Wo
ist die Natur? — Tagebuch einer Suche: Das runde Quadrat
„Leben nach der Natur“ (…) ist nur dann
ein Ideal, wenn man nicht sehr viel über die Natur weiß, sie vielleicht aus
einer verklärenden urbanen Perspektive sieht.“
Marco
Frenschkowski in einem Vortrag 2019[1]
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Schon die
Stoiker stellten fest, dass jede Welt einen Widerspruch in sich trage. Ein
Leben nach der Natur stieß sowohl in der Realität als auch in den Gedanken
stets auf Grenzen, auf Ungereimtes, Unreimbares.
Wie im vorigen
Eintrag schon ausgeführt, war es nicht möglich festzulegen, was denn wirklich
„natürlich“ (und darum „gut“) und was unnatürlich (und darum „schlecht“) sei.
Der Mensch
erlebt sich als Naturwesen und erleidet genau diese Disposition bis in alle
Konsequenzen hinein. Er schwankt hin und her: das Leid, das Unglück, die
Krankheit, die Bosheit, den Tod erklärt er sich mal als „natürlich“, mal als
„unnatürlich“. Etwa: Krank werde man natürlicherweise oder eben nur dann, wenn
man nicht natürlich lebe — aber tausend Einzelfälle zeigen uns, dass dieser
schlichte Gedanke nicht richtig sein kann. Und die vielen, die behaupten, der
„Tod gehöre zum Leben“ werden dennoch nicht glatt damit fertig, wenn der Tod in
ihre Mitte tritt. Sie sagen: Die Trauer gehört auch dazu. Aber wir spüren, dass
etwas nicht stimmig ist: der Tod als Verwandlung mag ja zu einer guten Natur
gehören, so wie wir es bei gelungener Entfaltung erleben, den Abschieden, die
uns auf neue Stufen heben. Wir sehen aber beim Tod nur Kälte, Schmerz und Zerfall
und keine „neue Stufe“. Er geschieht nicht positiv, sondern vor den Augen gewaltsam
und immer als ein Sichauflösen ins Vage und Nebulöse, ein destruktiver Prozess oder ein Zurücklassen zuvor
als höchst wertvoll angesehenen Zustandes. Ob wirklich „die Seele unabhängig
vom Körper“ weiterlebt bzw weiterleben kann, hat noch keiner gesehen. Es ist
eine blanke Behauptung, die man kritisch sehen kann. Der Leib-Seele-Dualismus
wird kaum durch empirische Erfahrung nahegelegt, kann also auch ein falscher
Trost, eine Fiktion sein.
In der Natur
kommt alles mögliche vor: anything goes.
A und nonA
lassen sich natürlicherweise auffinden. Ein „Sittengesetz“ ergibt sich nicht
aus der Natur. Alles, was uns „natürlich“ erscheint, kann entzaubert werden.
Und nicht selten lernen wir Kulturen kennen, in denen das, was wir als
„natürlich“ ansehen, als „unnatürlich“ gilt und umgekehrt. Eine Entscheidung
darüber, was davon nun das Gute ist, ist nicht einfach.
Es ist
natürlich zu hassen … und zu lieben.
Es ist
natürlich zu hegen und zu pflegen … und zu zerstören und zu töten.
Es ist
natürlich, nach Macht zu streben … und sich unterzuordnen um anderer willen.
Ähnliche
Feststellungen finden wir im Buch Kohelet im Alten Testament.[2]
Zurück bleibt
die Flucht in „Naturgesetze“, in das, was sich erfolgreich zu wiederholen
scheint, aber meine Skepsis gegenüber diesem Gedanken habe ich bereits
formuliert. In der Tat können wir daraus, dass der Stein, den wir fallenlassen,
bisher immer nach unten fällt, nicht schließen, dass er morgen auch noch nach unten
fallen wird: eben das wissen wir nicht. Wir vermuten es nur aufgrund einer
mechanistischen Auffassung der Dinge. In anderen Ländern levitieren sich heilige
Männer ohne mechanische Hilfen und fallen nicht zu Boden. Jesus ging über das Wasser. Es ist kein Schwindel, diese Dinge sind vielfach bezeugt worden: in die
Naturgesetze passt das jedenfalls nicht hinein, was immer dem zugrunde liegen
mag!
Das gesamte
„Kontingent“ an Widersprüchen der Natur ist von alters her anwesend, spürbar
und bricht wie ein Vulkan mal an dieser, mal an jener Stelle des Weltenberges
aus. Es ist nicht „früher“ alles „mehr im Lot gewesen“, weder das Klima noch sonst irgendetwas:
„Doch frag nicht: Wie kommt es, dass
die früheren Zeiten besser waren als unsere? Denn deine Frage zeugt nicht von
Wissen. (Kohelet 7,19)
Ist also doch alles relativ?
Nun kommt das Aber, das große Aber:
Nun kommt das Aber, das große Aber:
Die
Vorstellung vom Guten ist ebenfalls natürlich. Das Gute als ein in sich reines,
schlüssiges, eben nicht von Widersprüchen geplagtes Ding. Diese Vollkommenheitsvorstellung geht offenkundig auch aus der Natur hervor, auch wenn sie sie nicht mehr realisieren kann. Wir wissen es, dass
diese Natur verrückt ist aus einem vollkommenen Zustand und deshalb dieses irrlichternde
„anything goes“ erzeugt. Und wir wissen im Grunde sehr genau, dass Chaos nicht dasselbe
ist wie Vielfalt. Wir leben aber in einer Zeit, die durch mutwillige Erzeugung
von Chaos suggeriert, es handle sich um Vielfalt und „Buntheit“. Es ist ein
Unterschied zwischen der feinen Abgestimmtheit der Farben in der Natur und dem
scheckigen Gewand des Schelms, der diese gute Farbigkeit als grelle,
aufreizende „Buntheit“ konterkariert und verhöhnt mit dem Ziel, alles am Ende in
Graustufen zu bannen.
Immer wieder
haben Menschen sich ausgedacht, wie man das offenkundig Verrückte, aus den
Fugen Geratene zurechtrücken kann und sind dabei immer gescheitert. Jede Kultur
und jede Zivilisation zerbrach am Ende daran, dass der Mensch sich irrte oder
beirren ließ über eine behutsam zurechtgerückte Natürlichkeit.
In immer neuen
Festlegungen darüber, was „natürlich“ sei und zugleich dem kritisch
reflektierten Wahn über die eigene Schuld an der Abweichung der natürlichen
Natur von dem Konstrukt, das wir uns von der Natur machen, erliegt der Mensch
einem echten Wahn:
Wir leben in
einer Zeit, in der Menschen, medial manipuliert, im Hochsommer nachts erwachen
und sich darüber wundern, dass es in dieser Jahreszeit heiß ist. Es klingt wie
eine Eselei und ist auch eine, aber es ist die Ausgeburt der manipulierten
Kultur:
Sie glauben
tatsächlich, dass das früher nicht so war und die Hitze des Sommers wie ein
Brand über sie kommen wird. Auch wenn fast alle Weihnachten meines Lebens hier
am Ort grüne Weihnachten, teilweise bei knapp 20° C waren: der Zeitgenosse
glaubt fest und steif, „früher“ seien alle Weihnachten „weiß“ gewesen, weil
vielleicht einmal in 30 Jahren wirklich etwas Schnee lag in Karlsruhe oder sie
ihren Skiurlaub auf dem Dobel verbracht haben, wo wirklich öfters (aber nicht
immer!) Schnee liegt und lag. Weil man es ihnen propagandistisch so unterjubelt,
glauben sie es. Im Klartext: sie rennen Fabeln nach und leugnen das, was sie
selbst doch so penetrant messbar gemacht haben. Ihre Welt klirrt in Messwerten
und Grenzwerten, und doch ignorieren sie am Ende die realen Messwerte, wenn sie
dem Messwertideal nicht entsprechen.
Wie kommt es aber, dass sie so total vergessen und sogar leugnen, was jeder knappe Blick in die Quellen uns bezeugt: dass fast jeder Sommer ihres Lebens, auch wenn sie 90 Jahre alt sind, immer irgendwie heiß war, jedenfalls hierzulande, mal sechs Monate lang durchgängig, mal mit kühleren Regenphasen dazwischen? Hat Hölderlin sich geirrt, als er die mediterrane Gegend am Rheingraben (Heidelberg) pries?[3] Und wie das Deutsche Ärzteblatt falschen Meinungen widersprechen musste darüber(4), dass die Malaria nur nach Deutschland „eingeschleppt“ worden sei (denn hier sei es angeblich ja zu kalt für diese tropische Krankheit und ihre Erreger!), sollte man sich in Deutschland historisch kundig machen und realisieren, dass die Malaria eine einheimische Krankheit ist und „Wechselfieber“ genannt wurde. Der tropische Erreger wütete immer wieder im Oberrheinischen Graben, und zwar als einheimischer Erreger (!), also zwischen Basel und Frankfurt, und dies nicht heute, mit dem angeblich so dramatischen Klimawandels, sondern vor Jahrhunderten: Berüchtigt die Malaria in Mannheim im 18. Jh, an der auch Friedrich Schiller erkrankte. Andere Formen des Erregers wüteten immer wieder bis zum 60. Breitengrad, also hoch im Norden bis Oslo und Stockholm.
Wie kommt es aber, dass sie so total vergessen und sogar leugnen, was jeder knappe Blick in die Quellen uns bezeugt: dass fast jeder Sommer ihres Lebens, auch wenn sie 90 Jahre alt sind, immer irgendwie heiß war, jedenfalls hierzulande, mal sechs Monate lang durchgängig, mal mit kühleren Regenphasen dazwischen? Hat Hölderlin sich geirrt, als er die mediterrane Gegend am Rheingraben (Heidelberg) pries?[3] Und wie das Deutsche Ärzteblatt falschen Meinungen widersprechen musste darüber(4), dass die Malaria nur nach Deutschland „eingeschleppt“ worden sei (denn hier sei es angeblich ja zu kalt für diese tropische Krankheit und ihre Erreger!), sollte man sich in Deutschland historisch kundig machen und realisieren, dass die Malaria eine einheimische Krankheit ist und „Wechselfieber“ genannt wurde. Der tropische Erreger wütete immer wieder im Oberrheinischen Graben, und zwar als einheimischer Erreger (!), also zwischen Basel und Frankfurt, und dies nicht heute, mit dem angeblich so dramatischen Klimawandels, sondern vor Jahrhunderten: Berüchtigt die Malaria in Mannheim im 18. Jh, an der auch Friedrich Schiller erkrankte. Andere Formen des Erregers wüteten immer wieder bis zum 60. Breitengrad, also hoch im Norden bis Oslo und Stockholm.
Die letzten
großen Malariaepidemien waren in Deutschland im 20. Jh, und zwar nicht im
tiefen, warmen Süden, sondern im hohen Norden in Emden mit nun schon zweifellos
gesicherten, im Labor festgestellten Erregern bei Tausenden an Erkrankten.
Wer erliegt
nun einem Wahn?
Eines ist aus
allem aber klar: mit der „Natur“ kann man so ohne weiteres nicht als
moralischem Korrektiv rechnen, nicht einmal als einem Korrektiv, irgendwie
„besser“ zu leben.
Es ist krass, dass eine Zeit sich lauthals und penetrant, rücksichtslos und wie in einem Rausch die maximale Distanzierung von jeglicher traditionellen Naturrechtsvorstellung genehmigt und alles für möglich hält, wenn sie es positiv setzt, etwa 60 Geschlechter statt zweier oder "Ehen" zwischen Pferd und Kaiser (das gab es alles schon mal), zugleich aber einen ebenfalls rein positiv gesetzten Naturbegriff politisch ausspielt gegen die Menschheit, der man dogmatisch erklärt, was positiv gesetzt werde, sei die natürliche Natur als ethische, ja geradezu göttliche Instanz, die zugleich aber so schwach und anfällig ist vor der menschlichen Großartigkeit, dass sie durch die (in jedem Fall natürliche!) Entfaltung des Lebendigen (CO2-Ausstoß und Überbevölkerung: beides Themen der Propaganda durch den Club of Rome seit den 70ern) vernichtet werden könne durch unsere Schuld: nostra maxima culpa.
Auch der Kaiser, der sein Lieblingspferd heiratete, war nicht weit entfernt vom Zusammenbruch seiner Zivilisation. Es wird dennoch weitergehen.
Hanna
Jüngling, 19.12.2019 (Zu Hause im Nebel)
Tagebuchfolgen bisher:
21.11.2019: Wo ist die
Natur? – Tagebuch einer Suche: Morgendämmerung, später November
24.11.2019: Wo ist die Natur? - Tagebuch einer Suche: Räume. Flächen. Strecken.
24.11.2019: Wo ist die Natur? - Tagebuch einer Suche: Räume. Flächen. Strecken.
27.11.2019: Wo ist die
Natur? - Tagebuch einer Suche: Schuhwerk, Urbane Schönheit und der
Wahnland-Code
11.12.2019: Wo ist
die Natur? — Tagebuch einer Suche: Die Hypotenuse des Mondes
[2]
Kohelet 3
[3] … Aber schwer in das Tal hing die gigantische,
Schicksalskundige Burg nieder bis auf den
Grund,
Von den Wettern
zerrissen;
Doch die ewige
Sonne goß
Ihr verjüngendes
Licht …
(4) https://www.aerzteblatt.de/archiv/30475/Malaria-Malaria-war-in-Mitteleuropa-heimisch
(4) https://www.aerzteblatt.de/archiv/30475/Malaria-Malaria-war-in-Mitteleuropa-heimisch