Montag, 6. Januar 2020

Trinitätslehre auf dem Prüfstand — Brief XV. an Unitarier und Trinitarier III.: Die Rekonstruktion des verlorenen Bezugs zu Gott durch Bildersprache im Alten Testament

Trinitätslehre auf dem Prüfstand — Brief XV. an Unitarier und Trinitarier: Sind die Begriffe „Gott“ und „Vater“ als Titel (und nicht ontologisch) zu verstehen?

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III.

Die Rekonstruktion des verlorenen Bezugs zu Gott durch Bildersprache im Alten Testament

Die Rede von Gott im AT weist zahlreiche Unschärfen auf: Ist er alleiniger und einziger Gott der Gattung nach, oder ist er — wie es eben auch immer wieder sowohl im AT als auch im NT heißt — der „Allerhöchste“ und damit Gott inmitten von bzw über Göttern, also Entitäten, die seiner Gattung zugehören? Wer sind die mehrfach benannten „elohim“ (Götter) und speziell die in Ps 82,1, die Gott umgeben? Wer sind die „b’nei elohim“ (Göttersöhne/Gottessöhne) zB in Gen 6,2 oder Job 1,6, die an anderen Stellen auch „b’nei elim“ genannt werden[1], und offenkundig nicht den Gott, aber auch keine Menschen meinen? Ihre Deutung als „Engel“ geschieht erst in den spätesten Texten des AT und im Frühjudentum. Sprachgeschichtlich ist ihre Herkunft nach Keilschriftfunden aus Ugarit eindeutig von dem orientalischen Götterkönig „El“ abgeleitet, der ein Pantheon von „Gottessöhnen“ hat. Man könnte diese biblischen Anklänge an heidnische Vorstellungen nun einfach überspringen und als Zwischenstadium abtun. Dem steht aber entgegen, dass wegen der Vermischung von solchen Göttersöhnen mit Menschentöchtern in Gen 6 überhaupt erst der Anlass für die Sintflut gegeben war. Hier muss etwas Ernsteres und Realeres vorliegen. Es ist auffällig, dass bei der Kanonisierung der westlichen Bibel fast alles eliminiert wurde, was darauf noch einmal Bezug nimmt. Das Buch Henoch, das in der äthiopischen Christenheit als kanonisch gilt[2], führt eine Tradition der Bezugnahme auf diese auch in unserem Kanon wichtige und eindeutig überlieferte Katastrophe fort. Sie werden im NT an zwei Stellen ebenfalls erwähnt, sind aber ohne die außerbiblische Überlieferung, aus der sogar einmal im Judasbrief fast wörtlich zitiert wird, nicht verständlich (Jud 14; 2. Petr 2,4). Zur Zeit Jesu war diese Tradition noch weit bekannt und wurde erst nach der Tempelzerstörung von rabbinischer Seite unterdrückt.[3] Der Kommentator „Holger Jahndel“, der auch als „Jason Klingor“ hier auf dem Blog postet, weist immer wieder auf diese Zusammenhänge hin.
Was fangen wir damit an?

Unitarier argumentieren damit, dass selbst Menschen als „Gott“ („elohim“) bezeichnet werden im AT, wenn auch eher selten, und Jesus darum auch „elohim“ sein kann, ohne deshalb mit dem Gott auf einer „Stufe“ zu stehen. Der Begriff „elohim“ für den einen Gott wird genauso gut auch für die Götter der Heiden in der Mehrzahl verwendet. Warum die unitarische Position dann aber immer wieder behauptet, wenn Jesus „Gott“ wäre, müssten folglich zwei Götter vorliegen, und das gehe ja nicht, weil ja Gott „einer“ ist, dann liegt hier — ich sagte es schon in Teil I — ein schwerwiegender Argumentationsfehler und Widerspruch vor:
Die Argumentationsebene des bloßen Gattungsnamens, der aufgrund des biblischen Sprachgebrauchs eben doch ganz eindeutig vorliegt und für eine „biblische“ Argumentation folglich nicht einfach umgangen werden kann, wird hier verlassen und unvermittelt auf die Ebene der Frage, ob es überhaupt der Gattung nach noch andere „Götter“ geben könne, verlegt, von der man einfach annimmt, die eindeutige „biblische“ Position sei radikal monotheistisch.
Wenn es jedoch im Schrifttext so ist, dass der Begriff „elohim“ ein weites Bedeutungsfeld hat, ist es doch gar nicht anstößig, wenn auch andere Entitäten „Gott“ genannt werden! Man müsste konsequent sagen: ja und — dann gibt es eben zwei Götter, wobei der Vater der „Allerhöchste“ ist. Dieser „Lösung“ stehen aber tatsächlich einige Tatsachen entgegen, die sich schon entwickelt hatten.
Durch die Ausreifung des Judentums hin zu einem strengen Monotheismus war diese Deutungsmöglichkeit, die in der älteren Tradition des AT noch möglich gewesen wäre, hier nicht mehr möglich.
Die frühe Christenheit zerriss sich an der Frage, ob Jesus dann — wie im Arianismus — ein Gott, „wesensähnlich“ mit dem Gott sei und darum subordiniert, oder eben, weil nur ein Gott vorhanden sein kann, bloßer Mensch ohne göttliches Wesen oder eben wesensgleich und identisch mit der einen Gottheit, was sich, wie wir wissen, — allerdings nicht mit redlichen Mitteln — , durchgesetzt hat und zu zahlreichen logischen Brüchen und Absurditäten geführt hat. Gerbers Kritik, dass die Vertuschung dieser Denkprobleme mit der Behauptung, die Binitarität sei eben ein „Geheimnis“, unredlich ist, ist berechtigt. Nicht berechtigt ist jedoch die Auffassung, es liege in der Relation zwischen dem Gott und dem Sohn Gottes überhaupt kein Geheimnis vor — wo soll sonst je ein Geheimnis vermutet worden sein, wenn nicht hier! Es ist natürlich unredlich, eine verwinkelte Formel zusammenzubasteln und deren innere Brüchigkeit dann mit einem angeblich göttlichen Geheimnis zu kaschieren. Die bezeugte Erscheinung Jesu Christi im Fleisch ist aber etwas anderes — kein Mensch hätte so etwas machen oder erfinden können, eben weil es nicht denkbar ist.

Die gesamte christologische Diskussion des ausgehenden Altertums und der Spätantike ist eine Folge des in Israel erreichten radikalen Monotheismus, in den ein Christus nach der Zeichnung der NT-Texte und auch mancher frühchristlicher Schrift argumentativ und logisch nicht mehr eingefügt werden kann. Ein transzendenter Messias, dessen politische Manifestation schon „mitten unter“ uns, aber „nicht von diesem Weltsystem“ war, konnte im Stand der Entwicklung Israels nicht mehr vorgestellt werden.
Wie immer man es anfängt, ob unitarisch, arianisch oder binitarisch (dass der Hl. Geist in jedem Fall wesenhaft und unteilbar göttlich ist, stand wohl nie zur ernsthaften Debatte): Man stößt auf eine begriffliche Grenze.
Egal, wo wir stehen — wir müssen zugeben, dass wir die Erscheinung Jesu Christi tatsächlich als Geheimnis anerkennen müssen, das sich nicht einfach in ein Gotteskonzept auflösen lässt. Für jede der drei Denkmöglichkeiten finden sich im NT Argumente. Können aber alle drei gleichermaßen gelten?
Logisch gesehen nicht.
Aber vielleicht liegt der Fehler — was meine These wäre — im Stufendenken. Innerhalb eines hierarchischen Konzeptes muss eine Erkenntnis Jesu und des Vaters zwingend verfehlt werden, egal von wo aus man ansetzt.

Erschwerend kommt hinzu, dass die jüdische Apokalyptik und Hekhalotliteratur, die bereits in den als kanonisch geltenden späten Büchern des AT (Daniel, Ezechiel) beginnt, in den außerkanonischen Schriften offenbar babylonische Elemente übernommen und eine Vermischung der Traditionen erzeugt hat, eine heidnisch-jüdische Synthese hergestellt hat, die kaum mehr auseinander zu dividieren ist und vielleicht darum im rabbinischen Schrifttum verworfen wurde, weil man Angst hatte, zurückzufallen in Heidnisches, einem Weg, dem die weströmische Kirche dann hinsichtlich der Kanonisierung folgte, hinsichtlich des Trinitarismus aber wiederum eher entgegenstand, für den sich einige Impulse aus eben dieser außerkanonischen jüdischen Literatur finden.[4] Diese Traditionen sind dann aber „untergetaucht“ und in der Kabbala und mindestens einigen (esoterischen) Logen, teilweise offen auch in manchen protestantischen Traditionen v.a. im Pietismus, verdeckt und in arkanischer Disziplin womöglich auch in der römischen Hierarchie bzw bestimmten Orden (bekannt ist der Vorwurf an die Templer) weitergeführt worden.
Kurz gesagt: es liegt ein echtes geistiges Chaos vor, das kein Mensch mehr lösen kann.

Trinitarier argumentieren damit, dass sich im Pluralwort „elohim“, das auch im AT, wenn es um die Götter der Heiden geht, als Pluralwort benutzt wird, andeute, dass Gott mehrfaltig sei. Das könnte theoretisch der Fall sein, aber theoretisch wäre auch anderes denkbar:
Man könnte auch so argumentieren, dass die Pluralisierung des ugaritischen und auch sonst im vorderen Orient bezeugten Vater-Gottes „El“, dessen Gemahlin die bekannte „Aschera“ war, und der mit dem Gott Kronos identifiziert wurde, die Überlegenheit des hebräischen „El“ anzeigen sollte.[5] „Elohim“ wäre, wenn man so argumentiert, in der linguistischen Steigerung durch den Plural der Bedeutung nach verwandt mit dem „El eljon“ bzw. „hypsistos“, dem „Allerhöchsten (El)“, häufige Bezeichnung für den Gott im AT und im NT.[6] Man würde aber zugleich auch besser verstehen, warum die Israeliten immer wieder den JHWH-Kult mit dem des „El“ oder der „Baale“ (was ebenfalls dem Wortstamm nach von „El“ kommt) vermischt haben: es erschien ihnen als zusammengehörend.
Wir kennen das auch aus unserer Zeit: Viele denken, „Gott“ meine doch immer „eigentlich“ dasselbe und sind daher offen für einen Synkretismus. Allerdings gibt es auch in der Schrift immer wieder Annäherungen an eine solche Position neben scharfer Ablehnung, zB in der Areopagrede des Paulus.
Auch hier sind „Gottes-Designer“-Antworten verwehrt.

Auf dieser argumentativen Ebene kommen wir also nicht weiter: jeder pickt sich das heraus, was ihm gefällt und vernachlässigt das, was ihm nicht gefällt. Und es gibt, wie gesagt, gute Argumente für alle Seiten. Die Schrift ist darin nun einmal nicht wirklich eindeutig und das Prinzip, dass sie sich selbst am besten auslege, stößt hier an scharfe und schmerzhafte Grenzen. Denn andererseits kann nicht alles, auch das, was sich offenbar widerspricht, gleichermaßen „wahr“ sein.

Die Imaginationen von einem Hofstaat Gottes, zB im Buch Job oder allgemein als „JHWH z’waot“ (JHWH der Heerscharen) oder in den Visionen einiger Propheten führt uns etwas anderes als strengen Monotheismus vor Augen. In den Visionen und Erzählungen wird Bezug genommen auf antike Höfe, und es ist eine spannende Frage, ob sie sie einfach nur für sich in Anspruch nehmen und mit dem „wahren Gott füllen“ oder ob sie nicht sogar eine Kritik an ihnen beinhalten. Die Zeichnung Gottes als eines Königs inmitten eines geradezu gigantischen Hofstaates teilweise unvorstellbar hochgestellter himmlischer Wesen, deren Gestaltung mit Tiergesichtern eigentümlicherweise an Göttervorstellungen vor allem Ägyptens erinnern, kann jedenfalls nicht einfach ohne genaueres Verständnis, wovon hier die Rede ist, interpretiert werden. Wir stehen vor Rätseln über Rätseln.

Visionen sind, psychologisch gesprochen, geprägt von einer Inkonsistenz, oft sogar Absurdität der Bilder, der Struktur von Träumen ähnlich, in keinem Fall fassbar oder auflösbar. Die Verarmung, die in unserem Äon grundsätzlich jeder Abbildung gegenüber dem Urbild innewohnt, schlägt zu Buche. Die Vision ist deshalb fließend oder absurd, weil Bilder niemals eine ganze Wirklichkeit abbilden können. Das Bilderverbot des Dekalogs hat hier seinen wohl tiefsten Grund: was immer wir abbilden wollen, auch sprachlich, bedeutet grundsätzlich eine Reduktion oder Verarmung der Wirklichkeit.
Wir ertragen ja tatsächlich die wirkliche Wirklichkeit schon in unserem Lebensraum, dieser Erde, und wahrgenommen mit unseren Sinnen, nicht und können sie nicht fassen. Schon die banale Situation, wenn wir in einer weiten Landschaft stehen oder mitten im Getümmel einer Einkaufsstraße, belehrt uns darüber, dass wir nicht in der Lage sind, „das Ganze“ zu sehen. Wir nehmen selektiv wahr, versuchen in der Selektion die wesentlichen Aspekte einer Situation „holzschnittartig“, der großen Kontur nach, festzuhalten, um den Rest eventuell in der Erinnerung rekonstruieren zu können. Daher kommen auch abweichende Zeugenaussagen und die Unmöglichkeit absolut übereinstimmender Zeugnisse. Wir wären hoffnungslos überfordert, wollten wir „alles“, in das wir gestellt sind, wahrnehmen. Lernvorgänge gelingen beim Menschen sogar ausschließlich durch didaktische Reduktion. Das ist kein Problem, solange man weiß, dass man eine Reduktion vornimmt, um Zugang zum Ganzen zu finden.
Alles Reden von Gott nimmt ebenfalls eine didaktische Reduktion vor.
Aber es ist verheerend, dass wir die Neigung haben, die Reduktion zu verabsolutieren und mit der unermesslichen Größe des Urbildes nicht mehr zu rechnen.

Die Bedeutungsfelder von Gott als „König“ und „Chef“ würden zunächst auf den ersten Blick hin tatsächlich eine Auffassung stärken, die zumindest einmal den Begriff „Gott“ („elohim“) als Titel verstehen lassen: Ein Gott ist in der Reduktion der Metaphorik immer ein Vorgesetzter und setzt eine hierarchisch gedachte Welt voraus. Insoweit könnte ich Gerber rechtgeben, müsste aber redlicherweise zugeben, dass damit die Frage nach dem Sein Gottes, seines Hofstaates, seiner Geschöpfe und seiner Unermesslichkeit, an der der Mensch geheimnisvoll Anteil hat, nicht geklärt wurde und letztendlich immer noch im Raum steht. Geschweige denn die Gestalt des Christus ein wenig „gelüftet“ worden wäre in ihrem Mysterium …

An eine Einordnung des Namens JHWH wage ich mich erst gar nicht — sie ist so schillernd im AT, dass es unmöglich ist, überhaupt bestimmen zu wollen, in welcher Relation dieser Gott zu Israel bzw der Menschheit steht. Er „wird“ wirklich „sein, der er sein wird“, bleibt in dieser Selbstbezeichnung am brennenden Dornbusch ungreifbar.
Seine Rede an Mose kann man — irdisch gesinnt — als „Befehl“ oder „Anweisung“ verstehen. Insofern wirkt er wie ein Vorgesetzter, aber trifft das das beschriebene Ereignis? Der Grund, auf dem Mose nun steht, ist heilig, heißt es. Er soll deswegen die Schuhe ausziehen. Warum eigentlich? In jedem Fall erfährt er durch die Barfüßigkeit direkte Berührung mit dem Heiligen. Er wird hineingenommen ins Heilige. Im Heiligtum erhält man aber keine „Direktiven“ und „Anweisungen“ mehr. In einem gewissen Sinn wird man vielmehr tatsächlich „eingeweiht“ in das Heilige und kann von da aus verstehen, was zu tun ist. Außerhalb dieses Heiligtums wäre man niemals darauf gekommen.

Das Grundstürzende, Umwerfende, Außerordentliche und absolut Neue an der Dornbuschszene ist, dass hier ein Gott auftritt, der das Stöhnen der Sklaven gehört hat und sie befreien will. Uns mag das heute banal erscheinen, aber in der antiken Welt war die Sklaverei normal und gehörte in die göttliche Weltordnung, die selbstverständlich hierarchisch und rangmäßig war. Vom Himmel bis hinab in die Unterwelt wird eine Rangordnung vorgestellt, in der die Titelgötter, selbst auch wieder hierarchisch gegeneinander abgestuft, die Fortsetzung dieser Struktur in der Natur initiieren. Hier ist es allerdings wichtig zu bemerken, dass dies nicht nur als bloße Titelgattung gedacht war, sondern ontologisch. Je weiter oben auf der Stufenleiter, desto „größer“ oder „gewichtiger“ bzw umfassender auch das Sein. Ein Verständnis des Göttlichen im Sinne einer reinen Verwaltungsstruktur mit Titelämtern, die zusätzlich zur ontologischen Verfasstheit des Trägers kommen, lag mit ganzer Gewissheit nicht vor. Wenn Gerber so argumentiert, tut er das als durch und durch postmoderner Mensch.

Dass nun also ein Gott auftritt und diese angeblich göttliche Rangordnung für die, die an der untersten Stelle stehen, nicht nur lindern (etwa durch mildere Arbeit oder ähnliches), sondern total aufheben will, ist ein echter „Hammer“.
Genau dieses Motiv liegt meiner großen Skepsis gegenüber jeder Hierarchievergötzung zugrunde, eben weil dieser Gott sich als „Gott der Sklaven“, als „Gott der Fronarbeiter“ offenbart. Der Begriff „hapiru“ oder „’abiru“ bedeutet nach zahlreichen keilschriftlichen und hieroglyphischen Schriftfunden aus dem 2. Jahrtausend v. Chr. „Outlaw“, „Paria“ und liegt mit sehr großer Wahrscheinlichkeit dem Begriff „Hebräer“ zugrunde, der im AT im wesentlichen auch nur im Umfeld der Exodusgeschichte bzw einer Sicht auf die Israeliten als Auszubeutenden und „Underdogs“ vorkommt.[7] In Ex 5,3 sagen Mose und Aaron ausdrücklich, der „elohei ha’iwrim“ sei ihnen „begegnet“. Es ist dies ihre Reaktion auf die Aussage des Pharaos, er kenne keinen JHWH, wer denn das sei? Dieser JHWH, so antworten die beiden Brüder, ist der „Gott der Fronarbeiter“.
Niemals zuvor wurde je so etwas gehört!

Es gibt das Motiv des Rates und Beistandes, den ein Schmachtender erhält, und jener Rat kann von jedem, theoretisch auch von einem Diener kommen. Ratgeber sind Wohlwollende, Liebende, Freunde — egal welchen Rang sie einnehmen. Sie geben nicht Rat, weil sie einen Titel als Ratgeber hätten, sondern weil hier und jetzt ein Rat notwendig ist und sie ihn geben können. Die Liebe, das Wohlwollen ebnet jeden Rang ein: So erfährt der kranke syrische Regierungsbeamte Na’eman von seiner hebräischen Dienerin, was er tun und wohin er gehen soll, um geheilt zu werden.
Nicht immer also beweist das „Anweisunggeben“ ein Hierarchiegefälle oder einen Titel. Der „Gott der Fronarbeiter“ erteilt dem, der sie herausführen soll aus dem Sklavenhaus, nicht Anweisungen, sondern nimmt ihn hinein ins Heilige — auch das ist unerhört.

Mit dem Rückzug auf ein Verständnis Gottes als „Titel“ kommt man angesichts dieser biblischen Szenarien letztendlich argumentativ nicht besonders weit und verrennt sich eher in etwas sehr Enges und Kleines, das auch die alte, nie überwundene Versuchung zur Herrschsucht enthält, die man auf den Gott projiziert.

In der Erzählung von Mose am brennenden Dornbusch geht der Gott der Väter (Abrahams, Isaaks, Jakobs) auf die Nachkommen dieser Väter am untersten Ende der hierarchischen Stufenleiter zu und will sich mit ihnen zusammenschließen.
Wie sollte man sich ernsthaft darüber verwundern, dass der Pharao darauf mit äußerster Ablehnung reagiert: Wie in Ex 5 weiter berichtet wird, denkt er, die Fronarbeiter hätten offenbar nicht genug zu schaffen, um auf solche absurden Ideen zu kommen, es gebe einen „Gott der Fronarbeiter“. Aus der Sicht des ägyptischen Königs eine Blasphemie im Rahmen der hierarchischen göttlichen Weltordnung. Er lädt den „hapiru“ noch mehr Arbeit auf, um sie wieder daran zu erinnern, wer sie sind: Sklaven und dies gottgewollt. Und: dass er ihr Gott ist, denn der Pharao ist Abbild und Repräsentant des obersten Gottes und handelt an seiner Stelle in seinem Herrschaftsgebiet.[8]
Mit dem Auftreten eines „Gottes der Fronarbeiter“ wird alles über den Haufen geworfen: die Vorstellung einer Repräsentation Gottes durch Könige ebenso wie der Anspruch eines ranghöheren Gottes gegenüber einem Pariagott, der von Mose und Aaron auch— nota bene — nicht repräsentiert wird, sondern von dem sie sagen, er sei ihnen „begegnet“ und habe diese Wünsche, ein Gott also, der keiner Repräsentanz bedarf, weil er selbst eintritt in die Realität und selbst auftritt.

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[4] Vgl. dazu Peter Schäfer: Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Christentums. Fünf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Judentums (= Tria Corda. Bd. 6). Mohr Siebeck, Tübingen 2010; ders.: Zwei Götter im Himmel: Gottesvorstellungen in der jüdischen Antike . C.H.Beck 2017