Woher kommt der Wissenschaftsglaube in der Kirche?
Im Alten Testament finden sich
zahlreiche Aussagen zu Entstehung und Gestalt von Himmel und Erde. Es ist heute
in der Kirche allgemein üblich zu sagen, man dürfe diese Beschreibungen nicht
wörtlich nehmen, sie gäben in gar keinem Fall wissenschaftliche Aussagen her,
müssten aus dem Horizont der Antike und Vorzeit verstanden und ergänzt werden
etc. Diese Sichtweise ist aus verschiedenen Gründen verwunderlich und
unhaltbar. Sie kollidiert alleine schon mit den dogmatischen Grundlagen des
weströmischen Christentums, denn sowohl der Protestantismus mit seinem „sola scriptura“-Prinzip, als auch der
Katholizismus mit seiner Lehre, das Schriftwort sei „infallibel“, also „irrtumsfrei“[1],
dürfte eine solche Herablassung schwerlich erlauben. Weitere
wissenschaftsphilosophische Gründe möchte ich hier nicht ausbreiten. Sie sind
aber gegeben, denn niemand kann ohne weiteres mit Gewissheit bei Gegenständen,
die wir nicht von außen betrachten oder experimentell nachvollziehen können, sagen,
was „Mythos“ und was „Wissenschaft“ ist. Selbst wenn die biblischen Berichte
und Beschreibungen aus dem Horizont der Vorzeit gesehen wären, wäre damit noch
keine Aussage über die Richtigkeit der Sichtweise gemacht. Darüber müsste in
jedem Fall etwas weniger oberflächlich nachgedacht werden, als es gemeinhin
geschieht.
Auch muss man sich fragen, ob es
„Auslegung“ des Schriftwortes geben kann, die dessen Wortsinn durch Über- und
Unterinterpretation übersteigt oder unterläuft. Wir werden erstaunt
feststellen, dass die Kirche von Anfang an in ihren großen Exponenten bewusst vom
Schriftwort abgewichen ist, was die Kosmologie betrifft. In diesem einen,
scheinbar so nebensächlichen Punkt wich man fast durchweg ab von dem, was
überliefert wurde und hatte dabei fromm wirkende Gründe.
„Ite
ad Thomam!“ hieß es lange in der Kirche. Gehen wir also zu Thomas und sehen
nach, was er dazu geschrieben hat:
Wir entdecken, dass auch der große
Kirchenlehrer Thomas von Aquin hinsichtlich seiner Reflexionen zur
Schöpfungsgeschichte vermutlich unter dem Eindruck zu intensiver Lektüre der
heidnischen Philosophen nichts als das Zaudern des Unglaubens formuliert:
„Primo quidem, ut veritas Scripturae
inconcusse teneatur. Secundo, cum Scriptura divina multipliciter exponi possit,
quod nulli expositioni aliquis ita praecise inhaereat quod, si certa ratione
constiterit hoc esse falsum, quod aliquis sensum Scripturae esse asserere
praesumat.“[2]
— „Zum ersten muss an der Autorität der Schrift unerschütterlich festgehalten
werden. Zum zweiten, weil die göttliche Schrift auf mehrerlei Weise ausgelegt
werden kann, darf man nicht einer bestimmten in der Weise anhängen, dass wenn
vonseiten der „certa ratione“, der „sicheren
Berechnung“ (!) sich herausstellt, diese bestimmte Auslegung sei offenbar
falsch, man trotzdem diese selbe Auslegung verteidigen wollte.“
Wir werden später sehen, dass alle
kosmologischen Sätze in der Schrift zwar knapp, aber sehr eindeutig und klar
sind. Alles, selbst das maximal präzise Formulierte, ist, wenn man denn
unbedingt will, Auslegungssache…
Ich möchte die Folgen einer solchen
Argumentation anhand einiger Beispiele aufzeigen:
Mit diesem Argument des Thomas dürfte
man den Auferstehungsglauben mit weit größerem Recht sofort aufgeben müssen. Er
wird aus denselben Gründen heute von vielen, selbst Universitätstheologen, mit
durchaus „wissenschaftlichen Gründen“ geleugnet oder „metaphorisch“ verstanden,
weil sie sich durch die Hintertür der „verschiedenen Auslegungen“ klarer Sätze
und Berichte aus Rücksicht auf die „Wissenschaft“ hier genehmigen, deren
eindeutige Bedeutung so lange zu drehen, bis im Extremfall sogar das Gegenteil
herauskommt: dass Christus nämlich nicht
wahrhaftig und leibhaftig auferstanden sei. Dem philosophisch geschulten, aufgeklärten
oder gnostisch geprägten Verstand, der die apodiktischen Behauptungen des
transzendentalen Idealismus (im besten Falle!) voraussetzt, erscheint ein
solcher Glaube irrational, dualistisch oder sogar „materialistisch“.
Der Apostel Paulus hat uns eindringlich
davor gewarnt, zuviel auf die Philosophie zu geben (Kol 2, 8; 1. Kor 1 ganz).
Ihre Streitigkeiten sind unendlich weit entfernt von der Selbstoffenbarung
Gottes an die Menschheit und können definitiv nur um uns selbst, besser gesagt um
das kreisen, was wir glauben, wahrnehmen zu können. Sie will bestimmen, ob sich
absolute Wirklichkeit überhaupt im Wahrgenommenen auffinden lässt, und ob es
die Dinge als Ideen oder ideale Dinge außerhalb unserer Wahrnehmung und unseres
Bewusstseins überhaupt geben kann — aus unserem Horizont gedacht. Das ist alles
schön und gut, aber es hilft uns wenig weiter, wenn es um den Ernst der
göttlichen Selbstoffenbarung an den Menschen trotz der vermuteten
Bewusstseinsgrenze geht. Es folgt kein Erkenntnisgewinn daraus, wenn wir
feststellen, welche Grenzen uns welche maximale Erkenntnis erlauben, wenn diese
Grenzen vonseiten Gottes für Momente oder dauerhaft verändert werden sollten.
Nur so wird verständlich, wie der
Apostel sagen kann, die Botschaft vom gekreuzigten Gottmensch sei „den Juden ein Ärgernis“ und eine „Torheit den Nationen“ (1. Kor 1, 22f).
Er schickt daher seinem Brief schon die Überschrift voraus, er sei nicht
gekommen, nun weiter zu philosophieren, sondern die Offenbarung zu verkünden,
die er selbst empfangen habe:
„Als
ich zu euch kam, Brüder, kam ich nicht, um glänzende Reden oder gelehrte
Weisheit vorzutragen, sondern um euch das Zeugnis Gottes zu verkündigen.“
(1. Kor 2, 1)
Hat man diese und ähnliche Aussagen
im NT ernst genug genommen in der Kirche? Warum diese panisch wirkende
Versteifung auf die Philosophie des Thomas, der wiederum zu großen Teilen das
Christentum durch heidnische Philosophie „verfremdet“ hat? Was so harmlos nur
das scheinbar nebensächliche kosmologische Thema betrifft, hat auf methodischem
Weg den ganzen Glauben ins Wanken gebracht.
Ich habe, um an den vorigen
Gedankengang der Folgen für das gesamte theologische Denken wieder anzuknüpfen,
die Erfahrung gemacht, dass selbst ultrakonservative Universitätstheologen im
persönlichen Gespräch die leibhaftige,
physische Auferstehung leugnen. Weder habe Maria Magdalena den
Auferstandenen als eine objektive Entität gesehen und mit ihm im physikalisch
hörbaren Sinn gesprochen, noch habe der Ausruf Jesu „Noli me tangere!“ eine buchstäbliche Bedeutung gehabt, sondern nur im
übertragenen Sinne eine „geistige“ oder psychologische Dimension gehabt, noch
habe der ungläubige Apostel Thomas die Wundmale des Auferstandenen berührt,
noch habe Jesus in seinem verklärten Leib einen Fisch bei den Jüngern gegessen
oder das Brot in seine Hände genommen und bei den Emmausjüngern gebrochen, wie
es uns die Evangelien doch berichten. All das könne nicht sein, weil der
verklärte Leib ein „Geistleib“ sei und ihm jede uns vorstellbare Stofflichkeit
fehle. Die Frage, was ein „Geistleib“ sei, dem „jede uns vorstellbare Stofflichkeit“
fehlt, können sie nie beantworten. Die Tatsache, dass diese verklärte
Stofflichkeit nach dem NT sogar vielen Zeugen wahrnehmbar war, wehren sie ab. Auch
bleiben sie die Antwort auf die Frage schuldig, wieso man dann nicht nur von
einem „Geist“ spricht, wenn es keinen stofflichen Leib gibt. Ja: was ein „Leib“
überhaupt sein soll? In der Regel werden platonische Gedankenwindungen bemüht,
etwas von „reinen (nicht-physischen) Formen“ und dergleichen. Aber die bedürfen
weder der Stofflichkeit noch eines „Leibes“, können also den Begriff „Leib“ in
diesem Zusammenhang nicht erklären, wenn man konsequent denkt. Die Behauptungen
der klugen Theologen lassen mehr offen, als dass sie etwas klären würden und
verwirren noch dazu den Glauben über jedes erträgliche Maß hinaus. Wegen
solcher Winkeltheologie haben viele den Glauben ganz verloren. Unglaube ist
manchmal redlicher als ein verzerrter Glaube.
Manche Theologen versuchen es auf
der Psychoschiene: Die betreffenden Zeuginnen und Zeugen hätten hier „innere Erlebnisse“, also Imaginationen
in den Grenzen des eigenen Bewusstseins gehabt, denen keine physische
Erscheinung des Auferstandenen korrespondiert haben könne. Man argumentiert so,
als könne es den physisch Auferstandenen nur deshalb im Bewusstsein der Zeugen
geben, weil die eben wie alle Menschen räumlich strukturiert seien. Deshalb
müsse aber der Geschaute kein realer und absoluter Leib an sich gewesen sein, ja, er könne
das gar nicht gewesen sein. Immerhin sei er ja meist denen, die ihn sahen, aus
dem Blick geraten und plötzlich wieder verschwunden gewesen. Keiner dieser
Leute, die so argumentieren, zieht in Erwägung, dass die Augen der Zeugen für
eine bestimmte gnadenhafte Zeit geöffnet worden sein, danach aber wieder in die
Grenzen der Wahrnehmung aufgrund der Sünde zurückgefallen sein könnten. Ihr
Stolz geht so weit, dass sie verkennen, dass etwas Unsichtbares tatsächlich
jenseits der menschlichen Wahrnehmung absolut existiert und nicht das
Unsichtbare in seiner Existenz in Frage steht, sondern unsere
Wahrnehmungsfähigkeit!
Wenn das Zeugnis der Zeugen in
einem so wesentlichen Punkt fraglich und „ganz anders (bis hin zum Gegenteil)
zu verstehen“ ist, dann kann man sich fragen, wieso man überhaupt an die
Auferstehung glauben sollte — sie wäre mehr Wunschdenken als Realität derer,
die sie bezeugen, gewesen und wir säßen seit 2000 Jahren einem Irrsinn auf. Denn
all jene Konservativen und Progressiven können mir nicht sagen, was die
empirische Erfahrung des physisch Auferstandenen damit zu tun habe, dass das
Grab ebenfalls nach dem Zeugnis der Frauen und später auch der Männer im
physischen Sinne leer war und Jesus,
um die Männer davon abzubringen, ihn für einen bloßen Geist zu halten, ihnen
seine Hände zeigt und sagt: „Fasst mich
doch an und begreift: Kein Geist hat Fleisch und Knochen, wie ihr es bei mir
seht.“ (Lk 24, 39) Hätte es noch deutlicher gesagt werden können? Es
versteht sich von selbst, dass Personen, die eine Position vertreten, wie ich
sie geschildert habe, diesen Satz für eine strategische Zufügung des
Evangelisten oder späterer Redaktoren halten.
Nota bene: auch heute sind es nicht
nur progressive Theologen wie Hans Küng oder Gerd Lüdemann, die die
Auferstehung nicht so glauben, wie sie überliefert ist, sondern auch Konservative,
die zwar fromm und ultramontan zu predigen wissen für die dummen Schafe, deren
absolute Unterwerfung sie unter die Kirche fordern, dabei gut und gerne ohne
Not beinharte Thomisten und knallharte Vertreter einer traditionellen
katholischen Identität mit unerschütterlichem Glauben an den Primat und die
Unfehlbarkeit des Papstes und die Herrschaft der Hierarchie sind, den Kern des
Glaubens aber von eigenen hierarchischen Gnaden relativieren. Man findet diesen
erschreckenden Glaubensverlust, wenn man genau hinsieht, allenthalben bei den konservativen
„Leuchttürmen“. Es ist interessant, dass sich dieses Phänomen sowohl bei den Katholiken
als auch den Protestanten gleichermaßen nachzeichnen lässt. Konservativismus
bezieht sich bei ihnen auf eine bestimmte „irdische“, also politische und
neuzeitlich-philosophische Gestaltung und Moral des „christlichen“ Abendlandes,
aber nicht auf den mystischen Glauben an den Auferstandenen, durch den alle
Dinge gemacht sind, wie die Schrift es sagt. Wir treffen in der gesamten
Westkirche trotz ihrer Spaltung auf eine ähnliche Grundhaltung:
So las ich bei dem als konservativ
geltenden Lutheraner Walther von Löwenich, der Glaube sei von Anfang an viel zu
„mythologisch“ verstanden worden, und es komme nicht auf die buchstäblichen
Glaubensinhalte, sondern die Glaubenshaltung an, die der ständigen Wandlung
durch den Heiligen Geist unterliege, der in die Tiefen eines Geheimnisses
führe, das rational nicht erschöpfend „feststellbar“ sei.[3]
Die Begrenztheit des gefallenen Menschen wird paradoxerweise neben einem
optimistischen Fortschrittsglauben zum steinernen Programm erhoben. Er kann
Gott nicht gewiss erkennen, auch dann nicht, wenn Gott es wollte, sondern nur
im Rahmen seiner Bewusstseinsgrenzen. Der Zusammenhang dieser Grenzen mit dem
Sündenfall wird implizit geleugnet. Man setzt voraus, dass der Mensch immer
schon diese Grenzen aufgrund seiner Bewusstseinkonstruktion hatte und haben
wird, sich wundersamerweise aber sich in einem evolutionären Prozess
„vervollkommnen“ wird. Die Probleme mit einer solchen Auffassung sind bekannt,
weist doch gerade der Protestantismus, der auszog, die Glaubensverwirrung, die
im 16. Jh in der Kirche erreicht war, zu reformieren und zu korrigieren, heute
ein noch katastrophaleres Bild auf als die katholische Kirche. So sehr von
Löwenich Recht zu geben ist mit seiner Kritik an der Über-Rationalisierung und
objektiven katholischen Entfernung von der neutestamentlichen Grundlage v.a.
der neueren Dogmen des 19. und 20. Jh, so sehr kann doch kein Glaube, der
diesen Namen verdient, auf bestimmte transzendente Grundlagen verzichten und
seien sie noch so sehr nur „wie in einem
Spiegel rätselhafte Umrisse“ (1. Kor
13, 12) gesehen. Ein Glaube steht und fällt mit grundlegenden, objektiv
formulierten Überzeugungen, die nicht einer ständigen (inter-)subjektiven Flexion
unterliegen können, die sich faktisch dieser Formulierung auf vielerlei Weisen
entzieht oder sogar entgegenstellt. Solche Flexionen der „Auslegung“, als ob
das Wort als fester und gewisser Wortlaut nicht als etwas dem erleuchteten Verstand
unmittelbar Verständliches existieren könnte, argumentieren scheinbar „demütig“
mit der Begrenztheit des menschlichen Bewusstseins und folglich auch seiner Vernunft,
führen aber im letzten Ende dazu, dass der Glaube eine Schöpfung des begrenzten
menschlichen Bewusstseins wird und somit auch nicht wirklich transzendent sein kann. Er wird — was die transzendente
Seite betrifft — zum Hirngespinst, das man mit Recht verwerfen oder durch einen
mehr oder weniger rigiden Moralismus oder Dogmatismus ersetzen kann, der sich
aus der bloßen Vernunfttätigkeit ergibt. Was „demütig“ daherkam, erschuf
blanken Hochmut. Und dass es Hochmut ist, sieht man am abendländischen Glaubensverlust,
der die Welt mehr als je zuvor in eine Wüste an Hass und Gewalt gemacht hat,
die ihresgleichen sowohl, was ihre räumliche als auch zeitliche Ausdehnung
betrifft, in der uns bekannten Geschichte sucht. Den Aberglauben hat diese
scheinbare Demut ebenso wenig eingedämmt, wie sie den Menschen aus seiner
Neigung zum Bösen hätte retten können. Das paulinische Wort vom „rätselhaften
Umriss im Spiegel“ meint nicht, dass dieser Umriss sich ständig wandeln müsse
oder könne. Der Umriss bleibt präzise dieser Umriss.
Dass der Ausgangspunkt all dieser
Exzesse das bewusste Abgehen vom Schöpfungsglauben und der biblischen
Kosmologie war und ist, die natürlich ebenfalls ein „rätselhafter Umriss“ sind,
möchte ich in dem etwas weitschweifigen Gedankengang kurz in Erinnerung rufen.
Die falsche Reaktion des Thomas, man müsse dann eher auf die scheinbar
genaueren Meinungen der „certa ratio“
hören, ist kaum haltbar.
Ein gut Teil der Problematik liegt also
darin, dass man meinte, der Reformation auf dem Konzil von Trient mithilfe
Thomas von Aquins begegnen zu müssen, dessen Werk damit einen quasi-kanonischen
Charakter erhielt, der im Laufe der folgenden Jahrhunderte so überspannt wurde,
dass am Ende das depositum fidei (das
Glaubensgut) zu einem dem Laien und untergeordneten Kleriker unverständlichen Mysterium
erklärt wurde, das es nicht an sich selbst gibt, sondern nur in der Tradition
des Lehramtes. Während des Tridentinums soll die „Summa theologiae“ des
Thomas von Aquin aufgeschlagen neben der Heiligen Schrift auf dem Altar der
Konzilsaura gelegen haben.[4]
Der ungeheuerliche Satz Pius IX. auf dem Vaticanum I gute 300 Jahre später, er
selbst sei die Tradition in Person („La
tradizione sono io!“), dabei voraussetzend, die jeweilig aktuelle Lehr-Tradition,
das „magisterium“ stünde als
übermächtige „regula fidei proxima“ (nächste
Glaubensregel) über dem depositum fidei,
das „nur“ die mysteriöse „regula fidei
remota“ (entfernte Glaubensregel) sei[5],
stammt, analytisch betrachtet aus demselben Geist, der im neueren Protestantismus
die Heilige Schrift einem ständigen Auslegungswandel bei der Fiktion einer
„festen“ und „unerschütterbaren Grundlage“ durch die Schrift unterwerfen will
und behauptet, es habe damit automatisch seine Richtigkeit. Es macht für den
Bestand des Glaubensgutes selbst wenig aus, ob er von einer Person bzw einem
Amt (hier: Lehramt) oder von vielen Personen maßgebend relativiert werden kann,
und dies im Falle des Papstes mit der Behauptung, diese Relativierung müsse per
definitionem „absolut wahr“ („proxima et
universalis veritatis norma“[6]) sein und sei immer nur eine Entfaltung
desselben Glaubensgutes. Eine schizophrene Situation entstand auf katholischer
Seite durch die Behandlung des Laien und kleinen Klerikers als einem ewig unter
schärfster Kontrolle zu Belehrendem, der aber zu dem, was ihn gelehrt wurde,
eine so große Distanz einnehmen musste, um nur ja nicht etwa damit eigenständig
umzugehen, dass er eigentlich programmatisch immer unbelehrt blieb. Das Lehramt
hat sich mit dem Tridentinum in einem gewissen Sinn selbst aufgehoben bzw zum
Selbstzweck, der um sich selbst kreist und dem Heiligen Geist nichts mehr
zutraut in den Herzen, erhoben.
Die neueren Auflösungen in der
römisch-katholischen Kirche, die darauf zurückzuführen sind, dass die Brüche in
der Lehre der Päpste auf einer logischen Ebene jedem gesunden Denken nach
objektiv vorliegen und das Lehramt daher als „nächste“ und primäre
Glaubensregel die Gläubigen in Absurdes, Tautologisches oder Kontradiktorisches
stürzt und zu Abspaltungen führt (v.a. bei Traditionalisten und
Sedisvakantisten), die der grundsätzlich berechtigten Verzweiflung am Lehramt
entspringen, entsprechen im Negativ den Vorgängen im Protestantismus. Der
Protestantismus und der Katholizismus geben hier nur zwei Seiten einer — gemessen
am freien und unmissverständlichen Wirken des Hl. Geistes — neuzeitlichen Haltung
ab, die meint, das Maß aufgrund eigenmächtiger Verabsolutierung oder
Relativierung, je nachdem, wie es gerade passt, zur einen oder anderen Seite
hin zementieren zu müssen. Dass dabei ein Übermaß an Widersprüchen und
Zumutungen für den Verstand geschaffen wird, die das, was ein Thomas an „Auslegungen“
von einfachen Glaubenssätzen meinte umgehen zu müssen, bei weitem übersteigt,
kann oder will man nicht sehen.
Der große Gott und Schöpfer aller
Dinge ist nach der christlichen Überlieferung in unser Fleisch gekommen und
teilt sich uns in unserem Horizont mit, zwar
„dem Gesetz unterstellt“ (Gal 4, 4),
aber nicht gebeugt unter der Begrenztheit der Sünde, sondern frei und das Geknickte
und Gekrümmte wieder aufrichtend, hin zu einer Erleuchtung, die die Verfassung
des natürlichen Menschen überschreitet. So zumindest steht es an zahlreichen
Stellen des NT (Phil 2, 13; Joh 14, 17; Röm 2, 14ff; 2. Kor 2, 13; Gal 4, 4 ff)
und wird selbst noch im tridentinischen Messritus (nicht mehr aber im Novus
Ordo Missae) bezeugt. Der Priester betet in jeder heiligen Messe bei der
Mischung des Weines: „Deus, qui humanae
substantiae dignitatem mirabiliter condidisti, et mirabilius reformasti…“ —
„Gott, der du das menschliche Wesen wunderbar geschaffen hast und noch
wunderbarer wiederhergestellt hast…“.
Wie es Jesus vorhersagte, ist es
gekommen: Das Evangelium wird verkündet trotz aller Verwerfungen und
Perversionen — ein Wunder. Es ist unredlich und widerspricht jeder
augenscheinlichen Vernunft, das Durcheinander, das sich in der Kirche etabliert
hat und wächst und wächst, schönzureden. Die beiden „Sicherungs“-Anschauungen,
die sich einbilden, man müsse nur alles dem Papst möglichst rabiat unterwerfen
oder andererseits sich nur „sola
scriptura“ verankern, haben beide zu noch schlimmeren Entgleisungen und
Brüchen geführt. Damit will nicht gesagt sein, dass es nicht richtig ist, an
der Autorität der Schrift festzuhalten oder auch eine sinnvolle institutionelle
Struktur zu haben — aber der Glaube kommt nicht daher, sondern „vom Gehörten“ (Röm 10, 17) und
ausschließlich durch die willentliche Neigung dessen, der da glauben soll. Wer
dessen Entmündigung betreibt, verspielt dessen Seelenheil um des eigenen Erfolges
willen. Mit Zwang, Terror und ständiger, hündischer philosophischer
Nachbesserung ist wem oder was auch immer, aber nicht dem Seelenheil der
Einzelnen gedient.
Mit der zitierten Einschränkung,
die Thomas von Aquin vornimmt, der letztendlich die gesamte weströmische Kirche
auch nach der Glaubensspaltung auf die eine oder andere Art gefolgt ist, sollte
man also nicht mit argloser Naivität begegnen.
Es ist nicht vertretbar, dass man
Dinge, die eindeutig formuliert sind, so behandelt, als müsse man sie insgesamt
einer spekulativen wissenschaftlichen Mode, den Irrungen eines Papstes, den
ehrgeizigen, selbstbezogenen Streitereien der Theologen und Hierarchen oder politischer
Notwendigkeiten wegen in ihrer Auslegung bis ins Beliebige hinein aufgeben oder
so lange umbauen, bis sie zum gewünschten gerade aktuellen „Proxima-Ziel“ passen.
Die Kirche hat mit ihrer Verabsolutierung
der Proxima-Regel gegenüber dem
Wortlaut des depositum fidei,
geradezu kantianisch argumentiert: Es gibt kein depositum fidei „an sich“, auf das Gläubige sich berufen könnten,
sondern nur in der Wahrnehmung und der als unfehlbar behaupteten, unbewussten
Vorstruktur des Lehramtes. Was fing sie noch an mit der Aussage des Paulus,
dass dieses „Gehörte“ („auditus“) wiederum „per verbum Christi“ komme, „durch das
Wort Christi“, also ein Werk des Heiligen Geistes in den Herzen ist, den Jesus
Christus gesandt hat? Von diesem Gedankengang her darf es uns nicht mehr
verwundern, dass ein Teil der Sedisvakantisten neben Thomas von Aquin auch
große Verehrer des deutschen Idealismus sind. Der gemäßigte Realismus der
Scholastik hat eine Entwicklungslinie hin zum Idealismus.
Es berührt mich darüber hinaus
merkwürdig, dass an diesem Punkt weder die römische Kirche noch das Luthertum
und der Protestantismus ehrlich blieben: beide raubten dem Gläubigen das „Gehörte“, indem sie ihm
vorschrieben, wie er es zu hören habe. Das Lehramt als „Proxima“-Glaubensregel beanspruchte diesen Heiligen Geist des
rechten Verstehens alleine für sich, der Gläubige sollte ewiger Sklave und
Schüler, das Lehramt ewiger Herr und Lehrer sein. Luther übersetzte diese Stelle
mit dem Satz, der Glaube komme aus der „Predigt“,
was als eine tendenziöse, wenn nicht sogar als Fehlübersetzung anzusehen ist.
Man darf fragen, ob er darin nicht sogar die katholische Position unkritisch
übernahm und noch überspitzte. Interessanterweise rutscht in seiner Übersetzung
die „Predigt“ vor den Wortlaut der Schrift — nicht anders als in der
katholischen Auffassung des ausgehenden Mittelalters und der frühen Neuzeit.
Bekanntlich kann die Wissenschaft
keine absoluten Aussagen treffen. Sie präsentiert immer nur Spekulationen,
Prämissen, Axiome und Hypothesen, die nicht zwingend sind, und leistet eine
forschende, um Erkenntnisgewinn bemühte Auseinandersetzung mit den empirischen
Phänomenen auf der Basis von modifizierbaren Theorien und kann jederzeit
falsifizierbar sein. Wie oft hat sich überhebliche Wissenschaft dazu
verstiegen, sogar die augenscheinlichen Phänomene für Sinnestäuschungen zu
halten und stattdessen bloßen Hirngespinsten und Theorien zu folgen.
Thomas knickt an der zitierten
Stelle aus der Summa einen Satz später aufgrund eines höchst ungeistlichen
Motivs noch zusätzlich ein:
Man müsse sich also an „die
Wissenschaft“ und ihre Erkenntnisse anpassen, „ne Scriptura ex hoc ab infidelibus derideatur, et ne eis via credendi
praecludatur“ — „damit die
Schrift nicht deswegen von den Ungläubigen lächerlich gemacht werden könne, und
damit sie nicht vom Weg des Glaubens abgeschnitten würden“.
Nun erfährt aber der katholische
Glaube, wie bereits gesagt, von Anfang
an solchen Spott — etwa wegen des Glaubens an die jungfräuliche Zeugung des
Sohnes Gottes aus und mit Maria, wegen seiner Auferstehungsüberzeugung, oder
wegen der Transsubstantiationslehre, um nur einige zu nennen. All das sind
Lehren, die dem gesunden Menschenverstand erheblich mehr Demut abverlangen als
die Frage nach der Schöpfung. Die defensive Haltung, die Thomas an dieser
Stelle offenbart, ist objektiv — gemessen an seiner sonstigen Stellung zu
Zumutungen für den Verstand — unverständlich. Ganz offenbar meint er, die
Schöpfungslehre sei zu vernachlässigen, und bei diesem Thema könne der rechte
Glaube um der Heiden willen ohne irgendeine böse Folge leicht aufgegeben
werden.
Thomas greift hier einen Gedanken
Augustinus’ auf, der die Frage nach der Gestalt des Himmels (die die der Erde
einschließt), die zu dessen Lebzeiten heftig diskutiert wurde, als
untergeordnet und in der Schrift nicht klar genug ausgeführt betrachtete und
wegen ihr nicht den Zugang zum Glauben verstellen wollte: „Quaeri etiam solet, quae forma et figura caeli esse credenda sit
secundum scripturas nostras. Multi enim multum disputant de his rebus,
quas maiore prudentia nostri auctores omiserunt ad beatam vitam non profuturas
discentibus et occupantes, quod peius est, multum pretiosa et rebus salubribus
inpendenda temporum spatia."[7]
—
„Gewöhnlich fragt man, ob man Form
und Gestalt des Himmels unseren Schriften gemäß glauben müsse. Viele streiten
nämlich viel über diese Dinge, die die meisten unserer Autoren aus Vorsicht
sein ließen, die zum künftigen seligen Leben nicht nützen, und, was schlimmer ist, wertvolle
Zeit von heilbringenden Dingen abziehen.“[8]
Halten wir fest, dass Augustinus
der Meinung ist, die Frage nach der Schöpfung sei nicht heilsnützlich, weil
Gott uns darüber nichts Genaueres offenbart habe, man aber das, was in den
Schriften darüber steht, nicht unbedingt in einem bestimmten Sinn glauben müsse.
Dass dies keinesfalls ein zwingender noch überhaupt ein zulässiger Schluss ist,
möchte ich festhalten. Wie sich dieser Schluss mit dem Respekt vor der
Autorität der Schrift vereinbaren lässt, bleibt ein Rätsel. Es ist eine private
Meinung des Augustinus, die sich über eine, wenn man genauer hinsieht,
keineswegs nur undeutliche Aussage in der Schrift meint hinwegsetzen zu können.
Da aber die Heilsgeschichte in der Schöpfung und mit der Schöpfung geschieht,
ist mir seine Haltung unverständlich — wie kann man angesichts dieser
Ausgangslage die Beschaffenheit dieser Schöpfung für eine vernachlässigbare
Größe halten und nicht erkennen, wie groß die Gefahr einer völligen Verkennung
der Zeichen ist, wenn man einer verkehrten Kosmologie anhängt?
Thomas ist sogar bereit, die
biblische Kosmologie im Zweifelsfall, falls es der Wissenschaft nicht
einleuchtet und sie andere oder konkretere Modelle vorstellt, aufzugeben, um
dem Verstand nicht noch mehr Unglaubliches abzuverlangen.
Könnte es sein, dass diese
Blindheit und Unvorsichtigkeit verheerende Folgen hatte? Beide konnten sich aus
dem „Wissensstand“ ihrer Zeit eine zukünftige Weltzeit nicht vorstellen, in der
Menschen behaupten würden, es gäbe ein unendliches Vakuum-All, in dem die
Gestirne wundersamerweise als Leuchtkugeln herumsausen würden, in das man mit
Raumschiffen und Sonden hinausfliegen könne, und es gäbe dort selbstverständlich
nirgends einen Gott, auch wenn man an der Konstruktion dieser für meine
Begriffe kindischen Murmelbahnen erkennen könne, dass Gott „wie ein menschlicher Baumeister“ hier „Ordnungen“ geschaffen habe
(Johannes Kepler).
Anders, als es gemeinhin behauptet
wird, stammt diese neuzeitlich Kosmologie, die einseitig auf
griechisch-römischen, heidnischen Grundlagen beruht und bewusst die biblische
Überlieferung über Bord warf, fast vollständig aus den Gehirnen und Werken
katholischer und protestantischer Kleriker, die trotz einiger
Auseinandersetzungen am Ende immer den Segen der Kirche erhielten. Dass die
Kirche sich dauerhaft ohne Widerstand diesen Fantasien seltsamer, häufig tief
in heidnischen, astrologischen und alchemistischen Studien verstrickter Männer
überließ[9],
geht auf die beschriebene frühe und für meine Begriffe fahrlässige
Argumentation, es sei nicht wichtig und heilsnützlich, was man über die Gestalt
von Himmel und Erde glaube und wichtiger, sich der „Wissenschaft“ anzupassen, durch
Augustinus und Thomas zurück. Den vorläufigen Höhepunkt bildete dabei das Werk des Erfinders des "Urknalls", des Jesuiten Georges Lemaître (+ 1966) und das Werk des Jesuiten Pierre Teilhard de Chardin (+ 1955), der die gesamte Heilslehre dem neueren evolutionstheoretischen und paläontologischen Denken unterwarf.
[1]
Zuletzt im Vaticanum I so definiert in der Konstitution „Dei filius“
[2]
Thomas von Aquin: Summa theologiae. Iª q. 68 a. 1 co
[3]
Walther von Löwenich: Der moderne Katholizismus. Erscheinung und Probleme.
Witten 1956. S. 62 ff
[4] Vgl.
David Berger: Thomas von Aquins ‚Summa theologiae’. Darmstadt 2010. S. 36
[5] Vgl.
Per Erik Persson: Repraesentatio Christi: Der Amtsbegriff in der neueren
römisch-katholischen Theologie. Göttingen 1966 S. 44f
[6] Pius
XII.: Humani generis. AAS 42, 1950, S. 567
[7]
Augustinus: De genesi ad litteram 2, 9
[8] Anders als Thomas aber ist
Augustinus hier weniger wissenschaftsgläubig. All jene, die wegen biblischer
Schöpfungsaussagen irritiert seien, sei gesagt, dass auch er, Augustinus, dazu
nur ein wenig sage, denn „spiritum dei,
qui per eos loquebatur, noluisse ista docere homines nulli saluti profutura“ — „der Geist Gottes, der
durch sie gesprochen hat, wollte die Menschen nicht über das belehren, was zum
Heil nicht nützt“.
[9]
Johannes Kepler war, obwohl er evangelischer Theologe war, vor allem Astrologe
und kam auf seine „Ideen“ mittels „Erleuchtungen“, die er anschließend durch
anscheinend mathematische Berechungen „bewies“. Newton war als ebenfalls
studierter anglikanischer Theologe ein bekannter Alchemist und Leugner der Hl.
Dreifaltigkeit. Kopernikus war Priester und Domherr und dennoch Neuplatoniker.
Während seiner Zeit in Bologna führte ihn Novara in dieses Denken ein, das in
der Sonne das materielle Abbild Gottes sah. Seine Vorstellung, alle „Planeten“
müssten daher um die Sonne kreisen, entspringt einem heidnischen, philosophischen
Denkansatz. Giordano Bruno war Dominikaner. Galileo Galilei war zeitweise
Benediktiner-Novize, wurde aber von seinem Vater gezwungen, den Orden wieder zu
verlassen.
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