Wo ist die Natur? — Tagebuch einer
Suche
Räume.
Flächen. Strecken.
Wir bewegen
uns physisch in drei Dimensionen. Zumindest erscheint es uns allgemein empirisch so. Der Raum ist eine besondere Form der
Konzentration in die Tiefe. Wollte man alle Punkte in einem Raum auf einer
Fläche anordnen, nähme sie an Oberflächenausbreitung enorm zu, hätte aber keine
Tiefe? Erst recht auf einer Strecke untergebracht wäre diese Punkte-Strecke
erheblich länger als die jeweiligen Raum- oder Flächenseitenmaße? Ein
Rauminhalt umgerechnet in einen Flächeninhalt?
Ich stelle mir
vor, ich gieße einen Liter Wasser aus einem Würfel, der genau diesen Liter
enthalten kann, auf eine Ebene: die Ebene hätte erheblich längere
Einzelkoordinaten als das Würfelmaß. Aber das Wasser verlöre seine spezifische
Konsistenz auf der Ebene in dem Moment, in dem die Höhe h = 0 und damit eine
Fläche erreicht wäre, wäre nur noch eine Ahnung, ein theoretischer „Abdruck“ des
Wassers.
Oder: Ein
großer, aber überschaubarer Tanker auf hoher See leckt und gibt das Öl frei,
das fortan als riesiger, unüberschaubarer Teppich auf der Meeroberfläche
schwimmt. Auch dieser Teppich, aller, auch der flachsten Räumlichkeit, die auch
ein Teppich hat, beraubt, wäre kein Öl im strengen Sinn mehr.
Die Anzahl der
Punkte in Räumen und Flächen ist ohnehin unendlich und darum gleich.
Der Übergang
von einer in die andere Dimension ist eine Illusion.
Etwa so, wie
es illusionär wäre, wenn in der alten Elementvorstellung etwas „nur“ im Feuer
oder „nur“ im Wasser oder „nur“ in der Luft existierend vorgestellt wäre.
Alles befindet
sich in jedem Element, auch in jeder Dimension, und eine momentane
Standortbestimmung trifft immer nur als eine der unendlich vielen Möglichkeiten
zu.
Natürlich
bietet dies breiten Raum für Spekulationen. Für Alchemie. Esoterik und allerlei
naturphilosophische Lehren.
Mein Interesse
an den vorhandenen tradierten Spekulationen war stets mäßig.
Die
Überzeugung aber, dass der Transformationsmöglichkeiten, um es einmal so
modisch zu sagen, unendliche viele sind, ist auch in mir:
Wie anders
sollten die Visionen der Propheten verständlich sein, in denen Gott aus einem
Feld von Knochen, aus der Erde und dem Meer die Toten zurückruft und wieder
sammelt in ihre Gestalt, ganz zu schweigen davon, dass er in der Auferweckung
Jesu aus dessen irdischer Gestalt eine himmlische schuf und Paulus davon
spricht, es würden nicht alle entschlafen, sondern, wenn der Herr käme, in
einem Nu verwandelt werden?
Es ist aus
diesem Grunde auch äußerst töricht, wenn wir es für lächerlich halten, dass
Maria Jungfrau war und doch einen Sohn gebären konnte, weil die Kraft des
Allerhöchsten über sie kam und aus ihrer Gestalt die Gestalt des Christus
holte. Es ist mehr als töricht.
In einem
gewissen Sinn hat sich das Denken unserer Tage aus der Tiefe in eine totale
Verflachung ergossen, so sehr, dass es nicht mehr als echtes menschliches
Denken bezeichnet werden sollte. Es ist, wie unser Liter Wasser oben, ohne
Tiefenkoordinate seiner selbst beraubt und nur noch ein Abdruck verlorenen
Denkens.
24. November
2019 (Sonntagabend, am Ofen)
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