Donnerstag, 19. März 2015

Der katholische Zombie III: Franziskus und der Ruf nach einem Schisma



Der katholische Zombie III: Franziskus und der Ruf nach einem Schisma

Wer katholische Blogs liest und die Debatten unter den sogenannten „Tradis“ und „Konservativen“ verfolgt, kann feststellen, dass man dort offenbar mit einer Mischung aus Spannung und Abscheu das „Schisma“ herbeisehnt oder aber befürchtet.Die Familiensynode, die im Herbst 2014 in Rom mit einem „Teil I“ begann und innerhalb eines inhaltlichen Gesamtpaketes die Zulassung der sogenannten „wiederverheirateten Geschiedenen“ zur Hl. Kommunion und darüber hinaus die Anerkennung homosexueller Lebensgemeinschaften zum Thema hat, konnte – im Gegensatz zu den wirksamen und zentralen theologischen „Vorarbeiten“ zum gegenwärtigen Desaster – auch noch den letzten Papstschwärmer in Wallungen bringen.



Und nun, nachdem die heilige Kuh der braven Katholiken endlich auch in Rom beim „Heiligen Vater“ angekratzt wurde, das 6. Gebot und all seine Variationen, will man aufstehen „wie ein Mann“ und „Widerstand bis zum äußersten“ spielen, wie Kardinal Burke dies unter dem Beifall vieler Tradis ankündigte.
Was „Widerstand“ oder „Ins-Angesicht-widerstehen“ heißt, kennen wir schon von der Priesterbruderschaft St. Pius X.Es heißt: Aufstand gegen den Papst bei voller Anerkennung seiner Rechtmäßigkeit.

Nun weiß aber jeder beschlagene Katholik, dass niemand das Recht hat, einem rechtgläubigen Papst zu widerstehen, weil er sich sonst einer schismatischen Häresie teilhaftig macht. Davon differenziert werden muss, dass natürlich jeder im Ringen um die Wahrheit einem Papst auch Bedenken gegenüber dessen Verhalten oder Position mitteilen darf. Aber ein ungehorsames, negierendes„Ins-Angesicht-Widerstehen“ kann doch keine dauerhafte, Jahrzehnte währende Haltung gegen den Papst werden!
Dieses differenzierte Wissen wird derzeit gründlich aus den Köpfen der Menschen geätzt. Was zuvor vausschließlich als Zeichen der Progressiven erschien (nota bene: erschien! aber nicht war, wie wir sehen werden), nämlich Ungehorsam gegenüber dem Papst, wird nun von den konservativsten Denkern begründet und gefordert.
Der brillante Historiker Roberto de Mattei schreibt seit einigen Monaten einen Text nach dem anderen, in dem er bei immer neuen Anekdoten und Geschichten aus dem fernen Mittelalter und der Neuzeit nachweisen will, wie einzelne Heilige dem Papst „widerstanden“ haben und letztere „Häresien“ verfallen seien. Inzwischen halten für diese Spiele nicht mehr nur die überstrapazierten Päpste Liberius und Honorius her, denen man keineswegs eine Häresie nachweisen kann. Inzwischen sind viel unscheinbarere Fälle ins Visier der Konservativen geraten. Überschriften wie „Der Widerstand des Heiligen Bruno von Segni gegen Papst Paschalis II.“[1] oder „Ein Papst verfällt der Häresie“[2], „Recht und Pflicht zum Widerstand gegen Hirten, die ihre Pflicht nicht erfüllen“[3] oder „Paul IV. und die Häretiker seiner Zeit“[4] legen nahe, es sei schon immer gewissermaßen kirchlicher Normalfall gewesen, dass das Petrusamt missbraucht wird, um Lehrirrtümer zu etablieren, es aber Gott sei Dank stets wackere Laien oder Ordensleute gegeben habe, die aufgestanden wären,  um dem Lehramt heimzuleuchten.
Sieht man genauer hin, stellt man jedoch fest, dass von all dem keine Rede sein kann. Vielmehr waren gelegentlich auch Päpste bei einer noch offenen dogmatischen Frage anderer Meinung als der Papst, der später ein entsprechendes Dogma formulierte. Das ist allerdings keine Häresie: solange etwas nicht in der Schrift steht oder/und definitiv festgelegt wurde, ist es erlaubt, eine theologische Meinung zu bezweifeln. Insbesondere der Artikel de Matteis, in dem die Meinung eines Heiligen gegen die eines Papstes ausgespielt wird, begeht eine Gratwanderung. So behauptet de Mattei, Papst Johannes XXII. sei einer Häresie verfallen, weil er die seligmachende Schau der Gerechten erst am jüngsten Tag annehmen wollte, obwohl man zu seiner Zeit diesen „Irrtum“ bereits überwunden habe.[5] Unter anderem habe der heilige Thomas von Aquin diesen „Irrtum“ widerlegt.
De Mattei legt den Verlauf des theologischen Streites dar, in dem der französische König dem Papst mit dem Scheiterhaufen gedroht haben soll (was an sich schon eine häretische Grenzüberschreitung war!), weil insbesondere die Theologen der Sorbonne dem Papst widersprachen und ihn als „Häretiker“ bezeichneten, beschreibt, wie Johannes XXII. seiner privaten Meinung auf dem Totenbett abgeschworen habe und wie sein Nachfolger, Benedikt XII. die seligen Schau der Gerechten nach dem Fegefeuer und vor dem Jüngsten Gericht dogmatisiert habe. Er fährt dann fort mit der Bemerkung:

Nach diesen doktrinellen Entscheidungen ist die von Johannes XXII. behauptete These eindeutig und formell als häretisch zu betrachten, auch wenn sie zum Zeitpunkt, als der Papst sie vertrat, noch nicht als Glaubensdogma definiert war. Der heilige Robert Bellarmin, der sich umfassend mit diesem Fall in De Romano Pontifice (Opera Omnia, Venedig 1599, Lib. IV, cap. 14, coll. 841-844) befaßte, schreibt, daß Johannes XXII. eine häretische These mit der Absicht vertrat, sie als Wahrheit den Gläubigen aufzuzwingen, aber starb, bevor er sie als Dogma definieren konnte und ohne durch sein Verhalten den Grundsatz der päpstlichen Unfehlbarkeit anzugreifen. Die heterodoxe Lehre Johannes XXII. war sicher ein Akt des ordentlichen Lehramtes, der den Glauben der Kirche betraf, aber er war nicht unfehlbar, weil ihm alle dafür notwendigen Merkmale fehlten.“

Dieser Schluss entbehrt nicht der Absurdität: wenn der Satz noch nicht dogmatisiert war, kann es auch keine Häresie gewesen sein, ihn privat zu vertreten. Wenn Johannes XXII. den Satz nicht dogmatisiert hat, kann man auch nicht behaupten, weil er es aber möglicherweise vorgehabt habe, habe er es auch schon „getan“. De Mattei, so gewinne ich den Eindruck, will auf Biegen und Brechen „häretische“ Päpste nachweisen, um keine unangenehme Entscheidung treffen zu müssen darüber, ob das Gebilde, das er für die Kirche hält, überhaupt noch die Kirche ist.
Mit demselben Argument wären nämlich auch die hl. Caterina von Siena und der heilige Thomas von Aquin Häretiker – auch wenn sie keine so aggressiven Gegner hatten wie der Papst Johannes XXII.
Wir wissen nämlich, dass einige Heilige Meinungen hatten, die nicht vom Lehramt bestätigt oder vertieft, sondern irgendwann sogar definitiv abgelehnt wurden. In manchen Fällen haben Heilige offenbar sogar falsche Visionen gehabt. Berühmt ist der Fall der hl. Caterina von Siena, der die Gottesmutter offenbart haben soll, dass sie nicht unbefleckt empfangen worden sei. Das entsprechende Dogma wurde erst 1854 ausgesprochen. Aber auch der heilige Thomas von Aquin lehnte diese Überzeugung damals ab. Er glaubte, Maria sei im Mutterleib gereinigt worden, aber nicht unbefleckt gezeugt und empfangen.[6]
Caterina und der Doctor angelicus mussten also trotz ihrer Heiligkeit eindeutig zurückstehen. Aber niemand käme auf die irrige Idee, sie deswegen rückwirkend als „Häretiker“ zu bezeichnen.
Roberto de Mattei führt ein weiteres Beispiel an, an dem wir allmählich der Problematik des gesamten Traditionalismus auf die Spur kommen: Leo XIII. und seine Railliement-Politik seien als „Pastoral“ von der eigenen „Doktrin“ abgerückt.[7]Sein Fazit ist, Leo XIII. habe einen „schweren Fehler“ eingeleitet, der die gesamte Kirche in die Problematik gerissen habe, die wir nun heute, nach dem Vaticanum II, vorfänden. Der Laienheld de Matteis ist in diesem Falle Jean Madiran, der rückwirkend angeblich besser gewusst habe als der Papst, wie man zum Royalismus zu stehen habe. Hier wird ganz deutlich, dass der neuere Traditionalismus, der sich die „Glaubenstreue“ auf die Fahnen geschrieben hat, sogar in ganz gravierenden Dingen vom katholischen Glauben, der den Primat des Papstes bekennt, abgerückt ist, bis tief hinein in einzelne Lehren der Päpste, denen sie nicht bereit waren und sind, im Gehorsam zu folgen. Und dies lange vor dem Vaticanum II. De Mattei behauptet, Leo XIII. antimonarchistische Politik sei demnach auch gescheitert, und erst Pius X. habe sich durchsetzen können mit einer Restauration der wahren katholischen Politik, die sich der Welt nicht öffnen wollte, so, als sei eine Monarchie nicht die „Welt“ gewesen…:

„Der Geist des ralliement, des Anschlusses an die moderne Welt, blieb für mehr als ein Jahrhundert, und bleibt auch weiterhin, die große Versuchung, der die Kirche ausgesetzt ist. Unter diesem Aspekt beging ein Papst von so großer Doktrin wie Leo XIII. in der pastoralen Strategie einen schweren Fehler. Im Gegensatz dazu steht die prophetische Kraft des heiligen Pius X. in direkter Übereinstimmung mit seinem Pontifikat zwischen der Wahrheit des Evangeliums und dem gelebten Leben der Kirche in der Welt, zwischen der Theorie und der Praxis, zwischen der Doktrin und der Pastoral, ohne jedes Nachgeben gegenüber den weltlichen Schmeicheleien."

Zu diesem Statement muss ich anmerken, dass die artifizielle Unterscheidung des Wirkens Leos XIII. in eine „pastorale Strategie“ und „große Doktrin“ seltsam wirkt, hat doch Leo seine Kritik am Machthunger der abendländischen Kaiser noch am Ende seines Pontifikats mit Abscheu lehramtlich und keineswegs nur „pastoral“ ausgesprochen:


„So hatte sich der traurige Hass gegen die Braut Christi von einem Jahrhundert auf das andere vererbt, als das Kaisertum in die Geschichte eintrat. Argwöhnisch und gewalttätig, eifersüchtig auf fremde Größe, mochte auch die eigene noch so viel durch sie gewinnen, richtete es einen Angriff nach dem andern gegen die Kirche, suchte es ihre Freiheit zu knebeln, ihre Rechte sich selber anzumaßen.“
[8]

Weiter muss man sich angesichts des abendländischen Papsttums über die Jahrhunderte hin fragen, wie viel Realitätssinn de Mattei eigentlich noch gewahrt hat: die Verschränkung mit der Welt ist seit Konstantin durchgehendes Problem der Kirche gewesen und durchaus nicht von Leo XIII. erfunden worden.
Es ist darüber hinaus nicht rechtens, Leos Handeln, wie de Mattei fortfährt, gegen dasjenige Pius X. auszuspielen und letzterem einen Erfolg zuzusprechen, der angeblich dessen Güte beweise, ganz im Gegensatz zur „pastoralen Strategie“ Leos XIII. Diese Auffassung lässt sich auch objektiv nicht nachvollziehen, denn Pius X. scheiterte letztendlich in Frankreich, was den Status der Kirche betrifft, noch viel mehr als Leo XIII. Man könnte kritisch sagen, dass Pius X. mit großem Eifer und unerbittlicher Strenge auftrat, aber gerade damit auch seinen Misserfolg eingeleitet hat. In Deutschland knickte derselbe heilige Papst ein, als es darum ging, den deutschen Hochschultheologen ebenso wie allen anderen Klerikern den ansonsten so verbittert und rigoros jedem Kleriker aufgezwungenen „Antimodernisteneid“ abzufordern:

„Nach heftigen Auseinandersetzungen konnten die deutschen Bischöfe, in diesem Anliegen vom Nuntius Frühwirth unterstützt, durchsetzen, dass der Papst die Theologieprofessoren an staatlichen Universitäten von der Eidesleistung dispensierte.“
[9]


Die deutschen Hochschulen waren es am Ende, von denen wesentliche Einflüsse auf das Vaticanum II zu bemerken waren… Pius X. war hier also keineswegs erfolgreicher als sein Vorgänger und ging auf seine Weise offenkundig ebenso Kompromisse ein, wo es ihm opportun erschien. Alleine die Tatsache, dass Benedikt XV. die rigorose Politik Pius X. nicht in dieser Art weiterführte und viele Geistliche zwar eiskalt den „Antimodernisteneid“ schworen, aber in den Herzen damit eine um so schlimmere Abkehr von dem von Pius X. vorgesehenen Weg ausgelöst wurde, der sich wie in einer Explosion im Vaticanum II Bahn brach, würde ich nicht als „Erfolg“ ansehen wollen, der nur an einer freimaurerischen Verschwörung, die über den Staatssekretär Rampolla eingeflossen sei, scheiterte, wie man es in Traditionalistenkreisen gewöhnlich vorgesetzt bekommt – freilich stets ohne objektive Beweise für diese Behauptungen. Es bleibt bislang bei Vermutungen und Spekulationen.
Man kommt eher auf den nüchternen Gedanken, dass sich in diesem Misslingen eine große Tragik abgespielt hat, in deren Tiefen aus Gründen, die nur der Herr selbst weiß, der Blick verwehrt ist.
Hinzu kommt, dass Pius X. andererseits ganz und gar kein Royalist war. Er bekannte sich wie seine Vorgänger auch gemäß der thomistischen Vorgabe zu der Rechtmäßigkeit verschiedener Staatsformen, zu denen er - trotz Kritik an einer bestimmten Art von „Demokratie“ (womit er anscheinend total laizistische oder sozialistische Regierungsformen meinte) - auch die Demokratie zählte:


„Wir brauchen nicht zu beweisen, dass die Heraufkunft der allgemeinen Demokratie keine Bedeutung für das Wirken der Kirche in dieser Welt hat; Wir haben bereits daran erinnert, dass die Kirche es immer den Nationen selbst überlassen hat, sich die Regierungsform zu geben, welche sie für ihre Interessen als die günstigste halten. Wir wollen nur noch einmal, wie Unser Vorgänger, bekräftigen, dass es ein Irrtum und eine Gefahr ist, den Katholizismus grundsätzlich völlig einer Regierungsform zu verschreiben: ein Irrtum und eine Gefahr, die umso größer sind, wenn man die Religion mit einer Art von Demokratie verbindet, deren Lehren falsch sind.“
[10]

Es ist also ersichtlich, dass Pius X. mit diesen Sätzen den Katholizismus – nota bene – gerade nicht „völlig einer Regierungsform verschreiben“ will, was nicht nur Distanz zur Demokratie, sondern zu jeglicher Regierungsform einnimmt, auch der Monarchie. Demselben Kurs folgte auch Pius XI. ausdrücklich.[11] Ebenso hat Pius IX. nirgends verkündet, nur die Monarchie sei eine göttliche Staatsform. Die Lehre des Thomas von Aquin, die selbst allerdings darin ja nicht dogmatisiert ist, sondern eine theologische Meinung darstellt, erkennt in einem gerechten König die idealste Herrschaftsform, in einer ungerechten Monarchie aber auch die bösartigste Regierungsform. Weitere Formen lehnt er nicht ab, auch wenn er sie für etwas weniger ideal hält.
Woher de Mattei so zu seiner Stellungnahme kommt, muss man sich fragen, denn er stellt sich damit zwar auf die Seite politisch reaktionärer Traditionalisten, die mit einer unglaublichen Energie ihre politischen Lehren für echt katholisch ausgeben, damit aber gegen den Kurs aller Päpste seit Pius IX. bis mindestens Pius XII. zwar nicht dem Papst „ins Angesicht“, aber faktisch und hintertupfig widerstanden: es ist eben, wie Pius X. es sagte, gerade nicht Sache des Katholiken, sich an einer Staatsform abzuarbeiten!
Wenn Pius X. die Demokratie durchaus anerkannte als legitime Staatsform, muss man sich fragen, wieso ein reaktionärer Prälat wie Robert Mäder, der heute noch von Piusleuten als „Glaubenszeuge“ verehrt wird, schäumend die Demokratie pauschal verteufelte – und dies längst nach Leo XIII. oder Pius X..
Ist es dem großen Pius X. entgangen, dass nicht nur das, was er „Modernismus“ nannte, eine wahre Schlangengrube an theologischen Fallstricken barg? Auch das, was sich glaubenstreu gab, barg heimtückisch letztendlich dieselben Fallstricke. Der Ungehorsam und die Besserwisserei kamen auch und gerade aus dem reaktionären Lager.
Es ist eine Tatsache, dass der Kirche ausgerechnet in den Erben der reaktionären Strömungen eine fratzenhafte Zementierung dessen entgegenschlägt, was einst als Modernismus bezeichnet wurde. Eines der modernistisch-reaktionären Erbstücke ist dieser Wahn, man müsse, dürfe, könne dem rechtgläubigen Papst „Widerstand leisten“. Und dieser Widerstand enthält wiederum ungezählte Irrlehren und irrelevante Meinungen, die zur „Tradition“ erhoben werden, so dass die Verwirrung vollkommen geworden ist.

Neben de Mattei und der FSSPX-Position gibt es einige Spielarten von konzilskirchlichem Traditionalismus, der vor allem die alte Messe wieder haben will, aber das Vaticanum II und die nachkonziliaren Päpste anerkennt und in ihren Absichten verkennt. Das wurde am deutlichsten an der Begeisterung nach dem berühmten Motu proprio „Summorum pontificum“ von Benedikt XVI., dessen zentrale Botschaft von ihnen allen ignoriert wurde: Benedikt XVI. wollte nicht die alte Liturgie wieder etablieren, sondern freigeben, um sie mit dem Neuen Ordo zu konfrontieren und zu amalgamieren hin zu einer Reform der Reform Pauls VI.

Neben diesen Alte-Messe-Liebhabern gibt es eine große Bandbreite an kirchlichem Konservativismus, der vor allem die tradierte Lehre zur Familie ins Zentrum der Wahrnehmung rückt und von dieser Frage aus die Vorgänge in und außerhalb der Kirche beurteilte. Diese Position folgt(e) Paul VI. mit Begeisterung und Vertrauen in die neue Liturgie, weil er doch auch „Humanae vitae“ geschrieben habe, wo die künstliche Verhütung abgelehnt wird. Ein ähnliches Vertrauen brachten viele Johannes Paul II. entgegen, ohne allerdings zu bemerken, dass seine „Theologie des Leibes“, die den Menschen zentral als „Körper unter Körpern“ versteht, unmerklich die tradierte Lehre von der Natur und Übernatur, freilich in wohlmeinender Absicht, damit die „sexuelle Revolution umzukehren“, verschoben hat.[12]
Diese konservativen kirchlichen Katholiken haben sich jahrzehntelang damit getröstet, dass die Päpste ja das Rechte wollten und nur Bischöfe, Priester oder Laien renitent seien. Unterstützt wurde diese Meinung durch inflationäre Botschaften und Erscheinungen, wie sie Don Gobbi, Medjugorje u.a. massiv unters Kirchenvolk brachten. Man hielt zum Papst, der einen Märtyrerstatus erhielt, obwohl er alles, nur dies nicht war, und verschanzte sich selbstmitleidig in ein „Wir-und-der-Heilige-Vater-gegen-die-Laien-und-Progressiven“ hinein.

Die vielfältigen Verzweigungen der Sedisvakantisten können hier nicht vertieft werden. In einer gewissen Hinsicht sind sie aber aus systematischen Gründen die einzigen, die hinsichtlich des unbedingten päpstlichen Primates konsequent sind. Und deswegen werden sie von allen anderen Traditionalisten jeglicher Färbung tabuisiert und skandalisiert.
Diese Gemengelage wurde erschüttert durch die Vorgänge seit 2013: Mit dem merkwürdigen Rücktritt Benedikts XVI., dem vatikanischen Homosexuellen-Skandal kurz vor seiner Abdankung und den total verwirrenden Aussagen seines Nachfolgers Franziskus zum Thema „6. Gebot“ ist nun große Panik ausgebrochen.
Die Familiensynode bestätigte die schlimmsten Befürchtungen: Franziskus will, indem er Kardinal Kasper und seine „Theologie auf Knien“ vorschiebt, das Ehesakrament und die Unauflöslichkeit der Ehe aufweichen, homosexuelle Lebensgemeinschaften anerkennen und installiert offene homosexuell lebende Bischöfe in seinem Gefolge.
Plötzlich finden sie irgendwie wieder zusammen, die Traditionalisten der FSSPX und die konzilskirchlichen Alte-Messe-Liebhaber und Neokonservativen und entdecken gemeinsam, dass man dem Papst „widerstehen“ muss „bis zum Äußersten“, wie Kardinal Burke heroisch angekündigt hat. Enthusiasten erwarten den Zusammenschluss aller „Traditionsverbundenen“ angesichts des Sexthemas. Bisherige Differenzen scheinen gleich zu sein.

Nun hat sich auch wieder der vagante Monsignore Williamson gemeldet, und man streut das Gerücht, er werde demnächst Bischöfe weihen. Gerade er ist sogar ein Spezialist in Sachen „Widerstand gegen den Papst“. In gebetsmühlenhafter Wiederholung kreist er in seinen „Eleison-Kommentaren“ um die Frage, was kirchliche Unfehlbarkeit im Gegensatz zur päpstlichen Unfehlbarkeit sei.

Im endlosen Looping um diese Frage ist er im Jahr 2014 endlich beim förmlichen Widerspruch zur Definition des Vaticanum I gelandet:

„Zweitens wissen wir vom maßgebenden Text über die Unfehlbarkeit, von der Definition des wahrlich katholischen ersten Vatikanischen Konzils (1870), daß die päpstliche Unfehlbarkeit von der Kirche kommt, und nicht umgekehrt.“
[13]


Was steht dagegen in der dogmatische Konstitution „Pastor aeternus“ des Vaticanum I von 1870?


„Wir lehren also und erklären: Nach den Berichten des Evangeliums wurde der Jurisdiktionsprimat (Regierungsvorrang) über die ganze Kirche Gottes von Christus dem Herrn unmittelbar und direkt dem heiligen Apostel Petrus verheißen und übertragen. (…)

Irrige Ansichten zu dieser ganz eindeutigen Lehre der Heiligen Schrift, die die katholische Kirche allezeit auch in diesem Sinn verstanden hat, stehen in offenem Gegensatze gewisse verwerfliche Ansichten, deren Vertreter die von Christus dem Herrn seiner Kirche gegebene Regierungsform umstürzen wollen, indem sie leugnen, dass Petrus allein vor den übrigen Aposteln - und zwar vor jedem einzelnen wie vor ihrer Gesamtheit - von Christus mit dem wahren und eigentlichen Jurisdiktionsprimat ausgerüstet wurde; oder indem sie behaupten, der Primat sei nicht unmittelbar und direkt dem heiligen Petrus selbst, sondern der Kirche übertragen und erst durch die Kirche an Petrus als ihren Diener weitergegeben worden werden verurteilt.“

Vaticanum I: Es ist Irrlehre zu behaupten, „der Primat sei nicht unmittelbar und direkt dem heiligen Petrus selbst, sondern der Kirche übertragen.“
Williamson: Das Vaticanum I habe gelehrt, dass „die päpstliche Unfehlbarkeit von der Kirche kommt, und nicht umgekehrt“.


Damit sollte Msgr. Williamson eigentlich als Häretiker entlarvt sein, dessen Meinung nach dem Vaticanum I ausdrücklich „verurteilt wird“. Er behauptet dies nämlich hartnäckig und seit Jahren im Looping-Modus immer konzentrierter und widerspricht damit nicht nur dem Dogma, sondern er behauptet auch noch, seine Umkehrung sei die eigentliche Lehre.

Die dogmatische Konstitution verlangt von allen Klerikern und Laien, dem Papst den schuldigen Gehorsam zu erweisen, nicht nur in Glaubens- und Sittenfragen:


„Wir lehren demnach und erklären, dass auf Anordnung des Herrn die römische Kirche über alle andern Kirchen den Vorrang der ordentlichen Gewalt besitzt und dass diese wahrhaft bischöfliche Regierungsgewalt des römischen Papstes [die Untertanen] unmittelbar erfasst. Ihr gegenüber sind daher die Gläubigen und die Hirten jeglichen Ritus und Ranges, und zwar sowohl einzeln wie in ihrer Gesamtheit, zu hierarchischer Unterordnung und zu wahrem Gehorsam verpflichtet. Und das nicht nur in Fragen des Glaubens und des sittlichen Lebens, sondern auch in allem, was zur Disziplin und zur Regierung der Kirche auf dem ganzen Erdenrund gehört.“
[14]

Diese Anordnung, die eindeutige, unfehlbare Lehre ist, erlaubt die Bocksprünge, die man durch Lefebvres Irrlehren in Piuskreisen ebenso wie bei Bischof Williamson, aber auch unter Progressiven und Modernisten antrifft, zuletzt in de Matteis unsäglichen Artikeln, absolut nicht! Es ist abwegig zu glauben, uns sei eine solche Regel vorgeschrieben worden, wenn sie uns zwänge, dem Papst in stets zu erwartende Fehlhaltungen und Irrtümer folgen zu sollen.Die Konstitution verheißt demgegenüber dem Gehorsamen nur die besten Früchte, die vor dem Schiffbruch im Glauben bewahren sollen.

„Wenn diese Einigkeit mit dem römischen Papst in den rechtlichen Gemeinschaftsbeziehungen wie im Bekenntnis des gleichen Glaubens treu bewahrt ist, so wird die Kirche Christi wirklich zu Einer Herde unter Einem obersten Hirten (15) Das ist die katholische wahre Lehre: Von ihr kann niemand abgehen, ohne an seinem Glauben und an seinem Heil Schiffbruch zu leiden.“
[15]

Das Vaticanum I ging noch viel weiter, als wir es wahrhaben wollen. Nicht nur die Ambitionen moderner, laizistischer Staaten, die eine Bevormundung der Kirche im jeweiligen Staat anstrebten, sondern auch die Ambitionen mittelalterlicher und neuzeitlicher Monarchen, geistliche Häupter zu sein, die als Schutzherren und Befehlshaber der (nationalen) Kirche auftreten dürften, in der irrigen Meinung, sie hätten dem Papst auch nur irgendetwas vorzuschreiben oder in seinen Machtbereich hineinzuregieren, werden ausdrücklich in dieser Konstitution verworfen:

„Aus dieser obersten Regierungsgewalt des römischen Papstes über die Gesamtkirche ergibt sich sodann sein Recht mit den Hirten und Herden der ganzen Kirche frei in Ausübung dieses seines Amtes zu verkehren, um sie auf dem Weg des Heiles belehren und führen zu können. Deshalb verurteilen und verwerfen Wir entschieden jene Ansichten, die es für erlaubt hinstellen, den Verkehr des Oberhirten mit den Hirten und Herden zu verhindern, oder die ihn der Aufsicht der weltlichen Gewalt unterwerfen wollen.“
[16]

Leo XIII. befand sich also auch vom Vaticanum I her gesehen völlig auf dem Boden der überlieferten Lehre – auch in der „pastoralen Strategie“. Nur weil die Katholiken mit ihrem unkatholischen Monarchismus den Zorn der Republikaner verschärft hatten, kann wohl schwerlich geschlossen werden, der Royalismus sei wahr. De Mattei entgeht, dass er hier selbst eine rein strategisch Argumentation in eine geistliche verkehrt. Es gibt nur einen Schluss: der Monarchismus ist nicht katholisch, sondern einfach eine politische Ideologie, die sich die Kirche zu Recht nicht zu eigen gemacht hat. Die Kirche ging mit der Monarchie als einer lange währenden empirischen Tatsache, zumindest im Abendland, genauso alltäglich um wie mit der Demokratie.


De Mattei will mit dieser Anekdote aus der Regierungszeit Leos XIII. vor allem beweisen, dass nicht erst das Vaticanum II heterodoxieverdächtige "pastorale Lehren" aufgestellt habe, sondern bereits Leo XIII. dies getan habe. Das ist mehr als gewagt.
Wird es also wegen des 6. Gebotes zu einem „Schisma“ kommen? Hülfe es etwas, wenn es zu einem „Schisma“ käme?
Haben wir nicht jetzt schon eine komplexe schismatische Struktur, die es nicht leicht zu erkennen gibt, wer von wem abgefallen ist? Nicht zu vergessen seien dabei die alten Schismen der Ostkirchen und die unübersichtliche Zersplitterung der protestantischen Häresien, die missionieren und einen großen Zulauf in der Welt haben und in deren Sammelbecken sich viele gutwillige, aber nicht besser belehrte und in gewissem Sinn schuldhaft von häretischen Helden der Vergangenheit "verbogene" Christen-Menschen finden.
Sind die Rombesetzer nicht selbst auch lehrmäßige Schismatiker? Ist die FSSPX nicht aufgrund ihrer Anhänglichkeit an den Papst bei totalem Ungehorsam ebenfalls alleine schon aus systematischen Gründen schismatisch? Und erst recht der stolze Williamson, der sogar in mehrfacher Hinsicht in Brüchen lebt?
Wie viele weitere Schismen verkraften wir in dieser Lage noch?
Wollen wir mit Kardinal Burke und Kardinal Müller, die das Vaticanum II anerkennen, mit Bischof  Fellay, dem Weihbischof Athanasius Schneider und dem Häretiker Williamson schismatische, altrituelle Reigen tanzen, geeinigt auf ein paar genderfeindliche, antifeministische und "antimodernistische" Schlagworte und prachtvolle Messgewänder? Wohin würde das führen? und vor allem: Ist es das, was der Herr will?
Die Lage ist nach menschlichem Ermessen nicht nur intellektuell, sondern auch praktisch vollkommen aussichtslos.
Wäre nicht Christus der Herr des Alls, wir müssten verzweifeln. Wäre der Himmel über uns nicht bevölkert von Heerscharen göttlicher Boten und unter der königlichen Mitherrschaft der Gottesmutter, wer würde um uns weinen und flehen?
Wir um uns selbst?
Wir sind alle so unrein geworden in diesem Kampf. Jeder steht unter der Gefahr, sich über die Maßen zu beflecken. Es ist der Finsternis kaum auszuweichen oder in angemessener Weise zu widerstehen in unseren lumpigen, papstlosen Gewändern.

Salve, Regina,
mater misericordiae;
vita, dulcedo et spes nostra, salve.

Ad te clamamus, exsules filii Evae.
Ad te suspiramus,
gementes et flentes in hac lacrimarum valle.
Eia ergo, advocata nostra,
illos tuos misericordes oculos
ad nos converte.
Et Jesum, benedictum fructum ventris tui,
nobis post hoc exsilium ostende.
O clemens, o pia, o dulcis Virgo Maria.

© by Hanna Maria Jüngling



[1] Am 4. März 2015: http://www.katholisches.info/2015/03/04/der-widerstand-des-heiligen-bruno-von-segni-gegen-papst-paschalis-ii/
[2] Am 29. Januar 2015:  http://www.katholisches.info/2015/01/29/ein-papst-verfaellt-der-haeresie/
[3] Am 5. November 2014: http://www.katholisches.info/2014/11/05/recht-und-pflicht-zum-widerstand-gegen-hirten-die-ihre-pflicht-nicht-erfuellen/
[4] Am 17. Februar 2015: http://www.katholisches.info/2015/02/17/paul-iv-und-die-haeretiker-seiner-zeit/
[5] http://www.katholisches.info/2015/01/29/ein-papst-verfaellt-der-haeresie/
[6] https://charismatismus.wordpress.com/?s=katharina+von+siena referiert dort das Standard-Werk von Auguste Poulain „Handbuch der Mystik“
[7] http://www.katholisches.info/2015/03/18/der-ralliement-von-leo-xiii-eine-pastoral-die-von-der-doktrin-abrueckte/
[9] Peter Neuner: Vor 100 Jahren: Einführung des Antimodernisteneides. Manuskript des Münsteraner Forums für Theologie und Kirche, 1.9.2010. S. 8, abgerufen am 18.3.2015 auf http://www.theologie-und-kirche.de/neuner-antimodernisteneid.pdf
[10] Apostolisches Schreiben „Notre Charge apostolique“ 1910 auf http://www.kathpedia.com/index.php?title=Notre_charge_apostolique_%28Wortlaut%29
[12] Johannes Paul II: Körper unter Körpern Grundlegung zu einer Theologie des Leibes. Am 18.3.2015 abgerufen auf http://www.ojc.de/index.php?id=381

[13] Eleison-Kommentar vom 13. September 2014. Abgerufen am 18.3.2015 auf http://eleisonkommentar.blogspot.de/2014/09/ec-374-fehlbare-papste.html
[14] Vaticanum I „Pastor aeternus“ (1870), abgerufen auf http://www.kathpedia.com/index.php?title=Pastor_aeternus_%28Wortlaut%29 am 18.3.2015

[15] A.a.O.
[16] A.a.O.