Dienstag, 11. Dezember 2018

Trinität auf dem Prüfstand — Brief IX an Unitarier und Trinitarier: Was ist ein „wahrer Mensch“? Und: Kann er ein Mischwesen sein?



Trinität auf dem Prüfstand — Brief IX an Unitarier und Trinitarier:

Was ist ein „wahrer Mensch“? Und: Kann er ein Mischwesen sein?


Doppelwesen?

Die Debatte um die Trinitätslehre zieht immer weitere Kreise und wird teilweise sehr aggressiv geführt. Im Zentrum steht meistens die Gestalt Jesu Christi. Die einen wollen unbedingt aus der Schrift beweisen, dass er „Gott ist“, die anderen sind zurückhaltend mit einer solch weitreichenden Aussage, weil ihnen bewusst ist, dass daran enorme Folgeschlüsse hängen müssten, die aber andererseits auch die Trinitarier und Binitarier zu ziehen scheuen.
Nur ganz wenige wägen ab und versuchen, allen Schriftaussagen gerecht zu werden. Hier seien lobend die Website www.trinitaet.com und insbesondere die Aufsätze Stefan Gerbers erwähnt.
Leider führt niemand eine philosophische Debatte — das wäre aber mE sehr wichtig, um die Schlussverfahren, die angewandt werden, zu überprüfen, denn nirgends scheinen mir mehr logische Fehlschlüsse und monströse Denkfiguren zu begegnen als in dieser Debatte.

Aus der bisherigen, heftigen Diskussion speziell um meine Briefe an Unitarier und Trinitarier, die sich nicht nur in den Threads unter den Artikeln, sondern zT auch auf Youtube und privat fortgesetzt hat, stellt sich mir ein Problem vor Augen, das eigentlich die zentrale Frage der christlichen „Bewegung“ war und ist:

Was an der Thematik objektiv irritierend ist, ist die Rolle Jesu, der als Mensch und Menschensohn auftritt, aber auch als Sohn Gottes. Die kirchliche Lösung einer Parallelisierung lautet, wie früher schon ausführlicher in den vorigen Briefen an Trinitarier und Unitarier dargestellt, folgendermaßen:

„Er ist Menschensohn und darum Mensch.“ — entspricht — „Er ist Gottessohn und darum Gott.“

Die Logik der Behauptung beruht darauf, dass man immer nur Sohn sein kann von Leuten, die derselben Art sind wie man selbst. Wenn also Jesus Sohn eines Menschen (Maria) ist und Sohn Gottes (des Vaters/JHWH), dann ist er zwar nicht Maria oder JHWH, aber er ist jeweils desselben Wesens wie Maria und JHWH. Altkirchliche Vorschläge, die Ungleichseitigkeit dieser Konstruktion zu glätten, etwa im Adoptianismus oder auch im Monophysitismus, wurden von der römischen Kirche in aller Schärfe verworfen und verketzert.
Wenn das so ist, muss er eine Doppelnatur haben, ein Doppelwesen sein: „wahrer Mensch und wahrer Gott, ungetrennt und unvermischt“, wie man es angesichts des gedanklichen und logischen Dilemmas auf dem Konzil von Chalkedon 451 n. Chr. zum Dogma erhob, an das zu glauben sei, wenn man nicht des Heiles verlustig gehen wollte.
Angesichts der Monstrosität der „Doppelnatur“ einer Entität erfand man die Vorstellung, dass es sich um „eine Person in zwei Hypostasen“ handle, was die Sache noch monströser machte: Eine seltsame Scheu legte sich auf jeden, der mit dieser dogmatischen Setzung aufgewachsen ist. Das Dogma hält ja sehr wohl das Bewusstsein dafür wach, dass Gott und Mensch sich kategorial eigentlich nicht vermischen können („unvermischt“). Andererseits ist es dem menschlichen Bewusstsein unmöglich, sich eine Entität vorzustellen, die nicht „eine und dieselbe“ ist in all ihren Bestandteilen, wenn man von solchen reden will („ungetrennt“). Eine Gestalt, die in sich ltztendlich doch „getrennt“ ist, ist eine schizophrene, instabile Gestalt, die es in der guten Schöpfung Gottes nicht gibt und geben kann. Die Einheit des Individuums ist konstitutiv für jedes Geschöpf. Wir scheuen mit Recht zurück vor der postmodern politisch salonfähigen Behauptung, ein Mann befinde sich im falschen Körper und sei in Wirklichkeit eine Frau, weil sie monströs wirkt — auch in einem solchen Fall stellt man sich einen Menschen vor, der zwei verschiedene Naturen hat, die sich folgerichtig auch widerstreiten und nun doch nach Einheit und Heilung suchen. Ähnlich monströs ist die Zwei-Naturen-Lehre über Jesus Christus.

Die gedankliche Hürde im Umgang mit Jesus wurde in den altkirchlichen Konzilien so hoch gesetzt, dass kein Mensch damit erkennend klar kam: die einen resignierten vor der Formel, wieder andere spintisierten so lange darüber, bis sie ihnen ganz zauberhaft und mysteriös und geheimnisvoll erschien und jeder, der sie glaubte, sich für einen Eingeweihten in ein göttliches Geheimnis hielt, und wieder anderen wandten sich ganz ab, nicht zuletzt eine Gruppe, die sich schließlich in der islamischen Religion zusammenfand.
Man debattierte darüber, ob der Sohn Gottes angesichts der Dogmen einen oder zwei Willen habe und befand, er müsse zwei Willen haben, weil der Wille konstitutiv für eine „Natur“ sei, und weil Jesus einmal von seinem Willen sprach, den er vor dem Willen des Vaters zurückzustellen gedenke (Gebet zum Vater im Garten Gethsemane). In der späteren Herz-Jesu-Verehrung allerdings scheint diese Individualperson nur ein Herz zu haben — ein Widerspruch zu den altkirchlichen Dogmen, den ich nie ganz verstehen konnte, denn das „Herz“ gehört genauso konstitutiv zu einer Individualperson wie der Wille.
Man betete dennoch fast nur noch zu Jesus, weil man ihn nun für Gott hielt und den, der einen errettet hat, den man sich aber aufgrund der absurden dogmatischen Definition nicht mehr vorstellen konnte, der einem förmlich entglitt. Der Vater geriet ins Hintertreffen, man erwähnte ihn nur noch im Vaterunser… Das Gebet Jesu in Johannes 17,3 an Gott, den Vater, das uns bezeugt, dass es „das ewige Leben“ ist „dich, den einzigen wahren Gott (!) zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast“ erhielt durch die dogmatische Setzung absurde Züge: Jesus hätte zu sich selbst gebetet, und eine Sendung einer göttlichen Hypostase durch eine andere Hypostase wurde unvorstellbar. Die christologischen Auseinandersetzungen konnten nicht durch eine Absurdität gelöst werden. Man verbannte Nestorius, der die Finger in die Wunde gelegt hatte, auf dem Konzil von Ephesus, und erzwang eine weitere Spaltung der Christenheit, indem man Maria zur „Gottesmutter“ erklärte. Die Logik ist klar: Wenn Jesus Christus Gottmensch ist, ist Maria Gottesmutter. Ich bin immer wieder erstaunt darüber, mit welcher Verbissenheit protestantische Kreise auf der Trinitätslehre beharren, zugleich aber Marias Rang als Gottesmutter mit Zähnen und Klauen abwehren: das ist schizophren!
Man sollte sich vielmehr fragen, ob Nestorius nicht die richtige Sicht auf die Dinge hatte: Maria ist „Messiasmutter“ und darum, wie sie im Magnificat selbst sagt, „seligzupreisen von jeder Generation“. Warum der Protestantismus hier — neben seiner dogmatischen Schizophrenie — eine grandiose Verweigerung gegenüber dem ansonsten proklamierten sola-scriptura-Prinzip an den Tag legt, ist nicht verständlich. Wie sollten wir nicht in unserem Jubel über die Ankunft des Messias auch die Frau seligpreisen, die uns von Anbeginn an angekündigt war, die ihn hervorbringen sollte im Auftrag Gottes?!
Nota bene: Gott hätte einfach einen neuen Menschen schaffen können — aber er tat es durch die Frau und Mutter.
Haben wir das je in seiner ganzen Tiefe und Größe erfasst, was das bedeutet?

Noch einmal: Wer selig werden will, muss den Vater, „ton monon alethinon theon“, den „einen wahren Gott“ erkennen und den, den er gesandt hat. Wir sind abgehalten worden durch die dogmatische Setzung, den Unterschied zu verstehen zwischen dem einzigen wahren Gott und dem, den er mit höchsten Vollmachten versehen gesandt hat. Für uns wurden beide undifferenziert „eins“, obwohl sie von Jesus selbst immer als zwei dargestellt werden, als zwei, die zwar in engster Verbindung, in der Mission Jesu auch durchaus „eins“ (übereinstimmend) sind, als Urbild und vollkommenes Abbild, aber nicht als Identität des Wesens. Wenn im Sohn die „Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt“ (Kol 2,9), dann kann er nicht selbst Gott sein. Der Satz klingt eher so: In dem Christus hat Gott eine „Katoikia“ eine leibliche (somatikos) Ansiedlung hergestellt, in der er ohne Trübung sein kann. Eine solche „Katoikia“ (Kolonie) war in der Antike eine Manifestation der Königsmacht. Ein König also manifestierte seine Präsenz an einem bestimmten Ort. Der Christus ist — ohne die Metapher mit allen Implikationen durchführen zu wollen oder zu können — der geschöpfliche Ort, an dem der eine, wahre Gott erneut nach dem Garten Eden seine Gegenwart ungetrübt darstellt. Das macht aber diesen Ort nicht zu Gott.

Die Nähe zwischen Vater und Sohn ist andererseits größer, als wir es uns zu denken wagen, wenn wir voraussetzen, dass Jesus Mensch und nur Mensch ist. Und das NT weist immer wieder auf diese außerordentliche Nähe hin. Aber nirgends wird uns nahegelegt, dass es sich um eine wesenhafte Identität handeln sollte. Die eigentliche, schwindelerregende Aussage in Gen 1, dass am Anfang jeder Mann und jede Frau ein solches vollkommenes Abbild des Urbildes sein sollte, geriet ins Hintertreffen zugunsten einer Brüskierung des Menschen auch nach seiner Errettung. Die Schüsselposition Jesu als eines zweiten Adam, eines zweiten „ersten Menschen“, der mit den Eigenschaften des ersten Adam ausgestattet wurde, um alle Adamskinder zurückzuholen in den ursprünglichen Stand, wenn sie wollen, ist im NT die Stellung eines Menschen und nicht des einzig wahren Gottes. Dafür spricht die durchweg passiv formulierte Vollmacht. Dem Christus ist stets seine Vollmacht gegeben. Er hat sie nicht aus sich selbst heraus. Mir ist aus dem katholischen Umfeld das Argument bekannt, das an dieser Stelle stets angebracht wird: Diese Passivität oder Geringersetzung Jesu gegenüber dem Vater sei ja nur „secundum hominem“ zu denken. Insofern Gott Mensch wurde, müsse er in dieser Menschheit auch geringer sein als Gott. Andererseits lässt das „Ungetrennt“ der beiden Hypostasen in Christus eine solche Differenzierung logisch nicht zu: Es ist ja nicht nur der „menschlichen Hypostase“ Jesu alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben, sondern der Gesamtperson Jesus, die aber dann auch in der Logik solcher Argumente vorrangig eine göttliche Person ist und als solche wiederum nicht geringer sein kann als die restliche Gottheit. Alle Differenz, die er selbst bezüglich seiner Stellung gegenüber dem Vater betont („Nur Gott alleine ist gut“, „Nicht mein Wille, sondern dein Wille…“, „Der Vater ist größer als ich“, etc.) erhält von hier aus betrachtet, wenn wir aufhören, uns an eine absurde dogmatische Formel zu binden, einen einfachen und gut verständlichen Sinn. Durch die dogmatische Entwicklung wurde die Gestalt des Christus für uns andere Menschen einerseits göttlich überzeichnet und andererseits verkleinert: Wir konnten nicht mehr erkennen, welches auch uns wieder ermöglichte Menschentum er uns vor Augen stellte. Geblendet davon, dass alles, was an ihm groß war, „Gott“ war, wurden wir davon abgelenkt, ihm darin nachzueifern aus Furcht, erneut „sein zu wollen wie Gott“, wie man uns einschärfte. Indem wir Furcht hatten, „sein zu wollen wie Gott“, wurde in uns Angst davor erzeugt, schlicht und einfach Mensch sein zu wollen, wie Gott es uns zugedacht hat. Und dieses Menschsein ist etwas schwindelerregend Großes und Gutes.
Unweigerlich stellt sich die Frage: „Was ist eigentlich ‚ein wahrer Mensch’? Und was ist überhaupt der Mensch? Und wer war Jesus wirklich in der Intention Gottes, der ihn gesandt hat?“

Es ist erkennbar, dass es nirgends in der Schrift positiv gezeichnete Doppelwesen gibt oder geben sollte. Was soll ein „wahrer Mensch“ sein, der zugleich auch „wahrer Gott“ ist? Heißt das im letzten Ende nicht doch trotz „Sophisterei“, dass der Mensch auch der Gott ist? Und war nicht das seine Ursünde, dass er sich dazu verstieg? Aber auch die schlichte Logik verlangt ihr Recht: Ein wahrer Mensch ist immer und kategorial ein Mensch, und der wahre Gott ist immer und kategorial der Gott.

Dass metaphorisch auch einmal der „elohim“-Titel an Menschen oder Engel verliehen wird, macht sie im AT nicht zu dem Gott, dem einzigen und wahren JHWH — „elohim“ ist kein Name, sondern ein Titel für eine übergeordnete Gestalt, es ist eine Rolle, aber keine ontologische Setzung!
Man kann auch mengentheoretisch daran gehen: Merkmale, die auf Gott zutreffen, können auch auf den Menschen zutreffen, wenngleich natürlich nicht alle Merkmale beider Mengen. Wir hätten dann aber kein Mischwesen, sondern schlicht eine Schnittmenge an Merkmalen — nichts weiter. Am Charakter der jeweiligen Menge ändert sich dadurch nichts!
Oder man verzichtet vollständig auf den Begriff des „Wesens“ (griech. ousia, lat. substantia), den die Schrift ohnehin nicht kennt: Das Gebot aus dem Dekalog „Du sollst dir kein Bildnis machen“ ist möglicherweise ernster gemeint, als wir gewohnt sind zu glauben. Die katholische Kirche hat dieses Gebot aus den zehn Geboten eliminiert… Durch die Zeichnung eines „Wesens“ könnte das Gebot überschritten sein, auch dann, wenn man nur theoretisch über solches „Wesen“ spricht. Die Folgen sind katastrophal für das Gottes- und Menschenbild. Unmittelbar damit verbunden ist die unselige Diskussion darüber, ob Mann und Frau „ein Wesen“ haben oder zwei. Nach dem Schöpfungsbericht in Gen 2 haben sie — in einer hellenistischen Lesart — ein Wesen, weil Gott die Frau aus der „ousia“, der „substantia“ des ersten Menschen schafft. Von hier aus kam auch die Herabsetzung der Frau auf: Wenn der Mann bereits das vollständige „Wesen“ des Menschen hatte, kann die Frau nur eine uneigentliche Ableitung aus ihm sein, eine Art „Mindermann“. Es kommt nicht von Ungefähr, dass die frühen Väter, die umfangreich die Trinitätslehre reflektierten, auch entsprechende — ganz im Hellenismus verankerte — Monstrositäten über die Frau entwickelten, an deren Folgen wir bis heute leiden.
Wenn wir aber streng im Duktus der Tora sagen: Mann und Frau sind beide jeweils als vollkommene Abbilder Gottes gedacht und dürfen wie Gott nicht weiter abgebildet oder über diese Abbildaussage hinaus kategorisiert werden, dann löst sich sofort der Krampf um die Geschlechter auf. Zu Recht wurde immer auch darauf verwiesen, dass nicht nur die Frau aus „Adam“ genommen wurde, sondern dieser erste Adam dadurch selbst noch einmal entscheidend verändert und spezifiziert wurde als „isch“ (Mann): Erst nachdem die Frau erschaffen ist, taucht in der Genesis erstmalig der Begriff „isch“ auf. „Adam“ ist nach Gen 5,2 der Oberbegriff für Mann und Frau. Die Zeugung Sets durch „Adam“, die gleich danach berichtet wird, kann man durchaus als die gemeinsame Hervorbringung von Mann und Frau verstehen, die diesen Sohn „im Bilde Adams“ vollzogen: dieser Set ist ein Vorläufer auf den Christus hin. Die Altersangaben „Adams“ treffen auf den Mann und die Frau gleichermaßen zu.
Und im selben Duktus erübrigt sich auch die genauere Verhältnisbestimmung des göttlichen „Wesens“ zum Menschen Jesus: Auch er ist Abbild Gottes, wie seine Stammeltern „Adam“, ausgefaltet in Mann und Frau („Adam und Eva“), und er ist es vollkommen in einem neuen Anlauf Gottes zu unserer Wiederherstellung, die wir aus diesem Bild herausgefallen, abgestürzt sind im Garten Eden.


Das alttestamentliche Glaubensbekenntnis vom „Echad“ („Einen“)

Gott ist im AT durchweg „echad“, also einer (und „echad“ meint niemals intentional etwas „Zusammengesetztes“, wie mir ein Kommentator beweisen wollte). „Echad“ meint immer „eins“ oder „einer“, auch als Zahlwort. Dass verschiedene Menschen oder meinetwegen auch Gott und Mensch „echad“ werden können (etwa Mann und Frau, wenn sie gemeinsam zeugen, oder ein Volk, wenn es „mit einer Stimme“ spricht) meint nicht, dass das „echad“ deshalb etwas Zusammengesetztes sein müsste, sondern dass im „echad“ eine Differenz und Zusammensetzung vital aufgehoben wird und nur „eines“ stehenbleibt. Wenn das Volk mit „einer Stimme“ spricht, ist das „echad“ hier das in einer bestimmten Sache einige Volk, das in dieser umgrenzten Hinsicht nun als eines oder einer aufgefasst wird. Eine reale und natürlich weiterhin bestehende Differenz der Mitglieder der Menge spielt keine Rolle — sie ist ja gerade aufgehoben und gilt nicht für die bestimmte Situation. Die Rede vom „echad“ an einer solchen Stelle sagt eben gerade nicht, dass hier etwas Zusammengesetztes vorliegt, sondern dass hier nur eines vorliegt, etwa eine bestimmte Kundgabe oder Zusage. Auch bei der Vereinigung von Mann und Frau wird ja nicht behauptet, dass sie überhaupt „einer“ seien, denn ganz offenkundig sind und bleiben es zwei, sondern dass sie „eins“ werden, um — im Geschlechtsakt generell intentional begriffen, auch wenn nicht in jeder Vereinigung neues Leben entsteht — eine neue Entität zu erzeugen, also einen Sohn oder eine Tochter, der oder die wiederum „echad“ oder „achat“ ist, einer oder eine. Wir würden nicht sagen, ein Mensch ist „zusammengesetzt“ aus seinen Eltern oder dergleichen. Das würde die Bildsprache vom „einen“ sprengen. Offenbar ist vor Gott diese Fähigkeit eines Mannes und einer Frau, gemeinsam zu zeugen, heilig, aber nicht, weil sich zwei Teilstücke zusammensetzen, sondern weil zwei in einem schöpferischen Akt „echad“ werden und eben gerade nicht mehr differenziert werden können: ihre Kinder kann man nicht mehr auseinanderreißen. Was einen Sohn oder eine Tochter zu „einem“ oder „einer“ macht, ist nicht das zusammengerechnete, zusammengesetzte Erbgut beider Eltern (das würde zerfallen in seine Bestandteile…), sondern ein darüber Hinausgehendes, ein schöpferisches Handeln zu neuem Leben, dem Vater und Mutter nur dienen, das sie aber nicht selbst aktiv erzeugen können. Das „echad“ hebt im neuen Leben jede Differenz in der Sache auf, macht aber dennoch die beiden Eltern nicht zu „einer Menschheit“ oder dergleichen. Im gewissen Sinn werden hier Eltern ihren Kindern untergeordnet — ich weiß, dass fromme, autoritätsfixierte Christen das nicht gerne hören — , aber es ist tatsächlich so: weil sie Kinder hervorbringen (können), die jeweils „einer“ oder „eine“ sind durch Gottes heilige Vollmacht, sollen sie sich nicht mehr trennen. Im (potenziellen) Nachkommen manifestiert sich eine untrennbare Einheit. „Echad“ im Bezug auf mehrere, die „echad“ werden, meint eine echte Synthese und Verschmelzung, die die Differenz vergessen macht und spurlos verschwinden lässt.
Es ist also argumentativ abwegig, den Spieß umzudrehen und zu sagen, Gott müsse daher aus mehreren bestehen und zusammengesetzt sein, nur weil manchmal ein „echad“ eine Mehrfältigkeit aufhebt. Erstens hebt das „echad“ sie immer auf, macht sie als solche in der bestimmten Sache irrelevant (nicht generell!). Zweitens ist die Richtung zum „echad“ hin immer die, dass Getrenntes sich zusammenfindet und dann eines ist.
Bei Gott aber wird so argumentiert, als hätte sich der Eine, der „echad“, in etwas Getrenntes ausgefaltet.
Diese Denkweise entstammt ganz eindeutig dem heidnischen Strukturdenken, das generell ebenfalls „eine“ Gottheit annimmt, die sich aufspaltet in einen Polytheismus, oder aber, wie im Hellenismus, davon ausgeht, dass der „Eine“ („Hen“) sich in Emanationen, Seinsstufen fortsetzt. Die Emanationen weisen, je weiter sie entfernt sind vom Ursprung, eine abgeschwächte Gottheit auf, sind aber immer noch gottähnlich.
Merkwürdigerweise wird nicht selten die Zweifältigkeit des Menschen als Mann und Frau als Bild für die göttliche Mehrfältigkeit angesehen. Ich habe selbst lange mit diesem Gedanken gespielt, bin aber davon ganz abgekommen. Gott hat im 2. Schöpfungsbericht in Gen 2 zwar die Frau aus dem Mann heraus geschaffen, ein „Aus einem mach zwei“ dem Anschein nach. Das aber wissen wir nicht wirklich — wir wissen nicht, was sich in dieser Geschichte verbirgt, denn in Gen 1 und Gen 5 wird ausdrücklich gesagt, Gott habe den Menschen als Mann und Frau geschaffen, ganz so, als sei das von Anfang an sein Ansinnen gewesen und eben nicht, einen Mann zu schaffen, der sich dann auch noch zur Frau ausfaltet. Wie weiter oben bereits vorgetragen kann man diesen Bericht auch so verstehen, dass Gott aus „Adam“, dem ersten Menschen überhaupt erst durch die Entnahme der Frau einen Mann im spezifischen Sinn schuf.
Der Gedanke, aus dem Mann habe sich die Frau quasi-emanativ ausgefaltet, fand im Hellenismus und in gnostischen Sekten große Verbreitung. Auf deren Gedankengut beruht der postmoderne „Genderismus“. Vielen Christen ist nicht bewusst, in welche Gesellschaft sie sich begeben, wenn sie solche Gedanken in der Theologie arglos annehmen: Die Frau wäre dann tatsächlich nur ein unbedeutenderer und „böserer“ Ausfluss aus dem Mann und der eigentliche volle Mensch wäre demnach nur der Mann. Diese Frage hat Jahrhunderte lang in Europa die „Querelle-des-femmes“-Auseinandersetzung geprägt…
Und mithilfe der Trinitätslehre und der entweder merkwürdig verzerrten Marienverehrung,  oder einer totalen, im übrigen ganz unbiblischen, Marginalisierung Marias (bei den Protestanten) konnte man dieses falsche Menschenbild mit dem Gottesbild harmonisieren und sich einbilden, das gehe aus der Schrift so hervor. Noch ein paar frauenabweisende Pauluszitate darüber garniert, und man war sich seiner Lehre sicher.

Nun ist zwar nicht zu bestreiten, dass die heidnischen Strukturmerkmale immer wieder mal anzuklingen scheinen in der Schrift. Aber sie werden auch wieder aufgehoben und in andere Kontexte gesetzt, und dies regelmäßig.
Wir finden bezüglich Gottes und des Menschen folglich dem Anschein nach widersprüchliche Aussagen in der Schrift.
Man kann nun sagen: Die Schrift widerspricht sich.
Man kann aber auch sagen: Hier findet eine Auseinandersetzung und Neudeutung, Neujustierung statt, die sich auch dialektischer Methoden bedient oder zu bedienen scheint.
Ich möchte das aus Übersichtlichkeitsgründen hier nicht aufrollen, werde das aber irgendwann später einmal tun, wenn es sich gibt.

Das „echad“ führt jedenfalls niemals zu Doppel- oder Mischwesen. Das Heidentum kennt zwar eine solche Vorstellung, etwa von Halbgöttern oder monströsen Mischgestalten aus Tier und Mensch. Vorausgesetzt wird hier oft, es hätten sich sexuelle Fortpflanzungen verschiedener Arten ergeben. Auch in der abendländischen Rede davon, dass jeder Mensch „sowohl Weibliches als auch Männliches“ — ja, man spricht sogar von „Wesensanteilen“ —  in sich trüge, laboriert in gefährlicher Weise an einer solchen „Mischwesen“-Theorie, die konsequent zu Ende gedacht, zu einem hierarchisch verfassten Pantheismus führen muss: Irgendwie sind alle Ausdifferenzierungen eben doch nur abgestufter Ausdruck des „echad“…. Wie sehr dieses Denken uns nach wie vor prägt, sehen wir auch an der Urknalltheorie, die von einem Jesuitenpater erfunden wurde, der vollkommen im Rahmen der kirchlichen Dogmen schwang (Georges Lemaitre SJ).
Ich möchte aber ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Erschaffung des ganzen Menschengeschlechtes aus „Adam“ als Merkmal des Menschen in der Schrift nicht in Relation zu einer möglichen Ausfaltung des Gottes gesetzt wird — ein solcher Gedanke kam erst durch die Implementierung heidnischer Philosophie ins Frühjudentum ins Spiel. Genaugenommen ist die ganze animalische und florale Schöpfung durch Generativität ein Kontinuum, entspricht darin aber kaum einer trinitarischen „Ausfaltung der Gottheit“. Gott pflanzt sich nicht fort. Es geht auch in der Trinitätslehre nicht um ein „Wachsen und Mehren“ Gottes wie bei den Geschöpfen. In der neidischen und begehrlichen Annäherung unzufriedener Engel an Frauen, die Gen 6 berichtet, wird eher erkennbar, dass es exklusive Fähigkeit des „Fleisches“ (griech. „sarx“ vom indogermanischen Begriff „sarga“ für „Schöpfung“!) ist, im Fleisch zu „wachsen“ und „sich zu mehren“. Die Vorstellung einer „prozesshaften Gottheit“ kennt die Kirchenlehre nicht. An dem Punkt stimmt sie mit den heiligen Schriften überein, die dies ebenfalls nicht kennen.

Wir erkennen in der Schrift eine Abneigung gegen Vermischungen, aber auch eine vollkommene Abweisung von Herbsetzungen der Geschöpfe gegeneinander. Wir finden nirgends im AT die Rede davon, dass irgendein Geschöpf seinsmäßig über einem anderen stünde. Dem Menschen wird die Schöpfung zur Bebauung und Bewahrung gegeben. Er soll sie hegen und pflegen und Nutzen aus ihr ziehen. Aber wir finden nirgends den Hinweis, dass der Mensch ihr ontologisch übergeordnet sei. Wird irgendwo Achtung verlangt oder Anerkennung, basiert sie nie auf ontologischem Vorzug. Auch die postmoderne christliche Überzeugung, es gebe eben „Ämter“, vor denen man Respekt haben müsse, weil Gott hier die einen über die anderen gesetzt habe, um „Ordnungen“ einzuhalten, findet bei genauer Betrachtung keinen biblischen Anhalt. Was immer in der geschwächten Schöpfung an „ordo ab chao“-Mustern zu gelten scheint: Die göttliche Ordnung funktioniert nicht über Unterwerfung und Abwertung. Sie ist dann im Lot, wenn jeder seinen Platz einnehmen darf, der ihm nicht aufgrund der Herablassung anderer, sondern aufgrund seiner individuellen Ausstattung zukommt und mit der er, wie im Gleichnis von den drei Knechten und ihren Talenten wuchern darf, solange er niemandem schadet. Dabei kann er sich förmlich steigern — je nachdem… Die Beschneidung der einen durch die anderen ist Ausdruck der Unordnung und Sünde. Die Aufgabe des Menschen wäre gewesen, in dieser Schöpfung die Werke Gottes zu loben und liebevoll zu betrachten, wie Adam es anfangs tat, als er allem einen Namen gab.

In der Schrift gibt es nur einen einzigen eindeutigen Hinweis auf eine sexuelle Vermischung verschiedener Kategorien: In Gen 6, 1ff wird beschrieben, wie „Gottessöhne“ sich mit Menschentöchtern sexuell vermischt und die „Riesen“ („nephilim“) gezeugt hätten. Im AT wird dieser Sachverhalt als maßgeblicher Grund für die Sintflut angeführt, aber nur knapp beschrieben. Die „nephilim“ seien die „Helden der Vorzeit“, die „berühmten Männer“. Diese Katastrophe wird ausführlich im äthiopischen Henochbuch ausgefaltet, das in der äthiopischen Kirche als kanonische Schrift gilt. Die Riesen sind dort furchtbare Wesen, der Kontakt zwischen Frauen und Dämonen führt dazu, dass die Menschen von den bösen Engeln lernen, wie man Waffen schmiedet, sich schminkt und Zauberei betreibt. Eine Stelle im Judasbrief wird häufig als Anspielung auf diese vorsintflutliche Katastrophe angesehen (Jud 6). Die „nephilim“ waren nach jeder Überlieferung monströse, boshafte Wesen, zwar heldenhaft und berühmt, aber eben erschreckend und verdorbene „Hybride“, auf deren Erscheinen hin die ganze Menschheit, bis auf Noach und seine Familie, verdorben und vernichtet wurde.

Diese einzigen in der Schrift vorkommenden, durch sexuelle Vereinigung erzeugten Mischwesen sind verdorben und Verderber, aber monströs und in aller Perversion machtvoll. Wenn eines klar ist, dann dies, dass sie niemals hätten entstehen dürfen und einem Fall bestimmter Engel entstammen, die ihre Fähigkeiten missbrauchten und, obwohl sie Engel waren, als „Männer“ auftraten und sexuell mit Frauen verkehrten, die im Gegensatz zu diesen Engeln echte Menschen waren. Selbstverständlich hat man nicht unterlassen, diese Konstellation als Beweis für die „Unterordnung der Frau“ anzusehen, um zu erklären, warum Engel nicht Frauen wurden und menschliche Männer bezirzten. Ich möchte dazu bemerken: Es waren die Frauen, die die Faszination, Eifersucht und Gier der Engel hervorriefen — nicht die Männer. Dies sagt uns auch etwas über die Geschlechter, das die spätere Christenheit nicht hören will: offenbar ging von der Frau eine enorme Strahlkraft aus, die sie mitnichten gegenüber dem Mann herbsetzte… Andererseits sind Engel wohl kaum dazu in der Lage, vom Mann gezeugte Kinder auszutragen — anders herum erscheint dies leichter möglich… Von den „nephilim“ wird nirgends gesagt, sie seien selbst nicht auch „nur“ Menschen und nicht etwa „Engel“.
(vgl. die ansonsten sehr lesenswerte Studie von Johann Heinrich Kurtz: Die Ehen der Söhne Gottes mit den Töchtern der Menschen. Berlin 1857)
Man kann sich vorstellen, dass dieses Treiben mit Magie und Kultischem vor sich ging und nicht einfach nur aus Versehen so passierte.
Aber dennoch hat man als Leser den Eindruck, dass der Satz gilt: Was eine Frau hervorbringt, wie immer das geschieht, ist ausschließlich ein Mensch. Ein Mann dagegen kann nichts hervorbringen, es sei denn mit einer Frau.


Was ist „göttliche Zeugung“?

Angesichts dieser abscheulichen Praxis, die in Gen 6 als widergöttlich und pervers beschrieben wird und die ganze Schöpfung unbrauchbar macht, ist es wirklich nicht einsichtig, dass Gott selbst nach demselben Muster wie diese gefallenen „Gottessöhne“ gehandelt haben soll.
Die selbst bei Unitariern behauptete „Zeugung“ Jesu „aus“ Maria, wird tatsächlich nirgends im NT so überliefert. Ich habe in meinem 1. Brief dieses Thema ausführlich behandelt: https://zeitschnur.blogspot.com/2018/07/trinitatslehre-auf-dem-prufstand-brief.html
Von einer durch Gott selbst bestätigten Gottessohnschaft ist erst bei der Taufe im Jordan die Rede. Zu diesem Zeitpunkt hat aber der Mensch Jesus schon 30 Jahre lang existiert, und nun bezeugt Gott vom Himmel her, er habe an diesem Menschen „Gefallen gefunden“ (ähnlich wie dies Maria einst angesagt wurde, bevor sie Jesus hervorbringen durfte — es kann damit also nicht eine Zeugung gemeint sein, wie wir sie landläufig verstehen. Da alle, die an Jesus glauben, „von Neuem geboren“ werden, wie Jesus in Joh 3 dem Sanhedrin-Mitglied Nikodemus sagt und dies keine physische Neuzeugung  meint, sondern eine spirituelle, nicht sexuell verstandene, sollte man auch bei der späten „Zeugung Jesu“ von einem metaphorischen Sinn ausgehen.
Göttliche Zeugung im oder am Menschen meint etwas ganz anderes als eine sexuelle Zeugung, aber die Zeugung, wie wir sie in der Schöpfung kennen, dient als Bild für eine maximale, intensive und ein „echad“ herstellende Hinwendung und Vereinigung seitens Gottes mit den Menschen.
Auch der Hymnus in Hebr 1 gibt kein Argument für eine behauptete sexuelle Zeugung in oder gar mit Maria her:

Die berühmten Worte: „Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt“ (Hebr 1,5) sind Psalmworte (Ps 2 und 110), die Paulus auf Jesus überträgt mit einem ganz anderen Vergleichspunkt: „Zu welchem Engel hat er (das) jemals gesagt?“ Paulus will damit nicht sagen, Gott habe Jesus sexuell gezeugt, sondern er will darauf hinaus, dass Jesus kein Engel, sondern etwas viel Erhabeneres — durch Gott Erhobenes (!) — ist.
Dabei ist die „Zeugung“ dem Anschein nach das unterscheidende Merkmal, denn Engel gelten als geschaffene Wesen — zumindest lehrt die Kirche das so. Vielleicht können wir nicht einmal sagen, dass Gott die Engel nicht auch in irgendeinem metaphorischen Sinn „gezeugt“ oder „geboren“ hat, ganz einfach weil wir es nicht wissen können, aber niemals hat Gott zu einem seiner Wesen gesagt, er habe ihn „heute gezeugt“. Und darum geht es: um das Sagen und Bestätigen, um die Kundgabe für alle Welt im Himmel und auf Erden.
Ps 2,7 spricht von einer Zeugung: „Er sprach zu mir: Mein Sohn bist du. Ich selber habe dich heute gezeugt.“
Das „heute“ durchbricht jedoch den landläufigen Sinn des Zeugens: Wenn der, der zeugt, zu einem spricht, der bereits vorhanden ist und diese Worte verständig aufnehmen kann, er habe ihn heute gezeugt, dann liegt eine metaphorische Lesart nahe. Trinitarier werden einwenden: Der Sohn wurde eben aus Gott gezeugt und geboren vor aller Zeit, und diesem Gottsohn teilte Gott mit, dass er „heute“ ins Fleisch gezeugt werde.
Nun ist aber eine solche Lesart nicht naheliegend, wenn man einmal vergisst, welche trinitarische „Gehirnwäsche“ man seit Jahrhunderten durchläuft.
Zu allererst muss festgestellt werden, dass von einer solchen „ersten Zeugung und Geburt“, die uns das große nicäno-konstantinopolische Credo bekennen lässt, nirgends in der ganzen Schrift die Rede ist.
In Apg 13,33 wird derselbe Psalmvers zitiert, erhält hier aber einen anderen Sinn:
„32 Gott hat die Verheißung, die an die Väter ergangen ist,
33 an uns, ihren Kindern, erfüllt, indem er Jesus auferweckt hat, wie es im zweiten Psalm heißt: Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt.“
Paulus versteht ganz offenkundig die „Zeugung“ als die Auferweckung Jesu.
Der Vers gibt also schon in der neutestamentlichen Interpretation keinerlei Argument dafür her, dass hier von einer „Zeugung in/mit Maria“ die Rede ist.

Wenn man einmal recherchiert, in welchem Sinn in Ps 110 von „Zeugen“ gesprochen wird, entdeckt man ein wahres Handschriften- und Übersetzungschaos, und es wird deutlich, dass ganz und gar nicht sicher ist, ob hier von einem echten oder überhaupt von einem Zeugen bzw Gebären gesprochen wird:
Die EÜ 2016 übersetzt — nicht ohne dazu eine umfangreiche Anmerkung zu machen: „Ich habe dich aus dem Schoß gezeugt vor dem Morgenstern.“
Die Luther 2017: „Aus dem Schoß der Morgenröte habe ich dich geboren wie den Tau.“
Die Elberfelder übersetzt — ebenfalls mit umfangreicher Anmerkung: „Aus dem Schoß der Morgenröte habe ich dich wie Tau gezeugt.“
Die Schlachter 2000: „Aus dem Schoß der Morgenröte tritt der Tau deiner Jungmannschaft hervor.“
Die Vulgata: „Ex utero, ante luciferum, genui te.“ (Aus der Gebärmutter, vor dem Morgenstern, habe ich Dich geboren)
Martin Buber: „Vom Schoß des Morgengrauens her, ist der Tau deiner Kindschaft an dir.“

Der Konsonantenbestand des hebräischen Textes ist in diesem Schlüsselvers (V3) kaum eindeutig zu übersetzen. Der masoretische Text führt zu dem Übersetzungstypus, für den sich Buber entschieden hat.
Die überaus poetische Bildsprache, die trotz unklarer Bedeutung hervorschimmert, verweist schon an sich selbst auf einen Vorgang, der weit mehr ist als eine landläufige Zeugung, wie Menschen sie tätigen.

Auf die sprachliche Fassung der Ansprache des Engels an Maria habe ich in einem anderen Artikel bereits hingewiesen (s.Link o.): Auch wenn wir es gewohnt sind zu glauben, dass der Heilige Geist in Maria „gezeugt“ haben soll, steht das dort im Lukas-Evangelium nicht. Vielmehr heißt es dort, dass Maria von der Kraft des Heiligen Geistes umschattet wird und so ohne Mann einen Sohn hervorbringen wird. Das stimmt exakt mit dem Protevangelium in Gen 3 überein, das von Anbeginn an erklärt, dass der „Same der Frau“ Rettung bringen wird — nicht der Same eines anderen. Auch Gen 3 legt nahe, dass nur die menschliche Zeugungskraft der Frau hier wirksam wird. Es ist sehr schwierig zu behaupten, Gott selber habe hier an dieser Stelle „gezeugt“, um ein „vollständiges“ generatives Muster zu haben. Zweifellos hat er Maria seine Kraft verliehen. Aber mehr lässt sich kaum sagen. Die berühmte Stelle in Gal 4,4 sagt ebenfalls nur, dass der Christus aus der Frau geschaffen wurde. Über die in den deutschen Übersetzungen (nicht aber in der Vulgata!: „factum ex muliere“) übliche und irreführende Fehlübersetzung „geboren vom Weibe“ habe ich an anderer Stelle eine genauere Erklärung abgegeben (s. Link o.).
Die eigentümliche Formulierung in Mt 1,20 an Joseph hat schon einigen Kopfzerbrechen verursacht, weil das Wort „gennao“ an dieser Stelle schwerlich „empfangen“ heißen kann, sondern eher „(was in ihr) hervorgebracht wurde“. Vgl dazu den Briefwechsel zwischen Anthony Buzzard und Bryant J. Williams. Williams verweist darauf, dass der Begriff, der hier in der Ansprache an Joseph verwendet wird, damals in der Säkularsprache — nach Erkenntnis altsprachlicher Forschung — einen weiten Sinn hatte: „In the secular world of the NT times GENNAO has the meaning of "come into being" as well as "produce" in a metaphorical or vague general senses (cf. 2 Tim. 2:23 of quarrels; Gal. 4:24 of the covenants).” Briefwechsel der beiden zum Thema hier: https://lists.ibiblio.org/pipermail/b-greek/2006-December/041352.html
Im Ergebnis gibt auch diese Stelle nicht her, dass der Heilige Geist hier „gezeugt“ haben soll. Außerdem käme man mit dieser Deutung in große Probleme: Wenn der Heilige Geist der eigentliche Vater ist, wer ist dann der von ihm auch im NT stets unterschiedene „(Gott-)Vater“, den Jesus als seinen wahren Vater anspricht?

Man kommt nicht umhin, sich vor Augen zu führen, dass der Messias von der Frau kommt und — wie in Gen 3 angekündigt — ihr „Same“ ist, allerdings aufgrund einer besonderen Befähigung durch die Kraft Gottes. Dass an der unmittelbaren Hervorbringung des Gesalbten und überhaupt jeglicher Gotteskindschaft kein Mann beteiligt sein konnte, legt auch der Johannesprolog nahe, der zugleich aussagt, dass jeder, der glaubt, „aus Gott geboren“ (ebenfalls mit dem Wort „gennao“!) sein wird: „12 …denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden: denen, die an seinen Namen glauben, 13 die nicht aus menschlichem Geblüt noch aus dem Willen des Fleisches noch aus dem Willen eines Mannes, sondern aus Gott geboren sind.“
Hier wird eine radikale Abgrenzung der Gotteskindschaft von jeglicher menschlich-geschöpflichen Generativität vollzogen, die ausdrücklich den „Willen des Mannes“ ausschließt, ja: förmlich brüskiert und vor den Kopf stößt. Nicht geschieht aber eine Abgrenzung in einem geistigen Sinn, der solche geschöpfliche Vaterschaft weit übersteigt. Die Gottessohnschaft kann sich demnach aber auch nicht aus der Mutterschaft Mariens ergeben — obwohl der Heilige Geist ihr enorme Kräfte verliehen hat. Was für den „Willen des Mannes“ gilt, gilt hier notwendig auch für den der Frau, denn auch der „Wille des Fleisches“ (also des „sarx“, des Fleisches, das stets die geschaffene Welt meint) hat keine Potenz, eine Gotteskindschaft hervorzubringen, weil er kategorial verschieden ist zum Willen des Schöpfers und Vaters im Himmel.
Die Neugeburt, die eine Neuzeugung voraussetzt, wenn man sich dieser Metaphorik bedient, die jedes Kind Gottes erfährt, ist notwendige Voraussetzung dafür, ins Himmelreich zu gelangen. Die Rückfrage des Nikodemus, ob er denn so ein zweites Mal von seiner Mutter geboren werden müsse, beantwortet Jesus unter anderem mit folgendem Satz: „…6 Was aus dem Fleisch geboren ist, ist Fleisch, und was aus dem Geist geboren ist, ist Geist.“ (Joh 3) Eine göttliche Zeugung ist also kategorial etwas anderes als eine im Fleisch. Das muss folgerichtig auch von der Entstehung Jesu im Leib seiner Mutter gelten: es ist eine Geburt im Fleisch. Eine wunderbare zugegebenermaßen, aber eben doch im Fleisch. Sie kann nicht zugleich auch mit einer Zeugung im Geist angenommen werden, zumal diese ja erst ermöglicht werden soll durch diesen Messias. Es kommt nicht von Ungefähr, wenn die Apg (s.o.) die „Zeugung“ Jesu, also die Geburt aus dem Geist (!), mit der Auferweckung von den Toten ansetzt. Demnach ist die Auferstehung der Moment der Geburt, auf den hin der Christus ausgereift ist.
Die Zeit „unter dem Gesetz“, im (sterblichen) Fleisch, von der Gal 4 spricht, ist in einem solchen Argumentationsstrang noch nicht die Zeit der Neugeburt. Sie beginnt mit der Auferweckung, die das Vorbild abgibt für die mögliche Auferstehung aller, die es wollen.
Hier liegen allerdings Argumentationsprobleme vor, denn Jesus sagt zu Nikodemus in Joh 3, wer nicht aus Wasser und Geist geboren werde, könne nicht das Himmelreich erlangen. Das klingt so, als müsse der Mensch vor seiner Auferstehung schon neu geboren werden.
Erschwerend kommt hinzu, dass das griechische „gennao“ „zeugen“ und „gebären“ mit einem und demselben Wort benennt — eine exakte Differenzierung von „zeugen“, „produzieren“, „generieren“, „hervorbringen“, gebären“ gibt uns das NT leider nicht an die Hand. Man könnte die Stelle so verstehen: Wer nicht neu gezeugt wird aus Wasser und Geist, kann nicht ins Himmelreich hineingeboren werden.

An diesem Punkt gab es früh Auseinandersetzungen zwischen Gnostikern und Nichtgnostikern. Gnostiker behaupteten, mit der Taufe, also einer angenommenen „Neugeburt“ müsse man folglich bereits auferstanden sein. Auch die pietistische Rede davon, dass man ein „wiedergeborener Christ“ sei, suggeriert, der Prozess sei bereits völlig erfüllt. Die Auseinandersetzung zwischen der katholischen Kirche und dem Protestantismus bezüglich der Heilsgewissheit geht in dieselbe Richtung. Etwas pauschal gesagt folgt der Protestantismus hier insgesamt einer gnostischen Denkweise.
Im NT gibt es beides: mit der Gabe des Heiligen Geistes hat der Gläubige eine „Anzahlung“ erhalten auf die kommende „Herrlichkeit der Kinder Gottes“. Eine Anzahlung… Und er kann sie mittels eines voll bewussten Aktes wieder verlieren („Sünde wider den Heiligen Geist“). Das wäre schwerlich möglich, wenn man schon im vollen Sinne auferstanden wäre.
Traditionell sagte man katholisch daher gerne, man lebe im „Schon und noch nicht“, was sachlich sicher nicht falsch ist.

Der Vergleich mit der „Zeugung im Fleisch“ ist vielleicht treffender als wir ahnen: was wir zeugen, ist schon da, aber noch nicht ausgereift und sichtbar, bis es geboren wird. Ähnlich könnte es sich mit uns verhalten, solange wir in diesem Leben sind. Es ist eine „Schwangerschaft“ Gottes mit uns im Geist. Man könnte den Prozess auch später ansetzen, denn Neugeborene sind noch lange nicht selbständig lebensfähig und müssen mit Muttermilch groß gepäppelt werden. Viele Aussagen in den paulinischen Briefen lassen ein solch evolutionäres Wachstumsmodell anklingen, wobei Paulus sich sogar selbst mit einer gebärenden Frau vergleicht, als er von den Mitgliedern seiner Gemeinden spricht.

Aus dem allen würde folgen, dass dieser Jesus Menschensohn ist, der, anders als alle anderen, alleine — dem Fleisch nach — von einer Frau hervorgebracht wird. Damit wird die erste Schöpfung, bei der dem Fleisch nach aus dem ersten Adam die erste Frau und damit auch der erste Mann hervorgebracht wird, mit dieser Neuschöpfung des „zweiten Adam“ parallelisiert. Nur geht der Weg diesmal umgekehrt. Dass dies so kommen würde, hat Gen 3 früh angekündigt. Aus dieser Tatsache der alleinigen Hervorbringung der Neuschöpfung eines Adam durch die göttlich bevollmächtigte Frau geht erneut hervor, dass es keine ontologische Abstufung zwischen Mann und Frau geben kann, die die Kirche bis heute behauptet. Hinter Maria stehen aber viele Vorfahren, die über David und Sara, Noach, Set zurückreichen bis auf den ersten Menschen („Adam“), der Mann und Frau im Bilde Gottes war.
Gott setzt noch einmal neu an, um durch dieses Nadelöhr des Menschen- und Gottessohnes allen Erneuerung und Rettung anzubieten.
Es ist aber ganz und gar falsch, wenn man die Menschensohnschaft und die Gottessohnschaft ins Fleisch projiziert gewissermaßen „total parallelisiert“. Genau das ist falsch!
Die vielen NT-Hinweise darauf, dass hier „alles neu“ geschaffen wird, unterstreichen diese Tatsache.

Von einem Mischwesen, das man sich mit Formeln wie „ungetrennt und unvermischt“ geradezu absurd zurechtzimmern muss, ist keine Rede. Ein wahrer Mensch ist immer kategorial und ausschließlich ein Mensch. Durch Christus kann jeder Mensch ein Kind Gottes werden in einem erhabenen Sinn. Dennoch wird er dadurch — gleich wie viel ihm Gott ermöglicht — nicht zu dem Gott, der dies alles gibt. In Jesus Christus zeigt sich vielmehr, wie unermesslich hoch Gott von Anfang an den Menschen veranschlagt hat und wie weit wir davon abgekommen sind.