Donnerstag, 29. März 2018

Die sakramentale Anderwelt der Eucharistie (V) - Pagane Brotopfer und das "Chag hamazzot" (Fest der ungesäuerten Brote) der Juden



V. Pagane Brotopfer und das „Chag hamazzot“ (Fest der ungesäuerten Brote) der Juden

Im Raum steht die Frage, ob es sich bei dem Gebot Jesu, zu seinem Gedächtnis das Brot zu brechen und gemeinsam zu essen, tatsächlich um ein „Opfer“ handelte und ob das, was die Kirche heute feiert, nicht vielmehr ein Gedanke aus paganen Kulturen ist, den man mit der ursprünglichen Handlung Jesu vermischt hat. Die Vermischung muss sehr früh, spätestens aber mit dem Staatskirchentum eingesetzt haben. Aus der Zeit davor gibt es keinerlei Quellen, die belegen könnten, dass Christen eine Eucharistiefeier als Opfer iS einer realen materiellen Wandlung von Brot und Wein in Fleisch und Blut Christi gefeiert hätten! Dem postmodernen Menschen erscheint dennoch die eucharistische Opfertheologie „alt“ oder „urchristlich“, zumal die meisten alten Kirchen sie abgetrennt haben von der Feier des Brotbrechens und isoliert als „Sakrament“ feiern.
Vielfach existiert eine Brotbrechen-Feier sogar noch, in der Orthodoxie als „artoklasia“ („Brotbrechen“), und jeder vernünftige Mensch müsste sich angesichts dessen fragen, ob Jesus am Gründonnerstagabend etwa zwei verschiedene Feiern eingesetzt haben sollte. Seltsamerweise aber wird diese Frage sorgfältig umgangen und tabuisiert. Nichtsdestoweniger belegt die parallele Feier der „artoklasia“, dass das, was man irgendwann parallel dazu feierte und „eucharistia“ nannte, offenbar nicht das ist, was Jesu am Abend vor seiner Hinrichtung gebot, wenn dies schon mit der „artoklasia“ abgedeckt wird.

(Häufig) ungesäuerte Opferbrote geisterten durch die gesamte alte Welt und wurden in allen heidnischen Kulten dargebracht. Die Römer nannten es „libum“. Der Einsatz dieses Brotopfers bei einer römischen Hochzeit erinnert in seinen Elementen an das, was wir von Eucharistiefeiern kennen:

„Braut und Bräutigam teilten sich den eigens für diesen Anlass gebackenen Speltkuchen (farreum libum). Dieser Vorgang soll die Gemeinschaft zwischen den beiden schaffen und Übel abwehren. Anschließend führt der Flamen Dialis ein unblutiges Opfer aus Früchten und Speltbrot (panis farreus) an Iuppiter durch. Während des Gebets umschritt das Brautpaar den Altar rechtsherum.“[1]

Es kann eigentümlich berühren, wenn gerade die Kirche nach dem Vaticanum II das eucharistische Opfer in Kontinuität zum Tridentinum als tief verwandt mit dem Ehesakrament ansieht:

„So ist es der am Kreuz und zugleich im Himmel erhöhte Herr, der alle an sich ziehen will (vgl. Joh 12, 32), hineinziehen in seine Opferhingabe und damit zugleich in das Einswerden mit seinem geopferten und verklärten Leib. (…) Hier sei erwähnt, daß auch das Ein-Leib-Werden im Sakrament der Ehe im Rahmen einer eucharistischen Ekklesiologie verstanden werden und die Frage des Kommunionempfangs wiederverheirateter Geschiedener in diesem Licht geklärt, d. h. ausgeschlossen werden muß.[2]

Deutlich wird an diesem Zitat unserer Tage erkennbar, dass das Sakrament der Eucharistie, in dem sich in der biblischen Bildsprache der Bräutigam nicht nur für seine Braut (die Kirche) opfert, sondern auch mit ihr ehelich vereinigen will, in der Logik katholischer Denkweise zu einer Sakramentalisierung der Ehe führen muss.
Ist aber das wirklich dem NT zu entnehmen oder nicht vielmehr eine „getaufte“ Kompilation heidnischer Motive mit neutestamentlichen?
Ebenso erinnert die Beschreibung des „flamen dialis“, des Opferpriesters, frappierend an das Konzept des Priestertums, das in der Kirche irgendwann auftauchte und neutestamentlich nicht begründbar ist:

„Die enorme Bedeutung des Flamen Dialis lag vermutlich weniger in seinen Taten, denn mehr in seinem Wesen als Mittler zwischen Göttern und Menschen. Er trennte sich nie von seiner religiösen Rolle, befand sich ständig in Amt und Würden und wurde als cotidie feriatus (jeden Tag feiernd) bezeichnet.“[3]

Der „flamen dialis“ trug eine spezielle Kopfbedeckung, den „apex“, eine Art Kippa mit Spitze, die viel später in der preußischen „Pickelhaube“ wieder auferstanden zu sein scheint, wobei bis heute ungeklärt ist, wieso man in Preußen eine solche Helmform einführte. Nach den Aussagen der Älteren scheint diese Haube auf antike Vorbilder zurückzugehen. [4] Das Käppchen aber erinnert an das katholische „pileolus“, das Bischöfe, Äbte und der Papst tragen, und das die Spitze des römischen „apex“ in Form eines Stoffspitzchens nachempfindet, das der jüdischen Kippa gänzlich fehlt.
Die pagane römische Opferung eines Brotes ähnelt in ihrem Gemeinschaftscharakter, der „Stiftung der Einigkeit“ der Sinngebung der Eucharistiefeier auf einer bestimmten Ebene, die v.a. im „novus ordo missae“ im Friedensgruß, den sich alle gegenseitig spenden, stark betont wird. Auch ist die Zeichnung des antiken Priesters, der diesen Akt gemeinschaftlicher Vermittlung autoritär vollzieht, dem Konzept der klerikalen Vermittlers der katholischen Doktrin verwandt, dem jüdischen Priesterkonzept dagegen völlig fremd.

Im Kontext der jüdischen Pessachfeierlichkeiten jedoch wird zwar ein Pessachlamm dargebracht, aber kein Brot „geopfert“. Das ungesäuerte Brot, das gebrochen wird, steht nicht für ein Opfer, sondern es steht für das Leid, für Hast, aber auch Befreiung aus der Sklaverei Ägyptens. Das „Brot des Elends“ (aram. „lachma ania“) wird am „Chag hamazzot“, am „Fest der ungesäuerten Brote“ gebrochen und bei einem sakralen Mahl („Seder“) von allen gegessen.
Es scheint, als müssten uns die Juden sagen, wie wir die Eucharistie recht zu verstehen haben:

„Ich könnte aber auch meine christlichen Leser darauf hinweisen, dass das Brot oder die Hostie, die sie beim Abendmahl zu sich nehmen, nichts anderes als eine umgewandelte, christianisierte Gestalt der Mazze ist. Beim letzten Abendmahl, zur Pessachzeit im Heiligen Land, brach Jesus in der Gesellschaft seiner Jünger nämlich nichts anderes als die Mazze. Ein Blick in die Evangelien könnte jeden Zweifler sofort überzeugen. Im 5. Buch Mose (16, 1–3) lesen wir: »Beachte den Frühlingsmonat ... Du sollst (am Feste) nichts Gesäuertes essen, sieben Tage sollst du ungesäuertes Brot zu dir nehmen. Das Brot des Elends – denn in Eile bist du aus dem Lande Ägypten hinausgezogen ...«[5]

In diesen Worten steckt leise Kritik an dieser totalen Verfremdung dessen, was doch so leicht und eindeutig erkennbar in den Evangelien berichtet wird und mit dem, was die Kirche feiert, inhaltlich und der Form nach überhaupt nichts mehr zu tun hat. Das Brotbrechen der Juden soll an den Auszug und die machtvolle Befreiung aus der Sklaverei erinnern und an die eilige Fluchtsituation, an einen Zustand, bei dem man auf dieser Welt nicht so recht verwurzelt ist, sondern auf dem Weg, den Gott führt. Beide Aspekte sind Erinnerung an das, was auch vonseiten Jesu und der Apostel getreulich überliefert wurde, nicht aber von der Kirchenlehre: Wir sind befreit aus jeglicher (!) Sklaverei, haben hier aber keine bleibende Statt, sondern wir suchen die zukünftige.
Das erregt das Befremden und manchmal auch den Hass  der Welt. Dies und nichts anderes ist Inhalt der Sederfeier und des ganzen Pessachfestes.
Zwar findet ein sakrales Erinnerungsmahl statt, aber es ist nicht vordringlich ein Opfer, sondern eine reine „commemoratio“, die daran gemahnen soll, was unser Platz in dieser Welt ist. Zwar beinhaltet auch der jüdische Glaube die Überzeugung, dass die Befreiung aus der Knechtschaft im geistigen Sinne ein für allemal geschehen ist, aber dennoch soll kein Jude sich in falscher Sicherheit in dieser Welt einrichten. Er ist zu einer sozialen Gabe verpflichtet, um auch anschaulich zu zeigen, dass er sieht, dass das „Brot des Elends“ in vielen Formen das Leben beschweren kann. Wenn Jesus von einer „commemoratio“ sprach, griff er den bereits vorhandenen Charakter dieses Festes auf, deutete es aber ganz auf sich hin: Ab jetzt tut diese „commemoratio“ zu meiner commemoratio“. Er sagt im Grunde: „Ich habe schon aus Ägypten geführt, und ich führe erst recht aus der Knechtschaft der Sünde und des Todes!“ Am Gesamtcharakter des Festes wird dadurch nichts verändert.

Das Pessachfest, das „Fest der ungesäuerten Brote“ geht auf ein klares und deutliches Gebot Gottes zurück. Es ist wichtig, sich dieses Gebot im AT vor Augen zu halten, um zu verstehen, was die mit christlichem Sinn versehene „commemoratio“ sein kann und was nicht:

„1 Achte auf den Monat Abib und feiere dem HERRN, deinem Gott, das Pessach; denn im Monat Abib hat der HERR, dein Gott, dich nachts aus Ägypten geführt.
2 Als Pessachtiere für den HERRN, deinen Gott, sollst du Schafe, Ziegen oder Rinder schlachten an der Stätte, die der HERR erwählen wird, indem er dort seinen Namen wohnen lässt.
3 Du sollst nichts Gesäuertes dazu essen. Sieben Tage lang sollst du ungesäuertes Brot dazu essen, die Speise der Bedrängnis, denn in Hast bist du aus Ägypten gezogen, damit du dein ganzes Leben lang des Tages gedenkst, an dem du aus Ägypten gezogen bist.
4 In deinem ganzen Gebiet soll sieben Tage lang kein Sauerteig zu finden sein und vom Fleisch des Tieres, das du am Abend des ersten Tages schlachtest, darf bis zum andern Morgen nichts übrig bleiben.
5 Du darfst das Pessach nicht in irgendeinem der Stadtbereiche schlachten, die der HERR, dein Gott, dir gibt,
6 sondern nur an der Stätte, die der HERR, dein Gott, erwählen wird, indem er dort seinen Namen wohnen lässt. Dort sollst du das Pessachtier schlachten, am Abend bei Sonnenuntergang, zu der Stunde, in der du aus Ägypten gezogen bist.
7 Du sollst es an der Stätte kochen und verzehren, die der HERR, dein Gott, erwählen wird, und am Morgen darfst du wieder zu deinen Zelten zurückkehren.
8 Sechs Tage sollst du ungesäuertes Brot essen, am siebten Tag ist eine Festversammlung für den HERRN, deinen Gott; da sollst du keine Arbeit tun. (Deut 16)

Es gibt daher überhaupt keinen Grund anzunehmen, dass Jesus, der dieses jüdische sakrale Mahl feierte, etwas anderes meinte als das, was in diesem Fest steckt. Wenn er die dabei an alle verteilten Gaben von Brot und Wein mit einem erfüllenden Sinn versieht, nämlich dem, dass diese Gaben immer schon, auch wenn es den Israeliten nicht klar war, auf ihn hingewiesen haben und für ihn stehen, dann folgt daraus mitnichten, dass sich diese Gaben durch einen „Zauberakt“ seiner Worte in Fleisch und Blut wandeln würden. Es folgt daraus logisch, dass ihr Symbolwert sich ganz und gar auf ihn und seine schenkende Opfertat bezog und bezieht. Sie waren zuvor Symbol, starkes Symbol, und wurden niemals anderes als Symbole aufgefasst. Warum sollte das plötzlich anders sein?

Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass das „Brot der Bedrängnis“ nicht für das geschlachtete Pessachtier (das kein Lamm sein muss!) steht, sondern nur eine Beigabe zu ihm war. Von dem am ersten Tag geschlachteten Tier darf nichts bis zum nächsten Morgen übrigbleiben, ähnlich wie dies später über das Manna in der Wüste verfügt wurde. Bedeutsam ist aber auch, dass das Opfer des Tieres nur an einem Ort, den Gott selbst erwählt, dargebracht werden durfte. Weil es diesen Ort heute nicht gibt, hat die Judenheit aufgehört Tiere zu schlachten.
Die sachliche Vermischung des „Tieropferfleisches“ mit der gebrochenen Mazza, auch die Praxis, Hostien so lange aufzuheben, bis sie verfallen, entspricht in gar keiner Weise mehr diesen Vorgaben Israels.

Brot (und Wein) ist in der gesamten Schrift nicht unsere Gabe an Gott, sondern seine Gabe an uns. Wenn Jesus sich selbst an vielen Stellen im NT mit „Brot“ vergleicht, dann nicht im Sinne des „Opfertiers“, sondern im Sinne der heilig machenden, reinigenden und Leben spendenden Gabe, die Gott uns ein für allemal geschenkt hat. Wir nähren uns von seinem Leben, das kraft des ewigen Geistes Gottes unsterblich ist. Dass wir dies dürfen, beruht auf dem realen blutigen Opfer, als das er sich selbst dargebracht hat, ist aber nicht dessen ständige Evokation, sondern dessen Folge. Wie vom geschlachteten Pessachtier darf von dieser Schlachtung am nächsten Tag nichts mehr zu sehen sein, während das Brot sieben Tage lang weiter gegessen wird. Wir erinnern uns: das Brot wird weitergegessen, das Opfer ist nur am 1. Tag des Festes. Am siebten Tag aber ist die Festversammlung Gottes, ein „Schabbat“, ein Tag der ewigen Ruhe im Herrn, auf diesen siebten Tag leben wir zu.
Und so wie nur zu Beginn des Pessach ein Opfer stattfindet, danach aber ungesäuertes Brot gegessen wird, so ist der Beginn des Pessach Gottes in Christus eingeleitet von seinem Opfer, danach aber essen wir das ungesäuerte Brot, um an das vorausgegangene Opfer zur Befreiung aus der Knechtschaft zu erinnern, uns und alle Welt, bis erkommt, bis zum Tag seiner ewigen Ruhe in seinem Reich.
Das „Brot des Elends“ ist für uns zu einem Lebensbrot geworden, weil er mit seinem Blut das ewige Leben für uns wieder freigesetzt hat, das wir uns selbst genommen haben, indem wir — wie die Paradieserzählung beschreibt — dem Satan folgten und damit Gottes Hauch aus uns wiesen. Das Lamm wurde geschlachtet, Chrisus hat sich selbst geopfert, aber am nächsten Tag sah man davon nichts mehr. Wir essen aber weiter das Brot und trinken weiter den Wein von dem, der sich selbst mit dem Weinstock vergleicht, bis erkommt.
Die häufig zitierte Stelle aus dem Mt 26, die „beweisen“ soll, dass die Kirche die Eucharistiefeier recht versteht, lautet:

„26 Während des Mahls nahm Jesus das Brot und sprach den Lobpreis; dann brach er das Brot, reichte es den Jüngern und sagte: Nehmt und esst; das ist mein Leib.
27 Dann nahm er den Kelch, sprach das Dankgebet, gab ihn den Jüngern und sagte: Trinkt alle daraus;
28 das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden.
29 Ich sage euch: Von jetzt an werde ich nicht mehr von dieser Frucht des Weinstocks trinken, bis zu dem Tag, an dem ich mit euch von Neuem davon trinke im Reich meines Vaters.

Das spricht einerseits klar aus, dass wir Jesus nicht mehr real oder sinnlich sehen werden, auch nicht in den Gestalten des Brotes und des Weines, bis er kommt, andererseits gibt diese Stelle keinen Hinweis darauf, dass er selbst realiter getrunken und gegessen würde, wenn seine Jünger später Brot und Wein unter Danksagung und „commemoratio“ zu sich nehmen. Ein Hinweis, dass das „von Neuem im Reich meines Vaters“ ein „Sakrament“ bzw einen Genuss in einer Art „sakramentaler Anderwelt“ hier auf Erden meinen könnte, ist nicht im mindesten vorhanden. Die Schrift gibt beim besten Willen nichts anderes her als das, was ich dargelegt habe. Vielmehr verweist diese Zukunftsperspektive Jesu auf den siebten Tag, den Schabbat der ewigen Ruhe im Reich Gottes, der auch im israelitischen Pessach bereits gefeiert wurde.


[2] P. Franz Prosinger: Auferbauung des Leibes. Zur eucharistischen Ekklesiologe von Ratzinger und Voderholzer. Auf http://www.kath-info.de/eucharekkl.html, (abgerufen am 17.2.2018)
[4] Gabriel Christoph Benjamin Busch: Handbuch der Erfindungen Bände 5 —6, Eisenach 1811. S. 231 (Stichwort „Hut“)
[5] Rabbiner Joel Berger: Das ungesäuerte Brot. In: Jüdische Allgemeine vom 29.3.2018, online lesbar hier: http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/31182 (29.3.2018)

Montag, 26. März 2018

Die sakramentale Anderwelt der Eucharistie (IV) - "Blutwunder"?



IV. „Blutwunder“?

Die sogenannten „Hostienwunder“ behaupten stets, es handle sich um das tatsächlich auf Golgotha geopferte „blutende“ Fleisch Christi. Die Kirche hat solche Hostienwunder schon vor Jahrhunderten anerkannt und etwa im 15. Jh entgegen theologischen Zweifeln Wallfahrten zu solchen „Bluthostien“ gefördert, zugleich aber auch behauptet, es handle sich auf dem Altar um den verklärten Leib Christi, also ein „unblutiges Opfer“. In der mittelalterlichen Kirche wurde ein ausgiebiger Kult um „Christi Blut“ gefördert. Dem hing zB Katharina von Siena an, die lehrte, die Kirche verwalte als ihr größtes Gut das Blut Christi. „Das Feuer der Gottheit wurde eingerührt ins Blut“[1], schrieb sie. Man mag eine solche Lehre als poetische Ausschmückung der Inkarnation Jesu Christi stehenlassen können, aber sie befremdet insofern, als sie auch auf dichterische Weise die Verfremdung der Lehre Christi kenntlich macht. Aus der Tatsache der Opferung Christi ergibt sich nicht, dass Gott seinen Geist in das Blut gerührt, also mit ihm vermischt hätte. Dieser Schluss ist so unsinnig wie tautologisch, denn Gottes Geist ist nach der gesamten Aussage der Schrift im Blut jeglichen Fleisches (s.u.)! Die „Heiligblut“-Verehrung aber breitete sich zum Wohlgefallen der Kirche aus und konnte zuweilen bizarre Züge annehmen.
Vom 14. bis 16. Jh war der bedeutendste nördliche Pilgerweg der Kirche der von Berlin nach Wilsnack, in deren „Wunderblutkirche St. Nikolai“ Blutwunderhostien aufbewahrt wurden. Die Wallfahrtspraxis erlosch mit der Reformation, als der nun evangelische Pfarrherr die Bluthostien 1552 kurzerhand verbrannte.[2]  

Worauf fußt dieser merkwürdige „Blutkult“?
Aus dem Alten Testament geht kein „Sühnopfer“ hervor. Das Blut der Tiere, die geopfert wurden, spendete ihr Leben als Substitut für das verblassende Leben des Menschen. In Gen 2, 7 wird berichtet, dass dem Menschen als erdgeformter Gestalt der Odem Gottes durch die Nase eingeblasen wurde und er erst dadurch lebendig wurde. Dass wir — gemeinsam mit allem Fleisch — lebendig sind, ist daher immer und kategorisch Teilhabe an Gottes Geist oder Hauch. Der Sitz des Geisthauchs ist nach der Schrift das Blut.
An zahlreichen Stellen des AT wird dem Menschen ebenso kategorisch jeglicher Genuss von Blut untersagt, zum ersten Mal nach der Sintflut (Gen 9, 4). Dieses Gebot wurde aufgrund einer Eingebung des Hl. Geistes (!) auch für die Heidenchristen aufrechterhalten, ein Gebot über das sich die katholische Lehre meinte eigenmächtig hinwegsetzen zu können, das aber in den Ostkirchen und bei manchen Freikirchen weiterhin eingehalten wird. Es handelt sich dabei nicht um eine überholte altertümliche Gesetzgebung, sondern dieses Gebot hat — anders als die meisten anderen Speisegebote des AT — eine brisante Begründung, und der Bruch dieses Gebotes zieht die ewige Verdammnis nach sich: „Jeder Mann aus dem Haus Israel oder jeder Fremde in eurer Mitte, der irgendwie Blut genießt, gegen diese Person werde ich mein Angesicht wenden und ihn aus der Mitte seines Volkes ausmerzen.“ (Lev 17, 10) Es handelt sich also keineswegs um eine Kleinigkeit. Warum diese unerbittliche Aussage? Die Begründung in den Folgeversen ist so einfach wie sie bestürzend eindeutig ist, und ich zitiere sie aus Martin Bubers Übersetzung, weil die deutschen Übersetzungen alle irreführend sind und der Sühneopfertheologie Anselms von Canterbury mehr entgegenkommen als dem Text selbst:

„Denn die Seele des Fleisches, im Blut ist sie, ich gab es euch auf die Schlachtstatt, zu bedecken über euren Seelen, denn das Blut, durch die Seele bedeckt es. (…) Denn die Seele alles Fleisches, sein Blut ist mit seiner Seele, ich sprach zu den Söhnen Jißraels: Blut alles Fleisches, esset nicht, denn die Seele alles Fleisches, sein Blut ists, alljeder, der es ißt, wird gerodet.“[3]

Diese Übersetzung, die ganz dicht am hebräischen Text förmlich „tastet“ und fühlt, sagt uns, um was es beim alttestamentlichen Opfer geht:
Es geht darum, dass der Mensch sich Gott mit einem Geschenk (Opfer) naht. ER möchte das in ihm durch die Sünde verblassende, sich aus-hauchende Leben wieder beleben lassen und trägt Gott das Blut, den Lebensträger eines Tieres vor, indem er es schlachtet und vom Priester das Blut zum Altar bringen lässt. Der Ort der stellvertretenden Sündenhäufung ist der Altar selbst. Er wird durch das dargebrachte Blut geheiligt und gereinigt. Durch dieses Geschenk erwirkt sich der Darbringende Reinigung (hebr. „kfer“=„Bedeckung“ iS einer „Bestechung“) für eine gewisse Zeit. Das schwindende Leben in unserem stets „schwach“ (nicht an sich sündhaft oder böse!) genannten Fleisch, das Verblassen des Odems Gottes, der alleine uns lebendig macht und dessen Schwinden uns dem Tod zuführt, wird substituiert durch das Leben anderer Lebewesen. Blut ist dabei die Trägermasse des Lebens, und Blut schafft es auch, „durch die Seele“ hindurch zu „bedecken“. Auf einem solchen Zusammenhang lässt sich kaum eine stellvertretende „Sühneopfer“-Theologie aufbauen, denn nirgends wurde gesagt, das Tier „sterbe“ stellvertretend für den Menschen oder trage dessen „Strafe“. Es ersetzt ihm vielmehr sein schwindendes Leben durch sein Blut, weil im Blut das Leben ist. Dabei geht es nicht um ein irdisches Verlängern des Lebens, sondern um eine Heiligung mit Leben vor Gott. Doch diese Opfer hielten nicht lange vor. „Es handelt sich nur um Speisen und Getränke und allerlei Waschungen, äußerliche Vorschriften, die bis zu der Zeit einer besseren Ordnung auferlegt worden sind“ (Hebr 9, 10b) Paulus spricht von „Erlösung“ (einem Befreitwerden aus einer Pflicht oder juristischen Satzung), aber nicht von „stellvertretender Sühne“. Er schreibt vielmehr:

„11 Christus aber ist gekommen als Hohepriester der künftigen Güter durch das größere und vollkommenere Zelt, das nicht von Menschenhand gemacht, das heißt nicht von dieser Schöpfung ist.
12 Nicht mit dem Blut von Böcken und jungen Stieren, sondern mit seinem eigenen Blut ist er ein für alle Mal in das Heiligtum hineingegangen und so hat er eine ewige Erlösung bewirkt.
13 Denn wenn schon das Blut von Böcken und Stieren und die Asche einer jungen Kuh die Unreinen, die damit besprengt werden, so heiligt, dass sie leiblich rein werden (Anm HJ: eine unglückliche und irreführende Übersetzung in der EÜ — es heißt „emundatio carnis“ = Reinigung/Heiligung des Fleisches, wobei „Fleisch“ etwas anderes ist als der „Leib“)
14 um wie viel mehr wird das Blut Christi, der sich selbst als makelloses Opfer kraft des ewigen Geistes Gott dargebracht hat, unser Gewissen von toten Werken reinigen, damit wir dem lebendigen Gott dienen.

Es geht also nicht um stellvertretend vergossenes Blut als „Sühne“, als ob Gott blutrünstig wäre und mit Blut befriedigt werden müsste, sondern um den Gewinn neuen Lebens aus dem Blut eines anderen. Der Mensch war Gott aus reiner Liebe ein vollkommenes Opfer, eine vollkommene Gabe wert. Der Sohn, „durch den alle Dinge gemacht sind“ (Johannes-Prolog), schenkte sich dem Vater, um unser schwindendes Leben zu restaurieren. Nur er konnte „kraft des ewigen Geistes“, der in ihm — anders als in Tieren — ist, dieses vollkommene Opfer bringen. Um sich opfern zu können, wurde er Mensch. Durch das Mittel des Blutes mussten im Alten Bund „die Abbilder der himmlischen Dinge gereinigt werden; die himmlischen Dinge aber erfordern wirksamere Opfer“ (V 23). Christus sei als Priester ins himmlische Heiligtum eingegangen, um dort mit seinem Blut die „destitutio peccatorum“ für uns zu erwirken. Die EÜ übersetzt das mit „tilgen“. Die rev. Lutherbibel 2017 übersetzt richtiger mit „aufheben“. Eine „destitutio“ heißt wörtlich sogar „Täuschung“ oder „treuloses Verlassen“. Eine „destitutio“ ist im übertragenen Sinn das Rückgängigmachen einer „institutio“ („Einrichtung“). Die Sünde ist eine „institutio“, eine Institution, eine Einrichtung, seitdem der Mensch sich ihr im Garten Eden ergeben hat. Christus hat durch sein Selbstopfer für ihre „destitutio“, für ihre „Dekonstruktion“, wie man postmodern sagen würde, ihren „Abbau“ gesorgt. Er hat dem Satan die Rechte darauf entzogen, uns in Knechtschaft zu halten. Paulus zieht nicht den Schluss, dass wir „entsühnt“ wären. Er schreibt vielmehr, dass wir ein für allemal „geheiligt“ sind („sanctificati sumus“) und weitere Opfer nicht mehr notwendig sind und auch nicht sein können:

„5 Darum spricht er bei seinem Eintritt in die Welt: Schlacht- und Speiseopfer hast du nicht gefordert, doch einen Leib hast du mir bereitet;
6 an Brand- und Sündopfern hast du kein Gefallen.
7 Da sagte ich: Siehe, ich komme - so steht es über mich in der Schriftrolle - , um deinen Willen, Gott, zu tun.
8 Zunächst sagt er: Schlacht- und Speiseopfer, Brand- und Sündopfer forderst du nicht, du hast daran kein Gefallen, obgleich sie doch nach dem Gesetz dargebracht werden;
9 dann aber hat er gesagt: Siehe, ich komme, um deinen Willen zu tun. Er hebt das Erste auf, um das Zweite in Kraft zu setzen.
10 Aufgrund dieses Willens sind wir durch die Hingabe des Leibes Jesu Christi geheiligt - ein für alle Mal.“ (Hebr 10)

Auch die Eingangsworte des Hebräerbriefes sprechen von keinem „stellvertretenden Sühneopfer“:

„9b Es war nämlich Gottes gnädiger Wille, dass er für alle den Tod erlitt.
10 Denn es war angemessen, dass Gott, für den und durch den das All ist und der viele Söhne zur Herrlichkeit führen wollte, den Urheber ihres Heils durch Leiden vollendete.
11 Denn er, der heiligt, und sie, die geheiligt werden, stammen alle aus Einem; darum schämt er sich nicht, sie Brüder zu nennen.“ (Hebr 2, 9b ff)

Es geht um „sanctificatio“, um „Heiligung“. Christus starb, um uns mit seinem Blut das Leben zurückzuschenken, das in uns aufgrund der Macht der Sünde verblasst und schwindet.
Dieser Zusammenhang ergibt sich auch aus Gen 6, 3, den ich in der unnachahmlichen Sprache Martin Bubers zitieren will:

„Nicht niedre mein Geistbraus sich im Menschen für eine Weltzeit, dieweil er auch Fleisch ist, seien denn seine Tage: hundertundzwanzig Jahre.[4]

Die unmittelbare Verknüpfung von „ruach“ (Gottes Geist) mit dem Leben in allem Fleisch und eine Rücknahme dieses Geistes aufgrund der Sünde, die die Erde total verdorben hatte, begrenzt nach einer Menschheit, deren Glieder hunderte von Jahren alt werden konnten trotz der Sünde, das Leben auf maximal 120 Jahre. Diese Grenze gilt bis heute. Wenn wenige sehr alt werden, kommen sie über diese Grenze niemals mehr hinaus. Das schwindende Leben führt uns dem Tod unweigerlich zu. Christus gab sein Blut für unser Leben. Er trug es, wie wir hörten, ins himmlische Heiligtum vor den Vater. Dort tritt er für uns ein als Mittler zum Vater hin und hält ihm sein Blut, das er auf Erden für uns vergoss, vor Augen. Deswegen sind wir ein für allemal in dem Moment aus dem Rechtsanspruch des Satans auf uns errettet, in dem wir das Geschenk annehmen. Nicht ein „Sühneakt“, der einen blutrünstigen Gott markieren würde, sondern eine schenkende, sich opfernde Liebe gab uns durch Leiden unser verlorenes Leben zurück, das doch nur immer schon Gottes Leben in uns war und von uns selbst verspielt worden war. Es gibt in dieser Verstehensweise keinerlei Grund, dieses vergossene Blut corporaliter auf Erden festzuhalten. Das Opfer ist vollendet und vollbracht.

Der Heiligblutkult aber leibt und lebt wie eh und je. Selbst der aktuelle Papst Franziskus hat in seiner Zeit als Erzbischof von Buenos Aires zwischen den Jahren 1992 und 1996 ein multiples Blut- und Hostienwunder wissenschaftlich untersuchen lassen.

„Dabei wurde festgestellt, daß es sich mit Sicherheit um den Teil eines Menschenherzens handelt. Wie das pathologische Institut weiter feststellte, mußte es sich um das Herz eines noch lebenden Mannes handeln. Es handelt sich um lebende Zellen.“[5]

Die eigentümliche Unklarheit, ob es sich bei der Hostie um verborgenes, aber totes Opferfleisch handle oder um gerade noch lebendes, sterbendes Fleisch eines Geopferten oder aber um unblutiges „Geistfleisch“ des verklärten Herrn im Himmel, manifestiert sich in diesen Tatsachen, stellt aber ihre Absurdität und Vernunftwidrigkeit vor Augen. Ein ähnliches Blutwunder wird 2016 aus dem polnischen Liegnitz berichtet. Die wissenschaftliche Untersuchung ergab auch hier, dass es sich um ein Stück menschliches Fleisch, bzw Herzmuskelgewebe handle. Woher dasselbe stammt, ist damit allerdings nicht geklärt worden. Dass der Vatikan für all dies sehr offen ist, belegen diese Worte:

„In Übereinstimmung mit den Empfehlungen des Heiligen Stuhles bat der kirchliche Würdenträger im April den Pfarrer der Pfarrei Sw. Jacka,  Andrzej Ziombrze, "einen angemessenen Ort für die Reliquie vorzubereiten, so dass sie von den Gläubigen verehrt werden könne."“[6]

Im Kult um das „Blut Christi“ spiegelt sich der Versuch, die Wiederholung der alttestamentlichen Tieropfer ins Christliche zu übertragen, indem das Opfer nicht nur einmalig, sondern auch endlos und in dieser Endlosigkeit auch zahllos häufig wiederholbar gedacht wird, wenn auch „nur sakramental“. Dies aber widerspricht dem Hebräerbrief in einer himmelschreienden Art und Weise, denn dort wird jegliche Wiederholung des einmaligen und abgeschlossenen Opfers verworfen (Hebr 9). Jesus ist ein einziges Mal gestorben, in einem bestimmten Augenblick der Zeit, so wie jeder Mensch es tut. Niemand stirbt mehrere Male, und niemand kann mehrfach geopfert werden — auch nicht in einer Mysterien-Parallelwelt. Sein Opfer liegt hinter uns und ist Vergangenheit, allerdings eine folgenschwere Vergangenheit, nach der nichts mehr so ist , wie es vorher war und auch nicht mehr sein kann.


[1] Alle Sakramente seien hergeleitet und nur wirksam im Blut Christi und Kanäle der Kirche, durch die das Leben zu den einzelnen Gläubigen fließe. Vgl. „Katharina von Siena, Kirchenlehrerin“ auf http://kath-zdw.ch/maria/katherina.von.siena.html, (abgerufen am 20.2.2018)
[2] Wiki-Lexikoneintrag zu Bad Wilsnack https://de.wikipedia.org/wiki/Wunderblutkirche_(Bad_Wilsnack), (abgerufen am 17.2.2018)
[3] Die fünf Bücher der Weisung. Verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig. Darmstadt 1984, S. 320 (Er rief 17, 11+12; 14)
[4] A.a.O., Im Anfang 6, 3. S. 22

[5] Giuseppe Nardi: Eucharistisches Wunder von Buenos Aires – Erzbischof Bergoglio und die wissenschaftlichen Analysen, 5. Juli 2013

https://www.katholisches.info/2013/07/eucharistisches-wunder-von-buenos-aires-erzbischof-bergoglio-und-die-wissenschaftlichen-analysen/

[6] CNA Deutsch/EWTN News: Neues Eucharistisches Wunder in Polen, 19.4.2016, auf https://de.catholicnewsagency.com/story/neues-eucharistisches-wunder-in-polen-0701 (abgerufen am 17.2.2018)

Dienstag, 20. März 2018

Die sakramentale Anderwelt der Eucharistie (III) - Was ist eigentlich ein "Mysterium"?



 Was ist eigentlich ein "Mysterium"?

Im NT wird die Ehe lateinisch eigentümlicherweise als „sacramentum“ bezeichnet, griechisch als „mysterion“ (Eph 5, 32), in dem die Liebe Jesu zur Kirche aufscheint.  Damit ist aber auch schon der Zusammenhang zwischen neutestamentlichen „Sakramenten“ und der Lehre der Kirche von „Sakramenten“ oder im Osten auch von „Mysterien“ erschöpft. Das NT kennt keine „Mysterien“ als „Abbilder“ von „Urtaten“, „Uropfern“ oder himmlischen „Urbildern“. Eine solche Praxis und Theologie kannte nur das spätantike Heidentum in den wachsenden Mysterienkulten.
Der Begriff des „mysterium“ taucht im NT in ganz anderen, oft sogar negativen Zusammenhängen auf, die ich zeigen will:
Es wird lateinisch vom „mysterium iniquitatis“ gesprochen (2. Thess 2, 7), vom „Geheimnis des Bösen“, das jetzt schon wirke und sich entfalten werde.
Weiter hat die „Hure Babylon“ in der Johannes-Offenbarung eine Aufschrift auf ihrer Stirn (Apk 17, 5), nämlich das Wort „mysterium“, das ausgedeutet ist als „Babylon magna, mater fornicationum, et abominationum terræ“, als „Babylon, die Große, die Mutter der Hurereien und Gräuel der Erde“.
Mysterium“ ist aber auch die Aussage, dass ein Teil Israels verstockt sei bis die Zahl der Heiden voll sei (Röm 11, 25). Dieses „mysterium“ der „Verstockung“ gehört gedanklich zur Entfaltung des „mysterium iniquitatis“.
Und Paulus „enthüllt“ seinen Adressaten ein „Geheimnis“, ein „mysterium“, dass nicht alle entschlafen, aber alle verwandelt werden (1. Kor 15, 51).
Jesus spricht in Mk 4, 11 vom „mysterium regni Dei“, dem „Geheimnis des Königtums Gottes“, das ausdrücklich nur (!) im Geist und ohne Zuhilfenahme sinnlicher Vergleiche erkannt werden könne.
Im Zusammenhang mit möglichen „Sakramenten“ ist nirgends im NT die Rede von „Mysterien“. Es ist vielmehr bemerkenswert, dass Hieronymus die zitierte Stelle von der Ehe nicht mit dem lateinischen Begriff „mysterium“ wiedergibt, sondern mit dem Begriff „sacramentum“, der hier solitär steht. Das „sacramentum“ bedeutete bei den Römern einen Diensteid und unterscheidet sich in seiner Bedeutung deutlich von dem ebenfalls geläufigen lateinischen Begriff „mysterium“. Mysterien waren in den zeitgenössischen Kulten angesiedelt und bedeuteten die suggestive und hyperrealisierende Zelebration einer „Urtat“ oder die allgemeine Rede von einer verborgenen himmlischen Wirklichkeit.
Das „mysterium“ steht in einem kontradiktorischen Spannungsverhältnis zur „apocalypsis“, dem griechischen Lehnwort für die lateinische „revelatio“, die „Enthüllung“ oder „Entschleierung“. „Mysterium“ kennzeichnet die Ver-schleierung transzendenter Realität, ohne sie ins Licht der Erkenntnis stellen zu wollen. Teilhabe am „mysterium“ bedarf einer „Arkandisziplin“ und einer elitären Kaste von „Eingeweihten“. Der „Eingeweihte“ ist ins „mysterium“ eingeweiht, aber nicht in dessen „apocalypsis“. Er begibt sich in Kulissen eines riesigen Bühnenbildes, ohne zu wissen, wo er sich befindet und was ihn umgibt. Das Verschleierte öffnet sich ihm nicht, sondern es verschlingt ihn, zieht ihn in sich hinein, ohne ihm den Gegenwert der Ent-schleierung zu garantieren. Es spricht für sich, dass im christlichen Abendland mit der „Offenbarwerdung“ des Verborgenen, mit der „apocalypsis“, heute nur noch großer Schrecken, Vernichtung und das Weltende verbunden wird. Es ist offenkundig reine Bedrückung für dieses „christliche Abendland“, dass Gott sich in Christus offenbart hat. Angstvoll harrt man der endgültigen „Offenbarwerdung der Kinder Gottes“ (Röm 8, 19) entgegen. Im „mysterium“ dagegen, der Verschleierung der himmlischen Dinge, fühlt man sich wohl, und darum legen all jene, die die Offenbarung in Christus hassen, so großen Wert auf die Verschleierung der Frau und machen sie zum Symbol der Ausgeschlossenheit aus dem Kreis der Kinder Gottes: die verschleierte Frau ist Zeichen einer offenbarungsunwilligen, versklavten und angstvollen Menschheit.
Biblische „apocalypsis“ aber ent-schleiert schonungslos, „offenbart“ das Verborgene, ernüchtert aus der Verschleierung. Deshalb trägt das letzte Buch des NT auch diesen Titel: „Apocalypsis“. Jesus Christus, der fortging, auffuhr in den Himmel und nicht gesehen werden kann in der sinnlichen Welt, bevor er wiederkommt, hat sich hier wahrscheinlich dem Apostel Johannes geistig von seinem Platz im Himmel aus geoffenbart.

Wenn Hieronymus an der Stelle, in der es um das Opfer Christi für und seine Liebe zur Kirche geht, eben nicht den geläufigen Begriff des „mysterium“ übersetzt, sondern den des „Treueides“, etwa des römischen Soldaten, der sich für die „patria“ regelrecht „opfert“, dann bedeutet dies sogar eine Abgrenzung vom Begriff des „mysterium“ und die bewusste Deutung als Metapher für die Liebe Jesu zu den Menschen, die nicht im Geheimen bleib, sondern sich offenen und für jeden sichtbaren Ausdruck gab.
Erst im weiteren Verlauf des 4. Jh, mit zunehmender Staatskirchlichkeit, wird der Begriff des „mysterium“ auf die „Sakramente“ bezogen bzw konstituiert sie überhaupt erst.

Sehen wir die Kontexte an, in denen im NT von „mysterium“ gesprochen wird:
Der Begriff des „mysterium“ erscheint in Kontexten auf, die eine tiefere Schicht aufweisen und in ihr einen zugespitzten Sinn erhalten, der in der oberflächlichen oder auch tradierten Schau unsichtbar bleibt. Was verborgen war in den zeichenhaften Dingen, soll buchstäblich offenbar werden. Der Neue Bund, muss man daraus folgern, kennt keine Zeichenhandlungen, die Himmlisches verborgen andeuten. Es ist vielmehr sein Kennzeichen, dass in ihm alles offenbar werden muss. Paulus spricht das jeweilige „mysterium“, also das, woraus Mysterienkulte ein „mysterium“ nur für Eingeweihte machen (!), schonungslos aus, „verrät“ oder entmystifiziert es und kennzeichnet es als das, was es ist. Es ist grundsätzlich Stand des Alten und Unvollkommenen, dass man Zeichen benötigt und in Verschleierungen herumtappt.
Jesus selbst offenbart das Verborgene in zwei Schüben: der erste „Schub“ ist die Gleichnisrede: „Ich öffne meinen Mund, und rede in Gleichnissen,/ ich verkünde, was seit der Schöpfung verborgen war.“ (Mt 13, 35) Der zweite Schub der Entschleierung des Verborgenen richtet sich aber nicht an „Eingeweihte“ oder eine „elitäre“ Männerkaste, wie es kirchlich gerne gedeutet wird, sondern an sie gerade nicht:

„10 Als er mit seinen Begleitern und den Zwölf allein war, fragten sie ihn nach dem Sinn seiner Gleichnisse.
11 Da sagte er zu ihnen: Euch ist das Geheimnis des Reiches Gottes gegeben; für die aber, die draußen sind, geschieht alles in Gleichnissen;
12 denn sehen sollen sie, sehen, aber nicht erkennen; hören sollen sie, hören, aber nicht verstehen, damit sie sich nicht bekehren und ihnen nicht vergeben wird.“ (Mk 4)

Diese unglaublich harte, fast zynisch klingende Antwort sagt uns eines sehr deutlich: Jesus gibt „Schein-Mysterien“ für „die da draußen“, aber draußen sind sie, weil sie nicht glauben wollen an das, was für jedermann und ganz schlicht offenbar gemacht wird. Den Jüngern ist es nicht gegeben, das „Geheimnis des Reiches Gottes“ zu erhalten, weil nun eine neue Variante der Mysterienreligion eröffnet worden wäre, sondern weil sie dem einfachen, unverschleierten Offenbarwerden willentlich ihr Ohr leihen und es annehmen, ohne Vorbehalt. Der aber, der sein Ohr nur dem leiht, was er sich selbst zusammenzimmert an „Mysterien“ und „Einweihungen“ und priesterlicher oder gelehrsamer Teilhabe und irgendwelchen Vollmachten, die er sich selbst zuschreibt: der muss verloren gehen und ausgeschlossen bleiben auf eigenen Wunsch.
Solchen wirft Jesus das Gleichnishafte gewissermaßen als Köder und zum Fraß vor, an dem sie sich abarbeiten können und „Mysterien“ darin suchen, ohne etwas von dem zu finden, was so kindlich schlicht offenbart wurde. Schon an dieser frühen Stelle seines Wirkens kündigt er damit an, dass es Menschen geben wird, die aus seiner einfachen Offenbarung ein „mysterium“ machen werden. Das „mysterium regni Dei“ aber entgeht ihnen trotzdem, gerade weil sie ein „mysterium“ daraus machten. Denn der Menschensohn kam nicht, um neue Mysterien zu formulieren, sondern um das „mysterium regni Dei“ zu öffnen für alle, die es annehmen. Er ist selbst das, was seit der Schöpfung verborgen war, nun aber in ihm ausgesprochen wird für das empfängnisbereite Ohr.

Das kirchliche Verständnis der „Sakramente“ als „Zeichen“, in denen eine tiefe transzendente Realität verborgen ist, knüpft an die antike Sinngebung der Mysterienreligionen an, verkennt aber, dass sie im paganen Kontext eine elitäre Erhöhung über den vulgären Vielgötterglauben für Eingeweihte und Hochgestellte sind, eine Selbstvergewisserung und Verschwörung derer, die die Macht bündeln.
Grundsätzlich sind solche „Zeichen“ im besten Fall Merkmale des „unschuldigen“ Heidentums, der Unvollkommenheit des Alten Bundes und im schlimmsten Fall Ausdruck der „Hurerei“ des Rückfalls ins Heidentum. Der Glaube an Jesus Christus muss unweigerlich diese Mysterienreligion zugunsten einer wirklichen Geistbeseelung des Herzens überwinden, die niemand sehen kann, sich aber an ihren Früchten erkennen lässt. Die Erkenntnis der Frucht wiederum leistet nur ein geistlich erneuertes Auge. Man hat also buchstäblich nichts mehr in der Hand…
„Geheimnisse“, beim „mysterium iniquitatis“ in einem ausschließlich negativen Sinn, sind im NT nur die genannten, nicht aber die, die die Kirche später festgesetzt hat, ausgenommen die Ehe, die aber als einziges der späteren „Sakramente“ als „sacramentum“ im römischen Sinn des Treueeids bezeichnet wird (s.o.).
Es gibt folglich die „Mysterien“ und „Sakramente“ im kirchlichen Sinn im NT nicht.

„Mysterium fidei“ spricht der Priester im tridentinischen Ritus während des Kelchwortes. „Geheimnis des Glaubens“ sagt der Priester im „novus ordo missae“ heute an etwas späterer Stelle nach der Wandlung zur Gemeinde hin. Und „Mysterium fidei“ nannte Paul VI. eine Enzyklika „über die Lehre und den Kult der Eucharistie“ aus dem Jahre 1965. Wir finden im ganzen NT nicht eine einzige Stelle, die dieses letzte Abendmahl oder die Eucharistiefeier, das „Brotbrechen“ als „mysterium“ bezeichnen würde. Es ist eine Erfindung der Kirche. Das „Geheimnis des Glaubens“ ist nach Paul VI. die Eucharistie:

„Das Geheimnis des Glaubens, nämlich das unermeßliche Geschenk der Eucharistie, das die katholische Kirche von ihrem Bräutigam Christus als Unterpfand seiner grenzenlosen Liebe empfangen hat, hat sie gleichsam als ihren kostbarsten Schatz stets treu bewahrt und ihm im 2. Vatikanischen Konzil eine neue und sehr feierliche Bezeugung des Glaubens und der Verehrung erwiesen.“[1]

Unzweifelhaft wird schon alleine mit diesen Einleitungsworten die alte tridentinische Definition, die weit ins Mittelalter zurückreicht, wiederholt und gefestigt.
Die Logik seiner Argumentation folgt strikt der tridentinischen Vorgabe:

„Damit aber die unauflösliche Verbindung zwischen Glaube und Frömmigkeit offenbar werde, wollten die Konzilsväter in Bestätigung der Lehre, die die Kirche immer festgehalten und gelehrt und die das Konzil von Trient feierlich definiert hat, folgende Lehrzusammenfassung dem Abschnitt über das heilige Geheimnis der Eucharistie voranstellen: ,,Unser Erlöser hat beim letzten Abendmahl in der Nacht, da er überliefert wurde, das eucharistische Opfer seines Leibes und Blutes eingesetzt, um dadurch das Opfer des Kreuzes durch die Zeiten hindurch bis zu seiner Wiederkunft fortdauern zu lassen und so der Kirche, seiner geliebten Braut, eine Gedächtnisfeier seines Todes und seiner Auferstehung anzuvertrauen: das Sakrament huldvollen Erbarmens, das Zeichen der Einheit, das Band der Liebe, das Ostermahl, in dem Christus genossen, das Herz mit Gnade erfüllt und uns das Unterpfand der künftigen Herrlichkeit gegeben wird.“[2]

Die Verknüpfung der „Gedächtnisfeier“ mit einem realen „Fortdauernlassen“ des erinnerten Opfers „durch die Zeiten“, wie es in Trient geschrieben wurde, ist offenkundig zu abwegig oder unerklärlich, als dass Paul VI. sie erklären könnte — er zitiert einfach nur das Trienter Dekret. Es hat sich also an der Auffassung der Eucharistie seit Trient nichts geändert, auch wenn dies weithin seitens radikaler Traditionalisten oder Progressisten mit Erbitterung oder Euphorie behauptet wird.
Bedenklich ist dabei, dass die mittelalterliche Lehre, die Eucharistie sei das „Unterpfand der künftigen Herrlichkeit“ ohne jede Einschränkung wiederholt wird, obwohl Paulus uns doch so eindeutig im Gefolge der Ankündigungen Jesu Christi über den „Paraklet“ die Gabe des Hl. Geistes als dieses „Unterpfand der kommenden Herrlichkeit“ definierte.
Was treibt die Kirche dazu, das neutestamentliche, wirkliche „Unterpfand“ auszutauschen (2. Kor 1, 22)?
Ein Grund ist ohne Zweifel ein machtpolitischer: erhält jeder und jede Gläubige die Gabe des Hl. Geistes als Unterpfand, ist er oder sie wirklich frei, ganz und gar frei. Niemand kann ihn kontrollieren, niemand darf ihn kontrollieren, und er ist über den Glauben niemandem Rechenschaft schuldig auf Erden (Röm 14). Vertauscht die Kirche diese Gabe der Freiheit gegen „Broteinheiten“, die sie aus eigener Machtvollkommenheit über vermittelnde Kleriker den Gläubigen als „Seelenspeise“ bezeichnet und austeilt oder verweigert, so hat sie die volle Seelenkontrolle über die einzelnen, und die Gabe des Hl. Geistes wird beiseite gedrängt, verhöhnt und bevormundet. Nicht umsonst hat die Kirche erbittert die Gewissensfreiheit mit fortschreitender Zeit im 19. Jh, förmlich Gift und Galle spuckend, dämonisiert.[3]
Johannes Paul II. hat in seiner Enzyklika „Ecclesia de eucharistia“ diese Behauptung, die Eucharistie sei in dem Sinn, der sich seit Trient verfestigt hat, das Zentrum der Kirche als dem „Ursakrament“, weiter ausgeschmückt. Auch er leugnet, dass der „Paraklet“ der Heilige Geist ist und ersetzt ihn durch die Eucharistie:

„Die Kirche lebt von der Eucharistie. Diese Wahrheit drückt nicht nur eine alltägliche Glaubenserfahrung aus, sondern enthält zusammenfassend den Kern des Mysteriums der Kirche. Mit Freude erfährt sie unaufhörlich, daß sich auf vielfältige Weise die Verheißung erfüllt: »Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt« (Mt 28, 20). In einzigartiger Intensität erfreut sie sich dieser Gegenwart jedoch in der heiligen Eucharistie, bei der Brot und Wein in Christi Leib und Blut verwandelt werden. Seitdem die Kirche, das Volk des Neuen Bundes, am Pfingsttag ihren Pilgerweg zur himmlischen Heimat begonnen hat, prägt dieses göttliche Sakrament unaufhörlich ihre Tage und erfüllt sie mit vertrauensvoller Hoffnung.“[4]

An Pfingsten wurde der Heilige Geist ausgegossen — nicht die „Eucharistie, bei der Brot und Wein in Christi Leib und Blut verwandelt werden“. Es wird geradezu platt das eine durch das andere ausgetauscht.
Der Woityla-Papst muss sich des Widerspruchs zu den berichten des NT bewusst gewesen sein, denn er schreibt:

„Wenn die Kirche mit der pfingstlichen Gabe des Heiligen Geistes ans Licht tritt und sich auf die Straßen der Welt begibt, so ist ein entscheidender Moment ihrer Entstehung sicherlich die Einsetzung der Eucharistie im Abendmahlssaal. Ihr Fundament und ihre Quelle ist das gesamte Triduum paschale. Dieses aber ist in der eucharistischen Gabe gewissermaßen gesammelt, vorweggenommen und für immer »konzentriert«. In dieser Gabe übereignete Jesus Christus der Kirche die immerwährende Vergegenwärtigung des Ostermysteriums. Mit ihr stiftete er eine geheimnisvolle »Gleichzeitigkeit« zwischen jenem Triduum und dem Gang aller Jahrhunderte.“[5]

Der argumentatorische Bruch ist eindeutig erkennbar: der Papst erwähnt den Hl. Geist als die biblische Gabe und treibende Kraft, wechselt aber sofort und ohne Verknüpfung von ihm weg zur Eucharistie und zum österlichen Triduum, das angeblich die Stiftung einer „geheimnisvollen Gleichzeitigkeit durch die Jahrhunderte“ sei. Das klingt sehr philosophisch, macht aber aus dem vollbrachten Opfer ein Daueropfer, eine Dauerpassio des Herrn, die nicht übereinstimmt mit dem, was das NT berichtet.
Johannes Paul II erblickt in dieser Dauerpassio mit „Staunen“ ein „Potenzial in dem die ganze Geschichte als Adressat der Erlösungsgnade enthalten ist“.[6]
Die Eucharistie ist der Dreh- und Angelpunkt des kirchlichen Lebens und ihr Herzschlag:

Die Kirche lebt vom eucharistischen Christus. Von ihm wird sie genährt, von ihm wird sie erleuchtet. Die Eucharistie ist Geheimnis des Glaubens und zugleich »Geheimnis des Lichtes«. Jedesmal, wenn die Kirche sie feiert, können die Gläubigen in gewisser Weise die Erfahrung der beiden Emmausjünger machen: »Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten ihn« (Lk 24, 31).[7]

Der eigentümliche Bezug auf das „Geheimnis des Lichtes“ ist selbstreferentiell — Johannes Paul II. hat den Begriff selbst eingeführt. Das Licht steht im NT für das Offenbarwerden des Verborgenen. Inwiefern es dennoch „Mysterium“ ist, lässt sich schwer nachvollziehen, insbesondere im Bezug auf die Eucharistie im kirchlichen Sinne.
Als Zweck der Enzyklika gibt Johannes Paul II. an, die vielerorts verdunkelte oder ganz aufgegebene Praxis eines kirchlichen Eucharistieverständnisses zugunsten einer bloßen Mahlgemeinschaft korrigieren zu wollen.

„Bisweilen wird ein stark verkürzendes Verständnis des eucharistischen Mysteriums sichtbar. Es wird seines Opfercharakters beraubt und in einer Weise vollzogen, als ob es den Sinn und den Wert einer brüderlichen Mahlgemeinschaft nicht übersteigen würde.“[8]

Der polnische Papst wiederholt über weite Strecken nun das tridentinische Verständnis des Messopfers, reichert es aber durch einige weitere Aspekte an, die ich nicht im einzelnen referieren muss, weil die den zentralen Gedanken des Opfercharakters nicht verändern.

„So wird die immer gültige Lehre des Konzils von Trient bekräftigt: »Durch die Konsekration des Brotes und Weines geschieht eine Verwandlung der ganzen Substanz des Brotes in die Substanz des Leibes Christi, unseres Herrn, und der ganzen Substanz des Weines in die Substanz seines Blutes. Diese Wandlung wurde von der heiligen katholischen Kirche treffend und im eigentlichen Sinne Wesensverwandlung genannt«. Die Eucharistie ist wirklich mysterium fidei, ein Geheimnis, das unser Denken übersteigt und das nur im Glauben erfaßt werden kann. Daran erinnern die Kirchenväter oft in ihren Katechesen über dieses göttliche Sakrament: Der heilige Cyrill von Jerusalem mahnt: »Schau in Brot und Wein nicht nur die natürlichen Elemente an, denn der Herr hat ausdrücklich gesagt, daß sie sein Leib und sein Blut sind: Der Glaube versichert es dir, auch wenn die Sinne dir anderes einreden«.[9]

Johannes Paul II. nimmt Bezug auf Cyrill von Jerusalem (spätes 4. Jh), der in seinen „Mystagogischen Katechesen“ schreibt, der Kommuniongänger nehme Leib und Blut Jesu zu sich. Den Zweifel daran hebelt er mit dem Verweis auf die Hochzeit zu Kana aus: wenn Jesus dort Wasser in Wein verwandeln konnte, warum sollte er in der Eucharistie nicht Brot und Wein in Fleisch und Blut verwandeln können?
Schon bei Cyrill wird der Zweifel an dieser Lehre mit bloßer Rhetorik beantwortet: der Zweifler bezweifelt ja nicht die Fähigkeit Jesu, eine solche Verwandlung zu vollziehen! Gewiss könnte Jesus das tun, aber die Frage ist ja nicht, ob er es könnte, sondern ob es überhaupt aus dem Abendmahlsgeschehen hervorgeht, dass er es tut. Diese Frage aber umgeht Cyrill und stellt ihr die bloße Behauptung gegenüber.
Und schon Cyrill stellt den nachmaligen Zusammenhang auf, der das Wirken des Hl. Geistes zugunsten der materialisierten Eucharistie beiseite drängt:

„In der Gestalt des Brotes wird dir nämlich der Leib gegeben, und in der Gestalt des Weines wird dir das Blut gereicht, damit du durch den Empfang des Leibes und Blutes Christi ein Leib und ein Blut mit ihm werdest. Durch diesen Empfang werden wir Christusträger; denn sein Fleisch und sein Blut kommt in unsere Glieder. Durch diesen Empfang werden wir, wie der heilige Petrus sagte, der göttlichen Natur teilhaft.“[10]

Der springende Punkt ist hier, dass Petrus diesen Zusammenhang gar nicht hergestellt hat. Petrus schrieb vielmehr:

„3 Alles, was für unser Leben und unsere Frömmigkeit gut ist, hat seine göttliche Macht uns geschenkt; sie hat uns den erkennen lassen, der uns durch seine Herrlichkeit und Kraft berufen hat.
4 Durch sie sind uns die kostbaren und überaus großen Verheißungen geschenkt, damit ihr durch diese Anteil an der göttlichen Natur erhaltet und dem Verderben entflieht, das durch die Begierde in der Welt herrscht.“ (2. Petr 1)

Es ist nach Petrus eben nicht die Eucharistie, die die Teilhabe an der göttlichen Natur garantiert, sondern die Erkenntnis des Sohnes und die Tatsache, dass er uns durch seine Kraft berufen hat. Eine Verbindung zur Eucharistie wird mit keinem Wort weder in diesen noch in den umliegenden Versen ausgedrückt! Man muss in den Zeilen des Petrus doch spontan eben jenen Schöpfergeist annehmen, von dem alles Erkennen herkommt, nämlich den Hl. Geist.

Wie auch ich im vorigen Blog-Artikel[11] zugab, konnte Luther nicht verstehen, warum die Gestalten von Brot und Wein denn nicht substantiell erhalten bleiben, obwohl Jesus darin realpräsent Platz nimmt. Die kirchliche Behauptung, nach der „Wandlung“ handle es sich nicht mehr um Brot und Wein, also: überhaupt nicht mehr, ist und bleibt unverständlich. Denn selbst nach der aristotelischen Auffassung, die man hier zugrunde zu legen vorgab, kann es keine akzidentielle Gestalt geben, die nicht in irgendeiner Weise auch dem Wesen eines Gegenstandes Ausdruck gibt. Anders gesagt: es ist zum einen kaum nachvollziehbar, inwiefern Brot und Wein wesenhaft gewandelt werden in das Fleisch und Blut Christi, obwohl sie nach wie vor aussehen wie Brot und Wein und schmecken wie Brot und Wein und nichts, aber auch gar nichts auf einen Wesenwandel hinweist außer gesprochenen Formeln.
Form und Inhalt müssen in Korrespondenz zueinander stehen nach der klassischen Lehre der Griechen. Zum andern ist es unverständlich, dass die Gegenstände, die aussehen wie Brot und Wein, in keiner Weise mehr Brot und Wein sein sollten, obwohl sie so erscheinen. Man hat die Inkarnation Jesu Christi mit einer „Zwei-Naturen-Lehre“ erklärt. Warum schließt man eine analoge Vorstellung bei der Eucharistie gänzlich aus?
Die propagierte totale Unabhängigkeit einer Substanz von der Form kennt das Altertum nicht, und sie hätte durchaus absurde Züge. Entfernt erinnert die Theorie an pagane Fetisch-Verehrung oder Idolatrie, bei der im Fetisch oder bildhaften Idol ein Gott „wohnt“. Die Abgrenzung etwa der Hostienverehrung von solcher Idolatrie ist mE nur sehr schwer möglich. Man bedarf des Begriffes „mysterium“, um sich hinter ihm zu verschanzen, wenn all diese quälenden Fragen aufkommen.

Exkurs: Die Gendertheorie basiert ebenfalls auf einer Art „Transsubstantiationslehre“

An dieser Stelle möchte ich auf ein Problem hinweisen, das sich aus der grundsätzlichen Annahme einer Transsubstantiation ergeben kann. Es hat Folgen, wenn man bestimmte Lehren entwickelt, denn diese Lehren stützen auch Meinungen, die die Kirche mit viel Empörung ablehnt:
Konservative katholische Kreise agitieren gegen die postmoderne Ideologie der Geschlechtervielfalt („Genderideologie“), weil sie leugnet, dass Männer und Frauen die beiden akzidentiellen „Gestalten“ sind, in denen sich das komplementäre Menschsein manifestiert. Nun begründet sich aber die Genderideologie philosophisch gesehen mit derselben transsubstantiellen Argumentation wie die nachtridentininische Kirche hinsichtlich der Eucharistie: Man stellt sich vor, ein Mann könnte sich gewissermaßen substantiell in einem Frauenkörper aufhalten und umgekehrt. Unserer verwirrten Zeit erscheint dieser Gedanke völlig einleuchtend. Wie dem „finsteren Mittelalter“ eine Transsubstantiationslehre plausibel erscheinen konnte, setzt sich diese irrationale Finsternis fort, indem man eine Transgenderlehre für realistisch hält. In beiden Fällen ist der Wunsch Vater des Gedankens gewesen: Man wollte das „Messopfer“ um jeden Preis versinnlichen, und man will um jeden Preis die natürliche Bipolarität auflösen. Dazu versteigt man sich in einen babylonischen Gedankenturm, den man zwar nach oben, aber nicht mehr nach unten steigen kann: der Absturz oder die unendliche Gefangenschaft auf einer luftigen, bodenlosen Höhe wird unweigerlich kommen
Man muss es aber in aller Nüchternheit sagen: Einem klassischen griechischen Philosophen wäre dies so absurd erschienen wie die scholastische Transsubstantiationslehre: ein beispielsweise weibliches Wesen korrespondiert immer dem Frauenkörper, egal wie er nun individuell ausgeprägt ist und egal, wie verwirrt die Gefühle der Frau ihrem Leib gegenüber sein mögen. Das gälte auch dann, wenn der Frauenkörper sich einem „maskulinen“ Phänotyp annähern würde, in den primären Geschlechtsorganen aber eindeutig weiblich und gebärfähig wäre. Einer weiblichen Substanz kann in einer Philosophie, die Form und Inhalt aneinander bindet, per se keine männliche Form zukommen. Und umgekehrt gälte dasselbe für ein männliches Wesen. Und dass es nur diese zwei Gestalten des Menschseins gibt, findet man in der Natur vor, die auf diese Weise den Weg zur Fortpflanzung möglich macht. Wenn man konsequent denkt, muss man hier innehalten und anerkennen, dass jede weitere Zuordnung der „Komplementarität“ zu angeblichen oder wirklichen wesenhaften „Geschlechts“-Merkmalen irrelevant ist. Sie sind tatsächlich Konstrukte der Kulturen, nicht aber die reale geschlechtliche, zur Elternschaft befähigte und berufene Gestalt des Menschen.
Inhalt und Form stehen zweifellos in der phänomenalen Welt in einer unlösbaren Form zueinander. Was also natürlich und im Kern (nicht sozial oder kulturell ausgeschmückt) aussieht wie eine Frau, ist auch eine Frau. Und was aussieht, wie ein Mann, ist auch ein Mann. Was aussieht wie Brot, ist Brot, und was aussieht wie Wein, ist Wein. Kein vernünftiger Philosoph hätte jedoch bestritten, dass sich in einem Mann oder einer Frau vielleicht widersprüchliche seelische oder charakterliche Merkmale manifestieren können. Abwegig ist nur der Gedanke, die äußere Form stehe in gar keiner Beziehung zum Inhalt. Dies ist aber die kirchliche Behauptung. Gerade die Kirche müsste — so gesehen — das allergrößte Verständnis für die Genderer haben. Warum ist sie aber an dieser Stelle so kämpferisch und abwehrend, diesmal mit der korrekt angewandten klassischen Philosophie? Die Transsubstantiationslehre kommt sehr spitzfindig und eitel daher, aber sie fordert auf der strukturellen Ebene eine ebensolche Widersinnigkeit zu glauben ab wie die moderne Genderei.
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Zauberei? Alchemie? Opfer?

Man kam früh in der Kirche auf den beunruhigenden Gedanken, dass dies nichts anderes als magisches Denken und Zauberei sei. Oder eine Art von bizarrer Alchemie. Aber auch das reicht kaum hin, denn ein Zauberer verwandelt den Gegenstand A in den Gegenstand B, und jeder kann sich selbst überzeugen, dass aus A das B geworden ist. Eine Vorstellung, in der A zu B verzaubert, also „verwandelt“ wird, aber jedermann nach wie vor nur A wahrnimmt, ergibt keinen Sinn. Es sei denn, man nimmt das Vorstellungsmuster der „Verhexung“ eines Gegenstandes an, der aussieht wie A, in Wahrheit aber durch eine Beschwörung oder Besprechung mit einer positiven oder negativen geistigen Kraft aufgeladen und wesenhaft verändert wurde. Szenen aus Horrorfilmen drängen sich auf, in denen ahnungslosen Menschen unter der Hand Gegenstände plötzlich ihr Wesen wandeln und sie bedrohen. Der berühmte „Wolf im Schafspelz“, der sich von einem Wort Jesu ableitet, steigt in uns auf: er sieht aus wie ein Lamm, offenbart aber plötzlich ein Wolfsgesicht: „Hütet euch vor den falschen Propheten; sie kommen zu euch in Schafskleidern, im Inneren aber sind sie reißende Wölfe.“ (Mt 7, 15) Es handelt sich um fromm erscheinende, die sich selbst große Vollmachten zuschreiben, und doch weist Jesus sie von sich und nennt sie solche, „qui operamini iniquitatem“ (V 23), solche die „dem Bösen dienen“. Es sind Menschen, die dem „mysterium iniquitatis“, dem „Geheimnis des Bösen“ entstammen, sich in ihm verbargen und von ihm aus Macht über die Dinge gewinnen wollten, sie, die sich selbst für vollmächtig halten. Sie reden prophetisch, treiben Dämonen aus und begehen Machttaten (V 22). Sie erscheinen so, als seien sie eines bestimmten Wesens, das einer bestimmten äußeren Form korrespondiert, aber sie verbergen sich in einer Form, die ihnen nicht passt. Und genau nach dieser Devise sollte Jesus Christus mit uns verfahren?
Nichts ist dem NT fremder als die Verknüpfung des wahren Gottes mit der Maskerade des „mysterium“! Er tut alles offenbar. Es sind unsere Augen, die es nicht sehen und unsere schwachen Ohren, die es nicht hören und unser böser Wille, der es nicht ertragen will, diese offenbare Glut des Herrn. Wir weichen zurück vor ihm, weil er ein „verzehrendes Feuer“ ist (Hebr 12, 29) und weil wir nicht wollen, dass ans Licht kommt, was wir sind. Wir lieben Adams Verborgenheit mitten unten den Paradiesbäumen und behaupten, Gott sei auch so. Das gesamte NT zeugt nur von einem: dass Gott sich uns sichtbar gemacht hat, aber nicht in „Mysterien“, sondern ganz konkret und für immer in der Person Jesu Christi. Seine Offenbarung ist das blanke Gegenteil eines „Mysteriums“. Und so schließt sich der Kreis wieder: die Hure der Apokalypse trägt den Namen „mysterium“. Sie ist es, die allem, was göttlich ist, entgegensteht mit ihrer mysteriösen Maskerade, mit ihrem äußeren Schein der Frömmigkeit, ihrem rituellen Hokuspokus, ihrer angeblichen Macht über die Dämonen, ihrer angemaßten pseudopriesterlichen „Verwaltung Gottes“, ihren sinnlichen Reizen, die den Geist des Menschen betören und von dem, der Geist ist, abbrachten.

Die Alchemie ging von einem Urstoff aus, aus dem man alle materiellen Gegenstände erzeugen könne und nur insofern den Gegenstand A zum Gegenstand B wandeln könne. Man musste den Gegenstand A „rückverwandeln“ in den Urstoff, um aus dem Urstoff den Gegenstand B zu erschaffen. Diese alchemistische Vorstellung wäre ein weiterer Zugang zur Gendertheorie. Allerdings ging man in der Alchemie auch mit der Tatsache um, dass erzeugtes Gold etwa nur wie Gold aussieht, aber eben doch keines ist, dass man einen Anschein wandeln konnte, nicht aber das Wesen. Die Frage der Erzeugung eines Anscheins spielte hier eine große Rolle, und immer wieder warf man der Kirche vor, mit der Transsubstantiationslehre eine Art läppischer „Alchemie“ zu betreiben.[12]
Am nächsten kommt der Lehre ein magisches Denken, das an bestimmten Orten oder Gegenständen den Anschein einer bestimmten Form behauptet, die aber in Wahrheit ein anderes Wesen verbirgt. Die Magie operiert grundsätzlich mit der Annahme einer zerstörten Beziehung von Substanzen und ihrer äußerlichen Erscheinung. Manche Opfertheorie, die im Opfer die Zerstörung eines Wesens annimmt, um zu einem anderen Wesen zu gelangen oder Ersatz zu schaffen für ein nicht vorhandenes Wesen, spielen auch in der Kirche eine große Rolle. Man sortierte das Kreuzesopfer unter diese alchemistischen „Vernichtungen“ ein, bei denen ein Gegenstand dran glauben muss, um das Bessere und Edlere zu erzielen. Dieses Grundmuster liegt jedem paganen Opfergedanken zugrunde, im NT ausgesprochen durch den Hohenpriester Kaiphas, aber unfreiwillig hindeutend auf eine andere Dimension des „Opfers“:

„50 Ihr bedenkt nicht, dass es besser für euch ist, wenn ein einziger Mensch für das Volk stirbt, als wenn das ganze Volk zugrunde geht.
51 Das sagte er nicht aus sich selbst; sondern weil er der Hohepriester jenes Jahres war, sagte er aus prophetischer Eingebung, dass Jesus für das Volk sterben werde.
52 Aber er sollte nicht nur für das Volk sterben, sondern auch, um die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln.“ (Joh 11)

Der „Opfer“-Charakter an dieser Stelle erhält durch die vorangehende Beratung im Sanhedrin eine eigentümliche Wendung. Offenbar wollten die Juden nicht, dass alle Welt an Jesus glaubt, weil damit ihre Vorrangstellung vor allen Völkern aufgehoben würde:

„47 bWas sollen wir tun? Dieser Mensch tut viele Zeichen.
48 Wenn wir ihn gewähren lassen, werden alle an ihn glauben. Dann werden die Römer kommen und uns die heilige Stätte und das Volk nehmen.“

Die Worte des Kaiphas ragen geradezu bizarr in diese Gedanken hinein, die das Opfer Jesu vornehmen wollen, um die Vorrangstellung Israels vor den Römern zu wahren. Anders gesagt: Israel opferte den Messias, zu dessen Heraufkunft es eigentlich berufen war, um nicht aufzugehen in der erlösten Schar aus allen Völkern und nicht der römischen Macht zu erliegen. Der Hohe Rat hat aus der Mission Israels, den Erlöser vorzubereiten und hervorzubringen, anders als einst seine vornehmste Tochter, Maria, ein „Nein“ gemacht, ein „Non fiat“, das “Es geschehe nicht!“. Israel vertauschte das „Fiat“ Marias mit dem „Non serviam“, um „Erster“ bleiben zu dürfen, für den es sich selbst hielt. Und so wurde es zum Letzten, wie Jesus es all jenen, die „Erster“ zu sein glauben oder Vorrang vor anderen zu haben meinen, immer wieder voraussagte. Dass der für Israel vorgesehene Dienst ihm letztendlich keinen „Vorrang“ sondern nur eine erste Pflicht für alle anderen Völker gegeben hat, erkannte es bis heute nicht. Aber es ist mit dieser vermessenen Haltung nicht alleine. Es ist das Urmuster jegliches Patriarchalismus auf dieser Welt, die Verwechslung von Verantwortung und Pflicht mit Macht und „Mehrseinwollen“. Nur: welcher Vater, welche Mutter kann im Ernst denken, er oder sie sei „mehr“ als ihre Kinder?! Israel verkehrte das „Opfer“ bis hin zur Perversion, indem es die Frucht seiner Mission ermordete, um sich selbst an dessen Stelle zu setzen und sich lieber selbst künftig opfern zu lassen. Was Kaiphas abwenden wollte, nämlich den Tod des Volkes, handelte er sich ein. Und doch war sein Satz prophetisch, weil Gott ihn — ohne das Kaiphas es erfassen konnte —  mit einem anderen Sinn versah. Die Römer kamen wirklich und nahmen den Juden die heilige Stätte und das Volk, aber nicht das ist es, wofür der Christus stirbt: er stirbt dafür, dass die verstreuten Kinder Gottes in allen Völkern gesammelt werden. In der prophetischen Schau des Kaiphas und der Panik des Sanhedrin spiegelt sich irrlichternd die zukünftige Situation. Die Überwältigung durch die Römer kam, und sie hielt an bis zum heutigen Tag, aber sie ist nicht die vorhergesagte Sammlung der verstreuten Kinder Gottes, sondern hat sich nur deren Maske angelegt.

In der magischen Auffassung der römischen Messfeier irrlichtern dementsprechend pagane römische und „babylonische“, „ägyptische“ Vorstellungen:
Es ist zum einen die alte Annahme, Götter oder göttliche Wesen oder Engel könnten sich materialisieren und in einer bestimmten irdischen Gestalt „erscheinen“, die hier mitschwingt. Zugespitzt kennt der Mensch dies als abgöttische Verstellungskunst: der Böse etwa erscheint als hübscher Jüngling oder als Engel des Lichtes, ist aber in Wahrheit der Teufel. Oder an sich unspektakuläre „neutrale“ Orte in der Natur, etwa ein bestimmter Baum, ein Hügel, ein See oder eine Höhle sind nicht das, was sie scheinen, sondern Sitz eines Dämons oder Gottes oder Eingänge in andere Welten. Der magische Baum etwa ist dann ein böser Geist. Und der See ist dann als „Vorhof“ des Reiches der Götter des Abgrundes vollständig kontaminiert. Aber selbst im Heidentum leugnet man nicht, dass der Baum trotz allem noch Baum ist, der See noch See…
Zum anderen kennen wir aus zahlreichen paganen Kulturen die Verhexung von Idolen: sie stehen für eine geistige Macht und sind förmlich deren Sitz und in der Folge Gegenstand göttlicher Verehrung. Das Idol oder Abbild des Gottes ist der Gott. Ein Abbild kann nicht als wesenhaft total geschieden von seinem Urbild angesehen werden: es trägt das Wesen des Urbildes in sich, eben weil es auch der Form nach dem Urbild gleicht. Im AT begegnen uns solche Idole im Übergang von angemessener liturgischer Kleidung der Priester hin zu einem unangemessenen Abgott, als „Efod“: ein „Efod“ taucht als liturgisches Gewand auf, wird aber auch als Idol verehrt. Solche Praktiken werden aber durchweg kritisiert und als Abgötterei gebrandmarkt (Ex 28,31; Ex 28,4; Ri 17,5; Ri 18,14; 1 Sam 19,13; Gen 31,19ff). Die wesenhafte Verknüpfung eines Idols mit einem Gott wird bei den Propheten durchweg „entmythologisiert“, indem auf deren jedermann sichtbare Gestalt gezeigt wird, die doch nur ein vom Menschen bearbeitetes Stück Holz sei und darum auch wesenhaft kein Gott sein könne (etwa Jesaja 40-55 macht diese Fragen immer wieder zum Thema).

Es mag so gar nicht zu unserem Herrn Jesus passen, dass er inkognito als Brot erscheint oder als Wein, in Wahrheit aber Fleisch und Blut und Gottheit sei, wie das Trienter Konzil dogmatisch festlegte. Gerade Jesus Christus steht dafür, dass sich Gott nicht verborgen hält, sondern in ihm offenbar wurde, und vor dem Hohen Rat sagt Jesus aus, er habe niemals etwas im Verborgenen gehalten (Joh 18, 20). Das gesamte Wesen Jesu ist Offenbarung und nicht mysteriöse Verborgenheit.
Dass diese „Offenbarung“, diese „apocalypsis“ aber nicht sinnlich fassbar, sondern nur im Geist erkennbar werden kann: dafür hat Jesus sich in den Himmel begeben und uns den Hl. Geist gesandt und eben nicht sein Fleisch und Blut in einer materiellen, sakramentalen Parallelwelt. Die gebotene Eucharistiefeier ist demnach so zu verstehen, wie dies aus den allerfrühesten Texten vor dem Staatskirchentum noch aufscheint. Wir sollen den Herrn in dieser Zeit nicht sehen, also sinnlich und leiblich nicht wahrnehmen können, um überhaupt den Zugang zu dieser geistigen Formung zu erhalten. Sinnliche Metaphern wollen auf eine geistige Deutung hinaus. Das hat er selbst gesagt, und es ist ein — wenn man es nüchtern durchdenkt — ungeheuerlicher Widerspruch, den die Kirche seinem Wort und seiner eigenen Erklärung als Widerpart entgegensetzt.

Wie ungereimt und in sich widersprüchlich diese Lehre einer sakramentalen Parallelwelt ist, zeigt uns die kirchliche Realität, die aus der eucharistischen Anderwelt sehr schnell zurückfiel in schnödeste, irdische Welten:


[1] Paul VI., Mysterium fidei. Über die Lehre und den Kult der Eucharistie“, 1965, abrufbar hier: http://w2.vatican.va/content/paul-vi/de/encyclicals/documents/hf_p-vi_enc_03091965_mysterium.html, (8.3.2018), Kap 1.
[2] A.a.O., Kap. 4
[3]
[4] Johannes Paul II.: Ecclesia de eucharistia. 2003. Kann auf der Vatikanwebsite auf Deutsch abgerufen werden: http://www.vatican.va/holy_father/special_features/encyclicals/documents/hf_jp-ii_enc_20030417_ecclesia_eucharistia_ge.html (19.3.2018). Kap. 1
[5] A.a.O., Kap. 5
[6] A.a.O.
[7] A.a.O., Kap. 6
[8] A.a.O., Kap. 10
[9] A.a.O., Kap. 15
[10] Cyrill von Jerusalem: Mystagogische Katechesen II. Bibliothek der Kirchenväter der Universität Fribourg/CH. Online abrufbar http://www.unifr.ch/bkv/kapitel2761-2.htm, (19.3.2018)
[11] „Reflexionen über die Eucharistie“ 2017

[12] Als Beispiel mag hier Prof. Dr. Hubertus Mynarek genügen, der in einem Interview davon sprach, die Transsubstantiationslehre sei nichts weiter als „Alchemie“. Film „Der Katholizismus - Christentum oder Heidentum? Interview mit Prof. Dr. Hubertus Mynarek“, auf Youtube am 8.8.2017 hochgeladen https://www.youtube.com/watch?v=BxCOQPyn5LU, (abgerufen am 16.2.2018)