Wollen wir, dass der
Herr kommt?
Reflexionen über die Monarchie und
die Bitte "Adveniat regnum tuum"
|
Ludwig XIII. von Frankreich - Notre-dame de Paris, Hochalter |
Einleitung:
„Nutzt diese Zeit, denn diese Tage sind böse.“
Der moderne katholische Traditionalismus erscheint auf den
ersten Blick als Widerstand gegen eine tief empfundene Verfremdung des
überlieferten Glaubens, die sich am deutlichsten in der veränderten Liturgie
ausdrückt.
Aber nicht nur das – man reibt sich noch viel mehr daran, dass eine
„gute“ vergangene, politische Wirklichkeit, in der die Ordnungen Gottes
geherrscht hätten, untergegangen sei.
Die wahre katholische Gemeinschaft wird – ähnlich dem Zustand
nach einem Vulkanausbruch – als endgültige, zeitlos erstarrte, scharfkantige
Welt vorgestellt, die doch niemals mehr hätte verändert werden können und
dürfen und bis in Ewigkeit so hätte weiterbestehen sollen. Der Jammer ist groß
über die unverkennbare Tatsache, dass diese statische Vorstellung vor aller Augen
zerplatzt ist und sich nicht wieder hat restaurieren lassen.
Man muss hier gleich zu Beginn fragen, ob eine solch
statische Geschichtsvorstellung denn überhaupt dem, was uns offenbart wurde,
entspricht und nicht vielmehr schon der erste Irrtum der Traditionalisten ist.
Sind wir nicht gemahnt, niemals zu vergessen, dass wir in diesem Leben noch
nicht in seliger Anschauung leben und dieses Äon einem finsteren Ende entgegen
geht?
Bei näherem Hinsehen erweist sich, dass die Unterscheidung
zwischen ewiger Glaubenswahrheit, Vorläufigem und Falschem von Anfang getroffen
werden musste. Das Ewige ist etwas Logisches, nichts „kernlos Prozessuales“,
das Zeitliche ist immer nur untergeordneter Brauch, vorläufige Sitte. Beides zu
definieren, ersteres unwandelbar, letzteres um regionaler, zeitlicher und
politischer Umstände willen wandelbar, obliegt dem Papst und sonst niemandem.
All dies steht aber in diesem Äon unter dem Titel:
„Redimentes tempus, quoniam
dies mali sunt.
- Nutzt die Zeit; denn diese Tage sind
böse.“ (Eph. 5, 16)
Uns ist kein irdisches Reich, in dem die Ordnungen Gottes vollkommen
gelten könnten, verheißen: die Tage hier auf Erden sind kurz und böse.
Es ist dennoch unzweifelhaft und sachlich gut nachweisbar ein
Bruch in der Lehrtradition, in der lex
credendi, und in der Liturgie, der lex
orandi, etabliert worden. Dies begann unter dem ambivalenten Johannes
XXIII. mit dem Initialakt der Konzilseröffnung. Paul VI. demaskierte diesen
Willen zum Bruch dann eindeutig in vielen seiner Äußerungen und vor allem der
radikalen Liturgiereform, stets schleichend, irrlichternd, jede häretische
Aussage wurde sofort wieder überklebt mit einem „traditionellen“ Pflaster, gewissermaßen
den Radar "unterfliegend". Welcher gewiefte Zerstörer ginge auch hin
und verkündete "Obacht – ich widerspreche jetzt förmlich einem
Dogma!"? Gründliche Zerstörung lässt sich Zeit, macht zwei Schritte vor,
einen wieder zurück…
Zuvor hatte es im europäischen Haus seit der Reformation theologische,
philosophische und politische Umbrüche gegeben. Die Päpste des 19. Jh hatten
die Freimaurerei als erklärte Feindin der katholischen Kirche mehrfach dingfest
gemacht. Es stellte sich heraus, dass Kirche und Gesellschaft schon vor 200
Jahren „unterwandert“ waren von Mitgliedern verschiedener Logen. Das kann
andererseits niemand wundern, der das Bündnis von Thron und Altar seit der
Reformation in seiner Eigendynamik nüchtern beurteilt: Nur eine grenzenlose
Naivität konnte glauben, dass die Durchdringung des Throns durch die Kirche
einseitig bliebe…
Viele fromme Kleriker und Laien blendeten aber, nachdem man
einen Feind von außen definiert hatte, befriedigt, einen Schuldigen gefunden zu
haben, aus, dass innerhalb der Kirche, abgesehen von dem immer
glaubensgefährdenden Bündnis von Thron und Altar seit langem häretische Bewegungen wirkten, die
man nicht der Freimaurerei zuordnen kann, und die seit Jahrhunderten ganze
Regionen dominiert und zerstört hatten.
Während die Päpste nüchtern und vorsichtig ihre Worte wogen,
dabei aber den Anspruch der Kirche auf ihre göttliche Mission im Staatswesen
aufrecht erhielten, steigerten sich weite Kreise der Geistlichen und Laien in
eine paranoide Verschwörungsangst hinein, die den päpstlichen Bogen weit
überspannte und distanzierten sich – paradoxerweise im Schulterschluss mit den
inneren, nicht-freimaurerischen Feinden der Kirche - zunehmend vom Lehramt,
entwickelten ihre eigenen Lehren, die im Windschatten der kirchlichen
Alltagsgeschäfte und der chaotischen Vorgänge nach der französischen Revolution,
auf die vordringlich reagiert werden musste, unbeachtet mitschwammen und nach
dem Vaticanum II – neben dem nun durchgebrochenen Modernismus – ebenfalls eine explosive,
unheilvolle und schizophrene "traditionalistische" Dynamik
entwickelten.
Auf dem Vaticanum I kamen einige dieser Irrlehren wie der damalige
„Traditionalismus“ bzw. der Fideismus zwar noch zur Sprache und wurden pauschal
verurteilt, aber eine präzisere Untersuchung musste angesichts des überstürzten
Abbruchs und der komplexen Fragestellung verschoben werden auf bessere Tage,
die seither nicht wieder eintraten. Hauptirrtum des Traditionalismus war schon im
19. Jh und ist bis heute sein zwiespältiges Verhältnis zur Vernunft. Man
errichtet zur ideologischen Bastion des Liberalismus und Modernismus einfach eine
ideologische „Gegenbastion“ des Traditionalismus, die sorgsam die Bildung
insbesondere der Priester überwacht und in engste Grenzen sperrt und die
gezielte Dämonisierung weiblicher Bildung betreibt. Mit den domestizierten Priestern
und den Frauen hat man alle Fäden in der Hand, eine pseudokatholische Sekte zu
etablieren… Der Wunsch der Päpste, die philosophische Methode des heiligen
Thomas von Aquin für hier und heute fruchtbar zu machen, ist leider an vielen
Hindernissen vollkommen gescheitert und bis heute nur rudimentär eingelöst
worden. Das liegt zum einen daran, dass in der postmodernen philosophischen
Überladung niemand zu freien, kühnen Gedanken befähigt scheint. Zum anderen
sorgt das erstickende Klima unter Traditionalisten schon von selbst dafür, dass
innerhalb seiner Kreise niemand allzu kühn denkt…
Wir sind also in einer Lage, in der vonseiten vieler, die
sich selbst für traditionstreu halten oder traditionell katholisch bleiben
wollen, verkannt wird, dass der Traditionalismus nicht der Hort der wahren
Lehre, sondern eine hochgefährliche Ideologie ist, die mit der Lehre der Kirche
nur an der Oberfläche kompatibel ist.
Mit einer gezielten, epigonalen und assoziativen „Mimikri“ zu
einer verklärten Vergangenheit wird der Eindruck erzeugt, hier sei – gruppiert
um das berechtigte Anliegen des Erhalts des überlieferten Messritus – der reine
katholische Glaube gewahrt. Unter diesem Firniss nimmt diese Ideologie aber eine
regelrecht antichristlich-veräußerlichte, dem Islam verwandte Umdeutung der
Glaubenslehre vor.
Thron und
Altar
In dieser Reflexion möchte ich auf eine dieser ideologischen Lehren
und ihre Auswirkungen eingehen:
Es gehört zum Inventar katholischer Traditionalisten verschiedener
Ausrichtung, der festen Überzeugung zu sein, Gottes ewige Ordnungen sähen die
Monarchie – eine möglichst autoritäre, katholische Königsherrschaft - als die
einzige rechtmäßige und nach dem „Sieg“ des Christentums unter Konstantin
„ewige“ Staatsform vor. Und mehr noch: „die“ Monarchie sei das Stützkorsett der
heiligen Mutter Kirche, etwa so, wie man sich den Mann als den Stabilisator und
"Herren" der „schutzbedürftigen“ Frau vorstellte, die aber
letztendlich doch „die Hosen an hat“ und den Mann ohne viel Aufhebens und ohne,
dass er es erfasst, dirigiert. „Thron und Altar“ – ein "Ehepaar", das
Gott zusammengefügt habe und vom Menschen nicht getrennt werden dürfe…
Diese Vorstellung erscheint sinnvoll, solange eine Religion eine
diesseitige Nationalreligion ist und die Verschmelzung einer bestimmten
Religion mit einem bestimmten Volk vorliegt.
Auf eine ganz andere Ebene aber gerät dieses Arrangement,
wenn eine Religion supranational angelegt ist. Jacob Burckhardt weist darauf
hin, dass bei solchen Religionen wesentlich danach zu fragen ist, ob es
Religionen von „Siegern“ (wie der Islam) oder Armenreligionen (wie der
Buddhismus als Aufhebung des Kastenwesens) oder solche sind, die ursprünglich
mit ihrem göttlichen Gründer und König einen radikalen Weg aus der Todesverfangenheit
dieses heillosen Äons hinaus weisen wie das Christentum. Er stellt mit
Befremden fest, dass dieselbe Kirche, die bis zum 4. Jh das religiöse Gewissen
dem Zugriff des Staates bis zum Tod hin entgegensetzte, nun vollkommen
bedenkenlos den Machtanspruch auf die Seelen, den das heidnische römische Reich
erhoben hatte, sich selbst zueignet bzw. an einen bekehrten Kaiser delegiert:
„Dieselbe Religion, deren Sieg ein Triumph des Gewissens über die
Gewalt war, operiert nun auf die Gewissen mit Feuer und Schwert los.“
Burckhardt übersieht, dass die Sachlage verzwickter ist: Die
Kirche samt ihrem Papst besteht als monarchischer „Staat im Staat“ neben dem
„christlichen“ Staat weiterhin und ringt seither um das Verhältnis zum Staat
mit den Staaten, in denen sie sich ausgebreitet hat.
Das Problem liegt in der Frage, ob diese Delegation der
eigenen missionarischen Interessen an den Fürsten bzw. den Staat überhaupt ohne
weiteres gut gehen konnte, wo doch der Fürst naturgemäß sein Recht auf Dominanz
über kurz oder lang einfordern würde… und wie in den zunächst monogamen Ehen
sich dieser bestimmenden Braut durch deren formelle Diskriminierung oder durch
das Hinzunehmen von Mätressen und Nebenfrauen entledigen würde, die und deren
von ihm erzeugten Nachwuchs er der wahren Braut als Stolpersteine in den Weg
stellt…
Solange das Papsttum und die Kirche reine „Gegenwelt“ zum
Reich der Welt darstellten, war das verborgene Königtum Christi anschaulich. Mit
der Verschmelzung des Reiches Christi mit dem der Welt, geriet die Kirche
einerseits ins Zwielicht, andererseits konnte sie effizienter missionieren und
mit Hilfe eines Fürsten einen ganzen Landstrich in Kürze mit dem Evangelium
bekannt machen.
Die häufigen Entgleisungen und Machtmissbräuche der Fürsten
werden von eingefleischten Traditionalisten jedoch tapfer marginalisiert und
kleingeredet, von manchen sogar als „freimaurerische Geschichtsklitterung“
bezeichnet, als hätte es sie niemals gegeben und nicht geben können.
Es ist wahr, dass durch die Bekehrung vieler europäischer
Fürsten, sogar des römischen Kaisers, deren Herrschaftsgebiet christianisiert
wurde und auf diese Weise das „christliche Abendland“ entstand. Einige der
europäischen Monarchen waren zweifellos fromme und ergebene Diener des Herrn.
Sehr viele aber können aufgrund der vorliegenden historischen Quellen kaum als
christliche Vorbilder oder gerechte Regierende und erst recht nicht als
Beschützer der Kirche angesehen werden. In der eigentümlichen Gemengelage
zwischen Staat und Kirche wurde schon früh der Vorwurf, der „Antichrist“ zu
sein, wechselweise dem Kaiser und dem Papst entgegengeschleudert und sorgte für
erbitterten Zwist.
Infolge der märchenhaften Idealisierung der Monarchie als der
Herrschaft eines einzelnen "von Gottes Gnaden" hat sich ein
Mainstream im katholischen Traditionalismus blind dem Glauben an moderne,
möglichst autoritäre Ein-Mann-Herrschaften oder rigide geführte „Ständestaaten“
ergeben, in denen sie eine zeitgemäße Ausgestaltung der gottgewollten
Herrschaftsform zu erblicken glauben, die vor allem die Feinde der Kirche
internieren und die Bürger zum Glauben zwingen müsse.
Man möge mich nicht missverstehen: es gab und gibt diese „äußeren“
Feinde der katholischen Kirche. Sie haben schon lange ihre Absichten laut
kundgetan – seien es die Ideengeber der Reformation, der französischen Revolution,
der Freimaurerei oder des Kommunismus. Daran kann kein Zweifel bestehen. Ob
diese Feinde der Kirche aber tatsächlich so weit entfernt von monarchischen, modernen
autoritären oder faschistischen Konkurrenten des Papsttums stehen, die sich
äußerlich katholisch oder wenigstens unspezifisch „fromm“ geben, wage ich zu
bezweifeln.
Der katholische Traditionalismus ist selbst Bestandteil
dieses kirchenfeindlichen Denkens. Er hat vor lauter Angst vor Verschwörern aus
dem Auge verloren, dass man sich trotz möglicher und wirklicher Verschwörungen
an das halten sollte, was man vernünftig einsehen und auch nachweisen kann.
Allzu leicht landet man in einer paranoiden Verkennung der Wirklichkeit.
Sätze wie die folgenden mögen als Beispiel für eine dieser haarsträubenden
traditionalistischen Deutungen der Geschichte dienen:
„Zu diesem Zeitpunkt (Anfang der 40er Jahre des 20. Jh) war Hitlers
sogenannte ‚Festung Europa’ in überwältigender Weise eine katholische Seite geworden.
Mit der Eingliederung der Deutschen des katholischen Österreich,
Elsaß-Lothringens, des Saarlandes, des Sudetenlandes und des deutsch-besetzten
Polens hatte das Dritte Reich eine enorme katholische Mehrheit, während seine
Verbündeten Italien, die Slowakei, Slowenien und Kroatien gänzlich katholisch
waren, Ungarn im wesentlichen ebenfalls. Das besetzte Frankreich kooperierte
und das katholische Spanien und Portugal zeigten Sympathie. (…) Während die
Achsenmächte ein Verbot der Freimaurerei erließen, wurden in allen öffentlichen
Gebäuden in Frankreich Kruzifixe aufgehängt, wie es in Italien zur Zeit des
vatikanisch-faschistischen Konkordats geschehen war; zugleich wurde das alte
Motto der Französischen Revolution ‚Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit’ auf
den französischen Münzen durch ‚Familie, Vaterland und Arbeit’ ersetzt.“
Offenbar stört es die Autorin nicht, dass in dem Ersatz-Motto
Pétains Gott überhaupt nicht vorkommt, um von Hitlers Feindschaft gerade zur
real existierenden katholischen Kirche erst gar nicht zu reden … Selbst der
verteufelte Immanuel Kant hatte noch Gott an die erste Stelle gesetzt in seinen
drei Postulaten: Gott, Freiheit, Unsterblichkeit…
Erzbischof Lefebvre war von einer Sichtweise der Dinge, wie
das Zitat sie uns vorlegt, nicht weit entfernt, organisierte er doch regelrechte
Wallfahrten an das Grab des Marschalls Pétain, der mit Hitler kollaboriert hatte,
und vom deutschen "Führer" mit den verächtlichen Worten als
Marionette missbraucht wurde, man solle
„die Fiktion einer französischen Regierung
mit Pétain aufrechtzuerhalten. Deshalb solle man Pétain ruhig als eine Art
Gespenst beibehalten und ihn von Zeit zu Zeit etwas von Laval (Pétains
"Vize") aufblasen lassen, wenn er etwas zu sehr zusammensinke“.
Msgr. Lefebvre hatte kein Problem damit, dass Pétain, um eine
„katholische“ Innenpolitik durchzuführen, mit einem Antichristen paktierte und
tausende französischer Zwangsarbeiter zur Versklavung und die jüdische
Bevölkerung zur sicheren Vernichtung an Nazideutschland ablieferte. Er verehrte
ihn wie einen Glaubenshelden, den er sogar um Fürsprache anrief.
Es ist gerade dieser Irrsinn, dass der Traditionalismus Hilfe beim Satan suchte
und sucht, um seine "frommen" Interessen durchzusetzen, die einen
heutigen Menschen vollends zur Verzweiflung und viele zum Glaubensabfall treibt.
In Msgr. Lefebvres Verurteilung laizistischer Staaten (die
man mit sauberen Argumenten natürlich vornehmen kann!) wird die flache und
verwaschene Denkweise sichtbar, die dem Traditionalismus eigen ist:
„Die Laizität ist der öffentliche Atheismus und das ist eine schwere
Sünde. Der Atheismus beruht auf der Erklärung der Menschenrechte. Die Staaten,
die sich seither zu diesem offiziellen Atheismus bekennen, befinden sich in
einem Zustand dauernder Todsünde. Sie legalisieren die Sünde, da sie das göttliche
Gesetz zurückgewiesen haben. Gesetze werden erlassen, die dem göttlichen Gesetz
widersprechen. Millionen von Seelen werden dadurch in einen Zustand dauernder
schwerer Sünde versetzt!
Anstößig ist in laizistischen Staatsmodellen der ungeschminkte
und rohe Anspruch des Staates, die Religion müsse sich dem Staat unterordnen.
Ob der so verstandene „öffentliche
Atheismus“ (also die Neutralität des Staates in Religionsfragen v.a. wenn
mehrere verschiedene Religionen berücksichtigt werden müssen) als „schwere Sünde“ angesehen werden kann,
ist eine schwierige Frage, da ein Staat, selbst wenn man ihn als juristische
Person versteht, an sich ja nicht „sündigen“ kann. Nur einzelne, natürliche
Personen können sündigen. Erzbischof Lefebvre argumentiert aber so, als könnten
Kollektive ohne konkretes Tun der reinen Potenz oder rechtlich intendierten
Absicht nach schwer sündigen. In laizistischen Staaten wurden allerdings sehr
wohl Konkordate mit der Kirche geschlossen oder sogar Staatsreligionen
definiert. Nur im Extremfall verlangt ein laizistischer Staat die vollständige
Privatisierung der Religion und schließt damit den Kreis wieder zu den alten
Monarchien und autoritären Führer-Staaten: Sie ähnelt darin religiösen Staaten,
die alle außer der eigenen Religion total privatisieren,
aufs Haar. Zur Selbstrechtfertigung bleibt die Ansicht, man müsse so handeln,
weil es für die Seelen und für den Willen Gottes das beste sei. Im Ergebnis
konkurrieren nun viele mit je verschiedenen ideologischen Ansichten vom wahren
Leben um die Macht im Staat – und jede hält sich selbst für die beste und
wahrste… eine Pattsituation, die sich nicht lösen lässt. Der Versuch der
gewaltsamen Lösung ist Kennzeichen der modernen Weltlage. Guerillatruppen
unterwandern ungeliebte Staaten und deren ideologische Ausrichtung, versuchen
zu putschen oder zu revolutionieren, und kaum sind sie an der Macht, werden sie
wiederum von den alten Regierungen und ihren Fortsetzungen und Helfern in aller
Welt unterwandert…
Es basiert daher nicht der „Atheismus“ auf der „Erklärung
der Menschenrechte“, sondern die Meinung, man könne einen weltanschaulich
neutralen Staat führen, basiert auf der „neutralen“ Formulierung dessen, was
dem Menschen an Würde und Rechten zukommen müsse. Ein weiteres Mal weiß ich
nicht, wie ein „Staat“ sich in dauernder Todsünde befinden kann. Der Staat kann
ja – um es etwas zu karikieren - nicht bereuen und in den Beichtstuhl gehen… Ob
ein Staat Sündhaftes legalisiert, muss im Einzelfall konkretisiert und
nachgewiesen werden. Durch das bloße Gesetz wird noch niemand in den Stand der
Todsünde „versetzt“. Man kann sagen,
dass durch bestimmte Gesetze die Möglichkeit zu sündigen wesentlich erleichtert
und bagatellisiert wird. Das ist beispielsweise bei der legalisierten
Abtreibung der Fall. Dennoch muss ein Mensch selbst gesündigt haben – es ist philosophisch
absurd, davon zu reden, „Millionen“
seien durch die Existenz der bloßen Möglichkeit zu sündigen, „in einen Zustand dauernder schwerer Sünde
versetzt“ worden.
So formuliert schießt der Erzbischof also weit über die katholische
Lehre hinaus, die das aktive, überhaupt sündenbewusste und willentliche persönliche
Tun voraussetzt, bevor sie von einer Sünde redet. Erzbischof Lefebvre operiert
hier vermutlich rhetorisch und will seine Zuhörer einerseits über die Angst zu
sündigen in seinem Gefolge halten, andererseits brave Katholiken in Erregung
gegen die Staatsform Frankreichs bringen.
Dass es ganz so einfach nicht ist, zeigt die Geschichte. Nicht
nur perverse sexuelle Enthemmungen und Abtreibung sind „himmelschreiende
Sünden“, sondern auch ungerechte soziale Verhältnisse und die ungerechte Unterdrückung
bestimmter Gruppen „ohne Lobby“ zählen zu ihnen. Was letztere beiden Themen
anbetrifft, sind Traditionalisten vergleichsweise fühllos.
Der Erzbischof ignoriert, dass die modernen himmelschreienden
Sünden im Bereich der Sexualität und des Mordes früher ganz besonders häufig
bei Hofe und in der wohlhabenden Schicht ausgelebt wurden, dass die
himmelschreiende Ausbeutung der Untertanen ebenfalls von den „Obrigkeiten“
ausging, und von dieser häufigen, allgemeinen höfischen Sittenlosigkeit auch
die Hemmungslosigkeit des Volkes ihren Ausgangspunkt nahm. In Frankreich lag
der Trennung von Staat und Kirche nicht nur die Freimaurerei mit ihren
Bestrebungen, sondern der jahrelange Machtmissbrauch des Königs und der
Aristokratie, am Ende dann die Dreyfus-Affaire zugrunde, in der sich royalistische,
katholisch-antisemitische Kreise nicht als Liebhaber der Wahrheit erwiesen
hatten. Hannah Arendt spricht vom „cerebralen Katholizismus“, der „Macht ohne
Glaube“ erzwingen wollte und nichts mit dem Wunsch nach echter religiöser
Erneuerung zu tun gehabt habe.
Ähnlich charakterisierte Jacob Burckhardt diesen reaktionär-politischen
Katholizismus zur Zeit des Vaticanum I:
„Indem nun für die Fortdauer der Orthodoxie (Anm.: der
Rechtgläubigkeit) nur noch rein polizeilich gesorgt wird, während sie den
Mächtigen innerlich gleichgültig wird, kann man von demjenigen Institut,
welches äußerlich weiter regiert, im Zweifel sein, ob es überhaupt noch eine
Religion repräsentiere (…) die eigentliche Andacht aber ist in strengere Orden,
zu Mystikern und einzelnen Predigern geflüchtet (…) Heiß klammert sie sich an
die Vergangenheit in Macht und Besitz an (…) und das alles besitzt sie eigentlich
nur zum geringen Teile für sich und ihre geistlichen Zwecke, zum größeren nur
für diejenigen Mächtigen, die sich ihr aufgedrängt haben.“
Es ist hier unmöglich, die vielschichtigen
Auseinandersetzungen aufzurollen, aber eines ist deutlich: Die Frontlinien
verlaufen in jedem Fall sehr viel komplizierter, und das Lehramt hat sich
niemals zu solch platten und tendenziösen Aussagen verstiegen, wie sie der
Erzbischof vornahm. All zu gut wusste jeder Papst um die Gefahr, die dem Pakt
der reinen Braut Christi mit den finsteren Machenschaften des Fürsten der Welt
innewohnt: Nur wenige Atemzüge trennen ihre Jungfräulichkeit von der Hurerei.
Es erstaunt nicht, dass eine Prophetin des 17. Jh voraussah,
wie es im 20. Jh „keine einzige
jungfräuliche Seele mehr auf Erden geben wird“.
Gründe für
den traditionalistischen Monarchismus
Auf der Suche nach einer Begründung des traditionalistischen
Monarchismus entdecke ich mehrere Motive:
1. Die Königsherrschaft
Christi
Sie ist noch verborgen. Wir gehen durch das
"Erdental" der zukünftigen, unumschränkten Herrschaft Jesu Christi entgegen.
Von Anfang an ist dies bezeugt in der Rede vom messianischen „Sohn David“, des rex Judaeorum, des „Königs der Juden“
und in der Aussicht auf Ihn als den richtenden Weltenherrscher, den Pantokrator. Pius XI. hat 1925 in der
Enzyklika Quas primas und der
Einführung des Hochfestes „Christus, König der Welt“ (Sollemnitas Domini Nostri
Iesu Christi Universorum Regis) nach dem 1. Weltkrieg diese
verborgene Herrschaft „proklamiert“, die schon mitten unter uns wirkt und ihrer
künftigen Entschleierung zustrebt.
Die Kirche fordert von jedem Staat, gleich welche Form er
hat, dass er die göttlichen Rechte einhält und die Ansprüche der Kirche in
dieser Angelegenheit fördert.
Die Gestalt des Christkönigs steht andererseits in scharfer
Spannung zu dem, was die Welt unter einem irdischen Imperium versteht. Was das
genau heißt, soll später weiter bedacht werden.
2. Das irdische Reich als "Verzögerer" des Bösen und der Wiederkunft Christi
Der „Katechon“,
von dem der heilige Paulus im 2. Thessalonicherbrief spricht, der die
Erscheinung des homo iniquitatis, des „Menschen der Sünde“, der der
Wiederkunft Jesu Christi unmittelbar vorangehe, noch aufhalte, sei „die
Monarchie“. Genauer gesagt: der „Katechon“ sei „das Reich“, das irdische Imperium Romanum, in dem die Herrschaft
Christi sichtbar werde und das mysterium
iniquitatis, das „Geheimnis des Bösen“, bremse und drossle.
Diese Lehre geht zurück auf Tertullian und den hl. Hieronymus
und wurde im 20. Jh durch den umstrittenen Rechtsphilosophen Carl Schmitt
wieder in Erinnerung gerufen.
Der unbedingte und zähe, jede andere gläubige Intention dominierende Wille, mit
dem aktiven und selbst gesetzten Aufhalten des homo iniquitatis auch die Wiederkunft Christi hinauszuzögern, weist
eine paradoxe Feindschaft zum Herrn auf, der nach dem Endkampf mit dem
Widersacher einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen wird. Im 2.
Thessalonicherbrief ist keine Rede davon, dass es unsere Aufgabe wäre, zu
wissen, wer oder was und wie lange man das mysterium
iniquitatis aufhalten müsse … An uns ist es, um das Kommen des wahren
Reiches zu bitten, also nicht zuviel Hoffnung auf irdische Reiche zu setzen: Adveniat regnum tuum! Wir meinen der
Lehre nach damit das Reich, in dem Christus nach einem heilsgeschichtlichen
Plan, der uns grob bekannt gemacht wurde, endlich der verherrlichte und im
ganzen Universum sichtbare Herrscher sein wird, vor dem jede Kreatur ihr Knie
beugen wird. Diese unumschränkte Herrschaft Christi folgt auf das Äon, in dem
wir leben, kann jetzt folglich nicht vor der Zeit vom Menschen "geschaffen
werden". Die Schreiben „Quas Primas“
oder „Ubi arcano Dei consilio“ von
Pius XI. betonen zwar zu Recht, dass nur die Anerkennung Christi als König der
ganzen Welt den verloren gegangenen Frieden schaffen kann. So sehr jeder Christ
das berühmte „Apfelbäumchen“ pflanzen soll, so sehr muss er aber auch wissen,
dass diese Weltzeit einem Ende entgegen geht und man diese Tatsache nicht
verschlafen darf durch die vollständige Fixierung auf die Stellung der Kirche
im Diesseits.
Jedes Ding hat seine Zeit, vielleicht auch ein einmal
angenommener Schulterschluss von Thron und Altar. Es gab einige monarchische
Leuchttürme wie den hl. Stefan von Ungarn, oder den tapferen „Türkenlouis“,
Ludwig Wilhelm von Baden-Baden, oder seine besonnene und souveräne Witwe, die fromme
Markgräfin Sibylla Augusta, um einmal drei zu nennen. Das alles ist vorläufig
und unvollkommen, nur ein schwacher Abdruck dessen, was einst sein wird – wenn
überhaupt. Die irdische, verborgene Königherrschaft Christi ist gekreuzigt
worden. Sein Programm für die Zwischenzeit, bis er wiederkommt, ist nicht die
politische Verwirklichung seiner Herrschaft um jeden Preis zu erzwingen,
sondern bis ans Ende dieselbe Verfolgung zu erleiden, die er selbst erduldet
hat. Pius XI. verschweigt auch dies bei aller Zugewandtheit zum irdischen Leben
nicht:
„Doch ist diese
Herrschaft vor allem geistiger Natur und betrifft die geistigen Belange. Das
zeigen sehr deutlich die oben angeführten Stellen aus der Heiligen Schrift, das
beweist auch Christus der Herr selbst durch die Art und Weise seines Handelns.
Zu wiederholten Malen hören wir von den Juden, ja von den Jüngern selbst die
irrtümliche Meinung, der Messias werde dem Volke wieder zur Freiheit verhelfen
und das Reich Israel wieder aufrichten. Christus zerschlug diese Einbildung und
verachtete dieses Hoffen. Als das von Bewunderung ergriffene Volk ihn zum König
ausrufen wollte, da lehnte er sowohl Titel als Ehre ab, indem er floh und sich
verbarg. Dem römischen Landpfleger erklärte er, sein Reich sei nicht von dieser
Welt. Dieses Reich wird in den Evangelien dahin umschrieben, daß die Menschen
ihren Eintritt in dasselbe durch Buße vorbereiten sollen, daß sie aber in
dasselbe nur durch den Glauben eingehen können und durch die Taufe, die zwar
eine äußere Handlung ist, aber dennoch die innere Wiedergeburt anzeigt und
bewirkt. Dieses Reich ist einzig dem Reiche Satans und der Macht der Finsternis
entgegengesetzt. Es verlangt von seinen Anhängern nicht nur, daß ihr Herz sich
löse von irdischen Reichtümern und Gütern, daß sie Milde walten lassen, daß sie
hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, sondern auch daß sie sich selbst
verleugnen und ihr Kreuz auf sich nehmen.“
Die verzweifelte traditionalistische Fixierung auf das politische
„Imperium“ als den (angeblichen) „Katechon“ erliegt in gewisser Weise
genauso einem immanentistischen Denken, dem sowohl die Juden als auch der Modernismus erlagen. Er setzt nur
umgekehrte politische Vorzeichen und verweigert die radikale Blickrichtung auf
den gekreuzigten Heiland, der uns doch in so vielen alten Kirchen schon am
Eingangsportal empfängt und still mahnt an unsere Rolle im Heilsgeschehen.
3. Die politische "Reaktion" des 19. Jahrhunderts
Politische „Reaktionäre“ (wie sie sich selbst bezeichnen) wie
z.B. Juan Donoso Cortés, haben nach der tiefen Erschütterung der alten
politischen Ordnungen Europas nach 1789 den Aufstieg laizistischer Staatengebilde
prinzipiell als illegitim, als eine Verneinung der gottgegebenen Ordnungen angesehen.
Seine Beobachtungen treffen in vielem zu. Problematisch ist aber seine Folgerung,
die „Diktatur des Dolches“ (der Plutokratie) müsse durch die „Diktatur des
Säbels“ (durch eine katholische Aristokratie) bekämpft werden. Dem steht
mahnend die Aussage Jesu entgegen, dass seine Getreuen nicht um ihn mit dem Schwert
gekämpft haben, weil sein Reich nicht von dieser Welt sei und der, der das
Schwert erhebe, durch das Schwert umkomme (s.u.). Die gewalttätige Gesinnung
dieser traditionalistischen Reaktionäre dürfte der letzte Ausschlag dafür sein,
dass die Kirche dem Modernismus nur noch konservativen menschlichen Wahn
entgegensetzen konnte und damit alles verlor.
Ganz gewiss ist der Zusammenbruch eines einmal erreichten
christlichen Gemeinwesens zu beklagen, aber ein „Anrecht“ darauf kann man
schwerlich gewaltsam einfordern, wenn die Menschen absolut nicht wollen und vor
allem die Obrigkeiten und weite Teile des katholischen Volkes zuvor so viel
Unrecht getan haben, dass ein Aufstand gegen sie auch als Gericht betrachtet
werden kann und sogar betrachtet werden muss, wie später noch zu zeigen ist… Es
wäre notwendig gewesen, Buße zu tun, so wie Pius XI. es andeutete (s.o) - durch
die Verwucherung von Thron und Altar, schamlose Sündhaftigkeit und politische
Ränke und Machtgier ist vieles innerhalb der alten Ordnungen außer Rand und
Band geraten… Es ist ungerecht, diese Eskalationen von traditionalistischer
Seite als selbstverständliches Recht der kirchlichen und weltlichen Obrigkeit abzutun
(das sie aus katholischer Sicht niemals haben können!) und andererseits die
Resignation und Verbitterung vieler Menschen darüber einseitig zu verteufeln.
Immerhin kennt die Heilige Schrift kein ewiges Anrecht auf ein Königtum. Wer
ungerecht herrscht, wird von Gott selbst verworfen. Das gesamte Alte Testament
ist dafür ein mahnendes Lehrstück.
Taub und blind blieben „reaktionäre“ Traditionalisten
gegenüber dem Aufstieg artifizieller moderner „Monarchien“ und Führerkulte,
selbst dann, wenn dieselben weder eine gottgegebene Grundlage hatten, noch katholisch
waren oder schwere Verbrechen verübten (s.o.). Rechtmäßig erschien ihnen alles,
was politisch „restaurativ“ und nicht "liberal" war, auch wenn es
Unrecht tat.
Diese "Mainstream-Traditionalisten" haben sich lange
vor dem Vaticanum II selbst über das Lehramt gesetzt und sind dem Papst in
seinen politischen Entscheidungen nicht vorbehaltlos gehorsam gewesen. Sie
schufen eine ungesunde Mischung aus Traditionsversatzstücken, selbstbestimmten
Teilgehorsam und eigenen politischen Lehren und nutzten die zunehmende
Schwächung des Papsttums dafür aus, sich selbst als Korrektoren oder wenigstens
als „wahre Deutungsbeauftragte“ des Lehramts zu sehen. Man könnte – so
betrachtet - die traditionalistische Haltung für eine Funktion der
freimaurerischen Unterwanderung halten… Mary Ball Martinez behauptet in ihrem
Buch, sogar Pius IX. sei Mitglied einer Loge gewesen und habe anfänglich in
deren Interesse gehandelt, spricht damit also auch dem rechtgläubigen Papsttum das
Misstrauen aus und zieht sich auf eine Position zurück, die eigenmächtig
entscheiden will, was ihr recht und traditionell dünkt, wenn eine päpstliche
Entscheidung ihr politisch nicht passt – und dies bereits für das frühe 19. Jh.
Leider belegt die Autorin kein einziges ihrer zahlreichenZitate
und erst recht nicht ihre noch
zahlreicheren Behauptungen, was sie im Nachwort damit begründet, ein
ordentlicher Anmerkungsapparat hätte zu viel Platz weggenommen, und man könne
ihr einfach glauben.
Es ist die Frage, auf welche Kreise die Päpste im 19. Jh wirklich
bauen konnten. Die für die Wandelbarkeit vieler äußerlicher Dinge, andererseits
für Buße, Rosenkranzgebet und Marienverehrung aufgeschlossene Haltung Leo XIII.
konnte sich in diesem Getümmel nicht leicht durchsetzen. Aus den Worten Pius
XI. geht hervor, dass selbst für fromme katholische Männer kaum eine Chance
bestand, auf die bislang unbekannten Erfordernisse der Moderne gerecht und
vernünftig zu reagieren, als Leo XIII. seine berühmte Sozialenzyklika "Rerum novarum" (1891)
veröffentlichte:
"Indes - so armselig ist nun einmal der Geistesflug selbst hochstehender
Menschen - von den einen erfuhren sie (um eine angemessene Lösung für hier und
heute bemühte Katholiken) als gefährliche Neuerer scharfe Ablehnung, von der
anderen Seite fielen ihnen Mitarbeiter am gleichen edlen Werk. (sic!) Deren
Ansichten und Pläne aber in anderer Richtung gingen, hindernd in den Arm, so
daß sie in dem Widerstreit der Meinungen schließlich nicht mehr wußten, welchen
Weg sie einschlagen sollten. (…)
In der Tat fand die hochherzige und
hochsinnige Lehre des Papstes, die für die Welt etwas Unerhörtes war, auch bei
Katholiken hier und da eine zweideutige und vereinzelt sogar eine ablehnende
Aufnahme. In zu kühnem Ansturm hat Leo XIII. die Götzen des Liberalismus
gestürzt, zu rücksichtslos mit eingerosteten Vorurteilen aufgeräumt, zu
unverhofft zukünftige Entwicklungen vorweggenommen. Da mußten doch die
Saumseligen ihre Herzen gegen die Aufnahme einer so unerhört neuen Sozialphilosophie
sperren und die zaghaften Gemüter vor dem Aufstieg zu so schwindelnder Höhe
zurückschrecken. Ja, nicht einmal solche fehlten, die die strahlende Lichtfülle
zwar bewunderten, aber das Ganze nur als ein traumhaftes Wunschbild ansahen,
das sich niemals in die Wirklichkeit überführen lasse."
Anders und deutlicher gesagt: schon lange vor dem Vaticanum
II erlaubte sich der Unwillige, gleich wo er geistig verortet war, den
Ungehorsam gegenüber dem, was ihm persönlich nicht schmeckte, und dies nicht
nur bei den Liberalen.
4. Der König ist am Kreuz erhöht?!
Der am Kreuz erhöhte rex Judaeorum, der stille und
geheimnisvolle „König der Juden“, der „Erbe des Alls“, Jesus Christus, der sich
wie ein Schaf zur Schlachtbank führen ließ, der aufgefahren ist in den Himmel
und uns dort eine Stätte bereitet, ist nicht nur bei den Charismatikern,
sondern auch bei den Traditionalisten zu einer Fantasy-Superhero-Gestalt
geworden, zum „starken Mann“, der auf Erden mit Macht regieren müsse. Man will
Seine Herrschaft vor der Zeit schauen, ist nicht bereit, die Heilsgeschichte
und die prophezeite Finsternis am Ende der Zeiten auszuhalten, will bereits
jetzt schon in seliger Anschauung leben, verkennt darüber sündhafte Zustände
und verweigert den Glauben an die zukünftige Stadt, der den wahren Jünger Jesu
auszeichnen sollte:
„Denn wir haben hier keine
Stadt, die bestehen bleibt, sondern wir suchen die künftige.“ (Hebr. 13, 14)
Je mehr sich Traditionalisten in diesen wirren Kampflinien
verfingen, desto mehr irrten sie vom Weg ab, erlagen zunehmend dem “cerebralem
Katholizismus“, dieser so treffenden, ironischen Benennung des Phänomens durch
Hannah Arendt, und vergaßen, welches Wesens das Reich Jesu Christi war und ist
und huldigten – wie Erzbischof Lefebvre ohne Not und Vorsicht - fragwürdigen
Generälen und „Führern“, die sich im Rahmen dieser „reaktionären“
Veräußerlichung formal katholisch gaben, noch ein wenig mit den Requisiten der
alten Monarchien Europas spielten und nicht die Herzen zurückerobern, sondern um
jeden Preis mit eiserner Faust ultrakonservative
Politik machen wollten.
Alle diese Regime fielen bald (in der ersten Hälfte des 20. Jh) entweder Hitler
zu (Vichy, der österreichische Ständestaat, der italienische Faschismus), oder
sie verbitterten ihre Untertanen so sehr, dass sie irgendwann mit berechtigten
Anklagen und einem üblen Geschmack auf der Zunge abgeworfen wurden (Franco, teilweise
auch das Salazar-Regime in Portugal, südamerikanische Diktaturen).
In der nachkonziliaren Kirche ließ man dagegen die Würde des regnum Christi in der stolpernden Umnachtung
des „wandernden Gottesvolkes“ zugunsten
eines charismatisch wiedererstandenen „glanzvollen“ Zombie-Papsttums untergehen
und verschloss so von der anderen Seite her den Zugang zu diesem regnum meum, von dem Jesus vor Pilatus
sprach, indem die Gläubigen in der historisierenden
Willkür unendlicher Metamorphosen unter dem Titel „semper reformanda“ zurückgelassen wurden.
In der dogmatischen Konstitution Lumen Gentium des Vaticanum II wurde die Gottesmutter zur Feuersäule
erklärt, die dem wandernden Volk – wie einst in der Wüste Sinai den im Kreise herumirrenden
Israeliten – „als Zeichen der sicheren
Hoffnung und des Trostes“
vorangehe, was ihrer Ausweisung aus der Kirche gleichkam. Ebenso kann man den
1964 mit der Veröffentlichung der Konstitution Lumen gentium zugleich verkündeten Titel für die Gottesmutter als
„Mutter der Kirche“ durch Paul VI. einordnen: war sie bislang die Mutter des
Herrn und aller Gläubigen, selbst Tochter des Vaters und Braut des heiligen
Geistes, wurde sie unter mehrfacher negativer Betonung ihrer Niederrangigkeit
gegenüber dem einzigen Mittler Jesus Christus, so, als sei dies von der Kirche
bedenklich falsch tradiert worden, nun außerhalb der Kirche gestellt als die
absurde … Mutter der Braut Christi … nicht mehr als Mutter vieler einzelner Kinder
und reines Urbild der Kirche, als die
Braut und Kirche selbst.
Ihre Stelle usurpierte das erwähnte hochfahrende,
charismatische Papsttum, das das vormalige Lehramt, dessen Inhaber als famulus des Herrn bezeichnet wurde und
der Gottesmutter immer zuvorkommend die Tür aufgehalten hatte, vollständig transformierte.
Paradoxerweise hängen auch die Lefebvristen und alle ihre
Fortsetzungen diesem charismatisch verstandenen „ewigen Rom“ an, als wäre es
vollkommen gleich, ob sich auf dem Stuhl Petri ein Leugner der katholischen
Wahrheit lagert oder ein famulus Domini.
Aus ihrer Sicht wird selbst der Häretiker in seinem Glaubensabfall durch den charismatischen
Charakter seines Amtes geadelt. Er ist und bleibt der „Heilige Vater“, alleine
deswegen, weil er es geschafft hat, auf dem Stuhl Petri zu sitzen und angeblich
niemand ihn dort „richten“ dürfe, also niemand seine offenkundigen Häresien als
solche bezeichnen dürfe, ja: überhaupt erkennen könne…
Die traditionelle Überzeugung, dass die Betrachtung des
unbefleckten Herzens Mariens ein sicheres Wissen für das Häretische wach hält
und wir nur durch den kompromisslosen Rückhalt im unbefleckten Herzen der
Gottesmutter vor Irrtümern beschützt bleiben, hat man dort offenbar vollkommen
aufgegeben. Es fragt sich, was man sich von der noch in Resten vorhandenen
Marienfrömmigkeit für die Herzen der Gläubigen noch erwartet, wenn nicht ein
solch handfestes und überlebensnotwendiges Ergebnis im Unterscheiden der
Geister…
Die charismatisch-übersteigerte Auffassung des Papsttums samt
dem undifferenzierten Monarchismus sind eine Absage an die notwendige
Glaubensvernunft, die Nüchternheit im Glauben, den sensus fidei, der jedem Gläubigen prinzipiell in der Geistesgabe
der discretio spirituum geschenkt werden
kann. Wäre tatsächlich außer einem anderen Papst niemand befähigt, eine Häresie
zu erkennen, müsste man sich fragen, wozu die Kirche seit 2000 Jahren mit
immenser Anstrengung zur sicheren Orientierung aller Gläubigen eigentlich die
Definition von Dogmen und Irrlehren vorgenommen hat… und sie hat sie doch aus
dem reinen Herzen Mariens geschöpft, diesem menschlichen Geist, der ohne jede
Anfälligkeit für den Irrtum ist…
So wahr es ist, dass die Sakramente ex opere operato wirken, also nicht von der persönlichen Würde des
Spenders abhängen, so wahr ist andererseits, dass dies ausschließlich für die
Sakramente gilt. Weder das Papsttum noch das Königtum sind jedoch Sakramente, und
die Irrlehre, ein Papst müsse qua Amt zwingend – selbst wenn er mit vollem
Willen und Bewusstsein das Gegenteil anstrebt – das vor Gott Rechte tun und
vertreten, ist eines der verheerendsten Missverständnisse unserer Zeit. Die
Rückseite dieses Irrtums bedeutet nämlich, dass man das Papsttums eigentlich
nicht braucht, wenn es gleich ist, ob ein Irrlehrer dieses Amt innehat oder ein
Rechtgläubiger. Unter solchen „Päpsten“ macht jeder, was ihm beliebt, auch und
vor allem die Traditionalisten, die sogar Bischöfe gegen den Willen des
„Heiligen Vaters“ weihen, und genau dies ist unsere derzeitige Lage.
Eine
Überlegung Reinhold Schneiders
Voranstellen will ich meinen nun folgenden vertiefenden Gedanken
eine Tagebucheintragung Reinhold Schneiders, die zwar diesen irrtümlichen
Vergleich von sakramentalen Weihen mit nicht-sakramentalen Inthronisationen
enthält, davon abgesehen aber sehr bedenkenswert ist:
„Gegen die Vergötzung des Blutes wollte mein
Buch über die Hohenzollern die tragische Forderung der Krone, das in ihr
beschlossene Opfer stellen (…) Es sollte ein Aufruf zur Monarchie sein in
letzter, wahrscheinlich schon zu später Stunde: ich schloß es am 5. März 33,
dem Propagandafest der erwachenden Nation. (…) heute sehe ich, dass die
Monarchie wahrscheinlich zum Militärstaat geworden und damit der Gefahr, den
Krieg heraufzurufen, kaum entgangen wäre. (…) Ich habe meine monarchische
Gesinnung niemals aufgegeben; sie ist später durch meine Wende zum Glauben nur
vertieft, ja erst begründet worden, und es ist mir sehr schwer verständlich,
dass Christen, die an das Weltkönigtum Christi glauben, die eigens das
Königsfest Christi feiern, das Königtum von Gottes Gnaden als Bild und Zeichen
ewigen Königtums nicht verstehen; dass sie das Amt am Amtsträger messen,
während sie doch nicht daran denken, die Gültigkeit des Sakraments von seinem
Spender abhängig zu machen. Und während sie doch glauben – und das ganz mit
Recht - , dass der Mönch, der Priester umgeschmolzen werden von der Weihe,
sehen sie die umformende Macht des geweihten irdischen Amtes nicht, die doch
als geschichtliche Tatsache nicht angezweifelt werden kann, wenn sie auch
freilich oftmals ausblieb. Ich habe einen großen Teil meiner Lebensarbeit auf
die Krone gerichtet in der Absicht, an ihrer inneren Wiederherstellung
mitzuarbeiten, die geistigen und religiösen Voraussetzungen zu schaffen, ohne
die sie nie erhoben werden darf. Aber über dem abgründigen Bruch
geschichtlichen Lebens, der im Jahr 33 aufzuklaffen begann und nach zwölf
Jahren vollzogen war, habe ich nur meine Gesinnung getragen, nicht meine Hoffnung und
Absichten. Lieben kann ich nur die Krone, die ins Metaphysische weisende
Ordnung, und eben weil ich sie liebe als verpflichtendes Bild und Gleichnis,
als Symbol des Opfers und seiner Herrschaft, als Weihe der Macht und Einheit
von Macht und Liebe, kann ich nicht wünschen, dass sie in das Klima, in dem wir
atmen müssen und wahrscheinlich untergehen, getragen werde. Es würde dann das
Wunder geschehen, dass Gold verrostet; würde ein König geboren, so müsste er
verkümmern wie ein edles Tier in Gefangenschaft. Echtes Königtum ist Antwort an
(…den) Wunsch nach Erhöhung der Familie, nach der Krone auf dem Haupte der Frau
und Mutter und nach ihrer Gegenwart in der Mitte geschichtlichen Daseins.
Weniges ist so bezeichnend für die zwölf Jahre wie die völlige Abwesenheit der
Frau; denn wo immer sie anwesend war, da war sie abwesend als Frau. Im
eigentlich Geschichtlichen fehlte sie durchaus: sie hat sich auf die Seite des
Mannes geflüchtet, weil sie nicht wagte zu sein, was sie sein soll. Zugleich
vergötzte sie paradoxerweise gerade den Mann, der das nicht war. Ich weiß
nicht, ob sie heute da ist. (…) Aber nach den Erfahrungen meines Lebens ist das
deutsche Volk für mich so wenig eine politische Autorität, wie es die Kirche
ist; es sind nur einzelne, die raten und helfen können. Im übrigen atmen Könige
nur in der Atmosphäre unmittelbar-anvertrauter, freier Macht; ich weiß nicht,
ob solche außer in schmelzenden Resten noch in Europa besteht oder möglich ist
– ob nicht eine ganz andere Art von geschichtlicher Existenz vor uns liegt: die
Zeugnis gebende Passion, das Dasein des sterbenden Kornes (…) Und in einer
solchen Passion wäre die Krone gerettet; der König der Könige hat sie getragen
als blutüberströmtes Zeichen der Schmach, als äußersten Widerspruch gegen die
dennoch bis in den Tod geliebte Welt, als Nein an Augustus, den von den Völkern
geglaubten Heiland; als Siegel der Wahrheit, die allein Macht ist und Pilatus, Herodes
und Augustus, Hohepriester und Tempel verzehrt.“
1. Das irdische Königtum: Abbild Christi oder
Abbild des „Fürsten dieser Welt“?
1.1. Königtum und
Selbstherrschaft in Israel
Jesus Christus ist im Alten Bund angekündigt als Spross aus
dem Hause Davids. Die Israeliten erwarteten ihn und wussten, dass er in der
Stadt Davids, in Bethlehem, geboren werden und seinem Haus entstammen würde (vgl.
Mt. 2, 1-6). Alle Frauen Israels hofften, die verheißene „Gebenedeite“ zu sein,
die als Mutter mit diesem König die Schlange besiegen würde.
Das Volk Israel, das erste Bundesvolk, hatte in seiner
Frühzeit keine Könige. Gott erweckte aus seiner Mitte Propheten und Richter.
Darunter waren auch Frauen.
Diese Zeit zwischen den „Söhnen Jakobs“ und dem ersten israelitischen König
scheint ca. 400 Jahre (ca. 1400 – 1000 v. Chr.) gedauert zu haben.
Nach der Ansiedlung der Israeliten im gelobten Land wurde es ca. 200 Jahre lang
von Gott selbst regiert, der Richter berief, um im Gemeinwesen Recht zu
sprechen und Auseinandersetzungen mit den Nachbarn anzuführen. Noch unter dem
ersten Richter Josua wird offenbar, dass das Volk Israel tiefgreifende Pakte
mit Nachbarvölkern schließt und vom Glauben abfällt. Ein erstes Mal erscheint
der „Engel des Herrn“ und mahnt (Ri. 2).Wiederholt heißt es, das ganze Volk
habe getan, was Gott missfiel und den Baalen gedient. In mehreren Anläufen
erzieht sich der Herr sein Volk immer wieder zurück – zu nennen sind die
Richter Otniel, Ehud, die Richterin Deborah, dann die schillernde und
doppelgesichtige Gestalt des Richters Gideon, gefolgt von der tragischen
Gestalt des lebenslang gottgeweihten Nasiräers und Richters Simson, die bereits
messianische Züge trägt und doch vollkommen scheitert durch eine kindische
Anspruchshaltung und wiederholte Ausschweifungen (Ri. 13 ff). Eine unselige
Rolle spielen seine Hurerei (Ri. 16, 1-3) und seine sexuelle Abhängigkeit von
der Philisterin Dalila, die von den Feinden gezielt als Lockvogel eingesetzt wird
und die er – entgegen den Anweisungen des Herrn – zu seiner Geliebten machte.
Wegen dieses Ungehorsams wird er von Gott verlassen und geht unter.
Der geistliche und moralische Tiefpunkt Israels ist in dieser
Phase seiner Geschichte die furchtbare Bluttat in Gibea im Land Benjamin (Ri.
19), bei der ein Mann aus der Priesterkaste der Leviten, der mit seinem Knecht und
seiner Nebenfrau auf der Durchreise zu Gast bei einem alten Mann ist, von den
Bewohnern der Stadt überfallen und zu homosexuellen Handlungen gezwungen werden
soll. Das Ende vom Lied ist, dass „der Levit“ die eigene Nebenfrau gewaltsam
aus dem Haus schleift und den verbrecherischen Männern zum Fraß vorwirft. Die
Horde missbraucht und vergewaltigt sie die ganze Nacht über. Die Frau schafft
es im Morgengrauen noch, sich ins Haus zurückzuschleppen, bleibt aber auf der
Schwelle liegen und stirbt. Diese grausame Tat erinnert mich an das einsame und
ausgelieferte Los Jesu Christi…. Der Levit, der sie als Nebenfrau hielt, hatte
offenbar eine Nacht ohne großes Nachdenken über das, was seiner Gefährtin da
draußen geschieht, verbracht, fand sie morgens auf der Schwelle liegend vor und
befahl ihr, aufzustehen, weil er nun seine Reise fortsetzen wolle. Als er
entdeckt, dass sie tot ist, zerschneidet er sie mit seinem Dolch in zwölf Teile
und schickte die Leichenstücke in alle Stämme Israels. Es ist wie in den Tagen
Sodoms und Gomorrhas – nein schlimmer noch: jede Liebe scheint vollkommen
erkaltet zu sein.
Die Perversität der Situation und die schreckliche
„Kadaverpost“ löst in Israel einen Schock aus. Es wird berichtet, wie sich alle
Ältesten versammeln und beraten, was zu tun sei. Von einem amtierenden Richter
ist keine Rede. Man lebt ganz offenbar in Selbstherrschaft. Es ist erst recht
keine Rede davon, dass man den Herrn befragt hätte, was zu tun sei. Die
versammelten, militärisch aufgestellten Israeliten fordern die Stadt Gibea auf,
die Bluttäter herauszugeben. Die Benjaminiter weigern sich und rüsten auf. So
kommt es um dieser Greueltat willen zu einem ersten Bürgerkrieg in Israel. Der
Stamm Benjamin wird fast vollständig vernichtet. Jammernd steht das Volk Israel
im Morgengrauen eines trüben Tages nach der Schlacht da, baut erstmalig wieder
einen Alter und bringt Gott ein Opfer dar: „Gott
Israels, warum musste das in Israel geschehen?“ lamentieren sie (Ri. 21,
3). Von einem Richter ist nach wie vor nicht die Rede. Die Geschichte geht
ungut weiter, mit Frauenraub für die übriggebliebenen 600 männlichen Benjaminiter,
die sich hatten retten können und mit denen man plötzlich wieder Mitleid
verspürt. Die innere Verbindung der äußersten Erniedrigung der Frau mit dem
tiefsten Abfall von Gott wird in dieser Erzählung deutlich. Das Buch Richter
schließt mit den Worten:
„In jenen Tagen gab es noch keinen
König in Israel; jeder tat, was ihm gefiel.“ (Ri. 21, 25)
Das Amt der Richter wird von wiederholten Auftritten des
„Engels des Herrn“ begleitet. Richter sind Diener des Herrn und wissen, dass
nur Gott allein der König sein kann.
Ein erster Bruch mit dieser Tradition geschieht durch die
Israeliten gegenüber dem erfolgreichen Richter Gideon. Sie treten vor ihn und
verlangen ein Erbkönigtum: „Werde unser
Herrscher, du und auch dein Sohn und dein Enkel, denn du hast uns aus der
Gewalt Midians befreit.“ Gideon lehnt jedoch ab mit folgender Begründung: „Ich will nicht über euch herrschen, und
auch mein Sohn soll nicht über euch herrschen; der Herr soll über euch
herrschen.“ (Ri. 8, 22 ff) Der Herr hatte die Israeliten aus der Gewalt
Midians befreit… Aber in Gideons Frömmigkeit geschieht ein Riss, und er fällt vom
Glauben ab. Er macht aus dem erbeuteten Gold der Midianiter ein Götzenbild, mit
dem die Israeliten Abgötterei betreiben, was zur totalen Apostasie des Hauses
Gideon führt (Ri. 8, 24 ff). Es wird nüchtern und sichtlich ohne Sympathie
festgestellt, dass Gideon „viele Frauen“
und 70 (!) Söhne gehabt habe (man kann rund 70 Töchter dazurechnen), die
allesamt vom Weg des Herrn abwichen und mitsamt dem ganzen Volk Abgötterei
trieben, die ihr Stammvater Gideon eingeleitet hatte. Die Geschichte zeigt die Verbindung
von Vielweiberei und Abgötterei (Ri. 8, 30 ff).
Der endgültige Bruch mit dem Herrn als dem wahren König
Israels geschieht während der Amtszeit des alten Richters und Propheten Samuel.
Er setzte seine beiden Söhne Joel und Abija in Beerscheba als Richter ein. Es
heißt von diesen beiden, sie seien bestechlich und raffgierig gewesen und
hätten das Recht gebeugt (1. Sam. 8, 3). Die Israeliten beklagen sich daraufhin
bei dem betagten Propheten und fordern einen König „wie es bei allen Völkern der Fall ist“ (1. Sam. 8, 5). Nicht
ersichtlich ist, warum sie glauben, mit einem König seien sie gefeit vor
solcher Ungerechtigkeit.
Die direkte Herrschaft Gottes war in Israel gründlich
gescheitert. Und selbst die Gerechten, selbst die, von denen es heißt, der Herr
sei mit ihnen gewesen, gleiten aus und fallen vom Glauben ab. Die Richterzeit
in ihrer äußersten Zuspitzung der ungerechten Verwalter oder sogar des
vollkommenen Ausfalls von Verwaltern wirft die Problematik der Selbstherrschaft
(„Demokratie“) eines Volkes auf, die leicht in die Orientierungslosigkeit
entgleitet.
Der alte Prophet Samuel wirft sich vor das Angesicht des Herrn
und bitte um Rat.
Die Antwort Gottes an Samuel beinhaltet zwei wichtige
Hinweise auf die Frage nach der Rechtmäßigkeit und Notwendigkeit eines Königs.
Samuel war – abgesehen von seinen missratenen Söhnen – selbst ein gerechter und
gottwohlgefälliger Richter. Es musste ihn tief treffen, dass die Israeliten
nicht ihn um die umfassende Ausübung des Richteramtes baten, sondern mit seinen
Söhnen auch ihn verwerfen wollen.
Gott tröstet Samuel über diese Undankbarkeit hinweg mit den
Worten:
„Nicht dich haben sie verworfen, sondern mich haben sie verworfen: ich
soll nicht mehr ihr König sein. Das entspricht ganz ihren Taten, die sie immer
wieder getan haben, seitdem ich sie aus Ägypten heraufgeführt habe, bis zum
heutigen Tag; sie haben mich verlassen und anderen Göttern gedient. So machen
sie es nun auch mit dir.“ (1. Sam. 8,
7 f)
Gott stellt den permanenten Glaubensabfall der Israeliten
seit dem Auszug aus Ägypten in direkten Zusammenhang mit ihrer Forderung nach
einem irdischen Herrscher.
Gott setzt seine Rede an Samuel fort:
„Warne sie eindringlich und mach ihnen bekannt, welche Rechte der König
hat, der über sie herrschen wird.“
(V. 9)
Samuel zählt dem Volk diese Rechte auf:
„Das werden die Rechte des Königs sein, der über euch
herrschen wird: Er wird eure Söhne holen und sie für sich bei seinen Wagen und
seinen Pferden verwenden und sie werden vor seinem Wagen herlaufen.
Er wird sie zu Obersten über (Abteilungen von) Tausend
und zu Führern über (Abteilungen von) Fünfzig machen. Sie müssen sein Ackerland
pflügen und seine Ernte einbringen. Sie müssen seine Kriegsgeräte und die
Ausrüstung seiner Streitwagen anfertigen.
Eure Töchter wird er holen, damit sie ihm Salben
zubereiten und kochen und backen.
Eure besten Felder, Weinberge und Ölbäume wird er euch
wegnehmen und seinen Beamten geben.
Von euren Äckern und euren Weinbergen wird er den
Zehnten erheben und ihn seinen Höflingen und Beamten geben.
Eure Knechte und Mägde, eure besten jungen Leute und
eure Esel wird er holen und für sich arbeiten lassen.
Von euren Schafherden wird er den Zehnten erheben. Ihr
selber werdet seine Sklaven sein.
An jenem Tag werdet ihr wegen des Königs, den ihr euch
erwählt habt, um Hilfe schreien, aber der Herr wird euch an jenem Tag nicht
antworten.
Doch das Volk wollte nicht auf Samuel hören, sondern
sagte: Nein, ein König soll über uns herrschen.
Auch wir wollen wie alle anderen Völker sein. Unser
König soll uns Recht sprechen, er soll vor uns herziehen und soll unsere Kriege
führen.“ (1. Sam. 8, 11 ff)
Der erste König Israels hieß Saul. An seiner Gestalt wird das
Dilemma offenkundig, das jedem irdischen Königtum anhaften muss: Er wird zwar
von Gott erwählt, setzt sich aber über kurz oder lang an dessen Stelle,
gehorcht ihm nicht mehr und bringt das Volk in einen Loyalitätskonflikt
zwischen sich selbst und Gott. Noch während er regiert, wird er wegen dieser
Anmaßung von Gott verworfen und durch den heimlich auf Geheiß des Herrn wiederum
durch den greisen Samuel gesalbten David ersetzt. Gott verhilft seinem
Gesalbten trotz Missgunst des verworfenen Königs Saul auf den Königsthron.
David verstrickt sich in Sünden. Er betreibt Vielweiberei und wird dabei zum Ehebrecher,
Intriganten und Mörder.
Im Gegensatz aber zu allen Männern, von denen bisher
ähnliches berichtet wurde, vollzieht sich in seiner Gestalt zum ersten Mal in
Israel echte Reue und Buße. David ist König, aber durch seine radikale
Bereitschaft zum Sündenbekenntnis vor dem Propheten Nathan und in vielen
Psalmen, durch seine große Sehnsucht nach Vergebung und Willensübereinkunft mit
dem Herrn entsteht eine völlig neue Haltung in Israel.
David ist das Modell des Königs, der das Königtum dem Herrn
zurück in seine Hände gibt. Sein tiefster Wunsch ist es, dem Herrn den Palast,
das Schloss zu bauen, das dessen Herrschaft ausrücken soll: den Tempel. Gott
versagt ihm diesen Wunsch. David soll ihm kein steinernes Haus bauen. Der
Prophet Nathan richtet dem König aus: Gott ist mit den Israeliten und mit David
immer umhergezogen. Sein Wohnort ist in einem unzugänglichen Licht. Nicht David
wird dem großen Gott ein Haus bauen, sondern der allmächtige Gott wird ihm ein Haus
bauen – in der Zukunft – und seinem Haus ewigen Bestand verleihen im kommenden
Königtum Jesu Christi (2. Samuel 7). David nimmt diese „Abweisung“ in großer
Demut an:
„Der Herr der Heere ist
Israels Gott!, und das Haus deines Knechtes David wird vor deinen Augen Bestand
haben.
Denn du, Herr der Heere, Gott Israels, hast
deinem Knecht offenbart: Ich will dir ein Haus bauen. Darum fand dein Knecht
den Mut, so zu dir zu beten:
Ja, mein Herr und Gott, du bist der einzige
Gott und deine Worte sind wahr. Du hast deinem Knecht ein solches Glück
zugesagt.
So segne jetzt gnädig das Haus deines
Knechtes, damit es ewig vor deinen Augen Bestand hat. Denn du, mein Herr und
Gott, hast es versprochen und mit deinem Segen wird das Haus deines Knechtes
für immer gesegnet sein.“ (2. Sam. 7, 26)
Er bleibt damit in der Königsgeschichte Israels einzigartig.
Nach ihm aber zerfiel das Reich Israel trotz des
salomonischen Tempels in zwei Reiche und eine endlose Kette von Königen, die –
von wenigen Ausnahmen abgesehen – taten, was dem Herrn missfiel. Bis hin zu der
Gestalt des römischen Klientelkönigs Herodes ist das Königtum Israels der Ort,
an dem sich im wesentlichen die widergöttlichen Neigungen des ganzen Volkes
konzentrieren und wie in einem Eitergeschwür Ausdruck der fortgeschrittenen
inneren Krankheit geben. So sehr das Königtum die Ordnungen wahren soll, so
sehr verfehlt es diese Aufgabe fast immer.
Der kommende Messias sollte
daher nicht an irgendein Königtum, sondern an das Königtum Davids anknüpfen. Wie David wird Christus erst „verborgen“
regieren. Wie David hat er einen verworfenen Widersacher, der seine Position
mit allen Mitteln verteidigt. Erst wenn dieses Äon des verworfenen Widersachers
und seiner Herrschaft zu Ende ist, dann wird Seiner Herrschaft kein Ende mehr
sein… Wie David das Leben des Verworfenen nicht antastete (1. Sam. 24 + 26), so
tastete auch der Herr die Herrschaft des Bösen nicht gewaltsam an. Gott alleine
setzt dem Verworfenen die Grenze.
1.2 Der Christus und
der Fürst der Welt
Als Christus geboren war, reisten Sterndeuter aus dem Osten
nach Jerusalem und erfragten am Hof des Königs Herodes, wo der neugeborene
König der Juden zu finden sei. Es heißt, Herodes „und mit ihm ganz Jerusalem (erschraken)“ (Mt. 2, 3). Der römische Klientelkönig Herodes sah seine
Macht in Gefahr. Aus den Forschungen der Schriftgelehrten geht hervor, dass
sowohl Herodes als auch die Geistlichen sehr wohl wussten, dass es um diesen
Spross aus dem Hause Davids ging, der so lange erwartet worden war.
Die regionale monarchische Gewalt wollte der Geburt Christi
eine erbitterte Vernichtung entgegensetzen. Wäre der Ziehvater Joseph nicht im
Traum aufgefordert worden, sofort das Land zu verlassen und nach Ägypten zu
fliehen, wäre der kleine Jesus dem Kindermord von Bethlehem zum Opfer gefallen.
Die Antwort des Monarchen auf die Erscheinung des Herrn war,
ihm nach dem Leben zu trachten.
Dieser politische Auftakt des Lebens Jesu ist Zeichen für die
ambivalente Beziehung zwischen irdischer Monarchie und Christus und setzt sich
bis zur Kreuzigung des Sohnes Gottes durch die Staatsgewalt fort:
Das Imperium romanum
lässt sich zunächst in seiner Machtsicherheit und Arroganz von der Geburt und
später vom Auftreten des Gottmenschen in und um Galiläa und Jerusalem nicht aus
der Ruhe bringen. Ein Wunder vollbringender Wanderprediger, der Sätze sagt wie „Wer das Schwert nimmt, soll durchs Schwert
umkommen“ (Mt. 26, 52) kann der staatlichen Gewalt eigentlich nur recht
sein… Die Arroganz der römischen Macht geriet später erst dann in Unruhe, als
sich der Kaiser in einem ansonsten supertoleranten Klima selbst als Gott
verehren ließ, die Kirche aber wuchs und dem Imperium die Seelen sichtbar,
unverwechselbar und unwiderruflich entriss: ein Machtkampf zwischen irdischem Reich,
das alles, was dem Fürsten der Welt entstammte, befriedet hatte (!), und dem himmlischem
Reich, das die ganze Seele und die scharfe Absage an die Finsternis forderte, war ausgebrochen.
Jesus hatte für sein Königtum, seine Kirche auf Erden keinen
irdischen König, sondern einen Stellvertreter seiner selbst eingesetzt: den
Felsen bzw. ein menschliches Abbild des Felsens, der Christus selbst ist. Und
das ist Petrus, der Papst. Es liegt in der Logik des Konfliktes zwischen
Monarchie und Reich Gottes, dass die ersten Päpste, als das Zeichen des
Widerspruchs zum Fürsten der Welt, im Umfeld der römischen Kaiser Märtyrer
werden mussten. Die Streitigkeiten in der Forschung darum, ob die ersten Päpste
wirklich oder nur der Legende nach Märtyrer waren,
offenbaren in jedem Fall eines: Die Kirche war von Anfang an überzeugt, dass
das Martyrium zum Papsttum gehört wie das Kreuz zu Christus. Eine Entspannung –
keine prinzipielle Aufhebung (!) – trat erst mit der „konstantinischen Wende“
im 4. Jh ein. Die Kirche mit ihrem Stellvertreter Christi sollte alle Reiche
der Welt durchdringen wie ein Sauerteig.
1.3. Jesus und die
Reiche der Welt
Bevor unser Herr öffentlich auftrat, fastete er 40 Tage lang
in der Wüste und wurde dort vom Satan, dem Fürsten der Welt, versucht. Eine der
Versuchungen war die zur irdischen Macht:
Wieder nahm ihn der Teufel mit sich und führte ihn auf
einen sehr hohen Berg; er zeigte ihm alle Reiche der Welt mit ihrer Pracht und
sagte zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du dich vor mir niederwirfst
und mich anbetest. Da sagte Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! Denn in der
Schrift steht: Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm
allein dienen. (Mt. 4, 8 ff)
Aus dieser Episode werden mehrere Dinge deutlich:
- Der
Satan stellt sich selbst als den Herrn der irdischen Reiche und ihrer
Pracht dar.
- Weder
Jesus noch der Autor Matthäus bestreiten diese Darstellung.
·
Wenn
der Satan der Fürst aller Reiche der Welt ist, dann folgt daraus, dass das aktive
Streben nach Gewinn und Erhalt irdischer Macht und Pracht um den Preis der
Anbetung des Satans geschieht. Ausgenommen ist nur die Situation, in der Gott
einen Kampf verordnet oder es dem Gerechten „im Schlaf gibt“, wie wir es im Brevier
beten:
·
„Baut nicht der Herr das Haus, * dann mühen sich
umsonst, die daran bauen.
Bewacht nicht auch der Herr die Stadt, * dann wacht umsonst ihr Wächter.
vergeblich ist es euch, früh aufzustehen und spät noch umzugehn, † in Sorgen
euer Brot zu essen; * gibt Seinem Liebling doch der Herr im Schlaf…“ (Ps. 126)
- Jesus
setzt in seiner Reaktion die radikale Anbetung des Herrn und Gottes im
Himmel jeder Versuchung zur irdischen Macht als förmlichen Widerspruch entgegen.
- Der
Satz „Weg mit dir Satan“ fällt
im NT nur noch einmal in einer anderen Erzählung als Petrus verhindern
will, dass der Christus der irdischen Macht ausgeliefert wird. Petrus hat
ganz offenbar im Hinterkopf, dass Jesus am Ende doch die irdische Macht
gewinnt und ihr daher auch standhalten soll. Petrus sagt: „Das soll Gott verhüten, Herr! Das darf
nicht mit dir geschehen!“ Man kann sich vorstellen, dass Jesus in
diesem Moment an die Versuchung in der Wüste dachte, wenn er seinem
erwählten Ersten der Apostel entgegenschleudert:
Weg mit dir Satan, geh mir aus den Augen! Du willst
mich zu Fall bringen; denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern
was die Menschen wollen.“ (Mt. 16, 22
ff)
Dieser letzte Satz ist die Ausgestaltung dessen, was der alte
Simeon der Gottesmutter bei der Darstellung Jesu im Tempel prophezeit hatte: „Er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen
wird.“ (Lk. 2, 34)
Parallel zum Ausgären
des mysterium iniquitatis wird also das Königtum
Christi die Reiche der Welt wie ein Sauerteig durchdringen. Dieser Prozess mündet
in den Endkampf zwischen dem Drachen, dem Satan, dem homo iniquitatis, der viele Vorläufer hat, und Christus,
Maria, dem Erzengel Michael und den Heiligen. Der Herr Jesus Christus wird –
wie einst David – nach so langer verborgener Herrschaft mit einem Mal, wie ein
Blitz, für immer ganz hell und deutlich als König und Weltenrichter erscheinen.
1.4. Jesus und die „concupiscentia feminarum“ – die
Sehnsucht der Frauen
Die Erscheinung des Herrn in seinem Eigentum führt nicht zu
einer einfachen „Heiligung“ ansonsten irdischer Konstellationen, sondern zu
einem erbitterten Kampf zwischen dem, der von Gott stammt und Gott ist und Evas
verhängnisvoll irregeleitete und entgleiste Sehnsucht nach Erkenntnis erfüllen
wird, ja: in Maria, der Erwählten, bereits erfüllt hat (!), und dem Fürsten der
Welt, der das, was er sich durch diese perfide Umkehr der Sehnsucht Evas
erschlichen und womit er sich einen zahlreichen Anhang geschaffen hat, mit
allen Mitteln verteidigen wird.
Aus sich selbst und … aus einer Frau … wird der Sohn Gottes
sein Königtum in der Welt (wieder-)aufrichten, wie es in der Genesis verheißen
wurde (Gen. 3, 15) und wie es die Frauen Israels ersehnten. Und alleine die
Tatsache, dass er sein Reich mit der von ihm selbst huldvoll ausgestatteten Frau
begründet, der er das reine Herz schenkt, das Platz genug hat für seine Ankunft
in der Welt, und den Mann erst anschließend hinzu beruft, ist ein starker
Hinweis auf den Widerspruch zum „Willen
des Mannes“, dem der Prolog des Johannes-Evangeliums eine harte und scharfe
Absage erteilt: was aus Gott geboren ist, kann niemals dem „Willen des Fleisches“, niemals dem „Willen des Mannes“ entstammen (Johannes 1). Dies zu bemerken hat
nichts mit „Feminismus“ zu tun, wie man das aus traditionalistischen und
neokonservativen Kreisen immer wieder um die Ohren geschlagen bekommt. Dem
verworfenen „Willen des Mannes“ wird
ja nicht der „Wille der Frau“ als Variante des „Willens des Fleisches“ entgegengesetzt, sondern das gnadenhafte,
ganz im Willen Gottes beschlossene „Fiat“
aus der Frau. Der Herr umgibt, „überkommt“
und „überschattet“ (Lk. 1, 35) die
Frau (Maria), und sie wird mit ihrem aktiven und freien Einverständnis sein
Tabernakel und umgibt wiederum IHN – „Quia
creavit Dominus novum super terram: femina circumdabit virum. - Denn etwas
Neues erschafft der Herr im Land: Die Frau wird den Mann umgeben.“ (Jeremia
31, 22)
Es ist unmöglich, die Tradition anders zu verstehen, ohne ihr
Gewalt anzutun, sie zu verkürzen oder zu veräußerlichen. Die Beraubung der
Tradition um die zentrale heilsgeschichtliche Bedeutung der Frau Maria hat die endgültige
Entrechtung der Frau, deren Urheber nach Gen. 3 der Satan selbst ist,
eingeleitet. Wer sich in Feindschaft zur Frau setzt, tut dies zwingend im
Verbund mit dem Fürsten der Welt. Wer die Frau verachtet, verachtet auch ihren Nachkommen,
mit dem sie der Schlange den Kopf zertreten wird. Der Traditionalismus mag sich
daher fromm wähnen wie er will – in diesem einen Detail stimmt er auf
bestürzende Weise mit dem feministischen Progressismus überein. Beide
Ideologien ertragen die Frau aus scheinbar gegensätzlichen, in Wahrheit aber
gleichen Gründen im Heilsplan Gottes nicht. Sie ertragen die Frau als Ebenbild
des Sohnes nicht und lehnen die Krönung Mariens ab. Was immer im Einzelnen
vorgetragen wird, beide Seiten tun alles, scheuen vor keiner Sophisterei und
Subtilität zurück, um die Frau niederzuhalten, auszulöschen, zu beherrschen.
Es ist und bleibt ein Stein des Anstoßes für jeden
antichristlichen Geist, dass die Frau, weil sie von Gott selbst in Feindschaft
zum Satan gesetzt wurde, nicht mehr erniedrigt oder in ihrem gottebenbildlichen
Wesen zum schwachen Abklatsch des Mannes „aufgelöst“, sondern als Frau sogar regelrecht bevorzugt und
mit dieser großartigen Aufgabe betraut wird. Viele Heilige wussten: Es ist sicheres
Zeichen der Verwerfung, wenn Maria in dieser eigenen weiblichen Rolle entwertet
oder gelöscht wird.
Der Grund liegt nicht in einem feministischen Anspruchsdenken, das lediglich
den maskulinen Dominanzanspruch umkehrt, sondern darin, dass der „Wille des Mannes“ sich seit dem
Sündenfall bewusst dem Willen Gottes entgegenstellt. Der Fall liegt bei der
Frau anders: sie erlag einer Täuschung und ließ sich verführen. Ihre Sehnsucht
nach tieferer Gotteserkenntnis wurde vom Satan missbraucht und irregeführt. Das
Neue Testament spricht daher durchweg von der größeren Verfehlung Adams, auch
wenn Eva zuvor zur Übertretung verführt wurde.
Jesu selbstverständlicher und freier Umgang mit der Frau ist
ein wesentliches Merkmal seiner transzendenten und geheimnisvollen, auf Erden
schon wirksamen Herrschaft, und schimmert beim Propheten Daniel hindurch, der
den Antichristen als einen Mann bezeichnet, der weder die Götter seiner Väter
noch die concupiscentia feminarum –
die „Sehnsucht der Frauen“ (meist als „Liebling der Frauen“ übersetzt) – achten
wird (Dan. 11, 37). Um Jesus sammelten sich wie selbstverständlich die Frauen. Viele
erkannten ihn sofort und sammelten sich unspektakulär, leise um ihn, waren
einfach da. Und er sprach mit ihnen über geistliche Dinge nach den Berichten
der Evangelien nicht anders als mit Männern.
Immer wieder stellt er sich an ihre Seite, wenn ihre
männlichen und „auf die Seite des Mannes
geflüchteten“ (s.o. Schneider) weiblichen Ankläger auftreten. Es ist
wirklich so, wie es in der Genesis angesagt wurde: Er hat nach dem Sündenfall Feindschaft
gesetzt zwischen die Frau und den Satan und zugelassen, dass der Mann die Frau
beherrschen würde (Gen. 3, 16). In dem Satz an die Schlange „Feindschaft setze ich zwischen dich und die
Frau“ sprach Gott der Frau, die Er für ihren Drang nach tieferer Erkenntnis
nicht kritisierte, Seine Treue aus. Evas Motive, das Gebot zu übertreten,
entsprangen einer Verführung zu Erkenntnisgewinn „vor der Zeit“. Adam dagegen
war, ohne verführt worden zu sein, bewusst ungehorsam (1. Tim. 2, 14). Das
wirft ihm Gott vor und darum trägt Adam nach der gesamten Schrift auch die
Hauptlast. Ihm ist keine vergleichbare Verheißung gegeben worden. Der gefallene
Adam aber erkannte dies an, indem er Eva als „Mutter aller Lebendigen“ benannte (Gen. 3, 20). Jesus war und ist
die als Mann fleischgewordene göttliche Gestalt dieser Verheißung, er ist die
„Sehnsucht der Frauen“, der „neue Adam“. Jede Frau guten Willens liebt ihn. Sie
spricht es laut aus: Rex meus et Deus
meus! (Psalm 5) – mein König und
mein Gott. Sie tut dies unabweisbar, zum Erstaunen aller Welt, und weil nach
der Schöpfungsordnung der Mann der Frau anhängt und nicht umgekehrt (Gen. 2 24),
und sowohl Jesus (Mt. 19, 5) als auch der hl. Paulus (Eph. 5, 31) darauf
verweisen, zieht sie auf diese Weise viele mit ins Reich Gottes. „(Die Frau) wird dadurch gerettet werden,
dass sie Kinder zur Welt bringt.“ (1. Tim. 2, 15) Mit Maria wird sie vielen
zur „Himmelspforte“. Die Frau kann sich mit Jesus nicht mehr, wie Reinhold
Schneider es beklagt, „auf die Seite des
Mannes flüchten“, sondern sie „wagt
nun zu sein, was sie sein soll“.
Reinhold Schneider hat als Mann die in der Tradition
beschlossene Verknüpfung des Königtums Christi mit der Krönung der Frau und Mutter
sensibel erfasst und ausgesprochen. In einer gewissen Weise ist die stille
Herrschaft der Frauen der noch verborgenen Herrschaft Christi assoziiert.
1.5. Jesus, die traditionelle
geistliche Oberschicht Israels und das Imperium Romanum
Der Anhang des Fürsten dieser Welt ist zur Zeit Jesu in der
besonders erbitterten und fanatischen Version fast ausschließlich in der
geistlichen Hierarchie und unter den besonders Traditions- und Gesetzestreuen
zu finden.
Der fromme Anhang des Satans versucht Jesus der Untreue
gegenüber dem Monarchen zu überführen:
„Ist es uns erlaubt, dem Kaiser
Steuern zu zahlen, oder nicht?“ (Lk. 20, 22) Die Frage will den deutlich spürbaren inneren,
geistigen Widerspruch Jesu zu jeder irdischen Macht anhand einer äußeren Aktion
sichtbar und dingfest machen.
Darf ein Jude, einer aus dem auserwählten, allen anderen
überlegenen Völkern, als Provinzler unter einem Klientelkönig, der heidnischen
Besatzungsmacht Steuern zahlen, anstatt alle Kräfte auf die Instandsetzung der geistlich-politischen
jüdischen Unabhängigkeit zu konzentrieren?
Die Hohenpriester hoffen, dass Jesus in die Falle des
Entweder-Oder abstürzt und sie ihn entweder der Illoyalität gegenüber dem
Kaiser oder aber gegenüber dem Gott Israels überführen können.
Jesu Antwort ist salomonisch und entlarvt seinerseits die
rein veräußerlichte Sicht der Fragesteller:
„Zeigt mir einen Denar! Wessen Bild und Aufschrift sind darauf? Sie
antworteten: Die des Kaisers. Da sagte er zu ihnen: Dann gebt dem Kaiser, was
dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört! (…) Sie waren von seiner Antwort
sehr überrascht und schwiegen.“ (Lk.
20, 24 ff)
Das, was der Kaiser in den Steuern verlangt, ist nichts, was
dem Reich Gottes zugehören könnte! Schon in dieser Antwort Jesu wird klar, dass
das Reich, von dem er spricht, ein transzendentes Reich ist. Das Kaiserreich
ist das eine – und Jesus wertet es nicht einmal ab. Das Reich Gottes aber ist
das andere… das Erhabene…
Man soll dem Kaiser überlassen, was aus seiner Sphäre stammt.
Aber Gott gebührt das, was aus seiner ewigen Sphäre stammt.
Jesus lässt die geistlichen Fallensteller mit einer komplexen
ungelösten Frage zurück. Sie erfahren, dass das Geld, die Steuern, der irdische
Besitz der Sphäre des Kaisers angehört und dem Zugriff des Kaisers gebührt. Man
kann sich erinnern an die Worte Gottes, die er durch den Propheten Samuel
sprechen ließ:
„Eure besten Felder, Weinberge und Ölbäume wird er
euch wegnehmen und seinen Beamten geben. Von euren Äckern und euren Weinbergen
wird er den Zehnten erheben und ihn seinen Höflingen und Beamten geben.
Eure Knechte und Mägde, eure besten jungen Leute und
eure Esel wird er holen und für sich arbeiten lassen. Von euren Schafherden
wird er den Zehnten erheben. Ihr selber werdet seine Sklaven sein.“ (vgl. S.)
Jesus spricht ganz in der Logik der Worte, die Gott damals
warnend vortragen ließ …
Was aber kommt am Leben der kaisertreuen Fallensteller Jesu
der Sphäre Gottes zu? Es kann den bestürzenden Gedanken gegeben haben, dass in
ihrem Leben eigentlich nichts Gott gehört…
Hatte Gott damals nicht sogar gedroht, er werde dem Volk, das
unbedingt von einem Monarchen beherrscht werden wolle und eines Tages aus dem
Wahn erwachen würde, nicht einmal mehr antworten?
„An jenem Tag werdet ihr wegen des Königs, den ihr euch erwählt habt, um
Hilfe schreien, aber der Herr wird euch an jenem Tag nicht antworten.“
Was gehört also Gott in unserem Leben, das keinem Kaiser auf
Erden jemals zustehen kann, selbst dann nicht, wenn er es mit Gewalt für sich
beanspruchte? Und was andererseits soll man dem Kaiser jederzeit getrost
überlassen, ohne darum einen sinnlosen Kampf zu kämpfen, weil es für die ewige
Herrschaft des wahren Königs keinen Wert hat?
Schon die merkwürdige Geschichte, dass Maria und Joseph, die
doch in Nazareth leben, wegen einer Steuerschätzung nach Bethlehem reisen
müssen, konterkariert das Reich des Kaisers auf eine hintergründige, fast
ironische Weise. Der kommende Messias, der König der Juden, muss in der Stadt
Davids, in Bethlehem, geboren werden, wie es die Propheten gesagt haben. Die
Macht des Kaisers, sein Zugriff auf jede einzelne Seele, die verlangen kann –
nicht einmal schwangere Frauen waren offenbar von dieser Plage der
Datenerfassung und Zahlungspflicht ausgenommen – , dass jeder Bewohner des
Reiches um seiner Macht willen weit reist, muss doch unfreiwillig und unerkannt
dem Willen Gottes dienen und damit dem Herrscher, dessen Königtum ewig und
nicht von dieser Welt ist, den Weg ebnen… Während noch das Kaisertum im Fieberwahn
der totalen Macht träumt, ist ihm bereits alle Macht genommen. Es ist wie
damals, als David schon erwählt war und Saul bereits verworfen, Saul, dessen
Wahl aber die Verwerfung Gottes durch das Volk bedeutet hatte…
Die Salbung Jesu zum
König, dessen irdische Herrschaft durch die Todesnacht hindurch muss,
geschieht kurz vor seiner Kreuzigung, allerdings weder durch die Geistlichkeit,
noch durch die berufenen zwölf Apostel, sondern … auch hier wieder …. durch die Frau:
„(Es) kam eine Frau mit einem Alabastergefäß voll kostbarem,
wohlriechendem Öl zu ihm und goss es über sein Haar. Die Jünger wurden
unwillig, als sie das sahen, und sagten: Wozu diese Verschwendung? Man hätte
das Öl teuer verkaufen und das Geld den Armen geben können. Jesus bemerkte
ihren Unwillen und sagte ihnen: Warum lasst ihr die Frau nicht in Ruhe? Sie hat
ein gutes Werk an mir getan. Denn die Armen habt ihr immer bei euch, mich aber
habt ihr nicht immer. Als sie das Öl über mich goss, hat sie meinen Leib für
das Begräbnis gesalbt. Amen, ich sage euch: Überall auf der Welt, wo dieses
Evangelium verkündet wird, wird man sich an sie erinnern und erzählen, was sie
getan hat.“ (Mt. 26, 6 ff)
Die Zuspitzung des Konfliktes zwischen irdischer Monarchie
und dem ewigen Reich des Herrn aber geschieht, als Jesus vor den Mächtigen
seiner Zeit steht.
Zuerst steht er vor dem Sanhedrin. Es mutet absurd an, wie
ihn die Hohepriester verhören und wissen wollen, ob er der Messias ist. Israel
wartet nicht mehr auf den Messias. Denn wenn er kommt, sagen sie ihm, er sei
ein Gotteslästerer und maße sich etwas an. In der niedrigen Frau Maria hatte
Gott Platz gefunden und konnte in ihr wachsen und wachsen, und sie wuchs mit
ihm, bis er mühelos aus ihr hervorging. Aber im Israel der Kleriker hat der
Gesalbte des Herrn keinen noch so geringen Platz. Es schäumt und zerplatzt
förmlich durch seine Ankunft!
„Wenn du der Messias bist, dann sag es uns! Er antwortete ihnen: Ihr
glaubt mir ja doch nicht. (…) Von nun an wird der Menschensohn zur Rechten des
Allmächtigen sitzen. Da sagte alle: Du bist also der Sohn Gottes. Er
antwortete: Ihr sagt es – ich bin es. Da riefen sie: was brauchen wir noch
Zeugenaussagen?“ (Lk. 22, 66 ff)
Jesus nennt sich „Menschensohn“, und sie fordern ihn heraus,
indem sie ihn fragen, ob er „Gottessohn“ sei, und er legt es ihnen in den eigenen
Mund und bestätigt es: er ist Mensch und Gott – der Messias. Und den darf es im
klerikalen Israel nicht geben!
Man beschuldigt ihn, ein religiöser „Aufrührer“ gegen die
politische Macht, gegen das Imperium, das Kaisertum zu sein. Jesus antwortet
dem Hohepriester frei und souverän:
„Ich habe offen vor aller Welt gesprochen. Ich habe immer in der
Synagoge und im Tempel gelehrt, wo alle Juden zusammenkommen. Nichts habe ich
im Geheimen gesprochen. Warum fragst du mich? Frag doch die, die mich gehört
haben, was ich zu ihnen gesagt habe; sie wissen, was ich geredet habe.“ (Joh. 18, 20 ff)
In anderen Evangelien wird berichtet, dass die gedungenen
Zeugen sich widersprochen hätten. Man kann eine leichte Ironie in den Worten
Jesu vermuten, denn so viel widersprüchlich Bezeugtes taugt allemal nicht für
eine politische Verschwörung gegen den Kaiser…
„Frag doch die, die mich gehört haben! (…) Die wissen, was ich geredet
habe.“
Jesus fordert den Hohepriester auf, echte und keine falschen
Zeugen zu befragen.
Diese souveräne Antwort ruft den Zorn der Zuhörer hervor.
Jesus fängt sich vom Diener des Hohenpriesters eine Ohrfeige ein wie ein
ungezogenes Kind:
„Redest du so mit dem Hohepriester?“ (V. 22)
Eine bekannte Strategie lebt sich hier aus: Wer nicht
argumentieren kann, wer überführt wird, verlegt sich schnell auf die Diskussion
über den „rechten Ton“, ob jemand sich auch angemessen verhalten und „die
richtige Art“ gefunden habe. Die Psychologie kommt ins Spiel und macht aus
schwarz weiß und aus weiß schwarz. Doch die Antwort Jesu ist eine harte Absage
an das selbstgerecht-bürgerliche „Der Ton macht die Musik“:
„Wenn es nicht recht war, was ich gesagt habe, dann weise es nach; wenn
es aber recht war, warum schlägst du mich?“ (V. 23)
Welch ein Satz!
Jesus fordert hier die absolute Herrschaft der Wahrheit ein,
die ohne Ansehen der Person gelten muss!
Nun folgt die Station der weltlichen monarchischen Macht.
Jesus steht vor dem Statthalter des römischen Kaisers Tiberius: Pontius Pilatus.
Das erste, was Pilatus von Jesus wissen will, ist:
„Bist du der König der Juden?“
(Joh. 18, 33)
Es geht um die Beschuldigung, Jesus habe der irdischen
Monarchie Konkurrenz gemacht. Jesu Antwort ist der Schlüssel zum Verständnis
seiner Herrschaft für den Heiden Pilatus und mit ihm für uns alle:
„Mein Königtum ist nicht von dieser Welt. Wenn es von
dieser Welt wäre, würden meine Leute kämpfen, damit ich den Juden nicht
ausgeliefert würde. Aber mein Königtum ist nicht von hier.
Pilatus sagte zu ihm: Also bist du doch ein König?
Jesus antwortete: Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu
in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus
der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme.
Pilatus sagte zu ihm: Was ist Wahrheit?“ (V. 36 ff)
Pilatus erfasst, dass ein Mann vor ihm steht, der kein
politischer Aufrührer ist, der aber die Juden wegen seines Wahrheitsanspruches
unendlich erzürnt. Ihn tangiert dies kaum. Wie jedes zivilisierte Heidentum
fragt er nicht nach einer absoluten Wahrheit, sondern behilft sich mit Toleranz
und Neutralität in religiösen Dingen. Der Satz, dass jeder, der aus der
Wahrheit sei, auf Jesu Stimme hören müsse, bringt ihn nicht aus der Ruhe. Für
ihn ist Jesus ein metaphorischer König – nichts Konkretes aus seiner Sicht. Er
weist den Vorwurf der Konkurrenz zum irdischen Kaisertum gegenüber den Juden
ab.
Verborgen in ignorierten Worten hat unser König etwas
mitgeteilt: wirkliches Königtum ist „Zeugnis ablegen für die Wahrheit“. Die
Wahrheit heißt Jesus, und die Wahrheit ist unser König. Unser König zeugte für
seine Gottheit und wir mit ihm. Und wir, als Seine Jünger und Bräute sind ihm
eingegliedert und ein königliches
Priestertum:
„Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche
Priesterschaft, ein heiliger Stamm, ein Volk, das sein besonderes Eigentum
wurde, damit ihr die großen Taten dessen verkündet, der euch aus der Finsternis
in sein wunderbares Licht gerufen hat.“
(1. Petrus 2, 9)
In diesem Königreich Jesu ist tatsächlich jeder ein König und
soll für die großen Taten Gottes zeugen. Eine Verabsolutierung irdischer
Standesunterschiede, wie sie im Traditionalismus häufig vorzufinden ist,
kann kaum unwidersprochen hingenommen werden. Sie steht im Widerspruch zu
diesem organischen Königreich Christi! Darauf hat auch der heilige Thomas von
Aquin hingewiesen, als er schrieb:
„Wie Jeremia (23, 5) sagt: ’Es wird ein König herrschen, und er wird
voll Weisheit sein.’ Von ihm leitet sich nun das königliche Priestertum ab,
und, was weit mehr bedeutet, alle Gläubigen, soweit sie Glieder Christi sind,
werden darum Könige und Priester genannt.“
Um die Juden zu besänftigen, lässt Pilatus eine perverse
Königskrönung vollziehen: er lässt Jesus zusammenschlagen, einen Purpurmantel
umhängen und eine Dornenkrone aufsetzen.
Seine Vorführung des geschlagenen und geschändeten Königs mit
den berühmten Worte: „Ecce homo!“ (V.
5) sollen den Juden klarmachen, dass dieser erniedrigte Mann doch keine Gefahr
für die politische Macht sein kann, ja: nicht einmal für die jüdische Religion!
Es hilft nichts. Die Hohenpriester fordern seine Kreuzigung.
Pilatus versucht mit Jesus zu reden und stößt auf dessen Schweigsamkeit. Nun
geht auch mit Pilatus der „politische Gaul“ durch:
„Du sprichst nicht mit mir? Weißt du nicht, dass ich
Macht habe, dich freizulassen, und Macht, dich zu kreuzigen?
Jesus antwortete: Du hättest keine Macht
über mich, wenn es dir nicht von oben gegeben wäre; darum liegt größere Schuld
bei dem, der mich dir ausgeliefert hat.“
(Joh. 19, 10 ff)
Pilatus wähnt sich als Eigner seiner Macht und fühlt sich
durch Jesu Souveränität angegriffen. Jesu Antwort weist darauf hin, dass es auf
Erden keine legitime staatliche Macht gibt, die nicht von Gott gegeben ist. Diese
Aussage widerspricht traditionalistischer Aristokratiegläubigkeit: Gott kann
diese Macht geben und nehmen. Sie
steht irgendwelchen Dynastien oder Gewählten keineswegs von Natur aus zu! Diese
Linie durchzieht die gesamte Schrift, zuletzt ausdrücklich im Lobgesang der
Maria (Magnificat):
„Deposuit potentes de sede, et exaltavit humiles. - Er stieß die
Mächtigen vom Thron und erhob die Niedrigen.“
Ein einmal Erwählter wie König Saul kann von Gott selbst
verworfen und seiner Macht wieder beraubt werden…
Pilatus erkennt das an. Ich finde es bemerkenswert, dass er
sich an Jesu „hartem Ton“ nicht stört, sondern die Sachbotschaft unkommentiert
stehenlässt. Wieder will er Jesus freilassen. Sicher trägt er im Hinterkopf die
Warnung seiner Frau, die die Tochter des Kaisers Tiberius gewesen sein soll,
diesen Mann nicht zu verurteilen…
Doch nun ziehen die Juden ihren letzten monarchistischen
Joker und erpressen Pilatus mit dem Satz:
„Wenn du ihn freilässt, bist du kein Freund des Kaisers; jeder, der
sich als König ausgibt, lehnt sich gegen den Kaiser auf.“ (V. 12)
Pilatus unternimmt einen letzten schwachen Versuch, Jesus zu
retten und sagt den Juden: „Euren König
soll ich kreuzigen?“ (V. 15a) Und er erhält die stramm monarchistische
Antwort: „Wir haben keinen König außer
dem Kaiser.“ (V. 15b)
Pilatus ist nun „weichgeklopft“ und verurteilt Jesus zum Tod
am Kreuz. Auf die Tafel am oberen Ende des Kreuzes, auf der das Vergehen des
Delinquenten stehen muss, lässt er die Worte „Jesus von Nazareth, der König der Juden“ (V. 19) in vier
Weltsprachen eingravieren. Die Juden verlangen, dass er dies differenziere und
schreibe, Jesus habe behauptet, der König der Juden zu sein.
Doch diesmal bleibt Pilatus hart: „Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben.“ (V. 22)
Pilatus hat den Juden damit wohl einen ewigen Dienst
geleistet. Denn so ist bezeugt, dass Jesus der König der Juden ist und bleibt,
und sie ihn am Ende der Zeiten erkennen werden. So sehr er der Herrscher des
ganzen Alls ist, so sehr ist er doch auf immer seinem ersten Bundesversprechen
nach der König des alten Bundes.
Pilatus ist der taumelnde heidnische Zeuge der Treue Gottes
zu seinem abtrünnigen Volk! Um der Heiden willen musste die Geistlichkeit
Israels in diese schwere Sünde des „Gottesmordes“ fallen und seither in der
Fremde verharren, bis die Zahl der Heiden voll ist.
Wenn Monarchisten einen Zusammenhang zwischen der Auflehnung
der Juden gegen ihren König und der Auflehnung gegen „Thron und Kirche“ sehen
und die jüdische Herkunft der Freimaurerei unterstellen, dann muss nüchtern
konstatiert werden, dass die jüdische Auflehnung gegen den Herrn zwei
Komponenten beinhaltet:
Im Verräter Judas liegt die Auflehnung gegen den König,
dessen Reich „nicht von dieser Welt ist“
und der seinen Leuten sogar untersagt, für ihn das Schwert zu erheben
(Ölbergszene).
In den Gesetzestreuen andererseits liegt die Auflehnung gegen
den König, der das irdische Königtum, indem er es nicht mit dessen Mitteln
angreift oder erobern will, „unterläuft“.
Es kann nur ein logischer Schluss gezogen werden: Das
irdische Reich steht dem himmlischen Reich immer
entgegen. So sagt es der Herr selbst!
Nur damit wir Heiden
nicht Garaus sind, gewissermaßen aus „Effizienzgründen“, wurde ein Umweg über
die Bekehrung heidnischer Könige geschlagen. Aber dieser Umweg ist und bleibt
ein instabiles Provisorium ohne ewige Verheißung und hat sich als solches
erwiesen.
Die scharfen Kritiker der Juden und Freimaurer begehen selbst
deren Denkfehler. Es gibt für alle Reiche dieser Welt keine Zukunft, nicht für
monarchische, nicht für demokratische – es muss alles der kommenden Herrschaft
Christi weichen, die jetzt schon wirkt wie der bereits gesalbte David!
1.6. Staatliche „potestas“ - eine natürliche Notwendigkeit und ihre
Grenze im Schriftkanon
In den Pastoralbriefen wird kein Bekenntnis zur Monarchie
abgelegt, sondern zur staatlichen potestas
im allgemeinen, sofern sie legitim ist:
„Jeder leiste den Trägern der staatlichen
Gewalt den schuldigen Gehorsam. Denn es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht
von Gott stammt; jede ist von Gott eingesetzt.
Wer sich daher der staatlichen Gewalt widersetzt,
stellt sich gegen die Ordnung Gottes, und wer sich ihm entgegenstellt, wird dem
Gericht verfallen.
Vor den Trägern der Macht hat sich nicht die gute,
sondern die böse Tat zu fürchten; willst du also ohne Furcht vor der
staatlichen Gewalt leben, dann tue das Gute, sodass du ihre Anerkennung
findest.
Sie steht im Dienst Gottes und verlangt, dass du das
Gute tust. Wenn du aber Böses tust, fürchte dich! Denn nicht ohne Grund trägt
sie das Schwert. Sie steht im Dienst Gottes und vollstreckt das Urteil an dem,
der Böses tut. yy
Deshalb ist es notwendig, Gehorsam zu leisten, nicht
allein aus Furcht vor der Strafe, sondern vor allem um des Gewissens willen.
Das ist auch der Grund, weshalb ihr Steuern zahlt;
denn in Gottes Auftrag handeln jene, die Steuern einzuziehen haben.
Gebt allen, was ihr ihnen schuldig seid,
sei es Steuer oder Zoll, sei es Furcht oder Ehre.“ (Röm. 13, 1 ff)
Es geht im Staatswesen nicht primär darum, dass sich das Himmlische
Jerusalem Ausdruck verschafft oder ein idealer Zustand erzeugt wird, sondern
der Staat ist notwendig, um die Ordnungen im irdischen, von der Bosheit
gezeichneten Gemeinwesen zu wahren, vor allem die Rechtsordnungen. Von einer
spezifisch „christlichen“ Ordnung ist nicht die Rede. Die Worte des Paulus
sprechen dafür, dass er eine natürliche Übereinstimmung in grundlegenden
Rechtfragen bei allen Menschen annimmt. Gott hat auch den Heiden das Gesetz ins
Herz geschrieben…
Wie bereits Jesus dem Pilatus ja zugestand, dass seine (heidnische)
potestas von Gott sei, so muss man
dies hier beim hl. Paulus annehmen: Wer immer regierende Gewalt erhält, hat sie
von Gott. Es geht allerdings aus dem Abschnitt hervor, dass das Merkmal der
legitimen Macht nicht die spezifische Herrschaftsform, sondern ihre Treue zu
Recht und Ordnung selbst ist. Sie muss das Gute belohnen und das Böse
bestrafen. Ist diese Ordnung pervertiert, trifft die Aussage des Römerbriefes
nicht zu. Nach Offenbarung 13, wo der Gipfel einer solchen Perversion in Form
der Anbetung des Potentaten als Gott beschrieben wird, muss sich der Gläubige
standhaft weigern. Dieselbe Situation beschreibt uns schon das Buch Daniel
(Daniel 6), als Daniel sich weigert, nicht
zu seinem Gott zu beten und dafür in die Löwengrube geworfen wird. Zuvor
erzählt uns dasselbe Buch die Geschichte der drei Jünglinge im Feuerofen, die
sich geweigert hatten, der kaiserlichen Anordnung zu folgen und ein Götterbild
anzubeten. (Dan. 3)
Zuletzt sei auf die Worte des ersten Papstes Petrus
hingewiesen:
„Und sie (der Hauptmann und die Wächter des Tempels)
brachten sie (Petrus und die Apostel) und stellten sie vor den Hohen Rat. Und
der Hohepriester fragte sie und sprach: Haben wir euch nicht streng geboten, in
diesem Namen (im Namen Jesu) nicht zu lehren? Und seht, ihr habt Jerusalem
erfüllt mit eurer Lehre und wollt das Blut dieses Menschen über uns bringen.
Petrus aber und die Apostel antworteten und sprachen:
Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.
Der Gott unsrer Väter hat Jesus auferweckt, den ihr an
das Holz gehängt und getötet habt.
Den hat Gott durch seine rechte Hand erhöht zum
Fürsten und Heiland, um Israel Buße und Vergebung der Sünden zu geben.
Und wir sind Zeugen dieses Geschehens
und mit uns der Heilige Geist, den Gott denen gegeben hat, die ihm gehorchen.“ (Apg. 5, 27 ff)
Hier ist die Grenze: wenn ich erkannt habe, was Gott will,
muss ich dem mehr folgen als dem, was die Potentaten wollen, wenn der Wille der
Potentaten dem Willen Gottes entgegensteht. War es doch Petrus, der uns
einschärfte, dass wir königliche Priester sind, die für die großen Taten Gottes
zeugen sollen (s.o.). Ein königlicher Priester – und jeder Gläubige ist einer –
steht verborgen über jedem irdischen Potentaten, beugt sich aber, solange
dessen Herrschaft nichts fordert, was Gott beleidigen würde und das Gute schützt.
2. Thomas
von Aquin: Über die Herrschaft der Fürsten
Damit kann man einen Sprung vollziehen ins Mittelalter und
den heiligen Thomas befragen, denn an seiner Philosophie soll man auch heute
seine Gedanken prüfen oder zumindest schärfen. So haben es die Päpste Pius IX.,
Leo XIII., Pius X. und Pius XI. ausdrücklich gewünscht und gefordert.
Nach Thomas kommt der Mensch nicht umhin, als auf
Gemeinschaft hin angelegtes Wesen, was das Wohl dieser Gemeinschaft betrifft,
unter einer einenden Regierungsgewalt geführt zu werden. Dass jeder schon von Natur
aus seinen eigenen Vorteil sucht, setzt Thomas voraus. Bezug nehmend auf Salomo
zitiert er den Satz „Ubi non
adsunt dispositiones, populus corruet; salus autem, ubi multa consilia. – Wo
keine Ordnungen sind, fällt das Volk auseinander, Heil aber ist da, wo viele
gute Ratgeber sind.“ (Sprichwörter 11, 14)
Es ist darüber hinaus die erhabene Hinordnung des Menschen auf
ein Ziel, die dem Menschen die einende Leitung notwendig macht.
Thomas kommt früh auf die Problematik gerechter und
ungerechter Herrschaft zu sprechen. Gerecht ist eine Herrschaft dann, wenn sie
das Ziel und Gemeinwohl der Gesellschaft über den persönlichen Vorteil des
Regierenden stellt. Ungerecht ist sie dagegen, wenn sie den persönlichen Vorteil
des Potentaten über das Gemeinwohl stellt.
Thomas zählt zuerst die verschiedenen Formen ungerechter
Herrschaft nach dem Grad ihrer Schlechtigkeit auf:
Die Tyrannei (eines einzelnen Herrschers) ist die
ungerechteste Herrschaftsform, gefolgt von einer „Oligarchie“ (Vorherrschaft
einiger weniger – Tyrannei auf mehrere Schultern verteilt) – beides könnte
heute einem faschistischen oder präsidialdiktatorischen Staatsgefüge
entsprechen. Danach nennt Thomas die „Demokratie“ (Volksherrschaft der breiten Masse,
die durch ihre „Überzahl die Reichen
unterdrücke“) das entspricht wohl eher einer modernen sozialistischen
Regierungsform.
Anschließend zählt Thomas gerechte Herrschaftsformen
aufsteigend von den weniger guten zur besten hin auf:
Es gibt die „Politie“, die Herrschaft einer Mehrheit (das
entspräche dem, was wir heute „Demokratie“ nennen), die Aristokratie (die
Herrschaft der wenigen Besten).
An der Spitze steht die gerechte (!) Herrschaft eines
einzelnen Königs. Nach Thomas ist es vor allem Sache des Königs, dem Heer
voranzugehen, das Volk sicher zu seinem Ziel führen und auf den eigenen Vorteil
zu verzichten!
Es ist nach Thomas zweckmäßiger, wenn ein Volk durch einen
Monarchen geleitet wird. Modern würde man sagen: es ist effizienter, und
naturgemäß ist ein einziger am leichtesten in der Lage, die Einheit des
Gemeinwohls zu integrieren, sofern er ausschließlich dessen Wohl im Auge hat.
Naturgemäß ist die schlimmste Herrschaft auf Erden eine Monarchie, deren
Monarch nur seinen eigenen Vorteil verfolgt. Denn in der Monarchie wird die
Leitung des gesamten Alls durch die „Vorsehung“ (Gott), abgebildet und dem
Monarchen eine ganz besonders anspruchsvolle Verantwortung vor Gott auferlegt.
Nichts ist schlimmer als die Perversion dieses Abbildes!
Das Gegenteil der gerechten monarchischen Ordnung ist nach
Thomas also keineswegs eine Demokratie oder Politie, sondern … eine ungerechte Monarchie, die Tyrannis.
Thomas betrachtet die Frage nach der Monarchie keineswegs
ideologisch, wie wir dies von traditionalistischen Autoren wie Donoso Cortés
oder dem in Traditionalistenkreisen so verehrten Schweizer Prälaten Robert
Mäder her kennen.
Seine Schrift ist von wohltuender Nüchternheit:
„Neigt aber eine Herrschaft zur Ungerechtigkeit, so wird es besser
sein, wenn sie in der Hand von vielen liegt, damit sie unwirksamer sei und die
Herrschenden sich untereinander hindern. Von den Formen einer ungerechten
Herrschaft ist die Demokratie also immerhin erträglicher, die allerschlimmste
aber ist die Tyrannis.“
Generell sieht Thomas die Monarchie aufgrund der
Sündhaftigkeit des Menschen kritisch und bescheinigt ihr in den allermeisten
Fällen, dass sie ungerecht sei:
„Weil somit der Grund für das Beste wie für das Schlimmste in der
Monarchie (…) liegt, wird von vielen wegen der Schlechtigkeit des Tyrannen die
königliche Würde überhaupt verhasst. (…) Und wohl die Mehrzahl der Herrscher
übt unter dem Vorwand, ihre königliche Würde zu wahren, eine Gewaltherrschaft
aus.“
Thomas belegt seine Beobachtungen mit vielen Beispielen aus
der römischen Geschichte. Er führt seine Überlegungen weiter und zeigt, dass die
Perversion der Aristokratie noch viel häufiger geschieht als die der Monarchie
und es schwieriger ist, mehrere Tyrannen wieder loszuwerden (ungeachtet dessen,
dass sie sich auch gegenseitig bekämpfen). Es ist daher empfehlenswerter, nur
einen Monarchen haben. Seine Empfehlung zur Vermeidung einer monarchischen
Tyrannis ist die Schaffung einer Rechtsverfassung, der der Monarch in jedem
Fall unterworfen sein muss. Ebenso rät er, einem Monarchen niemals
uneingeschränkte Macht einzuräumen.
Einem bereits etablierten Tyrannen soll mit Klugheit begegnet werden. Thomas
hält ein Widerstandsrecht dann für legitim, wenn ein „allgemeiner Beschluss“ dessen Absetzung durchführt. Dieser
allgemeine Beschluss muss durch andere Obere des Gemeinwesens zustande kommen
und darf keinesfalls die subjektive Einschätzung einer Splittergruppe sein. Den
Tyrannenmord hält er für illegitim und warnt vor den Gefahren, die von einer subjektiven
Einschätzung einiger weniger Aufständischer ausgeht, den Tyrannen zu stürzen –
oft ist es hinterher unter der Herrschaft der Aufständischen nicht weniger
schlimm als zuvor unter dem einen Tyrannen … Im Zweifelsfall muss der Tyrann
ertragen werden, bis Gott die Geschicke ändert.
Die „Demokratie“ bzw. die „Politie“ darf nicht pauschal als
„gottlos“ verteufelt werden. Diese Staatsformen sind nicht von der gleichen
Güte wie eine gerechte Monarchie, aber angesichts der Seltenheit einer
gerechten Monarchie, und ebenso grundsätzlich, gehört doch die eine – eine
parlamentarische Demokratie („Politie“) - immer noch zu den gerechten
Herrschaftsformen. Die andere – eine Art Staatssozialismus – ist unter den
ungerechten Herrschaftsformen nach Thomas erträglicher als die Tyrannis eines
Monarchen.
Thomas lässt in jedem Fall keine vulgäre, populistische
Antwort zu.
So sehr er die gerechte (!) Monarchie tatsächlich für die
beste Regierungsform hält, so sehr lehnt er auch ein weniger ideales Modell nicht
kategorisch ab angesichts der schweren Probleme, die die menschliche
Sündhaftigkeit mithilfe der Monarchie schafft.
In späteren Kapiteln stellt er fest, dass die heidnischen
Könige aufgrund der irdischen Ausrichtung des religiösen Kultes sich in den
meisten Fällen das Priestertum unterworfen haben. Thomas nimmt diese
Konstellation auch für das alte Israel an.
Für diese Annahme spricht nicht nur die Verwerfung Gottes in der Forderung nach
einem König, sondern auch, dass die Juden aufgrund ihrer geistigen Verfassung Jesus
nicht als den erkennen konnten, der er war. Mit dem Eintritt der Kirche in die
Geschichte ist eine Umkehrung der heidnischen und altisraelischen
Wertvorstellungen geschehen:
„Das Amt dieses Königtums (des königlichen Priestertum aller Gläubigen)
ist, damit das Reich des Geistes vom Irdischen geschieden sei, nicht den
Königen der Erde, sondern den Priestern überantwortet worden und vor allem dem
höchsten Priester, dem Nachfolger Petri, dem irdischen Stellvertreter Christi,
dem Papst zu Rom, dem alle Könige des christlichen Volkes untergeben sein
müssen wie Jesus Christus dem Herrn.“
In der Tatsache, dass sich bereits im heidnischen Rom die
Sitte durchgesetzt habe, dass sich die Führer des Staates den Priestern
unterwarfen und ebenso im heidnischen Gallien die Druiden das Rechtsleben Galliens
bestimmten und nicht die Könige, sieht Thomas eine durch die Vorsehung
angelegte Vorbereitung auf christliche Herrschaftsformen.
Einen „sakralen“ Charakter nimmt er für das christliche
Königtum insofern nicht an – außer eben darin, dass auch der Regierende Teil
hat am königlichen Priestertum aller Gläubigen und an seinem Ort – als König
freilich in hoher Verantwortung – ein „famulus“
päpstlicher oder bischöflicher Autorität, wie dies in gewissem Sinn auch auf
Äbte und Äbtissinnen, Väter und Mütter, Lehrpersonen oder sonstige Obere
zutrifft. Nichts anderes besagten die in der Forschung umstrittenen
Krönungsordines mittelalterlicher Könige: der König erhielt mit seiner Salbung
einen Anteil an der Hirtengewalt der Bischöfe, aber grundsätzlich untergeordnet
und nicht im Sinne eines Sakramentes. So formuliert der Mainzer Krönungsordo
von 962 folgendermaßen:
„Empfange die Königskrone der Herrschaft, die Deinem Haupt zwar von den
unwürdigen, doch von den Händen der Bischöfe aufgesetzt wird; bedenke, dass sie
die Herrlichkeit und Ehre der Heiligkeit und das Werk der Tapferkeit sinnfällig
ausdrückt; Dir sei bewusst, dass Du durch sie Teilhaber an unserem Bischofsamt
wirst, auf dass Du so, wie wir im Innern als Hirten und Lenker der Seelen verstanden werden, auch nach
draußen stets erscheinst als wahrer Diener Gottes und gegen alle Widrigkeiten
als eifriger Schützer der Kirche Christi und des Dir von Gott gegebenen
Reiches, sowie ferner durch das Amt unseres Segnens in Stellvertretung der
Apostel und aller Heiligen als nützlicher Vollbringer des Auftrages Deiner
Herrschaft und erfolgreicher Herrscher, auf dass Du unter den ruhmvollen Helden
geschmückt mit den Edelsteinen der Tugendkraft und gekrönt mit dem Lohn ewiger
Glückseligkeit zusammen mit dem Heiland und Erlöser Jesus Christus, dessen
Namen und Stellvertretung Du nach unserem Glauben ausführst, ohne Ende geehrt
wirst.“
Auffallend ist hier die Umkehrung der (heidnischen) Werte in
der Metaphorik: die Braut Christi, sie, die nach traditioneller Vorstellung wie
alle Frauen „nach innen wirkt“, hat den Vorrang vor dem maskulinen König, der
„nach außen wirkt“: „femina circumdabit
virum“ (s.o.). In dieser Aufhebung der Fluchordnung nach dem Sündenfall, „virum (…) autem dominabitur tui“ (Gen.
3, 16), die aus dem Staub in die Hoffnung auf das kommende Reich Christi hin
erhebt, liegt der tiefste Grund für die Auflehnung der staatlichen potestas gegen die Kirche, die die
gesamte Zeit der Kirche im Wesentlichen kennzeichnet, gleich ob dies durch
Monarchen oder andere Regierende geschah. Der „Wille des Mannes“ will herrschen und in der Frau den unterwerfen,
der ihr die Überwindung des Satans verheißen hat und verkennt ein zweites Mal –
nach den Juden – das wahre Wesen des regnum
Christi. Es geht nicht zu weit, in dieser stolzen und aufsässigen Haltung,
die nicht erst mit dem Liberalismus begann, die Ursache für den Aufstieg und den Untergang des christlichen
Abendlandes zu sehen.
3. Das
päpstliche Lehramt des 19./20. Jh (bis zum Vaticanum II) zur Frage der
Staatsform
Ich möchte gleich einen weiteren Sprung machen. Man könnte
sich hier in viele historische Einzelheiten vertiefen, die aber den Rahmen
dieser Reflexion sprengen würden. Von besonderem Interesse wäre eine Vertiefung
Frage nach den „zwei Reichen“ (rex et
sacerdos – das weltliche und das himmlische Reich, das in der Kirche schon
mitten unter uns ist) und ihrer Beziehung zueinander. Im 5. Jh reflektierten
einige Kirchenväter diese Problematik, nachdem das dem Christentum gewonnene
Rom von heidnischen Westgoten erobert worden war und auf diese Weise sichtbar
wurde, dass das irdische Reich nicht der einfache Zusammenfall von regnum und sacerdotium – Welt und Kirche–
sein konnte. Der heilige Augustinus entwickelt die Lehre, dass die civitas Dei (das Reich Gottes) mit dem
irdischen Staat alleine schon aufgrund der jeweiligen Herkunft aus einer
entgegen gesetzten Sphäre … nur bedingt in Einklang zu bringen ist. Der
weltliche Staat ist zwar eine von Gott gewollte Ordnungsmacht, aber in ihr
wirkt auch der Fürst der Welt im Geheimnis des Bösen, und sie trägt verborgen
oder offen auch antichristliche Züge. Der „Weltstaat“ sei nach Augustinus „lüstern nach Herrschaft“, selbst „von Herrschbegierde beherrscht“. Unter
Zuhilfenahme eines Vergil-Zitates, das aber auch die Worte des heiligen Paulus
zur Notwendigkeit staatlicher Ordnung anklingen lässt, schreibt er schon in der
Einleitung:
„Was Gott zusteht, äfft auch der aufgeblähte Geist menschlichen
Hochmutes nach und läßt gern von sich rühmen, daß er die „Unterwürfigen schone
und niederkämpfe die Stolzen“…“
Augustinus nimmt hier scharfe Distanz zu einer naiven
Rezeption der Worte des heiligen Paulus ein.
Es ist hier leider nicht genügend Raum, die komplexe
Problematik mittelalterlicher Rechtsgeschichte darzulegen, aber hingewiesen werden
soll doch auf die zwiespältige und doppelbödige Auffassung des Königtums als
„Stellvertretung“ Christi, von der im vorigen Kapitel schon gesprochen wurde.
Die übermäßig zur Schau getragene Frömmigkeit kippt plötzlich
in fratzenhafte Verzerrung und Verneinung der Ordnungen Christi um. So wird
z.B. von Heinrich III. (1017 – 1056) folgendes berichtet:
„Kein König vor Heinrich III. war von tieferem religiösen Ernst
beseelt: Nach dem Sieg über die Ungarn bei Menfö 1044 hielt er noch auf dem
Schlachtfeld eine Dankesfeier ab, warf sich als erster barfuß und im härenem
Büßergewand vor dem mitgeführten Splitter des heiligen Kreuzes auf die Knie und
zog wenig später obwohl Sieger in gleichem Büßerhabit in Regensburg zum Hoftag
ein. Als jedoch ihm gegenüber die hohe Würde des Priestertums betont wurde,
fuhr er auf: auch er sei mit heiligem Öle geweiht.“
Die Kirche hat selbst eine interne monarchische Struktur. Die
Herrschaft Christi wird abgebildet im Papst, der mit der obersten Lehrgewalt
ausgestattet ist und dem alle Gehorsam schulden. Er regiert – anders als der
Monarch in der Welt - nicht aufgrund der Macht der Kirche oder einer
menschlichen Wahl und Konstitution, sondern aufgrund der direkten Machtübertragung
durch Christus als dessen Stellvertreter auf Erden. Das Vaticanum I hat dies
klar und nach so vielen Jahrhunderten des Machtkampfes zwischen Welt und
Kirche, Konziliarismus, Kollegialitätstheorie und Papsttum abschließend
definiert. Weil
das so ist, steht der Papst logisch über jedem Monarchen und jeder potestas der Welt. Und es sind vor allem
anderen der Papst und das durch ihn geschützte Messopfer, die wohl mit dem „Katechon“, dem, der das Geheimnis des
Bösen in seiner Ausgeburt noch zurückhält, gemeint waren.
Nun hat gerade der Anspruch der katholischen Monarchen dies
niemals fraglos akzeptieren wollen. Von niemandem wurde der Vorrang des
Papsttums mehr unermüdlich angegriffen als von den mittelalterlichen Kaisern,
Königen und regionalen Potentaten! Oft wurde nicht nur der Primat der
Papstwürde in Frage gestellt, sondern auch die römische Kaiserwürde durch die
Machtansprüche katholischer Regional-Könige. Was unter Traditionalisten,
gelegentlich auch romantischen Träumern und Mittelalterfans als „ideale“
Monarchie hagiografisch verbrämt wird, war meistens nichts weiter als ein
erbitterter Machtkampf zwischen großen und kleinen Monarchen, die sich in ihrem
Unabhängigkeitstreben und ihrem Anspruch, selbst der Herr zu sein, einig waren.
Ohne diese Tatsache hätte die Reformation im 16. Jh niemals in der geschehenen
Weise eskalieren können. Man findet diesen Machtkampf spätestens seit dem 4.
Jh.
So schrieb Alkuin 799 an Karl den Großen in Abgrenzung von
Papst und Kaiser: „Ecce in te solo tota
salus ecclesiarum Christi inclinata recumbit.“
Zuvor hatte der fränkische Priester Cathuulf Karl folgendermaßen gepriesen: „Ipse (Gott) te exaltavit in honorem gloriae
regni Europae.“
Der fränkische König als der Monarch ganz Europas – von Gottes Gnaden. Nur: wer
weiß, wer von Gottes Gnaden derart aufsteigen darf? Cathuulf setzt anschließend
den König mit Gottvater gleich und platziert den „episcopus“ unter dem König, so wie Christus unter Gottvater stehe,
was als häretischer Rückfall in den Arianismus gewertet werden muss, denn
Christus ist dem Vater eben nicht subordiniert!
Die mittelalterlichen Kämpfe der Monarchen zielten immer
wieder auf eines ab: möglichst weit „aufzusteigen“ unter den Monarchen Europas
und dann der Stellvertreter Christi vor dem Papst in einem irdischen
Gottesreich zu sein. „Der Herrscher in dieser civitas Dei nimmt
als irdischer Stellvertreter des Höchsten einen priesterlichen Charakter an.“
Biblische Rechtfertigung für dieses Priesterkönigtum sollte
der geheimnisvolle König von Salem sein, Melchisedek, von dem sich der
Stammvater Abraham hatte segnen lassen (Gen. 14, 18 ff).
Die Verdichtung des König- und Priestertums in ein und
demselben Mann, in einem irdischen Gottesstaat, hat viele Geister angeregt und
eine schwärmerisch-legendäre Fiktion neben der nüchternen dogmatischen
Entwicklung entstehen lassen. In diesem Zusammenhang ist der legendäre
mittelalterliche Priesterkönig Johannes zu erwähnen, der irgendwo im Osten über
ein strahlendes Reich geherrscht und eines Tages einen Brief an den Papst Eugen
III. geschickt haben soll, in dem er jenem Hilfe im Kreuzzug anbot. Es gibt
keinen vernünftig erforschbaren Hinweis auf eine reale Gestalt mit diesen
Attributen. Dennoch geistert sie gerade in den Ideen neokonservativer und katholischer
Traditionalisten weiterhin herum und beflügelt deren einerseits
mystifizierendes und andererseits heidnisch-irdisches Verständnis des Reiches
Gottes.
Es ist Merkmal heidnischer Monarchien, den König als Gott
oder wenigstens Priester zu sehen und geistliches und weltliches Reich in eins
zu setzen. In den mittelalterlichen Monarchen tritt die „Erniedrigung“ des
Fürsten unter die Kirche als verhasstes und unrechtmäßig verstandenes Joch, als
Verkehrung des Naturrechtes, vorerst noch katholisch „gefirnisst“, zutage und
offenbarte in einem langen Prozess, wie das „mysterium iniquitatis“ wirkt: fromm, teilweise unzweifelhaft heldenhaft
und gut, im Kampf für das „christliche Abendland“, aber dann plötzlich doch in
kaltem, grausamem Hochmut, in einem totalen Umschlag, als fiele eine Maske…
Die Vorstellung eines Zusammenfalls von regnum und sacerdotium in
einer Person hatte weder in der Heiligen Schrift einen Platz noch in der
rechtgläubigen, nüchternen Lehre. Sie ist Merkmal des Heidentums und wird Charakter
der Herrschaft des Antichristen sein.
Mit der Französischen Revolution erhielt das heilige Römische
Reich nach vielen schweren Verletzungen seit Jahrhunderten eine unheilbare
Wunde.
Nach dem Wiener Kongress 1814/15 und den rigiden, in vieler
Hinsicht fragwürdigen und erfolglosen Restaurationsversuchen brachen überall
Unabhängigkeitsbewegungen auf: die Nationen formierten sich autonom, wollten
selbständig regiert werden, die Arbeiterbewegung entstand mit der objektiven
und himmelschreiend sündhaften Verelendung der unteren Schichten, die
marxistische Philosophie brach sich Bahn, revolutionäre Bewegungen loderten auf.
Der Kirchenstaat, in dem der Papst seit Jahrhunderten auch
als weltlicher Herrscher regierte, verkleinerte sich zunehmend in den Wirren
der Zeit. Dass das Papsttum ganz offensichtlich theologisch, aber nicht ideologisch auf die Erfordernisse
der Stunde reagieren konnte und wollte, zeigt die Tatsache, dass Pius VII. mit
dem unrechtmäßigen Emporkömmling Napoléon 1801 ein Konkordat abschloss und 1804
sogar dessen angemaßte Kaiserkrönung begleitete. Die ausgehandelte
Konstellation hielt jedoch nicht lange und bald war der Papst seiner weltlichen
Macht durch diesen „Monarchen“ ganz beraubt (1809). Nur noch die geistliche
Macht wurde ihm belassen. Nachdem Pius VII. den Bann gegen alle, die diesen
Annexionsansprüchen Napoléons Folge leisteten, ausgesprochen hatte, wurde er
verhaftet und in Frankreich interniert. Nach dem Sturz Napoléons kehrte der
Papst zurück nach Rom und erhielt nach dem Wiener Kongress das alte Territorium
zurück.
Aber es kehrte keine Ruhe mehr ein. Man kann nüchtern sagen,
dass es vorbei war mit den alten Ordnungen. Der Papst drückte zwar aus, dass es
falsch sei, der Kirche den weltlichen Besitz abzusprechen, führte aber auch
keinen ausgedehnten politischen Kampf darum.
Pius IX. wurde 1846 zum Nachfolger Petri gewählt und schlug
einen liberalen Kurs ein. Diejenigen Liberalen Italiens, die katholisch und nationalistisch sein wollten, waren
hocherfreut und begrüßten den neuen Papst begeistert. Die italienische
Einigungsbewegung und der Papst nahmen jedoch bald aus verschiedenen Gründen
wieder große Distanz zueinander ein. Immerhin bedeutete das „Risorgimento“ für
den Kirchenstaat erneut dessen Einverleibung und Auflösung in einem
Nationalstaat … unter einem italienischen Monarchen. Die übernationale Kirche,
der Leib Christi, mit ihrem Papst unterworfen unter eine Provinznation und
ihren König – nein!
Mit der Revolution 1848/49 musste der Papst aus Rom fliehen
und im Kirchenstaat wurde die Republik ausgerufen. Durch die Intervention
Spaniens und Frankreichs wurde die Römische Republik wieder kassiert und Pius
IX. konnte zurückkehren, ein Teil des Kirchenstaates schloss sich jedoch dem
neuen Königreich Italien an. Es blieb noch der inzwischen sehr verkleinerte
römische Kirchenstaat, den der Revolutionär Garibaldi 1867 erobern wollte, was
aber vorerst misslang. In dieser großen Not berief Pius IX. 1869 das Vaticanum
I ein, das schon 1870 durch – aufgrund der kriegsbedingten Truppenabzüge
Frankreichs - einmarschierende Truppen des italienischen Königs unterbrochen
und zu früh beendet werden musste.
Der Papst verlor nun seine weltliche Macht ganz und Rom wurde
zur Hauptstadt des geeinten Italien ausgerufen. Die Frage nach dem rechtlichen
Status der Vatikanstadt innerhalb Roms und Italiens blieb für Jahrzehnte offen
und wurde erst unter der faschistischen Herrschaft Mussolinis durch die
Lateranverträge geklärt.
Der Gedanke liegt aber nahe, dass die dogmatische Erklärung
der Rolle des Papstes eine defensive und klärende Reaktion auf die weltliche
Entmachtung des Papstes einerseits und seinen eigentlichen, geistigen Vorrang
andererseits war. Auch wenn es unsinnig wäre, der Kirche Besitz und weltlichen
Einfluss kategorisch abzusprechen, wurde doch so ihre eigentliche Aufgabe nach
Jahrhunderten der Unklarheit restauriert. Es ist ein wenig wie mit der Frau bei
Reinhold Schneider: auch die Frau Kirche „wagt“
wieder „zu sein, was sie sein soll, ohne
sich auf die Seite des Mannes zu flüchten“.
Damit war aber die Ära der weltlichen Gewalt definitiv zu
Ende. Es ist merkwürdig, dass viele – weder Liberale noch Traditionalisten –
nicht erfassten und bis heute nicht erfassen, dass das Vaticanum I mit der
Erklärung „Pastor aeternus“ (1869)
die Kirche in eine nach-konstantinische Zeit entließ. Vielleicht muss man
sagen, dass die Braut Christi an diesem Tag ihren Auszug aus den irdischen,
dicht bevölkerten und scheinbar noch mächtigen Gebäuden der Kirche vorbereiten
musste, um ihrem Bräutigam entgegen zu gehen und dabei alles und viele
Unwillige, Schlafende und Irrende zurücklassen musste.
Es wurde und wird aufseiten der
Traditionalisten immer unterschlagen, dass die Auflösung der alten europäischen
Ordnung nicht in erster Linie „antimonarchistisch“ war. Sie brachte ja zunächst
selbst neue Kaiser hervor – nicht zuletzt den deutschen Kaiser - und alte
Könige machten sich zu Schirmherren der Modernisierung, weil sie endlich der
Dominanz anderer Monarchen entkommen wollten … In Deutschland hielten selbst
Teile der sozialistischen Bewegung des 19. Jh noch lange am monarchischen
Prinzip fest. Erst mit der zunehmenden
innerdeutschen Dominanz Preußens setzte sich in der Arbeiterbewegung eine
antimonarchistische – oder besser gesagt: eine antipreußische - Haltung durch.
In Italien wurde die liberale Unabhängigkeitsbewegung sogar vom König – gegen den
imperialen Anspruch der Habsburger und gegen den Kirchenstaat - angeführt.
Die Erstarrung in einer
undifferenzierten monarchistischen Sicht ist umso erstaunlicher, als sich gerade
Pius IX. mit diesem Monarchen, nämlich Viktor Emmanuel II., dem König des geeinten Italien, in der beschriebenen scharfen
Konkurrenz befand. Dieser legitime Monarch aus altem savoyischem
Adelsgeschlecht hatte sich nach der Auseinandersetzung der oberitalienischen
Unabhängigkeitsbewegung gegen die restaurativen Machtansprüche der Habsburger
Monarchie, die wiederum Schutzmacht des Kirchenstaates waren, an die Spitze der
italienischen Einigungsbewegung gestellt und 1861 zum König von Italien
ausrufen lassen.
Der Enkel Viktor Emmanuels II. war derjenige, der den
faschistischen Führerstaat durch zahlreiche königliche Dekrete unterstützte und
ausbauen half, diesmal unter dem Applaus und Aktionismus mancher Kleriker, zu
denen auch der junge Pater Pio gehört haben soll.
Nach dem Chaos der faschistischen Ära wurde das italienische Königtum dann
durch ein Referendum 1946 abgeschafft.
Pius IX. hat in seiner Enzyklika „Quanta cura“ und dem „Syllabus
errorum“ (1864) mehrere Irrlehren hinsichtlich des Staates und seiner
Beziehung zur Kirche definiert. Er verwirft die Erklärung des Vorranges des
Staates vor der Kirche und die
Behauptung, man müsse Staat und Kirche radikal trennen. Er schließt die
Rechtmäßigkeit weltlicher Eingriffe in die Einsetzung von Bischöfen kategorisch
aus. Er nennt keine genaue Regelung, aber offenkundig schwebt ihm ein
Staatswesen vor, in dem die Kirche den geistigen Vorrang hat – wie immer dies
ausgestaltet wird. Wir müssen an dieser Stelle zugestehen, dass die
Selbstbevorzugung der weltlichen Gewalt vor der kirchlichen auch in
innerkirchlichen Angelegenheiten schon mit der „konstantinischen Wende“ im 4.
Jh und in der Neuzeit ganz massiv ab dem 17. Jh mit dem Gallikanismus in
Frankreich zum Problem wurde. Auch ist die Selbsterhebung des Staates zur
mächtigen „Schutzmacht“ der Kirche ebenfalls aufgrund des Syllabus nicht positiv, sondern kritisch zu sehen. Wer von einer
Schutzmacht abhängt, ist immer erpressbar. Soll aber die Kirche, soll die Braut
Christi mit ihrem Papst erpressbar sein?
Neu ist an den modernen Irrtümern nur eines: dass der Staat
als religiös neutral vorgestellt wird. Pius IX. spricht an keiner Stelle von
einem Vorzug der Monarchie gegenüber anderen Herrschaftsformen. Für ihn gibt es
– ganz in der Diktion des heiligen Paulus - nur die Perspektive auf die
„staatliche Gewalt“, die auch dann „christlich“ sein soll, wenn das Volk nicht
christlich ist. Dies basiert auf einer naturrechtlichen Auffassung des Gemeinwesens,
findet jedoch schnell seine Grenzen, wenn man bedenkt, dass im Naturrecht viele
gute Ordnungen Gottes durch den Sündenfall schwer beschädigt, verzerrt oder
sogar pervertiert weitergegeben werden. Ein gutes Beispiel dafür ist die
Ehelehre der Kirche, die auf der Instandsetzung der Würden und Rechte der Frau (und
des Kindes) durch Jesus beruht, der seine Inkarnation ins Fleisch ausdrücklich
und unwiderruflich als Kind durch eine Frau vollzogen hat, während das „Naturrecht“
in aller Welt die Frau gemäß der Fluchordnung nach dem Sündenfall, die die Frau
samt den Kindern dem Mann unterwirft (Gen. 3), verachtet oder zumindest als
weniger „wertvoll“ als den Mann betrachtet und auch die reale (nicht
märchenhafte!) Würde Mariens nicht erträgt und abschütteln will – mit teilweise
verheerenden sozialen Folgen. Es tut sich hier ein unlösbares Problem auf, das
kaum zu überspringen ist. Ich habe ja oben schon gezeigt, dass auch der Vorrang
der weiblichen „Braut Christi“ vor dem männlich vorgestellten weltlichen Reich
dem natürlichen Recht der Heiden vollkommen zuwider läuft – abgesehen von den
Ausnahmen, die der heilige Thomas aufzählt und für eine von der Vorsehung
ausgenommene Erscheinung auf Christus und Maria hin betrachtet. Dennoch hat
Gott den Heiden sein Gesetz ins Herz geschrieben und sie wissen wenigstens im
Groben darum, was gut und was böse ist.
Die Verwerfungen Pius IX. umrahmen die mit dem 19. Jh
endgültig aufgebrochene Kluft zwischen civitas
Dei und dem Fürsten der Welt. Seine Rundschreiben offenbaren eine gewisse
Ratlosigkeit hinsichtlich der praktischen Vorgehensweisen. Der Leser fragt
spontan: Und nun? Wie soll man es „richtig“ machen? Es ist wenigstens zu
erahnen, dass Pius IX. angesichts der sich überschlagenden Umbrüche eine solche
Antwort nicht geben konnte und nicht geben durfte.
Bei Leo XIII., der Pius IX. 1878 auf dem Stuhl Petri folgte,
ist in dieser Frage eine innere Entwicklung zu bemerken. Als Bischof von
Perugia leistete er entschiedenen Widerstand gegen die Revolution und schrieb
in seinem Hirtenbrief vom 12. Februar 1860, die Zeit vor Konstantin dem Großen
sei ein „rechtswidriger Zustand“
gewesen, weil „die höchste geistliche
Gewalt des Papsttums von ihrem Ursprung an in sich den Keim der weltlichen Gewalt
trug.“ In
dieser Ansicht spiegeln sich die zeitgenössischen traditionalistischen
Meinungen. Andere Töne schlug er in den Hirtenbriefen von 1874 und 1877 an, als
er eine „Versöhnung zwischen der Kirche
und der recht verstandenen modernen Kultur (als) möglich und erwünscht“
erklärt.
Bischof Pecci war deshalb von „reaktionären“ Kräften der Kirche auf eine
schwarze Liste der Hierarchie gesetzt worden.
Dennoch kam er nach dem Willen Gottes als Leo XIII. auf den Stuhl Petri. Sein
Programm hinsichtlich des Verhältnisses von Staat und Kirche drückte er in dem
apostolischen Schreiben „Praeclara
gratulationis“ 1894 aus:
„Nichts liegt ihr (der Kirche) ferner, als irgend ein
Recht der weltlichen Macht an sich zu reißen. Anderseits muss aber die
staatliche Gewalt die Rechte der Kirche achten und sich hüten, irgendwie eines
davon in ihren Machtbereich ziehen zu wollen. – Betrachten wir nun die
Verhältnisse und Tatsachen, welches ist da die Richtung des Zeitgeistes in
unseren Tagen? Nur allzu viele sind gewohnt, die Kirche zu verdächtigen, zu
verachten, ja zu hassen und böswillig falsche Anschuldigungen gegen sie zu
erheben. Ja noch weit schlimmer wird es getrieben; mit aller Macht und Anstrengung
geht man darauf aus, sie zur Dienerin der herrschenden Staatsmänner zu
erniedrigen. Darum hat man ihr ihre Güter genommen, sie in ihrer Freiheit aufs
äußerste beschränkt und die kirchliche Erziehung der heranwachsenden Theologen
mit allerlei Schwierigkeiten verbunden. Gesetze von ausnehmender
Strenge werden gegen den Klerus erlassen; die Hauptstützen des Christentums,
die religiösen Genossenschaften werden aufgehoben oder deren Ausbreitung
verboten, kurz: die Febroanischen Lehren kommen in Wort und Tat und zwar noch
schärfer als früher zur Geltung. Dieses Vorgehen ist eine Vergewaltigung der
heiligen Rechte der Kirche. Dabei bringt dies aber den Staaten die größten Nachteile, weil es ganz augenscheinlich
den göttlichen Absichten widerstreitet. Denn Gott, der Herr und Schöpfer der
Welt, war es, welcher der menschlichen Gesellschaft die weltliche und
geistliche Autorität in weiser Absicht vorsetzte; freilich wollte er, dass
beide Gewalten getrennt von einander bestehen sollten, aber keineswegs war es sein
Wille, dass beide sich in feindseliger Absicht bekämpfen sollten. Aber nicht
nur Gott, sondern auch vornehmlich die gemeinsame Wohlfahrt der menschlichen
Gesellschaft erheischen dringend, dass die weltliche Gewalt in ihrer Regierung
und Gesetzgebung in Eintracht mit der kirchlichen Gewalt handle. Daher hat auch
der Staat seine eigenen und ihm eigentümlichen Pflichten und Rechte, ebenso
aber hat auch die Kirche die ihrigen. Aber beide müssen durch harmonische
Eintracht mit einander verbunden sein. So wird gewiss die in den gegenseitigen
Beziehungen zwischen Kirche und Staat gegenwärtig obwaltende Störung beseitigt
werden, welche jeder, der wahre Klugheit besitzt, aus mehr als einem Grund
hinwegwünschen wird und alle Gutgesinnten peinlich empfinden. Dann können auch
die Untertanen, weil die Interessen beider Gewalten klar auseinander gehalten
sind, aber auch nicht sich feindlich gegenüberstehen, dem Kaiser geben, was des
Kaisers ist, und Gott was Gottes ist.“
Die Welt erträgt sie nicht, diese Verwandlung, die das Reich
Gottes schon jetzt auf Erden andeutet: „…sie
zur Dienerin der herrschenden Staatsmänner zu erniedrigen. Darum hat man ihr
ihre Güter genommen, sie in ihrer Freiheit aufs äußerste beschränkt…“ Der erwähnte
Satz bei Jeremia über den „neuen Bund“ steht dem Satan entgegen: „Denn etwas Neues erschafft der Herr im
Land: Die Frau wird den Mann umgeben“. Dass die Frau, die Braut Christi,
zwar nicht „herrscht“, aber dennoch diesen geheimnisvollen Vorrang erhielt –
die ganze Hölle begehrt dagegen auf!
Leo XIII. hält wenige Jahre später fest, dass die Beziehungen
zwischen dem weltlichen regnum im
Mittelalter von Konkurrenz und Feindschaft seitens der Kaiser geprägt waren. Er
sieht darin die logische Konsequenz echter Nachfolge Christi, der sagte
„Man wird euch verfolgen von Stadt zu Stadt, man wird euch hassen und
gering schätzen um meines Namens willen, man wird euch vor den Richter führen
und zu den schwersten Qualen verurteilen." - Und um uns für die Prüfungen
zu stärken, wies er auf sein eigenes Beispiel hin: "Wenn euch die Welt
hasst, so wisst, dass sie mich vor euch gehasst hat –Si mundus vos odit,
scitote quia me priorem vobis odio habuit" (Joh 15, 18). Das sind die
Freuden, das der Lohn, der uns hienieden versprochen ist.“
Die katholische Kirche teilt als gehasste und verfolgte Braut
Christi das Los mit ihrem Bräutigam.
„So hatte sich der traurige Hass gegen die Braut
Christi von einem Jahrhundert auf das andere vererbt, als das Kaisertum in die
Geschichte eintrat. Argwöhnisch und gewalttätig, eifersüchtig auf fremde Größe,
mochte auch die eigene noch so viel durch sie gewinnen, richtete es einen
Angriff nach dem andern gegen die Kirche, suchte es ihre Freiheit zu knebeln,
ihre Rechte sich selber anzumaßen.“
Es ist angesichts solcher Worte des ordentlichen Lehramtes,
der „regula fidei proxima“ unverständlich,
wie der moderne Traditionalismus so
ignorant auf einem staatstheoretischen Konzept beharren kann, das das Lehramt
gerade in der von diesen Leuten vertretenen vulgären Idealisierung nicht nur
kritisch sieht, sondern sogar ablehnt.
Man kann später im vorkonziliaren Lehramt des 20. Jh auch
keineswegs eine ideologische Präferenz für faschistische Herrschaftssysteme behaupten,
wie dies Kirchenfeinde ebenso wie viele Traditionalisten fast gebetsmühlenartig
tun. Es ist richtig, dass sich regionale Episkopate und ein ultrakonservativer
innerkirchlicher „Mainstream“ aus historischen Gründen teilweise hinter solche
Regime stellte (besonders in Spanien, das gebeutelt war von der grausamen
Vorgehensweise der Kommunisten) und unreife, eigenmächtige Kleriker sich mit
dem „katholischen“ Faschismus, auch mit dem Faschismus ohne katholische
Requisiten, gemein machten. Dieser Mainstream stand aber der päpstlichen Linie
genauso widerstrebend gegenüber wie der noch mächtigere Mainstream des
Modernismus!
Eine grundsätzliche Befürwortung faschistischer Herrschaften
wird man in Rom vergeblich suchen. Es ist angesichts der moderaten Worte und
Vorgehensweisen der Päpste als ein ungehorsames und tendenziell schismatisches
Verhalten zu werten, wenn Prälaten wie der Schweizer Robert Mäder – entgegen
den Signalen aus Rom – sich an einer regelrechten Verteufelung der Demokratie
und der Pressefreiheit, von deren Bestand er als Schweizer gerade mit seinen
umstrittenen und schäumenden Publikationen doch selbst so weidlich profitierte,
ebenso abarbeitete wie an einer Dämonisierung der Frau, der Bestreitung ihres
Wahlrechtes, als bedeute dies den Untergang des Abendlandes, das doch bereits
Benedikt XV. im Jahr 1919 zugestanden hatte
und der Deklaration der Frau zum allgemeinen Sündenbock für das gesammelte
männliche Herrschaftsversagen der Geschichte, subsumiert unter der satanischen
Formel „Cherchez la femme“ (eine veredelte moderne Form der Reaktion Adams, die
Gott doch ganz scharf abgewiesen hatte: Was immer der Mann tut – die Frau ist
der heimliche Verursacherin und er darf sich als armes, willenloses Opfer fühlen!).
In der Mäderschen Diktion wird die Frau als Quasi-Funktion des Teufels dargestellt,
die das uralte „Sündengift des Weibes“
durch die Geschichte hindurch verbreitet habe und vom Mann demütig gehalten und
„gerettet“ werden müsse, um „die Welt zu retten“. Mäder hatte wohl
mehrere Konzepte zur „Rettung der Welt“, die das Kreuz Christi nicht allzu
ernst genommen haben dürften. Die Demütigung der Frau zur Rettung der Welt ist
nach der Seligpreisung des mittelalterlichen Scheiterhaufens schon das zweite
Weltrettungsprogramm… Wusste Mäder denn nicht, dass diese Welt einem Ende
entgegen geht, dass ihre Rettung bereits geschehen ist, das Böse ausgären muss
und wir auf die Wiederkunft Jesu Christi warten? Und weiter: Lehrte die Kirche
nicht eigentlich, dass in Adam alle gesündigt hätten und alle der Rettung und Erlösung
bedürften, alle ohne Ausnahme? Für sich selbst zieht Mäder die der Frau unter
Schmähungen verordnete Demut nicht einen Moment in Erwägung.
Es handelt sich um ein seltsam verworrenes und überspanntes,
aber auch offen feindseliges Denken, das eine Grundaussage der Genesis umkehrt:
die Frau ist nach dem einmaligen satanischen Missbrauch der Sehnsucht und
Neugier Evas nach tieferer Erkenntnis von Gott persönlich herausgenommen und in
Feindschaft zum Satan gesetzt und nicht – wie Mäder behauptet – eine zeitlose Funktion
des satanischen Wirkens, das alleine durch Maria durchbrochen wurde. Maria ist „gebendeit unter den Frauen“, sie ist
diejenige unter dem ganzen Geschlecht, die die Verheißung erfüllen durfte, die
der „Frau“ in generalisierender Formulierung verheißen wurde. Dafür spricht
nicht nur der gesamte Verlauf des Alten Testamentes mit seinen überwiegend
positiven und starken Frauengestalten, sondern auch die Tatsache, dass Maria in
der Schrift immer, sogar von ihrem eigenen Sohn, als „Frau“ und nicht mit dem
Eigennamen oder dem Wort „Mutter“ angesprochen wird.
Es wundert nicht, dass Mäder seine ungeheuerliche und
antichristliche Behauptung mit Motiven aus heidnischen Sagen begründet.
Man muss sich fragen, was von einem Priester zu halten ist, der sich selbst in
diese Feindschaft zur Frau setzt (!) und dies hinter einer schwärmerischen und fragwürdigen Überzeichnung
der Gottesmutter verschanzt, über deren Rang als „Zweite“ nach dem Ersten (Christus) er sich - ganz im Geist des
Rangstreites der Jünger zu Zeiten Jesu (Luk. 9, 46-50; Mark. 9,
32-49; Matth. 18, 1-14 ) – weitläufig auslässt, wo sie selbst doch nur
einen Satz dazu gesagt hat: Ecce ancilla
Domini. - Seht,
ich bin Magd des Herrn. Welchen Sinn hat da die Rede von „Rängen“, wo die
Frau doch immer mit Maria Königin, ohne Maria aber als Frau nicht ist?
Wenn eine verheiratete Frau wie Deborah nach dem Willen
Gottes Richterin sein konnte, wenn die Inkarnation des Sohnes Gottes auf der
Seite der Menschen vom eigenständigen, nicht aus dem „Willen des Mannes“ abgeleiteten „Fiat“ einer Frau abhing, gibt es keinen vernünftigen, logischen
Grund, der Frau in einem demokratischen Gemeinwesen, das in seiner Verfassung
ein allgemeines und gleiches Wahlrecht vorsieht, aus prinzipiellen Gründen dasselbe
Wahlrecht zu verweigern. Das allgemeine und gleiche Wahlrecht aller ist aus
vernünftigen Gründen sicher kritisierbar, dann allerdings geschlechterunabhängig.
Die immer wieder vorgebrachte Behauptung, die Frau sei verführbarer als der
Mann – bei Mäder heißt es kurz und beleidigend: „Das Weib denkt nicht“ – wird durch die gesamte Historie der
Menschheit widerlegt. Da der Mann der Hauptakteur der von ihm selbst tradierten
Herrschaftsgeschichte ist, liegen sogar ganze Legionen an Zeugnissen seiner
Verführbarkeit zur Sünde und Gewalttat, angefangen bei Kain, vor…
Es ist bei Mäder geradezu unheimlich, wie hemmungsloser Neid,
eine fast totale Verblendung gegenüber dem eigenen männlichen Versagen, ungeordnetes
Machtstreben und eine sicher nicht von Gott inspirierte Hetze und Feindschaft
unter der flammenden Maske der Marienschwärmerei den Anschein der
Rechtgläubigkeit erzeugen kann. Aber noch unheimlicher ist, dass er mit seinen
Entgleisungen auf offene Ohren im Traditionalistenlager stößt. Erkennt man dort
nicht, dass er mit seinen Ausfällen weit, weit über das hinausgeht, was die Kirche
gelehrt hat und was päpstliche Linie war?
Das Beispiel soll zeigen, dass der moderne, „reaktionäre“
Traditionalismus schon früh keineswegs bereit war, die regula fidei proxima, die alleine der Papst festlegen darf, zu
achten, wo sie seinen ideologischen Ausrichtungen nach „zu schwach“ war.
Anders ausgedrückt: Die Tradition des Traditionalismus war
von Anfang an teilweise widersetzlicher Natur, entstand lange vor dem Vaticanum
II und erfand sich ihre eigene Tradition als Parallelwelt innerhalb der Kirche
unter vorgeblicher Achtung vor dem Papst. Die fast vollkommene Schwächung der
Lehre der Kirche nach dem Vaticanum II war eine perfekte Gelegenheit, diese
traditionalistische Parallelwelt als „Widerstand“ gegen den Modernismus und
angeblich einzig wahre Tradition zu etablieren. Die Idee, es gebe ein
„Widerstandsrecht“ gegen einen rechtmäßigen Papst, ist nicht erst mit
Erzbischof Lefebvre aufgekommen. Sie hat einen langen Weg innerhalb der Kirche
hinter sich und ist immer wieder verworfen worden. So wie aber die Modernisten
den dogmatischen Radar unterfliegen, haben auch die Traditionalisten dies auf
ihre Weise getan.
Wenn der Papst rechtmäßig (d.i. rechtmäßig gewählt und rechtgläubig) ist, schuldet ihm
jeder Mann, jede Frau und jedes Kind Gehorsam – gleich welchen Standes! Ist er
aber nicht rechtmäßig, zum Beispiel wenn er häretisch agiert, dann ist er auch
nicht der rechtmäßige Papst. Ihm zu folgen bedeutete, mit ihm vom Glauben
abzufallen. Dann muss man, wie es der heilige Petrus damals sagte, „Gott mehr gehorchen“.
Dass die modernistisch-traditionalistische Position der FSSPX,
die behauptet, man brauche dem Papst bloß bei ex cathedra-Entscheidungen zu gehorchen und könne ansonsten
ignorieren, was er sagt, der Tradition vollkommen widerspricht, geht aus
folgenden eindeutigen Sätzen Leo XIII. hervor:
„Was nun die Reichweite dieses Gehorsams angeht, so soll sich niemand
einreden, man brauche den Oberhirten der Kirche und besonders dem Römischen
Papst nur bezüglich jener Glaubenslehren zu gehorchen, deren hartnäckige
Verwerfung das Vergehen des Irrglaubens ausmacht. Ebenso wenig genügt die
aufrichtige und feste Zustimmung zu jenen Lehren, die, wenngleich von der
Kirche nicht durch feierliches Urteil entschieden, doch von ihrem ordentlichen
und allgemeinen Lehramt als göttlich offenbart zu glauben vorgestellt werden,
Wahrheiten, von denen das Vatikanische Konzil sagt, man müsse sie mit
„katholischem und göttlichem Glauben" festhalten. Die Christenpflicht geht
weiter und fordert überdies, dass man sich durch die Autorität der Bischöfe und
besonders des Apostolischen Stuhles leiten lasse. Die Zweckmäßigkeit eines
solchen Verhaltens ist leicht einzusehen. Der Inhalt der göttlichen Offenbarung
betrifft nämlich teils Gott, teils den Menschen selbst und die zu seinem ewigen
Heil notwendigen Mittel. Nun ist es aber, wie oben erklärt, nach göttlichem
Recht Sache der Kirche und innerhalb derselben des Papstes, darüber
Vorschriften zu geben, was uns nach beiden Beziehungen hin obliegt, was wir
nämlich zu glauben und was wir zu tun haben. Darum muss der Autorität des
Papstes auch das Urteil darüber unterstellt sein, was die göttliche Offenbarung
enthält, was mit ihr übereinstimmt und was ihr widerspricht. Aus demselben
Grund muss der Papst kraft seiner Autorität entscheiden, was ehrbar und was
unsittlich ist, was wir tun und lassen müssen, um das Heil zu erlangen;
andernfalls vermöchte er weder Gottes Wort mit Gewissheit auszulegen, noch die
Menschen mit Sicherheit auf dem Pfad des Lebens zu führen.
Auch wenn päpstliche Instruktionen nicht den Rang einer
unfehlbaren Aussage haben, ist ihm dennoch zu gehorchen – andernfalls wäre sein
Amt als ständiger Stellvertreter Christi, der seine Vollmacht direkt von
Christus hat, ja überflüssig.
Die Schizophrenie der schismatischen und zugleich „romtreuen“
Haltung der FSSPX, die sich selbst und ihren hagiografisch erhobenen Exponenten,
Erzbischof Lefebvre, zum heiligen „Marktführer“ und einzig wahren
Repräsentanten der katholischen Tradition erklärt, liegt in ihrer Verweigerung
zum Gehorsam gegen Papst und Gott.
Mit zunehmender Distanz zum vorkonziliaren Leben in der Kirche, das aber schon
lange, wie oben gesagt, bereits durchsetzt war von modernistischen und traditionalistischen Irrlehren, ist
bald jede Erinnerung an die wirkliche Tradition und die reale Tätigkeit des
Lehramtes der Kirche verblasst. Die von fast allen Seiten irregeleiteten Menschen
fallen ahnungslos auf den Anspruch solcher selbsternannter lehramts-korrigierender
Glaubenshüter herein und machen sich deren Irrungen oft in naivem Vertrauen zu
eigen.
Nicht alle Holzwege, die man in den Gedankengängen
katholischer Autoren und Kleriker, auch solcher aus älterer Zeit, finden kann,
sind gleichermaßen „wahre“ Tradition der Kirche! Die Frage ist, ob diese
Ideengeber in echter Übereinstimmung mit dem ordentlichen Lehramt standen. Zu
befolgen sind auch nicht importierte regionale Bräuche oder mit dem Anspruch
der allgemeinen Sitte oder Lehre zu glaubende solitäre Meinungen einzelner Prälaten
oder Schriftsteller, sondern – wenn es um allgemeine, für die ganze Kirche
verbindliche Forderungen geht - alleine die Vorgaben des Papstes. Fehlt ein
rechtgläubiger Papst, muss diese Stelle – schmerzlich spürbar, aber in Demut
und Gehorsam und in der Zuflucht zu Maria - leer bleiben!
Der Traditionalismus
ist also ein ebenso unheimliches wie gefährliches Phänomen. Er ist ein
katholischer Zombie: eine scheinbare Wiederauferstehung der verloren gegangenen
Tradition, geistert er als ein seiner Seele beraubtes, willenloses und
fremdgesteuertes Wesen, als „Untoter“, herum, und erbeutet die letzten, noch
nicht ganz apostatischen Seelen.
Der zweite Bischof – außer Lefebvre - , der, um die
apostolische Sukzession nicht abbrechen zu lassen, Priester- und Bischofsweihen
vornahm, war der vietnamesische Bischof Pierre-Martin Ngô-dinh-Thuc, der
allerdings von Pius XI. 1938 bereits ein Mandat erhalten hatte, ohne weitere
Rücksprache mit dem heiligen Stuhl Bischöfe (und Priester) zu weihen, wenn es
für das Heil der Seelen notwendig würde. Seine Weihen sind daher nicht im
selben Sinne wie die des Erzbischofs Lefebvre als „unerlaubt“ und schismatisch zu
betrachten. Da
dieses Mandat für Thuc niemals aufgehoben wurde, waren seine Weihen in jedem
Fall rechtmäßig – nach den Rechten in der vor- und nachkonziliaren Kirche.
Exkommuniziert wurde er 1983 wegen seiner Deklaration der Sedisvakanz des
Heiligen Stuhles durch Kardinal Ratzinger – nicht wegen der vorgenommenen
Weihen.
Bischof Thucs Fehlhandlungen (die Weihe von Bischöfen der
Palmarier) stehen allerdings in Zusammenhang mit Empfehlungen, die zuvor
Erzbischof Lefebvre ausgesprochen hatte. Es ist ungeklärt, was hinter dieser
merkwürdigen Sache steckt. In jedem Fall hat Bischof Thuc, sobald er erkannte,
was gespielt wurde, seine Weihhandlungen für Palmarier öffentlich bedauert und alles,
was sie tun, verurteilt.
Es ist interessant, dass Bischof Thuc die referierten
typischen staatstheoretischen Denkweisen vieler Traditionalisten in Europa in
dieser plumpen Art ablehnte. In diesem Zusammenhang ist eine Episode aufschlussreich,
in der er das Thema dieser Reflexion auf seine Weise beantwortet, die zugleich
beweist, dass der Heilige Stuhl nicht hinter solchem Monarchismus stand:
„Msgr. Drapier (…) rief mich zu sich und bat mich, die Sache dieses
Wüstlings Bâo-dai (des letzten vietnamesischen Kaisers) zu übernehmen. Hier die
Gründe der Intervention des apostolischen Delegaten: Der hl. Thomas von Aquin,
der Ruhm des Dominikanerordens, habe gelehrt, die Monarchie sei die ideale
Regierungsform für die Welt und er als Dominikaner glaubte, Bâo-dai helfen zu
müssen. (…) Ich antwortete frei heraus: ‚Monseigneur, meine Aufgabe als Bürger
ist es, Steuern zu zahlen und die Gesetze des Kaiserreiches zu erfüllen. Was
das Herausragen der Monarchie über jede andere Form der Regierung angeht, muss
man unterscheiden, welche Art der Monarchie gemeint ist: die absolute? Die
konstitutionelle? Die von einem fremden Lande protegierte Monarchie? Von
welcher Kategorie der Monarchie sprach St. Thomas von Aquin? Als Bischof kann
ich keine Politik betreiben, egal, was meine Vorlieben sind. Die Päpste
verpflichten uns nach dem Beispiel der Apostel dazu, uns nicht mit der Politik
zu befassen.’ (…) Msgr. Drapier (war) mit mir unzufrieden, konnte aber meine
Argumentation nicht zerstören. (…) Die Aktivitäten des apostolischen Delegaten
Msgr. Drapier missfielen dem Vatikan, der ihn direkt nach Rom bestellte. (…) Was
Bâo-dai angeht: Er lebt noch in Frankreich auf Kosten seiner zahlreichen
Konkubinen.“
Leo XIII. hat in seiner Enzyklika „Sapientiae christianae“ von 1890 klar formuliert, dass die Pflicht
des legitimen Staatswesens nicht darin bestehe, Selbstzweck zu sein:
„Denn die Gesellschaft hat von Natur aus nicht den Zweck, des Menschen
Endziel zu sein, vielmehr soll sie ihm nur geeignete Hilfsmittel bieten, zur
Vollkommenheit zu gelangen.
Leo XIII. berücksichtigt eine Mannigfaltigkeit an
Lebenswirklichkeiten der Katholiken weltweit. Er sieht offensichtlich keine
Notwendigkeit, über Staatsformen zu streiten, sondern als Katholik im
Staatswesen bei großer Liebe zum „Vaterland“
eine noch größere Liebe zur Kirche zu leben und zu bezeugen:
„Ist doch die Kirche die heilige Stadt des lebendigen Gottes, aus Gott
geboren und von ihm gestiftet, damit sie, während sie selbst sich in dieser
Welt auf Pilgerschaft befindet, die Menschen sammle, unterrichte und dem ewigen
Himmelsglück entgegenführe. Wenn uns also das Vaterland, in dem wir dieses
sterbliche Leben empfangen haben, lieb und teuer sein muss, so gebührt der
Kirche eine noch größere Liebe, da wir ihr das ewige Leben der Seele verdanken;
und wenn die Güter der Seele mit Recht vor jenen des Leibes Vorzug haben, so
sind auch die Pflichten gegen Gott weit heiliger als die Verpflichtungen gegen
die Menschen.
Der Katholik mag nicht mit jeder
Regierung glücklich sein, aber seine Liebe zu seinem Vaterland – man beachte
das sorgfältige Umgehen des Begriffes „Volk“ oder „Nation“ bei Leo XIII. - widerstrebt
nicht der Liebe zum himmlischen Jerusalem:
„Übrigens dürfen wir nicht verkennen, dass die übernatürliche Liebe zur
Kirche und die natürliche Liebe zum Vaterland aus einer und derselben ewigen
Quelle fließen: sie sind Zwillingsschwestern und haben beide Gott zum Vater und
Urheber. Darum ist auch ein Widerspruch zwischen ihren Verpflichtungen
unmöglich. Sie schließen also einander nicht aus: auf der einen Seite die
Selbstliebe, das Wohlwollen gegen die Nebenmenschen, die Liebe zum Staat und
zum Träger der Gewalt an seiner Spitze, auf der anderen die gleichzeitige
Verehrung gegenüber der Kirche, unserer Mutter, und eine Liebe zu Gott, die
alles übersteigt.
Die Liebe zum Vaterland entspricht der Liebe zur Familie: man
darf nicht hassen, was einen hervorgebracht hat, soll „Vater und Mutter“ stets „ehren“!
Dennoch hat im Zweifelsfall immer die Autorität des Papstes, also im Bild gesprochen
der „Mutter (Kirche“) vor dem „Vater“, der weltlichen Autorität, den Vorrang:
„Wem von den zweien aber der Vorzug gebührt, ist zweifellos.“
Jesus hat uns gesagt, dass der, der nicht bereit ist, im
Zweifelsfall um seinetwillen Vater und Mutter zu verlassen, sein nicht wert ist
(Mk. 10, 29).
Eine Zusammenfassung der wahren Haltung der katholischen
Kirche zu Fragen der Staatsformen und ihren verwalterischen Regelungen und
Bürgerrechten gab uns eindeutig und unmissverständlich Pius XI. in „Dilectissima nobis“ von 1933:
„Allen ist ja bekannt, dass die katholische Kirche keine Staatsordnung
gegenüber einer anderen besonders bevorzugt, sofern nur die Rechte Gottes und
des christlichen Gewissens gewahrt und geschützt werden, und dass sie sich
daher ohne Schwierigkeit mit jeder Staatsform ins Einvernehmen setzen kann, sei
es ein Königreich oder eine Republik, eine Aristokratie oder eine Demokratie.
Das beweisen, um nur Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit zu erwähnen, die
zahlreichen Verträge und die so genannten "Konkordate", die erst vor
kurzem abgeschlossen wurden, ebenso die freundschaftlichen Beziehungen, die der
Apostolische Stuhl mit verschiedenen Staaten unterhält, selbst mit jenen, die
nach dem letzten großen Krieg die Monarchie abgeschafft und die Republik
eingeführt haben.“
Das alles dürfte eindeutig sein und wurde auch – unverdächtig
aufgrund seiner offenen Antipathie für die Kirche an dieser Stelle - von dem
Historiker Jacob Buckhardt um 1868/70 herum sachlich genau so bestätigt:
„Die Kirche liebt zwar keinen Staat, neigt sich aber demjenigen
Staatswesen zu, welches das bereitwilligste und fähigste ist, für sie die
Verfolgungen zu exquirieren. Sie richtet sich auf den modernen Staat ein, wie
sie sich einst auf das Lehenswesen eingerichtet.“
Wie sollte die Braut Christi auch einen Monarchen lieben, wo
doch ihr Bräutigam im Himmel zur Rechten Gottes sitzt!
4.
Prophetische Aussagen
Was sagten uns die prophetischen Schauungen einzelner
Mystiker über die abendländischen Monarchien und die kirchliche Obrigkeit voraus?
Ist eingetreten, was sie sahen?
Frühe Mystiker der Neuzeit sahen die Auflösung der Kirche
voraus, in der wir stehen. Mehrere Visionen über die Zustände, in denen die
Kirche im 19. und 20. Jh versinken würde, erhielt die Ordensfrau Marianna von
Jesus Torres in Quito/Ecuador bereits im 16./17. Jh. Ihre Visionen wurden vom
örtlichen Bischof und von Rom als übernatürlich anerkannt. Bis in die
Einzelheiten wurden ihr die furchtbaren Zustände offenbart, die wir kennen. Sr.
Marianna schaute eine Verbrüderung der Kirche mit den Feinden der Kirche. Ob
diese Feinde monarchische oder andere Kräfte sein würden, ist bei nüchterner
Betrachtung gleich. Eindeutig sieht sie, dass die kirchliche Hierarchie dem
Satan dienen würde, das ewige Licht erlöschen wird in der Kirchengebäuden und
für eine gewisse Zeit kein Papst mehr sein würde:
„Zerstörerische Zeiten werden unerwartet eintreffen, in denen selbst
diese, die an die Rechte der Kirche gebunden sind und diese verteidigen
sollten, durch Verdunkelung ihrer deutlichen Visionen, ohne Anzeichen von
Pflichtbewusstsein oder menschlicher Angst, ihre Hand ausstrecken werden
gegenüber den Feinden der Kirche, um das zu tun, was der Letzte von ihnen
verlangt. Aber leider wird der weiseste Mann (Papst), der die Kirche leiten
soll und den mein Allerheiligster Sohn als Hirte über seine Schafe eingesetzt
hat und ihm diese anvertraut hat, abwesend sein!“
Sr. Marianna hatte auch eine Vision über einen Priester, der
in diesen schlimmen Zeiten aufstehen würde, und die Wahrheit furchtlos
verteidigen würde.
„Dieser Prälat und Priester wird als Ausgleich für all die
Oberflächlichkeiten der konsekrierten Priester und der Religion agieren.“
Es ist bekannt, dass Erzbischof Lefebvre diese Vorhersage auf
sich selbst bezog und darauf die Berechtigung zu seinen unerlaubten Bischofsweihen
stützte:
„Sie (die Gottesmutter) spricht von einem Prälaten, der sich diesen
Fluten der Apostasie und der Gottlosigkeit absolut entgegenstellen und das Priestertum
erhalten wird, indem er gute Priester heranbildet. Sie können Einwendungen
machen, wenn Sie wollen. Ich werde es nicht tun.“
Es ist hochgradig problematisch, eine Prophetie ohne Prüfung
durch legitime geistliche Autorität auf sich selbst zu beziehen. So etwas hat
es in der Tradition der Kirche niemals gegeben!
Ich möchte auf das Beispiel der Jeanne d’Arc verweisen, mit
der der Erzbischof sich gerne verglich (s.u.). Auch sie war aufgrund von jahrelangen
Visionen (Msgr. Lefebvre hat dagegen lediglich „ein Buch (in die Hände) bekommen“, wie er sagt)
der Überzeugung, die prophetisch angekündigte Jungfrau zu sein, die Frankreich
aus der Unterdrückung durch England helfen würde.
Nachdem Sie es geschafft hatte, zum französischen Kronprinzen vorzudringen, und
er ihr glaubte, wurde sie in Poitiers wochenlang von geistlichen und weltlichen
Hochgestellten untersucht – selbst eine Prüfung ihrer Jungfräulichkeit wurde
durch Hofdamen mehrfach durchgeführt. Sie ließ all dies willig über sich
ergehen – von einer so hochmütigen und unnahbaren Haltung wie bei Msgr.
Lefebvre („Sie können Einwendungen
machen, wenn Sie wollen. Ich werde es nicht tun.“ (s.o.)) war bei ihr keine Spur zu sehen!
Ich sehe dies als ein grundsätzliches Problem an, denn selbst
der Sohn Gottes war sich nicht zu erhaben, von Anfang an durch geistliche
Autoritäten und den Vater selbst um der Menschen willen, die doch Anhaltspunkte
brauchen, immer wieder bestätigt zu werden. Das erste Zeugnis gaben die durch
den Engel des Herrn als Trägerin eines Wunders bezeichnete Elisabeth und ihr
ungeborener Sohn Johannes der Täufer. Das zweite Zeugnis gaben Simeon und Hanna
im Tempel. Simeon hatte aufgrund einer Eingebung erfahren, dass er noch zu
Lebzeiten den Messias sehen würde. Wer an dieser einsamen Eingebung zweifeln
mag, kann aber nicht an der greisen Hanna vorbei, die wiederum Simeon
bestätigte, denn von ihr heißt es immerhin, sie sei eine Prophetin gewesen, die
fast ihr ganzes Leben lang im Tempel gedient hatte – eine geistliche Autorität
also, die sich nicht selbst ernannt hatte! Und überwältigend – abgesehen von
anderen menschlichen Zeugnissen der Gottessohnschaft Jesu wie dem durch Petrus -
bezeugte der Vater mehrfach selbst, dass Jesus „sein lieber Sohn“ sei (Mt. 3,
17; Mk. 1, 11; Lk. 3, 22; Lk. 9, 35; Joh. 12, 28 etc.).
Wieso sollte also ausgerechnet ein - verglichen mit dem Herrn
- armer Mensch wie Erzbischof Lefebvre in einer so wichtigen Angelegenheit
erhaben sein über Einwendungen und Fragen?
Er wusste wohl selbst, dass hier ein tieferes Problem
begraben liegt und hat sich in öffentlichen Predigten bis zum Schluss immer
wieder selbst legitimiert. Ich zitiere aus der Predigt zum20jährigen
Gründungsjubiläum der FSSPX am 1. November 1990 in Ecône:
„Die Entstehung unserer Priesterbruderschaft St. Pius X. war ganz
bestimmt von der Vorsehung gewollt.
Ich bin davon umso mehr überzeugt, da ich selbst ein manchmal etwas ungenügend
lenksames Werkzeug Gottes war. Im Laufe der Jahre 1969 und 1970 hatte ich mich
auf einmal gefragt, ob man dieses Unternehmen nicht aufgeben sollte. Nur durch
die Tatsache, daß mir meine beiden Schutzengel, Abbé Aulagnier und Abbé Tissier
de Mallerais, zur Seite gestanden sind, ist die Bruderschaft entstanden und
Wirklichkeit geworden. Sie haben mich gestärkt und unterstützt. So stelle ich
mir die heiligen Engel vor, die Unserem Herrn im Ölgarten beigestanden sind und
Ihm die Worte eingegeben haben „fiat voluntas tua – Dein Wille geschehe“. Nach
diesem zwanzigjährigen Bestehen der Priesterbruderschaft, müssen wirklich alle
zugeben, daß sie von Gott gesegnet wurde. Selbst diejenigen müssen es zugeben,
die jetzt außerhalb der Bruderschaft stehen, ihr nicht mehr folgen, oder sogar
mit ihr nicht mehr einverstanden sind. Ein Beweis dafür sind die Vertreter aus
Rom, die uns offiziell visitiert haben.“
Seine „Schutzengel“ sind menschliche Mitstreiter, die durch
niemanden legitimiert waren, sondern die er sich selbst gezogen hatte.
Autoritär und ohne irgendeinen Beweis oder ein Argument, deklariert er über
sich selbst und sein Werk den unzweifelhaften Segen Gottes und will selbst seinen Gegnern rhetorisch die Anerkennung dafür
abzwingen. Es schaudert mich, wie er sich in einer Lage wähnt, die derjenigen
gleicht, als unser Herr niedergedrückt von der ganzen Sündenlast der Welt Blut
schwitzte – ist das nicht allzu pathetisch und nahezu blasphemisch?
Ist das der Geist, der sagt: „Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen wurde, sollt ihr sagen:
Wir sind unnütze Sklaven; wir haben nur unsere Schuldigkeit getan.“ (Lk. 17,
10)?
Ein Geist, der nicht
einmal Rechenschaft darüber ablegen will, ob ihm wirklich etwas befohlen worden
ist oder nicht vielmehr er selbst sich einen Plan ersonnen hat? Ein Geist, der
eine „offizielle Visitation aus Rom“ als Beweis ansieht, wo die Bruderschaft
doch meint, sie müsste diesem Rom Widerstand leisten?
In der ihm eigenen Art sah er sich auf einer Linie mit Jeanne
d’Arc, auch wenn er dies rhetorisch mit der Anmaßung zugleich verneinte:
„Das ist der Grund, warum ich nach Rom gehe, so wie die hl. Jeanne
d'Arc auf jene zugegangen ist, die sie verurteilt hatten. Ich bilde mir nicht
ein, die Kraft und Tugend der hl. Jeanne d'Arc zu haben, aber ich glaube
trotzdem, dass der liebe Gott mir helfen wird, vor diesen Leuten zu sprechen,
vor jenen, die mich ausfragen und verhören, und ihnen die Wahrheit zu sagen,
auch wenn sie sie nicht hören wollen.“
Während Jeanne d’Arc alle Leiden konsequent, (nach einem
Angstanfall vor dem katholischen Gericht in Rouen) unbeirrt und schonungslos auf
sich nahm, um einem durch die Kirche bestätigten Auftrag zu gehorchen, tat Monseigneur,
was ihm recht erschien, sagte ohne Not mal diese und mal jene Wahrheit (was den
Papst betraf), und
während die tapfere Heilige am Ende wie unser Herr zerrieben wurde und auf dem
Scheiterhaufen sterben musste, erfreute sich der Erzbischof eines langen
Lebens, ungestörter Lebensvollzüge und einer erheblichen Macht, die niemand untersucht
hatte, die er sich selbst zuschrieb und in der er sich nicht in Frage stellen
ließ. Die formelle Exkommunikation (die Jeanne im Gegensatz zu Monsignore vollkommen
unschuldig aufgrund von Verleumdungen erdulden musste!) war objektiv das
einzige formelle Leiden, das er mit der Heiligen gemeinsam hatte.
Das Beispiel der Jeanne d’Arc im 15. Jh führt uns zu
Frankreich, der „ältesten Tochter der Kirche“, denn der Frankenkönig Chlodwig
I. ließ sich bereits im 5. Jh taufen.
Interessant sind die Gründe, die die Quellen für diese
Entscheidung angeben:
„In den Quellen werden zwei Motive für den Übertritt Chlodwigs zum
Christentum genannt. Das eine war der christliche Königsgedanke. Der König war
in seinem Amt auch durch seine vermeintliche Abstammung von den heidnischen
Göttern legitimiert. Diese Abstammungslegitimation und damit die Verbindung zu
seinen heidnischen Vorfahren musste er aufgeben, als er Christ wurde. Stattdessen
wurde dem König verheißen, er werde einst im Himmel mit seinen Nachkommen
herrschen. Damit wurde ein christliches Königtum begründet, was auch die
Pflicht des Königs zur Mission einschloss. Das zweite Motiv war dasjenige des
stärkeren Gottes (…). In diesem
Sinne berichtet Gregor von Tours, dass Chlodwig sich für das Christentum
entschied, nachdem der christliche Gott ihm in der Schlacht von Zülpich die
erbetene Hilfe gewährt hatte, während er von seinen bisherigen Göttern solchen
Beistand vergeblich erhoffte. Eine Rolle spielte wohl auch der Einfluss seiner
zweiten, katholischen Frau Chrodechild.“
Chlodwig war der einzige König, der den katholischen Glauben
in der „athanasischen“ – und nicht der häretischen arianischen - Form annahm
und ausdrücklich nur den Lehren des Bischofs von Rom folgen wollte. Im Land dieses
Königs entstanden später verschiedene Irrlehren wie der Jansenismus und
Gallikanismus, von dort gingen die massive Entartung des alten monarchischen Staatswesens
und die radikale philosophische Aufklärung aus.
Trotz aller Vorbehalte gegenüber der Regierung Ludwigs XIII.
möchte ich erwähnen, dass er in einem förmlichen Akt der Dankbarkeit am 10.
Februar 1638 Frankreich durch die Hände der Gottesmutter dem allmächtigen Gott weihte.
Eine zeitgenössische Statue von Guillaume Coustou im Hochalter der Kathedrale
Notre-Dame de Paris stellt den König kniend dar, wie er seine Krone dem Herrn
und der Gottesmutter, die unterm Kreuz in einer Pietà dargestellt sind, entgegenstreckt
und zurückgibt.
Nach seinem Ableben 1643 konnte von derartigen
Frömmigkeitsbekundungen keine Rede mehr sein.
In diesem Land hatte Margareta Maria Alacoque am 27.12.1673
eine Vision, in der der Herr sie beauftragte, sich für die Verehrung seines
göttlichen Herzens einzusetzen. Sie erfuhr Unterstützung und Förderung durch
ihren Beichtvater Claude de la Colombière, der einige Schriften über die an Sr.
Margareta offenbarte Herz-Jesu-Verehrung verfasste. 1689 erhielt sie eine
Vision, die sie dazu beauftragte, den französischen König, Ludwig XIV. zu
bitten, ganz Frankreich dem allerheiligsten Herzen Jesu zu weihen und Ihm in
Paris eine Kirche zu erbauen. Der „Roi soleil“, der den berühmten Satz „L’état
c’est moi“, also die Perversion der Monarchie, ausgesprochen haben soll,
geruhte diese Bitte zu ignorieren. Ludwig XIV. gilt als Förderer des
Gallikanismus (der nationalen Autonomie der katholischen Kirche gegenüber dem
Papst):
„Im November 1681 ließ er eine Klerikerversammlung abhalten, welche die
Gallikanischen Artikel verabschiedete, wodurch die Macht des Papstes praktisch
aufgelöst wurde. Der Einfluss der französischen Könige auf die eigene Kirche
war ohnehin sehr stark, nun jedoch durfte der Papst auch keine Legaten mehr
ohne des Königs Zustimmung nach Frankreich senden. Bischöfe durften ohne
königliche Erlaubnis das Land nicht verlassen, kein Staatsbeamter
exkommuniziert werden für Taten, die seinen Dienst betrafen. Alle kirchlichen
Privilegien wurden dem Monarchen übertragen, sämtliche Einflussmöglichkeiten
des Papstes durch die Billigung des Königs reguliert. Der Papst verweigerte
schließlich seine Zustimmung zu diesen Artikeln.“
Die Bitte der Mystikerin musste dem König wie ein Witz erschienen
sein. Er war auf dem Höhepunkt seiner Macht! Er ist auf der anderen Seite des
Hochaltars in Notre-Dame de Paris, gegenüber von Ludwig XIII., dargestellt. Er
hat seine Krone abgesetzt und auf den Boden neben sich gelegt und drückt seine
rechte Hand aufs Herz. Die Linke behält er über seiner Krone. 100 Jahre später
aber wurde in der französischen Revolution seine Dynastie ausgelöscht.
Auf diese Situation, die wiederum ein bezeichnendes Licht auf
die Güte der „alten monarchischen Ordnungen“ wirft, die angeblich ideale
Verbindung von „Thron und Altar“ aufs Neue als Illusion entlarvt und die
Diagnose Leos XIII. bestätigt, dass die Monarchie die universale Kirche mit
ihrem Papst meistens entmachten, beiseite drängen oder „umarmen“ wollte,
bezieht sich im 20. Jh eine Vision, die der überlebenden Fatima-Seherin Sr.
Lucia 1931 zuteil wurde.
Zuvor hatte die Muttergottes die Weihe Russlands an ihr
unbeflecktes Herz durch den Papst im Verein mit allen Bischöfen gefordert, was
jedoch in Rom kein Gehör fand. Sie wurde damit beauftragt, der Geistlichkeit
folgendes mitzuteilen:
„Laß es meine Geistlichen wissen, daß sie, indem sie dem Beispiel des
Königs von Frankreich folgend, meinen Befehl verzögern, werden sie auch ihm in
sein Unglück folgen."
Das Unglück, das die Entscheidung Ludwigs XIV. für Frankreich
und ganz Europa bedeutete, kennen wir. Für ihn und seine Dynastie bedeutete es
Chaos, die Schrecken der Revolution, die Guillotine und für ganz Europa
Durcheinander, die Verstrickung in die Kriege Napoléons und seiner Nachfolger und
schließlich die endgültige und komplette Zerstörung der ehemaligen und
gewachsenen politischen Ordnungen.
Was nun wird die Drohung des Herrn gegenüber dem Papst und
den Bischöfen bedeuten, wenn schon die Wirren der französischen Revolution
alles überstiegen, was man sich damals hätte zuvor ausmalen können?
In der Botschaft von La Salette 1846, die wie die Botschaften
an Jeanne d’Arc, Margareta Maria Alacoque, Bernadette Soubirous oder Katharina
Labouré in der Rue du Bac, an eine junge franzische Frau und einen jungen Mann
erging, erfahren wir, dass Rom den Glauben verlieren und Sitz des Antichristen
werden würde.
Die Ereignisse unter dem Pontifikat Pius IX., die wir oben
näher betrachtet hatten, wurden darin vorhergesagt. An diesen Stellvertreter
Christi wird ausdrücklich eine Mitteilung gemacht:
„Der Stellvertreter meines Sohnes, der Hohepriester Pius IX., verlasse
Rom nach dem Jahre 1859 nicht mehr. Er sei vielmehr standhaft und großmütig und
kämpfe mit den Waffen des Glaubens und der Liebe. Ich werde mit ihm sein.
Er traue dem Napoleon (Anm.: Napoléon III.) nicht. Sein Herz ist doppelzüngig
(falsch). Und wenn er gleichzeitig Papst und Kaiser sein will, wird sich Gott
bald von ihm zurückziehen.“
Diese prophetischen Sätze stehen in scharfem Widerspruch zu
dem „zerebralen Katholizismus“ (s.o), der sich in Frankreich zu dieser Zeit aus
Traditionalismus, Royalismus und Antisemitismus herausgebildet hatte…Dem Papst
wird eingeschärft, nicht mit weltlichen Waffen zu kämpfen. Wir hatten gesehen,
dass Pius IX. dies weitgehend beherzigt hatte. Er erduldete alle Angriffe
defensiv, aber mit klarem und ausgewogenem geistigen Urteil.
Wie schon die Visionen der Sr. Marianna aus Quito es
vorhersahen, teilt die Mutter Gottes in La Salette eine große Sittenverderbnis
mit, aber nicht im Volk, sondern vor allem im Klerus, dessen Angehörige sie als
„Kloaken“ bezeichnet. Mit der Prophetie aus Ecuador gemein ist die Schau, dass
der Stuhl Petri verwaist sein wird.
Bestürzend ist die Warnung vor frommen Wundertätern und vor
allem die Entlarvung dessen, was eben nichtchristliche oder kirchenkritische
Zeitgenossen als „cerebralen
Katholizismus“ oder als hinsichtlich des Bundes von „Thron und Altar“ seit der Reformation als „Komplizität ihrer beiderseitigen Konservativismen“,
kurz: reinen Machterhalt, beurteilt hatten:
„Der Papst möge sich vor den Wundertätern in acht nehmen. (…) Manche
Personen werden von diesen bösen Geistern von einem Ort zum anderen versetzt,
und sogar Priester, weil diese sich nicht vom guten Geiste leiten lassen, der
ein Geist der Demut, der Liebe und des Eifers für die Ehre Gottes ist. Man wird
Tote und selbst Gerechte auferstehen lassen… (…) Wehe den Kirchenfürsten, die
nur nach Reichtümern und nach Erhaltung ihrer Autorität und nach stolzer
Herrschaft trachten.“
In erschreckender Weise wird eine Kirche beschrieben, die eine
entkernte, nur noch „polizeilich“
erzwungene Autorität und Herrschaft als etwas ansieht, das ihr zusteht und
worum sie zu kämpfen hätte, sich andererseits durch wundertätigen Charismatismus
als Ort wahrer Frömmigkeit darstellen wird.
Mit dem Vaticanum II konnte der Charismatismus ungehindert in
die katholische Kirche eindringen und wurde von Paul VI. und Johannes Paul II.
gefördert. Jorge Mario Bergoglio hat sich inzwischen ungeschminkt und ökumenistisch
mit den Charismatikern verbrüdert und schon mehrfach von freikirchlichen Predigern
dieser geistlichen Bewegungen segnen und ablichten lassen…
„….der Papst möge sich vor Wundertätern in acht nehmen… Manche Personen
werden von diesen bösen Geistern von einem Ort zum anderen versetzt … sogar
Priester “
Ich möchte hier an dieser Stelle gestehen, dass mich immer
noch niemand von der Güte des konzilskirchlichen Heiligen Pater Pio überzeugen
konnte, der ein wahrer Multi-Mega-Wundertäter war, eine Gestalt, die es – in
dieser Komprimierung an Wundertätigkeit und moderner Massenbewegung – eigentlich
noch niemals gegeben hat. Er schaffte es, an zwei Orten gleichzeitig zu sein,
sagt man…Warum wurde ausgerechnet er, den das vorkonziliare Lehramt mit begründeten
Vorbehalten und Misstrauen beobachtete und dem es zeitweise sogar die öffentliche
Zelebration der Hl. Messe verbot, vom Zerstörer der Liturgie, von Paul VI., gleich
nach dem Konzil, mit offenen Armen „rehabilitiert“? Er löste eine charismatische,
auf seine Person fixierte Bewegung und einen wahren Kommerzrausch aus, aber wo
sind die Früchte geblieben?
Schlussbemerkung
Nach diesem langen Gang durch geschichtliche Ereignisse,
Schriftstellen, lehramtliche Texte und prophetische Reden möchte ich noch
einmal auf die Reflexion Reinhold Schneiders zurückkommen, die ich im Anfang
zitiert hatte.
Schneider hat gewiss recht mit der Überlegung, dass sich in
einem christlichen Königtum auf der Ebene des königlichen Priestertums aller
Gläubigen ein großer Zipfel vom ewigen Königtum Christi abbilden kann. Aber er
selbst nimmt es als realisierbare politische Form, v.a. in der Gegenwart,
sofort zurück: wir leben in einem Zeitalter, in dem einer idealen Monarchie
mehr denn je keine Luft zum Atmen bliebe. Sie würde noch schneller pervertieren,
als sie dies von jeher ohnehin tat.
Von tiefem Einblick in Glaubensgeheimnisse zeugt seine
Erkenntnis, dass mit einem wahrhaften christlichen König die Krönung der Frau
zur Königin und … im weiteren Sinn der ganzen Kirche geschehen muss. Dies
betrifft nicht nur die einzelne Frau und die allgemeine Stellung der Frau in
der Gesellschaft, sondern auch die Anerkennung der hohen Stellung der Frau in
der Heilsordnung. Ein wahrhaft christliches Königtum wird immer in Ehrfurcht
vor der Braut Christi zurücktreten und sich unterordnen. Unterbleibt dies alles,
hält der Mann die Frau nieder wie seit eh und je, und sei es aus angeblich traditionalistischen
Motiven wie bei Robert Mäder, zwingt man sie, „sich auf die Seite des Mannes zu flüchten“, wie dies nach der
Fluchordnung in Gen. 3, 16 zwar unheilvoll verhängt, in Maria aber doch vollständig
aufgehoben ist, und daher jede Frau, sofern sie sich Maria geweiht hat,
wirklich „wagen darf, das zu sein, was
sie (von Gott her) sein soll“ und darf.
Schneiders unsicherer Satz „Ich weiß nicht, ob sie (die Frau) jetzt (also in der Mitte des 20. Jh)
da ist“ muss in vieler Hinsicht negativ beantwortet werden. In wesentlichen
Teilbereichen des Lebens hat sich die Frau mehr denn je unter die ungute
Herrschaft männlichen Machtanspruchs begeben, auch wenn sie dabei einige
Freiheiten gewonnen hat, für die jede vernünftige Frau dankbar ist, v.a. die
Möglichkeit, sich ungehindert zu bilden und frei zu bewegen. Wie eine
Aufziehpuppe aber vollzieht sie, was männliche Ideologen ihr zuvor
eingeflüstert haben – sie lässt sich total vermarkten, im einen Teil der Welt
macht sie sich stark für ihre Abwertung als Mensch und trägt als stolzes
Zeichen dieser Erniedrigung Kopftuch, Burka oder Tschador (ein ähnliches
Phänomen wird durch die FSSPX vorläufig nur für die Hl. Messe nun auch massiv
propagiert als angebliche „Tradition“), und in der westlichen „offenen
Gesellschaft“ treibt sie ihrer gesellschaftlich erzwungenen Enthemmung und
Maskulinisierung zuliebe ihre Kinder ab und beeilt sich, möglichst schnell ihre
Jungfräulichkeit zu verlieren und im Haifischbecken der Ökonomie mit denselben
eiskalten Bandagen zu kämpfen wie der Mann.
Ja, die Frau, auch die einzelne Frau, wagt nicht zu sein, was
sie sein soll. So oder so nicht. Auch nicht in Traditionalistenkreisen.
Am wesentlichsten ist die Perspektive Schneiders am Ende:
Wir werden die Monarchie Christi erleben, aber nicht in
irdischer Herrlichkeit, Pracht und Macht, sondern unter der Dornenkrone und dem
bespuckten Purpurmantel. Das ist es, was uns erwartet.
Man kann alle traditionalistischen Ablenkungsmanöver davon
als satanische Täuschung betrachten. Es gibt keine Rückkehr zu idealisierten
Ordnungen, die oft auch nichts weiter als fragwürdige Krücken oder ein
christianisiertes Chaos waren!
Unsere Aufgabe ist es nicht, „reaktionäre“ Politik zu machen,
sondern dem Herrn entgegenzublicken und dies durch das unbefleckte Herz seiner
Mutter, das durchbohrt wurde von einem Schwert:
„In einer solchen Passion wäre die Krone gerettet; der König der Könige
hat sie getragen als blutüberströmtes Zeichen der Schmach, als äußersten
Widerspruch gegen die dennoch bis in den Tod geliebte Welt, als Nein an
Augustus, den von den Völkern geglaubten Heiland; als Siegel der Wahrheit, die
allein Macht ist und Pilatus, Herodes und Augustus, Hohepriester und Tempel
verzehrt.“ (s.o.)
© Copyright by Hanna Maria Jüngling
https://bibliothequedecombat.wordpress.com/2014/08/10/hommage-de-mgr-lefebvre-au-marechal-petain/ , abgerufen am 4.12.2014: „C’est pourquoi, persuadés que vous pouvez désormais intercéder pour nous auprès de
Dieu, avec tous les saints et saintes de la patrie, nous vous supplions de venir
au secours de la France, que vous avez si bien servie, pour qu’elle retrouve
l’esprit dont vous l’avez animée au temps de la grande épreuve. » („Deshalb,
überzeugt davon, dass Sie von nun an bei Gott für uns eintreten können, mit
allen männlichen und weiblichen Heiligen des Vaterlandes, flehen wir Sie an, zum
Schutz Frankreichs einzutreten, dem Sie so gut gedient haben, damit es den
Geist wiederfinde, von dem Sie in der Zeit der großen Prüfung beseelt waren.“)
„Während Pilatus auf dem Richterstuhl saß, ließ ihm
seine Frau sagen: Lass die Hände von diesem Mann, er ist unschuldig. Ich hatte
seinetwegen heute Nacht einen schrecklichen Traum.“ (Mt.
27,19)
"Besser der
frühere Scheiterhaufen, als der jetzige Weltbrand (…) Das Mittelalter hat mit
seinen Scheiterhaufen und Galgen die damalige Welt vor dem Untergang bewahren
wollen und auch vielfach bewahrt. An ihrer Stelle haben wir die schrankenlose,
geradezu verbrecherische Presse- und Redefreiheit. Wenn es gelingen würde, alle
freigeistigen und zweideutigen Universitätsprofessoren, Künstler,
Schriftsteller, Redakteure, Kinobesitzer, Modemacher und Verführer aller Art in
den Staatsgefängnissen - auch bei guter Verpflegung - zu internieren, wäre es
noch möglich, die Menschheit zu retten." – in: Kirchliche Zeitschrift
„Glocke“ vom 3. März 1929
Vgl. Christine Bard: Die Frauen in der französischen Gesellschaft
des 20. Jahrhunderts. Köln, Weimar, Wien 2008. S. 117