Was ist eigentlich ein "Mysterium"?
Im NT wird die Ehe lateinisch eigentümlicherweise
als „sacramentum“ bezeichnet, griechisch
als „mysterion“ (Eph 5, 32), in dem
die Liebe Jesu zur Kirche aufscheint. Damit ist aber auch schon der Zusammenhang
zwischen neutestamentlichen „Sakramenten“ und der Lehre der Kirche von
„Sakramenten“ oder im Osten auch von „Mysterien“ erschöpft. Das NT kennt keine
„Mysterien“ als „Abbilder“ von „Urtaten“, „Uropfern“ oder himmlischen „Urbildern“.
Eine solche Praxis und Theologie kannte nur das spätantike Heidentum in den
wachsenden Mysterienkulten.
Der Begriff des „mysterium“ taucht im NT in ganz anderen,
oft sogar negativen Zusammenhängen auf, die ich zeigen will:
Es wird lateinisch vom „mysterium iniquitatis“ gesprochen (2.
Thess 2, 7), vom „Geheimnis des Bösen“, das jetzt schon wirke und sich entfalten
werde.
Weiter hat die „Hure Babylon“ in
der Johannes-Offenbarung eine Aufschrift auf ihrer Stirn (Apk 17, 5), nämlich
das Wort „mysterium“, das ausgedeutet
ist als „Babylon magna, mater
fornicationum, et abominationum terræ“, als „Babylon, die Große, die Mutter
der Hurereien und Gräuel der Erde“.
„Mysterium“ ist aber auch die Aussage, dass ein Teil Israels
verstockt sei bis die Zahl der Heiden voll sei (Röm 11, 25). Dieses „mysterium“ der „Verstockung“ gehört gedanklich zur Entfaltung des „mysterium iniquitatis“.
Und Paulus „enthüllt“ seinen
Adressaten ein „Geheimnis“, ein „mysterium“,
dass nicht alle entschlafen, aber alle verwandelt werden (1. Kor 15, 51).
Jesus spricht in Mk 4, 11 vom „mysterium regni Dei“, dem „Geheimnis
des Königtums Gottes“, das ausdrücklich nur
(!) im Geist und ohne Zuhilfenahme sinnlicher Vergleiche erkannt werden könne.
Im Zusammenhang mit möglichen
„Sakramenten“ ist nirgends im NT die Rede von „Mysterien“. Es ist vielmehr
bemerkenswert, dass Hieronymus die zitierte Stelle von der Ehe nicht mit dem
lateinischen Begriff „mysterium“
wiedergibt, sondern mit dem Begriff „sacramentum“,
der hier solitär steht. Das „sacramentum“
bedeutete bei den Römern einen Diensteid und unterscheidet sich in seiner
Bedeutung deutlich von dem ebenfalls geläufigen lateinischen Begriff „mysterium“. Mysterien waren in den
zeitgenössischen Kulten angesiedelt und bedeuteten die suggestive und
hyperrealisierende Zelebration einer „Urtat“ oder die allgemeine Rede von einer
verborgenen himmlischen Wirklichkeit.
Das „mysterium“ steht in einem kontradiktorischen Spannungsverhältnis
zur „apocalypsis“, dem griechischen
Lehnwort für die lateinische „revelatio“,
die „Enthüllung“ oder „Entschleierung“. „Mysterium“
kennzeichnet die Ver-schleierung transzendenter Realität, ohne sie ins Licht
der Erkenntnis stellen zu wollen. Teilhabe am „mysterium“ bedarf einer „Arkandisziplin“ und einer elitären Kaste
von „Eingeweihten“. Der „Eingeweihte“ ist ins „mysterium“ eingeweiht, aber nicht in dessen „apocalypsis“. Er begibt sich in Kulissen eines riesigen
Bühnenbildes, ohne zu wissen, wo er sich befindet und was ihn umgibt. Das
Verschleierte öffnet sich ihm nicht, sondern es verschlingt ihn, zieht ihn in
sich hinein, ohne ihm den Gegenwert der Ent-schleierung zu garantieren. Es
spricht für sich, dass im christlichen Abendland mit der „Offenbarwerdung“ des
Verborgenen, mit der „apocalypsis“,
heute nur noch großer Schrecken, Vernichtung und das Weltende verbunden wird.
Es ist offenkundig reine Bedrückung für dieses „christliche Abendland“, dass
Gott sich in Christus offenbart hat. Angstvoll harrt man der endgültigen „Offenbarwerdung der Kinder Gottes“ (Röm
8, 19) entgegen. Im „mysterium“
dagegen, der Verschleierung der himmlischen Dinge, fühlt man sich wohl, und
darum legen all jene, die die Offenbarung in Christus hassen, so großen Wert
auf die Verschleierung der Frau und machen sie zum Symbol der
Ausgeschlossenheit aus dem Kreis der Kinder Gottes: die verschleierte Frau ist
Zeichen einer offenbarungsunwilligen, versklavten und angstvollen Menschheit.
Biblische „apocalypsis“ aber ent-schleiert schonungslos, „offenbart“ das Verborgene, ernüchtert aus der Verschleierung.
Deshalb trägt das letzte Buch des NT auch diesen Titel: „Apocalypsis“. Jesus Christus, der fortging, auffuhr in den Himmel
und nicht gesehen werden kann in der sinnlichen Welt, bevor er wiederkommt, hat
sich hier wahrscheinlich dem Apostel Johannes geistig von seinem Platz im
Himmel aus geoffenbart.
Wenn Hieronymus an der Stelle, in
der es um das Opfer Christi für und seine Liebe zur Kirche geht, eben nicht den
geläufigen Begriff des „mysterium“
übersetzt, sondern den des „Treueides“, etwa des römischen Soldaten, der sich
für die „patria“ regelrecht „opfert“,
dann bedeutet dies sogar eine Abgrenzung vom Begriff des „mysterium“ und die bewusste Deutung als Metapher für die Liebe
Jesu zu den Menschen, die nicht im Geheimen bleib, sondern sich offenen und für
jeden sichtbaren Ausdruck gab.
Erst im weiteren Verlauf des 4. Jh,
mit zunehmender Staatskirchlichkeit, wird der Begriff des „mysterium“ auf die „Sakramente“ bezogen bzw konstituiert sie
überhaupt erst.
Sehen wir die Kontexte an, in denen
im NT von „mysterium“ gesprochen
wird:
Der Begriff des „mysterium“ erscheint in Kontexten auf,
die eine tiefere Schicht aufweisen und in ihr einen zugespitzten Sinn erhalten,
der in der oberflächlichen oder auch tradierten Schau unsichtbar bleibt. Was
verborgen war in den zeichenhaften Dingen, soll buchstäblich offenbar werden. Der
Neue Bund, muss man daraus folgern, kennt keine Zeichenhandlungen, die
Himmlisches verborgen andeuten. Es ist vielmehr sein Kennzeichen, dass in ihm
alles offenbar werden muss. Paulus spricht das jeweilige „mysterium“, also das, woraus Mysterienkulte ein „mysterium“ nur für Eingeweihte machen
(!), schonungslos aus, „verrät“ oder entmystifiziert es und kennzeichnet es als
das, was es ist. Es ist grundsätzlich Stand des Alten und Unvollkommenen, dass
man Zeichen benötigt und in Verschleierungen herumtappt.
Jesus selbst offenbart das
Verborgene in zwei Schüben: der erste „Schub“ ist die Gleichnisrede: „Ich öffne meinen Mund, und rede in
Gleichnissen,/ ich verkünde, was seit der Schöpfung verborgen war.“ (Mt 13,
35) Der zweite Schub der Entschleierung des Verborgenen richtet sich aber nicht
an „Eingeweihte“ oder eine „elitäre“ Männerkaste, wie es kirchlich gerne
gedeutet wird, sondern an sie gerade nicht:
„10 Als
er mit seinen Begleitern und den Zwölf allein war, fragten sie ihn nach dem
Sinn seiner Gleichnisse.
11 Da
sagte er zu ihnen: Euch ist das Geheimnis des Reiches Gottes gegeben; für die
aber, die draußen sind, geschieht alles in Gleichnissen;
12 denn
sehen sollen sie, sehen, aber nicht erkennen; hören sollen sie, hören, aber
nicht verstehen, damit sie sich nicht bekehren und ihnen nicht vergeben wird.“ (Mk
4)
Diese unglaublich harte, fast
zynisch klingende Antwort sagt uns eines sehr deutlich: Jesus gibt
„Schein-Mysterien“ für „die da draußen“,
aber draußen sind sie, weil sie nicht glauben wollen an das, was für jedermann
und ganz schlicht offenbar gemacht wird. Den Jüngern ist es nicht gegeben, das „Geheimnis des Reiches Gottes“ zu
erhalten, weil nun eine neue Variante der Mysterienreligion eröffnet worden
wäre, sondern weil sie dem einfachen, unverschleierten Offenbarwerden
willentlich ihr Ohr leihen und es annehmen, ohne Vorbehalt. Der aber, der sein
Ohr nur dem leiht, was er sich selbst zusammenzimmert an „Mysterien“ und
„Einweihungen“ und priesterlicher oder gelehrsamer Teilhabe und irgendwelchen
Vollmachten, die er sich selbst zuschreibt: der muss verloren gehen und
ausgeschlossen bleiben auf eigenen Wunsch.
Solchen wirft Jesus das
Gleichnishafte gewissermaßen als Köder und zum Fraß vor, an dem sie sich
abarbeiten können und „Mysterien“ darin suchen, ohne etwas von dem zu finden,
was so kindlich schlicht offenbart wurde. Schon an dieser frühen Stelle seines
Wirkens kündigt er damit an, dass es Menschen geben wird, die aus seiner
einfachen Offenbarung ein „mysterium“
machen werden. Das „mysterium regni Dei“
aber entgeht ihnen trotzdem, gerade weil sie ein „mysterium“ daraus machten. Denn der Menschensohn kam nicht, um
neue Mysterien zu formulieren, sondern um das „mysterium regni Dei“ zu öffnen für alle, die es annehmen. Er ist selbst das, was seit der Schöpfung
verborgen war, nun aber in ihm ausgesprochen wird für das empfängnisbereite
Ohr.
Das kirchliche Verständnis der
„Sakramente“ als „Zeichen“, in denen eine tiefe transzendente Realität
verborgen ist, knüpft an die antike Sinngebung der Mysterienreligionen an, verkennt
aber, dass sie im paganen Kontext eine elitäre Erhöhung über den vulgären
Vielgötterglauben für Eingeweihte und Hochgestellte sind, eine
Selbstvergewisserung und Verschwörung derer, die die Macht bündeln.
Grundsätzlich sind solche „Zeichen“
im besten Fall Merkmale des „unschuldigen“ Heidentums, der Unvollkommenheit des
Alten Bundes und im schlimmsten Fall Ausdruck der „Hurerei“ des Rückfalls ins
Heidentum. Der Glaube an Jesus Christus muss unweigerlich diese
Mysterienreligion zugunsten einer wirklichen Geistbeseelung des Herzens überwinden,
die niemand sehen kann, sich aber an ihren Früchten erkennen lässt. Die
Erkenntnis der Frucht wiederum leistet nur ein geistlich erneuertes Auge. Man
hat also buchstäblich nichts mehr in der Hand…
„Geheimnisse“, beim „mysterium iniquitatis“ in einem ausschließlich
negativen Sinn, sind im NT nur die genannten, nicht aber die, die die Kirche
später festgesetzt hat, ausgenommen die Ehe, die aber als einziges der späteren
„Sakramente“ als „sacramentum“ im
römischen Sinn des Treueeids bezeichnet wird (s.o.).
Es gibt folglich die „Mysterien“
und „Sakramente“ im kirchlichen Sinn im NT nicht.
„Mysterium
fidei“ spricht der Priester im tridentinischen Ritus während des
Kelchwortes. „Geheimnis des Glaubens“
sagt der Priester im „novus ordo missae“
heute an etwas späterer Stelle nach der Wandlung zur Gemeinde hin. Und „Mysterium fidei“ nannte Paul VI. eine
Enzyklika „über die Lehre und den Kult
der Eucharistie“ aus dem Jahre 1965. Wir finden im ganzen NT nicht eine
einzige Stelle, die dieses letzte Abendmahl oder die Eucharistiefeier, das
„Brotbrechen“ als „mysterium“
bezeichnen würde. Es ist eine Erfindung der Kirche. Das „Geheimnis des Glaubens“ ist nach Paul VI. die Eucharistie:
„Das
Geheimnis des Glaubens, nämlich das unermeßliche Geschenk der Eucharistie, das
die katholische Kirche von ihrem Bräutigam Christus als Unterpfand seiner
grenzenlosen Liebe empfangen hat, hat sie gleichsam als ihren kostbarsten
Schatz stets treu bewahrt und ihm im 2. Vatikanischen Konzil eine neue und sehr
feierliche Bezeugung des Glaubens und der Verehrung erwiesen.“
Unzweifelhaft wird schon alleine
mit diesen Einleitungsworten die alte tridentinische Definition, die weit ins
Mittelalter zurückreicht, wiederholt und gefestigt.
Die Logik seiner Argumentation
folgt strikt der tridentinischen Vorgabe:
„Damit
aber die unauflösliche Verbindung zwischen Glaube und Frömmigkeit offenbar
werde, wollten die Konzilsväter in Bestätigung der Lehre, die die Kirche immer
festgehalten und gelehrt und die das Konzil von Trient feierlich definiert hat,
folgende Lehrzusammenfassung dem Abschnitt über das heilige Geheimnis der
Eucharistie voranstellen: ,,Unser Erlöser hat beim letzten Abendmahl in der Nacht, da er überliefert wurde, das
eucharistische Opfer seines Leibes und Blutes eingesetzt, um dadurch das Opfer
des Kreuzes durch die Zeiten hindurch bis zu seiner Wiederkunft fortdauern zu
lassen und so der Kirche, seiner geliebten Braut, eine Gedächtnisfeier seines
Todes und seiner Auferstehung anzuvertrauen: das Sakrament huldvollen Erbarmens,
das Zeichen der Einheit, das Band der Liebe, das Ostermahl, in dem Christus
genossen, das Herz mit Gnade erfüllt und uns das Unterpfand der künftigen
Herrlichkeit gegeben wird.“
Die Verknüpfung der „Gedächtnisfeier“ mit einem realen „Fortdauernlassen“ des erinnerten Opfers
„durch die Zeiten“, wie es in Trient
geschrieben wurde, ist offenkundig zu abwegig oder unerklärlich, als dass Paul
VI. sie erklären könnte — er zitiert einfach nur das Trienter Dekret. Es hat
sich also an der Auffassung der Eucharistie seit Trient nichts geändert, auch
wenn dies weithin seitens radikaler Traditionalisten oder Progressisten mit
Erbitterung oder Euphorie behauptet wird.
Bedenklich ist dabei, dass die
mittelalterliche Lehre, die Eucharistie sei das „Unterpfand der künftigen Herrlichkeit“ ohne jede Einschränkung
wiederholt wird, obwohl Paulus uns doch so eindeutig im Gefolge der
Ankündigungen Jesu Christi über den „Paraklet“ die Gabe des Hl. Geistes als
dieses „Unterpfand der kommenden
Herrlichkeit“ definierte.
Was treibt die Kirche dazu, das
neutestamentliche, wirkliche „Unterpfand“
auszutauschen (2. Kor 1, 22)?
Ein Grund ist ohne Zweifel ein
machtpolitischer: erhält jeder und jede Gläubige die Gabe des Hl. Geistes als
Unterpfand, ist er oder sie wirklich frei, ganz und gar frei. Niemand kann ihn
kontrollieren, niemand darf ihn kontrollieren, und er ist über den Glauben
niemandem Rechenschaft schuldig auf Erden (Röm 14). Vertauscht die Kirche diese
Gabe der Freiheit gegen „Broteinheiten“, die sie aus eigener Machtvollkommenheit
über vermittelnde Kleriker den Gläubigen als „Seelenspeise“ bezeichnet und austeilt
oder verweigert, so hat sie die volle Seelenkontrolle über die einzelnen, und
die Gabe des Hl. Geistes wird beiseite gedrängt, verhöhnt und bevormundet.
Nicht umsonst hat die Kirche erbittert die Gewissensfreiheit mit
fortschreitender Zeit im 19. Jh, förmlich Gift und Galle spuckend, dämonisiert.
Johannes Paul II. hat in seiner
Enzyklika „Ecclesia de eucharistia“
diese Behauptung, die Eucharistie sei in dem Sinn, der sich seit Trient
verfestigt hat, das Zentrum der Kirche als dem „Ursakrament“, weiter
ausgeschmückt. Auch er leugnet, dass der „Paraklet“ der Heilige Geist ist und
ersetzt ihn durch die Eucharistie:
„Die
Kirche lebt von der Eucharistie. Diese Wahrheit drückt nicht nur eine
alltägliche Glaubenserfahrung aus, sondern enthält zusammenfassend den Kern des Mysteriums der Kirche.
Mit Freude erfährt sie unaufhörlich, daß sich auf vielfältige Weise die
Verheißung erfüllt: »Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der
Welt« (Mt 28, 20). In
einzigartiger Intensität erfreut sie sich dieser Gegenwart jedoch in der
heiligen Eucharistie, bei der Brot und Wein in Christi Leib und Blut verwandelt
werden. Seitdem die Kirche, das Volk des Neuen Bundes, am Pfingsttag ihren
Pilgerweg zur himmlischen Heimat begonnen hat, prägt dieses göttliche Sakrament
unaufhörlich ihre Tage und erfüllt sie mit vertrauensvoller Hoffnung.“
An Pfingsten wurde der Heilige
Geist ausgegossen — nicht die „Eucharistie,
bei der Brot und Wein in Christi Leib und Blut verwandelt werden“. Es wird
geradezu platt das eine durch das andere ausgetauscht.
Der Woityla-Papst muss sich des
Widerspruchs zu den berichten des NT bewusst gewesen sein, denn er schreibt:
„Wenn
die Kirche mit der pfingstlichen Gabe des Heiligen Geistes ans Licht tritt und
sich auf die Straßen der Welt begibt, so
ist ein entscheidender Moment ihrer Entstehung sicherlich die Einsetzung der
Eucharistie im Abendmahlssaal. Ihr Fundament und ihre Quelle ist das gesamte Triduum paschale. Dieses aber ist in
der eucharistischen Gabe gewissermaßen gesammelt, vorweggenommen und für immer
»konzentriert«. In dieser Gabe übereignete Jesus Christus der Kirche die
immerwährende Vergegenwärtigung des Ostermysteriums. Mit ihr stiftete er eine
geheimnisvolle »Gleichzeitigkeit« zwischen jenem Triduum und dem Gang aller Jahrhunderte.“
Der argumentatorische Bruch ist
eindeutig erkennbar: der Papst erwähnt den Hl. Geist als die biblische Gabe und
treibende Kraft, wechselt aber sofort und ohne Verknüpfung von ihm weg zur
Eucharistie und zum österlichen Triduum, das angeblich die Stiftung einer „geheimnisvollen Gleichzeitigkeit durch die
Jahrhunderte“ sei. Das klingt sehr philosophisch, macht aber aus dem
vollbrachten Opfer ein Daueropfer, eine Dauerpassio des Herrn, die nicht
übereinstimmt mit dem, was das NT berichtet.
Johannes Paul II erblickt in dieser
Dauerpassio mit
„Staunen“ ein
„Potenzial in dem die ganze Geschichte als
Adressat der Erlösungsgnade enthalten ist“.
Die Eucharistie ist der Dreh- und
Angelpunkt des kirchlichen Lebens und ihr Herzschlag:
„
Die Kirche lebt vom
eucharistischen Christus. Von ihm
wird sie genährt, von ihm wird sie erleuchtet. Die Eucharistie ist Geheimnis
des Glaubens und zugleich »Geheimnis des Lichtes«. Jedesmal, wenn die Kirche
sie feiert, können die Gläubigen in gewisser Weise die Erfahrung der beiden
Emmausjünger machen: »Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten ihn« (Lk 24, 31).“
Der eigentümliche Bezug auf das „Geheimnis des Lichtes“ ist selbstreferentiell
— Johannes Paul II. hat den Begriff selbst eingeführt. Das Licht steht im NT
für das Offenbarwerden des Verborgenen. Inwiefern es dennoch „Mysterium“ ist, lässt sich schwer
nachvollziehen, insbesondere im Bezug auf die Eucharistie im kirchlichen Sinne.
Als Zweck der Enzyklika gibt
Johannes Paul II. an, die vielerorts verdunkelte oder ganz aufgegebene Praxis
eines kirchlichen Eucharistieverständnisses zugunsten einer bloßen
Mahlgemeinschaft korrigieren zu wollen.
„Bisweilen
wird ein stark verkürzendes Verständnis des eucharistischen Mysteriums
sichtbar. Es wird seines Opfercharakters beraubt und in einer Weise vollzogen,
als ob es den Sinn und den Wert einer brüderlichen Mahlgemeinschaft nicht
übersteigen würde.“
Der polnische Papst wiederholt über
weite Strecken nun das tridentinische Verständnis des Messopfers, reichert es
aber durch einige weitere Aspekte an, die ich nicht im einzelnen referieren
muss, weil die den zentralen Gedanken des Opfercharakters nicht verändern.
„So
wird die immer gültige Lehre des Konzils von Trient bekräftigt: »Durch die
Konsekration des Brotes und Weines geschieht eine Verwandlung der ganzen
Substanz des Brotes in die Substanz des Leibes Christi, unseres Herrn, und der
ganzen Substanz des Weines in die Substanz seines Blutes. Diese Wandlung wurde
von der heiligen katholischen Kirche treffend und im eigentlichen Sinne
Wesensverwandlung genannt«. Die Eucharistie ist wirklich mysterium fidei, ein Geheimnis, das
unser Denken übersteigt und das nur im Glauben erfaßt werden kann. Daran
erinnern die Kirchenväter oft in ihren Katechesen über dieses göttliche
Sakrament: Der heilige Cyrill von Jerusalem mahnt: »Schau in Brot und Wein
nicht nur die natürlichen Elemente an, denn der Herr hat ausdrücklich gesagt,
daß sie sein Leib und sein Blut sind: Der Glaube versichert es dir, auch wenn
die Sinne dir anderes einreden«.“
Johannes Paul II. nimmt Bezug auf
Cyrill von Jerusalem (spätes 4. Jh), der in seinen „Mystagogischen Katechesen“ schreibt, der Kommuniongänger nehme Leib
und Blut Jesu zu sich. Den Zweifel daran hebelt er mit dem Verweis auf die
Hochzeit zu Kana aus: wenn Jesus dort Wasser in Wein verwandeln konnte, warum
sollte er in der Eucharistie nicht Brot und Wein in Fleisch und Blut verwandeln
können?
Schon bei Cyrill wird der Zweifel
an dieser Lehre mit bloßer Rhetorik beantwortet: der Zweifler bezweifelt ja
nicht die Fähigkeit Jesu, eine solche Verwandlung zu vollziehen! Gewiss könnte
Jesus das tun, aber die Frage ist ja nicht, ob er es könnte, sondern ob es
überhaupt aus dem Abendmahlsgeschehen hervorgeht, dass er es tut. Diese Frage aber umgeht Cyrill und stellt ihr die
bloße Behauptung gegenüber.
Und schon Cyrill stellt den
nachmaligen Zusammenhang auf, der das Wirken des Hl. Geistes zugunsten der
materialisierten Eucharistie beiseite drängt:
„In
der Gestalt des Brotes wird dir nämlich der Leib gegeben, und in der Gestalt
des Weines wird dir das Blut gereicht, damit du durch den Empfang des Leibes
und Blutes Christi ein Leib und ein Blut mit ihm werdest. Durch
diesen Empfang werden wir Christusträger; denn sein Fleisch und sein Blut kommt
in unsere Glieder. Durch diesen Empfang werden wir, wie der heilige Petrus
sagte, der göttlichen Natur teilhaft.“
Der springende Punkt ist hier, dass
Petrus diesen Zusammenhang gar nicht hergestellt hat. Petrus schrieb vielmehr:
„3 Alles,
was für unser Leben und unsere Frömmigkeit gut ist, hat seine göttliche Macht
uns geschenkt; sie hat uns den erkennen lassen, der uns durch seine
Herrlichkeit und Kraft berufen hat.
4 Durch
sie sind uns die kostbaren und überaus großen Verheißungen geschenkt, damit ihr
durch diese Anteil an der göttlichen Natur erhaltet und dem Verderben
entflieht, das durch die Begierde in der Welt herrscht.“ (2. Petr 1)
Es ist nach Petrus eben nicht die
Eucharistie, die die Teilhabe an der göttlichen Natur garantiert, sondern die
Erkenntnis des Sohnes und die Tatsache, dass er uns durch seine Kraft berufen
hat. Eine Verbindung zur Eucharistie wird mit keinem Wort weder in diesen noch
in den umliegenden Versen ausgedrückt! Man muss in den Zeilen des Petrus doch
spontan eben jenen Schöpfergeist annehmen, von dem alles Erkennen herkommt,
nämlich den Hl. Geist.
Wie auch ich im vorigen Blog-Artikel
zugab, konnte Luther nicht verstehen, warum die Gestalten von Brot und Wein
denn nicht substantiell erhalten bleiben, obwohl Jesus darin realpräsent Platz
nimmt. Die kirchliche Behauptung, nach der „Wandlung“ handle es sich nicht mehr
um Brot und Wein, also:
überhaupt nicht mehr, ist und bleibt
unverständlich. Denn selbst nach der aristotelischen Auffassung, die man hier
zugrunde zu legen vorgab, kann es keine akzidentielle Gestalt geben, die nicht
in irgendeiner Weise auch dem Wesen eines Gegenstandes Ausdruck gibt. Anders
gesagt: es ist zum einen kaum nachvollziehbar, inwiefern Brot und Wein
wesenhaft gewandelt werden in das Fleisch und Blut Christi, obwohl sie nach wie
vor aussehen wie Brot und Wein und schmecken wie Brot und Wein und nichts, aber
auch gar nichts auf einen Wesenwandel hinweist außer gesprochenen Formeln.
Form und Inhalt müssen in
Korrespondenz zueinander stehen nach der klassischen Lehre der Griechen. Zum
andern ist es unverständlich, dass die Gegenstände, die aussehen wie Brot und
Wein, in keiner Weise mehr Brot und Wein sein sollten, obwohl sie so erscheinen.
Man hat die Inkarnation Jesu Christi mit einer „Zwei-Naturen-Lehre“ erklärt.
Warum schließt man eine analoge Vorstellung bei der Eucharistie gänzlich aus?
Die propagierte totale
Unabhängigkeit einer Substanz von der Form kennt das Altertum nicht, und sie hätte
durchaus absurde Züge. Entfernt erinnert die Theorie an pagane
Fetisch-Verehrung oder Idolatrie, bei der im Fetisch oder bildhaften Idol ein
Gott „wohnt“. Die Abgrenzung etwa der Hostienverehrung von solcher Idolatrie
ist mE nur sehr schwer möglich. Man bedarf des Begriffes „mysterium“, um sich hinter ihm zu verschanzen, wenn all diese
quälenden Fragen aufkommen.
Exkurs: Die Gendertheorie basiert
ebenfalls auf einer Art „Transsubstantiationslehre“
An dieser Stelle möchte ich auf ein
Problem hinweisen, das sich aus der grundsätzlichen Annahme einer
Transsubstantiation ergeben kann. Es hat Folgen, wenn man bestimmte Lehren
entwickelt, denn diese Lehren stützen auch Meinungen, die die Kirche mit viel
Empörung ablehnt:
Konservative katholische Kreise agitieren
gegen die postmoderne Ideologie der Geschlechtervielfalt („Genderideologie“),
weil sie leugnet, dass Männer und Frauen die beiden akzidentiellen „Gestalten“
sind, in denen sich das komplementäre Menschsein manifestiert. Nun begründet
sich aber die Genderideologie philosophisch gesehen mit derselben transsubstantiellen
Argumentation wie die nachtridentininische Kirche hinsichtlich der Eucharistie:
Man stellt sich vor, ein Mann könnte sich gewissermaßen substantiell in einem
Frauenkörper aufhalten und umgekehrt. Unserer verwirrten Zeit erscheint dieser
Gedanke völlig einleuchtend. Wie dem „finsteren Mittelalter“ eine
Transsubstantiationslehre plausibel erscheinen konnte, setzt sich diese
irrationale Finsternis fort, indem man eine Transgenderlehre für realistisch
hält. In beiden Fällen ist der Wunsch Vater des Gedankens gewesen: Man wollte
das „Messopfer“ um jeden Preis versinnlichen, und man will um jeden Preis die
natürliche Bipolarität auflösen. Dazu versteigt man sich in einen babylonischen
Gedankenturm, den man zwar nach oben, aber nicht mehr nach unten steigen kann:
der Absturz oder die unendliche Gefangenschaft auf einer luftigen, bodenlosen
Höhe wird unweigerlich kommen
Man muss es aber in aller
Nüchternheit sagen: Einem klassischen griechischen Philosophen wäre dies so
absurd erschienen wie die scholastische Transsubstantiationslehre: ein beispielsweise
weibliches Wesen korrespondiert immer
dem Frauenkörper, egal wie er nun individuell ausgeprägt ist und egal, wie
verwirrt die Gefühle der Frau ihrem Leib gegenüber sein mögen. Das gälte auch
dann, wenn der Frauenkörper sich einem „maskulinen“ Phänotyp annähern würde, in
den primären Geschlechtsorganen aber eindeutig weiblich und gebärfähig wäre.
Einer weiblichen Substanz kann in einer Philosophie, die Form und Inhalt
aneinander bindet, per se keine männliche Form zukommen. Und umgekehrt gälte
dasselbe für ein männliches Wesen. Und dass es nur diese zwei Gestalten des
Menschseins gibt, findet man in der Natur vor, die auf diese Weise den Weg zur
Fortpflanzung möglich macht. Wenn man konsequent denkt, muss man hier
innehalten und anerkennen, dass jede weitere Zuordnung der „Komplementarität“
zu angeblichen oder wirklichen wesenhaften „Geschlechts“-Merkmalen irrelevant ist.
Sie sind tatsächlich Konstrukte der Kulturen, nicht aber die reale
geschlechtliche, zur Elternschaft befähigte und berufene Gestalt des Menschen.
Inhalt und Form stehen zweifellos
in der phänomenalen Welt in einer unlösbaren Form zueinander. Was also natürlich
und im Kern (nicht sozial oder
kulturell ausgeschmückt) aussieht wie eine Frau, ist auch eine Frau. Und was
aussieht, wie ein Mann, ist auch ein Mann. Was aussieht wie Brot, ist Brot, und
was aussieht wie Wein, ist Wein. Kein vernünftiger Philosoph hätte jedoch
bestritten, dass sich in einem Mann oder einer Frau vielleicht widersprüchliche
seelische oder charakterliche Merkmale manifestieren können. Abwegig ist nur
der Gedanke, die äußere Form stehe in gar keiner Beziehung zum Inhalt. Dies
ist aber die kirchliche Behauptung. Gerade die Kirche müsste — so gesehen — das
allergrößte Verständnis für die Genderer haben. Warum ist sie aber an dieser
Stelle so kämpferisch und abwehrend, diesmal mit der korrekt angewandten
klassischen Philosophie? Die Transsubstantiationslehre kommt sehr spitzfindig
und eitel daher, aber sie fordert auf der strukturellen Ebene eine ebensolche
Widersinnigkeit zu glauben ab wie die moderne Genderei.
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Zauberei? Alchemie? Opfer?
Man kam früh in der Kirche auf den beunruhigenden
Gedanken, dass dies nichts anderes als magisches Denken und Zauberei sei. Oder
eine Art von bizarrer Alchemie. Aber auch das reicht kaum hin, denn ein
Zauberer verwandelt den Gegenstand A in den Gegenstand B, und jeder kann sich
selbst überzeugen, dass aus A das B geworden ist. Eine Vorstellung, in der A zu
B verzaubert, also „verwandelt“ wird, aber jedermann nach wie vor nur A
wahrnimmt, ergibt keinen Sinn. Es sei denn, man nimmt das Vorstellungsmuster
der „Verhexung“ eines Gegenstandes an, der aussieht wie A, in Wahrheit aber
durch eine Beschwörung oder Besprechung mit einer positiven oder negativen
geistigen Kraft aufgeladen und wesenhaft verändert wurde. Szenen aus
Horrorfilmen drängen sich auf, in denen ahnungslosen Menschen unter der Hand
Gegenstände plötzlich ihr Wesen wandeln und sie bedrohen. Der berühmte „Wolf im
Schafspelz“, der sich von einem Wort Jesu ableitet, steigt in uns auf: er sieht
aus wie ein Lamm, offenbart aber plötzlich ein Wolfsgesicht: „Hütet euch vor den falschen Propheten; sie
kommen zu euch in Schafskleidern, im Inneren aber sind sie reißende Wölfe.“
(Mt 7, 15) Es handelt sich um fromm erscheinende, die sich selbst große
Vollmachten zuschreiben, und doch weist Jesus sie von sich und nennt sie
solche, „qui operamini iniquitatem“
(V 23), solche die „dem Bösen dienen“. Es sind Menschen, die dem „mysterium iniquitatis“, dem „Geheimnis
des Bösen“ entstammen, sich in ihm verbargen und von ihm aus Macht über die
Dinge gewinnen wollten, sie, die sich selbst für vollmächtig halten. Sie reden
prophetisch, treiben Dämonen aus und begehen Machttaten (V 22). Sie erscheinen
so, als seien sie eines bestimmten Wesens, das einer bestimmten äußeren Form
korrespondiert, aber sie verbergen sich in einer Form, die ihnen nicht passt.
Und genau nach dieser Devise sollte Jesus Christus mit uns verfahren?
Nichts ist dem NT fremder als die
Verknüpfung des wahren Gottes mit der Maskerade des „mysterium“! Er tut alles offenbar. Es sind unsere Augen, die es
nicht sehen und unsere schwachen Ohren, die es nicht hören und unser böser
Wille, der es nicht ertragen will, diese offenbare Glut des Herrn. Wir weichen
zurück vor ihm, weil er ein „verzehrendes
Feuer“ ist (Hebr 12, 29) und weil wir nicht wollen, dass ans Licht kommt,
was wir sind. Wir lieben Adams Verborgenheit mitten unten den Paradiesbäumen
und behaupten, Gott sei auch so. Das gesamte NT zeugt nur von einem: dass Gott
sich uns sichtbar gemacht hat, aber nicht in „Mysterien“, sondern ganz konkret
und für immer in der Person Jesu Christi. Seine Offenbarung ist das blanke Gegenteil
eines „Mysteriums“. Und so schließt
sich der Kreis wieder: die Hure der Apokalypse trägt den Namen „mysterium“. Sie ist es, die allem, was
göttlich ist, entgegensteht mit ihrer mysteriösen Maskerade, mit ihrem äußeren
Schein der Frömmigkeit, ihrem rituellen Hokuspokus, ihrer angeblichen Macht
über die Dämonen, ihrer angemaßten pseudopriesterlichen „Verwaltung Gottes“, ihren
sinnlichen Reizen, die den Geist des Menschen betören und von dem, der Geist
ist, abbrachten.
Die Alchemie ging von einem Urstoff
aus, aus dem man alle materiellen Gegenstände erzeugen könne und nur insofern
den Gegenstand A zum Gegenstand B wandeln könne. Man musste den Gegenstand A
„rückverwandeln“ in den Urstoff, um aus dem Urstoff den Gegenstand B zu
erschaffen. Diese alchemistische Vorstellung wäre ein weiterer Zugang zur
Gendertheorie. Allerdings ging man in der Alchemie auch mit der Tatsache um,
dass erzeugtes Gold etwa nur wie Gold aussieht, aber eben doch keines ist, dass
man einen Anschein wandeln konnte, nicht aber das Wesen. Die Frage der
Erzeugung eines Anscheins spielte hier eine große Rolle, und immer wieder warf
man der Kirche vor, mit der Transsubstantiationslehre eine Art läppischer
„Alchemie“ zu betreiben.
Am nächsten kommt der Lehre ein
magisches Denken, das an bestimmten Orten oder Gegenständen den Anschein einer
bestimmten Form behauptet, die aber in Wahrheit ein anderes Wesen verbirgt. Die
Magie operiert grundsätzlich mit der Annahme einer zerstörten Beziehung von
Substanzen und ihrer äußerlichen Erscheinung. Manche Opfertheorie, die im Opfer
die Zerstörung eines Wesens annimmt, um zu einem anderen Wesen zu gelangen oder
Ersatz zu schaffen für ein nicht vorhandenes Wesen, spielen auch in der Kirche
eine große Rolle. Man sortierte das Kreuzesopfer unter diese alchemistischen
„Vernichtungen“ ein, bei denen ein Gegenstand dran glauben muss, um das Bessere
und Edlere zu erzielen. Dieses Grundmuster liegt jedem paganen Opfergedanken
zugrunde, im NT ausgesprochen durch den Hohenpriester Kaiphas, aber
unfreiwillig hindeutend auf eine andere Dimension des „Opfers“:
„50 Ihr
bedenkt nicht, dass es besser für euch ist, wenn ein einziger Mensch für das
Volk stirbt, als wenn das ganze Volk zugrunde geht.
51 Das
sagte er nicht aus sich selbst; sondern weil er der Hohepriester jenes Jahres
war, sagte er aus prophetischer Eingebung, dass Jesus für das Volk sterben
werde.
52 Aber
er sollte nicht nur für das Volk sterben, sondern auch, um die versprengten
Kinder Gottes wieder zu sammeln.“ (Joh 11)
Der „Opfer“-Charakter an dieser
Stelle erhält durch die vorangehende Beratung im Sanhedrin eine eigentümliche
Wendung. Offenbar wollten die Juden nicht, dass alle Welt an Jesus glaubt, weil
damit ihre Vorrangstellung vor allen Völkern aufgehoben würde:
„47
bWas sollen wir tun? Dieser Mensch tut viele Zeichen.
48 Wenn
wir ihn gewähren lassen, werden alle an ihn glauben. Dann werden die Römer
kommen und uns die heilige Stätte und das Volk nehmen.“
Die Worte des Kaiphas ragen geradezu
bizarr in diese Gedanken hinein, die das Opfer Jesu vornehmen wollen, um die
Vorrangstellung Israels vor den Römern zu wahren. Anders gesagt: Israel opferte
den Messias, zu dessen Heraufkunft es eigentlich berufen war, um nicht
aufzugehen in der erlösten Schar aus allen Völkern und nicht der römischen
Macht zu erliegen. Der Hohe Rat hat aus der Mission Israels, den Erlöser
vorzubereiten und hervorzubringen, anders als einst seine vornehmste Tochter,
Maria, ein „Nein“ gemacht, ein „Non fiat“,
das “Es geschehe nicht!“. Israel vertauschte das „Fiat“ Marias mit dem „Non
serviam“, um „Erster“ bleiben zu dürfen, für den es sich selbst hielt. Und
so wurde es zum Letzten, wie Jesus es all jenen, die „Erster“ zu sein glauben
oder Vorrang vor anderen zu haben meinen, immer wieder voraussagte. Dass der für
Israel vorgesehene Dienst ihm letztendlich keinen „Vorrang“ sondern nur eine
erste Pflicht für alle anderen Völker gegeben hat, erkannte es bis heute nicht.
Aber es ist mit dieser vermessenen Haltung nicht alleine. Es ist das Urmuster
jegliches Patriarchalismus auf dieser Welt, die Verwechslung von Verantwortung
und Pflicht mit Macht und „Mehrseinwollen“. Nur: welcher Vater, welche Mutter
kann im Ernst denken, er oder sie sei „mehr“ als ihre Kinder?! Israel verkehrte
das „Opfer“ bis hin zur Perversion, indem es die Frucht seiner Mission
ermordete, um sich selbst an dessen Stelle zu setzen und sich lieber selbst künftig
opfern zu lassen. Was Kaiphas abwenden wollte, nämlich den Tod des Volkes,
handelte er sich ein. Und doch war sein Satz prophetisch, weil Gott ihn — ohne
das Kaiphas es erfassen konnte — mit
einem anderen Sinn versah. Die Römer kamen wirklich und nahmen den Juden die
heilige Stätte und das Volk, aber nicht das ist es, wofür der Christus stirbt:
er stirbt dafür, dass die verstreuten Kinder Gottes in allen Völkern gesammelt
werden. In der prophetischen Schau des Kaiphas und der Panik des Sanhedrin
spiegelt sich irrlichternd die zukünftige Situation. Die Überwältigung durch
die Römer kam, und sie hielt an bis zum heutigen Tag, aber sie ist nicht die vorhergesagte
Sammlung der verstreuten Kinder Gottes, sondern hat sich nur deren Maske
angelegt.
In der magischen Auffassung der
römischen Messfeier irrlichtern dementsprechend pagane römische und
„babylonische“, „ägyptische“ Vorstellungen:
Es ist zum einen die alte Annahme,
Götter oder göttliche Wesen oder Engel könnten sich materialisieren und in
einer bestimmten irdischen Gestalt „erscheinen“, die hier mitschwingt.
Zugespitzt kennt der Mensch dies als abgöttische Verstellungskunst: der Böse etwa
erscheint als hübscher Jüngling oder als Engel des Lichtes, ist aber in
Wahrheit der Teufel. Oder an sich unspektakuläre „neutrale“ Orte in der Natur,
etwa ein bestimmter Baum, ein Hügel, ein See oder eine Höhle sind nicht das,
was sie scheinen, sondern Sitz eines Dämons oder Gottes oder Eingänge in andere
Welten. Der magische Baum etwa ist
dann ein böser Geist. Und der See ist
dann als „Vorhof“ des Reiches der Götter des Abgrundes vollständig kontaminiert.
Aber selbst im Heidentum leugnet man nicht, dass der Baum trotz allem noch Baum
ist, der See noch See…
Zum anderen kennen wir aus
zahlreichen paganen Kulturen die Verhexung von Idolen: sie stehen für eine
geistige Macht und sind förmlich deren Sitz und in der Folge Gegenstand
göttlicher Verehrung. Das Idol oder Abbild des Gottes ist der Gott. Ein Abbild kann nicht als wesenhaft total geschieden
von seinem Urbild angesehen werden: es trägt das Wesen des Urbildes in sich,
eben weil es auch der Form nach dem Urbild gleicht. Im AT begegnen uns solche
Idole im Übergang von angemessener liturgischer Kleidung der Priester hin zu
einem unangemessenen Abgott, als „Efod“:
ein „Efod“ taucht als liturgisches
Gewand auf, wird aber auch als Idol verehrt. Solche Praktiken werden aber
durchweg kritisiert und als Abgötterei gebrandmarkt (Ex 28,31; Ex 28,4; Ri
17,5; Ri 18,14; 1 Sam 19,13; Gen 31,19ff). Die wesenhafte Verknüpfung eines
Idols mit einem Gott wird bei den Propheten durchweg „entmythologisiert“, indem
auf deren jedermann sichtbare Gestalt gezeigt wird, die doch nur ein vom Menschen
bearbeitetes Stück Holz sei und darum auch wesenhaft kein Gott sein könne (etwa
Jesaja 40-55 macht diese Fragen immer wieder zum Thema).
Es mag so gar nicht zu unserem
Herrn Jesus passen, dass er inkognito als Brot erscheint oder als Wein, in Wahrheit
aber Fleisch und Blut und Gottheit sei, wie das Trienter Konzil dogmatisch
festlegte. Gerade Jesus Christus steht dafür, dass sich Gott nicht verborgen hält, sondern in ihm
offenbar wurde, und vor dem Hohen Rat sagt Jesus aus, er habe niemals etwas im
Verborgenen gehalten (Joh 18, 20). Das gesamte Wesen Jesu ist Offenbarung und
nicht mysteriöse Verborgenheit.
Dass diese „Offenbarung“, diese „apocalypsis“ aber nicht sinnlich
fassbar, sondern nur im Geist erkennbar werden kann: dafür hat Jesus sich in den
Himmel begeben und uns den Hl. Geist gesandt und eben nicht sein Fleisch und
Blut in einer materiellen, sakramentalen Parallelwelt. Die gebotene
Eucharistiefeier ist demnach so zu verstehen, wie dies aus den allerfrühesten
Texten vor dem Staatskirchentum noch
aufscheint. Wir sollen den Herrn in dieser Zeit nicht sehen, also sinnlich und
leiblich nicht wahrnehmen können, um überhaupt den Zugang zu dieser geistigen
Formung zu erhalten. Sinnliche Metaphern wollen auf eine geistige Deutung
hinaus. Das hat er selbst gesagt, und es ist ein — wenn man es nüchtern
durchdenkt — ungeheuerlicher Widerspruch, den die Kirche seinem Wort und seiner
eigenen Erklärung als Widerpart entgegensetzt.
Wie ungereimt und in sich widersprüchlich diese
Lehre einer sakramentalen Parallelwelt ist, zeigt uns die kirchliche Realität,
die aus der eucharistischen Anderwelt sehr schnell zurückfiel in schnödeste,
irdische Welten:
[12] Als Beispiel mag hier Prof. Dr. Hubertus Mynarek genügen, der in einem
Interview davon sprach, die Transsubstantiationslehre sei nichts weiter als
„Alchemie“. Film „Der Katholizismus - Christentum oder Heidentum? Interview mit
Prof. Dr. Hubertus Mynarek“, auf Youtube am 8.8.2017 hochgeladen https://www.youtube.com/watch?v=BxCOQPyn5LU, (abgerufen am 16.2.2018)