Donnerstag, 16. Juni 2016

Apostolae apostolorum II: Eine namenlose Prophetin des Königreiches Christi



II. Die Salbung des Herrn: Die namenlose Prophetin

Die Frau, die man in der Kirche gerne mit Maria Magdalena identifizierte, mit einer „Hure“ also, obwohl dafür keinerlei sachlicher Grund gegeben ist, wird in den Evangelien in drei bzw. vier verschiedenen Berichten genannt.
Es handelt sich um die Geschichte von der „Salbung Jesu in Bethanien“. Die Erzählung findet sich sowohl bei Matthäus (Mt 26, 6ff), als auch bei Markus (Mk 14, 3ff), als auch bei Lukas (Lk 7, 36). Eine ähnliche Geschichte weist das Johannes-Evangelium (12, 1ff) auf.

In den synoptischen Evangelien ist Jesus zu Gast bei einem Mann namens Simon, der zweimal als (ehemaliger) „Aussätziger“ bezeichnet wird (Matthäus, Markus), einmal als „Pharisäer“ (Lukas). Jesus ist dort zu Tisch eingeladen. In allen Erzählungen tritt eine Frau ein, die in der Hand ein Alabastergefäß mit kostbarem Salböl trägt und Jesus damit salbt. In allen Berichten wird die Frau von den männlichen Jüngern hart kritisiert für die Salbung Jesu, vom Herrn selbst aber verteidigt.

Unterschiede bestehen

1. hinsichtlich des Ortes, der nur bei Matthäus und Markus das Haus des Simon in Bethanien ist. Bei Lukas wird der Ort nicht genannt. Im Johannes-Evangelium wird zwar Bethanien genannt, aber das Haus der Geschwister Maria, Martha, Lazarus und nicht das des Pharisäers Simon.

2. hinsichtlich des Körperteils Jesu, der gesalbt wird. Bei Matthäus und Markus ist es der Kopf Jesu bzw. sein Haar. Bei Lukas sind es die Füße. In der ähnlichen Geschichte in Johannes 12 salbt Maria ebenfalls Jesu Füße.

3. hinsichtlich der Begründung des Unwillens der männlichen Jünger: Bei Lukas ist Simon unwillig, weil die Frau eine stadtbekannte Sünderin sei und Jesus sich durch ihre Berührung unrein gemacht habe. In den anderen Evangelien argumentieren Jünger damit, es sei Verschwendung, ein so teures Öl zu dieser Salbung zu verwenden, und man hätte dafür viel Geld bzw. 300 Denare erhalten und den Armen schenken können.

4. hinsichtlich des Standes der Frau: Während sie bei Matthäus und Markus als anonyme Frau auftritt, im Johannes-Evangelium die Salbende die Gastgeberin Maria ist, berichtet nur das Lukasevangelium, dass der Pharisäer Simon sie als „Sünderin“ betitelt, die in der ganzen Stadt bekannt sei.

Man kann bezweifeln, ob es sich bei den Erzählungen in den synoptischen Evangelien um ein und dieselbe Begebenheit handelt. Der Grund liegt darin, dass im Lukas-Evangelium die Begebenheit sehr früh berichtet wird. Sie fällt in die Zeit, in der Jesus im Land unterwegs ist und zum Befremden vieler frommer Juden mit den Sündern keinerlei Berührungsängste aufweist. Johannes der Täufer scheint zu dieser Zeit ebenfalls noch aus dem Kerker heraus zu wirken (Lk 7, 18 ff). In den Erzählungen bei Matthäus und Markus dagegen findet das Zusammentreffen Jesu mit der Frau wenige Tage vor seinem Tod statt. Bei Matthäus sagt Jesus selbst, „in zwei Tagen“ beginne das Pessachfest, und da werde er gekreuzigt werden (Mt 26, 2). Auch Markus beginnt seinen Bericht über die Salbung Jesu mit dem Hinweis, es sei zwei Tage vor Pessach gewesen. Die Erzählung im Matthäus- und Markus-Evangelium weist daher die größten Übereinstimmungen auf, und auf sie will ich mich im Folgenden konzentrieren. Die Erzählung im Johannes-Evangelium hat zwar ähnliche Züge, kann aber alleine schon aufgrund der völlig verschiedenen Gastgeber und Namen nicht „objektiv“ dieselbe Geschichte sein. Der Gedanke liegt selbstverständlich nahe, dass alle vier Erzählungen aus einem und demselben Gut schöpfen. Ob die „Sünderin“ Maria von Bethanien sein könnte, ließe sich zur Not aus den Evangelien rekonstruieren, nicht aber die Identifikation mit der Lieblingsjüngerin Jesu. Eine Verbindung dieser vier Erzählungen zu Maria Magdalena gibt es im Neuen Testament nicht. Als Salbende tritt Maria Magdalena vielmehr erst auf, als Jesus im Grab ist. Früh am Morgen eilt sie zum Grab und will den Leichnam salben (Mk 16, 1). Es spricht nichts dagegen, dass Jesus mehrfach in verschiedenen Situationen durch Frauen gesalbt wurde.

Die namenlose Frau, die nach Matthäus und Markus auf das Gastmahl bei Simon, dem Aussätzigen kommt, ist symptomatisch für die Geschehnisse um den Opfertod Christi.
Es ist eine Frau, die eine Schlüsselrolle innehat. Ihre Anonymität lässt sie als exemplarisch für die Frau überhaupt erscheinen. Sie tritt offenbar überraschend und ungebeten ein und salbt das Haupt Jesu. Dem Unwillen der Jünger begegnet Jesus mit dem Hinweis darauf, dass diese Frau etwas Prophetisches getan habe: sie habe ihn für sein Begräbnis gesalbt. Und wo das Evangelium verkündigt werde, werde man ihrer Tat gedenken.

Was bedeutet das?

Die Frau, die man im Judentum aus allem Heiligen und aus der Beschäftigung mit der Thora ausgegrenzt hat, tritt hier also ungebeten ein – ein Rabbi und (wahrscheinlich) ein Pharisäer hatten sich getroffen. Die Frau tritt einfach hinzu. Während Jesus Männer ausdrücklich berief, ist bei keiner einzigen Frau davon die Rede. Sie hängen sich von sich aus an Jesus oder treten einfach ungebeten hinzu. Und der Herr lässt sie kommen und steht dafür ein, dass sie es dürfen. Ähnlich wie bei den verachteten Kindern wehrt er den Unwillen der Männer ab, denen eher so etwas wie ein „Arkanprinzip“ vorschwebt: „Die Jünger aber wiesen die Leute schroff ab. Doch Jesus sagte: Lasst die Kinder zu mir kommen; hindert sie nicht daran! Denn Menschen wie ihnen gehört das Himmelreich.“ (Mt 19, 13b+14)

„Talium est enim regnum cælorum.“ – „Solchen gehört nämlich das Himmelreich.“ Solchen - das kann man auch auf die Frauen übertragen...
Die Frau tritt also überraschend, ungebeten und absolut zielstrebig ein. Sie weiß ganz genau, was sie vorhat. Doch welches Motiv könnte sie haben?

Salbungen mögen kosmetische Zwecke gehabt haben, aber diese Situation hat keine Merkmale einer „Badezimmer“- oder „Beauty-Salon-Situation“.  Rituelle und auch überraschende Salbungen gebühren nur Königen und Propheten. 

Der „Gesalbte“, der „Maschiach“, dessen griechische Übersetzung „Christus“ lautet, ist ein Gesandter oder Erwählter Gottes, ja, sogar der erwartete Retter der Welt. 

Diese Salbung Jesu erinnert in ihrer Plötzlichkeit an die, die einst der Prophet Samuel auf Geheiß des Herrn an dem Knaben David vollzogen hatte. In 1. Samuel 16 wird uns berichtet, wie Samuel vom Herrn gesandt ins Haus Isais eintritt, die Leute auffordert, sich mit ihm auf ein Opfer vorzubereiten. In einem inneren Dialog zwischen Gott und Prophet wird ihm angewiesen, nach einem etwa noch nicht aufgetretenen weiteren Isai-Sohn zu fragen. Man lässt den jungen David von der Schafweide holen. Gott gibt Samuel ein, diesen zum König zu salben. Der Prophet macht auch hier keine weiteren Umstände und salbt David inmitten der Familie kurzerhand zum König.
Diese Situation steigt auf, wenn man die Geschichte von der Salbung in Bethanien liest. 

Die Frau tritt ein, trägt ein geradezu sündhaft teures Salböl in der Hand und vollzieht ohne langes Federlesens das, was keiner der Männer, auch nicht des Zwölferkreises, für nötig befunden hätte, nämlich die Salbung Jesu zum König und Retter. Sie spricht kein Wort. Sie vollzieht gestisch, was keiner öffentlich zu sagen wagt: 
Dieser ist der Gesalbte des Herrn, er ist der Herr und König über des All, denn alles ist durch ihn gemacht.

Seine Salbung ist hier eine Salbung zum wahren König der Welt, zum verborgenen König, und es ist symptomatisch, dass nicht irgendein stolzer, hochgestellter Mann diese Salbung Jesu für das verborgene Reich Gottes vornimmt, sondern eine Frau, deren Name uns nicht einmal bekannt ist. 
Wie es die Gottesmutter im Magnificat schon sagt: Die Niedrigen erhebt er, die Mächtigen stürzt er, die, die den Luxus innehaben, die stürzt er, an allen Schlüsselstellen wendet sich der Herr zuerst an eine Frau: er lässt sich durch die niedrige Magd gebären, er offenbart zuerst der Elisabeth, wen Maria im Leib trägt, er erscheint zuerst Maria Magdalena und anderen Frauen am Grab, und er lässt sich von einer Frau zum verborgenen König salben. Damit wird das gesamte antike System vor den Kopf gestoßen.
 
Die Geschichte hat allerdings neben dieser ersten Tiefenschicht noch eine zweite, darunter liegende Tiefenschicht: Der Herr wird getötet werden und die Salbung ist auch die für einen, der zu Grabe getragen wird. Das sagt er selbst den Jüngern: „Sie hat im voraus meinen Leib für das Begräbnis gesalbt.“ (Mk 14, 8)  

Mit der Salbung Jesu zum König in diesem Äon und mit den kostbarsten Mitteln dieses Äons also wird auch zugleich sein Tod angesagt. Es ist tiefgründig, was hier erzählt wird und passt zum Machtverzicht Jesu, als er der Versuchung zur Macht in der Wüste widerstand:
Jesus ist der König des Alls, weil durch ihn alle Dinge gemacht sind, aber er stirbt der pervertierten Macht in dieser Welt, ja, er geht an ihr und mit ihr förmlich zugrunde. So erhält das, was dem König gebührt, einen verfremdeten Charakter.
Die männlichen Jünger erfassen nicht, dass es hier um die Salbung des sterbenden Königs in der sterbenden Welt geht und halten es für „Verschwendung“.

Warum sollte man für immer der Tat dieser Frau gedenken, wenn sie nur eine der vielen Nettigkeiten, meinetwegen Liebeserweise oder Opfer durch Frauen für Jesus gewesen wäre? Jesus sagt voraus, dass man niemals mehr vergessen werde, was sie getan hat. Das heißt: Bis er kommt, soll man über diese Geschichte nachdenken und begreifen, was sich damals abgespielt hat. Denn dies hier ist eine Schlüsselerzählung für das rechte Verständnis des Reiches Gottes.
Eine Frau wurde zur Prophetin der Königsherrschaft Christi, die mit seiner Inkarnation für alle Welt sichtbar begann, durch das Grab ging und ein Äon lang ihre Kinder sammelt, um im himmlischen Jerusalem mit ihm für immer zu regieren, als selbst mit seinem heiligen Namen Gesalbte:

„Sie werden sein Angesicht schauen und sein Name ist auf ihre Stirn geschrieben.“ (Apk 22, 4)