Montag, 26. Januar 2015

Der katholische Zombie (II) - Der Mantilla-Wahn - Ist die Frau kein Ebenbild Gottes?



Der Mantilla-Wahn – Ist die Frau kein Ebenbild Gottes?

Einleitung

In den letzten Jahren tobt auf dem Traditionalisten-Schlachtfeld der Kampf um einen speziellen Kommunion-Schleier für katholische Frauen, die „Mantilla“.
Ich muss sagen, dass ich, bevor ich mit Traditionalisten in Berührung kam, noch nie von einer „Mantilla“ gehört habe. Dieses Accessoire gab es hierzulande noch niemals, wurde von niemandem verlangt und auch niemals offiziell vorgeschrieben. Ich habe diesbezüglich viele einheimische hochbetagte Katholiken, darunter auch Priester, befragt. Es ist definitiv niemals „Tradition“ gewesen.
Fast alle betagten, keineswegs progressiven Frauen reagierten mit dem Satz „Mantilla - was ist das?“
Und auf die Beschreibung hin, dass es sich um durchsichtiges Spitzentuch handle, das Frauen in der Hl. Messe tragen sollten, um eine besondere Frömmigkeit zur Schau zu stellen, schüttelten sie den Kopf und sagten, davon hätten sie noch nie gehört. Allenfalls könne es sein, dass solche Bräuche in Südeuropa üblich seien und bei Papstmessen vielleicht, aber hier in Deutschland? Eine weit über Achtzigjährige wusste, dass das die „Lefebvristen“ eingeführt hätten, dass man das aber in ihrer Kindheit unter Pius XI. und XII. niemals so gehandhabt hätte.

Nun wird aber in den letzten beiden Jahren eine so penetrante Propaganda für dieses Tuch gemacht, als sei das eine “Tradition“, die „immer“ und überall gegolten habe und vorgeschrieben gewesen sei und aus „feministischen“ Gründen verweigert werde. Es ist auffallend, dass derselbe Kampf prinzipiell auch im Islam und verschiedenen protestantischen Sekten und evangelikalen Freikirchen tobt. Als Bestätigung für die Richtigkeit dieses Tuchs verweist man auf die orthodoxe Praxis – als ob uns die schismatische Orthodoxie hier etwas zu sagen hätte oder gar der ohnehin aus katholischer Sicht häretische Protestantismus! Ganz zu schweigen vom Islam.
Ein Thema, das seit Jahrhunderten die katholische Kirche nicht berührt hat, soll nun plötzlich eine solche Wichtigkeit haben?

Angesichts einer solchen neuen Mode, die nun zur Tradition erkoren wird, sollten doch jedem nüchtern denkenden Menschen alle Alarmglocken schrillen.

Die Mantilla-Fraktion führt einen penetranten Stellvertreterkrieg auf ungezählten Internetforen, auf Blogs und in informellen Gesprächen, und fährt die verrücktesten und zweifelhaftesten Argumente auf, um Frauen einzuflößen, ihre bisherige Aufmachung in der Hl. Messe sei nicht „traditionell“ genug. Tatsache ist und bleibt jedoch, dass in den letzten Jahrhunderten diese Angelegenheit in der Gesamtkirche kein Thema war. Regionale Gebräuche mag es gegeben haben, aber sie können niemals als Forderung an alle erhoben werden, wenn das Lehramt niemals eine solche spezielle Forderung erhoben hat und auch mit den allgemeineren Kleidervorschriften nicht all zu streng umgegangen war.

Ich will mich zunächst mit der immer wieder aufgestellten Behauptung, der Apostel Paulus habe das Gebetstuch vorgeschrieben, befassen und danach einige der haarsträubendsten Begründungen für die „Mantilla für alle“ näher ansehen. Ein besonderes Augenmerk soll auf das mittelalterliche Decretum Gratiani gelegt werden, denn Gratian behauptet in diesem kirchenrechtlichen Werk doch tatsächlich, die Frau solle ihren Kopf bedecken, weil sie kein Ebenbild Gottes sei, und er geht dabei so weit, eine Stelle aus einem Paulusbrief regelrecht zu fälschen, indem er einige Worte des Vulgata-Textes austauscht.

1. Der heilige Paulus habe angeblich den Schleier für die Frauen vorgeschrieben, wenn sie beten.

Hier stellt sich sofort die Frage, wieso dann, wenn das so sein sollte, das Lehramt seit Jahrhunderten darauf keinen gesteigerten Wert gelegt habe? Diese Frage wird in aller Regel damit beantwortet, dass Papst Linus, der zweite Papst, in einem Schreiben, dessen Echtheit umstritten ist, den Frauen einen Gebetsschleier vorgeschrieben habe.
Abgesehen von der Umstrittenheit der Echtheit kommt mir unweigerlich die Frage hoch, seit wann für uns maßgeblich ist, was ein Papst von Anno dazumal vorgeschrieben hat, handelt es sich dabei doch weder um eine Glaubens- noch um eine echte Sittenfrage…ich dachte, niemand dürfe alte Verordnungen („proxima-Regeln“) von Päpsten gegen neuere Gepflogenheiten ausspielen? Ist die „Tradition“ hier etwa anti-traditionell und macht es wie die Progressiven und Protestanten und zieht aus den Tiefen der Kirchengeschichte nebensächliche oder inzwischen aufgegeben Ansichten, die für den Glauben selbst keine Bedeutung haben, oder nicht weiter verfolgte Bräuche aus den Truhe, erklärt sie zu „urchristlichen“ Wahrheiten und will damit die jüngste Tradition (die regula fidei proxima) stürzen?

Ich sehe mir die Stelle im 1. Korintherbrief an und muss gestehen, selten eine auf den ersten Blick so verworrene und in sich unlogische Schriftstelle gelesen zu haben – wenn man sie rein normativ und nicht als eine erörternde Darlegung liest.
Man findet diese einzige themengebundene Schriftstelle (alleine das verweist schon auf die relative Bedeutungslosigkeit des Themas) im Korintherbrief (1. Kor. 11, 2 ff). Ich markiere den Text bereits so farbig, wie ich ihn als eine Erörterung verstehe und werde das genau begründen:

2 Ich lobe euch, dass ihr in allem an mich denkt und an den Überlieferungen festhaltet, wie ich sie euch übergeben habe.
3 Ihr sollt aber wissen, dass Christus das Haupt des Mannes ist, der Mann das Haupt der Frau und Gott das Haupt Christi.
4 Wenn ein Mann betet oder prophetisch redet und dabei sein Haupt bedeckt hat, entehrt er sein Haupt.
5 Eine Frau aber entehrt ihr Haupt, wenn sie betet oder prophetisch redet und dabei ihr Haupt nicht verhüllt. Sie unterscheidet sich dann in keiner Weise von einer Geschorenen.
6 Wenn eine Frau kein Kopftuch trägt, soll sie sich doch gleich die Haare abschneiden lassen. Ist es aber für eine Frau eine Schande, sich die Haare abschneiden oder sich kahl scheren zu lassen, dann soll sie sich auch verhüllen.
7 Der Mann darf sein Haupt nicht verhüllen, weil er Abbild und Abglanz Gottes ist; die Frau aber ist der Abglanz des Mannes.
8 Denn der Mann stammt nicht von der Frau, sondern die Frau vom Mann.
9 Der Mann wurde auch nicht für die Frau geschaffen, sondern die Frau für den Mann.
10 Deswegen soll die Frau mit Rücksicht auf die Engel das Zeichen ihrer Vollmacht auf dem Kopf tragen.1
11 Doch im Herrn gibt es weder die Frau ohne den Mann noch den Mann ohne die Frau.
12 Denn wie die Frau vom Mann stammt, so kommt der Mann durch die Frau zur Welt; alles aber stammt von Gott.
13 Urteilt selber! Gehört es sich, dass eine Frau unverhüllt zu Gott betet?
14 Lehrt euch nicht schon die Natur, dass es für den Mann eine Schande,
15 für die Frau aber eine Ehre ist, lange Haare zu tragen? Denn der Frau ist das Haar als Hülle gegeben.
16 Wenn aber einer meint, er müsse darüber streiten: Wir und auch die Gemeinden Gottes kennen einen solchen Brauch nicht.

Diese Stelle ist in der Argumentation, wenn man sie nicht strukturiert liest, mehrfach gebrochen und unlogisch und stünde außerdem im krassen Widerspruch zu allem, was wir über israelitische Normen aus dem Alten Testament wissen – und das kann man gerade beim heiligen Paulus nicht annehmen, denn er war ein Schriftgelehrter:

Die markierten Verse 2+3 kann man als Einleitung verstehen. Der Apostel lobt die korinthische Gemeinde für ihren Eifer, beginnt aber gleich mit dem Thema, das er behandeln will, einer Reihenfolge. Auf den ersten Blick erscheint sie wie eine Hierarchie, auf den zweiten Blick aber muss man innehalten und zugeben, dass in Vers 3 ein Stolperstein steckt, den niemand, ohne häretisch zu argumentieren, außer acht lassen darf (s.u.).

Schon Vers 4 ist merkwürdig und mutet absurd an, wenn man sich vergegenwärtigt, was im damaligen Judentum üblich war und was die Schrift uns im Alten Testament über den Mann und seine Kopfbedeckungen überliefert:
Es war nach jüdischer Auffassung eben gerade KEINE Schande für den Mann, verhüllt zu beten, sondern sogar üblich, dies zu tun – bis heute ist das im Judentum so.
Wir finden durchweg die Kopfverhüllung gerade der heiligsten Männer in Israel, wenn sie mit Gott reden:

Moses muss beim brennenden Dornbusch zwar seine Schuhe ausziehen, aber sein Gesicht verhüllen:
Der Herr sagte: Komm nicht näher heran! Leg deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden. Dann fuhr er fort: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Da verhüllte Mose sein Gesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen.“ (Ex. 3, 5f)

 Auch der Prophet Elias verhüllt in der Gottesbegegnung sein Gesicht:
 Er verhüllte sein Gesicht mit dem Mantel, ging zum Eingang der Höhle zurück und blieb dort stehen. Und noch einmal wurde er gefragt: Elia, was tust du hier? Wieder antwortete Elia: Ach Herr, du großer und allmächtiger Gott…“ (1. Könige 19, 13f)

Es ist also vollkommen abwegig, zu glauben, der heilige Paulus, der doch ein Schriftgelehrter und Gesetzeslehrer war, könnte entgegen den Vorschriften und Phänomenen so argumentiert haben, wie er es in diesem Vers 4 referiert!
Da die besagte Stelle häufig auch so verstanden wurde, als dürfe der Mann keine langen Haare tragen, möchte ich auch darauf eingehen:
Mehrfach wird im Alten Testament über bartlose und geschorene Männer unter den Heiden ein hartes Urteil gesprochen. Im Gesetz des Moses ist das Abscheren der Haare rundum sogar verboten (daher die sehr langen Schläfenlocken der gläubigen Juden) und der Bart darf nicht gestutzt werden!
Weiterhin war es sogar das Zeichen des Gottgeweihten (Nasiräer), dass er besonders lange Haare trug – als Mann! Und auch von Paulus selbst wird uns berichtet, dass er aufgrund einer solchen zeitlichen Weihe sein Haar lang wachsen ließ (Apg. 18, 18) und es nach dem Ende des Gelübdes in einem rituellen Opfer abscheren und verbrennen ließ. Wohlgemerkt tat er das bereits als Christ.
Die Weihe des Mannes war also nach biblischem Brauch mit langem Haar verbunden. So kennen wir es auch vom Richter Simson und anderen alttestamentlichen Gestalten.
Nun war es im Abendland über Jahrhunderte weg üblich, längere Haare zu tragen und alle möglichen Kopfbedeckungen zu erfinden – für Männer nicht anders als für Frauen. Im Orient, vor allem bei den Arabern, aber auch den Indern, finden wir Schleier auch bei Männern.
Auf dem Grabtuch von Turin, das nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen echt sein muss, sehen wir das Antlitz des Gekreuzigten … mit mindestens schulterlangen Haaren!
Es war dagegen bei den Römern und Griechen, also den Heiden, nicht Sitte, dass Männer lange Haare trugen oder ihren Kopf bedeckten. Eine Auswertung antiker Texte ergab, dass das griechisch-römische Heidentum weitgehend ohne männliche Kopfbedeckung und ohne Langhaarigkeit auskommt, wohingegen Kopfbedeckungen bei Frauen deren hohen sozialen Staus anzeigten, wenn sie überhaupt welche trug (http://de.wikipedia.org/wiki/Kopfbedeckung#Antike) .  Kopfbedeckung war also hier ein Ausdruck weiblicher Eitelkeit und eine Demonstration des Reichtums, kombiniert mit Haarschmuck und Frisurenkult. Letzteres erfährt an anderer Stelle beim heiligen Petrus eine Absage (1. Petrus 3,3).

Wir können also schon hier fragen, ob der heilige Paulus nicht auch eine heidnische Position referieren könnte, etwa so, wie auch der heilige Thomas von Aquin Meinungen vorträgt, denen er aber nicht zustimmt, sondern nach ihrer Darstellung mit triftigen Gründen etwas entgegenhält. Immerhin ist die Korinthergemeinde eine Gemeinde im Gebiet des Heiden mit einer überspannten charismatisch-esoterischen Schlagseite!

Auch die folgenden Verse (Verse 5 -  10) scheinen wie aus einer anderen Denkwelt zu kommen. Im Judentum war und ist es, wie gesagt, für den Mann üblich, beim Beten das Haupt zu verhüllen. Die Frau dagegen war in der öffentlichen Synagogenversammlung erst gar nicht zum Beten oder Prophetischreden zugelassen… sollte aber auch ihr Haupt verhüllen – nicht anders als der Mann.
Bemerkenswert ist hier bei Paulus eher, dass überhaupt die Frau ganz selbstverständlich öffentlich in der Kirche beten und weissagen darf wie ein Mann! Es wird der Frau gerade nicht abverlangt, dass sie in der Kirche zu schweigen habe.
Es findet sich aber im gesamten Gesetz des Moses nicht eine einzige Anweisung über eine Kopfbedeckung der Frau.
Schleier werden in durchaus zweifelhaften Umständen erzählt. So wird z.B. berichtet, dass Prostituierte an ihrer Verschleierung erkennbar waren. Über Jakobs Sohn Juda wird in der Begegnung mit Tamar berichtet:
„Juda sah sie und hielt sie für eine Dirne; sie hatte nämlich ihr Gesicht verhüllt.“ (Gen. 38, 15)
Eine alltägliche Bekleidung der Frauen und Männer mit Tüchern war ansonsten sicher nicht unüblich (was bis heute im Orient gilt), etwa so wie auch heute noch in Indien, allerdings ohne „Ideologie“, sondern als variantionsreicher Brauch.

Die Argumentation hinsichtlich der unverschleierten Frau ist ins sich verworren: eine Frau, die sich nicht verschleiert, soll die Haare abschneiden, weil sie „wie“ eine Frau mit geschorenen Haaren sei?
Viele Theorien über die Entehrung der Frau durch Abscheren der Haare in der Antike wurden schon vorgebracht – keine davon ist je eindeutig bewiesen worden. Aber selbst wenn es so wäre, müsste man fragen, wie es kommt, dass die hartnäckigen Schleierverfechter offenbar kein Problem damit haben, wenn die Katholikin sich seit 1950 das Haar abschert, obwohl weibliche Kurzhaarfrisuren nun tatsächlich in älterer Zeit überall in der Kirche undenkbar waren?! Nicht der Schleier, sondern langes Haar der Laiin ist wirklich „Tradition“ in der gesamten Kirche gewesen!
Der rigide Satz aus Vers 5 „Ist es aber für eine Frau eine Schande, sich die Haare abschneiden oder sich kahl scheren zu lassen, dann soll sie sich auch verhüllen“ ist beim besten Willen nicht logisch verstehbar. Wieso folgt aus der Tatsache, dass es eine Schande für die Frau sei, sich die Haare zu schneiden, logisch, dass sie sich dann zusätzlich noch einmal verhüllen soll? Ist das Haarescheren ein Zeichen der Unehrenhaftigkeit – was bedeutet es, wenn die Frau doch ohnehin einen Schleier trägt und niemand sehen kann, ob sie Haare hat oder keine? Wenn aber der Schleier nach alttestamentlicher Sitte die Prostituierte anzeigen sollte, wieso soll die Frau, wenn sie sich die Haare nicht abgeschnitten hat, also nicht entehrt ist, dann dieses Zeichen der Entehrung tragen?
Der Satz klingt in der Sache wirr und überspannt und man muss esoterische Denkwelten bemühen, um hier einen Sinn zu kreieren. Das aber passt nicht zum nüchternen Duktus der Heiligen Schrift… Und dies immer vor dem Hintergrund, dass das gesamte Alte Testament nicht ein Wort zu dieser Frage vermeldet, also objektiv keine von Gott gebotene Norm vorliegt.
Der heilige Paulus, der sonst so klar und plausibel, so tief und logisch argumentiert, und sich vor allem nie mit solch eher magischen und nebensächlichen Themen beschäftigt, soll einen solchen Satz als seine Position vorgetragen haben?
Ich vermag das nicht zu glauben. Eher nehme ich an, dass er hier, wie bei Vers 4, eine Position aufgreift, die in der ohnehin schwärmerischen und geistlich hochmütigen charismatischen Korinthergemeinde für Wirbel gesorgt haben könnte. Die überspannte Kopftuchdebatte passte gut in einen charismatischen Kontext.

Besonders krass wirken die aufgelisteten Sätze von Vers 7-10. Diese Sätze besagen, das Kopftuch müsse der Engelwelt beweisen, dass die Frau die Vollmacht habe, überhaupt – wie der Mann – öffentlich zu beten und zu weissagen. Und das alles sei ja auch richtig so, weil die Frau schließlich als Zweite und für den Mann geschaffen worden sei. Diese Sätze sind von der reinen Natur her gedacht und scheinen keinerlei Bewusstsein dafür zu haben, dass der Gnadenstand dem Menschen nicht aufgrund seiner Natur gegeben wird, sondern alleine aufgrund der Liebe Gottes. Denn die Legitimation zum öffentlichen Gebet in der Kirche hat die Frau nicht durch ein Kleidungsstück oder entgegen einer minderwertigen  „nachrangigen Natur“, sondern durch Gott alleine, der sie erlöst hat. Da im Alten Bund sich auch der Mann verhüllt hat, greift die Argumentation ohnehin nicht. Hinzu kommt, dass im Alten Testament auch Frauen mit Gott reden, ohne dass dies in irgendeiner Weise problematisiert oder mit anderen äußeren Reaktionen verbunden wäre als beim Mann. Es ist immer eine Gnade, wenn Gott sich dem Menschen zuwendet, unverdient und nicht einer natürlichen Ausstattung geschuldet!
Der Bezug auf die Engel ist unverständlich. Es gibt keine kanonische Tradition, die den Bezug erklären könnte. Man muss daher diese Argumentation als in der Tendenz abergläubische, magische Denkart auffassen, was wiederum gut zum Charismatismus dieser Gemeinde passen dürfte.

Wir erinnern uns: der heilige Paulus hat oben in Vers 3 gewissermaßen eine Überschrift über das, was folgt, gesetzt:
„Ihr sollt aber wissen, dass Christus das Haupt des Mannes ist, der Mann das Haupt der Frau und Gott das Haupt Christi..“
Nur ein oberflächlicher, esoterisch denkender und frauenkritischer Leser kann darin eine Rangfolge („Emanation“) erkennen, wie sie dann in den Versen 7-10 dargelegt wird. Der Völkerapostel referiert zu Beginn die wahre Lehre und danach ihre Verzerrung und falsche Schlussfolgerungen.
Ich will den Lesefehler der Korinther aufzeigen, den er wahrscheinlich meint. Seine Argumentation später ab Vers 11 unterstützt meine Interpretation, dass er einen Lesefehler aufzeigen will. Ich werde darauf zurückkommen.

Lesen wir den Vers 3 einmal von hinten:

Gott (der Vater) ist das Haupt Christi (des Sohnes).
Christus ist das Haupt des Mannes.
Der Mann ist das Haupt der Frau.

Kann man aus dieser Reihenfolge eine Rangfolge (Emanation) immer weiter subordinierter Wesen ableiten? Also in dem Sinn:

„Die Frau ist dem Mann subordiniert.
Der Mann ist Christus subordiniert.
Christus ist dem Vater subordiniert.“?

Jedem echten und nüchternen Katholiken muss hier der Atem stocken – nein!
Es ist häretisch und blasphemisch, so etwas auch nur im Ansatz in Erwägung zu ziehen!
Man würde einer arianischen Position folgen!

Wenn aber Christus dem Vater nicht subordiniert ist, was heißt dann, dass Gott das „Haupt Christi“ sei? Es heißt einfach nur, dass der Vater das Prinzip des Sohnes ist, weil der Sohn aus dem Vater geboren ist. Aber er steht nicht „unter“ ihm! Folgt man dieser Reihe weiter, ergibt sich, dass der Mann (als der erste der beiden Ur-Menschen) durch Christus geschaffen wurde bei der Schöpfung, denn es heißt, durch Christus sei alles geschaffen worden. Die Frau als zweite wiederum wurde aus dem Mann genommen, dies allerdings durch Gott und nicht durch den Mann selbst. Insofern ist zwar die Frau ebenfalls im Ursprung durch Christus geschaffen, aber nicht unmittelbar, sondern mittelbar wiederum aus dem Prinzip des Mannes, das zuvor schon geschaffen war, jedoch ohne dessen Zutun oder Macht über die Frau.
Das Haupt-Sein kann hier um Christi willen keine Subordination bedeuten. Denn andernfalls müsste man behaupten, er sei dem Vater als seinem Haupt„untergeordnet“, was wie gesagt eine Lästerung wäre. Und da man in dieser Reihenfolge einen identischen und nicht wankelmütigen Gebrauch des Begriffes „Haupt“ annehmen muss, kann er nicht beinhalten, dass die Frau dem Mann subordiniert ist, ja, sogar eine Subordination des Mannes unter Christus wird hier nicht ausgesprochen, sondern im Gegenteil die „Vergöttlichung“ des Menschen, die Christus uns möglich gemacht hat, wird hier dargelegt. Welch eine Gnade für uns alle!
„Volo autem vos scire…“, schreibt der heilige Paulus zu Beginn: „Ich will, dass ihr das wisst…“ Und „das“, das zu Wissende, ist die Herkunft aller aus dem Vater und nicht, wie er in Vers 7-9 suggeriert, der rein natürlich behauptete und überspannte „Vorrang“ des Mannes vor der Frau!

Gegen die These des Verses 7 spricht auch, dass in der Genesis die Frau eindeutig als Ebenbild Gottes bezeichnet wird, und dies ohne irgendeinen Abstrich. Das Decretum Gratiani hat diese Stelle nämlich insofern missbraucht, als es behauptet, die Frau sei nicht Ebenbild Gottes und müsse sich darum verschleiern. Wir müssen erkennen, dass auch die pseudokatholische Schleierdebatte sehr wohl der Intention des islamischen Schleiers entspricht, was aber deren Verfechter immer empört bestreiten. Man darf ihnen hier Unwissenheit unterstellen. Mit dieser Argumentation stellt sich Gratian in Widerspruch zur Genesis und legt somit eine häretische Äußerung dar, die später stillschweigend irgendwann unter den Tisch gefallen ist.
Das Decretum Gratiani macht aber andererseits verständlich, auf welche häretische und verzerrte Sicht sich schon der Apostel Paulus damals bezogen haben könnte – nämlich eine arianische Deutung des Geschlechterverhältnisses, das dem heidnischen, aber auch dem jüdischen Menschen so selbstverständlich erschien, dass selbst bei den Kirchenvätern Anleihen an dieses Denken auffindbar sind. Der antike Mensch konnte sich schlicht nicht vorstellen, dass die Frau NICHT nur ein schwacher Abglanz des Mannes sein könnte!
Erst die Reflexion über die Gottesmutter und ihre alle Menschen, sogar die Apostel, überragende Stellung, hat allmählich und sehr langsam diese Herabwürdigung der Frau aufbrechen und teilweise heilen können.

Und nun hören wir den Völkerapostel doch einmal aus dieser Sicht, die ich vorgetragen habe, an. Wie ein Befreiungsschlag klingt seine nun folgende Gedankenführung in Vers 11+12:

„Doch im Herrn gibt es weder die Frau ohne den Mann noch den Mann ohne die Frau.
Denn wie die Frau vom Mann stammt, so kommt der Mann durch die Frau zur Welt; alles aber stammt von Gott.“

Hören wir es nicht? Mit der angeblichen Schöpfungshierarchie kann man doch ausdrücklich laut Paulus eben nicht argumentieren! Nichts anderes sagt uns doch der Apostel: Im Herrn – und sind wir denn nicht „im Herrn“? sind wir noch Heiden? oder Juden? – im Herrn sind wir allesamt nichts ohne einander! Und kommen nicht alle Menschen vornehmlich aus der Frau und nur in schwächerer Weise (aufgrund der fehlenden leiblichen Einheit mit dem Kind) aus dem Mann? Kam nicht sogar, will man hinzusetzen, sogar der Sohn durch eine Frau und eben nicht aus dem Willen des Mannes oder seines Fleisches ins Menschsein?

Vers 13 klingt auf Lateinisch anders als in der Einheitsübersetzung:


Deutsch übersetzt heißt das: „Urteilt in euch selbst: darf eine Frau unverhüllt zu Gott beten?“
Der heilige Paulus gibt auf diese Frage keine Antwort!

Und weiter der Vers 14 auf Lateinisch:

„Nec ipsa natura docet vos quod vir quidem, si comam nutriat, ignominia est illi; mulier vero, si comam nutriat, gloria est illi? »

Deutsch und wörtlich : « Und lehrt euch denn die Natur selbst, dass dem Mann, der sein Haar bedeckt, dies zur Schande gereicht; dass aber der Frau, die ihr Haar bedeckt, dies zum Ruhm gereicht?“

Vielfach wird übersehen, dass der heilige Paulus hier nicht etwa ein göttliches Gesetz bemüht, oder gar das Gesetz des Moses, sondern die „Natur“. „Natura docet“, die Natur lehrt? fragt er.
Wenn wir nüchtern denken, müssen wir zugeben, dass die „Natur“ hier gar nichts „lehrt“, zumal gerade, wie ganz oben nachgewiesen, der Mann nach dem jüdischen Gesetz sogar die Vorschrift hat, sich beim öffentlichen Beten zu bedecken.
Uns bleibt nichts, als festzustellen, dass es in Israel eine gesetzliche Vorschrift für den Mann gab. Die Frau betet ohnehin nicht in der Synagoge oder im Tempel öffentlich. Das ist bis heute so, und die liberalen Jüdinnen, die sich inzwischen das Recht erkämpft haben, an der Klagemauer doch öffentlich zu beten, benutzen dazu denselben Gebetsschleier, den sonst nur die Männer benutzen dürfen.
Die „Natur lehrt“ über solche Ordnungen nichts, was man objektiv nachvollziehen könnte – zu unterschiedlich sind die Sitten der Völker, zu unterschiedlich die klimatischen Bedingungen, als dass man hier etwas Verlässliches sagen dürfte. Es wäre unnüchterne und magische Denkart.
Bleibt nur ein Schluss: Es gibt das jüdische Gesetz und Bräuche, die hier so und anderswo wieder anders sind. Die Natur sagt uns dazu schlicht nichts Verbindliches.
Der heilige Paulus fragt und antwortet nicht, überlässt dem Leser, nachzudenken und eine Antwort zu finden.

Am Ende von Vers 15, der über eine angebliche, „natürliche“ Notwendigkeit der Frau zur Verschleierung beim Beten spricht, lässt er diese ganze abwegige und magische Natur-Frage wie ein Kartenhaus in sich zusammenstürzen, denn ihn „lehrt“ die „Natur“ offenbar nur eines:

„Quoniam coma pro velamine ei data est.“ Deutsch und wörtlich: „Das Haar ist ihr doch als Schleier (besser: „Hülle“ oder „Decke“) gegeben!“

Und hat er nicht recht?

Ist der Frau nicht im Allgemeinen „von der Natur“ („Natura docet…“) besonders reiches Haupthaar gegeben, das sie tatsächlich weltweit fast durchweg, egal in welcher Kultur, lang trägt? Wenn die „Natur“ irgendetwas „lehrt“, dann eben dieses Faktum.

Ich möchte noch einmal fragen, wie es kommen kann, dass all diese ach so traditionalistischen Frauen (und ihre männlichen Antreiber) sich wacker diese reiche, gottgegebene „Decke“ abschneiden, dafür aber umso mehr nun den heidnischen Schleier propagieren und daran auch noch ihre zur Schau gestellte, so fromm zur Schau gestellte „Subordination“ knüpfen, der doch der Apostel eine Absage erteilt in seinen Ausführungen! Der heilige Paulus spricht zwar an anderen Stellen von Unterordnung, dies aber nie einseitig zu Lasten der Frau! Sein Tenor ist nach Epheser 5 die gegenseitige Unterordnung aller! Er setzt die Stärke und Würdigung der Frau bei all seinen Aussagen voraus. Vielleicht sogar ihre besondere Stärke, die sie um des Mannes willen gelegentlich doch zurücknehmen soll, um ihn nicht im Glauben zu behindern – dies aber freiwillig und ohne verbissenen Druck von außen.

Feste Kleidervorschriften kennt das Alte Testament und ebenso die Kirche nur im Bezug auf liturgische, priesterliche Gewänder bzw. Ordenskleidung. Alltägliche Kleiderordnungen des Volkes sind dagegen wandelbare Konventionen und Gebräuche. Der Schlusssatz der Stelle spricht davon, dass der Apostel das Thema offenbar nicht für wert hält, so überspannt zu werden:

„Si quis autem videtur contentiosus esse, nos talem consuetudinem non habemus, neque ecclesiae Dei. »

Deutsch und wörtlich : « Wenn einer deswegen meint, streiten zu sollen : wir haben einen solchen Brauch nicht, auch nicht die Kirche Gottes.“

Es ist übrigens abwegig, das „Um etwas streiten“ für den "Brauch" zu halten, von dem der Apostel spricht:
Erstens hat die Kirche von Anfang an eine Diskussionskultur gehabt und zweitens würde man eine solche nicht einen „Brauch“ nennen.
Mit dem „Brauch“ kann hier sinnvoll nur eines gemeint sein: überspannte Bräuche über Schleier, männliche Barhäupte und andere rein äußerliche Gepflogenheiten, die mit einer geradezu esoterischen Bedeutung versehen werden – das ist dem katholischen Denken nicht nur fremd, sondern sogar untersagt. Wir sollen nicht magisch denken!
Und das passt auch wieder zu Paulus: Wir haben keine Kleiderbräuche, außer die, dass wir sittsam gekleidet sind, Mann wie Frau. Zwar schrieb der CIC von 1917 der Frau und dem Mann sittsame Kleidung und ihr dabei auch irgendeine Kopfbedeckung vor, dem Mann dagegen Barhäuptigkeit, schränkte dies aber ein, falls eine andere Sitte vorliegen sollte.

2. Exkurs: Das Decretum Gratiani, die Aberkennung der Gottebenbildlichkeit der Frau und der Schleier

Die postmodernen Schleierfreunde übersehen, dass der Schleier, wenn er propagiert wurde, im Zusammenhang mit der Bestreitung der Gottebenbildlichkeit der Frau geschah:

Gratian (12. Jh) schrieb:

„Hec imago Dei est in homine, ut unus factus sit
ex quo ceteri oriantur, habens inperium Dei, quasi
uicarius eius, quia unius Dei habet imaginem, ideoque
mulier non est facta ad Dei imaginem.
Sic etenim
dicit: "Et fecit Deus hominem; ad imaginem Dei fecit
illum." Hinc etiam Apostolus: "Vir quidem," ait,
"non debet uelare caput, quia imago et gloria Dei
est; mulier ideo uelat, quia non est gloria aut
imago Dei."
(http://geschichte.digitale-sammlungen.de/decretum-gratiani/kapitel/dc_chapter_3_3661)

Deutsch übersetzt:

„Dieses Abbild Gottes ist im Menschen, wie einer dazu ausersehen ist, aus den übrigen sich zu erheben, um das Reich Gottes innezuhaben, gewissermaßen als sein Stellvertreter, weil ja nur ein einziger Abbild Gottes sein kann; deswegen ist die Frau nicht nach dem Abbild Gottes geschaffen. So heißt es nämlich: „Und der Herr schuf den Menschen; zum Bild Gottes schuf er ihn.“ So auch der Apostel: „Der Mann“, sagt er. „Darf sich das Haupt nicht verhüllen, denn er ist Abbild und Glanz Gottes; die Frau dagegen bedecke sich, denn sie ist weder Glanz noch Abbild Gottes.“

Diese ungeheuerliche Behauptung Gratians enthält gleich zwei förmliche Widersprüche zur Heiligen Schrift:

Gratian zitiert die Genesis bewusst verfälschend und verkürzt, um zu beweisen, dass die Frau nicht Ebenbild Gottes sei, obwohl doch genau das in der Genesis steht:

Genesis 1, 27: „Et creavit Deus hominem ad imaginem suam; ad imaginem Dei creavit illum; masculum et feminam creavit eos.“ Deutsch: „Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bild; zum Bilde Gottes schuf er ihn; männlich und weiblich schuf er sie.“

Gratian: „Et fecit Deus hominem; ad imaginem Dei fecit illum. » Dass die Frau genauso Ebenbild ist, lässt er weg, um zu beweisen, dass sie es nicht ist. Das ist mehr als dreist!

Gratian zitiert den Apostel Paulus dann regelrecht falsch und fügt das erwünschte Ergebnis – nämlich dass die Frau kein Ebenbild sei – mit einer atemberaubenden Dreistigkeit einfach in den Schrifttext ein:

Paulus: „Vir quidem non debet velare caput, quoniam imago et gloria est Dei; mulier autem gloria viri est. » (V. 7) Deutsch : « Der Mann darf sein Haupt nicht verhüllen, weil er ja Abbild und Ehre Gottes ist; die Frau ist aber Ehre des Mannes.“

Gratian: „"Vir quidem," ait, "non debet uelare caput, quia imago et gloria Dei est; mulier ideo uelat, quia non est gloria aut imago Dei." (s.o) Deutsch: „Der Mann (…) darf sich das haupt nicht verhüllen, denn er ist Abbild und Ehre Gottes; die Frau muss sich deshalb verschleiern, weil sie weder Ehre noch Abbild Gottes ist.“

Wie bereits dargelegt, ist gerade dieser Vers 7 bei Paulus wiederum im Widerspruch zu den Versen 3, 11+12, kann also auf keinen Fall ohne die Berücksichtigung dieser anderen Verse absolut gesetzt werden. Dass jede Veränderung des kanonisierten Bibeltextes eine schwere Häresie darstellt, ist ebenfalls zu bedenken und es wundert, dass das Lehramt hier nicht sofort rigoros eingegriffen hat.

Zuletzt ist Gratians einleitende Begründung ein indirekter Angriff auf den trinitarischen Glauben, der doch in der Argumentation des heiligen Paulus der gesamten Betrachtung vorangestellt wird. Wieso sollte nur ein einziger Abbild Gottes sein können, wenn doch die Genesis das Gegenteil besagt und gerade in den Worten des Paulus deutlich wird, dass die Abbildlichkeit Gottes die gesamte Schöpfung durchzieht? Gerade weil Gott nicht nur ein „einziger“ ist wie im Islam, sondern eine Trinität, ist die Abbildlichkeit durchlässig hin zu den vielen!

Alle Schleierfreunde sollten ernsthaft darüber nachdenken, ob sie sich einem solch verzerrten und von der Tendenz her sogar häretischen Gottes- und Menschenbild ergeben wollen. Denn anders kann man diese Aktion des Gratian gegen die Frau nicht werten, da er selbst vor einer Umformulierung der Heiligen Schrift nicht zurückschreckt.

Zuletzt ist es angesichts der Erwähltheit Mariens, die als „Widerschein“ des göttlichen Glanzes bezeichnet wird, geradezu blasphemisch, der Frau abzusprechen, dass sie selbst Ebenbild Gottes ist.


3. „Haar“sträubende Gründe für die „Mantilla“

Neben dem falschen bzw. fragwürdigen Verweis auf den hl. Paulus habe ich bisher nur – man verzeihe mir – dümmlich-vulgäre, rein ästhetische, eitle und pseudodemütige Gründe für die „Mantilla für alle“ gehört. Weder Männer noch Frauen sind in der Lage, die angebliche Wichtigkeit dieses frommen Accessoires sachlich und für einen katholisch denkenden Menschen plausibel und vernünftig zu erklären.

Die einen erklären einem voller Ernst, Frauen neigten dazu, immerzu herumzuschauen und würden so durch die Mantilla gezwungen, sich zu konzentrieren, was ich, wenn ich es nicht als Beleidigung meines Geschlechtes werten soll, als Ausdruck schlimmster Dummheit ansehen müsste. Wieder andere meinen, sie fühlten sich so ehrfürchtiger vor dem Allerheiligsten (was als subjektiver Grund m.E. noch am ehrlichsten und akzeptabel sein mag, dann aber eben logisch auch nicht „für alle“, sondern nur für den, der es braucht oder will). Noch andere behaupten, sie zeigten damit ihre besondere Demut, was wie alle – außerhalb von formellen liturgischen oder ordensspezifischen Demutssymbolen - zur Schau gestellte Demut bekanntlich das Gegenteil ausdrückt: nämlich Hochmut. Wahre Demut weiß nicht, kann gar nicht wissen, dass sie demütig ist…
Sprachunkundige und Menschen, denen der logische Verstand fehlt, behaupten gerne in auftrumpfender Manier, der heilige Paulus habe mit dem Satz, das Haar sei der Frau als Decke gegeben in Wahrheit gemeint, es sei ihr als „Schmuck“ gegeben und müsse deshalb verhüllt werden, damit die Männer, die nach der Argumentation plötzlich auch als notorische Herumgaffer dargestellt werden, nicht in Versuchung kämen. Und es gehe in der Heiligen Messe nun mal nicht drum, dass die Frau im Mittelpunkt stehe. Ob solcher Sätze muss ich mir immer wieder die Augen reiben: Ich wäre nicht Traum auf die Idee gekommen, ich wolle mich, wenn ich ordentlich gekämmt in die Heilige Messe komme, in den Mittelpunkt setzen. Wieso auch?
Und warum dann, wenn auch die Männer nur herumschauen, nicht die Männer verhüllen, wenn man doch zuvor den Schleier so nötig der herumblickenden Frau als „Schutz“ verordnen wollte?
Ich möchte es dem Leser ersparen, weitere Peinlichkeiten aufzuführen, die in diesem Zusammenhang gewöhnlich geäußert werden. Jeder möge eine Abenteuerfahrt durch katholische Blogs unternehmen und sich die Legionen an albernen, eitlen und zum Teil offen frauenverachtenden Kommentaren dazu ansehen.

Zweierlei will ich dazu noch bemerken:

Der heilige Paulus spricht definitiv nach jedem hermeneutischen Sachverstand nicht vom „Schmuck“ oder der „Zier“ des Frauenhaars, sondern von der „Decke“. Ein „velamen“ oder „velamentum“ meint niemals „Schmuck“, sondern eine Bedeckung, Hülle, sogar das „Fell“! Das französische Wort „voile“ (Segel, Decke, Schleiertuch leitet sich davon ab). Hätte Hieronymus das als „Schmuck“ übersetzen wollen, hätte er es „ornamentum“ genannt. Es zeigt aber, davon abgesehen, die gesamte Argumentation auf, dass es bei den Korinthern und ihren Forderungen nicht ums Zieren, sondern ums „Bedecken“ bzw. „Verhüllen“ ging. Nur eine völlig textferne Lesart kann den Sinn so verbiegen.

Von gegenseitigem Aufreizen oder dergleichen ist bei dem heiligen Paulus keinerlei Rede! Es gehört eine schmutzige Phantasie des Lesers dazu, diese Stelle so zu lesen!
Man sollte also nüchtern und sachlich bleiben und weder Mann noch Frau unter dem Aspekt betrachten, bloßes Reizobjekt zu sein. Jeder und jede ist hier gehalten, sich zu zügeln und sich nicht zu begierigen Blicken hinreißen zu lassen. Erst mal – so klingt es bei Jesus – bin ich selbst diejenige, die den anderen nicht mit begehrlichen Blicken ansehen soll. Es ist in der Kirche schon viel zu viel Unrecht geschehen dadurch, dass man v.a. der Frau anlastete, wenn der Mann sich nicht zügelte (aber umgekehrt wäre es genauso ungerecht): Immer muss ich mich zügeln, bevor ich den anderen für mein Versagen verantwortlich mache!
Im allgemeinen aber gilt eine ordentlich frisierte Frau nicht als „aufreizend“, und es wird allgemein nicht als unschicklich empfunden, wenn Frauen mit bescheidener Frisur barhäuptig zu sehen sind, v.a. dann, wenn sie ohnehin langes Haar haben. Kopfbedeckungen entspringen bei Mann und Frau weniger der „Sittsamkeit“ als Moden, Konventionen oder praktischen Notwendigkeiten (Schutz vor Sonne, Regen, Kälte, Schmutz).


4. Die Mantilla führt zu einer unguten und pseudo-liturgischen Beschäftigung der Frau mit sich selbst

Viele traditionalistische Frauen tragen das Argument vor, Mantillen seien doch so weiblich, so hübsch und so reizvoll. Und so sieht man zunehmend junge Damen in den Heiligen Messen, manche sogar inzwischen in NO-Messen, die die gesamte heilige Messe über an ihrer Mantilla herumnesteln, denn diese billigen, durchsichtigen Polyestertücher verrutschen, weil sie ja nur über den Kopf gelegt werden, ständig auf den eitlen Weibsköpfen, sind natürlich komplett durchsichtig, verdecken also ohnehin gar nichts, sondern betonen das Haar sogar noch. Eine Frau ohne dieses Tuch wird gar nicht beachtet. Wenn eine aber dieses Stück Stoff auf ihr Haupt drapiert, wird sie garantiert von jedem offen oder heimlich begafft. Dieselben Damen zupfen auch sonst auffallend viel an ihren Kleidern herum. Ich muss zugeben , dass mich das sogar stört, wenn eine solche Braut direkt neben mir sitzt und in kurzen Zeitabständen ihr Tuch wieder zurechtrückt, den Pullover herunterzieht, an ihrem Röckchen herumzettelt und ständig an sich selbst hinabschaut. Ich bin auch eine Frau und würde mich so gerne ausschließlich auf das Geschehen am Altar konzentrieren … durch dieses Spitzentuch wäre ich aber gezwungen, ständig über meine Haare nachzudenken, und genau das will ich nicht! Die Mantilla hat uns jedenfalls die vorige Andachtsruhe um ein erhebliches Stück beraubt, und nur einer kann daran Interesse haben. Sein Name ist es nicht wert, ausgesprochen zu werden.

War es das, was man unbedingt wollte? Endlich Aufmerksamkeit für die Frau? Und das während des heiligsten Geschehens?

Wenn jemand meint, er müsse den Kopf bedecken, warum dann nicht so, wie es bei uns immer üblich war – mit einem Hut, einem normalen Tuch oder einer Mütze und vor allem der typisch keltisch-germanischen Kapuze (Gugel), wie sie bis heute in Nonnen- und Mönchshabiten integriert ist? Warum dieses Affentheater um dieses durchsichtige, haltlose Tuch, das die Piusbruderschaft aus fernen Südlanden importiert hat?

Manchmal sieht man im Internet Fotos von frommen Messen, in denen ein spitzenweißes bzw. –schwarzes Kopftuchheer im Kirchenraum sitzt.
Das kann in dieser Uniformität so nicht richtig sein. Es handelt sich dabei doch um Laiinnen!
Die Laien-Frau hat nun mal kein liturgisches Amt und sollte auch nicht quasi-liturgisch uniformiert in der Hl. Messe auftreten. Ich werde den Eindruck nicht los, dass es sich um Wichtigtuerei handelt.
Denn wie gesagt: warum nicht dezent gekleidet sein, meinetwegen mit einer regionalen Kopfbedeckung, wenn es denn sein muss? Warum dieses völlig außerirdische Spitzentüchlein, womöglich noch zu Jeans und Sweatshirt, schweren deutschen Wintermänteln, halblangen bis kurzen und hausbackenen Trachtenröcken, flachen Trampelschuhen und groben Strümpfen?

Das Argument, die Mantilla-Frau ahme Maria nach, entbehrt jeder vernünftigen Begründung. Maria war sicher gekleidet wie es damals üblich war. Aber keine Frau käme auf die alberne Idee, sich nun in antiker Mode zu stylen, um Maria nachzuahmen! Zumal ja niemand so genau weiß, wie Maria wirklich gekleidet war…Warum also nur das Tuch und nicht auch den Rest der historischen Gewänder? Auch die Behauptung, man ahme darin Marias Demut nach, ist „an den Haaren“ herbeigezogen. Ich möchte nicht wissen, wo die Eitelkeit sich überall verbirgt – vor Tüchern wird dieser Dämon wohl kaum Halt machen, vor allem dann nicht, wenn sie „hübsch aussehen“ und so unbeschreiblich „weiblich“ sind und als Ausweis für Demut herhalten sollen…

Bleibt zum Schluss zu fragen, ob wir eigentlich keine dringlicheren Fragen haben derzeit?
Es ist mit Sicherheit nicht richtig, ständig um Bekleidungsfragen der Frauen zu kreisen.
Wir sollen sittsam gekleidet sein. Das ist die Sicht des heiligen Paulus und des Lehramtes. Was sittsam ist, ist kulturabhängig. Japanische oder vietnamesische oder afrikanische Katholiken werden dabei das zugrunde legen, was in ihrer Kultur als sittsam oder konventionell gilt.
Es ist dabei auch nicht richtig, assoziiert mit dem Mantilla-Kampf, einen Grundsatz-Krieg gegen die Frauenhose zu inszenieren: sie ist hier seit Generationen inzwischen (wieder) etabliert (auch die Germaninnen hatten welche, wie die Trajansäule es beweist), die halbe Welt kennt seit Menschengedenken die Frauenhose, fast alle asiatischen und alle Kulturen, die in kalten Regionen liegen, kennen sie, und das ist weder unweiblich noch unschicklich.
Auch hier ist es nur wichtig, dass es wirklich eine Frauenhose ist und nicht eigentlich viel zu enge Männerkleidung, in die man eine Frau zwängt.
Generell widersteht es mir, aus diesen Fragen Gesetze oder ein ganzes Glaubensdrama zu machen: das ist einer Braut Christi nicht würdig.
Es wäre viel gewonnen, wenn die Frau unbefangen und ohne die naturhaft-heidnische Eitelkeit mit ihrer Erscheinung umginge, wissend, dass sie natürlich und gut geschaffen wurde und sich nicht verkrampfen muss, und vor allem: dass sie den schönsten Bräutigam des Universums hat, der ihr Herz und nicht ihre Kleider liebt und der selbst durchbohrt wurde um ihretwillen.

6. Der heilige Paulus und die heilige Agnes

Die schönste Geschichte zum Thema „Haar“ und „Hülle“ ist uns über die heilige Agnes überliefert:

„Da gebot der Richter, dass man sie sollte bloß ausziehen und also nackt in der  gemeinen Frauen Haus führen. Aber der Herr ließ ihr Haar so dicht wachsen, dass ihr Leib davon besser bedeckt war, denn mit Gewand. Und da sie in das Haus der Schande kam, stund da ein Engel, der gab ihr ein lichtes Gewand, und erfüllte sie mit seinem Glanz das ganze Haus. Also ward die Stätte der Schmach zum Ort des Gebets.“ (Legenda Aurea, Von Sanct Agnes. Aus dem lateinischen übersetzt von Richard Benz. Heidelberg 1984: Verlag Lambert Schneider, S. 134)

Das passt hervorragend zu der Paulusstelle, ebenso wie die Aussage des heiligen Ambrosius, St. Agnes sei ohne besonderen Haar- oder Kopfschmuck gewesen und so in der rechten Weise ihrem Bräutigam entgegen gegangen.
Der natürliche Schleier der Frau ist ihr Haar, aber der übernatürliche „Schleier“ ist ein Glanz, den kein Kleidungsstück je hergeben könnte und wird gnadenhaft verliehen – und natürlich der Frau direkt und nicht, wie Gratian behauptet, nur vom  Mann her. Eine direkte „Vermählung“ der Frau mit Christus wäre ja sonst überhaupt nicht möglich, wie sie bis heute jede Ordensfrau aber doch feiert!
Alleine die Tatsache, dass die Kirche in ihrer gesamten realen Auffassung der weiblichen Heiligen von Anfang an und ganz selbstverständlich von deren Gottebenbildlichkeit und deren Widerschein Seines Glanzes ausging, offenbart uns, dass die besagten referierten Sätze des Heiligen Paulus mit sehr großer Wahrscheinlichkeit gerade nicht dessen Meinung wiedergeben.



© Copyright by Hanna Maria Jüngling