Montag, 14. September 2015

Die dunkle Verehrung des "Barmherzigen Jesus" der Sr. Faustyna



Die dunkle Verehrung des „Barmherzigen Jesus“ der Sr. Faustyna

Immer schon berührte mich das Bild vom „Barmherzigen Jesus“ nach der Vorlage der Schwester Faustyna Kowalska merkwürdig.
Dieses Bild samt dem dazugehörigen Kult um den „Barmherzigen Jesus“ ist unter Traditionalisten außerordentlich beliebt.
Das Bild in seinen beiden Versionen ebenso wie das Tagebuch der Sr. Faustyna hatten für mein spontanes Empfinden etwas Düsteres und Erstickendes.
Nun ist nicht jedes spontane Empfinden auch ein Wahrheitsweiser. Außerdem traf das Bild doch offenbar den Nerv so vieler frommer Katholiken ganz genau - 
Was war es also, was mich so abstieß? Hatte ich Vorurteile? Eine liebe alte Dame aus meiner Pfarrgemeinde schenkte mir eine Medaille mit dem Bild vom Barmherzigen Jesus und ich trug die Medaille ihr zuliebe einige Zeit. Aber wohl war es mir dabei nicht. Irgendwann hängte ich die Medaille wieder ab…
Lange dachte ich nach über dieses Bild und seine Geschichte und versuchte durch beharrliches Forschen, dem Grund für mein Empfinden auf die Spur zu kommen.
Von diesem Prozess will ich berichten:

Zwei scheinbar verwandte Bilder – eine Betrachtung

Was einem kundigen Katholiken zuerst auffallen kann, ist die merkwürdige Tatsache, dass die Verehrung des „Barmherzigen Jesus“ nach Sr. Faustyna die traditionelle Herz-Jesu-Verehrung einerseits bis in die einzelnen Bildmotive und Textteile der Einsprechungen hinein ebenso evoziert wie überlagert und verdrängt.
Die Verehrung des Heiligsten Herzens Jesu wurde verbreitet durch die Visionen der Ordensfrau Margareta Maria Alacoque im 17. Jh. Die Verehrung des „Barmherzigen Jesus“ geht auf Sr. Faustyna Kowalska in der Mitte des 20. Jh zurück.

Stellen wir einmal eine der typischen Herz-Jesu-Darstellungen und den „Barmherzigen Jesus“ nach der Vorlage der Sr. Faustyna nebeneinander:
Herz Jesu aus der Seitenkapelle  „Heiligstes Herz Jesu“ von Il Gesù in Rom[1]    

Barmherziger Jesus nach Sr. Faustyna von 1934 durch Eugeniusz Kazimirowski in Vilnius[2]
Was fällt hier auf?
Das Zentrum der Bilder ist jeweils das Herz bzw. die Brust Jesu. Beide Gestalten haben einen ähnlichen Gesichtstypus, denselben Haarschnitt und Bart und machen mit der rechten Hand eine typische Geste.

Auf den Bildern vom Heiligsten Herzen Jesu hält Jesus sein brennendes, geopfertes Herz dem Menschen entgegen und fordert eine Herzens-Antwort des Menschen heraus, indem er mit der Rechten sein eigenes, brennendes Herz zeigt. Bei diesem Bild macht die rechte Hand also eine Hinweis- oder Zeigegeste. Sehr oft steht auf dem blutroten Herzen ein Kreuz als Zeichen des stellvertretenden Sühnetodes des Herrn für uns. Nicht selten ist dieses blutrote Herz von einem Dornenkranz umgeben – als Zeichen für das Leiden Christi.
Man kann die Aufforderung verspüren, dass Jesus dem Betrachter sein Herz zum Tausch anbietet oder ihn dringlich auf dessen Opfer und Liebe aufmerksam machen will. Das Heiligste Herz Jesu brennt und strahlt rundum.
In der Herz-Jesu-Litanei wird eine entsprechende Bitte formuliert:

„Gütiger Gott, aus dem geöffneten Herzen Deines Sohnes kommt die Fülle des Erbarmens. Hilf uns, dass wir seine Liebe nicht ohne Antwort lassen.“

Auf dem von der Jesus-Erscheinung gegenüber Faustyna in allen Bildelementen genau vorgeschriebenen Bild vom „Barmherzigen Jesus, zieht Jesus sein Hemd mit der Linken ein wenig auseinander und entlässt einen roten und weißen Strahl, der je nur in eine Richtung zielt: mit einem gewissen schwächeren Radius zu den Seiten hin geradewegs nach unten. Die Rechte macht eine Grußgeste.
So verwandt die beiden Motive auf den ersten Blick wirken, so fremd sind sie einander.
Das geopferte und aus der Brust genommene Heiligste Herz Jesu, das vor Liebe brennt und überfließt, strahlt nicht nur, wie ein funkelnder Edelstein, nach allen Richtungen, sondern es ist als Opfergefäß, als eine Art „Vase“ der göttlichen Liebe dargestellt und fordert die Antwort des ganzen Menschen heraus. Die sich opfernde Liebe des Herrn zerfließt nicht unspezifisch irgendwohin, sondern ist gefasst und hat einen konkreten Ort: nämlich im Herzen des Herrn. Dieser Ort ist der Quell, aus dem alle Gnaden für uns fließen. Es ist aber zu beachten, dass es bildhaft eine gefasste und keine wilde, rein natürliche Quelle ist.
Der Gottmensch, der sich selbst ganz geopfert hat für uns, will auch die Antwort unserer ganzen Persönlichkeit. Er will unser „Herz“, also unsere ganze Seele, sucht in uns Wohnung und wirbt um uns wie ein Liebhaber. Man findet ihn nur von Herz zu Herz! Von der Bildgestik her gesehen stellt er uns damit auf eine Ebene mit sich selbst. Er weist uns darauf hin, dass sein und unser Herz zusammengehören wie die Herzen von Mann und Frau. Diese Gleichstellung seines geliebten Gegenübers durch sein Opfer ist unerhört und etwas Neues, nie Dagewesenes: Gott ist Mensch geworden, um dem Menschen die durch die Sünde verwundete Gottebenbildlichkeit aus reiner Barmherzigkeit und Liebe zurückzuschenken. Jesus schaut auf allen Gestaltungen zum Heiligsten Herzen Jesu den Betrachter intensiv an und appelliert durch die Zeigegestik der rechten Hand um ein weiteres auf dessen persönliche Reaktion. Leo XIII. schrieb:

„Es liegt im heiligsten Herzen ein Sinnbild, ja ein ausdrückliches Bild der unendlichen Liebe Jesu Christi, das durch sich selbst uns zur Gegenliebe bewegt.“[3]

Es geht bei der Verehrung des Heiligsten Herzens Jesu nicht primär um Nächstenliebe oder eine Liebe zu den Menschen in oder auch außerhalb der Kirche, sondern um die ganz individuelle und persönliche Liebe zwischen Christus und dem Gläubigen. Es ist eine persönliche, geistliche, geistige Liebe zwischen Erlöser und jedem Erlöstem.

Wir finden daher in der Kirchengeschichte immer wieder Menschen, die in bildhaften Darstellungen ihr eigenes, in gleicher Weise übernatürlich gefasstes und brennendes Herz Jesus oder auch der Gottesmutter entgegen tragen und überantworten. Und selbst in evangelikalen Kreisen wurde früher gesagt: „Ich habe mein Herz Jesus geschenkt.“

Pius XII. bekräftigte diesbezüglich noch einmal die Worte vieler seiner Vorgänger:

„Im Gegenteil wird eine innige Herz-Jesu-­Andacht die Verehrung des heiligen Kreuzes und die Liebe zum hochheiligen Altarsakrament ohne Zweifel nur stark fördern. Wir können ja behaupten – was Offenbarungen Jesu Christi an die hl. Gertrud und die hl. Margareta Maria wunderbar erläutern –, daß niemand Jesus Christus am Kreuze richtig erfassen könne, dem nicht das geheimnisvolle Innere dieses Herzens sich eröffnet habe. Es wird auch nicht leicht sein, die Kraft der Liebe zu erfassen, mit der Christus selbst sich uns zur geistigen Nahrung gab, wenn nicht in der besonderen Pflege der eucharistischen Herz-Jesu-Verehrung, die nach den Worten Unseres Vorgängers seligen Gedenkens Leos des XIII. erinnern soll „an die Tat der höchsten Liebe, in der unser Erlöser, alle Reichtümer seines Herzens hinopfernd, um bis an das Ende der Zeiten bei uns zu bleiben, das anbetungswürdige Sakrament der Eucharistie einsetzte“.  Denn „nicht der geringste Teil seines Herzens ist die Eucharistie, die er uns aus so großer Liebe seines Herzens geschenkt hat“.“[4]

Dem aufmerksamen Betrachter kann nicht entgehen, dass die Symbolik des „Barmherzigen Jesus“ der Sr. Faustyna eine wesentlich andere Aussage trifft. Zunächst deutet sich in diesem Bild in gar keiner Weise an, dass das Herz Jesu für uns geopfert worden wäre oder gar brenne. An der Stelle des Herzens blicken wir auf einen verschleierten Lichtpunkt. In esoterischer Manier gehen einfach nur zwei verschiedenfarbige Strahlen von dieser verschleierten Öffnung im Kleid aus und weisen auffallend und völlig untypisch für christliche Darstellungen ausschließlich nach unten. Die Gestalt Christi liegt ganz im Finstern.

Nach der ersten Darstellung des Barmherzigen Jesus durch den Kunstmaler Kazimirowski aus dem Jahr 1935, das in Wilna später zur Verehrung ausgestellt wurde, kam aufgrund eines Spendenangebotes im Jahr 1943/44 ein zweites Bild durch den Kunstmaler Adolf Hyla hinzu, das in Krakau ausgestellt wurde. Das erste Bild wurde schwer beschädigt und wieder restauriert. Das zweite Bild setzte sich dagegen vorrangig als „das“ Andachtsbild vom „Barmherzigen Jesus“ durch.
"Barmherziger Jesus" von Adolf Hyla[5]

Auf beiden tradierten Darstellungen des „Barmherzigen Jesus“ schaut Jesus über die Köpfe hinweg, zieht mit der Linken wie beiläufig am Stoff seines Kleides, und seine rechte Hand weist nicht auf die hervortretenden Strahlen oder die Brustmitte, sondern vollzieht eine Grußgeste, wie man sie im Vorübergehen oder zum Abschied macht. Es wird keine Beziehung hergestellt zwischen dem Tun der rechten und linken Hand.
Ein wenig sieht es aus, als sage uns Jesus für immer Adieu und banne uns nun mit dem weißen und roten Strahl unter seine Füße bzw. auf die Erde oder sogar in den Abgrund, denn dorthin weisen die beiden Strahlen. Diese eigenartige Geste überlagerte Faustyna ihrem Tagebuch gemäß später durch folgende Vision:
„Als das Bild ausgestellt worden war, sah ich eine lebendige Bewegung der Hand Jesu; er machte ein großes Kreuzzeichen.“[6]

Während des 2. Weltkrieges wurde das Bild vom Barmherzigen Jesus in zwei polnischen Städten zur Verehrung ausgestellt: in Wilna und in Krakau. Diese Städte blieben im Kriegsverlauf verschont. Die polnischen Bischöfe sahen darin einen Zusammenhang zu dem Andachtsbild.

„Überwältigt von dieser Erfahrung ordneten die Bischöfe an, das Bild in allen Kapellen und Kirchen des Landes anzubringen. Zwar musste diese Anordnung aufgrund eines Konflikts mit der Glaubenskongregation in Rom Anfang der 60er Jahre wieder rückgängig gemacht werden, doch als die entstandenen Missverständnisse 1978 ausgeräumt waren und das Verbot sogar einer römischen Empfehlung wich, trat das Bild seinen Siegeszug über die Grenzen Polens hinaus auf der ganzen Welt an.[7]

In keiner Weise wird der Mensch zu Christus hin gerufen. Ob und in welcher Weise der Betrachter hier angesprochen werden soll, ergibt sich nicht aus dem Bild. Es findet keinerlei persönliche Kontaktaufnahme zwischen dem dargestellten Christus und dem Gläubigen statt. Die fehlende Beziehung zwischen Jesus und Gläubigem wird durch eine pauschale Bestrahlung und den merkwürdig „fremden“ Satz, der unter dem Bild steht, schein-hergestellt. Sr. Faustyna hatte die Aufgabe, unter das Bild den Satz „Jesus, ich vertraue auf dich“ zu schreiben.
Die Deutung Johannes Pauls II. bei der Heiligsprechung Sr. Faustynas fällt dementsprechend vollkommen anders als die Lehre der älteren Päpste:

„Sodann hat er uns die vielfältigen Wege der Barmherzigkeit aufgezeigt, die nicht nur Sünden vergibt, sondern die auch allen Bedürfnissen der Menschen entgegenkommt. Jesus hat sich zu jedem menschlichen Elend hinabgebeugt, sei es materieller oder geistlicher Natur.
Seine Botschaft der Barmherzigkeit erreicht uns weiterhin durch die Geste seiner zum leidenden Menschen hin ausgestreckten Hände. So hat ihn Schwester Faustyna gesehen und ihn den Menschen aller Kontinente verkündet.“
[8]

Merkwürdig berührt der Umstand, dass das Bild des „Barmherzigen Jesus“ keine ausgestreckten Hände zeigt, wie Johannes Paul II behauptet, sondern die oben beschriebene und auf dem Bild überprüfbare Grußgeste.

Analyse einiger Textmotive

Auffallend ist, dass die Textbausteine der Einsprechungen, die sowohl Sr. Faustyna als auch Margarete Maria Alacoque von einer Jesus-Erscheinung vernommen haben, ebenso sehr übereinstimmen, wie sie voneinander entscheidend abweichen.

Am 27. Dezember 1673 hört Margareta Maria Alacoque von Jesus folgende Worte:

"Mein göttliches Herz brennt so von Liebe zu den Menschen und besonders zu dir, dass es die Flammen dieses Feuers nicht mehr in sich verschließen kann. Es muss sich deshalb durch dich ausbreiten, es muss sich offenbaren, um die Menschen mit den kostbaren Schätzen zu bereichern, die Ich dir enthülle. Sie bergen die Gnaden, die ihnen zum Heile dienen und sie vom Abgrund des Verderbens zurückreißen. Dich, die du ein Abgrund der Unwürdigkeit und Unwissenheit bist, habe ich zur Ausführung dieses großen Planes ausersehen, damit Ich allein es sei, der dieses Werk vollbringt.“[9]

Scheinbar ähnlich erklingt es bei Faustyna Kowalska:

„Meine Tochter, sage den Priestern von Meiner unbegreiflichen Barmherzigkeit. Die Strahlen der Barmherzigkeit brennen Mich. Ich will sie auf die Seelen ergießen. Sie Seelen wollen Meiner Güte keinen Glauben schenken.“[10]
„Mit deiner Erniedrigung ziehst du ein ganzes Meer Meiner Barmherzigkeit auf dich und andere Seelen herab.“
[11]
Ich möchte, dass du meine Liebe, in der Mein Herz zu den Seelen entflammt ist, tiefer kennenlernst. Du wirst das verstehen, wenn du mein Leiden betrachtest. Rufe meine Barmherzigkeit für die Sünder an. Mich verlangt es nach ihrer Erlösung. Wenn du für einen Sünder folgendes Gebet mit zerknirschtem Herzen und im Glauben verrichtest, schenke Ich ihm die Gnade der Umkehr. Das Gebet ist: O Blut und Wasser, aus dem Herzen Jesu als Quelle der Barmherzigkeit für uns entströmt – ich vertraue auf Dich.“
[12]

Dass die Flammen der Liebe den Geliebten erreichen wollen, wie in Margaretas Vision ausgesagt, ist unbedenklich. Wieso aber sollten die Strahlen der Liebe den, von dem sie ausgeht, „brennen“? Wenn Christus das Licht IST – wie kann ihn sein eigenes Wesen also „brennen“?

Ein anderer Unterschied zwischen diesen beiden Texten liegt in der Zusage, Sr. Faustyna, als „erniedrigte“ Frau, könne durch eine bestimmte Gebetsformel, die nicht einmal den Charakter einer Bitte hat, ähnlich einem Zauberspruch, Seelen ohne deren Einwilligung zur sicheren Umkehr bewegen.
Es ist etwas anderes, ob Jesus einen Menschen „erniedrigt“, um damit die göttliche Barmherzigkeit herabzuziehen, oder ob er den „Abgrund der Unwürdigkeit“, der eine Tatsache ist, mit seiner Würde füllen will. Man mag das für spitzfindig halten, aber diese Nuance erscheint mir bedeutsam, zumal die Gottesmutter im „Magnificat“ die „Erniedrigung“ der Frau/des Menschen als endgültig überwunden besingt, ja: die Erniedrigten sind von Gott erhöht worden…
Wenn also Faustyna mit ihrer „Erniedrigung“ die Barmherzigkeit „herabzieht“, handelt es sich um eine Abwärtsbewegung ohne ein Aufwärts.
Margareta dagegen wird als unwürdiges Werkzeug durch die Würde, die ihr Christus verleiht, emporgezogen. An ihr erfüllt sich die Aussage Jesu gegenüber Maria Magdalena nach der Auferstehung. Sie wollte ihn, niedergeworfen, an den Füßen umfangen. Ihre Geste ist die der Erniedrigung der Frau bzw. des Menschen vor Gott durch die Sünde. Aber Jesus will von ihr so nicht berührt werden. Er will sie auch selbst so nicht berühren wie in Johannes 20, 17 berichtet wird:

„Dicit ei Jesus : Noli me tangere, nondum enim ascendi ad Patrem meum : vade autem ad fratres meos, et dic eis : Ascendo ad Patrem meum, et Patrem vestrum, Deum meum, et Deum vestrum. »
(Jesus sprach zu ihr: Rühr mich nicht an, denn ich bin noch nicht zu meinem Vater aufgestiegen: Geh aber zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich steige zu meinem Vater auf, und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.)

Es ist eindeutig, dass Jesus der Erniedrigung, dem Auf-dem-Boden-Kriechen der Frau/des Menschen damit eine endgültige Absage erteilt. Er ist nicht Erlöser auf der blanken Erde, in der Natur, sondern er verheißt Übernatur und will von daher Maria Magdalena berühren und von ihr berührt werden. Eine schroffe Absage an den Gestus der Schlange, die Eva verführte, wird hier vollzogen und eröffnet der Frau ihre ureigenste Aufgabe, bis sie endgültig bei ihrem Bräutigam im Himmel ist: „Geh und sage meinen Brüdern (Männern)…“ Eva sagte einst die Botschaft der Schlange. Ab heute sagt die erlöste Frau dem Mann die persönliche und brennende Botschaft Jesu. Auf ungezählten Gemälden hat das Abendland diesen Umstand verewigt, wenn auch nicht unbedingt verstanden. Als Beispiel soll die Darstellung Martin Schongauers dienen. In einer tief berührenden Geste verweist Jesus als „Gärtner“ die erste Frau nach Maria zurück auf ihren ursprünglichen Rang und verheißt das „Empor“. Es ist sicher kein Zufall, dass sich diese Szene - wie einst die Täuschung und Erniedrigung der Frau im Garten Eden – in dem Garten vollzieht, in dem Jesus von den Toten auferstanden ist.

Martin Schongauer "Noli me tangere", ca. 1480-90
Es sollte uns doch wachrütteln, wenn eine Jesus-Erscheinung eine Frau in ihrer Erniedrigung anspricht und in ihrer Erniedrigung Raum nehmen will, ohne ein „Empor“ auch nur anzudeuten.
Es sind bei Margareta und Faustyna wesentlich entgegengesetzte Richtungen der Inbesitznahme durch Christus:
Faustyna soll stellvertretend für „schwarze Seelen“ (s.u.) in der „Erniedrigung“„sühnen“ und ihnen die eigene willentliche Entscheidung für Christus abnehmen.
Sr. Margareta soll dagegen das Gnadenangebot des Heiligsten Herzens Jesu in seinem Reichtum und seiner Tiefe vermitteln, ohne irgendjemandem damit die eigene Entscheidung und die persönliche und willentliche Umkehr abzunehmen. Sie selbst wird darin Christus vollkommen gleichgestaltet.
Faustyna wird Stellvertreterin unbekehrter Sünder – wie die getäuschte Eva. Margareta aber wird Stellvertreter für Christus selbst: Er leiht sich ihre Person und Gestalt durch außerordentliche Gnaden aus, um durch sie auf sein brennendes und um Gegenliebe werbendes Herz hinzuweisen – wie Maria Magdalena.

Die theologische Symbolik ist bei Faustyna ausgesprochen problematisch. Die Lehre der Kirche sagt uns, dass Jesus Christus das wahre Opfer zur Sühne unserer Sünden ist. Er ersehnt unsere Gegenliebe. Ohne diese willentliche und persönlich investierte Gegenliebe können wir nicht gerettet werden. In der Auseinandersetzung mit dem Protestantismus wurde dies mehrfach ausdrücklich festgehalten. So sagt uns beispielsweise der 4. Kanon des Dekrets „Cum hoc tempore“ vom Tridentinum folgendes:

„Wenn jemand sagt, der freie, von Gott bewegte und erweckte Willen des Menschen wirke dem ihn weckenden und berufenden Gott durch Beistimmung nichts mit, wodurch er sich zur Erlangung der Rechtfertigungsgnade bereitsam mache und vorbereite; und er könne nicht, wenn er wolle, entgegen gesinnt sein, sondern sei, wie etwas Lebloses, des gänzlichen untätig, und verhalte sich völlig leidend, der sei im Bann.“[13]

Nun scheint in Faustynas Vision nicht ausdrücklich gesagt zu sein, dass die verheißene Umkehr der Sünder ohne deren Beistimmung geschehe. Aber die Logik der Sätze kann nicht anders aufgefasst werden: Wenn ein formelhaftes Gebet Faustynas einem Sünder die „Gnade der Umkehr“ schenken kann, muss man sich fragen, ob denn diese Gnade nicht ohnehin schon jedem Sünder offensteht? Diese allgemeine Offenheit für alle Sünder kann hier nicht gemeint sein – wozu sonst diese Vision? Es kann nur gemeint dass, dass Faustyna stellvertretend für die fehlende Beistimmung eines Sünders, denselben retten könne. Nur diese Aussicht gibt der Vision überhaupt eine Berechtigung. Und so wird sie gemeinhin auch von vielen einfachen Gläubigen verstanden. Mir ist aufgefallen, dass sich zunehmend die Meinung Bahn bricht, man könne andere „sicher“ vor der Hölle retten durch entsprechende Sühneleistungen. Auch in anderen „Erscheinungen“ wird das vermittelt.
Das galt aber immer als eine Irrlehre.

Bei Margareta Alacoque soll die Herz-Jesu-Andacht dem einzelnen dazu verhelfen, seinen Heilsweg zu finden. In den 12 Verheißungen für die Verehrer des Heiligsten Herzens wird folgendes in Aussicht gestellt:

„Alle werden mittels dieser liebenswürdigen Andacht alle für ihren Stand notwendige Hilfe finden. (…) Sie werden in diesem Herzen ihre Zuflucht im Leben, besonders aber in der Stunde des Todes finden.“[14]

Es ist hier also die Rede von der notwendigen, persönlichen Ergreifung des Einzelnen. Dem Sünder wird ein geeignetes Instrument der Frömmigkeit angeboten, mit dem er leicht und sicher seine Rettung miterwirken kann. Aber jeder muss dieses Mittel selbst und eigenständig ergreifen. Niemand kann es stellvertretend und über seinen Kopf hinweg für ihn tun.
Es lohnt sich, die ausführlichere theologische Erklärung Pius XII. zum tiefen Sinn der Herz-Jesu-Verehrung zu lesen:

„Daher wird mit vollem Recht das Herz des menschgewordenen Wortes hauptsächlich als Zeichen und Sinnbild jener dreifachen Liebe betrachtet, mit der der göttliche Erlöser den ewigen Vater und die Menschen alle immerfort liebt. Sinnbild ist es jener göttlichen Liebe, die er mit dem Vater und dem Heiligen Geist gemeinsam hat, die aber doch nur in ihm, als in dem fleischgewordenen Wort, uns durch einen hinfälligen und gebrechlichen Menschenleib geoffenbart wird, denn „in ihm wohnt alle Fülle der Gottheit in leiblicher Einwohnung.“ Sinnbild ist es außerdem jener brennenden Liebe, die, in seine Seele eingegossen, den menschlichen Willen Christi bereichert, und deren Akte von einem doppelten ganz vollkommenen Wissen, dem der seligen Schau und dem eingegebenen oder eingegossenen, erleuchtet und geleitet werden. Endlich – und zwar in mehr natürlicher und unmittelbarer Art – ist es auch Sinnbild der sinnenfälligen Regung, da der Leib Jesu Christi, im Schoße der Jungfrau Maria durch das Wirken des Heiligen Geistes gebildet, die vollkommenste Fähigkeit des Empfindens und Wahrnehmens besitzt, mehr sogar als jeder andere Menschenleib. 
Die Heiligen Schriften und die zuständigen Urkunden des katholischen Glaubens lehren uns also, daß in der hochheiligen Seele Jesu Christi die höchste Übereinstimmung und Eintracht herrscht und daß er seine dreifache Liebe offensichtlich auf das Ziel unserer Erlösung hingelenkt hat. Damit ist gegeben, daß wir mit vollem Recht das Herz des göttlichen Erlösers als bezeichnendes Bild seiner Liebe und als Zeugen unserer Erlösung betrachten und verehren können, wie auch als geheimnisvolle Himmelsleiter, auf der wir aufsteigen zur Umarmung „Gottes, unseres Erlösers. Seine Worte und Handlungen, seine Weisungen und Wundertaten, und besonders jene seiner Werke, die eindringlicher seine Liebe zu uns bezeugen – wie die göttliche Einsetzung der Eucharistie, sein bitteres Leiden und Sterben, seine uns gütig geschenkte heiligste Mutter, die für uns gegründete Kirche und endlich der den Aposteln und uns gesandte Heilige Geist – alles dies, sagen Wir, sollen wir bewundern als Beweise seiner dreifachen Liebe. Ebenso sollen wir mit liebender Seele die Schläge seines heiligsten Herzens betrachten, mit denen er gleichsam die Zeit seiner irdischen Wanderschaft abzumessen schien, bis zu jenem letzten Augenblick, in dem er, wie die Evangelisten bezeugen, „mit lauter Stimme rief: Es ist vollbracht, sein Haupt neigte und den Geist aufgab.“ Da stand der Schlag seines Herzens still; seine fühlbare Liebe wurde unterbrochen, bis er selbst im Triumph über den Tod aus dem Grabe erstand. Nachdem aber sein Leib, in den Zustand immerwährender Herrlichkeit eingetreten, wiederum mit der Seele des göttlichen Erlösers, des Siegers über den Tod, vereinigt war, hörte sein heiligstes Herz nie mehr auf, noch wird es jemals aufhören, sich in unerschütterlich friedlichem Schlag zu bewegen, und es wird gleichfalls nie ablassen, seine dreifache Liebe kundzugeben, durch die der Sohn Gottes verbunden ist mit seinem himmlischen Vater und mit der Gesamtheit der Menschen, deren mystisches Haupt er mit vollem Recht ist.“[15]

Das Heiligste Herz Jesu ist hier aufgrund der bereits vollzogenen Erlösung, deren friedvoll pochender Grundrhythmus die Welt am Leben hält, zwar die „Bestandsgarantie“ der Menschheit, aber es ist dennoch ersichtlich, dass jeder einzelne Mensch sich bewusst und willentlich diesem Pochen anheimstellen und überlassen muss, seine ungeordneten Impulse und Begierden von diesem Herzschlag ordnen lassen muss, um daran Anteil zu gewinnen.
Es wäre absurd, sich vorzustellen, in dieser himmlischen Liturgie im Rhythmus des Herzens Jesu könne einer mitspielen, der wild dazwischentrommelt und pfeift, bloß weil eine andere Seele an seiner Stelle die geforderte Antwort auf den Schlag des Heiligsten Herzens gibt… es widerspricht ganz und gar der hohen Stellung des Menschen, auf seine Einwilligung zu verzichten.
Ja, es IST eine tiefe Erniedrigung des Menschen, wenn man ihn ohnmächtig und willenlos ansieht und ohne sein Fiat erlösen will. Hat nicht auch Gott ausdrücklich das „Fiat“ der Frau gefordert und – seliggepriesen sei die Gottesmutter für immer – erhalten?

In der Verehrung des Heiligsten Herzens kommt darüber hinaus die Gottmenschlichkeit Jesu zum Ausdruck und lässt einen Vorgeschmack erkennen auf die Sicht, die wir einst auf Ihn haben dürfen, wenn wir der seligen Anschauung Gottes gewürdigt werden:

„Das Herz unseres Heilandes gibt also irgendwie ein Bild der göttlichen Person des Wortes wieder, ebenso der doppelten, menschlichen und göttlichen Natur; und in ihm können wir nicht nur das Sinnbild, sondern auch die Zusammenfassung des ganzen Geheimnisses unserer Erlösung erblicken. Wenn wir das heiligste Herz Jesu Christi anbeten, so beten wir in ihm und durch es die ungeschaffene Liebe des Göttlichen Wortes, wie zugleich seine menschliche Liebe, seine übrigen Gesinnungen und Tugenden an, da ja diese zweifache Liebe unseren Heiland bewog, sich für uns und die ganze Kirche, seine Braut, hinzuopfern.[16]

Die Gedankenwelt in Faustynas Tagebuch weicht, je mehr wir uns hinein vertiefen in die Verehrung des Herzens Jesu, erheblich ab von dieser Richtung.
Noch schwerwiegender als die Aussage des 7. Kanons aus „Cum hoc tempore“ aus Trient ist die Aussage des 12. Kanons im selben Dekret:

„Wenn jemand sagt, der rechtfertigende Glauben sei nichts anderes, als eine Zuversicht auf die göttliche Barmherzigkeit, welche, um Christi willen, die Sünden verzeiht, oder diese Zuversicht sei es allein, wodurch wir gerechtfertigt werden, der sei im Bann.“[17]

Man wird mir zugeben müssen, dass hier sogar die zentrale Aussage der Visionen Faustynas ausdrücklich verworfen wurde: Das Andachtsbild vom „Barmherzigen Jesus“ sagt nämlich nichts anderes aus, als eben dies: die bloße bzw. vorrangige Zuversicht auf die göttliche Barmherzigkeit („Jesus ich vertraue auf dich“) verzeihe die Sünden:

„O ewige Liebe, Du befiehlst, Dein heiliges Bildnis zu malen und enthüllst uns die unbegreifliche Quelle der Barmherzigkeit. Du segnest jene, die sich nähern Deinen Strahlen und jede schwarze Seele verwandelt sich in Schnee.“[18]

Es genügt also, sich lediglich „zu nähern“, und schon ist man rechtfertigt und erlöst! Dass Faustyna selbst Jesus ihr Herz schenkt, dass in ihrem Tagebuch auch vieles Richtige und Gute zu finden ist, darf uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie es stellvertretend für Personen tut, denen dies nicht abverlangt wird:

„Meine Tochter, schau in den Abgrund Meiner Barmherzigkeit und erweise Meiner Barmherzigkeit Lob und Ehre. Tu das folgendermaßen: Sammle alle Sünder der ganzen Welt und tauche sie ein in den Abgrund Meiner Barmherzigkeit. Ich will mich den Seelen hingeben. Mich verlangt es nach Seelen – meine Tochter. An meinem Festtag – am Tag der Barmherzigkeit – wirst du die ganze Welt durchstreifen und wirst ohnmächtige Seelen zur Quelle Meiner Barmherzigkeit bringen. Ich werde sie heilen und stärken.“[19]

Dieser Text ist nun mehr als merkwürdig. Er enthält sogar unheimliche Momente.
Zunächst fragt man sich, wie Faustyna eigentlich in der Lage sein soll, „alle Sünder der ganzen Welt“ zu „sammeln“ und in den „Abgrund der Barmherzigkeit“ zu „tauchen“. Mich überfällt angesichts der Wörter Bestürzung, weil sie alle in der Heilsgeschichte mit Zuordnungen versehen wurden, die hier aber vermischt bzw. verwirrt und verunklart werden.
„Getaucht“ wird der Sünder ausschließlich in das Bad der Taufe (nach der überlieferten Lehre). Dieses Bad ist aber kein „Abgrund“, in dem der Täufling bei seiner Umkehr verschwindet, sondern er durchschreitet hier den Abgrund des Todes, den abyssus, vom Kreuz Christi geschützt und erlöst, um als erneuerte Seele hervorzugehen. Wir erinnern uns: bei Margareta wurde der Sünder keinem „Abgrund“ zugeführt oder gar in ihn „getaucht“, sondern soll dem „Abgrund des Verderbens“ förmlich entrissen werden. Es mutet also rein sprachlich seltsam an, dass Faustyna „alle Sünder der ganzen Welt“ in einen „Abgrund“ tauchen soll. Man kennt zwar eine scheinbar ähnliche Terminologie von den mittelalterlichen Mystikern. Bei Johann Tauler etwa fällt der eigene „Abgrund der Nichtigkeit“ (also der Höllenabgrund) in den „Abgrund Gottes“[20]. Dieser „Abgrund Gottes“ wird als gespiegelter Abgrund in den Himmel hinein verstanden, als „Abgrund“ nach oben, nicht als ein analoger Abgrund zur Hölle, nach „unten“, wie der Verlauf der Strahlen auf dem Bild aber suggeriert. Vor allem aber ist es auch bei Meister Eckhart und Tauler der Gläubige selbst, der seinen Abgrund der Nichtigkeit mit aller Seelenanstrengung anerkennt, um den Himmel zu gewinnen. Die Vorstellung, dass ein bloßer Mensch aber andere Sünder, noch dazu „alle“, in den „Abgrund der Barmherzigkeit“ „tauchen“ könne, mutet blasphemisch an.
Die weitere Nutzung vorhandener Begriffe hinterlässt ähnliche Fragen. Die Aufforderung an Faustyna, die „ganze Welt zu durchstreifen“ ist ein direkter und wörtlicher Anklang an die Rolle Satans. So lässt Wilhelm Hauff in dieser Tradition den Satan sagen:

„Auf die Nacht hatte ich eine Zusammenkunft mit jenen kleinen Geistern verabredet, die als meine Diener die Welt durchstreifen.“[21]

Er bewegt sich damit poetisch ganz in der tradierten Redeweise. Im Buch Job heißt es in Kapitel 2, 2:

„Da sprach der Herr zum Satan: Woher kommst du? Der Satan antwortete dem Herrn: Die Erde habe ich durchstreift, hin und her.“

Genauso formulierte Leo XIII. in seinem berühmten Gebet an den Erzengel Michael:

Du aber, Fürst der himmlischen Heerscharen,
stürze den Satan und die anderen bösen Geister,
die zum Verderben der Seelen die Welt durchschweifen,
in der Kraft Gottes hinab in die Hölle
.“[22]

Und der hl. Petrus warnte seine Leser mit dem berühmten Satz:

„Seid nüchtern und wachsam! Euer Widersacher, der Teufel, geht wie ein brüllender Löwe umher und sucht, wen er verschlingen kann.[23]

Wie der Satan soll also Faustyna am Oktavtag zum Fest der Auferstehung „die ganze Welt durchstreifen“? Am Ostertag, an dem Tag, an dem später so viele Menschen das reinigende Tauchbad der Taufe durchschritten, erhielt Maria Magdalena den Auftrag, den Aposteln zu verkünden, dass Jesus aufsteigen würde zu seinem UND nun auch ihrem Gott und Vater. Er würde vorangehen – nach oben! Faustyna dagegen soll am Ende dieses Festes „die Welt durchstreifen“ und „ohnmächtige Seelen“ ohne deren Wissen und ohne Verkündigungsworte einsammeln und in einen Abgrund, auch wenn es angeblich der der „Barmherzigkeit“ sei, tauchen?
Interessant und offenbar nie beachtet wurde der Gegenstand ihres Schweifens, denn auch er ähnelt frappierend den nicht-wachsamen, unnüchternen Seelen, die der Teufel den Worten des hl. Petrus gemäß verschlingen wird:
Faustyna sei auf der Suche nach „ohnmächtigen Seelen“. Wieder wird hier nicht die notwendige Beistimmung der gnadenhaft erweckten Seele als Ausgangspunkt zur Umkehr angenommen, sondern in der finsteren Manier des Satans vorausgesetzt, dass man „ohnmächtige“, also bewusstlose, nicht geschäftsfähige, sentimentale und unvernünftige Seelen einfach kassiert – ob sie wollen oder nicht. Es wird also, um es anders zu sagen, bei der vorgeblichen Gewinnung der Seelen für Christus die listige und unwürdige Art des Satans nachgeahmt.

Bei Margareta Alacoque klingt das so ganz anders:

„Mein göttlicher Erlöser gab mir zu verstehen, dass alle, welche am Heile der Seelen arbeiten, die Gabe haben werden, auch die verhärtetsten Herzen zu rühren; sie werden, falls sie nur selber eine zarte Andacht zu seinem heiligen Herzen pflegen, mit wunderbarem Erfolg arbeiten. Es genügt, das göttliche Herz bekannt zu machen und dann ihm die Sorge zu überlassen, die Herzen, die er sich vorbehalten hat, mit der Salbung seiner Gnade zu durchdringen: glücklich, wer zu dieser Zahl gehört!“[24]

Es ist etwas anderes, „verhärtete Herzen“ zu „rühren“, als „ohnmächtige Seelen“ zu kassieren! Die berührte Seele wird wieder lebendig, beginnt die erstarrten Glieder zu regen und wird dem Bräutigam, der dies selbst sorgsam vollzieht, folgen. Wie aber kann ein Mensch eine „ohnmächtige (!) Seele“ zum „Quell der Barmherzigkeit“ führen?
Bei Margareta bleibt offen, wie der Sünder sich zu dem großartigen Angebot verhalten wird. Ihm ist nur eine große Erleichterung im Erlangen des Heils zugesagt.
Es ist die Liebe Christi, die die Herzen rührt und der Hass der Satans, der ohnmächtige Seelen raubt.
Bei Faustyna finden wir eine scheinbar ähnliche Bevollmächtigung der Priester:

„Sage Meinen Priestern, dass verhärtete Sünder durch ihre Worte reumütig werden, wenn sie von Meiner unergründlichen Barmherzigkeit sprechen, vom Erbarmen, das Ich für die Herzen habe. Jenen Priestern, die Meine Barmherzigkeit künden und rühmen, werde ich besondere Macht geben, ihre Worte salben und die Herzen, zu denen sie sprechen, werde Ich bewegen.“[25]

Auch hier sind es die Nuancen, die aufschlussreich sind. Verspricht Jesus bei Margareta den Priestern, die die Verehrung des Heiligsten Herzens Jesu verkünden, die Gabe, Herzen zu bewegen, ist es bei Faustyna eine Macht, Herzen zu bewegen. Man mag mildernd einwenden, dass Faustyna vielleicht mehr „Vollmacht“ als „Macht“ meinte, sie hat aber nun doch den Begriff „Macht“ gebraucht.
Bei Margareta klingt das tradierte „Anklopfen“ Jesu am Herzen des Sünders an, bei Faustyna dagegen eine Bemächtigung, die die Antwort des Sünders nicht abwarten will.

„Ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten und wir werden Mahl halten, ich mit ihm und er mit mir.[26]

Der unbedingte Respekt, den der göttliche Erlöser vor dem Menschen hat, klopft an, er dringt nicht ein, sondern tritt erst nach Aufforderung ein. Wird er eingelassen, gibt er sich selbst als der Geopferte dem Sünder zur Speise.
Margareta verkündet die Verehrung des Heiligsten Herzens den Priestern als ein Heilmittel, das vor allem sie selbst verwandelt und zu glühenden und wahren Zeugen der Liebe Christi machen wird. Sie spricht ausdrücklich davon, dass Jesus selbst die Seelen, die er erwählt hat, mit seiner Gnade durchwirken wird. Bei Faustyna salbt Jesus nicht die erwählte und berührte Seele, sondern die Worte des Priesters. Letzteres wäre für sich selbst genommen sicher nicht anstößig, aber im Zusammenhang eben doch eine Verschiebung der Akzente.
Die Formulierung in Faustynas Vision hat darüber hinaus einen unheimlichen Anklang an satanische Praktiken:

Ich will mich den Seelen hingeben. Mich verlangt es nach Seelen – meine Tochter.“ (s.o.)
Ist das die Stimme unseres Herrn? Wie hatte er zu Margareta gesagt?
„Das heilige Herz ist wie eine Feste und ein sicherer Zufluchtsort für alle armen Sünder, die sich dorthin flüchten wollen, um der göttlichen Gerechtigkeit zu entgehen. Das heilige Herz ist allmächtig, um Barmherzigkeit zu erlangen.“[27]

Jesus wirbt also um uns, aber der Sünder muss zu ihm flüchten. Jesus sehnt sich nach uns, aber er hat sich uns schon hingegeben und nun geht es um unsere Antwort. Wie aus der Offenbarung zitiert, ist er diskret, absolut rücksichtsvoll, brennend vor Liebe, aber nicht von einem „Verlangen“ getrieben, wie Faustyna es formuliert. Vereint sich aber ein Herz mit dem seinen, wird es beim Mahlhalten verwandelt.
Der wahre Herr brennt vor Liebe zum konkreten Menschen und sehnt sich nach einer adäquaten Antwort. Der Herr begehrt nicht, sondern er fragt, bittet, wirbt in höchstem Respekt vor dem Willen des Sünders.
Faustynas Worte dagegen assoziieren eher einen wollüstigen Faun, der von einem lustvollen Verlangen „nach Seelen“ getrieben wird. Ähnliche Sätze kennen wir aus Märchen und Sagen. Sie werden dort aber immer dem Satan, einem Lindwurm, einem Wolf oder einem bösen Drachen zugeordnet.[28] Abstoßend ist dabei das neutrale „Verlangen nach Seelen“. Anders klänge es, wenn die Jesus-Erscheinung gesagt hätte, sie verlangte nach dieser oder jener bestimmten Seele.
Der Satz „Mich verlangt es nach Seelen – meine Tochter“ erinnert an die Täuschung Evas und das Verlangen der Schlange nach ihren Kindern. So sah die hl. Hildegard von Bingen in einer Vision:

So dringt denn (…) der entsetzlich finstere Nebel in das lichtdurchstrahlte Land und weht die blendend weiße Wolke an (d.i. die Frau), die (…) viele, viele Sterne in sich trägt. (…) Alle Menschenkinder trägt sie – so hat es Gott vorherbestimmt – leuchtend in ihrem Schoß.“[29]

Angesichts dieser begnadeten Menschenfrau überfällt den Satan ein solcher Neid und Hass, dass er die Frau, die die vielen Seelen verwaltet, um dieselben bringen will – ihn verlangt nach Seelen.
Die Sätze, die Faustyna von einer Jesus-Erscheinung vernahm, haben durch diese Assoziationen einen unguten Beigeschmack.

Es ist ohnehin auffallend, dass die Jesus-Erscheinung, die Faustyna fast täglich frequentiert, die Ordensfrau in einer geradezu bedrängenden und ermüdenden Weise heimgesucht hat: in hämmernden, endlosen Wiederholungen wird die junge, lungenkranke Frau unter Druck gesetzt, die Lehre von der göttlichen Barmherzigkeit zu verkünden, als sei das bisher in der Kirche nicht geschehen. Das berühmte Tagebuch hat den Umfang eines Dostojewski-Romans, sagt aber im Gegensatz letzterem nur eine einzige Sache aus, wieder und wieder: Man möge der göttlichen Barmherzigkeit vertrauen.

„Ich verlange, dass du alle freien Minuten dem Schreiben über Meine Güte und Barmherzigkeit widmest.“[30]


Der Barmherzigkeitsrosenkranz

Ähnlich ermüdend ist der „Barmherzigkeitsrosenkranz“, den die Jesus-Erscheinung Faustyna 1935 lehrte. Anders als der tradierte Rosenkranz mit seinen 15 Gesätzen, die uns das ganze Heilsgeschehen vor Augen führen und den Psalter mit den 150 Psalmen zusammenfassen, sinkt dieses Gebet in einschläfernde Monotonie zurück:

Nach einem Vaterunser, einem Ave Maria und dem Credo betet man bei den großen Perlen  jeweils die Sequenz


Ewiger Vater, ich opfere Dir auf den Leib und das Blut, die Seele und die Gottheit Deines über alles geliebten Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus, zur Sühne für unsere Sünden und die Sünden der ganzen Welt.“

Bei den kleinen Perlen betet man zehnmal:

„Durch Sein schmerzhaftes Leiden habe Erbarmen mit uns und mit der ganzen Welt.“

Am Ende sagt man dreimal:

„Heiliger Gott, heiliger starker Gott, heiliger unsterblicher Gott, habe Erbarmen mit uns und mit der ganzen Welt.“[31]

Dieser Rosenkranz soll den Zorn Gottes besänftigen und dem Sünder in der Todesstunde die unergründliche Barmherzigkeit zuwenden.

Der Satz bei den großen Perlen entspricht dem 1. Kanon der 13. Sitzung in Trient:

„…dass in dem heiligsten Altarsakrament, wahrhaft, wirklich und wesentlich der Leib und das Blut, zugleich mit der Seele und der Gottheit unsers Herrn Jesu Christi und folglich Christus ganz enthalten sei…[32]

Er ähnelt aber auch scheinbar dem Gebet des Engels von Fatima von 1916. Dort heißt es:


Allerheiligste Dreifaltigkeit,
Vater, Sohn und Heiliger Geist,
in tiefster Ehrfurcht bete ich Dich an,
und opfere Dir auf
den kostbaren Leib und das Blut,
die Seele und die Gottheit unseres Herrn Jesus Christus,
gegenwärtig in allen Tabernakeln der Welt,
zur Sühne für alle Lästerungen, Sakrilegien und Gleichgültigkeiten,
durch die Er selbst beleidigt wird.
Durch die unendlichen Verdienste Seines Heiligsten Herzens
und des Unbefleckten Herzens Mariens bitte ich Dich
um die Bekehrung der armen Sünder.“
[33]

Nicht übereinstimmend ist bei den scheinbar ähnlichen Gebeten der Adressat: In Fatima ist es die allerheiligste Dreifaltigkeit. Bei Faustyna ist es aus unerfindlichen Gründen nur noch der „ewige Vater“. Das ist merkwürdig. Auch formuliert das Gebet Faustynas im Gegensatz zu dem des Engels in Fatima keinerlei Bitte.

Der Ruf um Erbarmen aufgrund des schmerzhaften Leidens ist eine eigenwillige Ausgestaltung des tradierten „Kyrie“-Rufes. Das „Kyrie Eleison!“ ist traditionell immer an Christus selbst gerichtet. Bei Faustyna geschieht eine stille Verschiebung: das Kyrie wird an den Vater um Christi willen gerichtet. Das ist ebenfalls irritierend.

Die Schlussformel wird ebenfalls an „Gott“ gerichtet.

Die spezifische Ausrichtung des traditionellen Rosenkranzes ist im Barmherzigkeitsrosenkranz konsequent aufgegeben worden. In den 15 Gesätzen steht syntaktisch der Sohn Gottes und dessen heilsgeschichtliche Verbindung mit der Menschheit in der Gottesmutter Maria im Zentrum. Gottvater wird ausschließlich bei den großen Perlen im Vaterunser angerufen, wie Jesus es gelehrt hat. Ansonsten wird zu Maria als dem „Tabernakel Jesu Christi“ gebetet, der darin angebetet wird.
Es wundert nicht, dass Faustyna kurz vor ihrem Tod mit dem „himmlischen Vater“ beschäftigt ist und nicht mit Jesus.[34]

Im Barmherzigkeitsrosenkranz kommt die Gottesmutter nicht mehr vor. Ebenso wird ausschließlich zu Gottvater gebetet. Die ausdrückliche Gottes- und Menschensohnschaft, die der überlieferte Rosenkranz so überdeutlich vor Augen führt, ist im Gebet Faustynas vollkommen unklar. Man mag allenfalls dessen Gottmenschentum aus dem zu Beginn gesprochenen Credo entnehmen, nicht mehr aber aus den folgenden gleichförmigen Gesätzen.

Die Begleitumstände zur Beauftragung, den Barmherzigkeitsrosenkranz einzuführen, sind ebenfalls zweifelhaft. Faustyna beschreibt am 13. September 1935, wie sie in ihrer Zelle Visionen hat. Sie nimmt zunächst den Zorn Gottes wahr. Dann behauptet sie, an den Thron Gottes entrückt worden zu sein:

„Als ich mir dieser Gnade bewusst geworden war, wurde ich augenblicklich vor den Thron Gottes entrückt. (…) Ich will mich nicht hinreißen lassen, seine Größe zu beschreiben.“[35]

Das klingt vermessen. Welcher Sterbliche, der noch in der sterbliche Hülle verweilen muss, wäre je bis an den Thron Gottes gelangt?
Der hl. Paulus beschreibt uns eine Entrückung in den dritten Himmel – also noch einige Stadien vor den Thron Gottes:

Ich kenne jemanden, einen Diener Christi, der vor vierzehn Jahren bis in den dritten Himmel entrückt wurde; ich weiß allerdings nicht, ob es mit dem Leib oder ohne den Leib geschah, nur Gott weiß es. (…) Er hörte unsagbare Worte, die ein Mensch auf Erden nicht aussprechen kann.“[36]

Was immer der hl. Paulus erlebt hat, aber zweierlei geht aus seinen Worten hervor: Es scheint ihm fast unmöglich, im irdischen Leib bis in den dritten Himmel vorgedrungen zu sein. Im Reich des reinen Geistes müsste der Leib vergehen. Daher die Überlegung, ob Gott ihn ohne Leib dorthin entrückt hatte. Das zweite bemerkenswerte Phänomen ist die Unaussprechlichkeit der dort gesprochenen Worte für den Menschen im irdischen Leib.

Wie also Faustyna mit einer fast schnoddrigen Unbekümmertheit feststellen will, sich nicht „dazu hinreißen zu lassen“, die „Größe Gottes“ auf seinem Thron zu beschreiben, ohne zu erwähnen, dass ihr vielleicht die Worte dazu fehlen könnten, berührt unangenehm.

Eine weitere Seltsamkeit betrifft folgende Passage im Tagebuch am selben Tag:

Als ich so betete, sah ich die Ohnmacht des Engels, der die gerechte Strafe, die für die Sünden fällig war, nicht mehr ausüben konnte.“[37]

Was immer damit gemeint sein soll, Gott gibt ihr daraufhin das Gebet ein, das zu den großen Perlen gebetet werden soll und danach die Sätze bei den kleinen Perlen und die Schlussformel – alle merkwürdigerweise an Gottvater gerichtet.


Reaktion des Lehramtes auf Faustynas Visionen

Die Verehrung der göttlichen Barmherzigkeit, wie sie Faustyna vermittelte, wurde von ihrem Beichtvater und Seelenführer Michal Sopocko von Anfang an unterstützt und gefördert. Neben der Andacht vor dem Bild und dem Gebet des Barmherzigkeitsrosenkranzes empfing Faustyna den Auftrag, einen Orden der Schwestern vom Barmherzigen Jesus zu gründen. Dies geschah nach dem Tod Faustynas unter der Leitung Michal Sopockos durch sechs Kandidatinnen im Jahr 1944 in der Nähe von Wilna.

Merkwürdig muten auch die Aufzeichnungen Pater Michals an. Er besuchte Faustyna kurz vor ihrem Tod, um alles Wichtige hinsichtlich der Ordensgründung zu besprechen. Er hatte offenbar Zweifel an der Echtheit ihrer Visionen:


„Vielleicht war dies ein Irrtum, waren meine Gedanken, wie alles, worüber sie berichtet hatte.[38]

P. Michal musste danach an die Tatsache denken, dass Faustyna auch nicht in der Lage gewesen war, das Bild vom Barmherzigen Jesus selbst zu malen, sondern es durch den Maler Kazimirowski malen lassen musste. Er dachte, dass die Unfähigkeit Faustynas, den Orden selbst zu gründen vielleicht ebenso gedacht sein könnte: jemand anders würde den Orden gründen. Dass dieser Jemand am Ende wie schon bei der Ausführung des Bildes er selbst war, soll hier ausdrücklich angemerkt werden.

Faustyna wurde ganz offenkundig aus Neugier und dem Drang ihres Beichtvaters in eine bestimmte Richtung getrieben:


Vielmehr meine Neugier wie dieses Bild aussehen könnte als der Glauben an die Echtheit dieser Vision führte dazu, dass ich den Kunstmaler Eugeniusz Kazimirowski damit beauftragte, dieses Bild zu malen" (Priester Sopocko, Erinnerungen)[39]

Die Schwestern vom Barmherzigen Jesus merken dazu auf ihrer Website an, dass P. Michal selbst die treibende Kraft hinter der Erstellung des Bildes war:


„Bei der Anfertigung des Bildes beteiligte sich auch der Stifter des Kunstwerkes, Priester Michal Sopocko, der auf Bitten des Malers in Priesteralbe angezogen posierte.“ (s.o)

Später war es wieder Faustyna, die ihn drängte, das Bild auch ohne bischöfliche Genehmigung aufzustellen. Das Bild erhielt schließlich eine Hängeerlaubnis, allerdings nur unter Verheimlichung seiner Herkunft. P. Michal berichtet davon in seinem Tagebuch:

„Sr. Faustina forderte, dass ich das Bild um jeden Preis in der Kirche unterbringen solle, ich aber beeilte mich nicht. In der Karwoche 1935 offenbarte sie mir endlich, dass Jesus fordere dieses Bild im Tor der Morgenröte (Ausros Vartai) für drei Tage zum Abschluss des Jubiläumsjahres der Welterlösung unterzubringen. Dieser letzte Tag würde auf das vorhergesehene Fest, auf den weißen Sonntag fallen. Kurz darauf erfuhr ich, dass der Pfarrer des Tors der Morgenröte (Ausros Vartai), Kanonik St. Zawadzki mich darum bat die Predigt zu halten. Unter der Bedingung, dass jenes Bild in dem Fenster des Kreuzganges als Dekoration untergebracht werden würde, sagte ich zu. Das Bild sah dort eindrucksvoll aus und zog mehr Aufmerksamkeit auf sich als das Bild der Muttergottes.
Nach der Andacht wurde das Bild auf seinen alten Platz im Verborgenen zurückgebracht wo es noch für zwei weiter Jahre blieb. Am 01.04.1937 bat ich den Erzbischof von Vilnius um Erlaubnis, dass Bild in der Kirche zum Heiligen Michael, in der ich damals noch Rektor war, aushängen zu dürfen. Dieser erwiderte mir, dass er darüber alleine nicht entscheiden wolle. Er veranlasste die Beschauung des Bildes. Es wurde eine Kommission von Priester Adam Sawicki, Kanzler der Metropolitkurie organisiert.
Der Kanzler veranlasste das Bild am 2. April in der Sakristei der Michaelskirche aushängen zu lassen, denn er wusste die Uhrzeit nicht an dem das Bild beschaut werden sollte. Ich war mit der Arbeit im Priesterseminar und an der Universität sehr beschäftigt, deswegen wusste ich nicht in welchem Personalbestand jene Kommission anwesend war. Am 3. April 1937 benachrichtigte mich der Erzbischof von Vilnius, dass er die genauen Informationen über dieses Bild habe und somit die Erlaubnis gäbe es zu weihen und aufzuhängen. Bedingungen waren jedoch, dass das Bild nicht im Altar ausgehangen und über seine Herkunft nicht gesprochen werden dürfe.
Das Bild wurde an diesem Tag geweiht und neben dem großen Altar ausgehängt
.“[40]

P. Michal kommt zu dem Schluss, dass an Faustynas Visionen nichts zu beanstanden sei:

„Betreffend die Erscheinungen von Sr. Faustina gibt es darin nichts was dem Glauben oder guten Sitten widersprechen würde oder unter Theologen gar  umstritten wäre. Im Gegenteil. Alles richtet sich darauf aus Gott und seine Liebe besser kennen zu lernen. (…) Der Kult der göttlichen Barmherzigkeit (privat in Form von Novenen, Rosenkranz, Litaneien) widerspricht in keiner Weise der Dogmatik oder der Liturgie sondern richtet sich viel mehr auf die Erklärung der Wahrheit des christlichen Glaubens und der Darstellung dessen, was bis jetzt in der Liturgie nur angedeutet wurde - auf die politische Situation der ganzen Welt, das, worüber die Kirchenväter bereits schrieben, und nachdem heute das große Elend der Menschen verlangt.“[41]

In diesem Urteil tritt deutlich zutage, dass Michal Sopocko der Meinung war, dass ein wesentlicher Aspekt des christlichen Glaubens bislang noch gar nicht zur Entfaltung gekommen wäre, insbesondere dadurch, dass die Liturgie ihn nur andeutet, aber nicht deutlich ausspreche: die politische Situation der ganzen Welt. Was immer er damit genau gemeint haben mag – aber er ist damit auf der Linie des späteren Vaticanum II und Johannes XXIII. und Pauls VI.


Es wird gerne verschwiegen, dass das Heilige Offizium unter Johannes XXIII. zunächst die Verehrung der göttlichen Barmherzigkeit nach Schwester Faustyna Kowalska verboten hat.

Am 19. November 1958 wurde festgestellt, dass die Übernatürlichkeit der Visionen nicht festgestellt werden könne, dass das Fest der göttlichen Barmherzigkeit, das die Jesus-Erscheinung Faustyna für den Oktavtag nach dem Ostersonntag auftrug, nicht eingeführt werden dürfe und dass das Andachtsbild und die spezifischen Andachtsformen zur göttlichen Barmherzigkeit, wie Sr. Faustyna sie vermittelt hatte, nicht verbreitet werden dürfen.

Am 6. März 1959 wurde diese Entscheidung in verschärfter Form wiederholt: Die besagte Andachtsweise sei verboten und die Bischöfe sollten darüber wachen, dass sie nicht trotzdem und gegen diese Entscheidung weitergeführt werde. Immerhin hatte sie sich in Polen mit Erlaubnis der Bischöfe bereits weithin ausgebreitet.

Eine Begründung für diese Ablehnung wurde nicht beigegeben.

Immer wieder wurden jedoch verborgene Zeilen äußersten Hochmutes in ihrem Tagebuch entdeckt und kritisiert. Faustyna schrieb am 2. Oktober 1936, Jesus habe zu ihr folgendes gesagt:


„Jetzt weiß Ich, dass du Mich nicht wegen der Gnaden und Gaben liebst, sondern dass dir Mein Wille teurer ist als das Leben; deshalb vereinige ich Mich mit dir so innig wie sonst mit keinem Geschöpf.“[42]

Man würde eine besondere Liebeserklärung an Faustyna gerne zugestehen, aber in dieser Ausschließlichkeit formuliert ist es unmöglich, darin die Stimme des Herrn zu erkennen. Immerhin hat sich Jesus mit keinem anderen Geschöpf mehr vereinigt als mit seiner lieben Mutter! Ebenso beschreibt sie am 1. Freitag im April 1938 ihre Tränen, als sie von der Heiligsprechung von Andreas Bobola las, die sie vor Sehnsucht nach einem eigenen Heiligen ihres Ordens vergoss. Jesus tröstet sie mit folgenden Worten:


Weine nicht, du bist die Heilige.“[43]

Immer wieder lässt sie sich selbst durch die Jesus-Erscheinung hochloben. Am 26. März 1937 sagt die Jesus-Erscheinung:

Du liebgewordene Perle meines Herzens, Ich sehe, dass deine Liebe überaus rein ist, reiner als die der Engel (…) Für dich segne Ich die Welt.“[44]

Abgesehen von diesen merkwürdigen Passagen, deren sich noch viel mehr zeigen ließen, hatte bereits Pius XII. das Tagebuch auf den Index gesetzt. Unter anderem wegen der oben zitierten Behauptung, Jesus habe sich mit keinem Geschöpf mehr vereinigt als mit Faustyna. Ebenso wurde der Satz von 1935:

Ab heute fürchte dich nicht vor Gottes Urteilen, denn du wirst nicht gerichtet werden.“[45]

als häretisch eingestuft.[46]

Ab dem Jahr 1965, also nach Beendigung des Vaticanum II, wurde der Kult um die göttliche Barmherzigkeit immer weiter ausgebreitet. Die Befugnisse für Polen erteilte von Anfang an Kardinal Woityla.[47] Er sprach Faustyna als Papst Johannes Paul II. 1993 selig und im Jahr 2000 heilig.

Wie es möglich sein könne, dass ein Tagebuch und Visionen, die einmal vom Heiligen Offizium verurteilt worden waren, in der Kirche plötzlich einen solchen Auftrieb erhalten können, ist nicht geklärt. Gemeinhin wird behauptet, die damalige Verurteilung sei durch Übersetzungsfehler des Tagebuchs geschehen. Wir haben jedoch gesehen, dass trotz revidierter Übersetzung vieles in diesem Buch fragwürdig erscheint.


Der „Barmherzige Jesus“ und die Ikone von der „Verklärung Christi“

Wie damals schon Michal Sopocko bemerkte, ist dieses Bild „neuen Inhalts“.[48] Es gibt in der gesamten kirchlichen Bildtradition keine Entsprechung zu diesem Bildtypus. Ich habe eines Tages entdeckt, dass der ukrainische Maler Vladimir Naumetz vor ca. 18 Jahren ein Bild vom Barmherzigen Jesus für die Kapelle in St. Pantaleon in Köln mit dem Sarkophag der Kaiser Theophanu geschaffen hat. Dieses Bild ist nach den Vorgaben Faustynas gemalt, zugleich aber auch nach Vorgaben der Ikone von der Verklärung Christi gestaltet, die in der Orthodoxen Kirche eine große Rolle spielt:








Das Bild oben ist der „Barmherzige Jesus“ von Vladimir Naumetz.[49] Das Bild unten ist eine griechische Ikone von der Verklärung Christi aus dem 15. Jh.[50]

Nun fällt auf, dass der „Barmherzige Jesus“ sich mit dem orthodoxen Ikonentypus von der Verklärung Christi tatsächlich ineinanderschieben lässt.

Naumetz gestaltete den Barmherzigen Jesus zu großen Teilen nach den Merkmalen Jesu auf der Ikone:
Von dem Ikonenchristus gehen 4 stilisierte weiße Strahlen aus, zwei nach oben, zwei nach unten. Fast könnte man sie für Engelsflügel halten. Auf manchen anderen Ikonen sind diese vier Strahlen rot gefärbt. Der Christus bei Naumetz weist ebenfalls diese vier Strahlen auf, wobei die beiden nach oben weisenden samt einer weiteren kleineren hinter dem Kopf Christi nach oben weisen, und zwei aus der Brust Jesu – einer davon rötlich gefärbt - nach unten.
Die Christusikone hat darüber hinaus vier zusätzliche blaue Strahlen, die nach unten führen und die Jünger, die niederfallen, in ihrer Niedrigkeit und Angst erleuchten. Das Bild ist so gestaltet, dass diese Beleuchtung nach unten hin dennoch erhebend wirkt und sich nicht im Dunkel verflüchtigt. Neben den drei Jüngern entspringt eine Quelle und die Natur treibt Pflanzen hervor. Neben Jesus stehen Moses und Elias. Jesus hält in der Linken eine Buchrolle, die Rechte vollzieht eine Segensgeste.
Naumetz lässt seinen Christus mit der Rechten eine Geste machen, die eher der Segensgeste gleicht als der Grußgeste auf den Bildern von Kazimirowski und Hyla. Naumetz gibt dem Barmherzigen Jesus, ebenfalls anders als von Faustyna vorgesehen, denselben Bildhintergrund, den die Ikone hat:


„Christus ist von konzentrischen Kreisen umgeben, die entgegen unserer Erwartung zur Mitte des Körpers hin immer dunkler werden. Das tiefe Blau des innersten Kreises verweist uns auf die Unerkennbarkeit Gottes. Bei aller Menschenliebe und –nähe bleibt Gott letztlich der ganz Andere, der Unbegreifliche, den wir nie durch und durch erkennen können. Gott bleibt Geheimnis, bleibt Mysterium. Dennoch zeigt sich Gott den Menschen immer wieder, und wir können ihn erahnen: etwa in der Schöpfung – vor allem aber gibt sich Gott in seinem Sohn Jesus Christus zu erkennen.“[51]

Der "Barmherzige Jesus" hat sowohl auf der Ikone als auch auf dem Bild des ukrainischen Künstlers die traditionelle Gloriole mit den angedeuteten Kreuzbalken. Auf beiden Bildern ist der Christus von Gold und Licht umgeben. Auf den beiden polnischen Bildern fehlt eine echte Gloriole nicht nur, sondern sie ist ersetzt durch etwas anderes. Auf Kazimirowskis Bild ist um den Kopf Jesu eine dunkle, verfinsterte Gloriole zu sehen. Die gesamte Gestalt Jesu steht in der Finsternis. Nur die beiden Strahlen leuchten aus der ebenfalls in einem Lichtpunkt erhellten Brust. Das mutet merkwürdig an. Ebenso merkwürdig wirkt das Bild Hylas. Dort hat Jesus keine Gloriole, sondern ein schwaches hintergründiges Leuchten mit äußerst kurzem Radius um sein Haupt, das ebenfalls weit hinter dem Glanz des roten und weißen Strahles zurückbleibt. Auch hier befindet sich die Gestalt in einer vollkommenen Finsternis.
Naumetz hat sich diese Merkmale offenbar bewusst nicht zu eigen gemacht. Die negative Ausstrahlung der beiden polnischen Bilder wird durch diese „orthodoxe“ Verfremdung erheblich abgemildert.

Die Orthodoxie kennt, davon abgesehen, eine spezifische Taborlicht-Mystik. Die Strahlen, die hier vom verklärten Jesus zu den Jüngern hin ausgehen, sind Strahlen des unerschaffenenen Lichtes, das Gott ist und von ihm ausgeht und in dem der Mensch sein wahres Wesen erkennen kann und muss. Der bekannteste orthodoxe Kirchenlehrer für diese Mystik ist Gregor Palamas (1296-1359). Er lehrte das rhythmische Herzensgebet, das den Gläubigen zur hesychia führt, zu einer vollkommenen inneren Ruhe, in der er das Taborlicht als beglückende Erfahrung als Vorgeschmack auf den Himmel erschauen kann.
Züge dieser Lichtmystik scheinen auch in mystischen katholischen Erfahrungen auf. Berühmt ist das Licht, das aus den Händen der Gottesmutter hervorquillt zu dem, der sie schaut. Catherine Labouré hat die Immaculata so gesehen, und so ist sie auch auf der Wunderbaren Medaille abgebildet:



Die Strahlen stehen hier jedoch nicht für ein Licht, das von Maria selbst ausgeht, sondern sie stehen für den Gnadenschatz, den sie zu den Menschen hin verteilen darf. Das Motiv des Lichts aus Marias Händen taucht auch in Fatima auf. Lucia berichtete, folgendes:


„Bei diesen (…) Worten öffnete die Dame ihre gefalteten Hände und erteilte uns ein Licht, das wie ein Widerschein aus diesen hervorströmte, ein Licht, das so hell war, dass es bis ins unser Herz drang, bis ins Innerste der Seele. In diesem Licht sahen wir uns selbst in Gott, der dieses Licht war, klarer, als man sich selbst im besten Spiegel sieht.[52]


Wir kennen dieses Phänomen aus der Torah, die uns berichtet, dass Moses beim Abstieg vom Berg Sinai die Herrlichkeit Gottes abstrahlte und das Volk diesen Glanz nicht ertrug.


„Warum sollen wir noch einmal unser Leben aufs Spiel setzen? Denn dieses große Feuer könnte uns verzehren.“ (Deuteronomium 5, 25)


Es handelt sich also eindeutig bei dieser Art Licht um das unerschaffene Licht Gottes, das von Begnadeten abstrahlen kann. Es hat mit den Strahlen, die von Faustynas Jesusgestalt ausgehen, nichts zu tun. Denn Jesus strahlt kein Licht ab. Er IST das Licht.

Pater Michal berichtet, dass Faustyna zunächst nicht wusste, was die beiden Strahlen darstellen wollen. Er befiehlt der jungen Frau, Jesus danach zu fragen. Während eines Gebets hört Faustyna folgende Worte:


Die zwei Strahlen bedeuten Blut und Wasser. Der blasse Strahl bedeutet Wasser, das die Seelen rechtfertigt, der rote Strahl bedeutet Blut, welches das Leben der Seelen ist…
Diese zwei Strahlen drangen aus den Tiefen Meiner Barmherzigkeit, damals, als Mein sterbendes Herz am Kreuz mit der Lanze geöffnet wurde.
Diese Strahlen schützen die Seelen vor dem Zorn Meines Vaters. Glücklich, wer in ihrem Schatten leben wird, denn der gerechte Arm Gottes wird ihn nicht erreichen.“
[53]


Diese Worte sind theologisch bedenklich. Immerhin bedeutet die „Rechtfertigung des Sünders“ ja nicht ein äußeres Bedecken, das ihn vor dem Zorn Gottes schützt.
Im oben bereits befragten Dekret „In hoc tempore“ aus Trient heißt es:


„Die Ursachen dieser Rechtfertigung sind, und zwar die Endursache, die Herrlichkeit Gottes und Christi, und das ewige Leben; die bewirkende Ursache aber der barmherzige Gott, der aus Gnaden (1 Kor 6,11) reinigt und heiligt, bezeichnend und salbend mit dem Heiligen Geist (Eph 1,13f) der Verheißung, welcher das Pfand unserer Erbschaft ist; die verdienstliche Ursache aber sein geliebtester Eingeborner, unser Herr JESUS Christus, der uns, da wir (Röm 5,10) Feinde waren, aus übergroßer Liebe (Eph 2,4), mit welcher er uns liebte, durch sein heiligstes Leiden am Holze des Kreuzes (Röm 4,25) die Rechtfertigung verdiente, und für uns Gott dem Vater genug tat; ferner die werkzeugliche Ursache das Sakrament der Taufe, welches ein Sakrament des Glaubens ist, ohne den (Hebr 11,6) niemals jemanden die Rechtfertigung zukam; und die einzige formelle Ursache endlich ist die Gerechtigkeit Gottes, nicht die, durch welche er selbst gerecht ist, sondern die, durch welche er uns gerecht macht, mit welcher wir nämlich von ihm begabt, erneuert werden im Geiste unsers Gemütes, und nicht nur dafür gehalten, sondern mit Wahrheit gerecht genannt werden und sind, die Gerechtigkeit in uns empfangend, jeglicher nach seinem Maße, dass der heilige Geist allen (1 Kor 12,11; Eph 4,7) austeilt, wie er will, und nach eines jeglichen eigener Zubereitung und Mitwirkung.“[54]

In Faustynas Erklärung ist ein Bruch zu erkennen: Einerseits sagt sie richtig, es müsse die Rechtfertigung der Seele durch das Wasser und das Leben durch das Blut Christi für den Sünder geben. Andererseits macht sie danach eine Wendung in der Gedankenführung und macht aus der Vorstellungvon realen „Flüssigkeiten“, die physisch und geistig reinigen und erneuern, einen esoterischen Strahl, der nicht mehr reinigt und belebt, sondern unspezifisch „schützt“ vor dem Zorn Gottes. Besteht aber die Rechtfertigung des Sünders darin, dauerhaft „geschützt“ zu werden vor dem Zorn Gottes? Gehört es nicht eher in den Bereich magischer und abergläubischer Vorstellungen, die Seelen vor dem Zorn des Numinosen zu bewahren? Werden Blut und Wasser des geopferten Gottessohnes hier nicht zum Talisman umgedeutet?
Die Vorstellung, dass unsere Rechtfertigung darin besteht, im Grunde weiterhin nicht für gerecht gehalten zu werden, wenn wir uns bekehrt haben und nur durch die beiden Strahlen vor dem Zorn Gottes geschützt zu werden, erscheint ebenso magisch wie „protestantisch“. Die Luthersche Theologie setzt voraus, dass der Sünder „bedeckt“ wird vom Blut Christi, aber nicht, dass er davon durch die tätige und willentliche Mitwirkung der Seele selbst durchwirkt und von Grund auf erneuert wird.
Katholische Lehre ist doch, dass Gottes Gerechtigkeit den gerechtfertigten Sünder durch Christus als gerecht ansieht und mit dessen beistimmender und mitwirkender Aktion vollständig in seinem Wesen erneuert. Wie anders sollte man den Satz verstehen, dass der gerettete Sünder „mit Wahrheit“ vor Gott „für gerecht“ gehalten werde?

Faustynas Bild jedenfalls suggeriert, dass der Sünder nur geschützt, aber nicht wesenserneuert wird.

Die ermüdenden, über Jahre weg im Tagebuch wie eine „Gehirnwäsche“ wiederholten Worte von der Barmherzigkeit legen immer wieder ein ausschließlich protestantisches Verständnis der „Barmherzigkeit“ nahe:

„Aus Meiner Barmherzigkeit - sagte Jesus zur Schwester Faustyna - schöpft man Gnaden mit nur einem Gefäß, und das ist das Vertrauen. Je mehr eine Seele vertraut, um so mehr bekommt sie. Seelen, die unbegrenzt vertrauen, sind Mir eine große Freude, denn in solche Seelen gieße Ich alle Meine Gnadenschätze. Es freut Mich, dass sie viel verlangen, denn es ist Mein Wunsch, viel zu geben.“[55]

Ist das nicht häretisch? Schöpfen wir Gnaden wirklich nur durch „ein Gefäß“, nämlich das „Vertrauen“? Was ist mit den Sakramenten? Was mit den außerordentlichen Gnaden? Wird hier nicht die Fülle des Handelns Gottes durch die Kirche und den frei schaffenden Heiligen Geist geradezu annulliert und durch eine merkwürdig unklare Beziehung ersetzt? Gott schenkt „Barmherzigkeit“, und der Mensch antwortet darauf mit „Vertrauen“. Könnte das so unspezifisch nicht auch ein Jude oder Muslim sagen? Und klingt das nicht von ferne nach dem Lutherschen Widerspruch zur Lehre? Ist seine Reduktion, der Sünder werde „allein“ aus Glauben selig, nicht verwandt mit dieser Ansicht, „nur“ durch das „Vertrauen“ werde man vor dem Zorn Gottes geschützt?

Wie sollen die noch verblendeten Kinder Israels, die Gott am Ende doch zur Umkehr bringen wird, mit einem solchen „Gnadenbild“ erkennen, wen ein Teil ihrer Vorfahren „durchbohrt“ haben? Versperrt dieses Bild nicht – abgesehen von verführten Christen - gerade den Juden den noch anstehenden Zugang zu Jesus Christus?

Der Vergleich mit der Ikone der Verklärung Christi führt vor Augen, wie sehr das von Faustyna angewiesene Bild vom „Barmherzigen Jesus“ zweifelhaft ist. Diese merkwürdig lichtlose Lichtgestalt, die aus einer totalen Finsternis auftaucht und keinen Grund unter den Füßen hat außer Finsternis, und mit diesen beiden esoterischen, nach unten zeigenden, ätherischen Lichtstrahlen ein Scheinlicht erzeugt, das aber nicht einmal ausreicht, um ihm selbst die notwendige Gloriole, - um von einer Aureole erst gar nicht zu reden -, zu verleihen, erscheint wie ein getarnter „Engel des Lichts“: „Der Satan tarnt sich als Engel des Lichts“ (2. Kor. 11, 14).

Alleine die auffallende Abweichung von sämtlichen ikonografischen Merkmalen aller rechtgläubigen Christusdarstellungen, die uns bekannt sind, sollte uns stutzig machen.
Ob die Zweifel und die Ablehnung des Hl. Offiziums, die von Anfang an bestanden, nicht doch den richtigen Weg gewiesen haben.

Sr. Faustyna erscheint als eine liebenswerte Frau. Ich möchte ihr keine Vorwürfe machen. Sie hatte kaum Schulbildung und meinte es wahrscheinlich gut.
Wieso aber fiel ihrem Beichtvater, der von hoher Bildung war, so gar nichts auf? Warum hielt er sie nicht zurück? Unwillkürlich muss ich an Adam denken, der die getäuschte Eva nicht zurückhielt, sondern bestärkte und ihre Täuschung mitvollzog. Pater Michal hatte doch Zweifel – warum setzte er sich über sie hinweg? Er ermutigte Faustyna dazu, ihr Tagebuch zu führen, er beförderte die Verehrung des Andachtsbildes, er gründete den von der Erscheinung geforderten Orden.
Nicht zuletzt muss man sich fragen, ob die so vollmundig versprochenen Früchte der Heilung, die von der Verehrung des Barmherzigen Jesus ausgehen sollten, eingelöst wurden. Im rasant und unzweifelhaft zu beobachtenden Niedergang des Glaubens in den Seelen tritt uns das Gegenteil entgegen. An den Früchten sollen wir erkennen, wes Geistes Kind ein Werk ist.


Die Verehrung des „Barmherzigen Jesus“ hat im großen Glaubensabfall nichts gewonnen und nichts aufgehalten, dafür aber die ehemals fruchtbare Verehrung des Heiligsten Herzens Jesu nahezu vernichtet. 
Das ist eine katastrophale Bilanz.

© by Hanna Maria Jüngling






[3] „Annum Sacrum", in: Acta Leonis, vol. XIX, 1900, p. 76
[4] Pius XII., Haurietis aquas vom 15. Mai 1956, abrufbar auf http://stjosef.at/dokumente/haurietis_aquas.htm#_ftn16
[5] http://www.st-antonius.at/wp-content/uploads/2009/03/barmherziger-jesus3.jpg
[6] Tagebuch, a.a.O., S. 151
[10] Tagebuch der Schwester Maria Faustyna Kowalska, Hauteville 2011, S. 86
[11] A.a.O., S. 87
[12] A.a.O., S. 89
[14] Vgl. Anm. 6
[15] Haurietis aquas, a.a.O.
[16] Pius XII. Haurietis aquas, a.a.O.
[17] A.a.O.
[18] Tagebuch, S. 4
[19] A.a.O., S. 94
[20] Kurt Ruh: Geschichte der abendländischen Mystik, Band 3, München 1996, S. 502
[21] Wilhelm Hauff: Mittheilungen aus den Memoiren des Satan, Stuttgart 1830, S. 100
[23] 1. Petrus 5, 8
[25] Tagebuch, a.aO., S. 453
[26] Off. 2, 20
[28] Bekannt die Sage von „Beowulf and Grendel“ oder die Erzählung vom Kampf Siegfrieds mit dem Drachen Fafnir im Nibelungenlied, ebenso einige Märchen bei den Gebrüdern Grimm
[29] Hildegard von Bingen: Wisse die Wege – Scivias. Salzburg 1975 (6. Auflage der Erstveröffentlichung 1928), S. 100 f
[30] Tagebuch, a.a.O., S. 463
[33] Mura/Huber: Fatima – Rom – Moskau, S. 22
[34] Tagebuch, a.a.O., S. XLVI
[35] Tagebuch, a.a.O., S. 175
[36] 2. Kor. 12, 2 ff
[37] Tagebuch, a.a.O., S. 175
[41] A.a.O.
[42] Tagebuch, a.a.O., S. 244
[43] Tagebuch, a.a.O., S. 488
[44] A.a.O., S. 334
[45] A.a.O., S. 142
[46] Weitere kritische Anmerkungen finden sich hier: http://traditioninaction.org/HotTopics/f072_DivMercy.htm
[47] Tagebuch a.a.O., S. XLVII
[52] Mura/Huber: Fatima-Rom-Moskau, S. 23
[53] Tagebuch a.a.O., S. 119