wirkt
unverrückbar und eindeutig über die Linie der Frau, wie er es angekündigt hatte
in Gen 3:
Wer von einer Freien
geboren wird, ist frei. Daher
rechnet auch das Judentum die Seinen nicht nach der Herkunft vom Vater, sondern
von der Mutter. Die Würde als Königlicher kommt eindeutig und verlässlich von
der Mutter her. So sind auch in den Ausführungen des Paulus nicht alle
Abrahamskinder Freie oder Erwählte, sondern nur die, die von Sara kommen. Die
gängige postmoderne Stützung auf die „abrahamitischen Religionen“, um einen
scheinbaren Religionsfrieden zu schaffen, ist — gemessen an der biblischen
Denklinie — irrig. Nur was sich auf Sara stützt, hat die Verheißung. Sara steht
in dieser Rolle als „Gebärerin der Freien“ für das Werk des Heiligen Geistes an
den Erlösten und die Neugeburt der Gläubigen kraft Gottes „aus Wasser und Geist“, von der Jesus in Joh 3,5 spricht.
Sara gebar nämlich, wie Paulus
schreibt, nicht nach dem Fleisch ihren Sohn, sondern aufgrund der „Verheißung
(Gottes)“. Dass alle in dieser Weise Geborenen königlichen Wesens sind und der „göttlichen Natur teilhaftig“, bestätigt
uns Petrus (2. Petr 1,4) mit den Worten, wir seien „genos eklekton basileion hierateuma“, ein „erlesenes Geschlecht
königlicher Priesterschaft“ (1. Petr 2,9). Diese Rede von der Teilhaberschaft
der göttlichen Natur versetzt den so Begnadeten tatsächlich in einen
Selbststand, der ihm eigentlich von der „adamah“-Natur
her, der Natur aus dem Staub der Erde nicht zukommen könnte. Es ist dies für
mein Verständnis ein unerhörtes, atemberaubendes Detail und macht andererseits
verständlich, warum einer, der diesen geschenkten Selbststand veruntreut, keine
erneute Umkehr mehr vollziehen kann (vermutlich dies die „Sünde wider den
Heiligen Geist“). Die königliche Priesterschaft stammt aus der Ordnung
Melchisedeks, wird über Jesus Christus vermittelt und macht den Begnadeten
wirklich zu einer „neuen Kreatur“.
Die Geburt „aus dem Wasser (heraus)“, „ex
hydatos“, bedeutet die Anknüpfung an die alte und erste Schöpfung „aus und im Wasser“, also nicht aus der „adamah“, dem Erdboden, den Gott aus der
Urflut gefiltert hat, sondern aus dem materiellen Grundstoff, dem Wasser, aus
dem diese Erde hier geschaffen ist, von der Petrus unter Bezugnahme auf Gen 1
spricht. Die Geburt aus dem Geist dagegen ist eine neue Beseelung, die man
vielleicht parallel zu der im Garten Eden ansehen kann, bei der Gott dem
Menschen seinen Odem einblies.
Was aus der alten Schöpfung kam,
muss in ihr grundständig „veredelt“ werden in ihrem Urstoff Wasser und bedarf einer
ebenso grundständig neuen Beseelung durch den Heiligen Geist. Dass dies so sein
muss, geht aus der Tatsache hervor, dass Gott den eigentlich geheiligten „adamah“-Erdboden, aus dem er den
Menschen formte, um des Mannes willen verflucht hat (Gen 3,17): aus ihm kann
nichts Ungetrübtes mehr kommen, das dem Menschen gewogen wäre. Die Erde trotzt
dem Menschen mit Dornen und Disteln und frisst ihn am Ende als Staub wieder
auf.
Bereits von hier aus muss man
Zweifel anmelden an der unitarischen Sicht, die Toten würde alle grundsätzlich
auch mit ihrer Seele schlafen bzw sterben: ein in Christus Entschlafener hat
den Heiligen Geist als Anzahlung erhalten, der an der Neuschöpfung dieses
Mannes oder dieser Frau arbeitete und ihn oder sie durchwirkte. Sir Anthony Buzzard
(s.u.) kann die Frage nicht beantworten, wie die Seele eines Menschen, der so
neu beseelt wurde, wenn auch „nur“ in Form einer „Anzahlung“, dann vollständig
„gestorben“ sein soll. Stirbt dann auch der Heilige Geist in ihm ab oder
verlässt ihn wieder? Wenn aber nicht, wie kann dann der so belebte Teil
„schlafen“ iS des Gestorbenseins?
Man merkt schon bei ein klein wenig
tieferem Nachdenken, wie wenig wir autorisiert sind, über diese Dinge
dogmatische Aussagen zu machen — nicht nur die Kirche nicht, sondern auch
unitarische „Reformatoren“ nicht. Wer will hier von sich behaupten, er könne
diese Fragen abschließend beantworten? Wer kann so tief in die Dinge sehen,
dass er darauf eine Antwort wüsste. Es kann Menschen geben, die von Gott
Erkenntnis erhalten, aber sie können sie nicht
aussprechen (2. Kor 12,4). Ich
möchte davor warnen, die Heilige Schrift wie eine Glaskugel zu Dingen zu
befragen, die uns noch verschlossen sind!
Man kann und muss zu Recht das
Trinitätsmodell bezweifeln, aber auch hier lehnen sich Unitarier viel zu weit
aus dem Fenster: keiner von hat Gott je gesehen, und wir wissen nicht, was es
heißt, in einer Sphäre, die auch über den geschaffenen Zahlen steht, „einer“ zu
sein!
Ich werde später auf diese Frage des
Seelentodes noch einmal zurückkommen in diesem Brief.
Trotz der so eindeutigen alt- und
neutestamentlichen Aussage hinsichtlich des Untertanengeistes wird den
Christen, v.a. den Frauen und Kindern, allenthalben und seit Jahrhunderten eingeschärft,
dass sie den Männern und Vätern „untertan“ zu sein haben in diesem
pervertierten Sinne des „Untertans“ als einem Unfreien und animalisch
Abhängigen. Aber auch allen sozial Niedrigeren schärfte man Obrigkeitshörigkeit
ein. Die, die das den anderen einschärfen, sind die, die sich selbst Herrschaft
zuschreiben. Das ist teuflisch!
Die für alle Christen geforderte
Haltung des „doulos“ („Sklaven“), die
Jesus selbst vorlebte, wurde pervertiert und iS einer Einbahnstraße nur Frauen,
Kindern und Untertanen in Monarchien abverlangt. Der „Monarch“ ist der, aus dem
alles fließt, er ist der Ursprung des Gemeinwesens, und die „Untertanen“ sind
„seine“ Potenziale, die er einsetzt für seine Ziele. Er hat Gewalt über ihre
Leiber und Vermögen. Im römischen Recht hatte der „pater familias“ auch das „ius
vitae necisque“, das Recht über Leben und Tod, auch den Tod der eigenen
Familienmitglieder zu entscheiden, wenn ihm das recht erschien. Was wir heute
noch bei den Muslimen beklagen, wenn sie Ehrenmorde begehen: das ist das alte,
natürliche „Recht“ in diesem „kosmos“.
Auch das kirchliche Verständnis, man könne innerhalb der ersten 90 Tage
abtreiben, ohne schwer zu sündigen, das bis weit ins 19. Jh galt, kommt daher
und setzt sich heute in einer Übertragung dieses Rechtes auf die Mütter in der
modernen Abtreibungsgesetzgebung fort. Darin steckt die alte
Herrschaftsattitüde des Mannes, die nun auch der Frau übertragen wird. Die, die
Feindin der Schlange ist, nach Gottes Willen, wird nun, am Ende der Zeiten, mit
hineingerissen in die maskuline Vermessenheit. Keine Frau sollte sich mit
diesem teuflischen System gemein machen — weder dem alten patriarchalen,
maskulinen, das sie unterjocht hat, noch dem neuen, das sie zur
Mitunterjocherin animieren will! Seht euch die Gestalten des Grauens an, die
nun als Frauen über uns herrschen…
Und seht auf den Christus, der dem
Mann zeigte, wie er sein soll und die Frau darin bestärkt hat, sich nicht
darüber zu grämen, in diesem „kosmos“
nichts zu gelten. Beiden begegnete er mit gerechter und ausgleichender Liebe
und Demut. O mein Gott!
Die ursprüngliche Bedeutung dieser
Forderung nach „Unterordnung“ und „Dienersein“ Jesu hatte sich aber nicht an
die gerichtet, die sowieso schon unterworfen wurden in diesem „kosmos“, also nicht an Frauen, Kinder und Untertanen gerichtet, sondern an die,
die glauben, sie seien Herren über Untertanen (Mk 9,30ff).
Es ist aber — welche Tragik! — ein
Topos geworden, dass die, die unter Christen herrschen oder herrschen wollen,
den anderen die biblische Forderung nach Unterordnung vorhalten.
Die paulinischen Aufforderungen zur
Unterordnung meinen keine Restauration des Untertanengeistes, sondern eine
Gleichgültigkeit gegenüber der irdischen Ordnung nach dem Fleisch: Man soll
nicht gegen sie aufbegehren, bleibt ein „Freier“ in jedem Stand — es lohnt
nicht, diese Welt zu ändern, weil sie vergeht und wir auf ein Neues zuleben. Wie
Jesus es so oft betonte, werden in seinem Reich die, die hier im Fleisch die Ersten
waren, sehr oft oder sogar fast immer die Letzten sein. Wer klug ist, sollte
also hier keine „angeborene“ oder „zugeteilte“ Dominanz für sich beanspruchen… Denkt
also einmal scharf nach, all ihr Männer, die ihr euch durch den Feminismus
betrogen fühlt! Und auch ihr, ihr Frauen, denkt nach: was gewinnt man
geistlich, wenn man nun auch hier in diesem Leben Erster sein will und dort
doch auf dem letzten Platz sitzen wird? Die irdische Ungerechtigkeit gegen die
Frau ist eine Tatsache, aber singt doch mit Maria, die hoch erhoben wurde über
die Mächtigen, lasst euch nicht irritieren… Uns geht nichts ab, wir sind Saras
Töchter (zu Saras Größe s.u.)
Jesus warnt alle, die meinen, sie
hätten Vorrang, in seinem Gleichnis von dem Mann, der sich an die erste Stelle
im Reich Gottes setzt und später den Platz räumen muss, weil der Hausherr ihn
auf einen der hinteren Plätze komplimentieren muss (Lk 14,7ff).
Es ist im Ergebnis ja mehr als
deutlich, dass vor Gott kein Mensch der Untertan des anderen sein kann, selbst
dann nicht, wenn zwei Christen äußerlich in einer solchen sozialen
Konstellation nach den sozialen Ordnungen dieses „kosmos“ leben (vgl. Philemonbrief). Dem Christen ist eben nicht
die Herrschaft über andere aufgetragen, sondern die Unterordnung aller
gegenüber allen: „Einer achte den anderen
in Demut höher als sich selbst!“ (Phil 2,3) Wer den anderen oder die andere
in Christus „Herrn“ oder „Herrin“ nennt, der erfüllt das Gesetz Christi… Nur so
kann man auch den Hinweis des Petrus verstehen, Sara habe ihren Mann „Herr“
genannt. Damit meint er nicht, dass Frauen sich nun als zweitrangig ansehen
sollen vor Gott, sondern er meint, dass ein gläubiger Mensch immer den anderen
als „Herrn“ oder „Herrin“ anspricht — schließlich tat Sara es als diejenige,
die selbst von Gott als „Herrin“ und „Vornehme“ umbenannt wurde. Abraham sollte
auf Geheiß Gottes seine Frau künftig „Herrin“ nennen — wie anders also hätte es
recht sein können als so, dass auch sie ihn umgekehrt so benennt? Denen, die
uns äußere Unterwerfung abtrotzen, sollen wir sie, der Bergpredigt nach,
gewähren oder nicht verweigern — wer so handelt, ist bereits jetzt ein König,
wie Jesus es war. Unseren Geist aber kann und darf niemand unterwerfen. Ich
muss dabei an das Beispiel Bonhoeffers denken, der im Gefängnis dennoch von den
Wärtern und Mitgefangenen wie ein „Herr“ wahrgenommen wurde.
III. Baalskulte, Hellenismus (Weltweisheit)
und geistgewirktes Prophetentum (Chochma)
Natürlich ging dieser christlichen Perversion
eine entsprechende Perversion in der Theologie Israels voraus. Man liest oft in
der schlichten evangelikal geprägten Literatur, nun auch aufseiten der
Unitarier, man müsse zurückkehren zum „jüdischen“, hebräischen oder
alttestamentlichen Denken. Wer so argumentiert, übersieht, dass es dieses
„hebräische“ Denken als einen „Guss“ nicht gibt. Die Verfremdung des Verstehens
zeichnet nicht nur die Zeit der Kirche, sondern längst der Israeliten, wie
jeder sofort bemerken kann, der einmal den Talmud aufgeschlagen hat oder sich
klarmacht, welche katastrophalen Lehren die „Gesetzeslehrer“, wie der berühmte
Rabbi Hillel, zur Zeit Jesu bereits verbreitet haben, um von den jüdischen
Hellenisten wie Philo von Alexandrien erst gar nicht zu reden, deren Einfluss
auf das kirchliche Denken sogar außerordentlich stark war und sich in manchen
angeblichen oder wirklichen Paulusstellen ausdrückt, für die es überhaupt keinen alttestamentlichen
Anhaltspunkt gibt, dafür aber zahlreiche hellenistische, frühjüdische Belege!
Ob es um einen „dritten Himmel“ (von insgesamt sieben), angeblich gebotene
Kopfschleier für betende Frauen, angeblich „schändliche“ Kopfbedeckungen für
betende Männer oder längere Haare oder emanativ gefärbte angebliche
„ontologische Rangordnungen“ von „Abglanz“ (etwa „Gott-Christus-Mann-Frau“)
geht — all das wird im AT mit keinem einzigen Wort erwähnt und mit keiner
einzigen Gedankenfigur nahegelegt, sondern ganz im Gegenteil widersprechen
solche Ideen dem, was man dort findet. Auch findet sich nichts davon in den
Evangelien, erst in der NT-Briefliteratur taucht das auf und kommt eindeutig
aus dem zeitgenössischen philosophischen Denken, das aus dem Heidentum und
frühjüdischen Begrifflichkeiten, die nicht mehr aus dem AT stammen, tief ins entstehende
Judentum eingedrungen war. Nicht umsonst gilt Paulus in der Fachliteratur als
derjenige Autor des NT, der den Gnostikern am meisten „Stoff“ gegeben hat, um
ihre Gedanken zu entwickeln. Ich habe allerdings an einigen der besagten
Stellen aus verschiedenen Gründen den Verdacht, dass Paulus diese Ideen
entweder gerade nicht propagiert,
sondern aufgreift, aber abwehrt, oder aber irgendein früher Abschreiber den Text
manipuliert hat. Andererseits war auch Paulus nur ein Mensch und kann geirrt
haben. Es ist auffallend, dass all jene Stellen um Machtkonstellation im
Fleisch gehen — ob es um Untertanengeist gegenüber politischer Macht geht oder Maskulinismus:
Paulus hebt all das in anderen Stellen oder sogar an derselben Stelle wenige
Sätze später wieder auf, kann das also so nicht verstanden wissen wollen haben.
Was bei ihm „gnostisch“ klingt, also „in
der ihm geschenkten Weisheit“ gesagt wird, kann das sein, wovon Petrus
schreibt, viele würden es zu ihrem Verderben verdrehen. Das Aufgreifen
hellenistischer Ideen bedeutet weder, sie zu akzeptieren noch zu
„christianisieren“. Es kann eher ein Aufgreifen sein, um es abzulegen,
geschrieben für die, deren ganzer Geist hellenisiert war und nur schwer davon
loskam. Die satanische Machtbegründung, die in diesen Stellen
hindurchschimmert, ist nicht die, die uns die Schrift im AT vor Augen führt —
im Gegenteil. Wie tief sich das hellenistische Denken im Heidentum und im
Judentum bereits eingefressen hatte, und wie weit es bereits die
alttestamentliche Vorgabe pervertiert hatte, kann man leicht erkennen, wenn man
sich mit den wenigen erhaltenen, frühchristlichen Schriften befasst. Aber auch
die Apostelgeschichte erwähnt eine heftige Auseinandersetzung des Paulus mit
den Hellenisten (Apg 9,29) — mit dem Ergebnis, dass jene ihn ermorden wollten.
In vielen Übersetzungen steht an der Stelle, er habe mit „Griechen“ diskutiert.
Im Urtext steht jedoch, er habe mit „Hellenisten“ debattiert. Gemeinhin waren
das keine Griechen, sondern Juden, die griechisch sprachen und vom Hellenismus
stark durchsetzt waren. Die Übereinstimmung zwischen ihnen und Paulus dürfte
demnach nicht all zu groß gewesen sein.
Immer wieder fällt mir auf, dass
Menschen die Widersprüchlichkeiten in den biblischen Texten durch Hinzunahme
schriftferner Aussagen oder Weglassen von Schriftpassagen „lösen“.
Auch die israelitische
„Lehrer“-Schicht zur Zeit Jesu indoktrinierte die Menschen in die genannte
Richtung: die „malchut“, das muss
eine machtvolle Emporhebung Israels sein, wenn der Messias kommt, der natürlich
ein gewaltiger Kämpfer und Krieger sein wird und die Rolle eine Weltkönigs
einnehmen wird.
Es ist dies aber — auch wenn diese
Deutung dominant werden konnte — nicht die prophetische Tradition des Begriffes.
IV. Millenarismus als Versuchung
Postmoderne Unitarier greifen
einerseits zurück auf das bereits verbogene „irdische“ Verständnis des
Frühjudentums über diese „malchut“,
andererseits wollen sie ein biblisches Motiv wieder aufgreifen, das die Kirche
unterschlagen haben soll.
Die Sache ist komplizierter, zumal
die Kirche ja sehr wohl ein Friedensreich nach der Wiederkunft Jesu Christi
bekennt. Nur hält sie sich zugleich bereits für den Beginn dieses
Friedensreiches, für ein symbolisch verstandenes Millennium, auf das später,
nach dem Gericht, das Paradies folgen wird. Ich habe dieses Bekenntnis der
Kirche in meinem Buch „Sakrament und
Macht“ aus dem modernen Katechismus der katholischen Kirche und dem
„Catechismus Romanus“ nachgewiesen. Die Evangelische Kirche in Deutschland mag
darüber anders denken.
Die Schwierigkeiten mit dem
einzigen Hinweis auf ein „Millennium“, einen Zeitraum von 1000 Jahren, in denen
der Christus mit denen, die bei der ersten Auferstehung wieder erweckt wurden, regieren
wird, liegen in dieser Textstelle selbst begraben, wie ich im 5. Brief
angedeutet habe. In der Tat spricht Apk 20 eben von keinem „Reich“, keiner „malchut“ und auch keiner „basileia tou theou“. Apk 20 sagt uns,
dass der Satan für 1000 Jahre gebunden wird, danach aber noch einmal
losgelassen werden muss. Während dieser 1000 Jahre werden die, die das
Malzeichen des Tieres nicht angenommen haben und getötet worden sind, auf Throne
erhoben, um ein „krima“ (lat. ein „iudicium“) zu erstellen, ein Urteil (V
4). Es ist dieser Zeitraum also kein „Reich“, sondern der Zeitraum, in dem ein
Gericht vorbereitet wird. Die gerichtet werden, sind noch nicht auferstanden,
der Satan ist gebunden, um die, die auferstanden sind aus den Nationen und das
Gericht vorbereiten, nicht mehr zu verwirren.
Dennoch behauptet etwa Sir Anthony
Buzzard in seinem Buch „Das Königreich des Messias“ , in diesen 1000 Jahren
verwirkliche sich ein Friedensreich, und zwar jenes, das uns im AT als „malchut“ und in den Evangelien als das
nahe herbeigekommene Reich Gottes angekündigt worden ist. Er blendet aus, dass
in Apk 20 ausdrücklich gesagt wird, dass diejenigen, die nicht selig verstorben
sind, in dieser Zeit noch nicht auferstanden sein werden. Auch übergeht er die
Tatsache, dass hier nicht von einem „Reich“ die Rede ist, sondern von einem „krima“, das vorbereitet wird. Auch die
eigentümliche Tatsache, dass der Weltenrichter Christus eben nicht alleine
urteilt, sondern alle, die zu ihm gehören, als Urteilende einsetzt, wird von
Buzzard weggelassen — denn diese Vision zeigt uns, wie der Christus „herrscht“:
gar nicht im herkömmlichen Sinn, sondern verwoben mit den Seinen, denen er
sogar das Urteil über die Welt übergibt. Auch aus den Folgekapiteln geht
hervor, dass es die Schar der Erlösten sein wird, die dieses Gericht vollzieht —
mit ihrem Herrn natürlich, aber es ist offenbar in ihre Hände gelegt. Dafür
spricht auch der Satz in 1. Kor 6, 2ff, in dem gesagt wird, dass die Heiligen
die Welt und Engel richten werden! Es ist absolut sinnvoll, wenn in Apk 20
davon gesprochen wird, dass Christus mit den Seinen „regiert“ — ich habe das im
5. Brief bereits erklärt. Es meint keine „Herrschaft“ (denn es wäre zu fragen,
über wen eigentlich, wenn alle herrschen und niemand beherrscht wird?!),
sondern die sorgfältige Gerichtsvorbereitung, die nicht in einem luftleeren
Raum stattfindet, sondern unter der Führung Jesu Christi und der Seinen.
Buzzard behauptet ohne weitere
Auseinandersetzung mit den Worten Jesu: „Wir
sollten noch hinzufügen, dass das Reich
GOTTES auf der Erde die organisatorische Mitte der gesamten Heiligen
Schrift und der Kern der rettenden Botschaft ist, die Jesus verkündigt hat.“
(Buzzard S. 86)
Nun stimme ich ihm generell zu in
dieser Aussage, aber seine Behauptung, es sei ein „Reich Gottes auf Erden“,
ohne sich mit dem Endgericht und der Vernichtung der Erde auseinanderzusetzen,
ist nicht nur unvollständig, sondern auch nicht ganz redlich. Buzzard müsste
doch wissen, dass diese echte „malchut“
kein Ende haben wird, wie es der Engel zu Maria sagte, und daher mit einem
Millennium, das selbst zeitlich begrenzt wäre und durch die Nennung eines
Zeitrahmens ja gerade als Begrenztes und darum noch nicht als „Reich Gottes“
Qualifizierbares deutlich wird, nicht identisch sein kann! Er übergeht aber
alle diese Stolpersteine im Buch der Offenbarung, von denen in den Evangelien
und in der NT-Briefliteratur ganz abgesehen.
Hochproblematisch ist folgende
Sicht Buzzards, die ich etwas länger zitieren will (Buzzard S. 92):
„Die äußerst wichtige Wahrheit des Evangeliums ist, dass Abraham
tatsächlich in dem Land der Verheißung lebte (Hebr 11,9). Das beweist
unbestreitbar, dass das verheißene Land nicht der „Himmel“ ist, ein von diesem
Planeten weit entfernter Ort. Das verheißene Land war ein Gebiet im Mittleren
Osten. Dieses Gebiet bleibt das verheißene Land. Es wird das Zentrum des
zukünftigen Königreichs sein. Sein rechtmäßiger König, der Messias, wird
wiederkommen, um dieses Land zu übernehmen und seine Herrschaft rund um die
Welt auszudehnen. Das verheißene Land ist deshalb nichts anderes als das
verheißene Reich GOTTES, das den Mittelpunkt des rettenden Evangeliums Jesu
bildete. Jesus konnte auf Grund göttlicher Verheißung gleichermaßen sagen: „Glückselig die Sanftmütigen, denn sie
werden das Land erben“ (Matth 5,5) und „Glückselig die Armen im Geist, denn ihrer ist das Reich der Himmel“
(Matth 5,3). (Der jüdische Ausdruck „Reich des Himmels” bzw.
„Himmelreich“ (der nur von Matthäus benutzt wurde) bedeutet das Selbe wie
„Reich GOTTES“. Der Ursprung dieses Reiches ist göttlich, himmlisch, aber es
bedeutet nicht, dass es im Himmel gelegen ist. Noch wird es von GOTT im Himmel
aufbewahrt, bis Jesus auf die Erde zurückkehren wird, um es dann von Jerusalem
aus aufzurichten (1.Petr 1,4; Kol 1,5).“
Problematisch ist dabei nicht der
wirklich verdienstvolle Aspekt Buzzards, dass eine solche „malchut“ unbedingt zu erwarten ist, sondern die Zuordnung, die er
vornimmt.
Die schlichte Identifikation der
Verheißungen auf diese Erde ist
nicht richtig und widerspricht der Schrift. Auch das Fettdrucken von „das Land“
ist nicht aussagekräftig, denn Jesus hat nicht gesagt, wo dieses Land sein
wird. Es ist eben nicht nur der „Ursprung“ dieser „malchut“ himmlisch, sondern sie selbst ist himmlisch: Jesus spricht von einer „basileia ton ouranon“, einem „Reich der Himmel“. „Ouranos“ ist das „Himmelsgewölbe“, das
Firmament, von dem Gen 1 spricht, das fest gebaut ist und keine sich
ausdünnende Atmosphäre, die ins Hochvakuum übergeht, wie uns die moderne
kosmologische Ideologie glauben machen will. In antiker Vorstellung ist „Ouranos“ der Ort, an dem Gott bzw die
Götter sind. Das „Reich der Himmel“ ist wesentlich eines, in dem Gott
unverschleiert und mit allen überdeutlich verbunden anwesend ist. Es kommt in
der Tat der „Himmel auf Erden“, weil Gott mit den Seinen leben wird. Die
wechselweise Bezeichnung des künftigen Königtums als „Himmelreich“ oder „neue
Erde“ oder „Reich Gottes“ sagt uns doch logisch eines ganz klar und deutlich:
dass dies verschränkt sein wird, dieses Reich, dass es im Himmel und auf der Erde sein wird. Es werden
zwei Sphären ineinander geschoben sein. Nicht nur eine neue Erde wird erwartet,
sondern auch ein neuer Himmel (s.u.)!
Nur auf welcher Erde?
Leider setzt sich Buzzard überhaupt
nicht mit der Aussage Petri auseinander, die ich, um wachzurütteln für das, was
wirklich im NT steht, auch ganz zitieren will:
„3 Dies sollt ihr vor allem
wissen: In den letzten Tagen werden Spötter kommen, die ihren Spott treiben,
ihren eigenen Begierden nachgehen
4 und sagen: Wo bleibt seine
verheißene Ankunft? Denn seit die Väter entschlafen sind, bleibt alles wie von
Anfang der Schöpfung an.
5 Wer das behauptet, übersieht,
dass es einst die Himmel gab und eine Erde, die aus dem Wasser entstand und
durch das Wasser Bestand hatte auf das Wort Gottes hin.
6 Durch dieses wurde die
damalige Welt vom Wasser überflutet und ging zugrunde.
7 Die jetzigen Himmel aber und
die Erde sind durch dasselbe Wort für das Feuer aufgespart worden. Sie werden
bewahrt für den Tag des Gerichts und des Verderbens der gottlosen Menschen.
8 Dies eine aber, Geliebte, soll
euch nicht verborgen bleiben, dass beim Herrn ein Tag wie tausend Jahre und
tausend Jahre wie ein Tag sind.
9 Der Herr der Verheißung zögert
nicht, wie einige meinen, die von Verzögerung reden, sondern er ist geduldig
mit euch, weil er nicht will, dass jemand zugrunde geht, sondern dass alle zur
Umkehr gelangen.
10 Der Tag des Herrn wird aber
kommen wie ein Dieb. Dann werden die Himmel mit Geprassel vergehen, die
Elemente sich in Feuer auflösen und die Erde und die Werke auf ihr wird man
nicht mehr finden.
11 Wenn sich das alles in dieser
Weise auflöst: Wie heilig und fromm müsst ihr dann leben,
12 die Ankunft des Tages Gottes
erwarten und beschleunigen! An jenem Tag werden die Himmel in Flammen aufgehen
und die Elemente im Feuer zerschmelzen.
13 Wir erwarten gemäß seiner
Verheißung einen neuen Himmel und eine neue Erde, in denen die Gerechtigkeit
wohnt.
Diese Welt hier, die noch
abgeleitet ist von der vorsintflutlichen Schöpfung „aus und im Wasser“ (V 5), wird „für
das Feuer aufgespart“ (V 10) und vollständig vergehen. Dies wird nach dem
Gericht geschehen, von dem Apk 20 spricht — also nach diesen 1000 Jahren Vorbereitung
auf das Gericht, in denen der „Drache“
gebunden ist. Die Erwähnung der 1000 Jahre hier bei Petrus lässt uns erahnen,
dass diese Zahl auch in Apk 20 symbolisch gemeint sein könnte für einen langen Zeitraum,
der vor Gott aber dennoch kurz sein wird.
Es wird definitiv auf dieser Erde keine „malchut“, kein „Reich Gottes“ sichtbar aufgebaut, wie Buzzard es
behauptet, aber es ist „nahe herbei
gekommen“, wie an vielen Evangelienstellen bezeugt wird! Es ist nah herbei
gekommen insofern, als es bald aufgerichtet
wird, aber es ist noch fern, weil es nicht auf dieser Erde in diesem Äon geschehen
kann. Nah ist es auf dieser Erde auch deshalb, weil es bereits als etwas im
Himmel Aufbewahrtes wartet und durch unsere Geistbeseelung in dieses Äon
hineinragen kann. Diese Erde muss erst vergehen, bevor es ganz wirklich werden
kann für uns.
Ja, wer genau gelesen hat, dem kann
nicht entgangen sein, dass nicht nur diese Erde, sondern sogar „die Himmel“
vollständig vernichtet werden. In V 12 sind es sogar die Himmel, die zuerst
vergehen werden. V 13 erinnert uns daran, dass wir nach dieser vollständigen
Vernichtung dieser Erde und der Himmel einen „neuen Himmel und eine neue Erde“ erwarten dürfen. Wenn das so ist,
kann die „Herrschaft“ des Messias natürlich auch nicht von dem jetzigen
Jerusalem aus geschehen. Das jetzige Jerusalem ist selbstverständlich ebenso
wie das Heilige Land fürs Feuer aufgespart. Nicht umsonst spricht Paulus in Gal
4 von der „himmlischen Stadt“ — einer
Stadt, die vom Himmel kommt und eine neue Erde begründen wird, nicht auf der
alten Erde neue Zustände einführen wird. Das jetzige Jerusalem ist nach Paulus in
Gal 4 die Stadt der Sklaven, die Stadt Hagars, der Unfreien, und die sie
bewohnen sind nicht Saras Kinder! Wollen
wir, wenn wir in das heutige Jerusalem sehen, diese missbrauchte Stadt der
Kinder Hagars, die sich im Judentum zuhauf ebenso finden wie im Islam und den
unseligen Kirchen, im Ernst auch nur mit einem Gedanken erwarten, dass sich
dort die Stadt Saras befinde?!
Apk 20-22 bestätig eindeutig, dass „der erste Himmel und die erste Erde“,
also die, von denen Petrus schrieb, sie seien aus und im Wasser (man lese dazu
noch einmal mit kritischen Augen den Schöpfungsbericht in Gen 1!), „vergangen“ sein werden. Und dies
gründlich.
Das Bestandselement der ersten
Schöpfung, nämlich das Wasser, das als „t’hom“
(„Urflut“) über dem Himmel ist und aus der Tiefe die Wasser speist, die auf
unserer jetzigen Erde sind (das Meer, Flüsse, Bäche, Quellen, Wolken etc.),
v.a. die weiten Meere („majim“), wird
in dieser Form nicht mehr sein: „Das Meer
ist nicht mehr“ (Apk 21,1).
Das „neue Jerusalem“ aber kommt vom Himmel herab (V 2). „Von Gott her“,
sagt der Seher Johannes hinzu, damit klar ist, dass diese neue Schöpfung nicht
einfach nur die alte ein bisschen aufpoliert, sondern etwas völlig anderes,
Neues sein wird, das aus dem „Himmel“, also aus der Region Gottes dem Menschen
förmlich „zukommt“ oder „zuwächst“ – daher betete man in der katholischen
Kirche früher im Vaterunser für „adveniat
regnum tuum“ sachlich korrekter als heute „Zukomme uns dein Reich“. Man bat nicht nur, dass es irgendwie
kommt, sondern dass es auf uns — als etwas gänzlich anderes — zukommt. Die
Nacht wird nicht mehr sein, es wird keine Tränen mehr geben („Wasser der Trauer
und des Schmerzes“!), der Tod wird nicht mehr sein und nicht mehr die „scheol“.
Und wie um uns einzuschärfen, dass
diese „malchut“, von der die
Propheten sprachen, eben nicht auf dieser Erde sein wird, die jetzt noch ist,
sagt die göttliche Stimme vom Himmel her:
„Seht,
ich mache alles neu.“ (V 5)
Und „alles“ heißt nun mal „alles“!
Warum beachtet Buzzard das nicht?
In so vielem kann man ihm
rechtgeben, denn es ist wahr, dass viele Christen zwar theoretisch diese „malchut“ als Ziel der Heilsgeschichte
bekennen, praktisch aber ganz außer acht lassen oder rein politisch für dieses
Äon deuten. Tut aber Buzzard im letzten Ende wirklich etwas anderes? Ich sehe
eine große Verwandtschaft zwischen seiner Deutung und der der Progressisten,
die etwa die Befreiungstheologie vertreten. Buzzard bekennt leider nicht den neutestamentlichen
klar bezeugten Glauben an eine vollständig neue Erde und einen vollständig
neuen Himmel…
Wesentlich erscheint mir auch, wie
schon erwähnt, der Aspekt zu sein, dass die Auferstandenen, die ja aus der „adamah“, dem bevollmächtigten Erdboden
einst geschaffen wurden und damit zu dieser Erde gehören und von ihr abgeleitet
sind, leiblich „verwandelt“ werden müssen, um die Vernichtung der jetzigen Erde
im Feuer zu überstehen. Dieser leibliche Neubeginn kommt aus dem Wasser, wird
aber noch zurückgehalten. Auch darauf geht Buzzard gar nicht ein. Er spricht
nur ganz allgemein von der geistigen Wiedergeburt, nicht aber von der
Notwendigkeit eines neuen Leibes, der zu der neuen Schöpfung passen muss.
Nur von einer vollständigen
Auflösung der jetzigen Schöpfung her kann man die künftige „malchut“ recht verstehen und die „Unterordnungs“-Appelle im
jetzigen, „fleischlichen“ System richtig und geistlich einordnen! Ignoriert man
die vollständige Verdorbenheit gerade dieses Systems (nicht der einzelnen
Menschen!) dieser Welt und ihre totale Ungeeignetheit, die „malchut“ zu erklären, kann man nur im Abgrund und einer
antichristlichen Auffassung landen — ob man die „malchut“ oberflächlich glaubt oder nicht, macht keinen Unterschied
mehr. Man hat aber, gerade auch im Protestantismus, diese Konstellation
umgedreht: der einzelne Mensch wurde als total verdorben angesehen und als
eigentlich Schuldiger für das böse System der Welt angeprangert, der immer in
sich selbst die Ursache für die unguten Zustände suchen müsse, wohingegen man
behauptete, das System dieser Welt mit ihrem Herrschaftsgefüge stamme von Gott
oder bilde himmlische Realitäten ab (letzteres ist eher eine katholische
Ausformung derselben Ideologie). Das ist eine geradezu boshafte Verdrehung der
Konstellation. Das Maß des einzelnen Menschen gibt es nicht — der einzelne
ergibt sich diesem irdischen „kosmos“
oder eben auch nicht. Aber der irdische „kosmos“
ist durchweg verdorben.
V. Der „kosmos“ (Weltordnung) dieses Äons
und die dafür gegebene „exousia“ (Vollmacht)
Unglückseligerweise scheint für
diese mE falsche Sicht Paulus den Anstoß gegeben zu haben. Der Abschnitt in Röm
13,1-7 wirkt wie ein Hohn angesichts der Realität satanischer und korrupter
Obrigkeiten, die das Böse tun und ganze Völker in den Abgrund stoßen, Menschen
vernichten, blutrünstig über die Erde fahren wie ein Dämonenheer und ungerecht
richten, die wir erleben, aber auch angesichts der Worte Jesu, der Obrigkeiten
als ausbeuterisch und gewalttätig zeichnete und den Christen untersagte, sich
so zu „systematisieren“: bei ihnen sollten die Ersten die Sklaven aller werden
(s.o.) — wieso lobt nun Paulus, der am Ende selbst dieser Macht zum Opfer fiel,
diese Obrigkeiten in den höchsten Tönen und setzt sie gar mit einem göttlichen
Auftrag gleich?! Das ist so offenkundig, auch nach dem AT, das ganze Serien von
satanischen Regierungen anprangert (!), unsinnig, dass man fragen muss, was
diesen Worten zugrunde liegen könnte, wenn sie so wirklich von Paulus stammen
und nicht ein kleines, eingefügtes Bonbon der nachkonstantinischen Kirche sein
sollten:
„1 Jede Seele unterwerfe sich
den übergeordneten staatlichen Mächten! Denn es ist keine staatliche Macht
außer von Gott, und die bestehenden sind von Gott verordnet.
2 Wer sich daher der staatlichen
Macht widersetzt, widersteht der Anordnung Gottes; die aber widerstehen, werden
ein Urteil empfangen.
3 Denn die Regenten sind nicht
ein Schrecken für das gute Werk, sondern für das böse. Willst du dich aber vor
der staatlichen Macht nicht fürchten, so tue das Gute, und du wirst Lob von ihr
haben;
4 denn sie ist Gottes Dienerin,
dir zum Guten. Wenn du aber das Böse tust, so fürchte dich! Denn sie trägt das
Schwert nicht umsonst, denn sie ist Gottes Dienerin, eine Rächerin zur Strafe
für den, der Böses tut.
5 Darum ist es notwendig,
untertan zu sein, nicht allein der Strafe wegen, sondern auch des Gewissens
wegen.
6 Denn deshalb entrichtet ihr
auch Steuern; denn es sind Gottes Diener, die eben hierzu fortwährend
beschäftigt sind.
7 Gebt allen, was ihr ihnen
schuldig seid: die Steuer, dem die Steuer; den Zoll, dem der Zoll; die Furcht,
dem die Furcht; die Ehre, dem die Ehre gebührt!
Zunächst ist die Essenz dieses
Abschnittes eher die, dass es eine Rechtsprechung geben muss in diesem Äon, um
die Bösen einzudämmen und die Guten zu schützen. Es muss gerecht und ohne Willkür Recht gesprochen werden (worauf auch das Gesetz
des Mose bereits verweist), und der Gute muss sich selbstverständlich nicht
fürchten. Nun zeigt aber das Beispiel des Paulus selbst, der von diesen
ungerechten Gerichten ebenso wie Jesus zu Tode gebracht wurde, dass diese
Obrigkeiten pervers sind und das Gegenteil von dem tun, was sie tun sollten. Paulus
misst dem Gesetz an anderer Stelle heilsgeschichtlich nur einen erzieherischen
Wert zu, aber keinen ontologischen, denn jeder weiß, dass kodifiziertes Recht
automatisch ungerecht wird, weil es niemals dem individuellen Fall gerecht
werden kann und noch dazu von Sündern verwaltet wird. Die strengen Lehrer,
Thaumaturgen und Exorzisten nannte Jesus „Gesetzlose“ (Mt 7,21f). Die
superfrommen Gesetzeslehrer und Pharisäer nennt Jesus ebenfalls „Gesetzlose“
(Mt 23,28). Ein wahres „Recht“ kann nur im Herzen und in der Gottes- und
Nächstenliebe lebendig sein. Die Tora schärft allerdings den Israeliten ein,
dass sie nicht willkürlich und einer Mehrheit zuliebe das Recht beugen dürfen.
Die Tora nimmt eine Mittlerstellung ein zwischen dem Gesetz, das von Gott
selbst in ein erneuertes Herz eingeschrieben wird und dem Gesetz des Stärkeren
oder der Mehrheit und bleibt als Zeichen auf ein objektives Recht wirksam. Als
ein Zeichen — hinsichtlich einer
wirklichen Erlösung und Heilung ist es unnütz, wie Paulus sagt. Sein Buchstabe
vermag kein Leben zu geben, sondern tötet.
Bezeichnenderweise spricht der
griechische Text nicht von „staatlicher Gewalt“, sondern von „exousia“, ein Begriff, der weder natürliche
oder eigenständige Dominanz (was es systematisch ohnehin nicht geben kann, wo
echte Souveränität vorliegt!) noch eine Befähigung bedeutet, sondern lediglich
eine legitime Übertragung einer bestimmten, umgrenzten Vollmacht — hier eben
der, Recht zu sprechen und Steuern einzutreiben. Jesus weist aber radikal
darauf hin, dass die, die bei den Nationen als Große gelten, ihre Untertanen beherrschen
und Gewalt gegen sie ausüben, dies aber unter Christen unter gar keinen
Umständen sein soll (Mk 10,42). Jesus weist solche Herrschaft außerdem den
„Nationen“ zu.
Man muss im Hinterkopf behalten,
dass Gott ursprünglich keine Fürsten über sein Volk gesetzt wissen wollte und
nur in seinem Zorn zustimmte, als es nach Jahrhunderte langer abscheulicher Abgötterei
und einer krönenden Schandtat an einer Frau, einem darauffolgenden Bürgerkrieg und
einem kurzen Luftsammeln unter dem Propheten Samuel danach verlangte (1. Sam
8). Es sind ganze Geschichts- und Prophetenbücher, endlose Klagegesänge und
Litaneien gegen die Großen und Obrigkeiten im AT, die die Absetzung dieser
Mächte ankündigen bis hin zu Maria, der Mutter Jesu, die in ihrem Lobgesang
eben jenen Sturz der Mächtigen mit der Geburt ihres Sohnes prophetisch
voraussagte (Magnificat). Was Israel widerfuhr, ist zeichenhaft: Wegen seiner
verkommenen „exousia“ wurde es immer
wieder zerstreut und vernichtet. Ob Paulus wirklich entgegen diesem
durchgehenden und eindeutigen Zug im AT und den Worten Jesu und Mariae argumentieren
wollte? Ich glaube das nicht, auch dann, wenn man annehmen kann, dass Paulus
vieles gar nicht wusste und die genauen Umstände um Jesus vielleicht gar nicht
vollständig erfahren hatte.
Der Prophet Hosea schrieb (Hos 13):
„10 Wo
ist nun dein König, dass er dich rette in all deinen Städten, und wo deine
Richter, von denen du sagtest: Gib mir einen König und Obersten?
11 Ich
gab dir einen König in meinem Zorn und nahm ihn weg in meinem Grimm.“
Es ist deutlich: Gott wollte
niemals, dass es eine solche „exousia“
gibt — es war das Volk, das dies wollte nach dem Vorbild der Nationen. Diesem
Wunsch war die bereits angedeutete, verheerende Geschichte vorausgegangen, die
ich gleich ausführlicher darstellen will. Ohne sie versteht man die
Zusammenhänge nicht.
Paulus’ Rede davon, dass die „exousia“, die „Vollmacht“, von Gott
komme, muss man subtil verstehen: sie wurde von Gott tatsächlich verliehen,
aber „in seinem Zorn“, weil die
Menschen ihn nicht mehr wollten als ihren Herrn. Sie haben an seine Stelle
irdische „exousia“ gesetzt … und
bekommen. Sie haben nun das, was sie wollten: Männer, die sie beherrschen und
unterdrücken.
Erinnert werden muss hier unbedingt
an die Richterzeit, in der es keine Könige und Oberen gab. Der Richter bzw die
Richterin sprach Recht und führte das Heer an. Die Richter hatten teilweise
einen prophetischen Charakter. Aber „exousia“
im Sinne der heidnischen „Obrigkeit“ hatten sie nicht, sie waren keine „Archonten“ (s.u.), denn das kam nur
Gott alleine zu. Wer die Geschichte der Richter liest, merkt schnell, dass sie
nur in der ersten Hälfte dieser 200 Jahre gottgefällige Leute, allerdings
inmitten eines abgöttischen Volkes, waren.
VI. Die herrschaftsfreie Zeit der „Richter“
und ihr Scheitern
Wer waren die Richter? Sie waren
als Nachfolger Moses, Aarons und Miriams gedacht. In Micha 6,4 erinnert Gott
die Israeliten, dass er „Mose, Aaron und
Mirjam vor ihnen hergesandt“ habe. Diese drei Gestalten entsprechen am
ehesten dem Willen Gottes in der Führung eines Volkes. Es ist — nebenbei gesagt
— anhand dieser ausdrücklichen Nennung Mirjams ganz klar, dass Frauen sehr wohl
führen sollten und konnten, und die spätere Richterin Deborah nicht, wie viele
Fromme behaupten, nur als Ersatz für einen Mann berufen war. Das ist
vollkommener Unsinn, der dem Schriftsinn zuwider strebt: Gott schickte auch
eine Frau vor den Israeliten her, nämlich Mirjam, und zwar zusammen mit zwei
Männern. Sie konnte also zu dem Zeitpunkt kein „Ersatz“ für einen fehlenden
Mann sein. Weil Christen sich so hartnäckig diesen biblischen Tatsachen
verweigern, sei es immer wieder aufgewiesen — anhand der Schrift! Gott beruft
wen er will, wann er will und wo er will und ohne Ansehen der Person! Und das
gesamte AT ist voll von weiblichen Gestalten, die eine Schlüsselrolle
innehatten, v.a. in der frühen, nich nicht so verdorbenen Zeit. Es ist geradezu
beschämend, dass es das in der Kirche spätestens nach der konstantinischen
Wende nicht mehr gab — ganz wie im pervertierten, hellenistischen Judentum…
Gerade in der Richterzeit aber ist
ein beispielloser Niedergang der Frau zu verzeichnen, den sie sich zT auch noch
selbst „anzieht“ — ganz wie heute unter vielen Frommen. Josua ist der erste
Richter nach Mose und war ein Segen für die Israeliten, mit seinem Tod fielen
sie ab und dienten Baalen (Ri 2,11). Sie vergaßen den Gott, der sie aus Ägypten
geführt hatte. Es zogen furchtbare Zustände ein, aber noch lebte man
herrschaftsfrei. Gott setzte, so erzählt uns das Richterbuch, weil die
Israeliten von Räubern und anderen Völkern bedroht wurden wegen ihrer
Schandtaten, Richter ein (Ri 2,16ff), aber sie hörten nicht auf ihren Rat — und
konnten dies auch, denn die Richter richteten nicht gewalttätig. Zwar waren die
von Gott berufenen Richter zunächst durch ihre gottgefällige Haltung ein Segen,
aber das Volk fiel sofort ab, wenn einer von ihnen starb. Der nächste nach
Josua ist Otniel, der vom heiligen Geist beseelt wurde und 40 Jahre richtete.
Danach unterwirft ein fremder König die Israeliten, weil sie wieder abgefallen
waren, für 18 Jahre. Gott beruft den nächsten Richter, der ausdrücklich als
„Linkshänder“ genannt wird (Ri 3,15) — ein schönes Zeichen für diese Menschen,
die auch unter Christen soviel Diskriminierung und Verständnislosigkeit
erdulden mussten. Nach dem Richter Ehud fallen die Israeliten wieder ab. Wieder
folgen sie fremden Kulten und der Abgötterei und werden dem kanaanitischen
König ausgeliefert. Die Prophetin Deborah wird daraufhin Richterin und errettet
Israel im Kampf vor den Feinden. Unter Deborah hatte das Land Israel wieder,
wie unter Otniel, 40 Jahre lang Frieden (Ri 5,31).
Mit Deborah vergeht die letzte
gottgefällige Richterfigur.
Nach ihr fallen die Israeliten
wieder ab und werden für sieben Jahre von Nachbarvölkern bedroht und
angegriffen. Gott schickt einen namenlosen Propheten, der Israel zurechtweist
und beklagt, dass das Volk nicht auf die Stimme des Herrn gehört habe von
Anfang an, obwohl er sie aus Ägypten geführt habe. Dann setzt sich sage und
schreibe der „Engel des Herrn“ unter eine Eiche, so wie zuvor Deborah unter der
Deborah-Palme Recht gesprochen hatte und beruft einen Richter: Gideon. Doch
Gideon wirft Gott vor, dass die Zustände so sind wie sie sind und lässt sich
nur mit Mühe überreden, seinen Dienst zu tun. Er fordert Zeichen von Gott, dass
er wirklich sein Wohlwollen hat. Gott gewährt sie ihm. Gideon ist bestürzt und
glaubt. Anschließend beauftragt ihn Gott mit der Zerstörung des Baalheiligtums,
was das Volk ihm übelnimmt. Gideon fordert von Gott weitere Zeichen, und Gott
gibt sie ihm. Gideon soll die Midianiter, die Israel bedrohen, besiegen. Aber
trotz des Sieges gibt es unter Gideons Führung unter den Israeliten Zwietracht
und Irritation. Gideon wird immer siegreicher, und die Israeliten bitten ihn,
ihr König zu werden. Doch Gideon lehnt ab: „Ich
will nicht über euch herrschen (…) der Herr soll über euch herrschen.“ (Ri
8,23) Das klingt wunderbar, aber dann folgt das, was ich meine damit, dass
Deborah die letzte gute Richterin war: Gideon bittet das Volk um Gold, Purpur
und Edelsteine und lässt daraus ein Götzenbild („Efod“) machen. Es heißt wenige
Verse nach seinen hehren Worten: „Und
ganz Israel trieb dort damit Abgötterei. Das brachte Gideon (…) zu Fall.“
(V 27) In V 30 wird schließlich erwähnt, dass er zahlreiche Frauen hatte — in
der Schrift stets gepaart mit Abgötterei und Glaubensabfall. Anschließend gibt
es Streit unter den massenhaften Söhnen der zahlreichen Frauen, wer nun Gideon
nachfolgt. Offenbar geht man nicht mehr davon aus, dass Gott selbst einen
Richter beruft, sondern will sich auf eine Dynastie festlegen — bis zu Deborah
gab es das nicht!
Die Söhne sind herrschlustiger als
ihr Vater. Man „wählt“ den illegitimen Gideon-Sohn Abimelech zum „König“. Das
kam so: Bevor dieser Mann, der nur der Sohn einer Nebenfrau Gideons ist,
„König“ wird, hat er mit Geld aus einem Baaltempel und angeworbenem Gesindel
seine 70 Brüder in seinem Vaterhaus ermordet. Israel ist so verkommen, dass es
ihn daraufhin, auf dieses Massaker
hin, wählt. Nur ein Sohn überlebte: Jotam, der das Volk daraufhin verfluchte
und vor seinem Bruder floh. Bald brechen Unruhen aus zwischen Abimelech und den
Bürgern und er kommt um. Ihm folgen Tola und Jair als Richter, letzterer wieder
ausdrücklich einer, der Vielweiberei betreibt.
Danach teilt Gott nach weiterer
Abgötterei den Israeliten mit, dass er nicht mehr für sie eintreten wird, wenn
sie angegriffen werden.
Es folgt der Richter Jiftach, ein
Hurensohn, der nicht von Gott, sondern von den Bewohnern erwählt wird, weil er
stark und gewalttätig genug scheint, sie aus der Hand der Ammoniter zu retten.
Weil Jiftach ein Hurensohn war, vertrieben ihn die Söhne der rechtmäßigen Frau
seines Vaters. Jiftach macht dasselbe wie Abimelech: er wirbt Gesindel an und
streift durchs Land. Als die Israeliten mit Ammon nicht fertig werden, rufen
sie Jiftach zurück: er soll die Ammoniter schlagen mit seinem Söldnertrupp.
Jiftach handelt mit ihnen aus, dass er, wenn er gewinnt, das Oberhaupt der
Israeliten werden soll. Wieder ist es nicht Gott, der erwählt. Das Richtertum
ist inzwischen auf dem Niveau eines schändlichen „Deals“ mit Kriminellen
gelandet. Jiftachs Verhandlungen mit den Ammonitern bleiben fruchtlos. Nun
kommt die nächste verstörende Geschichte: Es heißt, der Geist Gottes sei über
Jiftach, dieser Gesellen, der mit verbrecherischem Gesindel durchs Land
streifte, gekommen, und er habe ihm ein Gelübde abgelegt: Wenn er siege, wolle
er dem Herrn das Erste, was ihm aus der Tür seines Hauses entgegenkomme als Brandopfer
darbringen (Ri 11,31) — ein ebenso fahrlässiges wie großschnäuziges „Gelübde“,
das allem, was Gott bisher mit Israel getan hatte, förmlich ins Gesicht schlug.
Jiftach siegt und kehrt heim, wo ihn seine einzige Tochter freudig und tanzend,
eine Pauke schlagend, begrüßt. Und nun wird die Geschichte noch verstörender. Die
Tochter, sein einziges Kind, hat offenbar selbst eine völlig pervertierte
Auffassung der Dinge: sie findet es in Ordnung, geopfert zu werden, und Jiftach
schlachtet sie für den Sieg an den Ammonitern als Menschenopfer — und dies,
nachdem nach Abraham und dem von Gott unterbrochenen Menschenopfer am eigenen
Sohn so etwas in Israel nie mehr vorgekommen oder akzeptiert worden war und in
der Tora ausdrücklich verboten ist. Es ist merkwürdig still im Text um Jiftach,
und von Gott ist keine Rede mehr. Hier ist kein Gott mehr im Spiel… Es wird
aber erwähnt, dass in Israel seither die jungen Frauen jedes Jahr vier Tage
lang Jiftachs Tochter beklagen (V 40). Es ist der bisherige Gipfel der
Perversion. Mit diesem Frauenopfer, dem die Frau selbst zustimmt (!), wird eine
verheerende Entwicklung eingeleitet:
Danach wechselt ein Richter den
nächsten ab, ausdrücklich wird wieder eine absurd zahlenstarke Vielweiberei
einzelner Richter berichtet. Wer so viele Frauen hat, kommt aus dem Bett nicht
mehr heraus… Am Ende fallen die Israeliten für 40 Jahre in die Hände der
Philister.
Gott versucht es noch einmal: Er
lässt durch eine wunderbare Geburt Simson zur Welt kommen. Er darf sein Haar
nicht schneiden und soll von Geburt an als Heiliger leben — soviel zu der
hartnäckig vertretenen Behauptung, Paulus habe geschrieben, es sei eine
„Schande“, wenn Männer lange Haare haben… Das kann nicht sein, denn Gott hat
sogar verfügt, dass ihm geweihte Männer („Nasiräer“) langhaarig sein müssen. Im Haar steckt Kraft und
Vollmacht. Das ist Toraregel, die bis heute gilt. Und es kommt nicht von
Ungefähr, dass die hellenisierten, heutigen chassidischen Juden ihren Frauen
die Haare abschneiden und stattdessen eine Perücke aufsetzen. Ähnlich ist es mit
den Kahlfrisuren, die man in der Zeit der Kirche den Männern abverlangt, das
„Tonsurieren“ der Geistlichen in der römischen Kirche (wo alle orthodoxen den
Männern langes Haar abverlangen!) und nicht anders ist es mit den
verschleierten Frauen im Islam, deren Haar um keinen Preis gesehen werden soll —
es ist eine Zerstörung natürlicher Kraft bei Mann und Frau!
Simson ist als Langhaariger gottgeweiht
und gesegnet (Ri 13,24), aber dann treibt der Geist ihn plötzlich umher. Was
ist geschehen? Simson verfällt Frauen der Philister, die ihn zugrunde richten.
Wie die Geschichte ausging, ist bekannt. Israel verliert am Ende alles und lebt
in Unfrieden und Not.
Gegen Ende der Richterzeit, kurz
bevor Samuel der letzte rechtmäßige und noch einmal gottesgefällige und vernünftige
Richter sein wird, geschah aber eine brutalste, fremden- und frauenfeindliche Schandtat
in Israel, die vermutlich den Ruf nach einer wirksameren Gerechtigkeit mit hervorbrachte
(Ri 19). Die furchtbare Geschichte, die im Stamm Benjamin geschah, lässt jeden
seelisch gesunden Menschen schaudern und sich winden: es sind faktisch Zustände
wie in Sodom. Der Mensch, der auf Gott nicht hört und seine Freiheit
missbraucht, muss am Ende durch Gewalt und Unterdrückung einigermaßen
diszipliniert werden. Das macht allerdings diese Gewalt nicht zu einer
göttlichen Eigenschaft oder gar einer Sache, die Gott je gewollt hätte. Die
ganze Tragik menschlicher Erbärmlichkeit und Bosheit drückt sich im
Einleitungssatz in Ri 19 aus (der so ähnlich in den Schlusspassagen des
Richterbuches öfter vorkommt!), bevor das orgiastische Vergewaltigungsmassaker
an einer Frau durch eine perverse, männliche Stadtbevölkerung geschieht: „In jenen Tagen, als es noch keinen König in
Israel gab (geschah folgendes)…“. Die Geschichte ist so finster und
satanisch, dass man keine Worte findet — ein eiskalter Levit, der seine
Nebenfrau auf der Durchreise den Bewohnern von Gibea zum sexuellen Missbrauch
vor die Tür wirft, der ruhig schläft, während sie draußen zu Tode vergewaltigt
wird, der nicht einmal acht hat, wie es ihr geht und die Tote morgens noch
anrempelt, sie solle aufstehen, er wolle weiterreisen und sie am Schluss in 12
Teile zerstückelt, die er zu allen Stämmen Israels schickt, woraufhin fast der
ganze Stamm Benjamin ausgerottet wird, der diese fluchwürdige Tat zu
verantworten hatte: es ist unerträglich! Das Richterbuch endet mit Mord und
Totschlag, Fremdenfeindlichkeit, Verachtung der Gastfreundschaft, Vergewaltigung,
Frauenraub und Frauenhass. Der letzte Satz des Buches lautet: „In jenen Tagen gab es noch keinen König in Israel; jeder tat, was ihm gefiel.“
(Ri 21, 25) Dass dabei gerade ein Levit — wie später in der Erzählung Jesu vom
„Barmherzigen Samariter“ — sich derart hartherzig und widerwärtig, hier
gegenüber seiner Nebenfrau, verhält, die „unter die Räuber gefallen“ ist, durch
seine Schuld noch dazu, ist erbärmlich und schockierend, denn die Leviten sind
eigentlich Priester und stehen im Tempel vor Gott. Dieser Mann brachte im
Grunde, nicht anders als Jiftach, ein Menschenopfer: eine Frau. Und dieser üble
Levit ist bereits ein grausiger Vorschein auf die Priesterkaste, die den Sohn
Gottes zu Tode bringen wird. Die arme Frau, von der hier berichtet wird, ist
wie eine Vision dessen, was Israel mit dem Messias anstellen wird.
VII. „exousia“ und „katechon“ (Vollmacht
zur Staatsgewalt und „der, der noch aufhält“)
Fazit: Der Mensch soll eigentlich
nicht beherrscht werden, und es sollte eigentlich keinen Staat geben, der ein
Gewaltmonopol über Leib, Leben und Vermögen hat, aber nichts hat der Mensch,
v.a. auch der Mann, mehr missbraucht als die Freiheit. Wie ein Tier muss er seither
in Schach gehalten werden und wie ein Tier versucht er, selbst der zu werden,
der in Schach hält. Seit Deborah und in einem letzten Aufblitzen durch Samuels
prophetisch dichtende Mutter Hanna gibt es im AT keine Frauen mehr, die
unabhängig und geistvoll agieren konnten. In das enge Korsett einer
Unterwerfungs-Ehe eingezwängt oder auf ihre erotischen Reize angewiesen,
versuchen sie irgendwie ihren Beitrag zu leisten (Rut, Ester, Judith etc.), und
wo sie dies verweigern und ein vernünftiges Selbstbild an den Tag legen, wie
Susanna im Danielanhang, werden sie gewaltsam auf ihre Sexualität reduziert und,
bei etwas Glück, von einem netten Mann „gerettet“ vor ungerechter Beschuldigung…
Die späten Propheten klagen ausdrücklich die üble Erniedrigung der Frauen in
Israel ebenso an, wie Jesus es später tut, als er seine Weherufe über die
Gelehrten ausruft, die alle Frauen, die nicht unter der Herrschaft eines Mannes
stehen, nämlich die Witwen, sozial vernichten. Allein — wer unter den Christen
hat erkannt, dass das schweres Unrecht ist? Warum wurde dieser Kurs in
angeblich christlichen Ländern genauso weitergeführt und auch noch als
„gottgewollt“ ausgegeben?
Wenn also solche, fast tierhafte,
maskulinisierte „exousia“ in einem
speziellen Zusammenhang „von Gott kommt“, dann ist damit noch lange nicht
gesagt, dass sie gut ist oder überhaupt dem ursprünglichen Willen Gottes
entstammt. Nur jetzt, da Gott sie „in
seinem Zorn eingesetzt hat“ auf Wunsch derer, die ihn verworfen haben, muss
man sie auch anerkennen in ihrer selbstverschuldeten Schizophrenie. Sie ist —
ähnlich wie das Kainszeichen — eine schon im Ansatz pervertierte göttliche
Bevollmächtigung. In einem gewissen Sinn wird die Bosheit durch Bosheit vor
sich selbst „geschützt“, um auszugären und sich selbst zugrunde zu richten
(s.u. später die Beschreibung dieser Logik durch Jesus selbst). Denn diese
Menschheitsbande, die solche Schandtaten tut wie die im Stamm Benjamin, wird
kaum bessere Könige hervorbringen als die Täter. Das ist auch der Inhalt des
Appells, den Samuel auf Geheiß Gottes hin an die Israeliten richten soll.
Würde es nicht so geschehen, wie es
nun geschieht, bliebe ein ewiger Kampf bestehen und eine unendliche
Zerreißprobe zwischen wenig Licht und viel Finsternis auf Erden. Niemand sollte
diese gespenstische „exousia“ daher
aufhalten und den „Schutz“ in Frage stellen.
Ins Spiel kommt an dieser Stelle
auch der „Katechon“, den Paulus im 2.
Thessalonicherbrief erwähnt, der, der dieses Offenbarwerden des Bösen noch
aufhält und hinweg getan werden muss, damit es offenbar wird. Der „Katechon“ ist wie das Kainsmal
angelegt, und viele haben schon darüber spekuliert, wer oder was dieser „Katechon“ ist. Manche identifizierten
ihn mit dem Heiligen Geist, manche mit der Kirche, manche mit dem Papst, manche
mit dem römischen Kaiser oder dem Staat, manche mit der Eucharistie, aber
eigentlich ist er oder es einfach ein Schutzmal, ein Bann gegen alle, die den,
der geschützt wird (nämlich den Menschen der Sünde in seiner Verborgenheit)
entlarven wollen.
Das ist wirklich sehr schwer zu
verstehen.
Und ich habe größte Mühe, dies
recht zu begreifen.
Vielleicht ist der „Katechon“ auch einfach die „exousia“, als ein Gewaltmonopol
verstanden, das zwar selbst auch böser Herkunft ist, aber durch „Entzweiung des
Reiches des Bösen“ das Böse noch schwächen konnte. Man kann auf diese Idee
kommen, weil der apokalyptische Endzustand als „Gesetzlosigkeit“ gekennzeichnet
wird, als ein Zustand, der vielleicht dem in der späten Richterzeit ähnelt und
zu einer Art Superrichter führen wird, der alles retten soll. Vielleicht ist es
am Ende wieder ein Hurensohn, der Gesindel um sich schart, den man anfleht,
Herrscher über alle zu werden… Es müssten sich zuvor die Staaten und nationalen
Regierungen auflösen. Und dieser Punkt ist deshalb heikel, weil wir alle
erleben, wie ungerecht und pervers unsere Regierungen sind und stöhnen unter
ihrer satanischen Gewalttätigkeit, Kriegshetze, Ausbeuterei, all diesen
schrecklichen Dingen — von „Mind control“, Massenmorden, ritueller Pädophilie, illegitimen
Kriegen, Unterdrückung der freien Meinungsäußerung, Schikanen und Umweltzerstörung bis hin zur physischen
und psychischen Ausbeutung der Menschen in Form von fingierten Anschlägen,
False flag-Operationen, überhöhten Steuern und Abgaben und medialer Hetze, die
sie wie Säue ständig durchs Dorf jagen. Es ist naheliegend, sich danach zu
sehnen, dass diese Regierungen verschwinden sollen, damit Frieden einkehrt. Nur
— ohne sie wird erst recht kein dauerhafter Frieden sein, wie uns die
Richterzeit ja vor Augen führt. Der Unfrieden und die Perversion an der Spitze
wird getragen von der der „Untertanen“, die mehrheitlich nicht nur jedes
ernsthafte Nachdenken darüber verweigern, sondern auch noch bei jeder Wahl
diese Leute bestätigen. Es sind zwei Seiten einer Medaille. Der Drang zur
Verkommenheit war in der Richterzeit zunächst im Volk repräsentiert und bis
einschließlich Deborah und in einem „Highlight“ noch einmal ganz zum Schluss bei
Samuel nicht bei den Richtern…
Auffallend ist, dass Paulus hier
von jeder „psyche“ spricht, die sich
der „exousia“ unterordnen soll. Jede
„Seele“ soll sich dieser Vollmacht auf Erden unterwerfen. Auf die Unklarheit
der Verwendung des Begriffes „psyche“
bei Paulus wurde immer wieder in der Fachliteratur hingewiesen. Paulus scheint
ihn zu vermeiden, wenn es um ein Leben nach dem Tod geht. Im AT ist „nefesch“ als „Seele“ nicht unabhängig
vom Leib zu denken. Sehr wohl aber geht das hellenistische Judentum von einer
vom Leib trennbaren oder ihm gegenüberstehenden „psyche“ aus. Beide Auffassungen schillern bei Paulus, auch in den
Evangelien und v.a. der Apokalypse.
VIII. Ist die Seele „sterblich“?
Die folgerichtig in diesem
Zusammenhang aufgestellte Behauptung Buzzards und anderer Unitarier, die Seele
sei sterblich, greift dennoch — was den biblischen Befund betrifft — wesentlich
zu kurz und macht es sich im Rückzug auf alttestamentliche Eindrücke womöglich zu
einfach. Vor allem ist die häufige Meinung in der unitarischen Literatur, Seele
und Leib müssten gewissermaßen gemeinsam sterben und „schliefen“ in der „scheol“, und darum sei die Seele auch „sterblich“,
ungereimt: Nimmt man diese Meinung nämlich ernst, sterben nicht Leib und Seele
gemeinsam, sondern sie schlafen in trauter Einigkeit. Was schläft, ist aber
nicht tot im strengen Sinn. Jesu Satz hinsichtlich der verstorbenen Tochter des
Jair „Sie ist nicht gestorben, sie
schläft nur“ (Mk 5,39) macht dies radikal klar: wer hier stirbt auf Erden,
ist nicht tot, sondern in einem Schlafzustand. Diese Aussage Jesu macht uns
darauf aufmerksam, dass das gängige Entschlafen überhaupt nicht bedeutet, dass
hier irgendetwas oder jemand getrennt oder vereint wirklich tot ist.
Offenkundig wird hier von einem anderen Zustand gesprochen, in den Leib und
Seele geraten, wobei der Leib ganz deutlich schwerer betroffen zu sein scheint.
Es gibt jedoch manche Andeutung im NT, die sehr wohl nahelegt, dass die Seelen
die Verbindung mit dem Leib in diesem Zustand zumindest aufgeben können — nicht
müssen, aber können. Etwa finden wir Hinweise darauf in Apk 6,9-11, dass die „Seelen“
(„psychas“) derer, die um Christi
willen „geschlachtet“ worden waren,
unter einem himmlischen Altar liegen, ihre Stimmen erheben und Gott anflehen.
Diese „Seelen“ erhalten anschließend ein weißes Gewand. Dies ist andererseits
ohne einen Leib nicht denkbar. Nun ist der heidnische (auch kirchliche) Altar
stets eine Stätte, unter der die Reliquien von Geschlachteten liegen. Darauf
spielt diese Schauung sicher an. „Seelen“ wären so betrachtet nicht nur
getrennte Seelen ohne Leib, aber immerhin zeigt die Vision, dass diese „Seelen“
agieren können. Sie agieren als solche eindeutig, bevor alle anderen Märtyrer getötet und wieder auferstanden sind,
können also auch selbst noch nicht wieder auferstanden sein.
In Mt 10,28 ist seitens Jesu die
Rede davon, dass es solche gibt, die den Leib töten können, nicht aber die „psyche“. Auch diese Stelle trennt Leib
und Seele und weist der Seele eine größere Stabilität gegenüber dem „Sterben“ oder
auch dem vernichtenden Zugriff durch andere Menschen zu. Der vernichtende
Zugriff auf die Seelen geschieht nicht durch Fleisch und Blut. Auch in Apk 20
werden die „Seelen“ genannt, die nach der ersten Auferstehung zu Richtern
bestellt werden.
Auch die eigentümliche Gestalt des Samuel
gibt uns entsprechende Rätsel auf: König Schaul lässt den Verstorbenen von
einer Magierin in Ein-Dor heraufbeschwören. Er, der alle Zauberer und
Totenbeschwörer hat ausrotten lassen, erhält von Gott in großer Kriegsnot keine
Antwort mehr, weder durch Träume noch durch die „urim“, die Orakel. Verkleidet besucht er diese Frau, die sich erst
windet und den verstorbenen Samuel nicht beschwören will, aber intuitiv
erkennt, wer ihr die Aufgabe stellt. Samuel kommt tatsächlich herauf — es
heißt, die Frau habe „elohim“, „Götter“ (Buber übersetzt: „Götterwesen“, die
Deutsche Volks- und Schulbibel für Israeliten von Altona, 1837, übersetzt
ebenfalls „göttliches Wesen“) aus der Erde heraufsteigen sehen — und sagt
folgendes zu Schaul: „Warum hast du mich
aufgestört und heraufsteigen lassen?“ Die Magierin hatte einen alten Mann,
der in einen Mantel gehüllt war, wahrgenommen. Es entspinnt sich ein
Wortwechsel zwischen Samuel und Schaul, der für Schaul niederschmetternd ist
und sich auch genau so erfüllt, wie der Leser später erfährt.
Wie konnte Samuel aber als im
Todesschlaf Umfangener aus der Erde heraufkommen? Zunächst konnte nur die
Magierin ihn sehen — er dürfte als ein Geistwesen erschienen sein (vgl. 1.
Samuel 28).
Ähnliche Fragen gibt uns die
Taborerzählung auf: Dort sehen Petrus, Jakobus und Johannes ihren Rabbi Jesus
plötzlich in einem verklärten Licht zusammen mit Elia und Mose stehen und
reden. Dabei ist es nicht nur bemerkenswert, dass die drei völlig überraschten
Jünger sofort wissen, um wen es sich handelt, sondern auch, dass die, die doch
noch gar nicht auferstanden sind, plötzlich als eine Art Geistwesen anwesend
sein können und mit Jesus sogar über dessen bevorstehende Hinrichtung reden
können (Lk 9,28bff). Dabei muss bedacht werden, dass Elia nicht gestorben war,
sondern mit einem Feuerwagen in den Himmel aufgefahren war und Mose an einem
Ort begraben ist, den nur Gott kennt. In Jud 9 wird angedeutet, dass der Satan
den Leichnam des Mose besitzen wollte und der Erzengel Michael ihm denselben
verwehrt hatte: Sein Grab sollte kein Kultort werden nach dem Willen Gottes!
Wie aber konnte derselbe Mann vor
der künftigen Auferstehung im Taborlicht gesichtet werden, wenn es keine
überlebende oder verklärte Seele jetzt schon gibt? Und warum bespricht der
Messias sein bevorstehendes Leiden mit Verstorbenen? Man wird mir zugestehen
müssen, dass das alles nicht leicht zu beantworten ist.
Die Theorie von einer „scheol“, in der Seelen und Leiber
aneinander gekettet schlafen, kann so, alleine aufgrund dieser Episoden, nicht
stimmen.
Uns fällt sofort auf, dass wir gar
nicht genau wissen, wovon wir reden…
Fällt es auch den Unitariern auf,
dass das alles vielleicht in einem Bereich liegt, den man nicht mit krudem
Rationalismus lösen kann?
Ebenso ist die Rede davon, dass das
Meer die Toten wieder herausgeben muss (Apk 20,13ff), nicht anders als die „scheol“, ein Hinweis darauf, dass nicht
alle oder jedenfalls nicht alle vollständig in dieser Unterwelt sind,
andernfalls müsste nicht extra erwähnt werden, dass das Meer Verstorbene
festhalten konnte.
In jedem Fall ist die Sache
komplizierter als es manchen den Anschein hat und sollte sorgsam geprüft
werden.
Da Paulus sagt, die „Seelen“ seien
der „exousia“ untergeordnet, kann man
annehmen, dass Paulus damit die animalischen Gestalten der Menschen meint. Es
ist unmöglich, dass er den geistlichen Menschen, den jeder mit der „Anzahlung
des Heiligen Geistes“ erhält oder sogar „anzieht“, den verkommenen Mächten
dieser Welt gemeint haben soll. Wenn diese Seelen auch einem Aufenthalt in der
Unterwelt unterworfen sind oder im Meer, kann man die Unterworfenheit unter die
„exousia“ dieses Systems (s.o. „kosmos“) vielleicht ebenfalls
negativ einordnen und verstehen: es ist nicht gute göttliche, „hierarchische“ Macht,
sondern eine ebenso oder ähnlich destruktive und finstere Macht wie die „scheol“ sie innehat.
Einer positiven Lesart widerspräche
nicht nur das gesamte Alte Testament, sondern auch das Leben Jesu und der
Apostel. Sie alle hätten sich nur brav dieser „exousia“ unterordnen müssen und es wäre ihnen nichts geschehen,
samt den „Seelen“, die im Himmel unter dem Altar sind, die „enthauptet wurden um des Zeugnisses Jesu und Gottes Wort willen“.
Es muss ganz offenkundig dieses „Zeugnis
Jesu“ und das „Wort Gottes“
dieser „exousia“ entgegenstehen, wie
Jesus es sagte und wie die Propheten es sahen, obwohl Gott sie selbst zulässt
und sogar einsetzt.
IX. Die Ironie der „Vollmacht von oben“
Ein geradezu unheimliches Detail
liefert uns die Geschichte in Johannes 19, als Pilatus von den Juden gedrängt
wird, Jesus zu verurteilen, „weil er sich
selbst zu Gottes Sohn gemacht habe“. Pilatus, heißt es, habe begonnen, sich
zu fürchten und Jesus gefragt: „Woher
kommst du?“ Er wollte also hören, ob Jesus etwa sagt: Von Gott. Oder: Von
dem und dem Rabbi. Oder… womöglich mit einem Trupp anrückt, der alles in Schutt
und Asche legt und die römische Präsenz in „Palästina“ beenden könnte. Jesus
aber antwortet ihm nicht auf diese Frage nach der Herkunft, beruhigt ihn aber
hinsichtlich eines befürchteten Aufständlertums. Pilatus sagt daraufhin, ob
Jesus nicht wisse, dass er, Pilatus, die besagte „exousia“ habe, ihn zu töten oder frei zu lassen. Jesus gibt ihm
eine erstaunliche Antwort, die mir bis heute Rätsel aufgibt: „Du hättest keinerlei exousia über mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre; darum
hat der, welcher mich dir überliefert hat, größere Sünde.“ Jesus sagt
einerseits, dass Pilatus aus sich selbst nichts hat und nichts ist, was
irgendwie vollmächtig ist, dass er aber exousia
„von oben“, „anothen“ („von einem
höheren Platz aus“) erhalten habe. Alleine schon dieser Satz ist mehrdeutig.
Gemeinhin wird er angeführt, um die Bevollmächtigung der Politiker mit Macht
„von oben“, also von Gott her, zu rechtfertigen. Das ergibt aber wenig Sinn an
dieser Stelle. Es geht hier schwerlich um eine allgemeine politische Vollmacht,
sondern im besonderen um die „exousia
über mich“, also die Gewalt über den, dem doch alle Gewalt gegeben ist im
Himmel und auf Erden, dem auch schon vor seiner Kreuzigung alles vom Vater
übergeben worden ist (Mt 11,27; Lk 10,22). Wenn also Gott selbst hier — wie er
es auch sonst tut, wenn er Fürsten Vollmacht überlässt — seinen Sohn der „exousia“ des Pilatus zuführen ließ, wird
deutlich, dass diese „exousia“ tatsächlich
nur im „Zorn Gottes“, von dem Hosea
sprach, überhaupt gewährt wurde und gegen den eigentlichen und ursprünglichen
Willen Gottes. Denn dass überhaupt diese „exousia“
verliehen wurde, entspringt der Verwerfung Gottes durch die Menschen (1. Sam
8). Das zeichnet eine „höhere Dialektik“, die kein Mensch auflösen kann in
diesem Leib. Es kommen mehrere Aspekte zu dieser Verwerfung Gottes hinzu, die
mir auffallen:
1. die totale Perversion der
Lebensweisen im Volk und die Abgötterei und schließlich der Verlust der
Bundeslade an die Philister während der gesamten Richterzeit. Die Bundeslade
kommt unter Samuel in tragischen Umständen wieder zurück 2. dass selbst der
letzte und wirklich heilsame Richter in Israel, Samuel, als er alt wurde,
merkwürdigerweise nicht den Herrn
befragte, wer nun ihm nachfolgen sollte, sondern seine beide nichtsnutzigen
Söhne als Nachfolger einsetzte, die korrupt und rechtsbeugerisch waren (V 3),
was er als deren Vater am besten hätte wissen müssen — diese Fehlentscheidung
war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte — wegen dieser beiden
Söhne rief Israel nach einem richtigen und von Gott erwählten König (dieses
Detail wird oft ignoriert, weil es uns zeigen würde, dass selbst die heiligsten
Menschen schwerstes Versagen aufweisen).
3. der Ruf Israels nach einem König
ist jedenfalls ursächlich schuld daran, dass Gott diese „exousia“ zuließ und in seinem Zorn zuteilte… und langfristig zur
Verfolgung seiner Propheten und zur Hinrichtung seines Sohnes führte.
War er, der Sohn Gottes, waren die
Propheten in der Exils- und Königszeit — um in der platten Logik der
Paulusstelle zur „Obrigkeit“ zu argumentieren — etwa „Böse“, der die von Gott
eingesetzte „Obrigkeit“ ja nicht hätten fürchten müssen, wenn sie nur „gut“
gewesen wären?! Jeder sieht sofort ein, wie absurd dies ist. Der aber, der den
Menschensohn ausgeliefert hat an die in Gottes Zorn gestiftete „Obrigkeit“,
trägt die „größere Sünde“. Wer ist derjenige?
Es ist Israel, es ist der „Sohn des Verderbens“ Judas, es sind die
Obrigkeiten der Juden, die es besser hätten wissen müssen, aber selbst in ihrer
Sucht danach, Obrigkeit zu sein und zu haben, den, der alleine Autorität innehat,
nicht ertragen konnten, und es ist der Teil des Volkes, der „Crucifige!“ gerufen hatte. An ihm musste
offenbar werden, dass sie „Satanskinder“
waren, wie Jesus sie nannte (Joh 8,44). Jesus sagt hiermit eindeutig, dass die
beteiligten Juden größere Schuld tragen als Pilatus, der Heide, der die
Kreuzigung mit verantworten muss. Sie stellen ironischerweise als „auserwähltes Volk“, das ja selbst mit
einer gewissen „exousia“ gegenüber
den Heiden versehen wurde, ja selbst diese im „Zorn Gottes“ vergebene Vollmacht
in ihrem ganzen Versagen dar. Die Kirche jedoch und die Christen tragen — was
die weitere Geschichte betrifft — eine noch größere Verantwortung, und es lässt
mich schaudern.
Vielleicht trägt der Spruch des
Paulus auch eine gewisse Ironie in sich (s.u.).
Eines ist wohl deutlich: aus einem
Rebellentum gegen die Obrigkeit kommt nur neue Obrigkeit und neue Gewalt.
Deshalb vergriff sich David auch nicht an Schaul. Schaul ist ebenso verworfen
wie er von Gott gegen seinen ursprünglichen Willen gesalbt worden ist.
Und deshalb vergriff sich Jesus
nicht an der Obrigkeit seiner Zeit. Es ist symbolkräftig, dass Paulus vor
seiner Bekehrung dieses verworfene, gesalbte und entartete Israel
repräsentierte und selbst diesen Namen des von Gott im Zorn Gesalbten und
Verworfenen trug: Schaul. Und es ist noch symbolträchtiger, dass er sich
umbenannte in „Paulus“: den Kleinen, den ganz, ganz Kleinen. Es sind so
schrille Bilder, und ich habe sie lange gar nicht wahrgenommen. Je älter ich
werde, desto mehr wird mir klar, wie anders es bei Gott ist, so geradezu
grundstürzend anders als bei uns.
Das System, der „kosmos“ dieses Äons, kann nicht
vollständig außer Kraft gesetzt werden, bevor Jesus nicht kommt. Wer meint, diesen
„kosmos“ der Verkehrtheit bekämpfen
zu können, überantwortet ihm seine erhaltene „dynamis“, die er von Gott bekommt. Diese „dynamis“ ist aber nicht zu einem solchen Zweck gedacht: Wer mit
diesem System ringt, um es zu beseitigen, schenkt ihm diese „dynamis“ und wird sie auf ewig in die
Finsternis hinein verlieren. Er wird nur in der Logik dieses „kosmos“ bleiben können… und verlieren. Den
Kampf hat der Messias bereits — alleine wirklich vollmächtig und erfolgreich,
weil er sündlos war — ausgefochten und gewonnen. Und all die scheinbaren Siege
Israels im AT gegen die Nachbarvölker wurden immer wieder in ihrer Instabilität
deutlich bis zum heutigen Tag. Das ist ein gewaltiges Zeichen: das verheißene
Land kann gar nicht dieses Stück Küstenstreifen am Mittelmeer sein! Es ist nur
ein schwacher Abglanz für ein anderes, das an einem anderen Ort sein wird, der
ewige Stabilität haben wird. Die Logik Buzzards, nur weil Gott Abraham Israel
verheißen habe, müsse auch das Königreich Gottes, die „malchut“, dort liegen oder von dort ausgehen, ist aus mS
oberflächlich. Wie der Hebräerbrief es darlegt, sind alle diese Abbilder
heiliger Dinge, die das AT entwickelt, Platzhalter für ein Größeres,
Himmlisches.
Worum geht es für uns? Jetzt geht
es darum, der Aufhebung des „Katechon“
beizuwohnen und dabei selbst als Kind des Lichtes — mit knapper Not und im
vollständigen Erbarmen Gottes — offenbar zu werden, das mit der Finsternis nichts
zu schaffen hat und damit vielleicht noch viele hinüberzieht.
Die Rede des Paulus in Röm 13,3 von
den „archontes“, deren Macht die
Guten nicht zu fürchten bräuchten, wirkt auf mich so übertrieben falsch
angesichts der realen Ereignisse, die den Sohn Gottes ans Kreuz brachten, dass
ich in ihnen eine gewisse Ironie und eine verborgene Dialektik erkenne. Paulus
muss bekannt gewesen sein, was zu seiner Zeit „Archonten“ waren. „Archonten“
waren in der Antike höchste Verwaltungsbeamte, aber auch ein mysteriöser
Begriff. 1945 fand man in Nag Hammadi eine gnostische Schrift mit dem Titel „Hypostase der Archonten“, in der die
Schöpfungsakte und auch die Herbeiführung der Sintflut nicht JHWH oder „Elohim“
zugeordnet werden, sondern den „Archonten“,
die als finstere Mächte gezeichnet werden. Im Prolog wird dabei auf Paulus
verwiesen, der gesagt habe, man habe es hier auf Erden nicht mit Fleisch und
Blut, sondern Mächten und Gewalten in der Luft zu tun. Paulus schrieb in Eph 6,
wir hätten nicht mit Blut und Fleisch zu kämpfen, sondern „pros tas archas pros tas exousias pros tous kosmokratoras tou skotous
tou aionos toutou pros ta pneumatika tes ponerias en tois epouraniois“,
sondern „gegen die archas/archonten (Oberhäupter), gegen die Vollmächtigen,
gegen die Systeminhaber/Weltherrscher der Finsternis dieses Äons, gegen die
Geister der Bosheit in den Himmelsgefilden“.
Das heißt: die ganze Welt, der
Himmel und die Erde, sind voll von dieser Bosheit, die aber mit Vollmacht
versehen ist. Diese Bosheit manifestiert sich sogar ausdrücklich in den Großen
und Mächtigen dieser Welt auf politischer Ebene. Diese Stelle wird oft
beschwichtigend übersetzt, etwa so, als seien all diese „Archonten“ irgendwelche bösen Geister — das schreibt aber Paulus
nicht! Er schreibt, es sind die Archonten dieses Weltsystems, an denen sich
Dämonisches manifestiert, das aber nicht aus dem Fleisch kommt, sondern aus dem
Einfluss böser Geister aus den Himmelsgefilden. Die traditionell behauptete
christliche Herkunft des Bösen aus dem „Fleisch“ oder schließlich dem „Leib“ ist
daher eine glatte Lüge: das Fleisch ist nur tief geschwächt, aber nicht
Ausgangspunkt des Bösen. Die Bosheit kommt aus dem Geistigen. Und sie könnte
niemals wirken, wenn sie nicht an den zentralen Stellen der irdischen Macht
regieren würde.
Ob nun gnostische Schriften sich
darauf einen eigenen Reim gemacht haben oder nicht, kann nicht darüber
hinwegtäuschen, dass dies und nur dies die Sicht des Paulus war, die ganz
sicher irdische Gewalt nicht verklärt hat unter diesen Umständen: Auch das
Finstere hat seine Vollmacht ursprünglich von Gott, aber dennoch nicht in
Übereinstimmung mit ihm.
Ich kann das aber nicht wirklich
erkennend in die Tiefe „denken“.
X. Die Frequenz der wahren „malchut“
Ich möchte nun auf Jesus selbst
zurückkommen und das, was er zu dem tatsächlich auch bei ihm zentralen Thema
der „malchut“ gesagt und vorgelebt
hat.
Im Hebräischen wird unter der „malchut“ eigentlich sehr treffend das
„Himmelreich“ verstanden, also ein über- bzw un-irdisches Reich, das mit
sämtlichen „Reichs“-Kategorien dieses Äons nichts, aber auch gar nichts zu tun
hat.
Wie in Israel gab es auch in der
Kirche neben der Perversion ein tiefes Wissen um dieses „Reich“, das „nicht von
dieser Welt“ ist (Joh 18, 36). Diese Wendung heißt auf Griechisch: „ek tou kosmou“. Der „Kosmos“ ist jedoch
auf Griechisch hier nicht die „Welt“ oder das „Weltall“, sondern die staatliche
Ordnung! Die „Kosmoi“ waren die
(gewählten) politischen Führer. Wenn die „basileia“,
also das Königtum Jesu nicht „ek tou
kosmou“ ist, dann meint das etwas ganz Spezifisches: Sein „Reich“, seine „basileia“, ist keine „Herrschaft“, wie
man das in diesem Äon kennt — und zwar ausschließlich kennt! — , sondern sein
Königtum ist eben keine Herrschaft, sie ist nicht eine staatliche Ordnung! Und zwar
substanziell nicht — sie hat damit überhaupt gar nichts zu tun.
Staatliche Ordnung ist doch nach
Paulus ausschließlich wegen der Bosheit notwendig. Wie ich schon erwähnte, ist
die Herkunft des Wortes „basileia“
unklar. Eine „basileia“ ist im
Ursprung kein „kosmos“, keine
„staatliche Ordnung“. Was ist sie aber dann?
Erst spät erhielt sie die Bedeutung
einer „Herrschaft“. Bei Platon bedeutet „basileia“
den Königspalast in der untergegangenen Stadt Atlantis (in „Kritias“). Ein „basileus“ wird erst im Hellenismus ein
„Monarch“ oder Alleinherrscher. Bei Homer ist er einfach ein bedeutender Mensch
oder ein Großer, der eben gerade kein Monarch
iS des Alleinherrschers ist. Ein wahrer „basileus“
ist einer, der sich in jeder Lebenslage als einer von innerer Größe erweist.
Eigentlich müsste jedem Menschen,
der die Evangelien liest, ganz klar vor Augen stehen, dass dieser Jesus
wirklich überhaupt keine Verbindung zu staatlicher Ordnung oder hellenistischem
Monarchismus hat. Er bekennt vor Pilatus in Joh 18,37 mehrfach, dass er ein „basileus“ ist, ein Großer, ein
Königlicher, aber ein solcher, der dafür geboren wurde, eben nicht zu herrschen, sondern um zu
dienen, indem er für die Wahrheit zeugt. Diese Selbstbeschreibung qualifiziert
den „kosmos“ dieses Äons als „Lüge“
oder „Falschheit“ („Verkehrtheit“: es ist alles pervertiert). Er sagt, er sei „eis ton kosmon“ geboren worden, „in diese staatliche Ordnung hinein“, also
in die Lüge, um dort „martyrheso te
aletheia“, damit “ich für die
Wahrheit zeugen werde“, und die „ek
thes aletheias“ sind, „aus der
Wahrheit heraus“, werden seine „phone“,
seine Stimme, seinen „sound“ hören. Auch hier wird wieder deutlich, dass die
Verkehrtheit nicht an den einzelnen hängt, sondern das Welt-System darstellt,
zu dem sich die einzelnen verhalten müssen und können. Die Wahrheit, bezeugt in
der Verkehrtheit, offenbart die Verkehrtheit als solche unmissverständlich. Der
„katechon“, also der der noch
aufhält, dass diese Verkehrtheit als solche unverschleiert erkannt wird, ist in
einer gewissen Hinsicht womöglich eine Art Scheinwahrheit in der Lüge, eine Art
Pseudoweisheit, ein Kompromiss mit der Falschheit, dieses visionäre Reich, von
dem Daniel spricht, das aus Erz und Ton besteht, aus zwei Stoffen, die nicht
zusammenhalten können auf die Dauer (Dan 2,41ff). Kommt die volle Wahrheit,
entblößt sie die Verkehrtheit kompromisslos und alle Reiche dieses Äons werden
zerschmissen: „Zur Zeit jener Könige wird
Gott ein Reich errichten, das in Ewigkeit nicht untergeht; dieses Reich wird er
keinem anderen Volk überlassen. Es wird alle jene Reiche zermalmen und
endgültig vernichten; es selbst aber wird in Ewigkeit bestehen. Du hast ja
gesehen, dass ohne Zutun von Menschenhand ein Stein vom Berg losbrach und
Eisen, Bronze und Ton, Silber und Gold zermalmte.“ (Dan 2,44ff)
In den vielen Stimmen, die uns
beschallen, können die, die „aus der Wahrheit“, für die er zeugt, heraus die
Dinge sehen lernen, seinen „Klang“ erkennen. Es geht also bei seinem Königtum,
von dem an zahlreichen Stellen der Evangelien ausgesagt wird, dass es „nahe herbei gekommen“ sei, nicht um
irgendeine Herrschaft oder Macht, um irgendein herrscherliches Getue oder
Großspurigkeit oder Gewalt oder eine politische „Alternative“, sondern um eine
bestimmte „Stimme“, eine „phone“, eine Klangfarbe, eine bestimmte Musiksprache
oder Sprachmusik, die auf einer Frequenz schwingt, die man hören lernen muss.
Er kam in die Ordnungen dieser Welt hinein, um in ihrer Falschheit für die
rechte Frequenz zu zeugen. Und ähnlich wie in der Erzählung von Jericho, als
Posaunenschall Mauern zusammenstürzen ließ, ist es möglich, dass „seine“
Frequenz, wenn er kommt, irgendwann die Mauern dieser Herrschaften einfach
einstürzen lässt. Die Jericho-Geschichte ist hochsymbolisch und
hochrealistisch… Aber es ist wichtig, dass die Menschen Zeit haben, seine
Frequenz zu hören.
Er aber — wir wissen es — ging an
diesen irdischen Ordnungen und „kosmoi“
zugrunde. Sie brachten ihn um, um diese Stimme und diese Frequenz zum Schweigen
zu bringen. Niemals also kann er eines Tages im Frequenzbereich dieses „kosmos“ seine „basileia“ aufrichten. Denn was hat das Licht mit der Finsternis zu
schaffen?
Das Leben Jesu zeigt uns, so
betrachtet, dass auf dieser Erde diese „malchut“
nicht sichtbar aufgerichtet werden wird und auch nicht werden kann.
XI. Schwerter zu Pflugscharen?
Die meisten Menschen, auch speziell
Christen, die ich kenne, hören das nicht gerne, weil sie darin Fatalismus
erkennen und „Quietismus“, Obrigkeitshörigkeit und Verantwortungslosigkeit.
Viele denken, Christsein bedeute ebenso wie ein „aufgeklärtes Denken“ oder
politische Verantwortung des einzelnen, dass man sich der finsteren Macht
dieser Welt entgegen wirft oder wenigstens darauf hofft, dass diese Finsternis
eines Tages nach einer „Apokalypse“ in ein goldenes Zeitalter übergehen werde,
wo alle ihre „Schwerter zu Pflugscharen“
machen. Die Formel von den „Schwertern“, die zu „Pflugscharen“ umgeschmiedet
werden, kommt im AT öfter vor (Jes 2,4; Micha 4,3), allerdings auch umgekehrt
(Joel 4,10)… nämlich so, dass Pflugscharen zu Schwertern umgeschmiedet werden
sollen. Das „Ende der Tage“ (sowohl
bei Jesaja als auch Micha so benannt) führt alle Nationen ins Heilige Land. Zum
Frieden wird es bei Jesaja und Micha erst kommen, wenn Menschen auf den Spruch
des Herrn hören werden. Es gibt solche, die strömen nach Jerusalem, weil sie
sich nach Wahrheit und Recht sehnen.
Dort will der Herr „versammeln, was hinkt, und zusammenführen,
was versprengt ist, und alle, denen ich Böses zugefügt habe. Ich mache die
Hinkenden zum (heiligen) Rest und die Schwachen zu einem mächtigen Volk. Und
der Herr wird ihr König sein auf dem Berg Zion, du erhältst wieder die
Herrschaft („memschalah“ = “Regierung“) wie früher, das Königtum („mamlachah“ =
„Königswürde“) kommt wieder zur Tochter Jerusalem.“ (Micha 4,6ff)
Interessant ist hier, dass Martin
Buber diese beiden Begriffe „memschalah“
und „mamlachah“ mit „Königschaft“ (!)
und „Königsbereich“ übersetzt. Er vermeidet konsequent die gängige deutsche
Fehlübersetzung von der „Herrschaft“!
Solche Stellen besagen allerdings
nicht, dass die „Herrschaft“ Israels auf Erden anbrechen wird. Wer so etwas
glaubt, ist ein Phantast, der nicht richtig gelesen hat: „Du erhältst wieder die Herrschaft wie früher“ habe ich eben
zitiert — nur: wann hatte denn… ja wer überhaupt? Israel, die Schwachen? Zion?
(alleine schon das ist sehr nebulös!) — je die „Herrschaft“? Wenn man sich die
Geschichtsbücher ansieht, dann hatte Israel noch nie „die“ Herrschaft!
Und wie wir gleich sehen werden,
erfüllt sich die Ankunft des Messias — nach dem Glauben der Christen — ohne
eine begleitende Wiederherstellung Israels, obwohl sie ausdrücklich prophetisch
vor seiner Ankunft vorhergesagt ist. Aber zunächst noch ein Hinweis auf die
Umkehrung der Prophetie:
Bei Joel scheint es um ein
Herbeirufen zum Endgericht zu gehen. Es gibt nämlich auch solche, die nach
Jerusalem strömen, weil sie Gott den Krieg erklärt haben und ihren finsteren
Kampf bis zum Ende führen wollen unter enormen Verlusten von Menschenleben. Das
„Umschmieden“ von Landwirtschaftsgeräten zu Kriegsgerät kennzeichnet dabei den
selbst gewählten Weg des Todes, des Bösen und der Selbstvernichtung: „Kommt, tretet die Kelter; denn sie ist
voll, die Tröge fließen über. Denn ihre Bosheit ist groß.“ (Joel 4,13). Der
Aufruf an alle Völker, dem Herrn unter die Augen zu treten mit ihrer Bosheit,
ist sarkastisch zu verstehen: „9 Ruft
den Völkern zu: Ruft einen Krieg aus! Lasst eure Kämpfer aufbrechen! Alle
Krieger sollen anrücken und heraufziehen. 10 Schmiedet Schwerter aus euren
Pflugscharen und Lanzen aus euren Winzermessern! Der Schwache soll sagen: Ich
bin ein Kämpfer.“
Das „Umschmieden“ des Kriegsgerät
zu Landwirtschaftsgeräten bedeutet umgekehrt bei Jesaja und Micha Heilung und
Selbstschutz, Segen und Zukunft. Der „Schwache“
ist bei ihnen der Gerechte, der in der Finsternis dieser Welt viel leidet, bei
Joel dagegen der Finstere, der sich stark wähnt, aber doch schwach ist vor
Gott.
Man muss also sehr genau lesen und
vor allem die visionäre literarische Form dieser Sätze beachten, die eine allzu
platte Verstehensweise deshalb verbieten, weil die Vision ihrem Charakter nach
etwas andeutet, das sich nicht oder noch nicht genau ausdrücken lässt. Etwas an
ihr bleibt immer vage oder mehrdeutig. Bei Joel wird mit der vorherigen
Ausgießung des Heiligen Geistes ein apokalyptischer Kampf im Tal Joschafat und
ein anschließendes Gericht und der Weltuntergang vorhergesehen („Himmel und Erde erbeben“, V15). Himmel
und Erde werden nicht bleiben, was sie sind. Wenn in V 17 gesagt wird, Gott
werde auf dem berg Zion wohnen, dann ist damit nicht gesagt worden, dass es ein
Berg nach den Maßen dieses Äons ist — das wäre ein voreiliger Schluss. Auch der
Satz „Juda bleibt für immer bewohnt“
(V 20) bedeutet in der Vision nicht zwingend, dass in all der Vernichtung von Himmel
und Erde dieser kleine Landstreifen bleibt: wie traurig wäre es, in einer Öde
zu leben, in der ein kleines Fleckchen lebendig bleibt: sollte das der „neue Himmel und die neue Erde“ sein?
Ich denke, man muss das so verstehen, dass die Kinder Saras das alles überleben
werden, so wie Noachs Arche ein kleiner Flecken der Überlebenden sein konnte
bei einem echten Weltuntergang.
Hinweise auf eine angemessene und
geistliche Lesart alttestamentlicher Prophetie bietet uns die Pfingstpredigt
des Petrus. Er bezieht das Geschehen, die Ausgießung des Heiligen Geistes am
Schawuotfest zu Jerusalem auf das, was Joel prophezeit hat. Er zitiert nahezu
wörtlich in Apg 2,17ff das ganze Kapitel Joel 3 — ich stelle beide
Textversionen einander gegenüber:
„In den letzten Tagen
wird es geschehen, so spricht Gott: Ich werde von meinem Geist ausgießen über
alles Fleisch. Eure Söhne und eure Töchter werden prophetisch reden, eure
jungen Männer werden Visionen haben und eure Alten werden Träume haben.
18 Auch über
meine Knechte und Mägde werde ich von meinem Geist ausgießen in jenen Tagen und
sie werden prophetisch reden.
19 Ich werde
Wunder erscheinen lassen droben am Himmel und Zeichen unten auf der Erde:/ Blut
und Feuer und qualmenden Rauch.
20 Die Sonne wird
sich in Finsternis verwandeln und der Mond in Blut, ehe der Tag des Herrn
kommt, der große und herrliche Tag.
21 Und es wird
geschehen: Jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden.“
Beim Propheten Joel heißt es:
1 Danach aber
wird Folgendes geschehen: Ich werde meinen Geist ausgießen über alles Fleisch.
Eure Söhne und Töchter werden Propheten sein, eure Alten werden Träume haben
und eure jungen Männer haben Visionen.
2 Auch über
Knechte und Mägde werde ich meinen Geist ausgießen in jenen Tagen.
3 Ich werde
wunderbare Zeichen wirken am Himmel und auf der Erde: Blut und Feuer und
Rauchsäulen.
4 Die Sonne wird
sich in Finsternis verwandeln und der Mond in Blut, ehe der Tag des HERRN
kommt, der große und schreckliche Tag.
5 Und es wird
geschehen: Jeder, der den Namen des HERRN anruft, wird gerettet. Denn auf dem
Berg Zion und in Jerusalem gibt es Rettung, wie der HERR gesagt hat, und wen
der HERR ruft, der wird entrinnen.
Die Abweichungen sind gering und
ändern, wo man sie findet, am Sinn nichts. Nun ist dabei zweierlei von
Interesse und gibt Aufschluss darüber, wie wir die alttestamentliche Prophetie
recht verstehen können:
Das „Danach“, mit dem Joel seine
Vision beginnt, sollte beachtet werden: vor dieser Schauung, dass Söhne und
Töchter, Knechte und Mägde (!) weissagen werden und der Geist Gottes
ausgegossen wird über alle, die es wollen, wird ausführlich eine
Wiederherstellung des Rechtes und des „Reiches“ Israel beschrieben. Und gleich
nach der Ausgießung des Geistes wird diese Zusammenkunft aller Nationen im Tal
Joschafat zum Gericht geschehen.
Es ist sehr leicht zu erkennen,
dass die Prophetie des Joel also Dinge auf engsten Raum zusammenzieht, die
unmöglich so geschehen sein können oder noch geschehen werden. Weder hat Gott
Israel vor der Ausgießung des Heiligen Geistes — vorausgesetzt, Petrus deutet
die Vision richtig — eine Befriedung zuteil werden lassen, noch wurden danach
die Völker buchstäblich nach Jerusalem zu einem realen Krieg geführt, der
Israel unbehelligt und stabilisiert zurücklassen würde. Es ist das Gegenteil
vorausgegangen und nachgefolgt! Israel
wurde in der realen Geschichte davor von den Römern unterworfen und geistig
total verdorben und danach vernichtet. Die Apostelgeschichte wurde nach
derzeitigem Forschungsstand genau zu jener Zeit abgefasst, zu der der Tempel
zerstört wurde und die Juden aus ihrem Land vertrieben wurden (um 70 n. Chr.).
Vorausgesetzt, die im 4. Jh
kanonisierte Apostelgeschichte ist nicht manipuliert oder „korrigiert“ worden
(denn wir haben ja keine Autografen und keine frühen Abschriften!), ist
erkennbar, dass weder Petrus noch Lukas ein einfaches oder vulgäres,
„irdisches“ Verständnis von diesem „Reich“ gehabt haben können. Petrus erkennt
im Geschehen die Ausgießung des Heiligen Geistes, aber das, was die Schrift
eine „Wiederherstellung des Reiches“
nannte, ist definitiv und historisch-faktisch eine Vernichtung dessen, was man
gemeinhin unter diesem „Reich“ versteht und verstand.
Real ist die Begabung mit dem Geist
Gottes, irreal dagegen jegliche Vorstellung von einer irdischen „Herrschaft“
Gottes in diesem Äon.
XII. Theodizee
Es gibt kaum eine quälendere Frage
vieler Menschen, warum Gott nicht in
eben diesem gewalttätig-patriarchalischen Sinne herrscht (!), sondern all das
Böse zulässt, warum er ohnmächtig erscheint wie eine Frau oder womöglich sogar
all dieser Bosheit sogar zustimmt. Schon in alter Zeit kamen daher Philosophen
auf die Idee, dass es zwei Gottgestalten gebe — den „bösen“ Demiurgen, den
Schöpfer, Gesetzeserfinder und ungerechten Richter, der uns unter seinen
Fehlkonstruktionen leiden lässt und daneben einen guten, liebenden,
erbarmungswilligen Gott, der der Vater Jesu sei und den Demiurgen weder kennt
noch als ihm ähnlich erkennt. So oder so ähnlich dachten zB Markion (2. Jh),
aber auch weite Teile gnostischer und spätantiker Strömungen. Diese
Vorstellungen werden bis heute in esoterischen Religionen und Sekten gepflegt.
Sie leiden an ihrem Maskulinismus und verkennen darum das Wesen Gottes. Dennoch
ist die Frage, die sie stellen, ja nicht unberechtigt — nur falsch beantwortet.
In der Logik sehr vieler Menschen
ist diese Frage, warum Gott all das Böse zulässt und das Gute sogar dafür
opfert, warum er nicht „männlich“ und „mit Gewalt“ eingreift, ein ernsthafter
Grund, nicht an ihn zu glauben. Ich denke, jeder einigermaßen nachdenkliche
Mensch, der schon mit vielen anderen gesprochen hat, wird mir das bestätigen,
aber auch dies, dass jeder Versuch, diese Frage zu beantworten, für solche
Fragenden zynisch ist und bleibt.
Aber immer scheint in der Frage auf,
dass der Mensch seine eigene Freiheit weder kennt noch ernst nimmt. Als frei
Geschaffenem kann ihm Gott nicht, wenn er wirklich Gott ist, einfach autoritär
einen guten „kosmos“ („politische
Weltordnung“) schaffen. Andererseits kann der Mensch in seiner erworbenen
Schwäche sie auch nicht schaffen. Ich habe inzwischen die Erkenntnis, dass Gott
uns sanft hinführen will und deshalb auch so lange verzieht. Er angelt uns aus
dem Chaoswasser, er, der der wahre Menschenfischer ist, und setzt uns in
frisches Wasser.
In der Schnittstelle, die nur einen
Hauch, ein Nadelöhr an Entrinnen ermöglicht hat, erscheint der Messias — nur er
konnte das Dilemma lösen, ohne alles zu gefährden. Nur in der Bereitschaft, ihm
in seiner Ohnmacht zu folgen, wird man in die „malchut“ hinübergerettet werden können.
Die Frage nach der Rechtfertigung
Gottes ist im Grunde infantil, offenbart den blinden, narzisstischen und doch
selbsthassenden Charakter dessen, der sie stellt, aber wer von uns könnte von
sich sagen, dass er nicht diese Infantilität vor Gott schon ausgesprochen
hätte? Ich nicht — ich habe so oft schon diese Frage gestellt, aber ich habe
auch den Eindruck, dass Gott sie mir nach und nach beantwortet.
Die Visionen eines „wiederhergestellten“ Israel müssen vor
dem Hintergrund der realen Geschichte Israels verstanden werden: Israel war
noch nie „hergestellt“, sondern ein
Konstrukt maximaler Instabilität, das aber gewissermaßen lebendiger Träger
einer Verheißung sein sollte, die noch nicht erfüllt ist und über Israel
hinausgeht — weit hinaus! Dieses Volk ergab sich immer der Abgötterei, von
wenigen Zwischenjahren abgesehen, in denen man kurz damit innehielt. Es war
immer von innen und außen her geistig angefochten und physisch verwundet durch
Nachbarvölker. Es war immer in sich gespalten, auch unter David, der nur mit
Mühe regieren konnte und auch von innen, zB von seinem Sohn Abschalom,
angegriffen wurde. Mit Salomo zerbrach das Reich in zwei Teile und blieb
seither zerbrochen bis zum heutigen Tag. Niemand weiß, wo genau eigentlich die
10 Stämme abgeblieben sind und wer ihre Nachfahren sind, und auch die
Bundeslade ging schon in der Zeit des AT verloren und wurde bis heute —
zumindest offiziell — nicht wiedergefunden. Es ist eine Zeit der inneren und
äußeren Fäulnis, in der aber dennoch Gott stritt und immer wieder Menschen
berief — einzelne.
Was also soll da „wiederhergestellt“ werden? Das alte
Chaos, das diese Geschichte real zeichnet?
Wer es nicht glauben will, sollte
einmal das Alte Testament lesen. Er oder sie wird sofort verstehen, was ich
meine. Da gibt es nichts „wiederherzustellen“,
was so etwas wie eine „malchut“ gewesen
wäre.
Die eigentliche „malchut“ muss überhaupt erstmalig
hergestellt werden, aber sie wird angesichts des Erlösers für alle Welt kaum
auf Israel beschränkt bleiben können. Jesus hat das zunächst auch nicht
gesehen. Bekannt sind die Stellen, an denen er sagt, er sei nur für das Haus
Israel gekommen, dann aber doch auf das ausdrückliche Bitten von Heiden,
interessanterweise zuerst vertreten wieder durch eine Frau („syrophönizische
Frau“) offenbar von oben oder innen angewiesen wird, sich ihnen doch zuzuwenden
(vgl. Mt 15,21ff). Hier bricht bereits erkennbar die Abkapselung der
Heilsträgerschaft Israels auf. Diese wesentliche Erkenntnis manifestiert sich dann
ausdrücklich und nicht mehr aufzuhalten zuerst in der Mission des Philippus, in
der er im Geist zu dem Reisewagen eines Äthiopiers geführt wird, um seinem
Verlangen, eine geheimnisvolle Jesaja-Schriftstelle über das Lamm Gottes zu
verstehen, entgegenzukommen. Der Äthiopier, ein hoher Beamter der Königin
Äthiopiens, ist der erste heidnische Mann, der getauft wird. Der zweite folgt
nach einer Vision des Petrus, in der Gott ihm klarmacht, dass alle Heiden mit
angesprochen sind für diese „Wiederherstellung“. Petrus tauft daraufhin den
Kornelius und sein ganzes Haus. Die parallele Manifestation dieser Erkenntnis
vollzieht sich in Paulus, der später „Völkerapostel“ genannt wurde. Wenn also
überhaupt von einer im Wortsinn verstandenen „Wiederherstellung“ geredet werden
kann, kann sie nicht das noch nie hergestellte Israel meinen, sondern wahrscheinlich
die einst hergestellte, gute Menschheit und Schöpfung im Garten Eden.
Die Wort Jesu vom „Reich“, das „nicht von diesem kosmos“ ist, macht eindeutig klar, dass es in
diesem „kosmos“ dieses Reich nicht
als Manifestation in dessen begrifflichen Kategorien geben kann, auch nicht in Israel. Jesus antwortet dementsprechend den Pharisäern
auf die Frage, wann das „Reich Gottes“
komme, mit folgender Antwort:
„Das
Reich Gottes kommt nicht so, dass man es an äußeren Zeichen erkennen könnte.
Man kann auch nicht sehen: Seht, hier ist es!, oder: Dort ist es! Denn: Das
Reich Gottes ist mitten unter euch.“
In Mt 12,28 sagt Jesus ihnen, das „Reich Gottes“ sei gekommen, weil er
durch den Geist Gottes die Dämonen austreibe. Das ist nun sehr interessant:
Diese Austreibung der Dämonen, ohne
einen Pakt mit dem Teufel einzugehen (das werfen ihm die Juden nämlich vor,
dass er den Teufel durch Beelzebub austreibe!), ist die beginnende „malchut“. Es ist gewissermaßen eine
„Rückeroberung“ eines verloren gegangenen Eigentums, eine echte „reconquista“. In
den Gleichnissen vom „Himmelreich“
wird daher sehr häufig dieses „Reich“
wie ein Fundstück, wie ein verborgener Schatz beschrieben. In den Worten Jesu
schimmert aber auch das auf, was ich bereits zuvor ausgeführt hatte: die „exousia“ des Staates und der Gewaltigen
ist von Gott zugelassen oder sogar „verliehen“, aber wir wissen aus dem Buch
Job, dass Gott dem Satan tatsächlich Vollmacht über Menschen gegeben hat, sogar
über den, der am meisten gerecht war. Wenn man die Worte Jesu einmal vor diesem
Hintergrund versteht, bekommen sie einen ganz neuen Sinn:
„Jedes
Reich, das in sich gespalten ist, geht zugrunde, und keine Stadt und keine
Familie, die in sich gespalten ist, wird Bestand haben. Wenn also der Satan den
Satan austreibt, dann liegt der Satan mit sich selbst im Streit. Wie kann sein
Reich dann Bestand haben?“ (Mt 12, 25bff)
Diese Worte beschreiben doch sehr
trefflich meine Deutung dieser „exousia“ der „Archonten“ in Röm 13: Gott bevollmächtigt Böse, um das Böse
einzudämmen, damit das Reich des Bösen gespalten und geschwächt bleibt. Die
Zeit der „Gesetzlosigkeit“ aber ist eine Zeit, in der die „exousia“ das Böse immer weniger bekämpft und stattdessen das Gute
verfolgt. Eine Aussicht darauf, dass die Welt ohne „exousia“ sich selbst befriedet, besteht allerdings in diesem
Äon auch nicht wirklich, wie das Richterbuch zeigt, obwohl eine
herrschaftsfreie Welt das wäre, was Gott eigentlich wollte.
Der Kulminationspunkt dieser
ironischen „exousia“ wird am Ende
erreicht, wo es heißt, es sei dem „Tier“
erlaubt, gegen die Heiligen zu kämpfen und sie zu besiegen (Apk 13,7).
Es ist aber diese herrschaftsfreie
Welt, die auch im Garten Eden vorlag, dann die kommende „malchut“, und deswegen sagt Jesus unermüdlich und an vielen
Stellen, dass das, was in der Kategorie einer irdischen „exousia“ gilt, in dieser noch verborgenen „malchut“ auf gar keinen Fall gelten soll. Es ist die Tragödie der
Kirche, dass sie das so sehr veruntreut hat und wird vielleicht in der
Ankündigung der großen „apostasia“
ausgesprochen.
Es ist einigermaßen eigentümlich,
wenn nun Unitarier diese Tatsachen in den Schatten rücken, um erneut ein politisches,
irdisch gedachtes „Königreich“ zu propagieren, das sie sich — entgegen dem
Schriftwort — nicht auf einer wirklich ganz und gar neuen Erde und einem neuen
Himmel vorstellen, sondern in dieser Welt. So, wie sie das „Gott ist einer“ zu
einem irdischen Rechenexempel machen (im Grunde nicht anders motiviert als die
Trinitarier), unterwerfen sie die kommende „malchut“
ihrem Vorstellungsvermögen, das sich der Ungreifbarkeit des Visionären
verweigert und es — wahrscheinlich unbewusst — in materialistische Kategorien
auflösen will.
Es hat seinen tiefen Grund, dass
die Unitarier der Vergangenheit, wie Sir Isaac Newton, entweder eine Affinität
zum Okkultismus und zur Kabbala hatten oder zum Rationalismus und Materialismus
oder sogar gleich beidem zusammen. Es waren stolze Männer. Sie alle weichen dem
Zeugnis der Schrift aus, dass die „Weisheit dieser Welt“ nicht dasselbe ist wie
die göttliche „Chochma“ (griech.
„sophia“, lat. „sapientia“). Der mentale Unterschied zwischen Trinitariern und
Unitariern ist daher aus mS nur marginal, denn sie fußen auf denselben falschen,
vernünftelnden und im letzten Ende materialistischen Verständnisweisen von dem,
was die Schrift „Geist Gottes“ nennt.
Wir sollen zwar nicht vernunftlos denken oder handeln, aber dennoch ist Gottes
Geist und was er plant „höher als alle
unsere Vernunft“.
Es ist symbolhaft, dass genau die
Kirche in Konstantinopel, die Trinitarier der „Heiligen Weisheit“ widmeten (man muss sich allerdings die blutigen
Umstände ansehen, die zu ihrem Bau führten!), die „Hagia Sofia“, von islamischen Unitariern erobert und umgewidmet
wurde: so fand zusammen, was geistig zusammengehört. Der Hochmut des Menschen,
der Weltweisheit nicht zu trennen wusste von der Weisheit Gottes, die in diesem
Äon als Torheit gilt, ist ein und dieselbe Wurzel verwirrender Lehren und
Lehrmeinungen.
Ich möchte deshalb als
Christenmensch an einem festhalten: dieser Jesus ist das „vollkommene Abbild des Vaters“.
Der Vater aber ist in einem
unzugänglichen Licht, und wehe dem, der meint darüber fachsimpeln zu können,
wie er „gebaut“ ist.
An diesem gewaltlosen und sündlosen
Jesus wurde offenbar, wer dieser Gott ist, und ich werde mein Leben lang dazu
brauchen, aus der Verhaftetheit in die Denkweisen dieser Welt und dieses
geschwächten Leibes herausgelöst zu werden. Und weil Gott wirklich die Liebe
ist, tut er das sorgsam, behutsam und so, dass ich es überleben kann. Er allein
ist gut. Ich hoffe, selbst nicht abzudriften. Wir sind zur Freiheit geboren und
doch arme Irrende.