Montag, 11. Mai 2020

Meditationen zum Grundgesetz: Menschenwürde

Meditationen zum Grundgesetz: Menschenwürde

Als Podcast/Video:  Meditationen zum Grundgesetz - Menschenwürde

Aus dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland:

Die Grundrechte

Art 1
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen
Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als
Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als
unmittelbar geltendes Recht.

Was ist das, diese „Menschenwürde“?

Würde ist – anders als ein Wert - mE stets etwas, das mir persönlich und individuell gegeben wird. Es gibt keine allgemeine Würde oder eine Würde eines ganzen Kollektivs. Auch dann, wenn eine Würde allen gleichermaßen zukommt, kommt sie nur insofern allen zu, als sie unbedingt jedem einzelnen ausdrücklich und autonom zukommt. Ob ich also eine bestimmte Würde erhalten habe hängt nicht daran, dass andere sie auch erhalten haben, sondern alleine daran, dass ich sie erhalten habe.
Würdenträger erhalten ihre Würde irgendwann einmal. Eine Würde kann nicht mehr annulliert werden. Sie versieht den, der sie erhält stets mit einem unveräußerlichen Wesensmerkmal.

Das Grundgesetz geht davon aus, dass jeder Mensch diese Würde als Mensch erhalten hat, und dass der Erhalt dieser Würde jeder feststellung darüber bereits voraus geht. Das heißt: Ich habe diese Menschenwürde nicht deshalb, weil das Gesetz sie mir zuspricht, sondern das Gesetz erkennt an, dass ich mit dieser Würde bereits vom Mutterleib an versehen worden bin.

Wir kennen andere Würden, die im Laufe eines Lebes übertragen werden, etwa die Priesterwürde. Auch die Königswürde wurde förmlich übertragen in einer Salbungs- und Krönungsordo und durchweg nicht von anderen Menschen verliehen, sondern in einem Akt, der den transzendenten Urheber herabrief. Diejenigen, die die Würde in der Ordo übertrugen, waren nicht diejenigen, die diese Würde persönlich herstellten oder zu vergeben hatten. Sie fungierten immer nur als Diener des Gottes oder der Götter oder der Geister – je nachdem, in welcher Kultur und Religion wir uns befinden.
Das Grundgesetz beruft sich ebenfalls in seiner Präambel auf Gott, dem gegenüber die Verfasser sich in Verantwortung sehen. Nur von ihm her können sie dieses Grundrecht des Menschen auf seine eigene Würde aussprechen und anerkennen und daraus Folgerungen für das Zusammenleben der Menschen und Völker beschreiben.

Bereits hier stoßen wir aber auf einen neuralgischen Punkt in der gesamten Rede über „Menschenwürde“: Wenn man die Herleitung der Würde von einem anderen, Transzendenten, Überschreitenden her bestreitet, bleibt nur die Selbsterklärung bzw eine philosophische Setzung, die ohne weitere Schwierigkeiten bestritten werden kann. Eine Selbstzuerkennung von Würde ist nicht möglich. Ich habe nicht deshalb eine Würde, weil ich sie mir selbst initial zuschreibe. Daraus würde ja folgen, dass ich als Mensch zuerst in einem Stand bin, in dem mir diese Würde nicht zukommt, danach aber dann, wenn ich sie mir selbst zugesprochen habe, schon. In dieser Konstruktion kann ich jederzeit wieder in den Stand ohne die fragliche Würde zurückversetzt werden. Wenn es mich als Irgendwie-Wesen ohne Würde gibt, das sich selbst Würde verleiht, hebt sich diese Würde wieder auf und ich habe sie infolgedessen auch nicht inne. Auch die Zuerkennung durch andere Menschen stellt vor dasselbe Problem: Immer kann man mich so ohne diese Würde denken, und die Abhängigkeit meiner Würde vom Zugeständnis anderer oder meiner selbst, hebt sie sachlich wieder auf.

Würde ist immer Wesensmerkmal. In eine Würde wird man passiv, aber für immer erhoben. Wir haben in der säkularisierten Welt das Verständnis für diesen Zusammenhang verloren. Letzte Reste davon finden wir etwa in der Auffassung, dass auch ein laisierter Priester die Priesterwürde niemals mehr verliert, verlieren kann. Er kann allerdings gegen diese eigene Würde schwer verstoßen – aber los wird er sie nie mehr.
Würde darf daher nicht mit einem „Amt“ verwechselt werden, das dem Prinzip nach unpersönlich gezeichnet ist und über einen bestimmten Aufgabenbereich und Kompetenzen definiert wird. Meine Würde ist jedoch kein Amt, keine Aufgabe, sondern ein Seinsstatus. Selbstverständlich ergibt sich aus meinem ontologischen Stand auch so etwas wie eine „Aufgabenstellung“, aber er ist deshalb nicht selbst eine Aufgabenstellung wie dies für ein Amt gilt. Aus einem Amt kann man ausscheiden, aus einer Würde niemals mehr. Man kann eine erhaltene Würde schwer beschädigen und verwunden.
Letzte Spuren dieser Unterscheidung kennen wir in der Rede davon, dass jemand ein „Emeritus“ ist oder ein Richter „im Ruhestand“ oder dergleichen: er ist es seinshaft noch, übt aber das damit verbundene Amt nicht mehr aus. Auch der Status als Vater oder Mutter ist unveräußerlich und ontologisch begründet, nicht in einer bloßen Aufgabe. Auch eine siebzigjährige Person wird ihre 100jährige Mutter in aller Regel als „Mutter“ ansprechen und in ihr die Würde der Mutter anerkennen, auch wenn sich der Aufgabenbereich der sehr alten Mutter gegenüber ihrer inzwischen ebenfalls alten Tochter modifiziert, in manchem Fürsorgeaspekt sogar umgekehrt haben dürfte.

Wenn also das Grundgesetz allem, was dann folgt, diese Menschenwürde als ein Faktum voranstellt, dann nicht, weil es jenes erst erschafft, sondern weil es es als Vorgefundenes anerkennt.

Dieses Grundrecht darauf, dass meine Menschenwürde anerkannt wird, beinhaltet wesentlich, dass ich niemals verzweckt werden darf. Meine gesamte Anwesenheit in diesem Leben erfolgt nicht um eines definierbaren Zweckes willen, sondern um meiner selbst willen. Aber auch dieser Satz kann nicht begründet werden ohne die Annahme, dass ich da bin, weil Gott mich geschaffen hat und liebt. In den meisten Fällen spiegelt sich diese göttliche Zweckfreiheit in der Liebe der Eltern zu ihren Kindern und der Kinder zu den Eltern. Der Kinderwunsch junger Paare resultiert dem Prinzip nach nicht aus einem objektiven Zweckdenken heraus. Die Frage, warum jemand eigentlich so unbedingt ein Kind wolle, lässt sich nicht plausiel aufgrund zweckhafter Erwägungen beantworten. Der Kinderwunsch resultiert aus ihrer Liebe zueinander, die sich selbst überschreiten und darum freisetzen will. Das Kind ist daher prinzipiell der Ausdruck der größten menschlichen und gottgewollten Freiheit. Dies gilt auch dann, wenn Eltern oder Gesellschaften diese Zielsetzung verfehlen, dennoch Verzweckungen vornehmen oder sich nicht dessen bewusst sind, dass sie ihre eigene Würde aufgrund von Verzweckungen verfehlen.

In einer langen historischen Entwicklung, die vor allem in der römischen Reflexion (insbesondere bei Cicero) und der alttestamentlichen Entwicklung des Menschen- und Gottesbildes und der Beziehung zwischen Gott und Mensch ausgesprochen wurde, sind wir zu dieser Vorstellung der Menschenwürde gekommen, die sich dann im Christentum massiv Bahn brach. Der universalistische Gedanke, dass Gott alle Menschen gleichermaßen liebt und um ihretwegen auch Erlösung in Jesus Christus aus der schmerzlich erfahrenen alltäglichen Würde-Verwundung schafft, führt direkt zu einer allgemeinen Anerkennung der Menschenwürde aller, die nicht an Vorbedingungen - etwa anständiges oder tugendhaftes Verhalten - geknüpft ist. Wohl kann diese Würde aber angegriffen, geschändet und verleugnet werden. Als ontologisches Merkmal kann sie damit aber niemals aufgehoben werden.

Die derzeitigen Vorgänge bringen zum Ausdruck, wie sehr wir uns schon lange der Gefahr ausgesetzt haben, in unserer Würde mit Füßen getreten zu werden. Utilitaristische Denkgewohntheiten, die immer nur nach der Nützlichkeit fragen, haben das Kinderhabenwollen verzweckt – etwa um Altersversorgungen zu sichern oder Hilfe zu haben, nicht allein zu sein, einen Thron- oder Geschäftsnachfolger zu haben, Kanonenfutter für Kriege oder dergleichen. So verständlich diese Nützlichkeitserwägungen im Daseinskampf ahie und da auch erscheinen mögen, sie verletzen schon im Kern die Menschenwürde und lästern Gott. Das sei ausdrücklich erwähnt, denn manche Religion puscht Fortpflanzung, um damit Glaubenskriege zu gewinnen. Ausdrücklich mus dem entgegengehalten werden: Kinder sind kein Zweck für irgendetwas, auch dann nicht, wenn sie im natürlichen Geben und Nehmen der Generationen eigene Aufgaben übernehmen werden.
Aus diesen Verletzungen der Menschenwürde auf abstrakter Ebene folgen Verletzungen auf konkreter Ebene: Die Frau etwa, die dem König keine Kinder gebar, wurde verstoßen. Der Mensch, der nichts zum Gemeinwohl beiträgt, wird „nutzloser Esser“, „underman“ oder gar „lebensunwertes Leben“. Behinderte treibt man am besten gleich frühzeitig ab, weil sie ja doch nur nur eine Belastung sind und einem verengten, aber krampfhaft vorausgesetzten Daseinszweck nicht genügen werden können.

Wie sehr hinter dem zum Beispiel auch von Papst Franziskus immer wieder gegeißelten, vermeintlich übersteigerten Individuaismus unserer Tage knallharte gegenseitige und kollektive Verzweckungsphantasien schlummern, bricht jetzt aus als die eigentliche geistige Seuche hinter der angeblichen Corona-Pandemie. Eine Frau sagte neulich empört zu mir, es könne nicht angehen, wenn alte Leute gelassen bleiben und sagen, es sei ihnen egal, ob sie an Corona sterben oder halt an etwas anderem. Es sei unmöglich, sich in dieser Weise der Gemeinschaft zur Belastung zu machen, denn die müsse ja solche Alten dann behandeln und pflegen und die Kosten tragen. Mit meinem Argument, dass es erstens Freiheit jedes Menschen ist, eine Krankheit nicht zu fürchten bzw das Risiko einzugehen, sie zu bekommen und zweitens jeder irgendwann an sein Ende kommen werde und damit in gewisser Weise der Gemeinschaft zur Last falle, ließ sie nicht gelten, weil solche „Infizierten“ sich auch noch zu Gefährdern anderer machten. Ganz so, als wäre ein todessicheres Leben möglich und als wäre jeder noch so harmlose Infekt bereits eine Rücksichtslosigkeit der einen gegen die anderen.

Diese Episode ist nur symptomatisch dafür, wie wenig wir verstehen, wass alleine der erste Satz unseres Grundgesetzes eigentlich bedeutet. Er meint den Menschen wie er ist, auch als ein Wesen, das krank werden könnte und irgendwann sterben wird. Die Möglichkeit des Krankwerdens und Sterbens wird aber nun nicht mehr erst dann ins Auge gefasst, wenn es tatsächlich soweit kommt, sondern als permanenter Makel, der dem anderen so stark anhaftet, dass er mir zur permanenten Gefahr wird.

Mit scheint, dass dringend eine neue anthropologische Debatte angestoßen werden müsste, in der wir reflektieren, wer oder was der Mensch eigentlich ist. Die derzeitige geistige Verwirrung über das Menschenbild beruht auf der sträflichen Vernachlässigung einer Befassung mit solchen Fragen bei jedem einzelnen und der ganzen Gesellschaft.

Die Verpflichtung des Staates, die Menschenwürde vor allem anderen zu schützen und zu achten, wie es im Gesetz steht, wird von unserer Regierung aus meiner Sicht mehr als missachtet. Ich würde sogar von einer Verhöhnung der Menschenwürde sprechen. Entsprechend Absatz 2 von GG §1 zerstört die Bundesregierung derzeit mithilfe der Landesregierungen und Parlamente vorsätzlich das, was ein friedliches und wertschätzendes und sich gegenseitig würdigendes Zusammenleben in der Gemeinschaft erst voraussetzt. Ein Hingehaltenwerden in niemals ausreichend erklärten Schikanen, die unsere natürlichen sozialen Beziehungen kriminalisieren („Mindestabstand“, „Mundschutz“, Vesammlungsverbote, Ausgangssperren etc.) in Verbindung mit einer permanenten Verängstigung bzw Traumatisierung der Menschen mit der Panik vor einer virtuellen, im ralen Lebensfeld nirgends feststellbaren „Epidemie“ alias Seuche und der autoritären Drohung, uns jederzeit wieder einzusperren, wenn mehr positive Tests behauptet (aber niemals nachgewiesen!) werden, auch dann, wenn wir uns aber alle gesund erleben, verletzen in eklatanter Weise die Menschenwürde und werden schwerwiegende Störungen in der gegenseitigen Wahrnehmung der Menschen hinterlassen. Die Idee, dass wir uns gegenseitig als Brüder und Schwestern wahrnehmen, ist damit getötet worden. Unsere Regierung suggeriert uns, dass wir alle potentielle Todesengel sind. Wer im anderen nur noch eine tödliche Gefahr wähnt, kann ihm seine Würde nicht mehr zuerkennen.

Ich möchte meine Leser und Zuhörer dazu einladen, sich darüber ihre eigenen Gedanken zu machen. Sie können sie gerne in Ihren Kommentaren mitteilen.

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