Wo ist die Natur? —
Tagebuch einer Suche
„Ich bin in der Natur geboren.“ (Hans
Arp)
Die Natur ist
in aller Munde, jeder scheint genau zu wissen, was sie ist und was nicht. Sie
ist zum politischen und religiösen Kampfbegriff geworden. Schon lange und immer
mehr.
Die einen
deklarieren sie zur Gegenwelt gesellschaftlicher und ökonomischer Konstrukte, die unbedingt vor
dem Menschen „geschützt“ werden müsste. Die Natur als eine der vielen
diskriminierten Minderheiten, anhand derer man sich als „Helfer“ profilieren
kann. Die Natur als Projektionsfläche für ein Friedensreich, von dem wir glauben, dass sein Bestehen ausschließlich von unserer Aktion abhängt.
Es gibt die
„Anwälte“ dieser "Natur als Gegenwelt", aber sie verstehen nicht, dass sie selbst
genau das tun, was sie den „anderen“, den „Bösen“ oder Gedankenlosen vorwerfen:
sie stellen auch nur ein neues Konstrukt des Natürlichen und Guten her und
bleiben den Beweis für ihre Meinungen stets schuldig. Wenn Gentechnik
unnatürlich und falsch ist, warum ist dann etwa die heute als „Normalfall“
erklärte Geschlechtsumwandlung natürlich und gut? Warum ist Kernkraft oder das
Verbrennen von Kohle und Öl schlecht, der destruktive Überzug der Landschaften
mit hässlichen und für zahlreiche Vogel- und Insektenarten tödlichen Windräder
gut, zu denen tonneschwere Betonsockel in den Boden verbaut werden müssen, die
niemals mehr entfernbar sind? Warum ist es schlecht, wenn asiatische Tier- und
Pflanzenarten einheimische allmählich verdrängen, aber gut, wenn bestehende
menschliche Populationen möglichst so sehr vermischt werden, dass sie sich
auflösen?
Die anderen
sehen die Natur nicht als Hort des Guten, sondern als eine herzlose,
feindselige Welt, in der alle mehr oder weniger gewaltsam ums Überleben ringen
und dabei das Leben der anderen nicht schonen. Die gesamte Tierwelt lebt in
einem enormen Stress, ist in ständiger Fluchtbereitschaft und der Angst
gefressen zu werden, wenn sie nicht selbst frisst. Der Mensch ist nichts weiter
als ein besonders raffiniertes Tier, das es noch schlimmer treibt als alle
anderen. Das Recht hat der Stärkere, der „Sieger“. Er bestimmt, wie es
weitergeht. Er schreibt die Geschichte. Warum aber lebt doch in uns allen eine
tiefe Sehnsucht nach Harmonie, nach so etwas wie einer „Übernatur“? Warum
glauben wir, unlogisch, dennoch, sie sei in der Natur, was oder wo immer sie
ist, mehr vorhanden als beim Menschen, der auf diese Weise aus dem Natürlichen ausgegliedert
wird? Warum ist in vielen die verborgene Überzeugung, dass es das Schwache ist,
das am Ende den Durchbruch schaffen wird? Das eines Tages einfach seine bunten
Blütenblätter öffnen und strahlen wird, nachdem all die anderen sich
gegenseitig zerfressen haben werden? So wie diese Gräser, die ganze Teerdecken
heben und schließlich durchbrechen? Asphaltbeläge, die irgendwann überwuchert
werden von der Pflanzen- und Tierwelt, als hätte es sie nie gegeben, wenn man
sie nicht ständig gewaltsam instand hält? Jeder, der ein klein wenig Erfahrung
mit einem Leben in der Natur hat, weiß, dass die Natur sich restlos alles
zurückholt, wenn man ihr nicht kleine Zugeständnisse abringt.
Warum fürchten
wir, der Mensch könnte es je schaffen, die Natur unwiederbringlich zu
zerstören, wo jeder Grashalm unter der Teerdecke uns darüber belehrt, dass es
nicht so ist? Entspringt diese Furcht nicht einer Hybris, die mit der Teerdecke
verwandt ist und den eigenen irrationalen Naturbegriff konterkariert? Und wird,
wenn das so ist, nicht diese Hybris postmoderner Klimaaktivisten und
Ökofanatiker folgerichtig eines Tages wieder von natürlichen Zusammenhängen
zurechtgerückt werden?
Kann es sein,
dass der Mensch zwar seine Verantwortung für die Natur veruntreuen kann, dass
deswegen aber dennoch nicht die Natur stirbt, sondern unser … Geist?
Wir erleben
eine bruchstückhafte und habgierig vereinnahmte Mischung aus beiden
Sichtweisen: eine bestürzende Sentimentalität neben einem haarsträubenden
Moralismus, der dem Bauch hinterhertreibt, in dem die Winde der Tagespropaganda und
des medialen Trigger-Stundengebets die Segel blähen und in täglich neue Auswüchse
der Begehrlichkeiten nach moralischer Überheblichkeit und zugleich
Selbstzerstörung drängen? Der „Klima“-Hype ist ein perfektes Beispiel dafür: der
Natur entfremdete Menschen hüpfen auf Kommando „gegen Kohle“, - nota bene: einen der zentralen und lebenswichtigen Baustoffe der Natur (nach allem, was wir derzeit wissen!) - haben Panik vor
einem lebenswichtigen Spurengas (Co2), haben keine klare Vorstellung davon, was
hier eigentlich natürlich wäre oder auch nicht, aber eines glauben sie gewiss:
Sie glauben, es gäbe starre Naturgesetze und „Forscher“, die sie besser
erkennen und deuten als alle jene, die ihnen widersprechen. Die Frage, warum
sie das glauben, ob es überhaupt wahr ist, erübrigt sich, weil man ihnen gesagt
hat, das erübrige sich. Wir erleben ein gespenstisches Revival
ignatianischer-frommer Selbstverdummung und Autoritätshörigkeit bis in die
letzten Fasern des Bewusstseins hinein. Wir erleben eine geradezu
finster-säkulare Kirchlichkeit, die verlangt, dass wir das Schwarze für weiß
halten, wenn die Autorität es uns zu glauben heißt. Nur staatlich geprüfte
Indoktrinatoren wissen, was die wahre Wahrheit ist. Und wir hängen an ihren
Lippen und fürchten uns, selbst zu denken, weil man uns den vollen Teller
entziehen könnte und den seelischen Missbrauch, den wir mit Anerkennung
verwechseln. Es ist unglaublich, wie sang- und klanglos so viele, auch
akademisch verbildete Menschen, zurücksinken in den Zustand, der den Begriff
der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ noch euphemistisch erscheinen lässt.
Solange der Teller gefüllt ist und Alltagsdrogen sichergestellt sind
einschließlich der Freiheit zum ewigen Sex, sind sie gerne Sklaven einer ganz
sicher nicht natürlichen „öffentlichen Meinung“ und lernen aufgrund der neuen
medialen Volksbildung all jene zu hassen, die noch selbst denken.
Viele haben aber
auch die Nase voll von dieser antiaufklärerischen Apostasie, nicht alle lassen
sich von der Geisteskrankheit anstecken, und verlassen die urbanen Räume und ziehen
sich zurück in die wirkliche Natur. Als „Überleber“, als „Survivaltrainer“. Sie
ahnen, dass wir vielleicht schneller in die Natur zurückgeworfen werden
könnten, als die meisten Klimahüpfer es wahrhaben wollen. Sie trainieren das
Überleben in der echten Natur — nicht der veganen Kitschwelt, in der der
Messwert und der Grenzwert das oberste Gesetz sind.
Aber ist das
wirklich eine Alternative?
Kann der
Mensch überhaupt einfach so ganz natürlich und gut leben? Ist er nicht
gezwungen, sich in ihr regelrecht zu behaupten? Ist sie denn diese Mammi, an
deren Busen man sich nur zu legen braucht, und schon ist alles wieder gut?
Hier
verschwimmen die Linien, die Gedanken, die Erfahrungen …
Ich werde
daher der Frage danach, wo die Natur ist, in tagebuchartigen Aufzeichnungen
nachgehen. Die Frage nach dem „Wo“ soll den utopischen Charakter
unterstreichen, den sie aus meiner Sicht deswegen hat, weil auch sie, wie der
Apostel Paulus schrieb (Röm 8,18), ihrer Erlösung harrt:
„18 Denn ich denke, dass die
Leiden der jetzigen Zeit nicht ins Gewicht fallen gegenüber der zukünftigen
Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. 19 Denn
das sehnsüchtige Harren der Schöpfung wartet auf die Offenbarung der Söhne Gottes. 20 Denn
die Schöpfung ist der Nichtigkeit unterworfen worden - nicht freiwillig,
sondern durch den, der sie unterworfen hat - auf Hoffnung hin, 21 dass
auch selbst die Schöpfung von der Knechtschaft der
Vergänglichkeit frei gemacht werden wird zur Freiheit der Herrlichkeit der
Kinder Gottes. 22 Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung zusammen
seufzt und zusammen in Geburtswehen liegt bis jetzt. 23 Nicht allein
aber sie, sondern auch wir selbst, die wir die Erstlingsgabe des Geistes haben,
auch wir selbst seufzen in uns selbst und erwarten die Sohnschaft; die Erlösung
unseres Leibes.24 Denn
auf Hoffnung hin sind wir gerettet worden. Eine Hoffnung aber, die gesehen
wird, ist keine Hoffnung. Denn wer hofft, was er sieht?25 Wenn
wir aber das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir mit Ausharren.
Die
Tagebuch-Fragmente erfolgen in loser Folge auf diesem Blog.
Hanna Jüngling, 16. November 2019
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