Neuer Titel erschienen: "Herodes oder Die Apokalypse der Repräsentationen"
Herodes
oder
Die Apokalypse der Repräsentationen
von
Hanna Jüngling
Zeitschnur Verlag
Walzbachtal
385
Seiten, 440g
Format
20,5 x 13,5cm
ISBN 978-3-940764-29-4
Ladenpreis
23,00
€
Erhältlich auf Nachfrage, in Buchhandlungen und auf Booklooker:
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Ich habe gerade ein neues Buch veröffentlicht, das für unsere Zeit und eine Schau über die komplexen Probleme hinaus betrachtet, interessant sein könnte.
Es trägt den Titel „Herodes oder Die Apokalypse der Repräsentationen“ und enthält eine theologisch und philosophisch begründete Kritik dessen, was ich als „Repräsentations-Ideologie“ bezeichne.
Ausgangspunkt meiner Überlegungen war ursprünglich ein Exposé und ein Vorwort von dem Theologen Helmut Waldmann zu einem geplanten Werk, das vermutlich den Titel „Petrus und die Herodianer“ getragen hätte, wenn er es fertiggestellt hätte. Ich habe leider keinen Kontakt mehr zu Waldmann herstellen können und vermute, dass er gar nicht mehr lebt.
Das Exposé finden Sie hier: https://publikationen.uni-tuebingen.de/xmlui/bitstream/handle/10900/43986/pdf/antichrist.pdf?sequence=1&isAllowed=y
Das Vorwort finden Sie hier: https://publikationen.uni-tuebingen.de/xmlui/bitstream/handle/10900/43994/pdf/vorwort.pdf?sequence=1&isAllowed=y
Meine
Gedankenführung bewegt sich allerdings in neue Richtungen. Ich habe
mich genauer mit der Gestalt des Königs Herodes auseinandergesetzt,
dem „System“, das er entwickelt hat und stieß auf die
interessante Tatsache, dass er ein judaistisches (nicht mehr wirklich
jüdisches) MultiKulti-Reich unter der Schirmherrschaft der Römer
errichtet hat. Selbst Edomiter erfüllte er damit die Prophezeiung
des Stammvaters Isaak über Jakob (Israel) und Esau (Edom), dass Esau
das Joch Jakobs von sich werfen und nun seinerseits (in dessen
Gewand) herrschen würde. Herodes hatte das ambitionierte, aus den
Makkabäeraufständen hervorgegangene, erstmals nach Jahrhunderten
wieder politisch selbständige Hasmonäerreich beerbt und
fortgesetzt. Ähnlich wie der heutige zionstische Staat Israel war
bereits dieses Hasmonäerreich ein Versuch, das Reich für Israel
ohne messianische Legitimation wiederherzustellen. Da Juda aber nicht
Israel, sondern nur Nachfahre des Südreiches des zerbrochenen
salomonischen Israels ist, wurde damals wie heute sowohl bei den
jüdischen als auch christlichen Denkern und Gläubigen ausgeblendet,
dass die alten Verheißungen für Israel nur dem ganzen Israel gelten
(den „beiden Häusern Israels“, wie es heißt).
„Efraim“,
das Nordreich, das im 8. Jh vChr durch die Assyrer in den Norden
deportiert wurde und von da aus wahrscheinlich nach Europa einströmte
und nach den Worten Jeremias sogar Gottes „Erstgeborener“ ist,
wurde und wird bis heute systematisch ausgeblendet, verdeckt und
vonseiten der Juden sogar geleugnet: Es sei „irgendwie“ in ihnen
„aufgegangen“ und werde durch sie „repräsentiert“. Dass
diese zehn Stämme irgendwo geblieben sein müssen und eine sehr
große Zahl haben dürften, die
die der Juden weit übersteigt (!), wollen
weder Juden
noch Christen bedenken. Dabei wird noch
dazu übersehen,
dass die Juden heute vielleicht nicht einmal mehr Nachfahren des
Stammes Juda sind, sondern aus dem herdoianischen Gemisch stammen,
mithilfe dessen Herodes ein neues Israel hatte schaffen wollen.
Waldmann
nun sah in der Kirche diesen herodianischen Ansatz fortgesetzt,
ebenso wie beim nachchristlichen Judaismus. Die Frage nach Efraim
stellte allerdings auch er nicht.
Seiner These nach war von
Anfang an das Antichristliche in die Performance der Kirche
eingezeichnet, weil die Apostel selbst herodianisch dachten und
empfanden. Jesus Christus habe dies gewusst und vorhergesehen. Denn
Jesus erschien genau zu diesem Zeitpunkt, als das Hasmonäerreich
nach 150 Jahren Mord und Totschlag scheiterte und in ein
herodianisch-judaistisch-edomitisches Gegenreich verwandelt worden
war, das römische Gewalt perfekt für seine eigenen Zwecke zu nutzen
verstand. Herodianismus ist – so wiederum meine Beobachtung – so
konfiguriert, dass er auch ohne Staat jedes Staatswesen unterwandern
oder infiltrieren kann, gewissermaßen als „mobiler Über- oder
Unterstaat im Staat“. Vorbilder dafür liefern manche Gestalten und
Szenerien des Alten Testamentes bereits. Handelte es sich dort um
eine fundamentale Staatskritik seitens der Propheten, die in jeder
Staatlichkeit, jedem Fürstentum Abgötterei sahen (Jesus steht in
dieser Tradition, als er in der Wüste ablehnt, ein solcher Fürst zu
werden, gleich ob ober- oder unterirdisch!), machte der Herodianismus
daraus eine Tugend und untergrub systematisch alle Staatlichkeit
sowohl aufseiten des Judaismus als auch aufseiten der Kirche.
Waldmann glaubte, dass Gott das Kaiserreich diesem religiösen Moloch
als Korrektiv entgegengestellt habe. Von dieser Idee bin ich mit
einigen Gründen eher weniger überzeugt, weil die kasierliche Macht
auf denselben Prinzipien beruht wie die kirchliche und eine
Verdoppelung zwar ein In-Schach-Halten erzeugen kann, aber keinen
Frieden
oder gar Gerechtigkeit. Die
Hoffnung, ausufernde Macht durch Institutionen oder Gesetze zu
kontrollieren, hat sich in unseren Tagen wieder einmal gründlich
zerschlagen ...
Der Aufbau einer kaum mehr zu kontrollierenden Herrschaft bedurfte einer grundlegenden Vorstellung, die aus den patriarchalen Ideologien des Zweistromlandes und Ägyptens kam: Menschen seien dazu ausersehen von den Göttern, andere zu „repräsentieren“, d.h. sich an deren Stelle zu setzen, deren Wesen zu dominieren oder sogar zu rauben, sie in Unmündigkeit zu stoßen und zu steuern, zu kontrollieren und deren Kräfte auszusaugen für eine egregoriale und idolatrische Selbstdarstelluung.
Die Grundfigur dieser Ideologie findet sich in der zerrüttet-hierarchisierten Geschlechterbeziehung und greift von dort aus über in sämtliche Beziehungen zwischen Menschen in sozialen Kontexten. Wie sehr Jesus dies dekonstruierte, wie sehr er es brüskierte, unterlief und verweigerte, ist mir selbst erst anhand dieser Arbeit zu Bewusstsein gekommen.
Waldmanns gedankliche Konsequenz, dass die Kirche von Anfang an antichristlich gewesen sein muss, viel mehr als der Judaismus selbst, der allenfalls antikirchlich ist (!), ist radikal, kann aber von mir geteilt und bestätigt werden. Und auch dies, dass Jesus das wusste und geschehen ließ.
Dass jeder einzelne Christ damit vor eine enorme innere Zerreißprobe gestellt wurde, ist die logische Folge. Alles, was sich kirchenhistorisch ereignet hat und ereignet, ist im Grunde unter diesem Verdikt zu sehen: Sie konnte nicht vermeiden, dennoch Kunde zu bringen von Jesus Christus, dem „Anti-König“, dem „Anti-Helden“ am Kreuz, unterlief aber seine zentrale Botschaft von der kommenden und bereits angebrochenen „basileia tou Theou“ beständig und in erbitterter Gegenwehr durch Umdeutung, Leugnung oder Vereinnahmung in einer Repräsentationsideologie spezifisch christlicher Art. Diese innere Spannung konnte nicht anders als die Kirche immer tiefer zu spalten. Auch das ist logisch, und niemand wird leugnen können, dass es auch das ist, was wir vor Augen sehen und erleben. Sie wird vermutlich zerbrechen müssen, aber das ist nicht ihr Ende.
Die Hoffnung kann daher kaum auf diesem Prozess in der Kirche und im Judaismus selbst beruhen, sondern auf dem Wachsen des „Steines, der nicht von Menschenhand gelöst“ wurde und all die Machtgebilde zerstäubte und selbst doch wuchs und wuchs, bis unmerklich der ganze Erdkreis auf dem Fundament dieses Steines stehen wird. Mit dieser Vision des Königs Nebukadnezar aus dem Buch Daniel endet das Buch dennoch hoffnungsfroh.
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Hanna Jüngling, September 2024