Sonntag, 31. Juli 2016

Sonntagsgedanken: In medio paradisi...



In medio paradisi …

Reflexionen über das Paradies und den Sündenfall

Warum hat Gott den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen ins Zentrum des Paradieses gestellt, dessen Genuss aber tabuisiert?
Anders: Wieso gehörte dieser todbringende Baum ins Zentrum (in medio paradisi) des Gartens Eden? Als Tabu, als dunkler Punkt, als Ort der Verneinung inmitten einer Überfülle an Gutheit und Schönheit, der der Mensch angehörte?
Gewiss, es stand daneben der Baum des Lebens, aber trotzdem fragt schon das Kind, dem diese biblische Geschichte vorgetragen wird, warum in den Raum der Vollkommenheit und Schönheit zentral dieser die Makellosigkeit des Menschen annullierende Fallstrick gestellt war?
Ob man in einem neurotisch-autoritären Sinne sagen kann, Gott habe den Genuss vom Baum der Erkenntnis verboten, etwa so, wie die Eltern im Struwwelpeter in der „Gar traurigen Geschichte mit dem Feuerzeug“ dem Paulinchen verboten haben, mit den Streichhölzern zu spielen, anschließend ausgingen und das unmündige Kind mit der Gefahr alleine ließen? 



Manche meinen auch, Gott habe den Menschen getestet, ob er willens und fähig zum Gehorsam sei, ob er der Neugier standhalte, ob der Mensch bereit gewesen sei, blind zu glauben und sich Gott blind zu unterwerfen. Und beinahe genüsslich stellen sie fest, der Mensch habe sich dem Gebot der Unterwerfung entgegengestemmt.
Allerhand abstruse und zwanghafte Gedanken knüpfen sich an den Vorgang, mit dem die Hauptschuldige, nämlich die Frau, den armen Mann, der einem betrogenen Opfer gleichkommt, mittels „Sinnlichkeit“ in den Sumpf herabgezogen habe. Die Hauptbedeutung des Sündenfalls habe demnach darin bestanden, die Rollen zu vertauschen und die Frau an die erste Stelle vor dem Mann zu setzen, der doch der natürliche, wesentlich würdigere, gottgewollte Führer „des Weibes“ sei, eines Neutrums also, einer Auslagerung des Mannseins minderer Güte, das für einen Moment einmal habe ein volles Menschsein, sprich: Mannsein, erreichen wollen und sich damit auch noch gegen Gott gewandt habe. Der Sündenfall erhielt so den Charakter des Aufstandes der Frau gegen den Mann, und je frömmer christliche Kreise sind, desto mehr hängen sie diesen Vorstellungen an.

Allein: Nichts von alledem findet sich im Schrifttext! Was aber finden wir dort?

Ich muss gestehen, dass mir diese Deutungen unwürdig vorkommen, nicht nur läppisch, sondern sogar blasphemisch.
Unser Gott ist doch nicht dieser finstere Wüstengeist, der die Welt in Flammen stürzt, dieser feuerspeiende Drache, der soviel Blut zur Befriedigung seines perversen Gelüsts verlangt, der die Menschen unterworfen oder zertreten sehen will und deren mehrmalige Proskynesis am Tag fordert, diese hündische Geste, die nur Hass in den Herzen schafft! Gott hat sich eine imago geschaffen, keinen panischen, kriecherischen Wadenbeißer!
Es geht mir ähnlich wie bei der Geschichte vom „Paulinchen“. Als Mutter frage ich mich, wie man ein noch törichtes Kind alleine lassen kann, ihm vorher die Streichhölzer vor die Nase stellt, womöglich noch zeigt, wie man sie anreißt, Zeigefinger schwenkend vor deren Benutzung warnt und dann ausgeht… das Kind dem Babysitting zweier greinender und Tatzen hebender Katzen. „Minz und Maunz“, überlassend.
Der Zynismus solchen elterlichen Handelns ist doch – sagen wir es ungeschminkt - nicht zu überbieten.
Es ist mit Sicherheit eine Folge sündhafter Verfinsterung, wollte man Gott solch hämischer und verantwortungsloser Handlungen zeihen.
Ein großer Teil der Theodizee-Bemühungen richtet sich gegen Anschuldigungen Gottes auf diesem erbärmlichen Niveau, tut aber nichts anderes, als sie auf demselben Niveau schönzureden. Einem Niveau, das Gott mit den verantwortungslosen Eltern des „Paulinchens“ im Struwwelpeter gleichsetzt.



Zwar ist an einigen Schrift-Stellen vom Ungehorsam der Stammeltern die Rede, aber alleine die Begriffsvarianzen offenbaren, dass hier mehr zugrunde liegt als nur ein einfacher Gehorsamsbruch. Es ist die Rede etwa von deren delictum (Vergehen), deren inoboedentia (Ungehorsam) in Römer 5, 18 f und der praevaricatio (Pflichtverletzung (des Anwalts)) Evas in 1. Tim 2, 14.
Die eigentliche Qualität des Sündenfalls, der ja nicht in einem bloßen, abstrakten Ungehorsam besteht, sondern in einem Verstoß gegen ein ganz bestimmtes Gebot, das kein Selbstzweck war, sondern einen geheimnisvollen Sinn birgt, wird entweder ausgeblendet oder mit infantilen Deutungen versehen, wie ich oben einige beschrieben habe.

Unser Dilemma liegt darin, dass wir nicht oder nur mit äußerster Mühe hindenken können an das Geschehen im Garten Eden. Wir übertragen Vorstellungen, die bereits durch die Sünde massiv verzerrt sind, auf die Situation der Stammeltern, außerstande, eine Perspektive einzunehmen, die unbelastet und iterativ anschauen könnte, was passiert ist, bevor die Sünde uns verwundete.

Der christliche Glaube hat uns den Begriff der Freiheit zurückgebracht. Seither oszilliert unser Verstehen zwischen Freiheit und Gesetz. Wir verrenken uns, um das zu verstehen. Freiheit wird von manchen definiert als vollkommene Gesetzeskonformität und militärische Unterordnung. Wer also blind alles tut, was Gott gebietet, der sei frei. Wir wissen jedoch, dass das unlogisch und unmöglich ist. Die Gottesmutter sagte das erlösende Fiat mihi! (Es geschehe mir!)  zu dem, was Gott wollte und wozu er sie würdigte, aber die Kirche wusste von Anfang an, dass dieser Einklang bei Maria nur gelingen konnte, weil sie bereits erlöst und ohne Makel war. Der Sünder ist nicht imstande, Marias Fiat mihi! in derselben Ungetrübtheit auszusprechen. Andererseits gebührt Maria die hyperdulia (höchste Verehrung), eben weil niemand von uns sich ihre Verfassung auch nur annähernd vorstellen kann… Diese Verfassung bedeutet, dass sie völlig frei, ohne jede Nötigung und – wenn auch gnadenhaft – tatsächlich aus ihrer Person heraus aktiv und willentlich vollkommen übereinstimmte mit dem, was Gott ist und tut. Wir anderen bewegen uns, sofern wir ein Fiat! sprechen, in diesem Äon der Gnade darauf mehr oder weniger langsam zu.

Wie war einst die Verfasstheit Evas?

Paulus schreibt im 1. Timotheusbrief, nicht Adam, sondern Eva sei zur praevaricatio verführt worden. Gemeinhin freut sich der sündhaft verblendete Mann über diese Stelle sehr: Da seht ihr es, die Frau ist schuld, und der arme Mann ist nur das Opfer der Frau… Entsprechende Bibelkommentare finden sich landauf landab von alters her in beschämender und peinlicher Breite, bald könnte man glauben, der Mann habe gar nicht gesündigt… Er sieht sich in seinem Führungsanspruch und seiner Überlegenheit betrogen und hintergangen. Das ist für ihn die Hauptsache beim Thema Sündenfall. Nun denn - alleine diese Sicht offenbart die zähe, offenbar kaum überwindbare Finsternis und Uneinsichtigkeit vieler (nicht aller!) männlicher Herzen.

Nun weiß aber jeder, der die Genesis liest, dass Adam sich natürlich sehr wohl verführen ließ und sündigte, und dass Gott in der Erzählung in Gen 3 ihn sogar hauptsächlich verantwortlich macht und Adams dreiste Vorwürfe gegen die Frau und vor allem den Schöpfer selbst in scharfen Worten zurückweist. Nicht Eva, sondern Adam erntet dort einen Schuldspruch.

Was meint also Paulus hier wirklich, wenn man annehmen will, dass er nicht nur von einer den Mann präferierenden und ihn reinwaschenden Deutung geprägt ist, die das damalige Judentum extrem stark zeichnete?

Zunächst ist der Begriff praevaricatio interessant. Eine praevaricatio meint in der antiken Vorstellung, dass ein Anwalt seine Pflicht verletzt. Das ist die zentrale Bedeutung des Begriffs.
Ein praevaricator ist dementsprechend nach römischem Recht ein ungetreuer Anwalt, der es mit der Gegenpartei hält.
Im Kirchenlatein erhielt der Begriff im Lauf der Jahrhunderte eine Bedeutungsverschiebung und bezeichnete mehr oder weniger undifferenziert „Sünder“ oder „Sünde“. Es ist aber alleine an der Tatsache, dass es einen  Hauptbegriff für Sünde (peccatum) gibt, sichtbar, dass man hier bei der praevaricatio der Frau einen ursprünglichen Sinn zugedeckt und unkenntlich gemacht hat.

Wir können die Anklänge an die schöpfungsgemäße Rolle der Frau vernehmen: sie ist eben nicht „Gehilfin des Mannes“, wie man vermindernd übersetzt hat, sondern nach der Genesis das adiutorium (die Hilfe) oder der adiutor (der Beistand) des Mannes, der ohne sie in einem Zustand war, den Gott als ein non est bonum („Es ist nicht gut.“) bezeichnete (Gen 2, 18). Damit wird eine Unvollkommenheit und mangelnde Gutheit angedeutet, die zwar nicht demn Mann selbst, aber dem Rahmen, in dem er sich (noch) befindet, innewohnt.
Der Begriff des adiutorium oder adiutor wird an zahlreichen Stellen des Alten und Neuen Testaments auf Gott selbst angewandt. Dieselben Übersetzer, die aus der Frau eine mindere, subordinierte „Gehilfin“ machten, haben selbstverständlich nie gewagt, Gott bei gleichem Namen als „Gehilfen des Menschen“ zu bezeichnen. Hier übersetzte man korrekt: Gott ist Beistand, Anwalt, Hilfe. Dieser Gottesname gipfelte in der Rede vom angekündigten Paracletus, dem eigentümlichen Wort, das nur im Neuen Testament überhaupt vorkommt und ebenfalls Beistand, Hilfe, Anwalt bedeutet und den heiligen Geist meint.
Das aber wären die Begriffe und Assoziationen, die der Frau schöpfungsgemäß dem Mann gegenüber zukommen.
Einen weiteren Nachhall dieses Zusammenhangs finden wir in den Namen Mariens. In Maria ist die Frau in ihre ursprünglich, gottgewollte Stellung restauriert und auch da advocata nostra (unsere Anwältin, Fürsprecherin), nicht nur dem Mann gegenüber, sondern wie jede Frau und Mutter allen Menschenkindern gegenüber. Unbewusst erwartet jedermann, dass eine Frau immer Anwältin der Menschen und des Menschlichen ist. Umso größer die Enttäuschung, wenn sie sich den ihr Anvertrauten entgegenstellt oder im Sinne des praevaricator auf die Seite des Gegners schlägt oder dorthin verführen lässt. Die Erbitterung und Verhärtung des Mannes ihr gegenüber hängt eben nicht damit zusammen, dass er würdiger gewesen wäre und sie sich gegen ihn aufgelehnt hätte, sondern in einer Hinsicht damit, dass sie in einer geheimnisvollen Weise Anwältin des Mannes und aller Menschenkinder war und ist und darin versagte.

Wenn Paulus Evas Versagen in dieser ureigenen Rolle anspricht, dann wäre die Bemerkung, nicht Adam sei verführt worden, so zu verstehen, dass Adam in einer Rolle, die ihm nicht zukam, logisch auch nicht versagen konnte, dass aber Eva dann tatsächlich in einem „Vorrang“ (dessen Natur noch bedacht werden wird, s.u.) versagt haben muss, den sie in diesem Äon nur schrittweise wiedergewinnt und in dem sie – das klingt als Befürchtung an - möglicherweise wieder angreifbar wäre. Damit wird dem Mann keine Überlegenheit zugesprochen, sondern eher eine etwas größere geistige Unangreifbarkeit aufgrund der Tatsache, dass er natürlicherweise in seinem non est bonum nicht diese frontalen Angriffsflächen bietet. Die weltweit zu beobachtende größere Neigung der Frau zu geistig-religiösen Dingen scheint eine solche Vermutung empirisch zu bestätigen. Die Tatsache, dass der Mann die Philosophie traditionell als „seine“ Domäne beansprucht und die Frau weitgehend weggetreten hat, sobald sie sich annähern wollte, verzerrt das empirische Ergebnis und ist seit dem freien Bildungszugang der Frau nicht mehr haltbar. Die Neigung zur Religion aber stand beiden Geschlechtern prinzipiell immer frei, auch wenn man der Frau darin jedes machtvolle Amt verweigerte. Umso bedeutsamer die Tatsache, dass der Mann trotz seiner Machtsicherung sich dem weniger zuneigt.

Es steht die Frau nach der Schrift nicht angemaßt, sondern wirklich an der ersten Stelle im Kampf gegen den Bösen (Gen 3, 15). Oft wird dies damit begründet, dass sie schließlich an erster Stelle beim Sündenfall stand und dies nun wiedergutmachen müsse. Wenn man allerdings zugleich annimmt, dass sie schwächer und unwürdiger wäre, ergäbe dies Argument keinen Sinn: Der heldenhafte, für den Vorrang und die höhere Würde geschaffene Mann müsste folglich wiedergutmachen, was die niedrigere Frau verbockt hat. So ist es aber nicht, und das Argument geht darum auch ein wenig ins Leere. Vielleicht ist es anders: Sie hat die schöpfungsgemäße Fähigkeit, und darum hat der Böse auch sie angegangen und nicht den Mann, der wie man in der Erzählung sieht, ohne jedes Nachdenken und seltsam töricht einfach isst, obwohl er weiß, was er isst und obwohl er genau weiß, was er damit tut (wie Gott ihm später vorwirft).

Was aber war eigentlich geschehen?

Ein Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen – was stelle ich mir darunter vor? Haben Adam und Eva vorher nicht gewusst, was gut und böse ist? Alles war gut, sagte der Herr, als er an den Schöpfungstagen die Dinge schuf  (bis auf den Mann ohne die Frau!). Dennoch schlummert in diesem Raum der vollkommenen Gutheit und Schönheit ein Baum, der Träger des Bösen zu sein scheint. Ist aber ein Raum, in dem das Böse latent und keimhaft schlummert, wirklich gut und vollkommen, oder waren nur die einzelnen Werke der Schöpfung anfänglich gut? Oder drückt sich bereits im non est bonum des einsamen Mannes, das erst kurz vor Abschluss der Schöpfung ausgesprochen wird, der interne Makel in irgendeiner Weise aus?
Was könnte das aber heißen? Folgerichtig müsste es heißen: mit der Erschaffung der Frau aus der ersten Ordnung der Dinge, die in einem non est bonum vorläufig enden, wird etwas wie eine „zweite Ordnung“ angedeutet, die aus der ersten generiert wird und die die erste Ordnung überhaupt erst gut und fruchtbar macht. Thomas von Aquin macht sich eingehende Gedanken darüber, wie Gott aus dem doch an sich vollkommen geschaffenen Adam in der „Schöpfung der ersten Dinge“, ohne letzteren zu berauben oder unvollkommen zu machen oder mit Schmerz zu quälen, noch dazu aus einem kleinen Partikel aus dessen Leib einen vollständigen zweiten Menschen kreieren konnte:

„Non habuit prima rerum conditio ut femina omnino sic fieret; sed tantum hoc habuit, ut sic fieri posset. Et ideo secundum causales rationes praeextitit corpus mulieris in primis operibus, non secundum potentiam activam, sed secundum potentiam passivam tantum, in ordine ad potentiam activam creatoris.“ (s.th. I q 92 a. 4 ad 3)

(„Es war in der Schöpfung der ersten Dinge nicht enthalten, dass die Frau vollständig so werden würde, wie sie werden könnte. Und insofern hat der Frauenleib vorherexistiert aufgrund der Ursachengründe in den ersten Werken, nicht aber aufgrund der aktiven Kraft, sondern vielmehr aufgrund der passiven Kraft, der Schaffenskraft des Schöpfers in der Ordnung.“)

Wenn die Frau nicht zum „ersten Werk des Schöpfers“ gehört, also auch nicht zur Pflanzen- und Tierwelt, sondern nur eine „Potenz“ in demselben darstellt, die aber wiederum nur durch die Kraft des Schöpfers – nicht etwa des Mannes oder sonst eines internen Wesens - überhaupt Gestalt annehmen konnte, dann beginnen wir doch zu stolpern: Die Frau also als eine „zweite Schöpfung“, die potentiell in der ersten verborgen liegt – es sind doch atemberaubende Gedanken, die hier erahnbar werden!
Wer kann sich der Ahnung verschließen, dass mit der Frau bereits die neue Schöpfung angekündigt wurde, die die alte, über der eben dieses eigentümliche non est bonum steht, überschreiten wird? Die Frau verbindet alte und neue Schöpfung. Ihre Gestalt, die die des Mannes an Schönheit auch nach dem Fall meist weit übertrifft, weist in eine Sphäre, in die wir nur schemenhaft hindenken können. Dem Mann aber war die Benennung der zeitlichen Dinge aufgetragen (Gen 2, 15 + 19). Wenn Augustinus die Führung der zeitlichen Dinge der Frau als ratio inferior („niedere Vernunft“) zuweist, dem Mann dagegen die Führung der geistigen Dinge der ratio superior („höhere Vernunft“), dann geht das entscheidend an der Beschreibung in Genesis 2 vorbei, die Adam ausdrücklich damit beauftragt, den Garten Eden zu bebauen und zu bewahren und den zeitlichen Dingen Namen zu geben (Augustinus, De trinitate 12. 8).
Die Zugrichtung im Schöpfungsbericht hängt nicht die Frau an den Mann, sondern den Mann an die Frau:

« Relinquet homo patrem suum, et matrem, et adhærebit uxori suæ.. » (Gen 2, 24)

(« Ein Mann wird Vater und Mutter verlassen und sich an seine Frau kleben. »)

Genau dieser Satz wird später von Jesus selbst eindringlich wiederholt und angemahnt, ebenso von Paulus (Mt 19, 5; Mk 10, 6; Eph 5, 31). Mit der Hervorhebung dieses Satzes wird nicht ein Vorrang der Frau im Geschlechterkampf ausgedrückt, sondern eine Richtung des Heilsplanes.

In Goethes berühmten Schlusssätzen des „Chorus mysticus“ in Faust II, 64

„Alles Vergängliche
Ist nur ein Gleichnis;
Das Unzulängliche,
Hier wird's Ereignis;
Das Unbeschreibliche,
Hier ist's getan;
Das Ewig-Weibliche
Zieht uns hinan.“

wird dieser Sinn anhand einer ausgedehnten Marienvision in Sprache gefasst.
Die Schau des „Doctor marianus“ dort vergegenwärtigt die Himmelskönigin, deren „hehres Gebieten“ ohne jedes Dominanzgehabe oder Befehlen vor sich geht, ohne jede hierarchische Attitüde. Sie steht jenseits jeglicher Hierarchie der Wesen und der Mann folgt ihr, weil das die Richtung ist, die vorgegeben ist und nach oben führt. Adams Fall hängt zweifelsohne mit diesem wahrlich zauberhaften Status der Frau zusammen, in dem sie für schreckliche Minuten im Weltgeschehen auf die Seite des Gegners überwechselte.
Gott kündigt der Frau an, als Folge ihres Falls werde der Mann sie in ihrer Geschwächtheit beim Gebären beherrschen. Herrschenwollen um jeden Preis aber ist seither das qualvolle Dilemma des Mannes, mit dem er unheilvoller Zögling des Fürsten der Welt wurde.

Es ist mir unvergesslich, wie Hannah Arendt in ihrem großen Fernsehinterview mit Günter Gaus von 1964 (kann hier angesehen werden: https://www.youtube.com/watch?v=J9SyTEUi6Kw ) , auf ihre „Emanzipiertheit“ angesprochen, entgegnete, sie sei „altmodisch“ und denke, es „schicke sich nicht, wenn eine Frau Befehle erteilt“. Aus ihrem Mund aber klang hier nicht durch, dass eine Frau sich unterzuordnen hätte, sondern dass es der Würde einer Frau entgegengesetzt sei, zu befehlen. Anders und in meinen Worten: Das Befehlenwollen hat eine Frau nicht nötig! Es ist schlicht unter ihrer Würde. Wer befiehlt, kann nicht überzeugen. Hannah Arendt betonte, dass sie alles, was sie beruflich mache, einfach macht, weil das aus ihr so kommt – und nichts weiter. Sie überzeugte ohne Herrschaftsgehabe und wollte auch nicht anders überzeugen. Das ist die adäquate Haltung der Frau. Nicht die Frau muss um Macht kämpfen, sondern der Mann sollte sich vor seiner notorischen Herrschsucht fürchten und auf Jesus schauen, der jedem Kampf um den Vorrang eine Absage erteilt hat und dem, der dieser dominanzversessenen Gesetzlosigkeit folgt, den Untergang angekündigt hat.

In Gottes ewiger Gegenwart ist das zeitlich Hintereinanderliegende vermutlich „nebeneinander“ oder sogar „ineinander“. Der Schöpfungsbericht geht also bereits von dem aus, was hernach geschah? Oder muss man annehmen, dass Gott sich in seinem Ebenbild einen souveränen Mitregierenden schaffen wollte, mit dessen Hilfe er das zu überwinden gedachte, das sich in dem Baum in medio paradisi schon „vor dem Menschen“ manifestiert hatte?
Dass der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen im Garten Eden steht, wäre somit nicht ein „Test“ für den blind-kindischen „Gehorsam“ des Menschen, sondern ein Zeichen des Standes, den Gott seiner imago (Ebenbild) gab und geben wollte. Der Mensch konnte den Baum ja allzeit ansehen, aber er sollte sich dessen Früchte nicht verinnerlichen und nicht in sich aufnehmen. Gott wollte vielleicht das Böse mit dem Menschen gemeinsam überwinden und hat sich zu diesem Ziel überhaupt eine imago geschaffen.

Eine Welt der Gutheit und Überfülle, der Schönheit und Vollkommenheit und die Inkludierung des Menschen im Licht Gottes – was also, um zu unserer Frage zurückzukehren, bedeutet in dieser ontologischen Verfassung des Menschen die Erkenntnis des Bösen?
Konnte Eva sich darunter etwas vorstellen? Dem Dialog zwischen ihr und der Schlange nach konnte sie es nicht. Sie hatte die Tabuisierung der bösen Baumfrüchte bislang offenbar nicht in Frage gestellt. Der Garten war voller süßer und guter Früchte – wozu sich mit diesem Baum in der Mitte beschäftigen? In der Überfülle der Schönheit und Güte war es zunächst leicht, nicht zu fallen.

Die Schlange stellt in einer ersten Frage die bösen Früchte hinterrücks mit den guten auf eine Ebene, indem sie behauptet, der Mensch dürfe doch womöglich nicht etwa überhaupt keine Früchte kosten – bis heute ein verheerendes Motiv aller ins andere Extrem schießender Moraltheologie: selbst das, was Gott dem Menschen an Lust und Freude schenkt, wird pauschal verdächtigt. Eva erhöht gewissermaßen „folgerichtig“ in einer ersten Verschiebung der Ordnungen reflexhaft das Tabu des Baumes in der Mitte, man muss vermuten, tragischerweise sogar aus gutem Willen und Gehorsam, und behauptet ihrerseits, eifrig um Rettung bemüht, sie dürften diesen Baum nicht einmal berühren. Das überzieht das Gebot Gottes aber, der nur das Essen von dem Baum als gefährlich und todbringend benannt hat. Man kann sogar fragen, ob die Existenz des Baumes im Lebensraum des Menschen nicht sogar von ihm bedacht und hinterfragt hätte werden müssen. Wenn Gott dem Menschen diesen Baum vor die Nase stellt, dann ist es dauerhaft unmöglich, ihn zu ignorieren oder so zu behandeln, als sei er gar nicht da. Wollte Gott, dass der Mensch über den Baum nachdenkt und das Gespräch über ihn mit Ihm, dem Schöpfer, sucht?

Man kann das nur eine tragische Entwicklung nennen: Eva also will tatsächlich am Gebot Gottes festhalten, indem sie es eigenmächtig verschärft, noch einmal extra „nachlegt“. Genau diese Verschärfung verrückt aber das gesamte Gefüge und lässt sie am Ende fallen. Es ist natürlich nicht wahr, dass sie sterben müsste, wenn sie den Baum auch nur berührt! In dieser gutgemeinten Schutz-Lüge nun befangen treibt die Schlange Eva geschickt ins andere Extrem: Nun ja, wenn Du Dich da schon zur Übertreibung hinreißen lässt, gute Frau, dann bedenke doch, ob nicht das Tabu überhaupt übertrieben ist – schließlich gibt es hier etwas zusätzlich zu erkennen und zu wissen, etwas, was nur die Götter wissen, und das will Gott verhindern. In der Antike fasste man den Satz der hebräischen und griechisch übersetzten Schrift, die hier von „elohim“ spricht nicht so auf, als würde dem Menschen in Aussicht gestellt, „wie Gott zu sein“, sondern wie „Götter, die das Gute und Böse wissen“:

« …eritis sicut dii, scientes bonum et malum… » (Gen 3, 5)

(« Ihr werdet sein wie die Götter, Gut und Böse erkennend »)

Man kann daraus entnehmen, dass es nicht darum ging, „wie Gott zu sein“, sondern „wie die Götter“, die bereits wussten, was gut und böse ist. Diese „Götter“ sind nach dem, was wir aus der Tradition wissen, der Satan und seine gefallenen Engel.
Der Stand Evas als imago Dei aber war doch mindestens auf derselben Ebene, wahrscheinlich sogar über diesen Göttern angesiedelt. Warum verlockte sie das also?
Sie war in Unruhe versetzt worden. Eine ungute, geistige Neugier. Ihr erschien das Böse als eine Qualität, die das Gute gewissermaßen ergänzt. Nun muss man fragen, wie irgendetwas das Gute ergänzen könnte? Setzt die Erkenntnis darüber, dass das Vollkommene nicht ergänzt werden kann, voraus, dass man mit dem Bösen in Berührung kam? Wir können dahin nicht denken...

In jedem Fall aber zog in Evas Gedanken die Überzeugung ein, nicht im Guten und Vollkommenen zu leben, manifestiert dadurch, dass dieser Baum nun einmal im Paradies stand. In irgendeiner Weise nahm sie nun ein Defizit an. Diese Meinung fand ihren sachlichen Anhalt an der tatsächlichen Existenz des Baumes, der auch noch mitten im Garten stand. Die Frage, wozu dann direkt daneben der „Baum des Lebens“ steht, wird in der Erzählung vollkommen ausgeblendet. Die Paradieserzählung entwirft mit der Existenz des Todes- und des Lebensbaumes in medio paradisi eine grundsätzlich Anlage des Gartens Eden auf das gesamte Heilsgeschehen hin (Gen 2, 9). Es war schon vor dem Fall also anwesend… Eva nahm das wohl wahr und ihre Gedanken verirrten sich unter dem Diskurs-Diktat der Schlange darin…

Traditionell erheben sich männliche Kirchenschriftsteller gerne über die Frau, weil sie hier gewissermaßen aufgrund einer Blödigkeit und schwachen geistigen Fähigkeit gefallen wäre. Allein – das Problem dürfte hier aufseiten der männlichen Überheblichkeit liegen.
Es ist ersichtlich, dass die Frage, wie in einem vollkommenen, überguten Zustand dennoch dessen Verneinung sichtbar und berührbar, ja sogar konsumierbar sein konnte, in Eva so etwas wie ein jähes Erwachen, Entsetzen und Erbitterung auslöste und den verheerenden Eindruck, von Gott betrogen worden zu sein. Sie nimmt eine Auflösung der Identität zwischen den Dingen und ihren Namen an. In der Folge, um sich in eine positive Sicht zu retten, sieht sie die Früchte nun genauso an wie alle anderen Früchte: als schön und wohlschmeckend, als Ausdruck der Vollkommenheit und Gutheit. Und vor allem: als Erkenntnis erweiternd! Der Genuss der bösen Frucht soll die verlorene geistige Identität wieder herstellen.
Eva kommt durch den Abgrund einer Art „negativen Dialektik“ ins Schleudern.

Der gravierende Punkt der Pervertierung der Haltung Evas ist der Moment, in dem sie das, was mit dem Bösen verknüpft ist, als „schön“ und „wohlschmeckend“, also als „gut“ wahrnimmt und postuliert. Man kann zusammenfassend sagen, dass sie in diesem Moment das Böse mit dem Guten vertauschte und sich zu eigen machte, wenn auch als „Katze im Sack“. Ihr war ganz offenkundig nicht bewusst, dass das "Böse" der Verlust der Vollkommenheit und Gutheit sein würde und keine weitere "Qualität".
Dass Adam mit ihr aß, weist einerseits darauf hin, dass er tatsächlich schöpfungsgemäß nicht die Führungsrolle innehatte, die unter Sünde gerne behauptet wird. Er vertraute vielleicht einfach seinem adiutorium und orientierte sich an dem adiutor. Sein schwerer Fehler war, den Fall des adiutor offenbar vollkommen hirn- und tatenlos mitanzusehen und Gottes Gebot dafür nicht aufgrund einer Verführung (wie Paulus schreibt!), sondern aufgrund einer boshaften Entscheidung mit ungetrübtem Bewusstsein zu opfern. Sein Fall hat eine vollkommen andere Struktur als der der Frau. Genau das wirft der Herr ihm später in scharfen Worten vor. Es ist nicht klar, was in ihm vorging, aber seine Herrschsucht und seine Abwehr gegen den Schöpfer und den adiutor scheint generalisiert auf, als er Gott dreist die Stirne bietet und ihm vorwirft, ihm überhaupt diese socia zugemutet zu haben (Gen 3, 12).

Evas Not, als sie Gott gegenüber zugab, durch die Schlange getrieben, einer Täuschung erlegen zu sein, wird von Gott nicht kommentiert, sondern als Bekenntnis angenommen. Er verurteilt sie nicht und verhängt über sie – anders als über Adam und zuvor die Schlange – tatsächlich keinen Schuldspruch, kündigt ihr aber die tiefe Verwundung ihrer schöpfungsgemäßen Rolle als Frau an: was sie gebiert, gebiert sie unter Schmerzen, denn es führt sie selbst an die unterirdischen Gewässer des Todes. Was sie gebiert ist wie seine Mutter todgeweiht, und der, dessen Beistand und Advokatin sie ist, wird sich aufgrund dieser Schwächung in törichtem Hochmut ergehen und über sie erheben und aufbegehren gegen ihre Rolle und alles tun, um sie unter seine Füße zu treten.
Der Schlange aber setzt Gott die geschwächte Frau als Feindin – nicht den Mann. Der Herr wird in den Schwachen machtvoll, nicht in den Starken, die glauben, des Arztes nicht zu bedürfen.
Und der Frau verheißt der Herr auch den Sieg. Die Frau wird einen „Samen“ haben, der die Schlange zertreten wird. Dieser „Same“ kommt in einer geheimnisvollen und ihrer Schwäche ganz enthobenen Weise doch von ihr oder durch sie, nicht aber durch oder vom Mann:

« ...non ex sanguinibus, neque ex voluntate carnis, neque ex voluntate viri, sed ex Deo... » (Joh 1, 13)

(« …nicht aus dem Blut, und nicht aus dem Willen des Fleisches, und nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott… »)

Großartig hat Gott die Frau abgefunden, das kann keine Frau anders sehen, denn trotz ihres Falls hat er ihr etwas zugesprochen, das sich, wie wir wissen, nach vielen weiblichen Vorläufergestalten im Alten Testament, in Maria vollkommen erfüllt hat.

Die Frau war und ist wohl Zeichen und Unterpfand für die Schöpfung der „zweiten Werke“ Gottes, für die neue Schöpfung, den neuen Himmel und die neue Erde, für das „himmlische Jerusalem“, das Paulus folgerichtig mater nostra („unsere Mutter“) nennt:

« Illa autem, quæ sursum est Jerusalem, libera est, quæ est mater nostra. » (Gal 4, 26)

(« Jene aber, die das himmlische Jerusalem ist, ist frei, sie ist unsere Mutter.“)

Man kann vermuten, dass der Satan zielgerichtet nur die Frau angreifen konnte, eben weil sie diese schöpfungsgemäße Rolle hatte und hat.

Es sind große Geheimnisse, die hier verborgen liegen, und wir rücken ihrer Entschleierung, weil der Herr wiederkommt, täglich näher.

© by Hanna Jüngling






Sonntag, 17. Juli 2016

Sonntagsgedanken - Konnte die Kirche den Fürsten der Welt in diesem Äon unbeschadet ablösen?

In welcher Nachfolge steht die sichtbare, hierarchische Kirche nach dem Selbstverständnis, das in ihr seit mindestens einem Jahrtausend zwar niemals dogmatisch, aber eben doch faktisch in zahlreichen Äußerungen und Einrichtungen dominant werden konnte?

Steht sie in der Kreuzesnachfolge, die bedeutet, dass der Hierarch seine natürlichen Interessen als Mann unter Sünde und auch die vermeintlich "natürlichen", politischen Interessen der Kirche als irdischem Institut vollkommen aufgibt, um den gekreuzigten Herrn sichtbar zu machen?

Wollen diese Männer wirklich, wie Johannes der Täufer, immer mehr verschwinden, damit Christus in ihnen groß und in den Sakramenten objektiv aufscheint und unerschütterliches Zeichen der Treue Gottes ist - aber als der, der in dieser Welt gerade nicht um Macht kämpfte, sondern sein Leben dahingab, um viele zu erlösen, als Opfer? Als das Lamm Gottes?
Christus, der hier nirgends einen Ort hatte, an den er sein Haupt betten konnte?

Ist die Kirche Braut, also wirklich weiblich, in dem Sinne, dass sie gebeugt wird und sich beugen lässt unter die Hand sündhaften maskulinen Dominanzstrebens, das diese verlorene Welt und ihren Fürsten zeichnet, weil Christus, selbst als Mann ins Fleisch gekommen, sich genauso unter die Hand des dominanten Mannes beugen ließ, wie es der Frau als Sündenfolge angesagt war? Er enttäuschte und brüskierte die Erwartungen der damaligen Hierarchie und sogar seiner männlichen Jünger, aber er erfüllte die der Frauen, die ihn ohne spezielle Berufungsgeschichten ganz dicht und wie selbstverständlich umlagerten.
War und ist es nicht ganz so, wie es uns das Protoevangelium der Genesis angekündigt hat?


Wissen wir, dass die Hierarchie der Kirche eine Verfremdung jeder irdischen Hierarchie sein müsste, denn Maria, die Braut, das Weibliche, steht in der Logik des Fürsten der Welt, der die Frau hasst, weil Gott sie an erster Stelle in Feindschaft zu ihm gesetzt hat, unter, philosophisch gesprochen außerhalb und geistig gesprochen über dem Hierarchischen?
Der Herr stellte sich als Mann auf die Seite der Frau in diesem Äon, er nahm ihre "passive Rolle" ein.

Oder erlagen viele der Hirten bis heute dem Wahn, sie müssten als Männer den Fürsten der Welt in diesem Äon ablösen, ja: beerben oder gar mit dessen eigenen Waffen schlagen? Und immer wieder und immer mehr haben diese Männer ihn tatsächlich abgelöst und beerbt und mit seinen Waffen bekämpft - doch zu welchem Preis? Und: haben sie ihn damit wirklich geschlagen? Meinten sie wirklich, sie könnten etwas erreichen, dem der Herr sich doch einst in der Wüste verweigert und was er dem Petrus in dramatischen Worten abgesagt hatte, als er aus seinem ersten Jünger für Momente den Satan sprechen hörte? Der irdische Acker der civitas Dei steht jedenfalls heute zweifelsfrei und schmerzlich voller Unkraut, wie es uns angekündigt wurde.

Das Streben vieler in der Kirche nach Ablösung des Fürsten der Welt in der irdischen Macht ist die tiefste Ursache unserer Verwirrung in ihren mannigfachen, unübersichtlichen Spielarten.

Ist dies ein Aspekt des Geheimnisses des Bösen, das immer mehr offenbar werden soll?