Freitag, 31. Januar 2020

Trinitätslehre auf dem Prüfstand — Brief XV. an Unitarier und Trinitarier (V): Der Name des Herrn

Trinitätslehre auf dem Prüfstand — Brief XV. an Unitarier und Trinitarier (V): Der Name des Herrn

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V. Der Name des Herrn

Gott offenbart sich im Alten Testament nicht als Vater und wird so auch (fast) niemals genannt. Er hat gelegentlich väterliche Attribute, häufiger dagegen weibliche und mütterliche, aber beides bleibt undeutlich, führt nicht zu einem klaren elterlichen Bild. Zentral ist andererseits eine (männliche) Liebhaber-Metaphorik. Sie ist scharf umrissen und taucht schon sehr früh auf. Im Neuen Testament wird sie von Gott auf Jesus Christus übertragen.

Mit der Sünde, mit der Möglichkeit, die Wirklichkeit zu leugnen und zu ersetzen durch die Lüge, verliert der Mensch das Organ, das ihn Gott wahrnehmen lässt. Während Gott in der Paradieserzählung unter den Menschen wandelt, kann davon danach keine Rede mehr sein. Oder sagen wir es präzise: Ob er unter den Menschen anwesend ist, können wir nicht sagen. Wir wissen, dass wir ihn nicht mehr gewiss wahrgenommen haben. Unsere Empfindung, dass er sich zurückgezogen habe, kann ganz falsch sein. Wir sind für seine Gegenwart erblindet, ertaubt und erlahmt. Dieser Zustand scheint sich nach der Vertreibung aus dem Paradies sehr schnell eingestellt zu haben.


a. „El“

Die jüdische Tradition, die auch Hieronymus reflektiert hat, deutet einerseits die Vorgänge noch in Eden und kurz danach als einen schrittweisen Rückzug Gottes aus der Sphäre der Menschen. Sie kennt aber auch die Vorstellung, dass eine Erblindung des Menschen für den anwesenden Schöpfer vorliegt. Je weiter er sich entfernte, oder: je mehr der Mensch erblindete, desto „leerer“ wurde es, und man begann zur Zeit des Enkels des „adam“, Enosch, „beschem JHWH“, „mit/in einem Namen den/des Herrn anzurufen“ (Gen 4,26), oder, wie die LXX es übertrug, „Und Seth wurde ein Sohn geboren; er gab ihm den Namen Enos. Dieser hoffte darauf, den Namen des Herrn anzurufen.“ In diesem Sinne übertrug dann auch Hieronymus.

Welchen Namen man da wohl anrief, und: wie tat man das? Die Menschen wussten noch nicht, wie sein Name ist. Sie riefen nicht den Namen, sondern einen Namen an. Das spricht aus den merkwürdigen Versen in Ex 6,3f:

„3 Ich bin Abraham, Isaak und Jakob erschienen als El-Schaddai (Gott, der Gewaltige); aber mit meinem Namen JHWH habe ich mich ihnen nicht zu erkennen gegeben.“

Wen haben sie also vor Abraham angerufen? Oder anders gefragt: Was haben sie ausgerufen?
Hieronymus, der die jüdischen Überlieferungen kannte, kommentiert diese alte Frage mit der Bemerkung:

„Die meisten der Hebräer glauben, dass damals zuerst unter dem Namen des Herrn und nach seiner Ähnlichkeit die Götzenbilder verfertigt wurden.“[1] 

Der Gottesname, der in der Schrift erscheint, aber sehr gut als der Name des Göttervaters im heidnischen Pantheon bezeugt ist, ist „El“. „El“ galt als der Vater der Göttersöhne, und ein „El“ scheint auch in der biblischen Tradition als Anrufungsgestalt gemeint zu sein, allerdings gewissermaßen seiner Zweige beraubt, bis auf wenige Stellen, an denen noch die „Göttersöhne“ auftauchen.[2] Die biblischen Gestalten fischen seltsam im Trüben zu Anfang. „El“ erscheint fast sinnleer und erfährt durch Namenszusätze  und die Pluralisierung eine Sinnstiftung.


b. „Elohim“

„Elohim“ ist möglicherweise ein Pluralwort zu „El“, vielleicht aber auch, wenn man Friedrich Weinreb glauben will, zu „elleh“ (pl. „diese“) und bedeutet dann wörtlich „Götter“ oder so etwas wie „dieselben/genau diese“. Im Alten Testament wird das Wort meistens für den einen und bestimmten Gott eingesetzt, der sich als der persönlich hervortretende, Israel zuwendende Gott erweist. „Elohim“ wird aber auch weiterhin als Begriff für „Götter“ im allgemeinen eingesetzt. Manchmal bleibt unklar, ob der Gott oder Götter gemeint sind. In Gen 3,5 sagt die Schlange zur Frau, sie würden „kelohim jodei tov wara“, wörtlich „wie die Götter/Gott Gut und Böse erkennen“. Über das Verständnis dieser Stelle herrschte immer Uneinigkeit. Die LXX verstand es als „theoi“, also als „Götter“, ebenso die Vulgata, die in den älteren Versionen „dii“ übersetzte, nun aber in der neuesten vatikanischen Revision „Deus“ schreibt. Die King James Bible übertrug mit „Gods“, also ebenfalls im Plural. Martin Buber schreibt „Gott“. Weil „elohim“ hier mit unbestimmtem Artikel vokalisiert ist, würde man allerdings tatsächlich eher annehmen müssen, dass es nicht um den Gott geht, sondern um Götter. Der Mensch wollte nicht sein wie Gott, wie es so oft heißt, sondern wie die Götter eine Erkenntnis gewinnen. Um die Frage zu umgehen, welche Götter gemeint sein könnten, wo man doch strengen Monotheismus ausgedrückt sehen wollte, übertrug man dann häufig lieber mit „Gott“. Die in der Hinsicht völlig unverdächtige LXX dürfte uns aber einen Hinweis darauf geben, wie das ursprüngliche Verständnis der Stelle war.
Das Beispiel soll vor Augen führen, dass „elohim“ ein allgemeiner Begriff für Gott ist, ähnlich wie das Stammwort „El“, der nicht immer eindeutig zuzuordnen ist, sowohl den bestimmten, einen Gott, als auch heidnische Götter und gelegentlich auch Menschen meinen kann. Am häufigsten ist er jedoch auf den Gott Israels bezogen. Mit dem Plural wird er gewissermaßen „übergeordnet“: er ist mehr als nur ein „El“. Er ist gewissermaßen der „El“ potenziert.


c. „Na’aseh lanu schem!“ und der „El Eljon“

Nach der Sintflut wird der Versuch der Menschen, sich „einen Namen zu machen“, die Stadt und der Turm zu Babel, von JHWH — wie es vom zurückblickenden, späteren Autor interpretiert wird — vernichtet. Der Turm sollte „baschamajim“ reichen (Gen 11,4), „in den Himmel hinein“. Die folgenden Worte sind durchaus mehrdeutig. Gemeinhin versteht man sie so, als habe die Menschheit als die eine, noch nicht über die Erde verteilte, sich selbst einen Namen machen wollen, wie man diese Redewendung modern versteht: man will sich ein Denkmal setzen oder berühmt werden. Nur ergibt das keinen Sinn: bei wem will sich die eine, ungeteilte Menschheit einen Namen machen? Es ist ja keine Umgebung da, bei der man sich einen Namen machen könnte im modernen Sinn. Man kann das aber auch anders verstehen: „wena’aseh lanu schem“ kann auch noch viel konkreter heißen „ und lasst uns ein Name werden“ bzw „lasst uns uns einen Namen erschaffen“. Man kann durchaus auf den Gedanken kommen, dass es hier darum geht, einen Gottesnamen zu machen. Dafür spricht auch der Turm, der in den Himmel hineinreichen soll. Mit der Verwirrung der Sprache wurde diesem Unterfangen, einen Gottesnamen samt einer Gottesbeziehung aus Eigenem zu kreieren, ein Ende gesetzt. Gott scheint dieses Unterfangen der Menschen sehr ernst zu nehmen und traut ihnen zu, es auch zu verwirklichen (Gen 11,6). Aber — rückschauend — kann man erahnen, dass mit dem Gelingen dieses ihres Planes auch der Rückweg zu dem wahren Gott versperrt worden wäre. Der Mensch hätte viel erreicht, dies aber in einer Sackgasse.

Gottes konkrete und direkte heilsgeschichtliche Zuwendung beginnt danach ab Gen 12 mit der Herausrufung Abrams aus seinem Land. Auch Abram kennt den Namen Gottes nicht. Er sieht in ihm wohl den im vorderen Orient überall geglaubten „El“, errichtet ihm am Ort „Beit-El“ (Haus Els) einen Altar. Es heißt, dort habe er „beschem JHWH“ gerufen. „Beschem“mit einem Namen JHWH“, dessen Name aber damals noch nicht offenbart war, wie wir schon gelesen haben. Rief Abram so an wie man es zur Zeit Enoschs begonnen hatte zu tun? In Gen 15,2 lässt der Autor Abram Gott als „adonai JHWH“, als „mein Herr JHWH“ ansprechen, was rückwirkend hineingelegt worden sein muss, wenn Ex 6,3ff zutreffend ist und Abram den Namen JHWH noch nicht gekannt haben kann.
Zuvor begegnete dem Abram, dem „Iwri“ („Hebräer“), dem „Fremden“, dem „Eingewanderten“ (Gen 14,13), der geheimnisvolle Priesterkönig Melchisedek. Von dessen Gott heißt es, er sei der „El Eljon“ (der höchste Gott) (Gen 14,18ff). Ausdrücklich wird Abram über Melchisedek von diesem höchsten „El“ gesegnet und in einen Lobpreis desselben Gottes hineingenommen. Dieser „El“ sei der „Schöpfer des Himmels und der Erde“, wird damit allerdings im Kontext des bekannten heidnischen Verständnisses von „El“ gezeichnet, der allgemein als der Urschöpfer galt. Wenn man sich hineindenkt in die Situation, die beschrieben wird, wird verständlicher, dass diese Begegnung Abrams mit Melchisedek einer Konkretisierung des Gottes, mit dem Abram es zu tun hatte, diente: Du hast es mit dem „El aller Els“ zu tun.
Gleich nach dieser Segnung Abrams hat Abram eine Vision Gottes (Gen 15), die auch sprachlich weit über das hinausgeht, was er zuvor an Gotteserfahrungen gemacht hatte: Ab jetzt führt er mit diesem Gott Dialoge. Zuvor war er nur einseitig von ihm angesprochen worden. Das ist ein enormer „Fortschritt“: Nun spricht ein Mensch erstmalig Gott wieder informell an, so, wie man einen anderen Menschen, einen Freund anspricht. Das wurde in der Schrift zuletzt von Adam und Eva getan. Sie waren die letzten, die ihrerseits zu Gott freundschaftlich dialogisch sprachen, so, wie man zu einem Menschen spricht, der hört und antwortet. Wohl spricht Gott weiterhin einmal zu einem Menschen, etwa zu Kain, aber der Dialog Kains mit Gott ist nicht mehr freundschaftlich, weil Kains Herz sich abgewandt hat. Nach dem verweigernden Dialog Kains mit Gott gibt es erst einmal keine Dialoge mehr, die uns berichtet werden. Gott spricht zwar einseitig zu Menschen, etwa zu Noach, aber es ist uns nicht berichtet, dass die Menschen ihm antworten.
In Gen 15 beginnt der Mensch Abram sein Herz zu öffnen gegenüber dem „El Eljon“ und spricht seinerseits zu ihm.


d. „El Roi“

Der nächste Herzensdialog zwischen Gott und Mensch geschieht überraschenderweise nicht zwischen Gott und Sara, der Frau des Abraham, sondern mit der von den beiden sexuell missbrauchten und verzweifelten Sklavin, der Hagar, in Gen 16. Mit Hagar wird auch erstmalig die Metaphorik des göttlichen Liebhabers intoniert.
Auf letztere Metaphorik kann ich hier nur knapp eingehen, möchte aber darauf hinweisen, dass die erotische Mann-Frau-Bildsprache — intakt verstanden, nicht nach der Unordnung durch die Sünde — sowieso kein Rangdenken verträgt, sondern aufs „Ganze“ gerichtet ist. In diesem „Ganzen“ bilden Gott und Menschen eine Ganzheit auf Augenhöhe (wie Mann und Frau), was ebenfalls ein ungeheuerlicher, undenkbarer Gedanke bleibt, wenn wir ihn messen an unserer erbärmlichen Wirklichkeit.
Im Hohenlied, dem „Lied der Lieder“ ist nicht immer klar, wer metaphorisch welche Rolle einnimmt, sie verschwimmen und durchwirken sich, Schulamit und der, den ihr Herz liebt. Ob der Geliebte unablässig nach ihr sucht oder sie nach ihm, ob er sich entzieht oder sie das tut — es ist keinerlei Rangabfolge erkennbar. In der Beziehung der Sklavin Hagar zu dem Gott, der ihr in der Wüste begegnet, schwingt dieses Motiv ebenfalls mit (eigene Übertragung einer komplizierten, nur schwer gut wiedergebbaren, grammatischen Konstruktion im Hebräischen):

„Sie rief den Namen JHWHs, des zu ihr Sprechenden, ‚El Roi’ (der mich sehende Gott), denn sie sagte: ‚Habe ich nicht auch hier dem Mich Sehenden nachgesehen?’.“ (Gen 16,13)

Hagar hat den Eindruck, dass der Augenblick, in dem Gott nach ihr sah, ihr zeigte, dass auch sie immer nach ihm Ausschau gehalten hatte.
Das ist bereits die Sprache des Hohenliedes.

Sie gibt ihm einen Namen der Erfahrung entsprechend, die sie mit ihm gemacht hat. Und auch sie führt mit ihm einen Dialog, und ausdrücklich heißt es, sie habe dem JHWH (aus der Rückschau wird er konkret benannt) einen Namen gegeben, ihm, dem „haddover eleha“, der „zu ihr gesprochen“ habe (Gen 16,13). Dieser „El Roi“ spricht ein zweites Mal mit ihr in Gen 21.


e. Der Liebhaber und der „Baal“

Das Männlich-Herrscherliche wird eigentümlich außer acht gelassen, wenn es um die Beziehung zwischen Gott und Mensch geht. Ja, es wirkt lächerlich, böse und verdorben. In der Begegnung mit Hagar offenbart Gott sein liebendes Herz. Bereits im AT werden ganz andere Attribute des Männlichen spürbar, als der Partriarchalismus es festklammert. Gott verstößt in den späteren Reden der Propheten seine Geliebte Israel nicht, obwohl sie untreu ist. Er liebt sie und will sie wiederhaben, er wirbt um sie und kämpft mit ihr um ihre Zuneigung. Der Mann im mosaischen Gesetz dagegen gibt seiner Frau einen Tritt und nimmt sich eine Neue, wenn sie ihm nicht mehr passt. Hier tun sich Abgründe auf. Die widergöttliche Haltung erreichte tatsächlich zur Zeit Jesu ihren Kulminationspunkt mit Rabbi Hillel (gest. um 9 n. Chr.), der lehrte, der Mann könne seine Frau aus jedem, seiner Willkür unterlegten Grund verstoßen.[3]

Interessanterweise kommt aus dem animalischen Gesetzesdenken die Konvention des Hebräischen, den Ehemann „baal“ zu nennen („Herr/Herrscher“), also nicht „elohim“ oder „JHWH“ — das hätte der Mann niemals gewagt, aber stattdessen greift er zum pervertierten Vatergott der heidnischen Umwelt und nennt seinen eigenen Herrschaftswahn über Frau und Kinder nach dem Gott Baal, der zur Zeit Jesu sogar als Name des Satans aufgefasst wurde (Mk 3,22ff; Mt 10,25; Mt 12,24ff; Lk 11,15ff). Immerhin nannte Sara, deren Name auf Geheiß Gottes „Herrin“ lautet, ihren Mann in Gen 18,12 „adoni“ (mein Herr). Als Verb bedeutet „baal“ im Gegensatz zum urgeschöpflichen „jada“ (erkennen) für den Geschlechtsakt, das animalische „begatten“ (also wörtlich „beherrschen“ oder „besitzen“). Im Hebräischen bedeutet „baal“ daher auch „Eigentümer“. Der Namenszusatz „Baal“ für Eigentümer, Könige und Götter ist durchweg tatsächlich ein „Titel“ — im Gegensatz zu den Gottesbezeichnungen des höchsten und besten Gottes im AT. Es ist der Baal, der den, den er „besitzt“, zum „Besessenen“ macht. Nach diesem bösen Dämon benannte der Mann seinen Herrschaftsanspruch. Und mit diesem zweifelhaften Titel benannten fromme Frauen später — anders als Sara — ihren Mann.
Jesus heilte viele „Besessene“, und wenn es sich um Frauen handelte, wurden sie frei und mit ihrem Namen genannt und umgaben ihn auch frei ohne irgendeinen rechtlichen Bezug zu ihren Männern oder Vätern.
Das hebräische Wort „adon“ (Herr), das für Gott mitgenutzt wird, beinhaltet nicht diesen Aspekt des Eigentümerseins oder „Beherrschens“, das im „baal“ ausgedrückt wird. Es betont die Würde dessen, der so angesprochen wird, die er aus sich selbst heraus hat und die der ihn Ansprechende ihm auch respektvoll zuspricht. Ein „adon“ ist ein „adon“ — er beansprucht nicht, indem er sich den Titel gibt, einer zu sein, ohne es wirklich zu sein. Abraham ist, um es zugespitzt zu sagen, nur deswegen ein „adon“, weil „Sara“, deren Name „Herrin“ bedeutet, ihn so nennt. Gott gibt ihr diesen neuen Namen (Gen 17,15). Sie gibt, nun inzwischen gereift, diesen Namen an ihren Mann zurück.
Die jüdische Tradition kennt die Vorstellung, dass die Götter sich den Namen Gottes angemaßt hätten.[4] Erst mit diesem Akt wurde „Gott“ zu einem „Titel“. Der wirkliche Gott aber bedarf keiner Titel, denn er ist genau das, was er ist und wem er begegnet, der weiß, dass er es ist, erkennt es an oder vergeht. Ein Gott, der Titel braucht, ist keiner. Der Name Gottes ist das, was er ist, so wie auch Abraham („Vater der vielen“) und Sara („Herrin“) zu dem wurden mit Gottes Hilfe, was ihre Namen sagten. Im Zusammenhang mit der Vergabe neuer Namen, die die alten Namen nicht einfach wegwerfen und verachten, sondern behutsam und liebevoll umformen, erfährt Abraham noch etwas anderes: einen weiteren erklärenden Gottesnamen.
Und doch teilte Gott diesen beiden noch nicht seinen JHWH-Namen mit. Ihnen erschien er als der gewaltige, überraschende, wirksame Gott (s.u.), während die kleine Sklavin Hagar, die sie von sich gestoßen hatten nach dem damals in der heidnischen Umwelt rechtmäßigen und so grausamen Missbrauch, ihn als den „Mich-Sehenden“ erfahren durfte.


f. „El Schaddaj“

In Gen 17,1ff, nachdem er Hagar erschien und von ihr als „El Roi“ benannt wurde, erscheint Gott auch erneut dem Abram und nennt diesmal einen Namen (V1): „Ani El Schaddaj“, „Ich bin El, der Gewaltige“. „El Schaddaj“ schließt mit ihm einen Bund und gibt ihm und Sarai neue Namen: Abraham und Sara (s.u.).
In beiden Begriffen klärt sich für Abraham und Sara, die einen Vorläufer-Exodus aus dem alten heidnischen Feld erleben, dass der „El“, der mit ihnen Kontakt aufgenommen hat, der Höchste und der Gewaltige ist. Mit ihm machen sie entsprechende „beglaubigende“ Erfahrungen. Und mit ihm stehen sie auf seine Initiative hin in einem Bundesverhältnis.

Wie oben schon zitiert, wird uns in Ex 6,3ff bestätigt, dass Abraham, Isaak und Jakob Gott nur unter diesem Namen kennenlernen konnten.

Eigentümlich ist das Wortspiel in Gen 49,25f, wo der sterbende Jakob Josef mit folgenden Worten segnet:

„Me’El avicha weja’esercha we’et Schaddaj (…) wiwarchecha birchot schamajim me’al birchot tehom rowezet tachat birchot schadajim wa racham.“

Nach Buber folgendermaßen übertragen:

„Vom Gott deines Vaters —
Er helfe dir,
von dem Gewaltigen —
er segne dich:
Segnungen des Himmels, von droben,
Segnungen des Wirbels, der drunten lagert,
Segnungen von Brüsten und Schoß!“

Dieser Segen ist mehr als geheimnisvoll, denn er geht weiter und nennt in V 26 einen „Geweihten unter seinen Brüdern“, dem dieser Segen langfristig gilt:

„Die Segnungen deines Vaters wuchsen
An die Segnungen der ewigen Berge,
an die Lust der Weltzeit-Höhn —
sie mögen sich senken auf Josefs Haupt,
auf den Scheitel des Geweihten unter seinen Brüdern!“

Gerade dieser letzte Abschnitt ist sehr schwer zu übersetzen, er ist auf Hebräisch poetisch und mystisch. Hier klafft ein großer Unterschied zwischen der LXX und dem Masoretischen Text. Allerdings scheint Buber hier dem zu folgen, was auch die LXX vorgibt. Ich konnte die Auffassungen bei Luther und der King James Bibel aus dem masoretischen Text nicht erkennen. Ohne diese Problematik weiter verfolgen zu wollen an dieser Stelle, wird hier ein prozesshaftes Geschehen beschrieben, ja sogar beschworen, das die Segnungen im „nasir“ kulminieren lassen wird. Ein „nasir“ ist ein Gottgeweihter, ein Mönch bzw ein „Ausgesonderter“.
Die Segnungen des „Schaddaj“ sind diese drei:

„Segnungen des Himmels, von droben,                               
Segnungen des Wirbels, der drunten lagert,                        
Segnungen von Brüsten und Schoß!“

Der „El Schaddaj“ umfasst und überblickt alles: den Himmel oben („schamajim“), das Chaoswasser, die Urflut aus Gen 1,2 („tehom“) und die Unterwelt, und seltsamerweise das Weibliche („schadajim wa racham“). Das Wortspiel „Schaddaj“ (Gewaltiger) mit den „schadajim“ (Brüsten) ist auffallend. Aber nicht nur das, sondern auch der „racham“, der Mutterleib (bei Buber „Schoß“), nach dem Gottes Erbarmen im Plural benannt ist, die „rachamim“. Die Verbindung des „Schaddaj“ mit dem Chaoswasser, dem „tehom“, assoziiert aber auch mit dem Begriff „sched“ für „Dämon“, das vermutlich mit „Schaddaj“ zusammenhängt. Diesem „Gewaltigen“ haftet durchaus etwas Erschreckendes, Numinoses an. Aber er wendet den Schrecken ab von Abraham und stellt ihn zunächst unter seinen mütterlichen Schutz der „Brüste“ und des „Mutterleibs“ (metaphorisch des „Erbarmens“).

Es wird deutlich, dass die maskuline Metaphorik des „El“ hier erstmalig in einen weiblichen Zusammenhang gestellt wird und die Konnotationen des heidnischen Feldes verlässt, ohne zu konkret zu werden und das Göttliche plump mit dem Geschlechtlichen zu identifizieren, wie es etwa im ägyptischen Denken aufscheint, das den Gott Atum als „Er Sie“ auftreten lässt, der durch Masturbation — wobei er sehr wohl männlich vorgestellt wird, aber seine masturbierende Hand die „Gattin“ darstellt — das erste Menschenpaar erzeugt habe. Es ist wichtig festzuhalten, dass hier ein wirklich transzendenter Gott deutlicher in Erscheinung tritt, der nicht maskulin, nicht herrscherlich ist, der aber Züge des Liebhabers und des Mütterlichen innehat, ohne aus der Metaphorik abzustürzen ins Sexuell-Konkrete.
Die Mütterlichkeit Gottes tritt später an zahlreichen Stellen des Alten Testaments zutage, viel häufiger als eine bereits massiv korrumpierte Väterlichkeit, ohne aus Gott eine Frau zu machen.[5] Das, was aber als göttlich Männliches hervortritt, ist unter Sünde vom Menschen dem Weiblichen zugeordnet und wird hier aufgegriffen und in der Getrenntheit wieder zusammengefügt und „geheilt“ (s.u.).

Das hebräische Wort für „männlich“ heißt ursprünglich „sachar“. Der Wortstamm „s-ch-r“ bedeutet „Gedächtnis“, „erinnern“, „eingedenk“ sein, auch einfach „innen“. Dieser Begriff steht am Anfang in Gen 1, als Gott den Menschen schuf, schuf er ihn „s-ch-r“ (männlich, „eingedenk“, erinnernd) und „nekeva“ (weiblich). „N-k-v“ ist ein Wortstamm, der „durchbohrend“ oder „Höhle“, aber auch „nennen“, „genau bestimmen“ (iS von erkennen, definieren oder analysieren) bedeutet.
Beide Begriffe weisen ein Geheimnis und eine Tiefe auf. Sie verbinden Erkenntnis mit Gedächtnis. Uns erscheinen diese Zuordnungen, wenn man sie misst an dem, was man traditionell dem Männlichen und Weiblichen anheftet, geradezu seitenverkehrt. Das Innere ordnen wir unter Sünde dem Weiblichen zu, das Äußere und Analytische und Umgebende dem Männlichen. In den Urbegriffen ist es umgekehrt …
Es ist vielleicht von daher verständlicher, warum die Schlange Eva angriff: es war für den noch intakten weiblichen Menschen verlockend, Dinge zu benennen und zu „durchbohren“ mit der Erkenntnis. Der „adam“ hatte dagegen noch als Gesamtwesen mit dieser „weiblichen Seite“ zuvor alle Tiere benannt (Gen 2,19). Wir finden in der hebräischen Bibel zahlreiche Situationen, in denen Frauen Namensvergaben bzw Benennungen (zum Teil ausdrücklich auf Geheiß des Gottes) durchführen — das gibt es im Patriarchalismus eigentlich nicht. Eine Rangfolge ist nicht erkennbar. Es ist die schöpfungsbedingte Sache der Frau, die später umgekehrt wurde, aber sie geschieht im biblischen Erzählen nicht „feministisch“, sondern quasi unter der Hand, fließt ein, ergibt sich fast beiläufig und unbemerkt. Man muss genau hinsehen, damit einem das alles auffällt.
Eines aber ist klar: diese beiden Eigenschaften „s-ch-r“ und „n-k-v“ bilden nach Gen 1 Gott ab und sind  „bi d’muto“, „in seiner Gestalt“. Es kann doch niemanden im Ernst wundern, dass Gott auch mütterliche und weibliche Züge hat, wenn „n-k-v“ ihn genauso abbildet wie „s-ch-r“.

Der „El Schaddaj“ umfasst als Gewaltiger alles, und alles, was ist, empfängt das Sein aus seinem Sein. Als „El Eljon“ ist er nicht einfach der Höchste, der Rangoberste oder die Spitze einer Pyramide. Bei Gott gibt es keine Pyramide, und sein Volk führt er später aus dem Land der Pyramiden, diesem Sklavenhaus. Abraham erhält mit der Offenbarung des „Eljon“ auch die des „Schaddaj“, um nicht der irrigen Idee zu verfallen, Gott sei — der heidnischen Konzeption des „El“ gemäß — so etwas wie ein Superpatriarch. In Jak 2,23 wird Abraham „philos theou“, „Freund Gottes“ genannt. Freundschaft schließt Rangordnung aus. Mit dem „Schaddaj“ wird Abraham hineingenommen in die furchterregende und unbegreifliche Gegenwart Gottes in allen Dingen wie in einen bergenden Mutterschoß.

Die Selbstoffenbarung Gottes geschieht nicht in Herrschaftsbildern, er oben, wir unten, auch dann nicht, wenn er in zugespitzten Konflikten mit seinem Volk darauf besteht, alleine den Überblick über alles zu haben. Der Lobpreis Gottes als des Königs der Könige geht dagegen immer vom verzückten, inspirierten Menschen aus. Gott umgekehrt sagt dem Menschen königliche Teilhabe ohne irgendeinen Abstrich zu: er wird in einem lebendigen Tempel wohnen, den er aus dem Menschengeschlecht erweckt. So sagt er es Abraham zu, so sagt er es Sara zu, so sagt er es nach einem langen Vergessen David zu.
So vollzog er es an Jesus Christus als dem „Erstgeborenen“, der der Inbegriff der alten Zusage war, die Gestalt, die aller Zusage schon vorausging in Gottes Wirken, Jesus, in dem auch alle anderen Menschen der Potenz nach geweiht sind. Paulus formuliert es:

„Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes in euch ist, den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euch selbst gehört?“ (1 Kor 6,19) 

Und am Ende der Johannes-Apokalypse steht es erneut: „Siehe, das Zelt Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein, und Gott selbst wird bei ihnen sein, ihr Gott“. (Apk 21,3)

Die Wendung „ihr Gott“ meint natürlich keinen Titel, sondern die vollkommene Zuwendung Gottes und auch die Fülle seiner „Schechina“, der „Einwohnung (Gottes)“. Auch wenn dieser Begriff erst in außerbiblischen jüdischen Texten entwickelt wird, trifft er doch sehr genau die neutestamentliche Aussicht, die aus den Zitaten hervortritt und bereits im Alten Testament angelegt ist. Es wäre verfehlt, wenn man nicht erkennt, dass diese „geschmückte Braut Jerusalem“, die vom Himmel herab kommt, samt dem Gott, der darin unter den Menschen wohnen will, hier nicht mehr gestuft dargestellt werden. Es ist ein vollkommenes Ineinander von Gott und den Seinen, so wie das, was sich im tiefsten Herzensgrund alle Menschen von einer großen Liebe zwischen Mann und Frau erwarten, solange sie noch unschuldig und unverdorben sind. Dieses Ende der Heilsgeschichte entspringt dem Erbarmen Gottes, aber dieser Gott leistet — in einer irdischen Verstehensweise — einen Herrschaftsverzicht, der uns nur entweder stumm oder zu Lobpreisenden machen kann. Wenn dann von den so im Erbarmen gewürdigten und hoch erhobenen Menschen nichts anderes kommt, als nun erneut ihre Herrschaftsgedanken in diese Liebesordnung Gottes zu implementieren und Gott erneut zu einem Baal zu machen, dann kommt das einem Abfall gleich.


g. Der „ehieh ascher ehieh“ oder kurz „ehieh“, der „elohei iwriim“,  und JHWH

Gott bindet seinen Namen an die drei Generationen Abraham, Isaak und Jakob, er ist der „Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs“. Diese Wendung taucht erstmalig in Ex 3,6 auf. Moses wird dort, als er alleine in der Wüste ist, von Gott aus einem brennenden Dornbusch heraus angesprochen und tritt sofort in ein dialogisches Gespräch mit ihm. Der Gott der Väter will deren Nachkommen befreien aus dem Frondienst bei den Ägyptern.
Mose erklärt in Ex 3 dem Gott am Dornbusch, dass die Hebräer offenbar diesen Gott ihrer Väter nicht mehr kennen und von ihm werden wissen wollen, wie dieser Gott heiße (Übertragung nach Buber):

„Mosche sprach zu Gott:
Da komme ich denn zu den Söhnen Jißraels,
ich spreche zu ihnen: Der Gott eurer Väter schickt mich zu euch,
sie werden zu mir sprechen: Was ists um seinen Namen? —
was spreche ich zu ihnen?
Gott sprach zu Mosche:
Ich werde dasein, als der ich dasein werde.
Und er sprach:
So sollst du zu den Söhnen Jißraels sprechen:
ICH BIN DA schickt mich zu euch.
So sollst du zu den Söhnen Jißraels sprechen:
ER (im Hebräischen steht hier JHWH),
der Gott eurer Väter,
der Gott Abrahams, der Gott Jizchaks, der Gott Jaakobs,
schickt mich zu euch.
Das ist mein Name in Weltzeit, das mein Gedenken, Geschlecht für Geschlecht.“

An diesem Dialog fällt einiges auf.
Zunächst fällt auf, dass Gott einen Beziehungsfaden anknüpft und seinen vollen Namen für dieses „olam“, dieses “Zeitalter“ offenbart „Ich werde da sein“ („ehieh“).
Es fällt weiter auf, dass hier eine positive, dem Mann unter Sünde entfremdete Männlichkeit spricht: „seh sichri ledor dor“ („Dies ist mein Gedenken von Geschlecht zu Geschlecht“). In diesem Namen „ehieh ascher ehieh“ drückt sich das Eingedenksein aus, das „s-ch-r“, das Männliche als Gutes, Göttliches. Dieser Gott, von dem auch die Segnung der „schadajim“ (Brüste) und des „racham“ (Mutterleib) kommt, der nährt und umhüllt in seinem Erbarmen, ist eingedenk seiner Verheißungen an die Menschen, denen er sie gegeben hat. Wir erinnern uns mit Gott daran, dass er Abraham und Sara, aber auch Hagar, verheißen hat, mit ihren Nachkommen zu sein.
Es ist Abrahams Enkel Jakob, der sich erinnert an die Verheißungen an seine Großeltern, und sie Gott in einer Ansprache, die er von sich aus an ihn wendet, als er seinem Bruder Esau wieder begegnete, den er übrigens „adoni“ („mein Herr“) nennt, und zittert um einen guten Verlauf dieses Zusammentreffens Gen 32,10ff):

„Gott meines Vaters Abraham, („elohei avi Avraham“)
Gott meines Vaters Jizchak, („elohei avi Jizchak“)
DU*,
der zu mir sprach: Kehre zu deinem Land, zu deiner Verwandtschaft, ich will dir Güte erweisen!
(…)
O rette mich doch (…)
Du selbst aber hast gesprochen:
Güte will ich dir, Güte erweisen,
will deinen Samen machen wie den Sand des Meeres, der vor Menschen nicht gezählt werden kann.“

(*Buber übersetzt das JHWH, das dort steht, mit „DU“, weil Jakob den Gottesnamen nach Ex 3 und dem Verlauf der folgenden Begegnung ja noch nicht wissen kann, vgl. V30))

Jakob erinnert sich an Gottes Verheißung an Abraham, dem er nachts den Sternenhimmel zeigte und zusagte, dass er dessen Nachkommen so zahlreich wie die Sterne machen wolle und wie den Sand am Meer (Gen 13,16; Gen 15,5; Gen 22,17). Das „s-ch-r“, das „Eingedenksein“ wird wirksam in Jakob und führt zu einer Gottesbegegnung.
Es wird in der gesamten Episode nichts davon berichtet, dass Jakob einen Altar gebaut oder geopfert hätte. Er wendet sich direkt und dialogisch an Gott. Zuvor, als er sich von seinem Onkel Laban trennte, hieß es von ihm noch, er habe einen Bund mit Laban geschlossen, den sie beim „Gott Abrahams und dem Gott Nahors (des Bruders Abrahams)“ (Gen 31,53) besiegelten. Es heißt, Jakob habe geschworen „befachad awiw Jizchak“ (V54), beim „Schrecken seines Vaters Isaak“. Seinen „innersten“ Namen kennt er nicht. Und in dieser Situation opfert er ein Tier und verspeist es mit Laban und den Verwandten.
Gott wandte sich später Jakob dann als ein „isch“ („ein Mann“) zu (Gen 32,23ff), den Jakob selbst für Gott hält, — die Juden tradieren, es sei der Engel Gabriel gewesen —, kämpfte die ganze Nacht mit ihm, weil Jakob um ihn rang und ihn erst dann gehen lassen wollte, wenn er ihn segnete — eine Szene, die auch Züge des Hohenliedes trägt. Auf dieses Ringen um einen Segen hin gibt der "isch" ihm einen neuen Namen: Israel, „ki saritha im elohim we im anaschim wattuchal“, „denn mit Göttern (Gott) und Menschen hast du gerungen und gewonnen“.
Als Jakob ihn bittet: „Haggida na schmecha!“ („Erzähle doch deinen Namen!“), antwortet der Mann: „Lamma seh tisch’al lischmi?“ („Warum fragst du so nach meinem Namen?“), sagt seinen Namen nicht und segnet Jakob.
Jakob wertet dies offenbar als eine Begegnung mit „El“, denn er nennt den Ort, an dem dies geschah, „Pni-El“ („Angesicht Els“), denn er habe „Gott gesehen von Angesicht zu Angesicht, und meine Seele ist errettet“ (V31).

In Ex 3,16 spricht Gott dann erstmalig selbstoffenbarend den JHWH-Namen aus, dessen linguistische Herkunft und Bedeutung umstritten sind, das aber wahrscheinlich vom Verb „h-j-h“ („sein“) kommt.
Der orthodoxe Jude Friedrich Weinreb, der ein ausgezeichneter Hebraist war, sagt uns, dass auch das Tetragramm JHWH der Grammatik der Nomen nach eine eindeutig weibliche Namensform ist. Weinreb sieht eine Verfälschung in der deutschen Übersetzung „Herr“ für JHWH und weist darauf hin, dass damit völlig falsche, männlich-herrscherliche Assoziationen geweckt werden, die dem Hebräischen gar nicht entsprechen.[6]
In demselben Dialog Gottes mit Mose nennt Gott sich in V18 auch „elohei iwriim“. In dem Wortstamm „(e)-w-r“ steckt sehr viel. Es ist ein Stamm, bei dem es um Grenzüberschreitung, um Jenseitiges, Eingewandertes, aber auch die Sünde geht. „Awar“ heißt „vorübergehen“, „hinübergehen“, aber auch „verstoßen“, „sich vergehen“. „Iwri“ ist der Hebräer, „awerah“ bedeutet „Sünde“, „awar“ als Nomen auch „Vergangenheit“. Ein „awarjan“ ist ein „Verbrecher“. Der „elohei iwriim“ ist demzufolge vieles: der Gott der „Hebräer“, der Gott der „Sünder“, der Gott der „Jenseitigen“, der „Eingewanderten“ und des „Vergangenen“, ein Gott auch der „Verbrecher“ und „Verstoßenen“. Der Bezug auf die „habiru“, die „Fronarbeiter“ und „Aussätzigen“ unter ägyptischer Herrschaft, passt in dieses Szenario.

Insgesamt stürzt auf Mose eine enorme Offenbarungsaussage seitens Gottes ein, die sein Wesen als „Seiender“ (die LXX fasste den Namen „ehieh“ als „ho on“, das Seiende, auf) entschleiert, dessen nun ausgesprochener Name eine Beistandstandsformel bedeutet, die ergänzt wird durch eine Verbindung mit konkreten Namen und einem merkwürdigen, kleinen, kläglich, verabscheut und geschwächt gezeichneten Volk.
Mit der Offenbarung des Namens JHWH tauchen erste menschliche Namen auf, die diesen Namen enthalten, zentral am Ende der Wüstenwanderung „Jehoschua“ (Josua), der die Israeliten nach dem Tod Moses ins Gelobte Land hineinführt. Es ist sicher kein Zufall, dass es auch wieder dieser Name es ist, den Maria ihrem Sohn geben soll. „Jesus“ ist die griechische Form von „Jehoschua“. Der Name bedeutet „JHWH rettet“.


h. Adonai

Eigentümlich ist in diesem Zusammenhang auch die grammatische Form, die dem Ersatzwort für JHWH, das die Juden aus Scheu vor dem Heiligen nicht aussprechen wollen, eignet: Wo JHWH steht, liest man „Adonai“. Das bedeutet gemäß den gängigen Übersetzungen „(mein) Herr“.
Nun sagt man aber „mein Herr“ auf Hebräisch normalerweise mit dem Wort „adon“ + Possessiv-Suffix „i“ für „mein“ und spricht: „adoni“. Es gibt auch die weibliche Form von „adon“ und sie lautet „adona“ (Herrin). Im modernen Hebräisch entspricht ein „adon“ vor einen Familiennamen dem deutschen „Herr“: „adon Meier“ bedeutet „Herr Meier“. Auch heute noch schwingt darin weder Herrschaft noch Besitzanspruch, sondern Respekt und Ehrerbietung vor dem anderen darin. Wie schon erwähnt, ist ein „adon“ kein „baal“.
Christliche Autoren sehen bisweilen vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr: Manche meinen etwa, „adon“ müsse mit Possessivsuffix 1. Pers. sg. immer „adonai“ ausgesprochen werden. Die Masoreten hätten mit der angeblich „falschen“ Form „adoni“ für „mein Herr“ einfach eine Abgrenzung zwischen menschlichen Herren und dem einen Gott ziehen wollen.
Nur muss man sich damit konfrontieren, dass das zwei verschiedene grammatische Formen sind! Ohne Vokalisation werden „adoni“ und „adonai“ gleich geschrieben. An dem Argument ist richtig, dass die Masoreten einen Unterschied machen wollten. An dem Argument falsch ist die grammatische Begründung, weil sie ausblendet, was „adonai“ in Wirklichkeit heißt.
Man bildet zahlreiche Wörter durch einfaches Anhängen von „i“ für „mein“ an den absoluten Status im Nominativ , zB „chaver“ (Freund) zu „chaveri“ (mein Freund), oder „davar“ (Wort) zu „dvari“ (mein Wort“); „El“ zu „Eli“ (Mein Gott).[7] Ich kann an der Form „adoni“ absolut nichts Falsches sehen. Sie ist bis heute auch im modernen Iwrith vollkommen geläufig.
Richtig ist vielmehr: Grammatisch ist „adonai“ eine Pluralform. So wie das Pluralwort „elohim“ mit einem Possessivsuffix für „mein Gott/meine Götter“ korrekt „elohai“ heißen muss, wäre „adonai“ abgeleitet von „adonim“ + Possessivsuffix 1. Pers. sg. Es bedeutete grammatisch demnach „meine Herren“.
Ein berühmtes Beispiel ist Gen 18,3 und 19,2: In der ersten Stelle erhält Abraham Besuch von drei Männern im Hain von Mamre. Er spricht sie in der Vulgata und in allen deutschen Übersetzungen als „mein Herr“ an. Im masoretischen Schrifttext steht „adonai“. In der LXX im Singular „Kyrie“. Das müsste man hebräisch korrekt als „meine Herren“ verstehen, weil es drei Männer sind. Aber die LXX tat das schon nicht. Warum nicht? Die Sache hat eine grammatische Problematik: Abraham spricht diese(n) „adonai“ anschließend im Vers 3 in der 2. Pers.sg. an, und das macht die Sache scheinbar eindeutig: er hat Besuch von dem einen Gott, der aber wundersamerweise zu dritt auftaucht. Man sagt allgemein, „adonai“ werde, wenn es Gott meint, beim letzten Vokalzeichen mit einem Qames-A (Langvokal), wenn es „meine Herren“ meint mit einem Patach-A (Kurzvokal) gekennzeichnet. Die Masoreten haben hier ebenfalls das Qames-A notiert, meinten also, es sei von Gott die Rede. Bereits in Vers 4 wird der Singular jedoch wieder aufgegeben und die drei Männer werden nun, grammatisch korrekt, nicht als einer, sondern als drei in der 2. Pers.pl angesprochen. In Gen 19,2, als Lot von zwei Engeln Besuch erhält, spricht er sie auch mit „adonai“ an, aber diesmal mit dem Patach-A geschrieben.
Die Zuordnung changiert sprachlich also, und wir müssen zugeben, dass wir das nicht eindeutig interpretieren können.
Es ist, als solle uns verwehrt werden, Gott irgendwie „zählbar“ zu machen.

Die angeblich streng unitarischen Juden fanden es gar nicht anstößig, dass Gott hier in drei Gestalten auftritt. Weder die Gelehrten, die die LXX vor Christus übersetzten, nahmen daran Anstoß noch die Masoreten lange nach Christus. Was sagt uns das über die wirkliche jüdische Auffassung?

Ich erwähne dieses Wort deshalb ausdrücklich, weil Unitarier und Trinitarier Ps 110,1 gerne als Referenzstelle für ihre jeweilige Auffassung anführen.[8] Dort heißt es „N’um JHWH (sprich: adonai) ladoni schev limini…“ („Feierliche Rede des JHWH an meinen Herrn: setz dich zu meiner Rechten…“). David, so meinen Trinitarier wie Unitarier, hat hier den Messias angesprochen, weil diese Stelle im NT mehrfach und eindeutig auf Jesus hin gedeutet wird (Mt 22,44; Apg 2,34; Hebr 1,13).
Weil die Masoreten hier „adoni“ vokalisiert haben, sei doch klar, dass das nicht der „adonai“ sein könne, argumentieren Unitarier.
Trinitarier verweisen darauf, dass die Vokalisierung des hebräischen Textes erst im frühen Mittelalter erfolgte und uU nicht wiedergibt, wie der Text ursprünglich gemeint war. Die Konsonanten von „(a)-d-n-j“ können beide Varianten bedeuten. Eine Prüfung ist anhand der vorchristlichen Septuaginta möglich: dort sind beide Wörter unterschiedslos mit „Kyrios“ übersetzt („Der Herr sprach zu meinem Herrn…“).
Trinitarier leiten daraus ab, dass ursprünglich dasselbe Wort gemeint gewesen sein kann bzw aus der Perspektive Davids der Messias ja noch nicht da war, also nur fiktiv von ihm gesprochen werden konnte, ohne besondere Intention einer inneren Differenzierung zwischen dem Herrgott und dem zweiten Herrn, der wiederum der direkte Herr des Psalmisten ist. Die Differenzierung, die Unitarier gerne ableiten würden, lasse sich so nicht ableiten.

Für die Argumentation der Trinitarier spricht, dass die Masoreten mit einer hohen Wahrscheinlichkeit sehr wohl wussten, dass die Christen genau diese Stelle aus Ps 110,1 auf Jesus Christus hingedeutet haben — immerhin geschieht das an mehreren Stellen in verschiedenen Büchern des NT — und durch eine differenzierte Vokalisation dessen vorausgesetzten „wesensgleichen“, göttlichen Status abweisen wollten. Da die Trinitätslehre zur Zeit, als die Vokalisation eingefügt wurde, dogmatisch bereits weit entwickelt war, ist das sehr wohl denkbar. Die LXX ist dagegen ganz unverdächtig, weil zur Zeit ihrer Entstehung keine relevante Auseinandersetzung in der Sache vorlag. Sie entstand vor der Erscheinung Jesu Christi. Die Argumentation der Unitarier steht hier auf sehr dünnem Eis. Die protestantische Überzeugung, der masoretische Text sei „wahrer“ als die Vorlage, die der LXX zugrunde liegt, ist sachlich wenig stichhaltig, weil die Vokalisation und Auswahl der Texte erst nachchristlich erfolgte, nicht unbedingt älteren Lesarten entsprechen muss, sondern bereits manipulative Tendenzen haben könnte, und hat sich inzwischen an vielen Stellen auch als falsch erwiesen, seitdem man in Qumran ältere hebräische Textrollen gefunden hat. Hier sind Sorgfalt und Vorsicht geboten und eine strenge Abstinenz, in der Schrift um jeden Preis eigene dogmatische Meinungen abgebildet sehen zu wollen.

Das Ersatzwort „Adonai“ für JHWH ist tatsächlich eine Art „Titel“, aber eben deswegen, weil es funktional nicht Gottesname, sondern Ersatzwort für den heiligen Gottesnamen ist. Der Name Jesu ist nicht nach dem Ersatzwort und Titel, — er spricht kaum von seinem „Kyrios“ —, sondern sein Name ist nach dem echten Namen Gottes geformt und weist ihn daher auch als einen, der von Gott kommt, in dem Gott wirkt und der Ausdruck göttlicher Hilfe ist, aus.


i. Das „Schma“

Unitarier berufen sich gerne auf das israelitische Glaubensbekenntnis, das „Schma“ in Dtn 6,4-9. Dort heiße es doch „Schma Jisrael JHWH eloheinu JHWH echad“. Und „echad“ bedeute doch „eins“ oder „einer“. Trinitarier behaupten demgegenüber gelegentlich, „echad“ könne auch „einig“ bedeuten und bleibe daher offen für eine Trinität.
Beide Argumente kommen mir gewollt und gezwungen vor.
Die Formulierung des Bekenntnisses ist in der Tat eigentümlich: „Höre Israel, JHWH unser Elohim JHWH einzig“. Es ist für mich keineswegs eindeutig, wo hier Hilfsverben einzusetzen wären. Auch wird hier wohl kaum abgehoben darauf, dass es religionsphilosophisch als endgültig bekannt wird, dass es nur einen Gott gibt. Es ist dieses „Schma“ ein Ruf, ein Appell, dass der Name unseres Gottes JHWH ist und als solcher einzigartig ist nach allem, was Israel mit ihm erfahren hat. Der JHWH hat sich herausgehoben aus den Göttern als der einzigartige, Gewaltige, Numinose und Liebende mit vielen mütterlich-bergenden Eigenschaften, der sich an dieses Israel gebunden hat. Das Nomen „schem“ für „Name“ und das Verb „sch-m-(a)“ für „hören“ können zusammengehören und auf einen Stamm zurückgehen. Das „Schma“ bekennt daher vor allem anderen den Bund mit diesem einen Gott JHWH und will daran immer „eingedenk sein“.
Auch wenn hier die Bindung an JHWH bekannt wird, wenn er als „einer“ oder als „einziger“ benannt wird, wird damit keine Binnenaussage gemacht: wie er in sich selbst aussieht, ob er in einem mathematischen Sinn zählbar ist, bleibt im Dunkeln, ob es andere Götter gibt, wird nicht thematisiert. Relevant ist hier alleine die Bindung an diesen einzigartigen Gott und seinen Namen JHWH, auf den keine weitere Offenbarung eines Namens erfolgte, dem aber einige weitere Namensoffenbarungen vorausgegangen waren, wie ich gezeigt habe, die schon erahnen lassen, dass es ein vielschichtiger Gott inmitten einer Götterwelt ist, von der er sich langsam abhob, und aus der er heraustrat und auf die Menschen zuging und sich mit ihnen in einzigartiger Weise verband wie sonst kein anderer Gott, von dem wir wüssten.

Auf diesen einen Satz kann sich weder der Unitarier noch der Trinitarier berufen.

Das Verbot im Dekalog (Ex 20,2ff; Dtn 5,6ff), neben diesem einen JHWH-Gott weitere Götter anzubeten, wäre sinnlos, wenn es diese weiteren Götter nicht  — wie immer man sie ontologisch verorten soll — gäbe. Die Verehrung dieses JHWH soll bildlos geschehen. Der Name dieses Gottes darf unter keinen Umständen missbraucht werden.
Es wird nicht diskutiert, ob es philosophisch gesehen nur einen einzigen Gott gibt, sondern ob es für uns nur einen einzigen Gott geben kann, nämlich diesen einen JHWH, der einzige Gott der wirklich „s-ch-r“ (unser eingedenk) und „n-k-w“ (uns umhüllend) ist. Nur er ist so und nur er kann uns das Gegenüber sein, das wir als Menschen abbilden. Nur er bietet die gewaltige Gestalt, in der wir geschaffen sind, und sie kann und darf nicht abgebildet werden.









[1] Zur Übersetzungs- und Interpretationstradition und ihrer Problematik hier einige wertvolle Hinweise: https://auslegungssache.at/4256/damals-begann-man-den-namen-des-herrn-anzurufen/
[2] Aufschluss ist dazu dieser Artikel von Ingo Kottsieper: El, 2013, im WiBiLex auf der Website der Deutschen Bibelgesellschaft, online hier abrufbar: https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/el/ch/8edcb0f2b0d585af563cb63d063c58eb/
[5] Schriftstellen, die Gott mütterlich oder weiblich zeichnen, sind — anders als konservative Autoren es behaupten — zahlreich, einige (23) Beispiele hier: Jes 66,13; Jes 49,15f.; Hos 11,1-4; Dtn 32,18; Num 11,12; Jes 42,14, Job 38,8; Hos 11,4; Gen 3,21, Jes 46,3-4; Ps 22,10-11; Jes 66,8-9; Hos 13,8; Ps 123,2; Job 10,10; Ex 19,4; Dtn 32,11-12; Ps 17,8-9; Ps 57,2; Spr 1,20-33; 2,5.10; 3,2.16; 8,22-31; 9,1-6

[6] Friedrich Weinreb: GottMutter. Die weibliche Seite Gottes. Weiler im Allgäu 1990: Thauros Verlag, S. 21f
[7] Hier unter Anmerkung b.: https://offene-bibel.de/wiki/Adonai#note_b An der Begründung dort stimmt einiges nicht, denn die Possessivsuffixe beim Nomen im Sg. müssen nicht immer an die Pluralform gehängt werden, wie behauptet wird. Das ist falsch! Sie werden in der Regel an die Status Constructus-Form gehängt. Das kann man in jeder Hebräischgrammatik nachlesen. Nun hat aber nicht jedes Nomen einen St.cs., der vom Nom.sg. abweicht! Oft fällt der St.cs. in eins mit dem St.abs.
[8] Vgl. Gerber, a.a.O., S. 15