Donnerstag, 9. Juli 2015

Wie soll ein Katholik gekleidet sein?



Wie soll ein Katholik gekleidet sein?
Ein Plädoyer für Sachlichkeit und den Entwurf einer neuen, christlichen und freien Kleidung

An dieser Stelle möchte ich der Frage nach angemessener Kleidung nachgehen, die ein beliebter Traditionalistensport ist und in der sich viele zu unsachlichen und ignoranten Urteilen hinreißen lassen. Die Kostümkunde ist ein weites Feld und Kleidung ist vor allem anderen bestimmt durch Moden und Konventionen. Die vielen Behauptungen darüber, welche Kleidung die Kirche vorgeschrieben habe, entspringen in aller Regel reflexhaften und zwanghaften Phantasien. Es lässt sich nicht  zurückverfolgen, was wann tatsächlich reale Sitte und nicht bloß eine auf wenigen Bildwerken hinterlassene Stilisierung war.
Tatsächlich hat die Kirche dazu aber keine allzu genauen Angaben gemacht, alleine schon deswegen, weil sie auch früher Weltkirche war und die Welt groß und voller verschiedener Überlieferungen in dieser Frage ist. Nur eines findet man vor allem in der Heiligen Schrift: dass die Kleidung jedes Katholiken und jeder Katholikin schicklich, also nicht aufreizend sein soll. Wenn regionale Kleriker immer wieder durch überzogene Kleiderforderungen aufgefallen sind, ist das – wie heute auch - noch lange nicht allgemeine Vorschrift der Kirche (gewesen).

Schicklichkeit betrifft nun aber weniger bestimmte Kleidungsarten als deren Gestaltung. Konventionen bzw Standestrachten in manchen Regionen oder Zeiten haben keinen objektiven Wert. Auch sie können unwürdig sein und müssen geprüft werden. Schicklichkeit kann auch nicht daran gemessen werden, dass ungezügelte Geister im Extremfall jedes Fleckchen des sichtbaren Körpers einer Frau bereits als „aufreizend“ empfinden. Debatten, die meist die Frau einengen und einsperren wollen, ihre Unbefangenheit lähmen und den Mann überhaupt erst auf schmutzige und verdorbene Gedanken bringen, sind verabscheuungswert. Eine solche Debatte führt uns zur Zeit der Islam, teilweise aber auch der katholische Traditionalismus vor: ob man das Haar der Frau sehen kann oder nicht, ob man ihre Knöchel oder Waden sieht, ob man ihre Unterarme sieht – wie versaut muss man eigentlich sein, wenn man das bereits als anstößig erlebt? Das Ende vom Lied ist, dass die gesamte Gestalt der Frau ein einziger sexueller Anstoß ist und man sie am besten in eine Burka mit Augenschlitzen sperrt. Und selbst das ist manchen noch zu anstößig und sie vergittern auch noch die Augenlöcher.
Man kann der Kirche nicht vorwerfen, dass sie solche quasiislamischen, zwanghaften Vorstellungen lehramtlich überspannt unterstützt hätte. Es waren eher Regionalfürsten, verkrampfte kleine Kleriker oder das Volk, die diese Ideen mit viel Getöse beförderten. Auffallend ist dabei, dass diesbezüglich in Spanien und Portugal die engsten Regeln herrschten. Nach einer langen Zeit islamischer Herrschaft dürfte man den Grund im Islam und einer irregeleiteten Mentalität der Leute dort sehen.

Objektive Unschicklichkeit besteht darin, dass man eine schamlose Zurschaustellung vor allem der primären, gelegentlich auch der sekundären Geschlechtsorgane betreibt. Ich werde zeigen, dass sich das (westliche) Abendland schon früh als einzige hochstehende Zivilisation der Welt durch extrem aufreizende und anzügliche Kleidung v.a. des Mannes negativ ausgezeichnet hat. Eine entsprechende, schwerwiegende Entgleisung der Frau ist erst seit ca. 50-100 Jahren salonfähig geworden.
Nach einer kurzen Untersuchung wird man aufrichtig feststellen müssen, dass die heutige Schamlosigkeit der allgemeinen Frauenmode einen mindestens 1000 Jahre währenden Vorlauf an Schamlosigkeit beim abendländischen Mann hat:

 [1]



Männer trugen im hohen Mittelalter und danach die zunehmend monströser ausgebaute „Schamkapsel“, die sogar noch ausgepolstert und extra aus den Übergewändern hervorgehoben wurde. Wo soll eine Frau da bitteschön noch hinsehen, ohne mit der Nase auf unzüchtige Gedanken gestoßen zu werden?!
Damals kam erst die Männerhose bzw. die Bruche (Beinlinge), die oben an ein Leibgewand „genestelt“ (geschnürt) wurde, im Stile einer Strumpfhose oder Leggins auf. Noch abstoßender ist die Tatsache, dass Männer im 18. Jh und massiv im 19. Jh dazu übergingen, hautenge Hosen ohne Hosenlatz zu tragen, die den ganzen Unterleib aufs Schamlosteste zur Schau stellten, indem die Jacken die vordere Körperhälfte nicht mehr bedeckten, sondern extra so geschnitten wurden, dass jeder einem solchen Mann direkt auf sein kaum kaschiertes Gemächte sehen musste. Noch einmal stelle ich die Frage: Wohin soll eine Frau da sehen, ohne auf ungute Ideen zu kommen?! Eine Fortsetzung fand diese maskuline Unzüchtigkeit mit der Flower-Power-Generation, bei der die Männer ohnehin, erstmalig aber auch Frauen, wenigstens gelegentlich, solche hautengen und unterleibsbetonenden Jeans trugen. Die Hippie-Mädchen griffen aber immer noch viel häufiger zu den traditionellen, weiten und langen Röcken oder sehr weiten Pluder-Hosen. Der postmodernen männlichen Jugendmode, bei der die Hose unterhalb des Hinterteils hängt, das dann entweder in eine Unterhose gepackt oder ganz nackt zur Schau gestellt wird, korrespondiert eine Vielfalt gedankenlos getragener Mädchenmode mit „Hotpants“ Leggins oder hautengen Hosen, Kleidern und Röcken.

Während fromme Gemüter sich endlos über das relativ neue schamlose Auftreten aufseiten der Frauen erhitzen, nehmen sie die jahrhundertealten männlichen Entgleisungen als Kavaliersdelikt wahr, als ob das derart schamlose Auftreten eines Mannes in der Frau nicht dieselben unkeuschen Bilder und Gedanken hervorriefe wie umgekehrt im Mann von der Frau… Wenn viele Frauen heute in hautengen Trikothosen umhergehen, ist das nur das späte Nachziehen in Praktiken, die sich abendländische Männer mindestens schon 1000 Jahre zuvor, besonders aber seit dem 18. Jh erlaubt hatten.
Man sehe sich den Aufzug der Herren auf dem Wiener Kongress an und stelle sich vor, Frauen säßen so beisammen…:



Es ist, um den Blick auf diesen blinden Flecken bei den Konservativen und Traditionalisten zu richten, auffallend und irritiert mich zutiefst, dass in keiner anderen Hochkultur, die wir kennen, Männer je so schamlos angezogen waren wie in der christlichen. Nirgends, weder im afrikanischen, persischen, noch im indischen und ostasiatischen Kulturraum würden sich Männer je so gekleidet haben. Die europäische Frau hat demgegenüber, wenn überhaupt, bis auf die letzten 100 Jahre, nur die sekundären Geschlechtsmerkmale betont, dagegen nie die primären, und gewisse Grenzen die längste Zeit gewahrt.

 [5]
Sie trug die eine korsettgestützte Wespentaille, was sie gesundheitlich schädigte. Im 18. Jh kamen Einsätze in den Röcken auf, die übertrieben breite Hüften vorspiegelten oder den berühmten „cul“ (eine Art Rüschenhintern) und ein tieferes Decolleté zur Schau stellten, verbarg aber immer ihren Schambereich unter weiten Röcken und Kleidern, im Südosten Europas auch in Pluderhosen.

Dass nun seit ca. 50 Jahren Frauen sich hinsichtlich der primären Geschlechtsteile genauso schamlos kleiden, wie dies zuvor ausschließlich Männer taten, ist eine gänzlich neue Entwicklung.
Es ist jedoch notwendig, dass diejenigen, die daran übermäßig Anstoß nehmen, erkennen, dass solches Treiben zuvor jahrhundertelang einseitig durch den – höfischen und städtischen - Mann und seinen Aufzug vorbereitet wurde.
Es ist wahr, dass die unschicklichen Männerhosen, die nun auch die Frau trägt, bei ihr ebenso unschicklich sind wie bei ihm. Das liegt aber nicht an der Hose als einer Form des Beinkleides!
Die Hose kann unmöglich „ontologisch“ dem Mann zugeordnet werden – das trifft nicht nur auf die Hose, sondern auf überhaupt kein Kleidungsstück zu und ist kulturgeschichtlicher Unfug.
In der ganzen Welt war nie ein prinzipieller Unterschied zwischen Männer- und Frauenkleidung. Die Hose war auch in Europa ursprünglich keineswegs ausschließlich Männerkleidung und anderswo sowieso nicht. Auch war der Rock bzw. das Kleid nicht der Frau vorbehalten. Das sind Ammenmärchen!

Der Unterschied lag vielmehr in Schnittnuancen, Stoffarten und vor allem Farben und Mustern. Frauen waren und sind bunter und feiner gekleidet als Männer, mit schöneren und zarteren Schmuckstücken und Stickereien versehen, oder sie durften und dürfen aus kultischen Gründen bestimmte Stoffe nicht tragen. In mongolischen Völkern etwa dürfen Frauenhosen aus magischen Gründen nicht aus bestimmten Fellen genäht werden.[8] Manchmal waren und sind es aber nur ganz geringe Details, die den Unterschied zwischen tradierter Männer- und Frauenkleidung ausmachen. Vieles hing und hängt auch mit klimatischen Bedingungen und den überhaupt verfügbaren Materialien zusammen.

Die Hose war schon vor Christus nachweislich fast im ganzen eurasischen Raum verbreitet gewesen, auch in Germanien – bei beiden Geschlechtern. Es trugen aber auch beide Geschlechter Gewänder bzw. Kleider.
Tacitus berichtet, dass sich Frauen- und Männerkleidung nicht unterschieden habe, außer in der Stoffart und der Färbung und dem Schnitt des Brustteils. Aus seinem Bericht geht auch hervor, dass die Hosen und Oberteile der Männer immer aus Leder oder Fell, die der Frauen auch aus Leinen waren. Auch die Trajansäule in Rom zeigt germanische Frauen in Hosen.[9]

In Rom und Griechenland dagegen war die Hose unbekannt. Dort trugen Mann wie Frau ausschließlich Gewänder bzw. die Soldaten kurze Röcke. Die Legionäre sahen nördlich der Alpen, dass dort Hosen getragen wurden und brachten das praktische, vor allem zum Reiten einsetzbare Kleidungsstück als Männerhose mit zurück in den Süden. Das stieß dort allerdings auf offene Ablehnung der Behörden – dem Mann wurde schließlich im 4. Jahrhundert durch ein kaiserliches Dekret das Hosentragen verboten, weil es barbarisch sei.[10] Dennoch setzte sich die Hose in Rom – zunächst für den Mann – durch. Wie lange Frauen im nördlichen weströmischen Raum weiterhin die germanische Hose, die aus Leder war, trugen, bleibt im Dunkeln. Es gibt weder Funde noch Abbildungen noch Texte, die nach der Spätantike darüber aufklären könnten. Im Dunklen bleibt aber auch die Entwicklung der germanischen Männerkleidung im selben Zeitraum. Feststeht nur, dass vor allem im Hochmittelalter erhebliche Umbrüche im Kleidungsstil geschahen, nachdem die Kreuzfahrer zahlreich orientalische Kleidersitten mit nach Europa gebracht hatten, der Mann aber nach wie vor auch Kleider und Röcke trug.[11]
Der Prozess ging über Jahrhunderte hin. Bis ins 18. Jh, teilweise noch ins 19. Jh hinein blieb es für den Mann üblich und würdevoll, Kleider, Gewänder und Röcke zu tragen. Wir sehen dies in einigen Volkstrachten, vor allem aber den Kleidern der Würdenträger, deren Funktionen aus der römischen Tradition stammen. Ein Mönch oder Priester in Hosen wirkt profan und gemessen an seinem Stand unwürdig. Und selbst Juristen stehen bis heute niemals nur in Hosen ohne Obergewand vor dem Volk.
Wir haben ein tief schlummerndes Gefühl dafür, dass das Tragen enger geschnittener Hosen ohne Obergewand auch für den Mann nicht „ontologisch“ angemessen ist!
Die Hose setzte sich dennoch aus praktischen Gründen für den Mann als einzige Kleidung durch. Da der westliche Mann sie zu seinem Statussymbol erhob und die Technisierung zunehmend eine praktische Kleidung erforderte, kamen im 19. Jh auch im Westen wieder nach einer jahrhundertelangen Pause Frauenhosen auf, die zunächst belächelt und abgelehnt wurden – angeblich sei es eine „Geschmacksverirrung“. Diese Hosen waren aber in keiner Weise außergewöhnlich oder neuartig, sondern entsprachen genau der Art von Frauenhosen, die weltweit an vielen Orten und vor allem im Südosten Europas auch unter katholischen Frauen üblich waren. Die Reaktion vieler Zeitgenossen offenbart vor allem deren  Borniertheit. Das Bild der englischen Radfahrerin aus dem 19. Jh zeigt uns einen Frauenhosentypus, wie wir ihn zuvor bei Frauen des Balkans gesehen hatten – nichts Außergewöhnliches also.

Wie sehr die lange, enge Hose für Männer als unschicklich galt, zeigen uns Verordnungen: In Preußen war noch 1789 jedem Regierungsbeamten untersagt, lange Hosen zu tragen, ohne Perücke zu gehen und sich eine Kurzhaarfrisur zu schneiden.[13] Der Grund lag darin, dass lange enge Hosen und Kurzhaarschnitte die Insignien der Revolutionäre waren! Auch hier ist bemerkenswert, dass viele postmoderne Christen die extreme maskuline Kurzhaarfrisur für ein Gebot Gottes halten, obwohl sie außer bei Römern und Griechen in der Antike (nicht aber den Israeliten und Germanen) vor der französischen Revolution nirgends üblich war! Sie ist vielmehr zu christlichen Zeiten ein Ausdruck der Rebellion und des Liberalismus gewesen, und es ist absurd, dass die 68er ausgerechnet zurückgriffen auf die ehedem „konservative“ längere Haartracht der Männer und das kulturelle Gedächtnis der Frommen so kurz war, dass sie diese Absurdität nicht mehr erkennen konnten.

In jedem Fall sollten aber alle, die sich die Meinung unreflektiert als „christlich“ zu eigen gemacht haben, dass Hosen Männer- und Röcke Frauenkleider seien, wissen, dass diese Auffassung eine Auffassung der späten westlichen Neuzeit ist, genaugenommen erst seit der französischen Revolution endgültig zementiert wurde.
Abgesehen davon, dass es sich bei der spätmodernen Verachtung eines Mannes in Kleidern und einer Frau in Hosen fast immer um ein subjektives und hämisches Urteil handelt, möchte ich behaupten, dass die modernen westlichen, mehr oder weniger immer eng geschnittenen Hosen generell aus ästhetischen Gründen unvorteilhaft sind. Die vielen unförmigen und übergewichtigen Männer in den typisch neuzeitlichen Hosen sind eine ebensolche Zumutung für das Auge wie entsprechende Frauen in ähnlichen Hosen! Bierbäuche, die über den Gürtel hängen, hässliche Hinterteile, die allzu deutlich zur Schau gestellt werden, zu kurze Beine bei zu massigen Oberkörpern – was soll daran angemessener sein als bei der Frau? Alleine das umseitige Bild des russischen Gesandten gibt uns nicht nur Auskunft über dessen Unterleib, sondern auch über jedes überflüssige Gramm Fett … er würde in einer weiten Hose oder einem Gewand entschieden würdevoller aussehen.

Würdevoll sind nämlich in der Tat ausschließlich Kleider oder sehr weite Hosen oder auch Tuniken/Kleider, die über engeren Hosen getragen werden wie dies in germanischen Zeiten hier üblich war und bis heute auf dem Balkan, der Türkei, Mittelasien, Persien, Indien oder Südostasien und anderen Ländern in der Tracht beider Geschlechter (Shalwar Kameez (Indien) oder Ao Dai (Vietnam)) üblich war und ist.
Eine enge Männerhose, wie sie sich der europäische Mann seit Jahrhunderten gönnt, ist nirgendwo auf der Welt eine schickliche Männer-Kleidung gewesen – bis der Kolonialismus diese Unsitte auch anderswo hintrug und teilweise von protestantischen Missionaren gegen die schöne und überlieferte Kleidung ausgetauscht wurde, weil letzte angeblich „weiblich“ sei.
Insbesondere die knöchellange,  enge Hose kam überhaupt erst durch die Revolutionäre des 18./19. Jh als Statussymbol auf. Zuerst behördlich verboten wurde sie wenige Jahrzehnte später sogar vom deutschen Kaiser getragen… wobei man denselben doch immer noch im Rock sehen konnte – wir sehen hier Wilhelm II. als Kind mit seinem Vater Friedrich Wilhelm 1863, beide mit Männer-Röcken.
Das zweite Bild zeigt uns Wilhelm II. in der üblichen, ordinären Hose und erntete damals schon den Kommentar: „Das ist kein Bild, sondern eine Kriegserklärung.“[14]

Dieser letzte Satz führt vor Augen, dass man vielleicht natürlicherweise diese viel zu engen Hosen nicht nur als vulgär empfinden muss, sondern auch als aggressiv. Tatsache ist, dass das Empfinden aller Völker sich traditionell mit dieser Art Kleidung, die auch auf Oberhemden, Blusen, Kleider und Röcke übergegangen ist, nicht gemein machen wollte und fast überall sehr weite Schnittformen zur Norm erhoben hatte.



Wir sind inzwischen in einer Lage, in der Mann wie Frau sich in engste Kleidungs-Häute hineinpellen und sich „unförmig“ fühlen, wenn sie weite Sachen tragen, begünstigt durch die technische Erweiterung der Trikot- und Jerseystoffe. Kleidung muss immer mehr komplizierten praktischen Zwecken und der sexuellen Vermarktung genügen. „Outdoor-Kleidung“, „Funktionswäsche“, Miniröcke, tief ausgeschnittene, enge Oberteile und Leggins, superenge Jungemännerhosen, die womöglich noch ständig über das Hinterteil nach unten gleiten und „körpernahe“ maskuline Shirts, die Brust und Schultern betonen und im Gay-Milieu verbreitet sind, sind Trumpf. Man hat den Eindruck, der ganze Westen trägt Radlerkleidung oder Tauchanzüge. Ein gewisses Refugium bietet die Landhausmode, aber aus Dirndln ist, seitdem das Oktoberfest zum allgemeinen deutschen Jugend-Sauf-Treffpunkt geworden ist, ebenso Hurenkleidung geworden wie aus Trachtenhosen. Erstere haben Ausschnitte bis zu „Des Sohnes“, wie der nordbadische katholische Volksmund früher sagen konnte und reichen kaum noch über den Hintern, letztere sind inzwischen eine Art enge „Hotpants“ für Männer geworden.
Hautenge Kleidung suggeriert Macht und die Unbesiegbarkeit und Sprungbereitschaft eines Batman. Schönheit, Anmut und Würde haben keinen Raum mehr. Es geht ums Herrschen oder Sich-Feilbieten. Was heute als „schick“ gilt, war einstmals Turner- oder Workerkleidung, Ausweis der Prostituierten oder des revolutionär-monarchischen Platzhirsches.
Der Siegeszug der blauen Jeanshose ist einem Weltbild geschuldet, in dem jeder und jede als „Arbeiter“, als „Erwerbstätiger“ gesehen wird – allzeit bereit, praktisch und strapazierfähig und dabei auch noch sexy. Sex, Konsum und Arbeit – das ist das Gefängnis, in das man den heutigen Menschen steckt, und die Enge der Kleidung ist ähnlich Symbol für den zusammengeschmolzenen mentalen Spielraum, den er oder sie noch hat, wie man das über die einsperrende, verschleiernde und bewegungsunfrei machende islamische Frauenkleidung sagen kann. Diese beiden Welten liegen sich näher als man denkt.
Man trägt heute die entehrende Kleidung des Sklaven und der Sklavin und/oder des zynischen Ausbeuters bzw. Besitzers zugleich.

Was heißt das für einen Katholiken?
Er oder sie soll anständig gekleidet sein. Mehr nicht und weniger nicht!
Problematisch wird es dann, wenn aus der Anstandfrage eine Ideologie wird und Dinge als Problem betrachtet werden, die objektiv keines sind – wie sichtbare Knöchel, Unterarme, Kopfhaare oder gar Augen.
Wir wissen instinktiv, dass man den Hüft-, Becken- und Oberschenkelbereich niemals zur Schau stellen sollte, weder beim Mann noch bei der Frau! Das löst immer ungute Reize im anderen Geschlecht aus! Auch das sekundäre Merkmal der Brust sollte eine Frau nicht überbetonen, sondern vernünftig bedecken – darüber sind sich alle aufrichtigen Menschen einig. Eine hautenge oder mangelhafte Bekleidung des Oberkörpers löst meistens bei beiden Geschlechtern eine erotische Wirkung aus.
Darüber hinaus aber sollte man den Ball flach halten!
Wer wegen Haarlocken oder Extremitäten in Wallungen gerät, dürfte bereits ein total verschmutztes Empfinden haben und sollte an sich arbeiten.

Prinzipiell steht für mich daher in Frage, ob die überkommene jüngere abendländische Mode wirklich angemessen ist.
Zum einen weil sie gerade beim Mann über sehr viele Jahrhunderte weg anzüglich und ein schlechtes Vorbild war und ist. Die Neigung, für die Männer hautenge Schnitte zu kreieren, hat sich als verhängnisvoll erwiesen und musste unweigerlich nach sich ziehen, dass die Frauen eines Tages dasselbe tun würden – nicht zuletzt, weil die bereits enthemmten Männer das reizvoller fanden…

Zum andern wegen der absurden, mit einer gewissen maskulinen Schamlosigkeit verbundenen, unnatürlichen Geschlechtersegregation in der Kleidung.
Ob nun Männer Röcke und Frauen Hosen tragen – das ist objektiv keine ontologische Frage.
Es ist, wenn man die weltweiten Kleiderordnungen betrachtet, kein bedeutsamer Unterschied zwischen Männer- und Frauenkleidung, es ist vielmehr ein und dasselbe in zwei meist ausgesprochen reizvollen Variationen. Diese natürliche Gestaltung entspricht am besten dem natürlichen Sittengesetz: So ist doch die Erscheinung des Menschen als Mann und Frau die einer Einheit in zwei Geschlechtern und nicht die einer abgründigen Unterschiedenheit, die nichts mehr gemein hat miteinander! Eine übermäßige, künstlich-tabuisierende Unterscheidung ergibt keinen positiven Sinn. Man muss fragen, ob diese ungute Tabuisierung nicht das provoziert hat, was heute die Gemüter erhitzt: die Genderei.
Wohin man sieht auf der natürlich verfassten Welt, entsprechen sich die männlichen und weiblichen Kleiderformen In der Unterschiedlichkeit und schließen sich nicht gegenseitig aus!
Wie konnte das ausgerechnet in der katholischen Welt so „phobisch“ auseinanderdriften, vor allem, da es von Anfang an nicht so war?
Nur im Islam konnte sich an manchen, vor allem den zunehmend ideologischen Orten, eine ähnlich geschlechterentfremdende Kleidung ausbilden, die die Kleidung für die Frau zum Gefängnis und für den Mann zum Machtsymbol machte. Es ist eine offene Frage, ob nicht diese verdächtig übertriebenen und islamähnlichen Kopfbedeckungen für Frauen, die ab dem Hochmittelalter auf europäischen Bildwerken auftauchen, nicht auch ein Souvenir der Kreuzfahrer aus dem Orient waren.[16]
Man darf sich fragen, ob die Segregation der Geschlechter durch jeweilige „Tabu-Kleidungsstücke“ im spätmittelalterlichen und neuzeitlichen Abendland nicht eine krankhafte Entwicklung eingeleitet hat, zumal die vom westeuropäischen Mann ganz für sich beanspruchte Hose von ihm hierzulande ja eben von Anfang an auffallend unanständig getragen wurde und die Frau beschämte und brüskierte.
Die Tatsache, dass die Entwicklung würdeloser Kleidung das Markenzeichen der Europäer ist, des katholischen Abendlandes (!), sollte uns erschüttern.

Warum also nicht Inspiration suchen in der überkommenen, natürlich entstandenen  Kleidung aus aller Welt, um zurückzufinden zu einer gewissen Unbefangenheit?

Was ist all diesen Kleidungen gemeinsam?
Es gibt formal nicht viele Möglichkeiten, als die, den Leib in Oberteile mit angenähten Armen, in Beinkleider in Form von Röcken, Hosen oder Strümpfen zu packen, den Kopf mit Stroh, Filz oder Tuch gegen das Wetter zu schützen oder auch zu schmücken, die Füße in irgendeiner Weise in einen „Strumpf“ oder ein „Haferl“ zu stecken und mit einer Laufsohle auszurüsten.
Der Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt.
Kleidung ist Ersatz für das verlorene übernatürliche Gewand und sollte allein deswegen nicht esoterisch überspannt gedeutet werden.
In weiter und um Schönheit bemühter Kleidung sollte sich die Freiheit ausdrücken, die ein Katholik gewinnen durfte – bei aller Freiheit des persönlichen Geschmacks und der Rücksichtnahme auf individuelle Bedürfnisse und Vorlieben!
Wie immer sich Kleiderformen entwickeln – aber in aller Welt hatte man von jeher Abscheu vor der zu engen Kleidung – nur nicht im weströmischen Bereich!

Kleidung sollte auch denjenigen nicht beschämen, der keine sehr ausgewogene Figur hat. Der indische Sari beispielsweise adelt jede Frau, gleich ob sie dünn oder dick, klein oder groß ist. Auch der Shalwar Kameez stellt keine Frau bloß. Selbst unförmige indische Männer sehen in ihm immer noch würdevoll aus.
Unsere Kleidung stellte und stellt durch ihre Neigung zur Enge dagegen den Unförmigen bloß. Ob das Mieder aus starren Gestängen oder unerbittlichen und erstickenden Schnüren, wie es in Europa für die Frau allgemein und lange Zeit üblich und teilweise sogar vom Mann ebenfalls praktiziert wurde und bis heute in manchen Trachtenstilen zu finden ist, nicht auch eine zutiefst unnatürliche und insofern sittenferne Kleidung ist? Und manches Bild gibt uns einen fast grotesken Einblick in die entstellende Wirkung der Hose für den Mann, lange bevor eine Frau sich das antat – hätte der Herr auf Spitzwegs Bild in einem Gewand nicht angenehmer ausgesehen?



Nur wenige wagen, aus dem „Mainstream“ auszusteigen.

Anstatt aber nun anachronistische Grundsatzdebatten über Hosen und Röcke zu führen, wäre es ein gangbarer Weg, in der Vielfalt, die heute ja glücklicherweise trotz allem mehr möglich ist als je zuvor, gewissermaßen „neue“ katholische Kleidung zu kreieren nach den weiteren und freien Modellen, die es von alters her in der Welt gibt und in keiner Weise den Anstand oder die Sitte verletzen. Niemandem nützt ein Rückfall in die vor allem für Männer zweifelhaften Moden des 19. Jahrhunderts!
Dagegen wäre überhaupt der unbefangene und unideologische Entwurf einer zeitgemäßen und christlichen Kleidung nicht zuletzt eine echte Alternative zu dem penetranten Druck, der durch die Verbreitung der erstickenden „islamischen“ Kleidung auf alle, vornehmlich die Frauen, ausgeübt wird.

Hier wäre also vieles zu bedenken, bevor man sich und andere Menschen in neue fromme Zwänge und Irrtümer stürzt.



[5] http://home.arcor.de/schiller-rs/Homepage/Bilder/Puppe5.gif  - höfische Frauenmode im 18. Jh (8.7.2015)
[7] Hier ein älteres Ehepaar um die Jahrhundertwende 19./20. Jh aus der Balkanfotoserie. Frauen tragen im Prinzip dieselben Pluderhosen wie Männer, dieselben Hemden, Schärpen und Überwürfe. Dennoch ist die Frau deutlich erkennbar als Frau und der Mann als Mann. Jedem sollte auffallen, wieviel Würde dieser Mann in dieser Hose ausstrahlt, wenn man zurückdenkt an den russischen Gesandten in der hautengen Hose… http://www.faz.net/aktuell/stil/mode-design/bilder-einer-vergessenen-zeit-balkan-beads-13630014/viele-portraets-wurden-zu-13630037.html (8.7.2015)
[8] So bei den Tuwinern in Mittelalsien http://www.reller-rezensionen.de/voelker/tuwiner2.htm (8.7.2015): „Typisch für die traditionelle Tracht der Tuwiner (wie für die Mongolen, ihren Nachbarn) ist der "Ton", ein (meist langer) Mantel mit langen Ärmeln, der in der Art des Schnittes bei Männern, Frauen und Kindern ganz ähnlich ist. Wurde der Sommermantel aus "Dalemba" (eine chinesische Stoffart) genäht, so trugen die Tuwiner im Winter diese Mäntel gleichen Schnitts aus Rentierfell. Die Hosen der Männer waren meist aus Schaffell, die der Frauen aus Stoff oder Rentierfell, denn den Frauen war das Tragen von Haustierfellen verboten.“
[9] Tacitus Germania, 17: „Bedeckung ist für alle ein Mantel mit einer Spange oder, wenn sie nicht vorhanden sein sollte, mit einem Dorn zusammengeknüpft: unbedeckt, was das Übrige betrifft, verbringen sie ganze Tage an Herd und Feuer. Die Reichsten unterscheiden sich durch ein Gewand, nicht wallend, wie Sarmaten und Parther, sondern stramm und die einzelnen Gliedmaßen hervorhebend. Sie tragen auch Felle wilder Tiere, die dem Ufer Benachbarten nachlässig, die Entfernteren ausgesuchter, weil ihnen keine Kleidung durch Handel ist. Sie suchen Wild aus und bestreuen die abgezogenen Hüllen mit Flecken und Fellen von Tieren, die der äußere Ozean und das unbekannte Meer hervorbringen. Auch die Frauen haben kein anderes Aussehen als die Männer, abgesehen davon, dass sich die Frauen öfter in Gewänder aus Lein hüllen und diese mit Purpur färben, und den Teil der oberen Tracht nicht in Ärmel verlängern, nackt an Unter- und Oberarmen; aber auch der nächste Teil der Brust ist sichtbar.“  http://www.latein-imperium.de/include.php?path=content&contentid=104 (8.7.2015)
[10] „Römer und Griechen lehnten in der Antike die germanischen und gallischen Beinkleider als unzivilisiert und barbarisch ab. „Die ‚barbarische Hose‘ galt in Rom noch Ende des 4. Jahrhunderts, als sie sich, bei den Soldaten der römischen Legionen beginnend, allmählich durchsetzte, als derart anstößig, dass eine kaiserliche Verfügung das Hosentragen unter Strafe stellte.“ Seit dem ausgehenden Mittelalter ist es eine europäische Entwicklung, dass die Hose zum Statussymbol für den Mann wurde und der Rock für Männer mit Ausnahme des Kilts und Belted Plaids in Schottland und der Fustanella in Griechenland und Albanien unüblich wurde.“ https://de.wikipedia.org/wiki/Hose#cite_ref-4 (8.7.2015)
[11] Hans Prutz (1964): Kulturgeschichte der Kreuzzüge. S. 411 ff
[13] ebenda
[16] Hans Prutz (1964): Kulturgeschichte der Kreuzzüge, S. 411 ff

[17] Carl Spitzweg: Der Sonntagsspaziergang https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/bb/Carl_Spitzweg_036.jpg (8.7.2015)