Der Tod des Denkens und die Auferweckung des Gedankens
"Die Erfahrung des Denkens bedeutet den Zusammenbruch von allem, was wir normalerweise als solches betrachten. Das Denken kann erst beginnen, wenn das, was wir für das Denken halten, beendet ist. Sowohl das alltägliche Delirium als auch die intellektuellen „akademischen Zitate“ sind Hindernisse für die Geburt des Denkens. Sie müssen abgeschafft werden. Das Denken entsteht im Moment des Wahnsinns oder der Absurdität, wenn die Rotation der Mechanismen des alltäglichen und wissenschaftlichen Bewusstseins plötzlich unterbrochen wird. Im Angesicht des Todes scheint das gut zu sein. Aber nicht für jeden. Das Pseudo-Denken schützt uns zuverlässig vor dem Tod, indem es sich mit unzähligen Instanzen, Ängsten, Berechnungen, Plänen und Hoffnungen (für Ärzte, Wunder, die Polizei, den gesunden Menschenverstand, die Wissenschaft und das „Licht am Ende des Tunnels“) gegen die Möglichkeit verbarrikadiert, ihn zu erleben. Alles ist dem Tod unterworfen, aber der Tod ist das Los der Auserwählten. Der Tod ist eng mit dem Denken verbunden. Der Gedanke wird nur im Angesicht des Todes geboren. Das, was frei und schrecklich im Angesicht des Todes geboren wird, wenn alles, was wir als „Gedanke“ hatten, zerstört worden ist - das ist der wahre Gedanke. Erst dann offenbart sich die Subjektivität, die sich sonst in den verfremdeten Feldern des verschwommenen Bewusstseins aufgelöst hat."
(Alexander Dugin)
Da ist was dran!
Die allerseits bekannte Denkverweigerung, die sich in Gedankenfestungen verbarrikadiert, wird hier gut charakterisiert.
Das, was Paulus "logismos" nennt, "Vernünftelei" oder "Pseudo-Gedanken", Sinnmechanik. Eigentlich alles Religiöse, auch das Polit-Religiöse.
Es wird deutlicher - aber versteht Dugin das selbst? - , dass "Glaube" nichts damit zu tun hat, jedenfalls nicht der Glaube, der Christus in den Tod und danach erst in die Auferstehung folgt.
Man beliebt heute ja ohne dieses "In-den-Tod-gehen" auferstehen zu wollen. Das ist zum Scheitern verurteilt. Die echte und wahre Taufe auf den Namen Jesu (wie das NT das nennt!) meinte genau das: die symbolische Bereitschaft, mit ihm zu sterben, um aufzuerstehen. So schrieb Paulus:
"3 Oder wisst ihr nicht, dass wir, so viele auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind? 4 So sind wir nun mit ihm begraben worden durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus aus den Toten auferweckt worden ist durch die Herrlichkeit des Vaters, so auch wir in Neuheit des Lebens wandeln. 5 Denn wenn wir verwachsen sind mit der Gleichheit seines Todes, so werden wir es auch mit der ⟨seiner⟩ Auferstehung sein; 6 da wir dies erkennen, dass unser alter Mensch mitgekreuzigt worden ist, damit der Leib der Sünde abgetan sein soll, dass wir der Sünde nicht mehr dienen[1]. 7 Denn wer gestorben ist, ist freigesprochen[2] von der Sünde. 8 Wenn wir aber mit Christus gestorben sind, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden; 9 da wir wissen, dass Christus, aus den Toten auferweckt, nicht mehr stirbt; der Tod herrscht nicht mehr über ihn." (Röm6)
Die Stelle übrigens widerspricht ausdrücklich und klar der Lehre, Christus sei "stellvertretend für uns gestorben"!
Der Gedanke des stellvertretenden Sühnetodes ergibt schon alleine deswegen keinen Sinn, weil wir ja allesamt trotz des Todes Christi sterben müssen wie eh und je auch alle vor Christus. Er starb also nicht "stellvertretend" für uns, sondern genauso wie wir, in seinem Fall aber mit der Verheißung, auferweckt zu werden. Niemand zuvor wurde in dieser Weise erweckt in einen unverweslichen Leib wie er!
Würden die Kirchen und Freikirchen ein wahres Evangelium verkünden, würden sie nicht weiterhin diese seltsame Lehre vom "stellvertretenden Sühnetod" festhalten, die eher eine mittelalterliche Idee ist als ursprüngliche christliche Auffassung. An der Stelle zeigt sich wieder einmal, dass die Protestanten, insbesondere die "bibeltreuen", absolut "kirchentreu" argumentieren und die Bibel offenbar genauso wenig ernstnehmen wie das die RKK in vielem tut bzw ja nicht tut.
Was uns diese Stelle sagt, bedeutet eigentlich ziemlich klar:
Er starb genauso wie wir, obwohl er es nicht verdient hätte aufgrund seiner Sündlosigkeit, seiner Ausnahme aus dem "kosmos" mit seinen verheerenden Implikationen, als einzigartiger Sohn Gottes. Es ist dabei kaum bedeutsam, welche Todesart einer stirbt, sondern DASS er überhaupt in dieser Weise einen Tod erleben muss, der zu Erstarrung, Leblosigkeit und Zerfall führt.
Was Paulus da schreibt, bedeutet doch recht klar folgendes:
Wer sich im Namen Jesu taufen lässt, hängt seine eigene Verweslichkeit und seinen bevorstehenden Tod gewissermaßen in den Tod Christi hinein und hofft, deshalb mit ihm auferstehen zu können.
Natürlich ist Jesus in einem gewissen Sinn "vorausgestorben", damit man ihm nachsterben kann, dem eigenen Tod einen Sinn in seinem Tod geben kann. Dieser Sinn ist die Hoffnung auf Auferweckung. Der Sinn ist nicht, dass er stellvertretend gestorben wäre, weil sein Tod der war, den wir verdient hätten, denn den müssen wir ja sowieso sterben. Da er nicht im Tod geblieben ist, kann man auch theologisch kaum vertreten, dass er diese Komponente, des verdienten Im-Tod-Bleiben-Müssens stellvertretend getragen hätte. Das hat er doch offenbar gar nicht, weil genau das ihm doch erspart blieb und er auferweckt wurde!
Es ist möglich, dass durch diese verzerrte Theologie der Kirche auch der Einspruch des Islam erst einen Sinn ergibt:
"„Und weil sie sprachen: ‚Wir haben Christus Jesus, den Sohn Marias, den Gesandten Gottes getötet!‘ – Aber sie haben ihn nicht getötet und haben ihn auch nicht gekreuzigt […] vielmehr hat Gott ihn zu sich erhoben.“ (Sure4,157f)
Nun kann es sein, dass die Koranexegese diesen Satz auch verzerrt auffasst. Hinter dem Satz könnte sehr wohl stehen, dass der jüdische Anspruch, diesen Jesus getötet zu haben, auf ein arabisches oder aramäisches (christliches) Widerwort trifft, das besagt: Nein, das konntet ihr nicht, denn Gott hat ihn erhoben zu sich, was die Auferweckung und Himmelfahrt zusammenführt in eine knappe Formel. Übrigens: der "Muhammed" ist der "Erhobene". Darum glauben manche Forscher, hinter diesem Titel (kein Eigenname!) verberge sich eigentlich der Christustitel des östlichen Christentums (Ohlig et.al.).
Dieses "Sie haben ihn nicht gekreuzigt" wird damit erklärt, dass sie einen anderen für ihn kreuzigten, was gnostischen Überlieferungen entspricht, die behaupten, man hätte Simon von Kyrene an seiner Stelle gekreuzigt.
Nun kann es aber sein, dass in diesem Koranvers eine eigentlich andere Skepsis überliefert ist, nämlich die, dass Gott seinen Tod gebraucht hätte als "Sühneopfer" oder als Stellvertretertod oder etwas in dieser Art. Vielleicht steht hinter dieser Überlieferung vor allem dies: Es gibt kein stellvertretendes Opfer! Also: Er ist für unsere Sünden in DIESEM Sinn gestorben, weil wir sonst hätten sterben müssen. Noch einmal: Erstens müssen wir nach wie vor sterben, zweitens ist das Charakteristikum dieses Sterbens, dass es zur Erstarrung führt und ein lebendiger Prozess unterbrochen und zurückgeworfen wird auf das "Zurück in die Erde".
Und diesen Tod hat Christus in der Tat NICHT erduldet, weil er nicht im Grab bleiben konnte, die Erde wollte ihn nicht, weil er doch eben nicht in der Logik der Sünde stand und in der Erstarrung nichts zu suchen hatte wie unsereins, also die Sünder.
Es sieht doch eher so aus, als würde gerade diese Sache, dass er nicht im Tod bleiben konnte und durfte, auch nicht musste, das ist, was für uns entscheidend zur Erlösung ist. Wir dürfen seither uns mit diesem Christus in den Tod begeben in der Hoffnung, dort nicht bleiben zu können auf Dauer. Der Einspruch des Islam mag seinerseits verzerren oder etwas missverstehen, aber er deutet darauf hin, dass auch diese Kirchenlehre - diese "Machtkirchenlehre" - Grund für die Trennung des Islam vom Christentum ist (neben einigem anderen wie der Trinitätslehre). Der Islam mag unrecht haben in seiner Behauptung, Christus könne nicht gekreuzigt worden sein, aber er trifft doch einen wunden Punkt bzgl. der Lehre vom stellvertretenden Sterben, das an sich unmöglich ist. Niemand kann für einen anderen sterben, so, dass dieser GAR nicht sterben müsste, allenfalls als Aufschub, aber darum scheint es im NT nicht zu gehen! Dieses "Für-uns-sterben" Christi meint, dass er diesen Weg überhaupt mit uns auf sich nahm, um den Weg frei zu machen für Auferstehung. Und damit ist immer noch vieles ein Mysterium!
Dugin trifft daher einen ganz zentralen Punkt:
Alles muss sterben, unsere unausgegorenen, triebhaften Gefühle genauso wie unsere versklavten Gedanken, die stets Systemen unterworfen sind, die tote Gebilde sind.
Deswegen ist aber nicht das Fühlen oder Denken an sich verkehrt, es bedarf der Auferstehung aus dem Tod.
Und genau dieses Nadelöhr will niemand durchschreiten. Man will sich den Bußweg sparen, und genau deshalb wird alles so weitergehen wie bisher. Und eine falsche Buße in einer abstrusen Theologie wird dasselbe Ergebnis haben bzw hat es vor unseren Augen sowieso.
https://www.geopolitika.ru/de/article/anmerkungen-zum-denken