Das Schillern der Dinge
Zeitgeschichtliche Essays
von Hanna Jüngling
HOROLOGIUM MUSICUM ET PHILOSOPHICUM Band 2
Zeitschnur Verlag Karlsruhe 2019
mit zwei Zeichungen der Autorin
388 Seiten
Format 13,5 x 20,5cm
ISBN 978-3-940764-21-8
Ladenpreis 18,00 €
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Mag sein
dass wir morgen
oder übermorgen
die Dinge in einem helleren
Licht sehen werden
Ein Anfang
ist gemacht
Insgesamt drei Essays zur Zeitgeschichte, ein langer und zwei kurze, mit einem ausführlichen, umfangreichen Literatur- und Anmerkungsapparat und einem Personenregister versehen:
1. Manipulation. Trauma. Gesetzlosigkeit
Eine kurze, unvollständige Reflexion über die Herkunft, Entwicklung und Teleologie der Herrschaftstechniken westlicher Oligarchien
2. Krieg den Selbstdenkern!
3. Thilo Sarrazin oder Ein wirksames Element postmoderner Politik seit 100 Jahren
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Leseprobe aus "Manipulation. Trauma. Gesetzlosigkeit":
"(Die Herrschenden) sorgen für eine gründliche Verwirrung
über Tatsachen und Wahrheiten und führen sinnlose Debatten über „alternative
Fakten“, die angebliche „Faktenresistenz“ der Andersdenkenden, „Fake News“,
über „Verschwörungstheorien“ immer dann, wenn Menschen versuchen, sich die
Zusammenhänge zu erklären, die doch ganz zweifellos bestehen müssen.
Was wir erleben, sind keine
zusammenhanglosen, singulären Zufallserlebnisse, sondern groß angelegte
Szenarien, in denen sich langfristiger Plan, Unwägbares und eine zielgerichtete
Improvisationskunst für den Augenblick zu einer undurchdringlichen Übermacht
verdichtet haben. Es sind Kettenreaktionen, Vernetzungseffekte und zynisch
schöngeredete Kollateralschäden.
Die sachlich angemessene Frage
ist nicht, ob überhaupt Zusammenhänge bestehen (dürfen), sondern die, ob die
Rekonstruktion der Zusammenhänge richtig oder falsch ist.
Auf eine rationale Ebene kommen
wir zunehmend gar nicht mehr. Durch die supranationale Vernetzung und
Verstrickung, das Durcheinander der Motivlinien, die sich wie asymmetrische
Längen- und Breitengrade über die ganze Welt schlingen, ist die Beurteilung der
Zusammenhänge nicht leichter geworden, aber dass multilineare Zusammenhänge
bestehen, kann nicht ernsthaft geleugnet werden.
Oder aber, man unterstellt dem
Andersdenkenden und Zweifler an der Regierungspropaganda, er erläge
„postfaktischen“ Überzeugungen, deren Urheber — welch vulgäres Mittel —
„Rechts(Links)populisten“ oder „Neurechte“ seien, eine Diffamierung, die selbst
schwer nach „Verschwörungstheorie“, noch mehr aber nach „Fake News“, Hass,
Verleumdung und Hetze und einer diktatorischen Ambition riecht. (...)"
(...) Mit den neuen, verfeinerten und potenzierten Manipulationsmöglichkeiten, die die Digitalisierung neben vielen positiven Effekten und Erleichterungen bietet, wird ins Zentrum der Vernunft gegriffen und jegliche eigenständige Rationalität, jegliche Theoriebildung, jegliche abweichende Übereinkunft von Menschen im Denken und Handeln dämonisiert, verleumdet und schleichend kriminalisiert. Wahr ist nur das, was über einen Bildschirm, einen „screen“ oder ein „display“ empfangen wird. Jede abweichende Sicht der Dinge landet in der Ablage „rechte Verschwörungstheorien“. Ein eigenständiger Blick aus den eigenen Augen in die eigene Wahrnehmung der Wirklichkeiten ohne staatlich geprüften Screen dazwischen ist vielen Menschen nicht mehr geheuer: sie fühlen sich ohne diese Krücke des Bildschirms wie Leute, denen man den Gehgips abgenommen hat.
Wir erleben derzeit eine gigantische Manichäisierung, eine geradezu absurde Dualisierung des Denkens und Fühlens: gespalten werden die emotionalisierten und verwirrten Bildschirmkonformen von denen, die sich einen freien Geist nicht nehmen lassen wollen."
"(...) er Mensch ist gehalten, Distanz zu den Dingen einzunehmen und mit seiner Vernunft und Urteilsfähigkeit zu verantworteten, aber auch korrigier- und entwickelbaren Überzeugungen zu kommen. Mit der Haltung des Prüfens wird jegliche Magie, jeder Versuch eines Seelenbanns in unverrückbaren „Meinungen“ durchbrochen, ohne den Einzelnen struktur- oder geistlos zu machen. Diese Aufgabe kann der Mensch aufgrund seiner „conditio humana“ nicht vollständig im einsamen, selbstreferentiellen Diskurs leisten. Er bedarf des anderen in der Auseinandersetzung.
Die Tatsache dieser
Angewiesenheit macht sich gezielte Manipulation und Propaganda zunutze und
greift den Einzelmenschen an genau dieser Schnittstelle an. Weil nicht nur die
Darstellungen der Wirklichkeit aus dem Munde des anderen einseitig,
unvollständig oder sogar bewusst verzerrend sein können, sondern auch die je
eigenen Wahrnehmungen und Begriffsbildungen, sind wir auf den anderen als
Korrektiv angewiesen und er auf uns. Es gibt im Erkennen weder absolute
Autonomie, noch — auf der Seinsebene — eine „Führerschaft“, und genau dies
macht uns verletzbar, angreifbar und verführbar.
Damit soll nicht gesagt sein,
dass man sich über die Tatsachen überhaupt kein annähernd ausgewogenes Bild
machen kann. Man kann — aber es kostet Mühe und Vorsicht.
Die Manipulation arbeitet
zielgerichtet mit einer Elimination der Distanznahme zur eigenen und fremden
Wahrnehmung und Realitäts(re)konstruktion und stürzt uns auf einer basalen
Ebene in das Trauma schwerer „Strafen“, wenn wir es doch tun. Die Strafen können
martialisch und grob wie in älteren Zeiten, oder psychotechnisch und verfeinert
konzipiert sein. Die letztgenannte, „weichere“ Methodik der Brechung des
Willens zur Reflexion ist schon älter, und ich werde gleich einen
ausführlicheren, aber skizzenhaften, historischen Rückblick vornehmen.
Inzwischen geht man die Sache
anders an. Man baut ein ferngesteuertes „Selbstbewusstsein“ in den auf Rückhalt
und Zuspruch angewiesenen Einzelmenschen auf, wenn sie sich unterwerfen und
mitspielen und wieder absondern, was man ihnen zuvor als „Wahrheit“ oder
postmoderne Sicht auf die Dinge eingeträufelt hat. Fürs brave Mitmachen
erhalten sie ein „Token“, und der antiquierte Mensch hält dies für eine
Auszeichnung. Nicht zuletzt sind die vielen Preise, die von staatlichen und
nichtstaatlichen Institutionen vergeben werden, solche Belohnungen konformer
oder — utilitaristisch verstanden — systemimmanent „konstruktiver“ Leistungen.
Es ist eine interessante Frage, seit wann man in der westlichen Gesellschaft
öffentlich Preise für „Kulturleistungen“ verleiht.(...)"
"(...) Mit der neuesten Propagandaformel von der „diversity“ wird der Mensch getäuscht über den Hass gegen alles, was wirklich „divers“, also selbstverantwortet, unkontrolliert anders und frei ist und bleibt. Die zentrale Realität natürlicher und frei entstehender Diversität wird durch einen künstlichen Kontrollbegriff der „diversity“ ersetzt. Daher wird nicht nur die natürliche Familie angegriffen, die aus der Sicht Machtwilliger ein anarchisches und autonomes Element darstellt, sondern auch die Eigenart der Völker und ihrer freien Kulturen. Ein Hebel zur Gleichschaltung aller Bürger ist das staatlich vereinnahmte Schulwesen, das eine positive Seite haben kann oder könnte, wenn es nur darum ginge, jedem freie Bildung zugänglich zu machen. Genau dies ist aber nicht erwünscht. Deutschland spielt hier mit seiner aus dem Nationalsozialismus stammenden „Schulpflicht“ eine Vorreiterrolle. Staatliche Lehrer hat man in unserem Land verbeamtet, um sie der Staatsdoktrin loyal zu halten und zu verhindern, dass Bildungskonzepte eindringen, die von dieser Doktrin entscheidend abweichen. Freie, wirklich unabhängige Bildungsträger müssen mit vielen Hindernissen kämpfen und erhalten, wenn sie wirklich keine Konzessionen an den Staat machen, keinerlei öffentliche Unterstützung. Der deutsche Staat kriminalisiert und verfolgt seit 1938 bis heute zusätzlich zu diesen Mechanismen alle Freilerner, also alle, die sich bewusst und mit anderen Konzepten seinem frühen Zugriff entwinden wollen, drückt dagegen bei Nichtlernern und Bildungsunwilligen alle Augen zu.1 Als manipulierte Vereinzelte, die man mit vorgezeichneten „individuellen“ Freiheiten, auf Postkartengröße eingedampft, über den Tisch zieht, sollen wir in dem verordneten „melting pot“ aufgehen, der weder echte Diversität noch Freiheit und erst recht keine freie Individualität mehr anerkannt. Die Zeit, in der sich jeder den asymmetrischen Raum zumindest dem demokratischen Ideal nach nehmen konnte, den er brauchte, solange er niemandem direkt schadete, ist vorbei. Man teilt uns ein Urnengrab zu, in dem wir „divers“ zurechtformatiert, man nennt das inzwischen „framed“, untergehen dürfen. „embedded diversity“ also: hurra! Es besteht eine innere Verwandtschaft zu Legehennenbatterien.(...)"
"(...) Woher kommt diese ausgebuffte Manipulationstechnik, die von den meisten Bürgern gar nicht durchschaut wird? Solche Techniken fallen nicht vom Himmel, sind weder von Goebbels noch von Bernays wundersamerweise erfunden worden. Es gab einen sehr langen Vorlauf:
Aus meiner Sicht hat diese
Tradition der herrischen Manipulation des Denkens auf globaler Ebene einen weit
zurückliegenden historischen Ausgangspunkt. Ich möchte auf ihn zurückkommen,
weil es mich wundert, dass in der derzeitigen, vielfach sehr klugen Kritik an
den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zuständen, in die wir getrieben
werden, der — aus meiner Sicht — mächtigste und gewiefteste Spieler, der
Meister der Diplomatie und parasitären Unterwanderung aller Machtstrukturen für
die Etablierung eigener Herrschaft unterschätzt, ausgespart, ignoriert wird:
die katholische Kirche, die ihren globalen Herrschaftsanspruch seit fast
tausend Jahren schon vor-dogmatisch formuliert, also als eine von Gott gewollte
Ambition proklamiert hat. 1870 hat sie diesen Anspruch des Papsttums zu zwei
verheerenden Dogmen, also „von Gott offenbarten“ und darum absolut wahren
Lehrsätzen erhoben. Auf dem Vaticanum I wurde der „Universalprimat“ des Papstes
über die ganze Welt und folglich alle Regierungen definiert und die
„Unfehlbarkeit“ des Papstes, wenn er etwas unter Bezugnahme auf seine göttliche
Autorität öffentlich als zu Glaubendes verkündet, festgeschrieben.1 Diese
beiden Dogmen sind keine Spielerei gewesen. Die Auseinandersetzungen, die
diesen Dogmen vorangingen, haben das gesamte 19. Jh angedauert und zu heftigen
Verwerfungen innerhalb und außerhalb der Kirche geführt. Das Vaticanum II, die
als „Reformkonzil“ verkaufte ökumenische Synode, hat ein Jahrhundert später
genau diese beiden Dogmen ausdrücklich und in aller Schärfe wiederholt und
bestätigt.2 Niemand sollte glauben, dass die Kirche einen solchen Anspruch je
wieder zurücknehmen würde. Zu hart und verbissen war er erkämpft, mit zuviel
Intriganz war er schließlich als angeblich von Gott offenbarte Lehre
durchgesetzt worden. Die Kirche hat bei zeitweiliger Defensivität ein
sichtbares Schattenreich in allen Reichen der Welt errichtet: den ganze
Erdkreis hat sie nach „Diözesen“ oder „Missionen sui juris“ eingeteilt, in
denen sie einen Herrscher installiert hat, den Bischof oder in den Missionen
den Papst selbst. Die Diözesanordnungen setzen die alten weltlich-römischen
Verwaltungseinheiten fort.3 Im Investitutstreit (11. Jh) ging es um die
Auseinandersetzung darüber, ob weltliche Herrscher das Recht haben, diese
Bischöfe als nicht nur geistliche, sondern vor allem politische Amtsträger
einzusetzen. Den Anspruch hatte Heinrich IV. erhoben: der weltliche Fürst
stünde dann über dem geistlichen Diözesanfürsten. Wir wissen, dass sich das
Papsttum durchgesetzt hat: der Papst ernennt Bischöfe, weltliche Vorschläge
sind zwar, je nach regionalem Konkordat, möglich, aber nachrangig. Dies gilt
bis zum heutigen Tag.4
Die maßgebliche Rolle der Kirche in allen politischen Krisen wird mE nicht ernsthaft wahrgenommen, weil sie bewusst damit spielt, dass der postmoderne westliche Mensch Religion für eine vernachlässigbare Größe halte und sie doch eigentlich ein Tiger mit stumpfen Zähnen geworden sei. Geschickter kann man sich auf dem Weg zur absoluten Weltmacht kaum vermarkten. Wenn das so wäre, wie die Kirche selbst uns suggeriert, müsste sie auch räumlich und ökonomisch verschwinden. Genau das tut sie aber nicht, sondern ihr tatsächlicher politischer Einfluss wächst. Ich denke, dass das der größte Irrtum der ansonsten sehr klugen Analytiker aufseiten der „Alternativmedien“ ist. Sie sind fixiert und beschränkt auf Kapitalismuskritik, als sei der Kapitalismus auf keinerlei spirituelle Grundlagen gebettet und entspringe ausschließlich reiner privater Gier. Einige, die die spirituellen Grundlagen der Ereignisse nicht unterschätzen, sehen in pervertiertem Judentum den auslösenden Faktor, verkennen aber die Rolle der Kirche.5 Tatsächlich hat sich das Papsttum immer näher in die globalen politischen Institutionen geschoben. Mit dem Schachzug des Vaticanum II und der Suggestion, sie habe sich nun im „aggiornamento“ „verheutigt“, modernisiert, einem Tross an fanatischen und enttäuschten Erzkatholiken, die lautstark und medienwirksam seit Jahrzehnten skandieren, die Kirche habe sich „protestantisiert“, entsteht der Eindruck, sie sei nicht mehr das Monstrum, das so viele Jahrhunderte lang mit seiner Macht- und Habgier Not und Elend über Länder und einzelne Menschen gebracht hat. Auch hier kann man nur sagen: „Chapeau bas!“ vor dieser schlauen und wirksamen Strategie. Geändert hat sie an ihrem Machtanspruch gar nichts — und sie macht daraus keinen Hehl, aber aus geheimnisvollen, aber keineswegs zufälligen Gründen sehen die Zeitgenossen vor lauter Bäumen den Wald nicht.6
Erst in der dem Anschein nach
„liberalen Zeit“ der Kirche, nach dem Vaticanum II, konnte sie ihren Fuß offen
und ungeschminkt in Parlamente (Johannes Paul II. im polnischen Parlament 1999,
im Europa-Parlament 1988 und 2002 im italienischen Parlament, Benedikt XVI.
2011 im Deutschen Bundestag, Franziskus 2014 im EU-Parlament und 2015 im
US-Kongress) oder gar die UNO setzen (Paul VI. 1965, Johannes Paul II. 1979 und
1995, Benedikt XVI. 2008 und Franziskus 2015).7
Vor der angeblichen
Liberalisierung aber vollzog man 1957/58 auf dem Kapitol in Rom im
Konservatorenpalast die Gründung der Europäischen Gemeinschaft in den
„Römischen Verträgen“ unter dem riesigen Bildnis Papst Innozenz X.. (...)"