Donnerstag, 9. August 2018

Trinitätslehre auf dem Prüfstand - Brief II an Unitarier und Trinitarier



Unitarische Zerklüftungen und Gedanken zu Phil 2, 6—11

Lieber Unitarier, lieber Trinitarier,

Es gibt nichts Neues unter der Sonne!
Die postmoderne Frage nach der Gottheit Jesu ist nichts als neuer Wein in alten Schläuchen, und es ist klug, wenn man nicht nur Bibel liest, sondern auch gelegentlich ein Geschichtsbuch aufschlägt und schlichte Geschichtsforschung betreibt.

2. Dreier-Algorithmen

Es gibt seit einiger Zeit eine Art „Wahrheitsbewegung“ hinsichtlich der Gestalt Jesu und einen tiefen Zweifel an der Trinitätslehre, aber nicht jeder, der eine unitarische Position vertritt, tut dies aus denselben Gründen und Motivationen.

Bei manchen ist der Unitarismus mit Haltungen vermischt, die mich zurückweichen lassen. Wie im vorigen Brief-Aufsatz bereits ausgeführt, gibt uns die Schrift sehr wohl für den Christus eine außerordentliche Position vor, und eine Meinung, die ihn zu einem schnöden Menschen macht „wie wir“, kann aus mS so auch nicht richtig sein, obgleich ich das Trinitätsmodell aufgrund seiner Schriftferne und Angleichung an triadische Gottmodelle v.a. okkulter Mysterienreligionen der Spätantike nur abweisen kann: dieses Modell hat ja heidnische Gussformen, die man aufzeigen kann, etwa das pagane „Corpus hermeticum“ oder hermetische chaldäisch-zoroastrische Trinitätslehren oder die ägyptische Trinität von Isis-Horus-Osiris. Letzteres wurde zur Zeit des Aufstiegs des Christentums im römischen Reich weit verbreitet und fand als „Heilige Familie“ große Bekanntheit. Man kann schwerlich so naiv sein zu glauben, dass die zeitgleiche Entstehung der kirchlichen Trinitätstheologie mit diesem wirklich extrem starken religiös-philosophischen Modell rein gar nichts zu tun haben soll. Die (in sich mystisch verbundene) Dreizahl kommt als mystische Zahl in der Schrift so gut wie gar nicht vor, und wenn sie es tut, tut sie es negativ. Die Nennung von Vater, Sohn und Heiligem Geist im Missionsauftrag Jesu betrachte ich nicht als echte trinitarische Formel.

Ich habe oft tief in mir eine Sperre gegen das Trinitätsmodell empfunden, weil ich dachte, die apokalyptische „Zahl eines Menschen“, die Zahl 666 für den „Antichristen“, könnte damit irgendwie zusammenhängen. Diese drei „wesensgleichen“ und numerisch identischen Zahlen haben mich stark an eine trinitarische Anlage erinnert. Aber ich war unsicher, ob das nicht ein vermessener Gedanke ist. Die Zahl 6 als doppelte 3 stieß mich ab und in mir bohrte die Angst, dass man der göttlichen Trinität so etwas wie irdische Machttriaden in Dreier-Algorithmen beigesellen könnte, nach denen man die komplette Matrix unseres Lebens strukturieren wird. Algorithmisches Denken ist zutiefst Gesetzesdenken, geht auf die Euklidsche Geometrie zurück und seine „elementa“ (Paulus spricht von ihnen in Gal 4) ersonnene Gesetzmäßigkeiten, die man anstelle der erhabeneren, lebendigen, vitalen und dynamischen …und: freien (!) … Ordnungen Gottes setzt, der nicht in Zahlen und Zahlenrelationen, denen seine Geschöpfe unterliegen, gebannt werden kann und darf: so hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch sind seine Ordnungen über dem angesiedelt, was wir unter diesen angeblich göttlichen „elementa egena“ (Paulus: den „erbärmlichen Gesetzmäßigkeiten“) nach den Traditionen der Menschen verstehen.

Auch stieß mich als Katholikin die neuzeitliche Entwicklung der Verehrung der „Heiligen Familie“ zutiefst ab. Während man in früheren Zeiten Maria verehrte, weil sie die Mutter Christi war und damit auch biblisch begründet selig zu preisen ist (!), zunächst als „Anna-Selbsdritt“-Darstellung (mit ihrer Mutter Anna und Jesus), forcierte man in der katholischen Kirche die Josefsverehrung. Plötzlich verschob man die heilsgeschichtlich eindeutig untergeordnete Rolle des Josef hin zu einer Überspannung: er sei als einziger Mann dieser Welt Repräsentant und Abbild Gottvaters gegenüber dem Jesuskind gewesen. Nun ist die Rolle Josefs im NT aber eindeutig eine untergeordnete und wirklich demütige: er stand völlig im Dienst dessen, was an seiner Frau geschah. Dafür verdient er mE große Beachtung und Dankbarkeit. Aber eine Verehrung der „Heiligen Familie“ berührte mich dennoch ungut. Die besondere und überdimensionale Verehrung der „Heiligen Familie“ kam am Ende des 19. Jh auf unter Leo XIII. In zahlreichen Kirchen entstanden plötzlich „Josefsaltäre“, die anrührende Bilder der Trias von Jesus-Maria-Josef in der heimischen Werkstatt oder Küche zeigten. Es ist mir nicht entgangen, dass diese Darstellungen frappierend den antiken Darstellungen von Isis-Horus-Osiris ähnelten und typologisch sicher auch von ihnen abgeleitet werden können und müssen. Es kam in Mode, Briefe etwa mit der Kurzformel „J-M-J“ zu überschreiben: „Jesus-Maria-Josef“. Mit der Neuzeit prangten wundersamerweise plötzlich in vielen Kirchen, Synagogen und sogar Moscheen Bilder des „allsehenden Auges“, das ursprünglich das „Horus-Auge“ aus paganem Hintergrund war. Leo XIII. führte die Verehrung der Heiligen Familie auf einer vordergründigen Ebene wegen des angeblichen Verlustes des rechten traditionellen Familienbildes durch die Säkularisierung ein. Ich habe allerdings immer Zweifel daran gehabt, dass dies eine echte Begründung für den „Heilige-Familie“-Kult sein konnte, denn ich weiß als Historikerin, wie es um die Familie im Feudalismus bestellt war… das war ganz gewiss nicht eitel Sonnenschein und in ganz anderen Hinsichten zutiefst ungerecht und grausam… aber das ist ein anderes Thema.
Wie gesagt: Ich habe instinktiv eine große Abneigung gegen das alles empfunden und mich dagegen innerlich gewehrt.

Eine Diskussion über die wahre Herkunft des christlichen Trinitätsdenkens fand in der Renaissance und in der frühen Neuzeit bereits ausführlich statt und trat anfangs im Gewande der Reformation auf, wurde von Reformatoren wie Luther und Calvin erbittert bekämpft und aus ihrem Machtbereich vertrieben und sogar verfolgt.
In Ostmitteleuropa aber konnte der Unitarismus im 16. Jh weite Verbreitung finden und eine unitarische siebenbürgische Kirche, v.a. unter der ungarischen Bevölkerung, existiert mW bis heute. Eine weitere Hochburg war Polen mit den „Polnischen Brüdern“.
Der Unitarismus der frühen Neuzeit gehört zur Bewegung der Sozianer.
Aus diesem Unitarismus und Sozianismus folgten logisch aber am Ende die säkulare Aufklärung und die Verwerfung der Schriftinspiration. Man tat sich schwer mit allem, was vielleicht echter prophetischer und mystischer Natur war und neigte einem allzu großen Rationalismus zu.

Der Islam, weil er die Mittlergestalt Jesu leugnet und unbewusst geradezu ein Pool an gnostischen Irrungen ist, ist ebenfalls eine unitarische Religion, die sich aus dem Christentum entwickelt hat. Es wäre einen Aufsatz, ja eine ganze Untersuchung für sich selbst wert, das darzulegen, kann hier also nicht weiter verfolgt werden.
Eine offen unitarische Position vertreten auch die Zeugen Jehovas und verknüpfen damit wiederum alle möglichen Lehren, die mehr als problematisch sind und auf mein Unbehagen und mein Befremden stoßen.

Ich habe den Eindruck, dass die Konfrontation mit dem Islam offener oder geheimer Ausgangspunkt vieler postmoderner, unitarischer Denkanstöße ist. Selbst Papst Franziskus betet in den weltökumenischen Begegnungen mit Muslimen grundsätzlich nur noch den einen Gott an. Er gibt also den demonstrativen Trinitarismus zugunsten einer globalen religiösen Einigung auf.

Ein anderes Beispiel ist Sir Isaac Newton: er war Unitarier mit sogar guten Argumenten, aber andererseits vermischte er diesen Unitarismus mit Okkultismus und Alchemie, denen er sich extrem ausführlich widmete, und die auch der Hintergrund für seine Naturphilosophie waren. Das ist insofern kurios, als sonst gerade Okkultisten und Hermetiker eigentlich viel übrig haben für den Trinitarismus. In einem gewissen Sinn erinnert Newton an die islamische Mischung hellenistischen Gedankenguts mit einem rigorosen Unitarismus.

Ich bin daher skeptisch, wenn etwa Sir Anthony Buzzard alles und jeden zitiert, der irgendwie eine unitarische Position vortrug, um seine eigenen unitarische Position zu stützen. Ich habe das Bedürfnis, mich hier nicht auf Positionen zu stützen, mit denen ich mir noch ganz andere Probleme einhandeln könnte, als sie ohnehin schon vorhanden sind, sondern darauf zu hoffen, dass Gott mir die richtige Erkenntnis schenkt auch über den rechten Zusammenhang, in dem ich Jesus verstehen soll.

Wie ich im letzten Brief schon schrieb, nimmt Jesus eine besondere Stellung ein in der Schrift. Er ist Mittler zwischen dem Vater und der Menschheit. Er wird in der Tat „Gottes Sohn“ und „Menschensohn“ genannt.
Aber alleine schon bei diesem „Hendiadyoin“ (einem rhetorischen und stilistischen Mittel, einen (griech. „hen“) durch („dia“) zwei („dyoin“) Begriffe zu beschreiben, das das hebräische Denken auszeichnet) kann man vielen falschen Impulsen erliegen.
Man kann zB dem Impuls erliegen, diese beiden Begriffe symmetrisch zu verstehen: die Sohnschaft Jesu wäre dann streng analog zu verstehen. Gott hat ihn dann ebenso gezeugt wie Maria dies tat. Gegen diese Vorstellung opponiert besonders der Islam. Nun ist aber tatsächlich in diesem Hendiadyoin eine solche Deutung nicht schon genuin inklusiv. Man ist verpflichtet, sich darüber sehr genaue und abwägende Gedanken zu machen: was ist ein „Menschensohn“, und was ist ein „Gottessohn“ im biblischen Kontext? Man bemerkt sehr schnell, dass Aussagen: „Es ist nicht so, sondern so“ nicht mehr möglich sind. Die Begriffe werden in der Schrift zu weit gefasst verwendet, als dass das so eindeutig wäre, wie manche es behaupten. Und vor allem gibt es zwar viele Menschensöhne bzw -kinder in der Schrift und viele Gottessöhne (hebr „b’ne elohim“), aber es gibt mW keine Kombination von beidem — und das macht es umso schwerer, sich hier nicht zu verrennen. Auch sind die „Gottessöhne“ in der Schrift niemals gezeugte Wesen, sondern geschaffene Engel. Aber in der Tat sind sie nicht Gott. Da aber der Sohn Gottes Jesus als „heute gezeugt“ (wann immer man das ansetzen will) beschrieben wird, ist er nicht dasselbe wie ein Engel, sondern dem Vater näherstehend. Andererseits kam einem Menschen niemals der Status eines Engels zu und umgekehrt. Als sich beide Wesenheiten vermischten auf Initiative gefallener Engel hin (Gen 6) erfolgte ein solcher Verfall, dass Gott die Welt vernichtete (Sintflut).
Man dreht sich im Kreis und merkt schnell, dass hier mit dem Christus ein einmaliges Faktum ohne jedes vollständig angemessene Vorbild vorliegt.

3. Betrachtung zu Phil 2, 6-11

Ich möchte auf eine Schriftstelle eingehen, und an ihr beißt man sich bereits die Zähne aus. Ich zitiere erst aus der Vulgata, weil sie mE klarer übersetzt als jede deutsche Übertragung, danach zitiere ich die Elberfelder:

„6 qui cum in forma Dei esset, non rapinam arbitratus est esse se æqualem Deo :
7 sed semetipsum exinanivit, formam servi accipiens, in similitudinem hominum factus, et habitu inventus ut homo.
8 Humiliavit semetipsum factus obediens usque ad mortem, mortem autem crucis.
9 Propter quod et Deus exaltavit illum, et donavit illi nomen, quod est super omne nomen :
10 ut in nomine Jesu omne genu flectatur cælestium, terrestrium et infernorum,
11 et omnis lingua confiteatur, quia Dominus Jesus Christus in gloria est Dei Patris.

6 der in Gestalt Gottes war und es nicht für einen Raub hielt5, Gott gleich zu sein.
7 Aber er machte sich selbst zu nichts6 und nahm Knechtsgestalt7 an, indem er den Menschen gleich geworden ist8, und der Gestalt nach9 wie ein Mensch befunden,
8 erniedrigte er sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tod, ja, zum Tod am Kreuz.
9 Darum hat Gott ihn auch hoch erhoben und ihm den Namen verliehen10, der über jeden Namen ist,
10 damit in dem Namen Jesu jedes Knie sich beuge, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen,
11 und jede Zunge bekenne, dass Jesus Christus Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.

Wir sehen (ich hab das nicht eliminiert!), dass in der Elberfelder in V 6+7+10 außergewöhnlich viele Anmerkungen sind, weil es offenbar nahezu unmöglich ist, diesen Text verständlich oder überhaupt korrekt zu übersetzen.

Auf jeden Fall klingt dieser Hymnus absolut nicht danach, als handle es sich hier um einen einfachen, normalen Menschen! Auch die häufige Ausflucht, Jesus sei halt ein Prophet oder Gesandter Gottes gewesen, wird einem solchen Text niemals gerecht!

Ich muss spontan auch an die Formulierung des heidnischen Juristen Plinius secundus denken, der an Kaiser Traian schrieb, er habe bei seinen Verhören von ehemaligen Christen erfahren, dass sie in den frühen Morgenstunden „carmen Christo quasi Deo dicere“, „dem Christus gewissermaßen wie einem Gott ein Loblied singen“.
Über diese Formulierung wurde in der Fachliteratur schon viel geforscht, allerdings nicht hinsichtlich der Wendung „quasi Deo“, denn das zeigt auf, dass aus der Sicht des Heiden Plinius oder auch seiner christlichen Informanten dieses Christus in eine unmittelbare Nähe zu einer göttlichen Gestalt gesetzt wurde, aber eben definitiv nicht direkt als der eine Gott gepriesen wurde.

Ich spüre den Sätzen nach:

V6:
— …qui cum in forma Dei esset, non rapinam arbitratus est esse se æqualem Deo : —

„…der in der „Form Gottes“, griechisch der „morphe theou“, war…“

King James Version: „…who, being in the form of God…”

Man muss das nicht zwingend so verstehen, als sei Jesus gewissermaßen eine Art “Heraustritt” Gottes aus seiner Gottheit, eine Art verdoppelnde Spiegelung Gottes. Modern gesprochen so, als habe man ihn als Hologramm an einen anderen Ort projiziert, ähnlich, wie es inzwischen Politiker tun, die an einem Ort eine Wahlkampfrede halten, sich selbst aber holografisch in andere Städten auf einer Bühne zeitgleich vor Publikum auftreten zu lassen? Das ist zugegebenermaßen ein faszinierender Gedanke. Er hat nur den Haken, dass ein Hologramm niemals lebendig und echt, sondern nur ein Idol einer Person sein kann. Jesus ist aber kein Götterbild des Vaters…

Was ist also mit einer „morphe theou“ oder einer „forma Dei“ gemeint? Meint das die „Gestalt Gottes“ in einem ontologischen, seinshaften Sinn? So also, als stehe die „forma Dei“ für das Sein Gottes?
Das kann an sich kaum sein.
Warum nicht?
Eben weil der biblische eine Gott in sich doch schwerlich verspiegelt gedacht werden kann. Die Inder tun dergleichen: sie stellen sich Millionen Götter als Spiegelungen der einen Gottheit Brahma vor, die so ungreifbar und abstrakt, so unsichtbar und unerkennbar ist, dass sie aus Erbarmen dem Menschen in Gestalt vieler Götter entgegenkommt, jedem und jeder so, wie es ihm oder ihr am besten liegt…
Und man kommt nicht umhin, darin einen Anklang an das zu hören, was auch im christlichen Duktus gelegentlich gesagt wird, etwa so: „Schließlich wurde der Gott, der in einem Licht wohnt, zu dem niemand kommen kann, selbst Mensch, um uns  etc. etc.“
Die trinitarische Rede steht daher dem hinduistischen Gedankengang nicht wirklich fern.
Nun ist es aber eindeutige Rede im AT, dass Gott geradezu rigoros „einer“ ist, „eins“ nicht nur für unsere irdische Wahrnehmung in einer Raumzeit, die durch Zahlenrelationen strukturiert ist, sondern auch „eins“ insofern, als wir ihn, wer immer er ist, nicht in Zahlenrelationen strukturieren sollen! Genau das sollen wir nicht tun! Was gezählt oder durch Zahlenrelationen geteilt wird, ist und bleibt unvollkommen und kann nicht Gott sein!

Hat Paulus sich darüber hinweggesetzt?
Das wäre grundsätzlich zwar möglich, aber ich habe nicht den Eindruck, dass er es getan hat.

Man kann diese Rede von der „morphe theou“ auch so verstehen, dass der Christus in der für ihn von Gott vorgesehenen menschlichen Gestalt perfekt und ungetrübt war.
Meine Leser kennen vielleicht den Unterschied zwischen dem „Genitivus objectivus“, dem „Genitivus subjectivus“, dem „Genitivus possessivus“ etc.

„Morphe theou“ kann daher Verschiedenes heißen:

  • „Form Gottes“ (iS von „so sieht Gott aus“)

  • „Form nach dem Willen Gottes“

  • „zu Gott gehörige Form“, sogar iS von „von Gott gemachte Form“ oder von ihm abgeleitete Form

  • „Abbild Gottes“ iS einer abbildenden „forma“ eines Vorbildes oder Urbildes, Gott ist hier als Gussform für ein Geschöpf zu denken

Letztere Interpretation wird durch die folgende Passage nahegelegt:

V6:

„— …non rapinam arbitratus est esse se æqualem Deo…—

„…(er) hat es nicht als Raub angesehen, dass er Gott gleich war…“  Es könnte sogar zugespitzt gesehen werden:

„…(er) hat es nicht als Raub beobachtet/verfolgt, dass er Gott gleich war…“

Etwa in dem Sinn, dass er die Gottgleichheit nicht wie einen Raub an sich gerissen hat.
Das ergäbe Sinn insofern, als Adam und Eva genau dies getan haben: sie waren „imago Dei“, gottgleich (iS von ähnlich) und differenzierten diese Gottähnlichkeit von Gott und wollten sie ablösen, „rauben“ und für sich behalten. Ich denke aber noch viel mehr als an diese beiden „dummen“ Menschen an den, der sie verführte: er wollte Gott die Schönheit Gottes, die er in großer Fülle besessen haben soll, wie man es aufgrund der Propheten meint, rauben und für sich behalten. Gott teilt seine Göttlichkeit mit seinen Geschöpfen nach seinem Maß, und wehe dem Geschöpf, das sich mit dieser Teilhabe einfach davonmachen will und ein Gegenreich gegen den Geber aller Dinge aufbauen will… Weil diese Teilhabe zwar unermesslich groß ist, bei Gott aber immer nur klein, weil er „ewig groß“, überfließende, nie versiegende Fülle ist, täuscht sich das Geschöpf und meint, ein solcher Gegenpol könne geschaffen werden. Dennoch sprechen manche Formulierungen Gottes dafür, dass er in sehr hohem Maße mit seinen Geschöpfen geteilt hat und sie darum auch immer weiter geschwächt werden mussten (Gen 3,22; Gen 6,7; Gen 11,6), um überhaupt noch erlösbar zu bleiben.

Der Christus hat diesen Raub nicht getan! Man kann ihn also als Menschen deuten, mit dem Gott noch einmal von vorne anfängt und der nicht das tut, was Adam tat: Jesus beraubte Gott nicht, indem er seine Gottähnlichkeit als Mensch für sich absondern wollte, sondern beließ sie als „Kanal“ zu Gott bestehen und zerstörte die Innigkeit nicht, die zwischen Gott und Geschöpf sein sollte.

Beachtlich ist für mich der Begriff „isa“ (griech.) bzw „aequalis“ (lat.): Das bedeutet „gleich“, aber nicht identisch. „aequalis“ meint immer ein „Similis“, ein Ähnliches: der Mensch ist als Mann und Frau Gott „similis“, die Frau ist dem Mann „similis“. Im Begriff der Ähnlichkeit liegt keine Rangfolge beschlossen, sondern lediglich ein Strukturelement. Ähnliches kann, muss aber nicht gleichrangig sein. Es ist an sich nicht zur Intention des Begriffes gehörig, und es spricht gegen uns, dass wir sofort damit operieren seit dem Sündenfall: wir halten Ähnliches in Schach aus Neid und Eifersucht und räuberischer Gesinnung.
Christus war also Gott gleich, aber nicht Gott selbst. Er war ihm aequivalent in der von Gott vorgesehenen Weise, durchbrach diese Äquivalenz nicht eigenmächtig und in räuberischer Gesinnung, sondern lebte sie innig.
Ich muss spontan an Abschalom denken, den Sohn Davids, der seinem Vater das Königtum entreißen wollte und einen Putsch gegen ihn versuchte: Abschalom war dem David „similis“ und wollte sein Erbe an sich reißen.
So etwa kann man den Menschen nach dem Fall sehen.
Und genauso war der Christus nicht.

Wenn es in V7 heißt:

„…— sed semetipsum exinanivit, formam servi accipiens, in similitudinem hominum factus, et habitu inventus ut homo… — 

Dann meint das nicht, dass er nun als „Gott“ die „forma“ des ursprünglichen Menschen annahm. Genau das steht da ja nicht!

Da steht:

„… sondern er machte sich leer (oder „dürftig“), nahm die Form eines Sklaven an, er wurde einem Menschen ähnlich gemacht, und er wurde wahrgenommen wie ein Mensch…“

Was heißt das?
Steht da, dass der vormalige Gott nun herabstieg in die generalisiert niedrige Form des Menschen?

Nein, das steht nicht da. Der Mensch war von Gott nicht niedrig gedacht!
Es steht da, dass dieser in Innigkeit mit Gott verbundene Mensch einverstanden damit war, dass er die „forma servi“ annahm, also nach der Gussform des in die Sklaverei der Sünde geratenen Menschen nach dem Fall geschaffen („factus“) wurde. Wie Gott mit diesem Menschen kommunizieren konnte, bevor er ihn in die Gestalt des Sklaven schuf, muss im Dunkeln bleiben. Es ist in jedem Fall nicht völlig abwegig, dass hier doch eine gewisse Präexistenz gedacht werden kann, wenn auch nicht im kirchlichen Sinne. Irgendwie muss hier eine Kommunikation stattgefunden haben, bevor das alles geschah, ebenso wie auch die Mutter Jesu, Maria, bevor das alles geschah, gefragt wurde, ob sie sich in Dienst stellen lässt.
Mit „homo“ wird hier der „Mensch als Sklave der Sünde“ benannt.
Und die anderen Sklaven der Sünde sahen in ihm einfach nur sich selbst, obwohl er eigentlich, in Wahrheit, „in forma Dei“, also in der von Gott vorgesehenen Form eines vollkommenen Menschen als Ebenbild Gottes war.

Den Rest müssen wir nicht mehr genauer untersuchen, weil klar wurde, was er aussagen kann in meiner Verstehensweise.
Und wieder erstaune ich mit Schaudern darüber, dass der große Gott im Himmel ihn, den Christus, überreich für diese Hingabe belohnt und erhebt — als Menschen erhebt über alle Dinge, also eine gewisse göttliche Entäußerung, eine noch größere Teilhabe, als sie schon vorher bestand schenkt, um dieses Menschen willen, der es um unsretwillen, aber nach dem Wunsch des Vaters tat, um die erbärmliche und verzweifelte Lage der Welt und ihrer Menschen zu heilen, wenn auch nur mit knapper Not, denn es war ein „Drahtseilakt“, ein enormes Risiko, um es menschlich zu sagen, und darum versteht man diese Sätze auch nur so schwer.

Ein großer Rest an Nichtverstehen muss übrigbleiben, wenn wir Gott nicht erneut die Ehre rauben wollen.