Donnerstag, 26. März 2015

Das verschwundene Opfer

Das verschwundene Opfer

Manchmal denke ich: Und wenn schon, was soll es? Wenn die "wiederverheiratet Geschiedenen" zur Hl. Kommunion gehen - und das tun sie in großer Zahl mit Billigung der Priester schon lange im Novus Ordo Pauls VI. - na und? Folge ich nicht denjenigen, die nachweisen, dass der Novus Ordo sakrilegisch ist? Dass er ein Messopfer vorspiegelt, das keines mehr ist und auch keines mehr sein will und soll? Spricht denn noch einer im Ernst heute vom "Heiligen Messopfer", wenn er die "Eucharistie" oder den "Tisch des Herrn" benennt? Sprach Paul VI. noch davon, als er den ganzen Kanon zerbrach und verformte und aus den ehemaligen "Wandlungsworten" nur mehr gewöhnliche "Herrenworte" machte? 
Die Sprache ist immer präzises Zeugnis dessen, was man meint. Nein - es ist nicht der Ton, der die Musik macht, sondern die Worte selbst geben Auskunft über das Gemeinte. Sie und nur sie. Der Ton ist allenfalls Zugabe. Ohne die zugrundeliegenden Worte ist der Ton nicht aussagefähig.

Wenn also die "Eucharistiefeier" im Bruch-Ordo Pauls VI. nicht das Hl. Messopfer ist, ist es ergo auch völlig gleich, ob Leute, die in schweren Sünden bewusst und willentlich verharren, dorthin gehen. Und es ist noch viel gleicher, ob darüber nun erbittert in Rom und anderswo debattiert wird und ein "Kardinal Kasper" vorgeschoben wird, in dessen Windschatten ein "Papst" namens F. nur das umsetzt, was logisch aus der gesamten Situation folgt: nämlich zu sagen, dass es gleich ist!

Es ergibt überhaupt keinen Sinn, in einer brennenden, anarchischen Stadt darum zu kämpfen, beim Gang ins Theater nur ja adrett gekleidet zu sein!

Als ich heute morgen im Schott die Lesung für den Donnerstag nach dem Passionssonntag (also heute) las, dachte ich, es sei die Rede von uns (Dan. 3):

"Herr, unser Gott, (...) wir sind erniedrigt worden unter alle Völker und gedemütigt auf der ganzen Erde um unsrer Sünden willen. Wir haben zurzeit weder Fürsten noch Führer noch Propheten; weder Brandopfer, noch Schlachtopfer, noch Speiseopfer, noch Rauchopfer, noch eine Stätte, an der wir Dir die Erstlingsopfer darbrächten. (...) Aber mit zerknirschtem Herzen und mit gebeugtem Geiste möchten wir von dir angenommen werden."

Das tägliche Opfer ist im Prinzip, von privaten Ausläufern abgesehen, verschwunden und verschwindet immer mehr. Die einen, die es feiern, sind zweifelhaft - im Novus Ordo - geweihte Priester. Die anderen sind sowohl zweifelhaft geweiht als auch Zelebranten einer sakrilegischen Messe. Und wieder andere sind zwar im alten, sicher gültigen Ritus geweiht, feiern aber die gültige, heilige Messe in der Rückbindung an den häretischen "Papst". Nur ganz wenige sind gültig in den überlieferten Riten geweiht, feiern den überlieferten Ritus und binden sich ausdrücklich nicht an häretische Hierarchen.
Da bleibt nicht viel übrig.
Die Welt wird kälter mit jedem Tag.

Es ist auch vollkommen nutzlos, sich in äußerlichen Pracht-, "Demuts"- und Frömmigkeitsübungen zu ergehen, wenn man mit ihrer Hilfe die Irrigkeit des Rahmens glaubt "retten" zu können, innerhalb dessen man all diese inzwischen anachronistischen und sinnlos und ruinös gewordenen, einstudierten Oberflächlichkeiten pflegt: Pontikalämter mit Kardinal Burke, der eine meterlange Schleppe hinter sich herzieht wie eine Märchenprinzessin, die v.a. die längst verlorene weltliche Macht der Kirche evozieren, die Meinung, man könne durch die ästhetische Pflege der Gregorianik auf Hochschulniveau in einer toten "Kirche" den Glauben wieder herbeisingend erwecken, allerhand krampfhaftes, unnatürliches und rein äußerliches Demutsgehabe, das die Gebräuche vor dem Vaticanum II sehr weit übersteigt und nicht nur subjektiv, sondern mit dem Impetus der allgemeinen Forderung vollzogen wird (Kniebeugen und Knien mehr als je zuvor; selbst bei Rosenkranzgebeten, die dadurch im Alltag verleidet werden; Mantillen; überzogene Fasten- und Gebetsgebote, die den Menschen von den ehemaligen Geboten der Kirche abhalten, in der Arbeit schwächen und aufs rein Physische richten; etc. etc.). Alle diese äußeren Dinge fließen ja nicht aus einer bestimmten Herzenshaltung oder offiziellen Wirklichkeit der Kirche, sondern sollen sie überhaupt erst "wiederbeleben", werden also mit einer esoterischen Einstellung angewendet.

Es ist eine Art postmoderne "Kirchentheaterkultur" entstanden. Man verkleidet sich für die prachtvoll gefeierte Museumsmesse, zelebriert alle möglichen, in ihrem Sinn nicht mehr verständlichen, außerliturgischen Gesten und kehrt anschließend in den Alltag zurück, in dem man sich entweder aufgrund eines immer größeren Realitätsverlustes nicht mehr zurechtfindet oder macht es wie die LARP-Darsteller: Man wirft die ganzen altertümlichen Stoffhosen und die hausbackenen Röcke samt den spacigen Mantillen in die Ecke und staffiert sich erst mal wieder fürs wirkliche Leben in der Welt mit Jeans und Mini aus.
Ein schizophrenes, manieriertes Theater, das den Glauben zum ästhetischen Schau- oder Zwangserlebnis macht.
Und das Schlimmste dabei ist, dass die Laiendarsteller es ebenso wie die hauptamtlichen Schauspieler nicht begreifen und diesen Zirkus für das nehmen, was einmal "Tradition" war. Man ist auf dem Level eines Trachtenvereins angekommen. Man kleidet sich "wie früher", singt und tanzt "wie früher", klebt sich womöglich noch Zöpfe an, aber danach kehrt man zurück ins Heute mit all seinen Attributen und bekommt die beiden Welten nicht mehr zusammen.

Man glaubt, mit der Staffage einer fantastischen "Tradition" ein "schönes Zeichen" setzen zu können (wird meist hinsichtlich der ehedem nur regional verbreiteten Sitte der Mantilla so vorgetragen, was symptomatisch ist für die verkehrte Geisteshaltung der Traditionalisten), bleibt aber bei der sachlichen Nachfrage: "Ein Zeichen wofür und für wen eigentlich?" eine vernünftige Antwort schuldig. Und das kann auch gar nicht anders sein, lebt doch unser Glaube nicht von "Zeichen", sondern aus Christus, der kein Stoffstück, sondern der lebendige Gott ist. Hinzukommt, dass den Zeichensetzungen der Laienschaft ohne die Hierarchie kein Gelingen verheißen ist - schöne Zeichen hin oder her! Werden diese Zeichen nicht belebt von oben her - und das geht nur über die Hierarchie - sinken sie ab auf das Niveau magischer, selbstfixierter Utensilien.

Und je "heutiger" sich der Papstdarsteller in Rom selbst entlaubt, desto verbissener klammern sich die Traditionalisten an ihre musealen oder neu erfundenen, ästhetischen Gebräuche, weil sie hoffen, man könne einen Toten, dem man duftende, wohlschmeckende Nahrung zwischen die steifen Kieferbacken zwängt, zum Leben erwecken. Es ist eine seltsame Fantasy-Feen-Elfen- und Mittelalter-LARP-Szene...

Es geht aber nicht nur darum, die "Messe aller Zeiten" in den richtigen Kostümen zu feiern! Es geht darum, dass dieses heilige Opfer von Christus her in der rechten Weise abgeleitet wird. Zu dieser rechten Weise sollte eigentlich zentral ein wahrer "Heiliger Vater" gehören.

Unsere Alternative ist:

1. Wir leiten das Hl. Messopfer im überlieferten Ritus von irrgläubigen Kirchenbesetzern ab (das tun alle konzilskirchlichen Traditionalisten und die Priesterbruderschaft St. Pius X.), aber dann ist es keine katholische Messe mehr.

2. Wir leiten das Hl. Messopfer im überlieferten Ritus von der Kirche ab, von Christus, der aber momentan keine stellvertretenden Hirten hat, verweigern dem häretischen Papst und den Bischöfen, die ihn anerkennen (und das sind alle amtskirchlichen Bischöfe!) die Nachfolge und sagen: wir haben z.Zt. -  wie oben Asarja - keinen Papst, keine Fürsten und Führer.

Was den letzteren Punkt betrifft, sagen manche: Dann kann man ohne Jurisdiktion auch das Hl. Messopfer nicht mehr feiern. 
Ein gültig geweihter Priester kann es sehr wohl feiern, wenn er eine kirchliche Jurisdiktion, die aktuell ausfällt, dennoch in potentia annimmt.
Solange es also gültig geweihte Priester gibt, können noch solche Hl. Messopfer, abgeleitet von der potentiellen Jurisdiktion, die man weder ersetzen will noch für überflüssig hält, zelebriert werden.


Mit Asarja sagen wir: "Aber mit zerknirschtem Herzen und mit gebeugtem Geiste möchten wir von dir angenommen werden." 

Dom Guéranger sah diese Situation vor sich, als er Mitte des 19. Jh schrieb (Dom Prosper Guéranger: Die Heilige Messe, Stuttgart 2004 nach der deutschen Ausgabe von 1884, Mainz)

"(...) es ist erforderlich in diesem (rechten) Glauben zu sein, um in der Zahl derer, welche die heilige Kirche erwähnt, begriffen zu werden. Man muss rechtgläubig, orthodox sein. (...) Aus diesen von der heiligen Kirche angewendeten Ausdrücken erhellt, wie sehr verschieden die heilige Messe von irgend einer Privatandacht ist. Sie geht allen andern vor, und ihre Intentionen müssen respektiert werden. (...) (S. 78)

Er hatte an dieser Stelle die Eingebung, sich auszumalen, was es heißen würde, wenn diese Einheit des Glaubens verletzt würde:

" (...) wenn es möglich wäre, dass das Messopfer einmal zu Ende ginge, dass es der Flamme gleich, die keine Nahrung mehr findet, erlösche, dann würden wir sofort aufs Neue in jenen unwürdigen Zustand zurücksinken, in welchem sich die mit dem Götzendienst befleckten Völker befanden. (...) (S. 79)

Dom Guéranger sieht es förmlich vor sich, wie sehr der Mensch des Verderbens dieses Heilige Messopfer und die, die es vollziehen können, nämlich die Priester, hasst:

 "Darauf wird auch das Streben des Antichrist gerichtet sein. Er wird alle Mittel anwenden, um die Darbringung des heiligen Messopfers zu verhindern, damit dies mächtige Gegengewicht gegen seine Herrschaft in Wefall komme, und Gott die Schöpfung vernichte (...) Das ist der Anfang dessen, was geschehen wird, wenn der über die Erde entfesselte Teufel und seine Anhänger Verwirrung und Trostlosigkeit verbreiten; (...) Er wird die Weihen verhindern, die Priester aussterben lassen, und so der Darbringung des großen Opfers immer engere Grenzen ziehen. dann aber kommen die Tage des Unglücks." (S. 79)

Was er nicht sehen konnte ist die Tatsache, dass auch das Heilige Messopfer total zerstört und durch eine billige, sakrilegische Nachäffung ersetzt wurde, deren innere Gesetzlosigkeit immer mehr auch äußerlich sichtbar eskaliert in den von manchen besorgten Katholiken als  horrores missae bezeichneten Exzessen, die heute in fast allen Pfarrkirchen schlimme Realität geworden sind.

Das Heilige Messopfer, in der rechtmäßigen Weise abgeleitet von Christus selbst über den Papst und die Kirche, ist das eigentliche Hindernis, das das Offenbarwerden des Antichristen bislang aufhalten konnte. In ihm wird die Menschwerdung Christi bezeugt und gefeiert. Der Antichrist aber leugnet, dass Christus der Sohn Gottes ist, der ins Fleisch gekommen ist.

Kardinal Manning ahnte ebenfalls schon im 19. Jh, dass das Heilige Messopfer als Inbegriff der Menschwerdung Gottes angegriffen werden würde (Heinrich Eduard Manning: Der Antichrist oder die gegenwärtige Krise des heiligen Stuhls im Lichte der Weissagung betrachtet. Regensburg 1861):

"(...) Seit der Gründung des christlichen Europa (...) hat die Ordnung der Welt auf der Menschwerdung unseres Herrn Jesus Christus beruht. Aus diesem Grunde (wird alles, wonach) wir unsere Tage datiren, (...) von dem "Jahre unsers Herrn" an gerechnet. (...) Diese Gesellschaft aber, die auf die Menschwerdung Gottes gegründet ist, ist der Zustand, unter welchem wir bisher gelebt haben. Ich glaube aber, daß wir nun denselben verlassen. (...)" (S. 63)

Unter Bezugnahme auf die krampfhafte Meinung reaktionärer Katholiken, man müsse mit Zwang und Gewalt die alten Ordnungen aufrechthalten, distanziert er sich jedoch von deren falscher Meinung und führt weiter aus:

"Ich spreche nicht gegen dieses (Anm. HJ: den säkularen Staat). (...) Ich führe es als Tatsache an. Ein großer Theil jeder Nation (...) besteht aus jenem Volke, das die (...) Menschwerdung leugnet." (S. 64)

Und noch einmal bekräftigt er, dass es ein schwerer politischer Fehler ist, die christliche Ordnung einem widerspenstigen Volk aufzuzwingen:

"Ich sage nicht, dass die politische Verfassung eines Landes aufrecht erhalten werden solle, nachdem der Zustand eines Volkes dies moralisch unmöglich oder schwierig macht. Dies ist die fürchterliche Nothwendigkeit. (...) Wenn ein solcher Zustand nicht ohne Gewalt aufrecht erhalten werden kann, muss er aufgegeben werden. Ecclesia a sanguine abhorret." (S. 65)

Kardinal Manning sieht hier bereits die Erfolglosigkeit und selbst antichristliche Monstrosität zukünftiger klerikalfaschistischer Empörungen voraus:

"Es ist nicht der Geist der Kirche, politische Probleme durch blutige Gesetze aufzudrängen, oder die Leute durch die Anwendung der physischen Macht zu zwingen. Aber größer ist das Elend für ein Volk, das den Glauben an die Menschwerdung so verloren hat, daß es nothwendig ist, die christliche von der Vorsehung Gottes eingesetzte Ordnung aufzugeben. Allein so ist der Zustand der Welt beschaffen, und diesem Ende treiben wir rasch entgegen." (S. 66)

Von einer Idealisierung der älteren Ordnungen war Manning jedoch ebenfalls weit entfernt. Er setzte die politische Ordnung im Groben nicht einfach in eins mit einem göttlichen Zustand. Seine Beurteilung der Geschichte des christlichen Europa ist interessant und lehrreich und lässt besser verstehen, wieso es der Papst - trotz aller Exzesse auch in der Kirche - und das Heilige Messopfer waren, die den Antichristen aufhielten:

"Man erzählt uns, der Aetna habe einhundertsechzig Krater. Außer den zwei Oeffnungen, die miteinander den unermeßlichen Krater bilden, der gewöhnlich so heißt, ist er auf allen Seiten durch Kanäle und Mündungen durchlöchert, durch welche in den vergangenen Jahrhunderten die Lava von Zeit zu Zeit durchbrach. (...) Die Kirche ruht auf der Basis der natürlichen Gesellschaft, auf den Grundlagen des alten römischen Reiches, auf der Civilisation der heidnischen Völker der Welt, die befestigt, erhoben, bewahrt, umgewandelt und geheiligt wurden durch die Wirksamkeit des Glaubens und der Gnade. Die Kirche Gottes ruht noch auf jener Grundlage, aber unterhalb der Kirche ist beständig das Geheimniß der Bosheit wirksam, das bereits in den Zeiten der Apostel thätig war (...) Was ist all dies anders als der Geist der Gesetzlosigkeit, der sich gegen Gott und den Menschen erhebt,  - das Princip des Schisma, der Häresie und des Unglaubens, das in Eine Masse zusammenläuft und sich überallhin ergießt, wohin es sich seinen Weg bahnen kann, indem es allenthalben, wo die christliche Gesellschaft schwach wird,  sich Krater öffnet für seinen Strom? Und wie dies seit Jahrhunderten fortgegangen ist, so wird es fortgehen, bis die Zeit kommen wird, "wo das, was aufhält, weggeräumt sein wird"." (S. 66 f)

Es ist auch bei Kardinal Manning vollkommen ersichtlich, dass dieses, "was weggeräumt sein wird", im Kern der Papst und das Heilige Messopfer sein müssen. Denn sie beide stehen für die Menschwerdung des Sohnes Gottes und Sein heiliges Opfer.

Bedenken wir, dass ich hiermit Stimmen aus der Mitte des 19. Jh zitiert habe, die bereits konkret und ernsthaft mit dem Ende umgingen, das kommen muss. Auch wenn uns dieses Ende nicht wie fühllosen Puppen verhängt ist, sondern wie Menschen, die ihr geistliches Ja oder Nein dazu sprechen können, kann doch nach der Prophetie dieses Ende ebenso wenig aufgehalten werden, wenn Gott es zulässt, wie die Kreuzigung Jesu Christi verhindert werden hätte sollen oder dürfen. 

Nimmt man das Bild Kardinal Mannings wortwörtlich, ist die Rolle des Papstes tatsächlich die eines Steines, eines Felsens, der den eigentlichen Felsen und Eckstein Christus für den ganzen Erdkreis stellvertretend sichtbar macht. Dieser Fels ist auf dem Abgrund des Kraters und hielt den "Mega"-Ausbruch der Lava immer noch zurück. Die Kirche ist also geistlich im Ganzen zwar ganz und gar sicher auf Christus gegründet, aber in der Welt steht sie sichtbar wie auf dem Abgrund der Hölle. Ohne den Felsen, den menschgewordenen Sohn Gottes und seinen Stellvertreter, wird sie als sichtbare Kirche nicht die Kraft haben, deren Lavaeruptionen zurückzuhalten.

Nun hat aber schon zuvor die Christenheit, insbesondere in ihren Klerikern und Fürsten als den Verantwortlichen, immer wieder kleinere Eruptionen hervorgerufen. In all diesen Exzessen war das Ende schon spürbar.

Man mag sagen: Ja, das haben Menschen immer gedacht, dass das Ende nahe ist. 
Das ist sicherlich wahr! Denn es war ja immer nahe!

Aber diese beiden Merkmale, die ich hier abhandle, waren bis vor wenigen Jahrzehnten noch nicht gegeben, wurden aber von Zeitgenossen kurz vor der Eruption des Vaticanum II, das wiederum nach den Eruptionen der Oktoberrevolution und des faschistischen Sturmes über der ganzen Welt geschah und eine Fortsetzung der blutigen und geisttötenden Revolutionen, denen natürlich fast immer großes Unrecht vonseiten der Mächtigen vorausgegangen war, über den ganzen Weltkreis nach sich zog, bereits klar erkannt und vorausgesehen.

Niemand belüge sich daher selbst!
Es sind apokalyptische Zustände, in denen wir leben. Und mit ein bisschen Museumsmesse in einer Kotkirche, die bereits Hildegard von Bingen voraussah (in "Scivias"), ein wenig Püppchenspielen mit Mantilla und einstudiertem Demutsgekungel unter gregorianischer Filmmusik wird man der Situation nicht gerecht, sondern verspielt die Aufmerksamkeit der Seelen, wie es mir scheint, für das, was sich abspielt. 
Das Ende vom Lied ist, dass man sich an den geistigen Exkrementengeruch so sehr gewöhnt hat, dass man ihn für Weihrauch-Wohlgeruch hält und glaubt, durch bestimmte Klamotten darüber hinaus sowieso auf der richtigen Seite zu stehen. Diese Verwechslung des Gestanks mit Wohlgeruch wird am deutlichsten in der Verkehrung des katholischen Gehorsams gegenüber dem rechten Papst in allen Dingen hin zum anarchischen Widerstandsprinzip.

Ich will selbstverständlich auf gar keinen Fall damit prinzipiell etwas gegen die Gregorianik oder andere überlieferte Gebräuche oder anständige Kleidung sagen. Es geht mir um die Nachrangigkeit dieser Themen angesichts der Grundsatzfragen, die heute im Raum stehen.
Isoliert in einer "Afterkriche", wie die selige Katharina Emmerick das nannte, können diese äußeren, im guten Zusammenhang sicher gesunden Formen zwingend nur zu Fetischen und Ablenkungsspielen werden. 

In diesem Zusammenhang muss man auch die Tatsache, dass so viele Katholiken, darunter Kardinäle, erst angesichts der Frage nach dem 6. Gebot aufwachen und meinen, "Widerstand" leisten zu müssen, kritisch werten: Warum regt sich der Verstand erst beim 6. Gebot? Warum schlief er selig weiter, als das 1. Gebot endgültig 1970 mit der Liturgiereform eine blutende Wunde erhielt? Das 6. Gebot halten auch die Heiden, sexuelle, also rein leibbezogene "Reinheit" ist ein Lieblingsthema vieler Religionen, deren Götter Dämonen sind - das macht noch längst keinen Katholiken!

So bitter es ist: Wir können nicht zurück in eine Zeit, die es nicht mehr gibt und in der idealisierten Form auch nie gab. Jesus hat uns zu etwas ganz anderem aufgerufen:

"Wenn (all) das beginnt, dann richtet euch auf, und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe. (...) Nehmt euch in Acht, dass Rausch und Trunkenheit und die Sorgen des Alltags euch nicht verwirren und dass jener Tag euch nicht plötzlich überrascht,
(so) wie (man in) eine Falle (gerät); denn er wird über alle Bewohner der ganzen Erde hereinbrechen.
Wacht und betet allezeit, damit ihr allem, was geschehen wird, entrinnen und vor den Menschensohn hintreten könnt.(...)" (Lk 21)

Nach den Worten Jesu hilft uns nur eines aus der Not: Wachen und Beten.
Aufpassen, genaues Beobachten und nüchternes Nachdenken ohne Sophistereien und innere und äußere Verrenkungen. Die Alltagsdinge unbedingt zurückstellen!
Und assoziiert mit dem aufmerksamen Beobachten und Nachdenken nennt der Herr das Gebet. Auch das Gebet soll nüchtern und ohne äußere Verrenkungen geschehen. Nüchternheit. Keine "Trunkenheit", kein "Rausch"! Auch kein frommer traditionalistischer "Rausch"! Keine charismatische "Trunkenheit"! Wissen darum, dass diese Welt vergehen wird und mit ihr liturgische Prachtgewänder, unsere gekonnten Gesänge, der Petersdom und all diese materiellen Dinge, denen der Traditionalismus eine so überaus esoterische Rolle zuspricht vor Gott. Das einzige materielle Ding, der Leib Christi im allerheiligsten Altasakrament, das vor Gott zählt, ist zerbrochen und auf den Sperrmüll gestellt worden. Und die, die es nachts von seinem Platz zwischen dem Trödel "gerettet" haben, haben es nicht an den rechten Ort gestellt. Denn, wie Asarja betet, haben wir keine
"Stätte, an der wir das (...) Opfer (in Einheit mit einem echten Papst in actu) darbrächten".

Das rechte Opfer, das wir bringen können, war und ist immer noch der zerknirschte Geist und eine über die eigene Sünde betrübte Seele und nicht der äußere Kniefall und schon gar kein spezielles Kleidungsstück. Ist die innere Haltung richtig, wird sie auch organische und glaubhafte äußere Formen annehmen. Die äußere Form aber hat schon das Pharisäertum in ein antichristliches Lügengespinst verkehrt. Ganz besonders gerne beim 6. Gebot...

Eine Katastrophe ist die Geste vieler Traditionalistenpriester, die Gläubigen, insbesondere Frauen, mehr oder weniger herablassend belehren zu wollen, wo sie selbst keinen Lehrer mehr haben und ihresgleichen uns die große Apostasie überhaupt erst eingehandelt hat... niemand also unbesehen um seines eigenen Seelenheiles willen einem Priester, nur weil er Priester ist und großartig tut, mehr trauen kann. Wir müssen uns alle gegenseitig mehr als je prüfen und Distanz halten. Es hilft nichts. Der Leib Christi kommt durch all diese Ereignisse zum "vollen Alter", zur "Erwachsenenreife", die sich auszeichnet durch Nüchternheit, Geistesschärfe, Milde und Distanz.

Nun hat aber ausgerechnet Erzbsichof Lefebvre, der sich selbst zum Retter erhoben hatte, systematisch darauf hingewirkt, dass die Gläubigen nicht mehr selbst beobachten und nachdenken. Sie wurden in den Stand unmündiger Kinder zurückgeworfen:

"Lassen Sie dieses Problem (Anm. HJ: der Situation der Kirche) beiseite, es ist ja ein sehr delikates Problem, schwierig, schmerzlich, unter dem alle Gläubigen leiden. Wenn jemand allein mit Ihnen spricht, dann bieten Sie ihm die Lösung der Priesterbruderschaft, das, was man in der Priesterbruderschaft denkt: ‚Das ist die Linie der Priesterbruderschaft in der aktuellen Situation bezüglich des Papstes, der Sakramente, der Messe.‘

Aber machen Sie nicht ständig ein Predigtthema daraus, die Leute könnten so verängstigt werden, und die einen diskutieren: ‚Ah, das hat er gesagt? Aber so trifft es doch gar nicht zu, und dies und das…‘ Das bringt nichts Gutes, es verwirrt die Leute, es führt zu nichts. Was die Leute wollen, das ist die Heiligung, sie wollen durch die Sakramente geheiligt werden, durch das heilige Messopfer.
Sprechen Sie mit ihnen über ihre Probleme, über die persönliche Heiligung.

Das Leben eines Priesters ist ein so außergewöhnliches Leben, ein ganz unerhörtes Leben: die Kinder auf die erste Kommunion vorbereiten, auf die Firmung, sie im Katechismus unterrichten, sie im Glauben bewahren, vielleicht Ordensberufungen, Priesterberufungen vorbereiten. Das ist, so meine ich, die Aufgabe des Priesters, das ist die Liebe, die Kraft Gottes: Gott ist Liebe. Und genau das sollen wir sein."

(Lefebvre, Priesterexerzitien 1980)

Im Klartext: Er hat die Menschen total abhängig gemacht vom Kurs der Priesterbruderschaft. Es ist, als wolle er sagen: Nehmt nur nicht so viel Öl mit auf den Weg, liebe Leute, das braucht ihr nicht, womöglich schadet es euch, wenn es uns, die Bruderschaft, überdauern sollte. Man baut ein Ghetto, ein Museumsdorf, in dem alles auf einen behaupteten historischen Zustand eingefroren wird, ein Dornröschenschloss, und hält die gutgläubigen, in tiefen Schlaf versetzten Menschen dort fest, als ob es keine zerstörte Kirche und Welt um uns her gäbe. Man schwört die Seelen auf Gedeih und Verderb auf sich selbst ein - objektiv unberufen!

Was sollen solche Seelen tun? Sich heiligen ohne Nachdenken? Sakramente empfangen, deren Gültigkeit in ihrer Katholizität zweifelhaft ist? Sich besonders demütig fühlen, weil man Mantilla trägt, auch wenn dieser Vorhang regelrecht zum Symbol für die Situation geworden ist: Er setzt den Gläubigen die Scheuklappen, den Frauen stellvertretend für den Rest der Braut Christi, diese Scheuklappen, die den Gläubigen auf die eigene Heiligung fixiert, weg vom Ganzen, von der mit erhobenem Haupt erwarteten Ankunft des Herrn ablenken soll, denn der Herr kommt nicht in eine Fantasywelt zurück, sondern in die reale Welt, die wir - nach Seinem Befehl, der nicht nur Priester meinte - beobachten und nicht selbstfixiert ausblenden sollen.

"Jeder ging für sich seinen Weg" (Jes. 53, 6)

Oder:

"Ihr habt viel erhofft und doch nur wenig geerntet; und wenn ihr es einbrachtet, blies ich es weg. Warum wohl? - Spruch des Herrn der Heere. Weil mein Haus in Trümmern liegt, während jeder von euch für sein eigenes Haus rennt." (Haggai 1, 9)

Ist es nicht das, was in Lefebvres Worten ungut schwingt? So sehr die Mantillenscheuklappen organisch anderswo Tradition gewesen sein mögen - es ist geradezu zeichenhaft für die Lage, dass die Lefebvristen gerade sie, die nie allgemein vorgeschrieben war, all jenen, bei denen dies nie üblich war, aufschwätzen oder aufzwingen wollen, das liturgisch dagegen vorgeschriebene, priesterliche Birett, das der Priester in bestimmten Teilen der Messe tragen soll, abgelegt und offenbar entsorgt haben. 
Stand die wirkliche und allgemeine Tradition des Biretts nicht einmal für die Überschattung des priesterlichen Hauptes durch den Heiligen Geist? 
Will man das nicht mehr? Hat man sich selbst als Haupt eingesetzt und verschleiert den Gläubigen zum Zwecke der Ideologisierung den Blick?

Man muss sagen, dass die Kirche den Gläubigen die Lage der Dinge zuvor nicht generell verschwiegen hatte, als sie noch Päpste hatte. Mancher Prälat mag da anderer Meinung gewesen sein, aber es war nicht Kurs des Heiligen Stuhls. In aller Offenheit wurden die Dinge debattiert, auch öffentlich verhandelt und verflucht, wenn es sein musste. Einen Ausschluss der Gläubigen aus der Debatte konnte es allein um der Wahrhaftigkeit und Nachprüfbarkeit willen nicht geben!

Wurde ehemals nicht allen eingeschärft, nüchtern und wachsam zu sein?!
Das verblassende Heilige Messopfer aber erklärt all diese Merkwürdigkeiten und Exzesse.

Man fröstelt in der Stille kurz vor dem Weltengewitter.

Dienstag, 24. März 2015

Fest des Heiligen Erzengels Gabriel

Ave Maria...

Der Heilige Erzengel Gabriel bei Maria (Bild urheberrechtlich geschützt)


Gabriel, "Gott ist meine Kraft", einer der Erzengel, ist der Bote Gottes. 
Wo immer er zu Menschen geschickt wird, sagt er ihnen das an: Gott ist meine Kraft, deine Kraft.

Seine berühmtesten Worte beten wir täglich: "Ave Maria, gratia plena, Dominus tecum..." (Gegrüßet seist Du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir....)

Er fährt fort:
"....virtus Altissimi obumbrabit tibi: ideoque et quod nascetur sanctum, vocabitur Filius Dei." (Die Kraft des Allerhöchsten wird dich "überschatten": deswegen wird das Heilige, das geboren wird, "Sohn Gottes" genannt werden.)

Obumbrabit...das heißt eigentlich "verdunkeln", "total verschatten", "verfinstern".
Die Kraft des Allerhöchsten wird Maria zuteil, indem es sie selbst total verdunkelt. Und dies macht sie "gratia plena", voll der Gnade.

Auf vielen Bildern in der abendländischen Künst, die die Verkündigungsszene darstellen, fällt Gabriel deshalb vor Maria auf die Knie. Und oft fällt sie ebenfalls auf die Knie vor Gott angesichts der hohen Berufung und dessen, der von Gott selbst gewürdigt ist, sie ihr anzusagen.

Der mächtige Engel und die kommende Königin des ganzen Himmels, die über allen Engeln und Aposteln steht, neigen sich voreinander, weil jeder im andern den Träger der Kraft des Allerhöchsten erkennt und IHN anbetet, der hier wirkt.

Das wäre unser Vorbild: "Subiecti invicem in timore Christi." (Neigt euch voreinander in der Ehrfurcht vor Christus.) (Eph. 5, 21)

Ja, die beiden größten Heiligen neigten sich voreinander in der Ehrfurcht vor dem kommenden Christus...

Und wir?

Was in uns stark und wahrhaft gut ist, ist der Herr selbst. Wer darauf herabsieht, wer sich dessen bemächtigen will, lästert Gott.
Was aber alleine aus dem Menschen kommt - es sollte ganz und gar verfinstert werden angesichts Gottes!

Donnerstag, 19. März 2015

Der katholische Zombie III: Franziskus und der Ruf nach einem Schisma



Der katholische Zombie III: Franziskus und der Ruf nach einem Schisma

Wer katholische Blogs liest und die Debatten unter den sogenannten „Tradis“ und „Konservativen“ verfolgt, kann feststellen, dass man dort offenbar mit einer Mischung aus Spannung und Abscheu das „Schisma“ herbeisehnt oder aber befürchtet.Die Familiensynode, die im Herbst 2014 in Rom mit einem „Teil I“ begann und innerhalb eines inhaltlichen Gesamtpaketes die Zulassung der sogenannten „wiederverheirateten Geschiedenen“ zur Hl. Kommunion und darüber hinaus die Anerkennung homosexueller Lebensgemeinschaften zum Thema hat, konnte – im Gegensatz zu den wirksamen und zentralen theologischen „Vorarbeiten“ zum gegenwärtigen Desaster – auch noch den letzten Papstschwärmer in Wallungen bringen.



Und nun, nachdem die heilige Kuh der braven Katholiken endlich auch in Rom beim „Heiligen Vater“ angekratzt wurde, das 6. Gebot und all seine Variationen, will man aufstehen „wie ein Mann“ und „Widerstand bis zum äußersten“ spielen, wie Kardinal Burke dies unter dem Beifall vieler Tradis ankündigte.
Was „Widerstand“ oder „Ins-Angesicht-widerstehen“ heißt, kennen wir schon von der Priesterbruderschaft St. Pius X.Es heißt: Aufstand gegen den Papst bei voller Anerkennung seiner Rechtmäßigkeit.

Nun weiß aber jeder beschlagene Katholik, dass niemand das Recht hat, einem rechtgläubigen Papst zu widerstehen, weil er sich sonst einer schismatischen Häresie teilhaftig macht. Davon differenziert werden muss, dass natürlich jeder im Ringen um die Wahrheit einem Papst auch Bedenken gegenüber dessen Verhalten oder Position mitteilen darf. Aber ein ungehorsames, negierendes„Ins-Angesicht-Widerstehen“ kann doch keine dauerhafte, Jahrzehnte währende Haltung gegen den Papst werden!
Dieses differenzierte Wissen wird derzeit gründlich aus den Köpfen der Menschen geätzt. Was zuvor vausschließlich als Zeichen der Progressiven erschien (nota bene: erschien! aber nicht war, wie wir sehen werden), nämlich Ungehorsam gegenüber dem Papst, wird nun von den konservativsten Denkern begründet und gefordert.
Der brillante Historiker Roberto de Mattei schreibt seit einigen Monaten einen Text nach dem anderen, in dem er bei immer neuen Anekdoten und Geschichten aus dem fernen Mittelalter und der Neuzeit nachweisen will, wie einzelne Heilige dem Papst „widerstanden“ haben und letztere „Häresien“ verfallen seien. Inzwischen halten für diese Spiele nicht mehr nur die überstrapazierten Päpste Liberius und Honorius her, denen man keineswegs eine Häresie nachweisen kann. Inzwischen sind viel unscheinbarere Fälle ins Visier der Konservativen geraten. Überschriften wie „Der Widerstand des Heiligen Bruno von Segni gegen Papst Paschalis II.“[1] oder „Ein Papst verfällt der Häresie“[2], „Recht und Pflicht zum Widerstand gegen Hirten, die ihre Pflicht nicht erfüllen“[3] oder „Paul IV. und die Häretiker seiner Zeit“[4] legen nahe, es sei schon immer gewissermaßen kirchlicher Normalfall gewesen, dass das Petrusamt missbraucht wird, um Lehrirrtümer zu etablieren, es aber Gott sei Dank stets wackere Laien oder Ordensleute gegeben habe, die aufgestanden wären,  um dem Lehramt heimzuleuchten.
Sieht man genauer hin, stellt man jedoch fest, dass von all dem keine Rede sein kann. Vielmehr waren gelegentlich auch Päpste bei einer noch offenen dogmatischen Frage anderer Meinung als der Papst, der später ein entsprechendes Dogma formulierte. Das ist allerdings keine Häresie: solange etwas nicht in der Schrift steht oder/und definitiv festgelegt wurde, ist es erlaubt, eine theologische Meinung zu bezweifeln. Insbesondere der Artikel de Matteis, in dem die Meinung eines Heiligen gegen die eines Papstes ausgespielt wird, begeht eine Gratwanderung. So behauptet de Mattei, Papst Johannes XXII. sei einer Häresie verfallen, weil er die seligmachende Schau der Gerechten erst am jüngsten Tag annehmen wollte, obwohl man zu seiner Zeit diesen „Irrtum“ bereits überwunden habe.[5] Unter anderem habe der heilige Thomas von Aquin diesen „Irrtum“ widerlegt.
De Mattei legt den Verlauf des theologischen Streites dar, in dem der französische König dem Papst mit dem Scheiterhaufen gedroht haben soll (was an sich schon eine häretische Grenzüberschreitung war!), weil insbesondere die Theologen der Sorbonne dem Papst widersprachen und ihn als „Häretiker“ bezeichneten, beschreibt, wie Johannes XXII. seiner privaten Meinung auf dem Totenbett abgeschworen habe und wie sein Nachfolger, Benedikt XII. die seligen Schau der Gerechten nach dem Fegefeuer und vor dem Jüngsten Gericht dogmatisiert habe. Er fährt dann fort mit der Bemerkung:

Nach diesen doktrinellen Entscheidungen ist die von Johannes XXII. behauptete These eindeutig und formell als häretisch zu betrachten, auch wenn sie zum Zeitpunkt, als der Papst sie vertrat, noch nicht als Glaubensdogma definiert war. Der heilige Robert Bellarmin, der sich umfassend mit diesem Fall in De Romano Pontifice (Opera Omnia, Venedig 1599, Lib. IV, cap. 14, coll. 841-844) befaßte, schreibt, daß Johannes XXII. eine häretische These mit der Absicht vertrat, sie als Wahrheit den Gläubigen aufzuzwingen, aber starb, bevor er sie als Dogma definieren konnte und ohne durch sein Verhalten den Grundsatz der päpstlichen Unfehlbarkeit anzugreifen. Die heterodoxe Lehre Johannes XXII. war sicher ein Akt des ordentlichen Lehramtes, der den Glauben der Kirche betraf, aber er war nicht unfehlbar, weil ihm alle dafür notwendigen Merkmale fehlten.“

Dieser Schluss entbehrt nicht der Absurdität: wenn der Satz noch nicht dogmatisiert war, kann es auch keine Häresie gewesen sein, ihn privat zu vertreten. Wenn Johannes XXII. den Satz nicht dogmatisiert hat, kann man auch nicht behaupten, weil er es aber möglicherweise vorgehabt habe, habe er es auch schon „getan“. De Mattei, so gewinne ich den Eindruck, will auf Biegen und Brechen „häretische“ Päpste nachweisen, um keine unangenehme Entscheidung treffen zu müssen darüber, ob das Gebilde, das er für die Kirche hält, überhaupt noch die Kirche ist.
Mit demselben Argument wären nämlich auch die hl. Caterina von Siena und der heilige Thomas von Aquin Häretiker – auch wenn sie keine so aggressiven Gegner hatten wie der Papst Johannes XXII.
Wir wissen nämlich, dass einige Heilige Meinungen hatten, die nicht vom Lehramt bestätigt oder vertieft, sondern irgendwann sogar definitiv abgelehnt wurden. In manchen Fällen haben Heilige offenbar sogar falsche Visionen gehabt. Berühmt ist der Fall der hl. Caterina von Siena, der die Gottesmutter offenbart haben soll, dass sie nicht unbefleckt empfangen worden sei. Das entsprechende Dogma wurde erst 1854 ausgesprochen. Aber auch der heilige Thomas von Aquin lehnte diese Überzeugung damals ab. Er glaubte, Maria sei im Mutterleib gereinigt worden, aber nicht unbefleckt gezeugt und empfangen.[6]
Caterina und der Doctor angelicus mussten also trotz ihrer Heiligkeit eindeutig zurückstehen. Aber niemand käme auf die irrige Idee, sie deswegen rückwirkend als „Häretiker“ zu bezeichnen.
Roberto de Mattei führt ein weiteres Beispiel an, an dem wir allmählich der Problematik des gesamten Traditionalismus auf die Spur kommen: Leo XIII. und seine Railliement-Politik seien als „Pastoral“ von der eigenen „Doktrin“ abgerückt.[7]Sein Fazit ist, Leo XIII. habe einen „schweren Fehler“ eingeleitet, der die gesamte Kirche in die Problematik gerissen habe, die wir nun heute, nach dem Vaticanum II, vorfänden. Der Laienheld de Matteis ist in diesem Falle Jean Madiran, der rückwirkend angeblich besser gewusst habe als der Papst, wie man zum Royalismus zu stehen habe. Hier wird ganz deutlich, dass der neuere Traditionalismus, der sich die „Glaubenstreue“ auf die Fahnen geschrieben hat, sogar in ganz gravierenden Dingen vom katholischen Glauben, der den Primat des Papstes bekennt, abgerückt ist, bis tief hinein in einzelne Lehren der Päpste, denen sie nicht bereit waren und sind, im Gehorsam zu folgen. Und dies lange vor dem Vaticanum II. De Mattei behauptet, Leo XIII. antimonarchistische Politik sei demnach auch gescheitert, und erst Pius X. habe sich durchsetzen können mit einer Restauration der wahren katholischen Politik, die sich der Welt nicht öffnen wollte, so, als sei eine Monarchie nicht die „Welt“ gewesen…:

„Der Geist des ralliement, des Anschlusses an die moderne Welt, blieb für mehr als ein Jahrhundert, und bleibt auch weiterhin, die große Versuchung, der die Kirche ausgesetzt ist. Unter diesem Aspekt beging ein Papst von so großer Doktrin wie Leo XIII. in der pastoralen Strategie einen schweren Fehler. Im Gegensatz dazu steht die prophetische Kraft des heiligen Pius X. in direkter Übereinstimmung mit seinem Pontifikat zwischen der Wahrheit des Evangeliums und dem gelebten Leben der Kirche in der Welt, zwischen der Theorie und der Praxis, zwischen der Doktrin und der Pastoral, ohne jedes Nachgeben gegenüber den weltlichen Schmeicheleien."

Zu diesem Statement muss ich anmerken, dass die artifizielle Unterscheidung des Wirkens Leos XIII. in eine „pastorale Strategie“ und „große Doktrin“ seltsam wirkt, hat doch Leo seine Kritik am Machthunger der abendländischen Kaiser noch am Ende seines Pontifikats mit Abscheu lehramtlich und keineswegs nur „pastoral“ ausgesprochen:


„So hatte sich der traurige Hass gegen die Braut Christi von einem Jahrhundert auf das andere vererbt, als das Kaisertum in die Geschichte eintrat. Argwöhnisch und gewalttätig, eifersüchtig auf fremde Größe, mochte auch die eigene noch so viel durch sie gewinnen, richtete es einen Angriff nach dem andern gegen die Kirche, suchte es ihre Freiheit zu knebeln, ihre Rechte sich selber anzumaßen.“
[8]

Weiter muss man sich angesichts des abendländischen Papsttums über die Jahrhunderte hin fragen, wie viel Realitätssinn de Mattei eigentlich noch gewahrt hat: die Verschränkung mit der Welt ist seit Konstantin durchgehendes Problem der Kirche gewesen und durchaus nicht von Leo XIII. erfunden worden.
Es ist darüber hinaus nicht rechtens, Leos Handeln, wie de Mattei fortfährt, gegen dasjenige Pius X. auszuspielen und letzterem einen Erfolg zuzusprechen, der angeblich dessen Güte beweise, ganz im Gegensatz zur „pastoralen Strategie“ Leos XIII. Diese Auffassung lässt sich auch objektiv nicht nachvollziehen, denn Pius X. scheiterte letztendlich in Frankreich, was den Status der Kirche betrifft, noch viel mehr als Leo XIII. Man könnte kritisch sagen, dass Pius X. mit großem Eifer und unerbittlicher Strenge auftrat, aber gerade damit auch seinen Misserfolg eingeleitet hat. In Deutschland knickte derselbe heilige Papst ein, als es darum ging, den deutschen Hochschultheologen ebenso wie allen anderen Klerikern den ansonsten so verbittert und rigoros jedem Kleriker aufgezwungenen „Antimodernisteneid“ abzufordern:

„Nach heftigen Auseinandersetzungen konnten die deutschen Bischöfe, in diesem Anliegen vom Nuntius Frühwirth unterstützt, durchsetzen, dass der Papst die Theologieprofessoren an staatlichen Universitäten von der Eidesleistung dispensierte.“
[9]


Die deutschen Hochschulen waren es am Ende, von denen wesentliche Einflüsse auf das Vaticanum II zu bemerken waren… Pius X. war hier also keineswegs erfolgreicher als sein Vorgänger und ging auf seine Weise offenkundig ebenso Kompromisse ein, wo es ihm opportun erschien. Alleine die Tatsache, dass Benedikt XV. die rigorose Politik Pius X. nicht in dieser Art weiterführte und viele Geistliche zwar eiskalt den „Antimodernisteneid“ schworen, aber in den Herzen damit eine um so schlimmere Abkehr von dem von Pius X. vorgesehenen Weg ausgelöst wurde, der sich wie in einer Explosion im Vaticanum II Bahn brach, würde ich nicht als „Erfolg“ ansehen wollen, der nur an einer freimaurerischen Verschwörung, die über den Staatssekretär Rampolla eingeflossen sei, scheiterte, wie man es in Traditionalistenkreisen gewöhnlich vorgesetzt bekommt – freilich stets ohne objektive Beweise für diese Behauptungen. Es bleibt bislang bei Vermutungen und Spekulationen.
Man kommt eher auf den nüchternen Gedanken, dass sich in diesem Misslingen eine große Tragik abgespielt hat, in deren Tiefen aus Gründen, die nur der Herr selbst weiß, der Blick verwehrt ist.
Hinzu kommt, dass Pius X. andererseits ganz und gar kein Royalist war. Er bekannte sich wie seine Vorgänger auch gemäß der thomistischen Vorgabe zu der Rechtmäßigkeit verschiedener Staatsformen, zu denen er - trotz Kritik an einer bestimmten Art von „Demokratie“ (womit er anscheinend total laizistische oder sozialistische Regierungsformen meinte) - auch die Demokratie zählte:


„Wir brauchen nicht zu beweisen, dass die Heraufkunft der allgemeinen Demokratie keine Bedeutung für das Wirken der Kirche in dieser Welt hat; Wir haben bereits daran erinnert, dass die Kirche es immer den Nationen selbst überlassen hat, sich die Regierungsform zu geben, welche sie für ihre Interessen als die günstigste halten. Wir wollen nur noch einmal, wie Unser Vorgänger, bekräftigen, dass es ein Irrtum und eine Gefahr ist, den Katholizismus grundsätzlich völlig einer Regierungsform zu verschreiben: ein Irrtum und eine Gefahr, die umso größer sind, wenn man die Religion mit einer Art von Demokratie verbindet, deren Lehren falsch sind.“
[10]

Es ist also ersichtlich, dass Pius X. mit diesen Sätzen den Katholizismus – nota bene – gerade nicht „völlig einer Regierungsform verschreiben“ will, was nicht nur Distanz zur Demokratie, sondern zu jeglicher Regierungsform einnimmt, auch der Monarchie. Demselben Kurs folgte auch Pius XI. ausdrücklich.[11] Ebenso hat Pius IX. nirgends verkündet, nur die Monarchie sei eine göttliche Staatsform. Die Lehre des Thomas von Aquin, die selbst allerdings darin ja nicht dogmatisiert ist, sondern eine theologische Meinung darstellt, erkennt in einem gerechten König die idealste Herrschaftsform, in einer ungerechten Monarchie aber auch die bösartigste Regierungsform. Weitere Formen lehnt er nicht ab, auch wenn er sie für etwas weniger ideal hält.
Woher de Mattei so zu seiner Stellungnahme kommt, muss man sich fragen, denn er stellt sich damit zwar auf die Seite politisch reaktionärer Traditionalisten, die mit einer unglaublichen Energie ihre politischen Lehren für echt katholisch ausgeben, damit aber gegen den Kurs aller Päpste seit Pius IX. bis mindestens Pius XII. zwar nicht dem Papst „ins Angesicht“, aber faktisch und hintertupfig widerstanden: es ist eben, wie Pius X. es sagte, gerade nicht Sache des Katholiken, sich an einer Staatsform abzuarbeiten!
Wenn Pius X. die Demokratie durchaus anerkannte als legitime Staatsform, muss man sich fragen, wieso ein reaktionärer Prälat wie Robert Mäder, der heute noch von Piusleuten als „Glaubenszeuge“ verehrt wird, schäumend die Demokratie pauschal verteufelte – und dies längst nach Leo XIII. oder Pius X..
Ist es dem großen Pius X. entgangen, dass nicht nur das, was er „Modernismus“ nannte, eine wahre Schlangengrube an theologischen Fallstricken barg? Auch das, was sich glaubenstreu gab, barg heimtückisch letztendlich dieselben Fallstricke. Der Ungehorsam und die Besserwisserei kamen auch und gerade aus dem reaktionären Lager.
Es ist eine Tatsache, dass der Kirche ausgerechnet in den Erben der reaktionären Strömungen eine fratzenhafte Zementierung dessen entgegenschlägt, was einst als Modernismus bezeichnet wurde. Eines der modernistisch-reaktionären Erbstücke ist dieser Wahn, man müsse, dürfe, könne dem rechtgläubigen Papst „Widerstand leisten“. Und dieser Widerstand enthält wiederum ungezählte Irrlehren und irrelevante Meinungen, die zur „Tradition“ erhoben werden, so dass die Verwirrung vollkommen geworden ist.

Neben de Mattei und der FSSPX-Position gibt es einige Spielarten von konzilskirchlichem Traditionalismus, der vor allem die alte Messe wieder haben will, aber das Vaticanum II und die nachkonziliaren Päpste anerkennt und in ihren Absichten verkennt. Das wurde am deutlichsten an der Begeisterung nach dem berühmten Motu proprio „Summorum pontificum“ von Benedikt XVI., dessen zentrale Botschaft von ihnen allen ignoriert wurde: Benedikt XVI. wollte nicht die alte Liturgie wieder etablieren, sondern freigeben, um sie mit dem Neuen Ordo zu konfrontieren und zu amalgamieren hin zu einer Reform der Reform Pauls VI.

Neben diesen Alte-Messe-Liebhabern gibt es eine große Bandbreite an kirchlichem Konservativismus, der vor allem die tradierte Lehre zur Familie ins Zentrum der Wahrnehmung rückt und von dieser Frage aus die Vorgänge in und außerhalb der Kirche beurteilte. Diese Position folgt(e) Paul VI. mit Begeisterung und Vertrauen in die neue Liturgie, weil er doch auch „Humanae vitae“ geschrieben habe, wo die künstliche Verhütung abgelehnt wird. Ein ähnliches Vertrauen brachten viele Johannes Paul II. entgegen, ohne allerdings zu bemerken, dass seine „Theologie des Leibes“, die den Menschen zentral als „Körper unter Körpern“ versteht, unmerklich die tradierte Lehre von der Natur und Übernatur, freilich in wohlmeinender Absicht, damit die „sexuelle Revolution umzukehren“, verschoben hat.[12]
Diese konservativen kirchlichen Katholiken haben sich jahrzehntelang damit getröstet, dass die Päpste ja das Rechte wollten und nur Bischöfe, Priester oder Laien renitent seien. Unterstützt wurde diese Meinung durch inflationäre Botschaften und Erscheinungen, wie sie Don Gobbi, Medjugorje u.a. massiv unters Kirchenvolk brachten. Man hielt zum Papst, der einen Märtyrerstatus erhielt, obwohl er alles, nur dies nicht war, und verschanzte sich selbstmitleidig in ein „Wir-und-der-Heilige-Vater-gegen-die-Laien-und-Progressiven“ hinein.

Die vielfältigen Verzweigungen der Sedisvakantisten können hier nicht vertieft werden. In einer gewissen Hinsicht sind sie aber aus systematischen Gründen die einzigen, die hinsichtlich des unbedingten päpstlichen Primates konsequent sind. Und deswegen werden sie von allen anderen Traditionalisten jeglicher Färbung tabuisiert und skandalisiert.
Diese Gemengelage wurde erschüttert durch die Vorgänge seit 2013: Mit dem merkwürdigen Rücktritt Benedikts XVI., dem vatikanischen Homosexuellen-Skandal kurz vor seiner Abdankung und den total verwirrenden Aussagen seines Nachfolgers Franziskus zum Thema „6. Gebot“ ist nun große Panik ausgebrochen.
Die Familiensynode bestätigte die schlimmsten Befürchtungen: Franziskus will, indem er Kardinal Kasper und seine „Theologie auf Knien“ vorschiebt, das Ehesakrament und die Unauflöslichkeit der Ehe aufweichen, homosexuelle Lebensgemeinschaften anerkennen und installiert offene homosexuell lebende Bischöfe in seinem Gefolge.
Plötzlich finden sie irgendwie wieder zusammen, die Traditionalisten der FSSPX und die konzilskirchlichen Alte-Messe-Liebhaber und Neokonservativen und entdecken gemeinsam, dass man dem Papst „widerstehen“ muss „bis zum Äußersten“, wie Kardinal Burke heroisch angekündigt hat. Enthusiasten erwarten den Zusammenschluss aller „Traditionsverbundenen“ angesichts des Sexthemas. Bisherige Differenzen scheinen gleich zu sein.

Nun hat sich auch wieder der vagante Monsignore Williamson gemeldet, und man streut das Gerücht, er werde demnächst Bischöfe weihen. Gerade er ist sogar ein Spezialist in Sachen „Widerstand gegen den Papst“. In gebetsmühlenhafter Wiederholung kreist er in seinen „Eleison-Kommentaren“ um die Frage, was kirchliche Unfehlbarkeit im Gegensatz zur päpstlichen Unfehlbarkeit sei.

Im endlosen Looping um diese Frage ist er im Jahr 2014 endlich beim förmlichen Widerspruch zur Definition des Vaticanum I gelandet:

„Zweitens wissen wir vom maßgebenden Text über die Unfehlbarkeit, von der Definition des wahrlich katholischen ersten Vatikanischen Konzils (1870), daß die päpstliche Unfehlbarkeit von der Kirche kommt, und nicht umgekehrt.“
[13]


Was steht dagegen in der dogmatische Konstitution „Pastor aeternus“ des Vaticanum I von 1870?


„Wir lehren also und erklären: Nach den Berichten des Evangeliums wurde der Jurisdiktionsprimat (Regierungsvorrang) über die ganze Kirche Gottes von Christus dem Herrn unmittelbar und direkt dem heiligen Apostel Petrus verheißen und übertragen. (…)

Irrige Ansichten zu dieser ganz eindeutigen Lehre der Heiligen Schrift, die die katholische Kirche allezeit auch in diesem Sinn verstanden hat, stehen in offenem Gegensatze gewisse verwerfliche Ansichten, deren Vertreter die von Christus dem Herrn seiner Kirche gegebene Regierungsform umstürzen wollen, indem sie leugnen, dass Petrus allein vor den übrigen Aposteln - und zwar vor jedem einzelnen wie vor ihrer Gesamtheit - von Christus mit dem wahren und eigentlichen Jurisdiktionsprimat ausgerüstet wurde; oder indem sie behaupten, der Primat sei nicht unmittelbar und direkt dem heiligen Petrus selbst, sondern der Kirche übertragen und erst durch die Kirche an Petrus als ihren Diener weitergegeben worden werden verurteilt.“

Vaticanum I: Es ist Irrlehre zu behaupten, „der Primat sei nicht unmittelbar und direkt dem heiligen Petrus selbst, sondern der Kirche übertragen.“
Williamson: Das Vaticanum I habe gelehrt, dass „die päpstliche Unfehlbarkeit von der Kirche kommt, und nicht umgekehrt“.


Damit sollte Msgr. Williamson eigentlich als Häretiker entlarvt sein, dessen Meinung nach dem Vaticanum I ausdrücklich „verurteilt wird“. Er behauptet dies nämlich hartnäckig und seit Jahren im Looping-Modus immer konzentrierter und widerspricht damit nicht nur dem Dogma, sondern er behauptet auch noch, seine Umkehrung sei die eigentliche Lehre.

Die dogmatische Konstitution verlangt von allen Klerikern und Laien, dem Papst den schuldigen Gehorsam zu erweisen, nicht nur in Glaubens- und Sittenfragen:


„Wir lehren demnach und erklären, dass auf Anordnung des Herrn die römische Kirche über alle andern Kirchen den Vorrang der ordentlichen Gewalt besitzt und dass diese wahrhaft bischöfliche Regierungsgewalt des römischen Papstes [die Untertanen] unmittelbar erfasst. Ihr gegenüber sind daher die Gläubigen und die Hirten jeglichen Ritus und Ranges, und zwar sowohl einzeln wie in ihrer Gesamtheit, zu hierarchischer Unterordnung und zu wahrem Gehorsam verpflichtet. Und das nicht nur in Fragen des Glaubens und des sittlichen Lebens, sondern auch in allem, was zur Disziplin und zur Regierung der Kirche auf dem ganzen Erdenrund gehört.“
[14]

Diese Anordnung, die eindeutige, unfehlbare Lehre ist, erlaubt die Bocksprünge, die man durch Lefebvres Irrlehren in Piuskreisen ebenso wie bei Bischof Williamson, aber auch unter Progressiven und Modernisten antrifft, zuletzt in de Matteis unsäglichen Artikeln, absolut nicht! Es ist abwegig zu glauben, uns sei eine solche Regel vorgeschrieben worden, wenn sie uns zwänge, dem Papst in stets zu erwartende Fehlhaltungen und Irrtümer folgen zu sollen.Die Konstitution verheißt demgegenüber dem Gehorsamen nur die besten Früchte, die vor dem Schiffbruch im Glauben bewahren sollen.

„Wenn diese Einigkeit mit dem römischen Papst in den rechtlichen Gemeinschaftsbeziehungen wie im Bekenntnis des gleichen Glaubens treu bewahrt ist, so wird die Kirche Christi wirklich zu Einer Herde unter Einem obersten Hirten (15) Das ist die katholische wahre Lehre: Von ihr kann niemand abgehen, ohne an seinem Glauben und an seinem Heil Schiffbruch zu leiden.“
[15]

Das Vaticanum I ging noch viel weiter, als wir es wahrhaben wollen. Nicht nur die Ambitionen moderner, laizistischer Staaten, die eine Bevormundung der Kirche im jeweiligen Staat anstrebten, sondern auch die Ambitionen mittelalterlicher und neuzeitlicher Monarchen, geistliche Häupter zu sein, die als Schutzherren und Befehlshaber der (nationalen) Kirche auftreten dürften, in der irrigen Meinung, sie hätten dem Papst auch nur irgendetwas vorzuschreiben oder in seinen Machtbereich hineinzuregieren, werden ausdrücklich in dieser Konstitution verworfen:

„Aus dieser obersten Regierungsgewalt des römischen Papstes über die Gesamtkirche ergibt sich sodann sein Recht mit den Hirten und Herden der ganzen Kirche frei in Ausübung dieses seines Amtes zu verkehren, um sie auf dem Weg des Heiles belehren und führen zu können. Deshalb verurteilen und verwerfen Wir entschieden jene Ansichten, die es für erlaubt hinstellen, den Verkehr des Oberhirten mit den Hirten und Herden zu verhindern, oder die ihn der Aufsicht der weltlichen Gewalt unterwerfen wollen.“
[16]

Leo XIII. befand sich also auch vom Vaticanum I her gesehen völlig auf dem Boden der überlieferten Lehre – auch in der „pastoralen Strategie“. Nur weil die Katholiken mit ihrem unkatholischen Monarchismus den Zorn der Republikaner verschärft hatten, kann wohl schwerlich geschlossen werden, der Royalismus sei wahr. De Mattei entgeht, dass er hier selbst eine rein strategisch Argumentation in eine geistliche verkehrt. Es gibt nur einen Schluss: der Monarchismus ist nicht katholisch, sondern einfach eine politische Ideologie, die sich die Kirche zu Recht nicht zu eigen gemacht hat. Die Kirche ging mit der Monarchie als einer lange währenden empirischen Tatsache, zumindest im Abendland, genauso alltäglich um wie mit der Demokratie.


De Mattei will mit dieser Anekdote aus der Regierungszeit Leos XIII. vor allem beweisen, dass nicht erst das Vaticanum II heterodoxieverdächtige "pastorale Lehren" aufgestellt habe, sondern bereits Leo XIII. dies getan habe. Das ist mehr als gewagt.
Wird es also wegen des 6. Gebotes zu einem „Schisma“ kommen? Hülfe es etwas, wenn es zu einem „Schisma“ käme?
Haben wir nicht jetzt schon eine komplexe schismatische Struktur, die es nicht leicht zu erkennen gibt, wer von wem abgefallen ist? Nicht zu vergessen seien dabei die alten Schismen der Ostkirchen und die unübersichtliche Zersplitterung der protestantischen Häresien, die missionieren und einen großen Zulauf in der Welt haben und in deren Sammelbecken sich viele gutwillige, aber nicht besser belehrte und in gewissem Sinn schuldhaft von häretischen Helden der Vergangenheit "verbogene" Christen-Menschen finden.
Sind die Rombesetzer nicht selbst auch lehrmäßige Schismatiker? Ist die FSSPX nicht aufgrund ihrer Anhänglichkeit an den Papst bei totalem Ungehorsam ebenfalls alleine schon aus systematischen Gründen schismatisch? Und erst recht der stolze Williamson, der sogar in mehrfacher Hinsicht in Brüchen lebt?
Wie viele weitere Schismen verkraften wir in dieser Lage noch?
Wollen wir mit Kardinal Burke und Kardinal Müller, die das Vaticanum II anerkennen, mit Bischof  Fellay, dem Weihbischof Athanasius Schneider und dem Häretiker Williamson schismatische, altrituelle Reigen tanzen, geeinigt auf ein paar genderfeindliche, antifeministische und "antimodernistische" Schlagworte und prachtvolle Messgewänder? Wohin würde das führen? und vor allem: Ist es das, was der Herr will?
Die Lage ist nach menschlichem Ermessen nicht nur intellektuell, sondern auch praktisch vollkommen aussichtslos.
Wäre nicht Christus der Herr des Alls, wir müssten verzweifeln. Wäre der Himmel über uns nicht bevölkert von Heerscharen göttlicher Boten und unter der königlichen Mitherrschaft der Gottesmutter, wer würde um uns weinen und flehen?
Wir um uns selbst?
Wir sind alle so unrein geworden in diesem Kampf. Jeder steht unter der Gefahr, sich über die Maßen zu beflecken. Es ist der Finsternis kaum auszuweichen oder in angemessener Weise zu widerstehen in unseren lumpigen, papstlosen Gewändern.

Salve, Regina,
mater misericordiae;
vita, dulcedo et spes nostra, salve.

Ad te clamamus, exsules filii Evae.
Ad te suspiramus,
gementes et flentes in hac lacrimarum valle.
Eia ergo, advocata nostra,
illos tuos misericordes oculos
ad nos converte.
Et Jesum, benedictum fructum ventris tui,
nobis post hoc exsilium ostende.
O clemens, o pia, o dulcis Virgo Maria.

© by Hanna Maria Jüngling



[1] Am 4. März 2015: http://www.katholisches.info/2015/03/04/der-widerstand-des-heiligen-bruno-von-segni-gegen-papst-paschalis-ii/
[2] Am 29. Januar 2015:  http://www.katholisches.info/2015/01/29/ein-papst-verfaellt-der-haeresie/
[3] Am 5. November 2014: http://www.katholisches.info/2014/11/05/recht-und-pflicht-zum-widerstand-gegen-hirten-die-ihre-pflicht-nicht-erfuellen/
[4] Am 17. Februar 2015: http://www.katholisches.info/2015/02/17/paul-iv-und-die-haeretiker-seiner-zeit/
[5] http://www.katholisches.info/2015/01/29/ein-papst-verfaellt-der-haeresie/
[6] https://charismatismus.wordpress.com/?s=katharina+von+siena referiert dort das Standard-Werk von Auguste Poulain „Handbuch der Mystik“
[7] http://www.katholisches.info/2015/03/18/der-ralliement-von-leo-xiii-eine-pastoral-die-von-der-doktrin-abrueckte/
[9] Peter Neuner: Vor 100 Jahren: Einführung des Antimodernisteneides. Manuskript des Münsteraner Forums für Theologie und Kirche, 1.9.2010. S. 8, abgerufen am 18.3.2015 auf http://www.theologie-und-kirche.de/neuner-antimodernisteneid.pdf
[10] Apostolisches Schreiben „Notre Charge apostolique“ 1910 auf http://www.kathpedia.com/index.php?title=Notre_charge_apostolique_%28Wortlaut%29
[12] Johannes Paul II: Körper unter Körpern Grundlegung zu einer Theologie des Leibes. Am 18.3.2015 abgerufen auf http://www.ojc.de/index.php?id=381

[13] Eleison-Kommentar vom 13. September 2014. Abgerufen am 18.3.2015 auf http://eleisonkommentar.blogspot.de/2014/09/ec-374-fehlbare-papste.html
[14] Vaticanum I „Pastor aeternus“ (1870), abgerufen auf http://www.kathpedia.com/index.php?title=Pastor_aeternus_%28Wortlaut%29 am 18.3.2015

[15] A.a.O.
[16] A.a.O.