Donnerstag, 4. Juli 2013

Das Feuer der Genderer

Wenn ich sie im Selbstmitleid versinken sehe, die Genderer, dann marschieren vor meinem inneren Auge bunte Gartenzwergarmeen auf, so wie beim Christopher Street Day, die mit ihren kleinen Spaten und Hacken an einem kitschigen Arkadien bauen. Es sind lauter Homunculus-Zwergerln, gerade in Reagenzglasgröße. Wehe, Sie lachen, wenn ein vollbärtiges Manderl Ihnen weinend gesteht, es habe sich schon immer für die Prinzessin auf der Erbse gehalten und fühle sich vom Schneewittchen ausgegrenzt, weil es, also das Zwergerl, weder lesbisch noch schwul, sondern „a Genderer“ sei und mit Wesen des dritten Geschlechts verkehren wolle.
Also, noch mal zum Mitschreiben:
Das Zwergerl fühlt sich diskriminiert, weil das Schneewittchen sich einbild’, alleine Prinzessin zu sein daheim, und entlässt eine dicke Krokodilsträne über sein stoppeliges Mannsgesicht… 
Ich gebe ihm den Werbeflyer „ Cyber-Love-Playground“ für geschlechtergerechten Sex: Lustorgane leiht das dritte Geschlecht künftig nur noch aus – so wie man Schlittschuhe und 3D-Brillen an den Kassen der Film- und Eispaläste ausleihen kann… Es gibt übrigens brandneue Desire-Organe (von studierten Joy- and Gaydesignern entworfen und gestaltet). Der Genderer schließt sich über Elektroden mit einem Cyber-Love-Computer kurz und verschafft sich über einen Touchscreen die angestrebten Lustsensationen. 24-Stunden-Karten für bis zu 5 Personen sind besonders preiswert.
Das weinende Zwergerl setzte alle Hebel in Bewegung: Das Schneewittchen wurde gleich am selben Tag noch verhaftet. Erst hieß es „wegen dringenden Tatverdachts der Homophobie“. Man sperrte das Möchtegern-Weib bei Wasser und Brot im Hochsicherheitstrakt für politische Gefangene in eine Einzelzelle. Das Zwergerl protestierte und wandte sich mehrsprachig an eine globale Internet-Zeitung: es sei nicht schwul, sondern gender, schöner, feinsinniger und vor allem hochgewachsener Adel, aber geschlechtslos, und das Schneewittchen sei genderophob zu ihm gewesen, es, also das Zwergerl, habe es deutlich gesehen, wie sie, nein es, also das Schneewittchen, in ihr, oder besser sein Zimmer gerannt und dort in einen Lachanfall ausgebrochen sei, als es, das Zwergerl, ihm, dem Schneewittchen unter Tränen und dem Siegel der Verschwiegenheit mitgeteilt habe: Du, Prinzi, weißt, ich bin auch eines von deiner Art…
Eine Schockwelle ergreift das ganze Land. Wer hätte das von dem bislang unbescholtenen Schneewittchen gedacht? Ja, pass auf, liebes Zeitgenosserl, der oder soll ich sagen das Feind lauert überall! Abende lang flimmerten Talkshows zum Thema Genderophobie über die Bildschirme. Einem völlig desorientierten katholischen Bischof, der vergessen hatte, sich vorher DBK- und ZdK-programmieren zu lassen, entfuhr der leidenschaftliche Hinweis darauf, dass Gott den Menschen als Mann und Frau geschaffen habe und er, also er, der Bischof, im übrigen ein Er sei, ein Mann, ein Mann im Zölibat, und das sei seine Berufung, als Mann Priester zu sein und keusch zu leben – die Talkgäste saßen wie vom Donner gerührt da…Mann…keusch…Zölibat…der spinnt doch…mit dem stimmt was nicht…die Sendung musste unterbrochen werden und das sehr ernste Moderatoren-Menschenkind warf den schwarzrockigen Sex-Verzichts-Manns-Teufel salbungsvoll aus der Sendung, denn hier sei man schon immer „gegen rechts“ gewesen, und das bleibe auch so. Das verlange die moralische Verantwortung. Wehret den Anfängen. Die katholische Kirche ist unser Unglück. Wer ein Geschlecht hat, ist verdächtig, aber wer nicht sext, der ist verhext. Kauft nicht bei Piusbrüdern und Traditionalisten, bei dieser vorkonziliaren Schande, diesen hochgefährlichen Leuten, die mit dem Rücken zum Volk die Heilige Messe feiern und Kondome verbieten. Und das auch noch auf Lateinisch. Das elitäre Pack! Ein weiterer Talkgast, seines Zeichens Star-Gender-Designer, fragt scheu, was ein Kondom sei? Man erklärt es ihm – das gab’s mal früher, als es noch Männer gab, zur Verhütung vor Aids, das war Safer-Sex. „Ach so“, nuschelt das junge Gemüse und wird grün im Gesicht. „Danke, das wusste ich nicht.“
Anschließend kann man sich erholen. Endlich ist man unter sich. Sogar die Alibi-Muslima, - wir sind tolerant, weltoffen, nicht islamophob und debattieren mit allen gesellschaftlichen Kräften - halt, hm also, ja wie sagt man das gerecht, also das Muslimum, das ebenfalls an der Sendung teilnahm, mit Kopftuch, beeilte sich ein ums andere Mal zu versichern, dass im Islam auch Männer seit neustem ein Kopftuch tragen täten. Strafender Blick des talkenden, evangelischen Pfarrers im grammatischen Neutrum: „Was, bei euch gibt’s noch Männer und Frauen!? Damit geht es mir nicht gut.“ Das Muslimum schnappte nach Luft in all seinen Tüchern und haspelte atemlos: „Ich…nein…hehe…wollte nur sagen, dass wir inzwischen alle ein Kopftuch tragen…hmm.“ Der Augenblick der Gefahr war vorüber. Man entspannte sich, sank erleichtert zurück in die Studiosessel und kam auf das Thema der erweiterten Ehe: ein Gartenzwergerl und ein Feuersalamander hatten sich frisch vermählt und zeigten ein 3D-Hochzeitsvideo. Alle setzten ihre Brillen auf, auch die Zuschauer zu Hause, und das Muslimum beruhigte seinen Atem. „Daheim in Arabien hätte man das ganze verkommene Gesocks einen Kopf kürzer gemacht, damals, bevor unser Öl explodierte und alles in Schutt und Asche legte“, rumpelte ihr äh ihm durch den Kopf und es verbarg das Gesicht schnell in den Kopftuchfalten.
Ist das nicht eine schöne Vorstellung, diese Gartenzwerg-Idylle? Vor allem, dass man sich sein Geschlecht jetzt frei kaufen und nach Gebrauch einfach in die Restmülltonne werfen kann, finde ich ganz groß. Der Fortschritt lässt sich eben nicht aufhalten. Das Schneewittchen, das ohnehin nichts mehr zu verlieren hat (es bekam 120 Jahre ohne Bewährung) ließ immer wieder Kassiber aus dem Knast schmuggeln. Auf einem stand: „Ihr Deppen, wie wollt ihr so noch Kinder kriegen? Wer soll euch später pflegen, wenn ihr nicht mehr könnt und keine Nachkommen da sind?“
Ein typischer Fall von Kurzsichtigkeit! Auf dem globalen Markt ist alles möglich. Die Kinder kaufen wir den Menschen in den armen Ländern zu fairen Preisen ab. Bevor die Chinesen weiterhin bereits geborene, überzählige Kinder umbringen, bieten wir ihnen ein lukratives Geschäft an. Bevor irgendwelche Afrikaner kleine Kinder klauen, um sie zu Kindersoldaten auszubilden, holen wir sie zu uns… Ihr Geschlecht montieren wir ihnen bei der Einreise ab. Das brauchen sie ja nun nicht mehr.
Das Geschlecht ist das Zeichen einer ungerechten, gewalttätigen Welt, wie sie in der Finsternis früherer Zeiten dem unaufgeklärten, durch die Kirche verdorbenen Blick als natürlich erschien. Das haben wir überwunden, ein für alle Mal! Der Geschlechterkampf ist vorbei, seitdem es keine Geschlechter mehr gibt. Logisch.
(Übrigens gibt es durch die progressiven Entwicklungen Kastratensänger in großer Zahl und eine Renaissance der historischen Aufführungspraxis all jener Werke, die ursprünglich von Kastraten gesungen wurden. Aber das nur am Rande.)
Viel interessanter ist, dass die Beschneidung beider Geschlechter wiederentdeckt und endlich zu ihrer verdienten Würdigung gekommen ist. Die tiefe Weisheit der vorchristlichen Kultur, die durch die Sakraldiktatur der katholischen Kirche grausam zerstört worden ist, leuchtet wieder ungedimmt. Die Beschneidung, weiterentwickelt zur Totalbeschneidung, ersetzt die vormalige Taufe. Die Totalbeschneidung gilt als Bundeszeichen der gerechten Friedenswelt. Hässlich ist, was noch festgewachsene, natürliche Geschlechtsorgane trägt. Es ist wie vormals eine Frau mit unrasierten Beinen, oder ein Priester im Zölibat. Das Schönheitsideal der Zukunft ist haarlos, geschlechtslos, unkeusch und – hirnlos. Nein, Moment, bevor Sie sich aufregen - das ist nicht diskriminierend! Es ist gerade andersherum: das Gehirn will partout nicht geschlechtsneutral sein, also weg damit, macht kaputt, was euch kaputt macht! Oder sagen wir es noch besser mit einem anderen Kassiber Schneewittchens: „Selbst ein Skelett zeigt, ob es ein Mann oder eine Frau war. Die Ungerechtigkeit sitzt einfach drin – schafft euch doch einfach ganz ab, ihr Idioten, verbrennt euch bei lebendigem Leib, erst dann gibt es keine Geschlechter mehr.“
Aber auf diese Idee waren die Genderer schon selbst gekommen: sie inszenierten eine riesige Flash-Rainbow-Goodbye-Party und verbrannten die inzwischen ergraute, nachkommenfreie Menschheit in einem Akt kollektiver Selbstbestimmung. Es war ein gigantisches Feuerwerk. Sie hatten gehofft, es bleibe nichts übrig. Das Feuer, so dachten sie, brenne herunter über ihren entstellten Leibern und sie könnten eines Tages aus ihrer Asche aufsteigen wie große freie Vögel, ihre Schwingen im Zeitlupentempo der Sonne entgegenhalten. Sie täuschten sich: das Feuer brennt. Punkt. Es hört nicht auf zu brennen und sie hören nicht auf zu sein. Und das schlimmste ist, dass durch die starke Hitze die beschnittenen Geschlechtsmerkmale ebenso wie die rasierten Haare wachsen, riesig, überdimensional, man weiß gar nicht wohin mit soviel Geschlecht und Haar! Und wenn Sie wissen wollen, warum das Feuer ewig brennt, dann spitzen Sie die Ohren. Es ist unglaublich, aber wahr: der gigantische Müllberg von verbrauchten Geschlechtsorganen, Sie erinnern sich, diese Discount-Einweg-Organe, die man anschließend in die Restmülltonne werfen konnte, haben einen Brennwert, den die Welt noch nicht gesehen hat. Da sitzen sie, die Genderer, und brennen in ihren Zoom-Geschlechtsteilen, den festgewachsenen wie den abnehmbaren. Es ist zum Verrücktwerden. Und schon gibt es wieder Trouble zwischen Männern und Frauen, wegen allem und jedem. Ich will es nicht ausschmücken. Auf der Erde war es halt doch schöner, da konnte man mit Hacke und Spaten nach Schätzen graben und sich eine kitschige Welt im Postkartenformat erträumen. Und in der Abendkühle ein rotes Zipfelmützlein aufsetzen, in sein kleines Bett zwischen rotkarierte Kissen sinken und seinen Mann-Frau-Kummer verschlafen.