Sonntag, 1. Oktober 2017

Fake Heavens (II) — Zur Problematik der modernen Kosmologie als antichristlicher Utopie ("Ortlosigkeit")



Fake Heavens (II) — Zur Problematik der modernen Kosmologie als antichristlicher Utopie ("Ortlosigkeit")


1. Das Olberssche Paradoxon oder warum jede irdische Macht auch Sternwarten und Observatorien unterhält und es doch dunkel bleibt

Nachdem ich in einem ersten Teil die vorhandene Debatte um die „Flache Erde“ dargestellt und untersucht habe, was denn die heidnische, europäische Antike über den Kosmos dachte und „wusste“, möchte ich mich in diesem zweiten Teil mit den geistigen Konsequenzen der modernen Kosmologie beschäftigen und danach in einem weiteren Artikel die biblische Kosmologie genauer beleuchten.

Wenn nun manch einer, vor allem mancher Christ, sagen mag (wie dies einige Kirchenväter taten), es sei doch letztendlich ganz egal, wie das All und die Gestalt der Erde aussehe, es komme doch nur auf den rechten Glauben an, so möchte ich dem widersprechen und vorausschicken, dass nicht nur der christliche Glaube mit seinem Zeit-, Schöpfungs- und Himmelsbegriff steht und fällt, — denn alle heilsgeschichtlichen und apokalyptischen Aussagen nehmen direkten oder indirekten Bezug auf die Kosmologie — , sondern unser aller seelisches und politisches, geistiges und ökonomisches Schicksal auf dieser Welt hängt davon ab. Machtpolitik war niemals von der Kosmologie zu trennen, und jeder sehe sich vor, wo er sich hier verortet. Es gab nie eine irdische Macht, die nicht die Sterne und das All für sich beansprucht hätte. Jeder Hof unterhielt Sternkundige und Astronomen, und auch der Vatikan unterscheidet sich hier auf keine Weise. Wozu, wenn das für den Glauben unwichtig sein soll, bräuchte sonst unsere Kirche eine „Sternwarte“ in den Albaner Bergen? Wozu unterhält der Heilige Stuhl eine Bildungs- und Forschungseinrichtung namens „Specola Vaticana“? Keine Sternwarte auf dieser Welt sieht davon ab, über die Himmelsgeschehnisse zu wachen und die Deutungshoheit über sie zu beanspruchen. Eine fromme Vogel-Strauß-Politik ist eines Christen alleine schon im Rahmen dieser Vorbemerkung in einer so wichtigen Frage also nicht würdig und konnte und könnte weiterhin der Ausgangspunkt einer großen Irrtumsanfälligkeit und Verkennung der Zeichen der Zeit werden. An der Kosmologie hängt förmlich alles, denn sie ist es, die die Fähigkeit, den wiederkommenden Herrn zu erkennen oder eben auch zu verstehen, dass er es nicht ist, von dem uns einige sagen, er sei es, wesentlich fundiert.

Doch fangen wir am Anfang an:
Der Glaube „fühlt sich“ anders an, wenn Gott in einem unendlichen Vakuum-All mit Myriaden herumsausender (Leucht-)Kugeln und Schwarzer Löcher nirgends zu finden ist und in einer „rein geistigen“ Sphäre jenseits dieses von uns vorgestellten, grenzenlosen Alls in einem „Außen“ angenommen wird und wir — wie von Blaise Pascal ausgesprochen (s. „Fake Heavens I“) — unendlich einsam und verloren als Staubkörner in diesem „All“ taumeln und nicht wissen, wo da dieser Gott sein soll. Gott ist unendlich weit entfernt und völlig un-offenbar geworden. In einer solchen Kosmologie wird unweigerlich Gott, aber auch Gut und Böse zu einer relativistischen Abstraktion, der Mensch ist bedeutungslos, wertlos und verloren. Es gibt in einem so gedachten „All“ nichts, woraus sich ein Wert des Menschen ableiten ließe.
Oder aber, man ist konsequent und verfolgt wie Giordano Bruno einen pantheistischen Ansatz. Gott muss dann mit diesem unendlichen All identisch sein. Diese Position hat die Kirche verfolgt und Bruno dafür auf den Scheiterhaufen geschickt. Brunos Ansatz wäre aber in dem kosmischen Modell der einzig schlüssige gewesen. Man kann nicht „zweien Herren dienen“. Lehnt man den pantheistischen Ansatz ab, müsste man das gesamte Modell ablehnen, denn wie soll man sich Gott jenseits einer unendlichen Schöpfung denken? Die logische Problematik des heutigen kirchlichen Denkens werde ich später anhand eines Kant-Zitates genauer beleuchten. Johannes Paul II. hat zum Glück im Jahr 2000 zugestanden, dass die Art und Weise, wie die Kirche mit dem Dominikaner damals verfahren war, Unrecht war, aber den mit diesem Weltbild, das er bejahte, notwendigen pantheistischen Ansatz lehnte er nach wie vor ab. Gewiss: das Gottesbild der Heiligen Schrift kann unmöglich pantheistisch und vor allem nicht a-personal verstanden werden. Aber wenn das wahr ist, kann die Kosmologie andererseits nicht stimmen, der die Kirche anhängt und die ihre Kleriker maßgeblich befördert haben… Die Kirche befindet sich, wie ich behaupte, demnach in einer beißenden Schizophrenie an einem Punkt, der merkwürdigerweise nur von ganz wenigen als der tatsächliche Ausgangspunkt der postmodernen Glaubenskrise wahrgenommen wird.

Anders ist das „Lebensgefühl“ eines Menschen, der die Überzeugung hat, dass die Erde zu Füßen Gottes oder unter den Himmeln ist und der Allmächtige sie und alles, was ihr gegeben ist, einschließlich der Gestirne, „von allen Seiten umgibt“ (Ps 139, 5). Ja, es ist etwas anderes, wenn man sich darüber gewiss ist, dass er da oben über uns ist und um uns und auf alles und jeden aufmerkt, selbst die Lilien auf dem Feld liebevoll einkleidet und den Spatzen, die nicht säen und nicht ernten, täglich ein üppiges Mahl auftischt (Mt 6, 26 ff). Und es würde uns anders ausrichten, wenn wir von daher die Aussagen des Glaubens verstünden, die von einem apokalyptischen Kampf sprechen, der vom Himmel her auf die Erde fiel und den Menschen, der in diesem Kampf eine zentrale Rolle spielt, zur Positionierung auffordert, seine Potenz fürs Himmlische aktiviert, zur Schärfung der Augen und Ohren und zum geistigen Kampf aufruft. Zu einem Kampf, in dem der Fürst der Welt und seine fanatischen Anhänger, die die liebevolle Einkleidung und Speisung der Lilien und Spatzen hassen, den einen das letzte Hemd rauben und das letzte Eckchen Brot aus dem Munde reißen und deren bitter werdende Seele dem Verderben ausliefern, den anderen deren Gut aufdrängen und ihre Gier entfachen und sie ersticken lassen in der Diebesware. Zu einem Kampf, in dem der Mensch gehalten ist, dies in der Kreuzesnachfolge zu ertragen, sich an der Beraubung der Lilien und Spatzen ebenso wenig zu beteiligen wie an der des Menschen und diese Verwüstung zu überschreiten mit Gottes Hilfe auf ihn, den Schöpfer hin.
Anders gesagt:
In einem unendlichen schwarzen, leeren, nächtlich wesentlich unseren Augen trotz der Sterne lichtlos erscheinenden All, das trotz so vieler behaupteter Stern-Sonnen primär dunkel bleibt, wie das Olberssches Paradoxon es ausdrückt, eigentlich aber doch taghell sein müsste[1], wird eine institutionalisierte Machtkirche zu einem paradoxen Pendant, zu einem kraftlosen, starren Gebilde, ja, es nimmt den Charakter dieses unendlich finsteren Raumes menschlicher Täuschung an, die durch kein noch so aufgebläht gedachtes „Licht“ vieler kleiner selbstdefinierter Sonnen (Hierarchen) hell wird, auch dann nicht, wenn man sich Myriaden solcher Sonnenlichter einbildet, sondern finster bleibt und abstrakt, leblos und kalt, und einen mörderischen Unterdruck erzeugt wie das von ihr erdachte Hochvakuum da draußen, in dem alles verdirbt und zugrunde gehen muss. Eine Kirche, die mithilfe ihrer selbsterdachten Sonnen den Heiligen Geist einfangen will, ähnlich wie die Schildbürger einen fensterlosen Turm mit dem Licht, das sie draußen in Mausefallen eingefangen hatten, illuminieren wollten, spiegelt diese Verfinsterung des Alls wieder, macht verständlich, warum Oben und Unten nicht mehr klar sind, alles plötzlich relativ wurde: es war die Kirche selbst, die mit der Ausbildung ihres Machtapparates und der konsequenten Verleugnung der biblischen Kosmologie Oben und Unten verwechselt und relativiert hat. Mit der Etablierung einer fast gottgleichen Hierarchie und dem Machtanspruch des Papsttums kam es folgerichtig zur Verfremdung der biblischen Kosmologie zur „Revolution“ von Kalendern und Weltbildern, und es war folgerichtig insbesondere der nachreformatorische, programmatisch das irdische Papsttum stützende Jesuitenorden, der die Astronomie als sein Herrschaftsgebiet entdeckt hat und das kopernikanische Weltbild von Anfang an in alle Welt missioniert hat, auch wenn beileibe nicht jeder Kirchenmann, wie etwa Kardinal Bellarmin SJ,  das anfangs so wollte. Was das frühe Christentum hinter sich gelassen hatte, wurde durch tausend Schattentüren wieder eingelassen. Doch dazu später.

Das vom Menschen erdachte All ist am Tage unsichtbar, nur die Finsternis, die Gott „Nacht“ nannte, lässt dieses Gespinst der Hybris zu und vergewaltigt die wirklichen Gestirne, deren Geheimnis wir heute weniger erfassen als die alten Astrologen. Warum leuchten sie, und warum ziehen sie ihre Bahnen? Wie weit sind sie wirklich entfernt, und wie ist ihre wahre Gestalt und Leuchtkraft beschaffen? Wer sind sie, die selbst im Alten Testament manchmal metaphorisch oder womöglich doch direkter mit den „Göttersöhnen“ in eins gesetzt werden?[2]

In einem ewigen, lichten All aber, das „hinter“ dem geostationären und unseren Augen endlichen Nachthimmel liegt, in dem die „caeli“ (oder „caela“), „die Himmel“ sind und Gott, handgreiflich, aber unfassbar, buchstäblich und lebendig, ist Glaube weder abstrakt noch starr, sondern lebendig und mild, weder eiskalt noch mörderisch heiß, nur dem ein Schrecken, der den Allerhöchsten, dem dies alles gehört, ablehnt, ein Paradies aber dem, der dessen Schöpferkraft anerkennt und ihm sein ganzes Sein zu Füßen legt. Die Vorstellung hier ist „andersherum“: Über uns ist eine andere unbegrenzte Sphäre, aber sie ist erfüllt vom Licht, von dem uns mindestens das Firmament trennt und unsere Augen, von denen es immer wieder heißt in der Schrift, sie seien „gehalten“, damit wir nicht alles sehen, was ist, sind in einer horizontalen Perspektivität gefangen. Das sterbliche Auge hat nicht die Sehkraft fürs Ewige. Eine geheimnisvolle Trennwand steht zwischen uns und diesem lichten, ewigen „Raum“ um uns, der weniger ein oder gar kein geometrisch zu verstehender „Raum“ als ein Bereich ist, dessen Dimensionalität uns nicht fassbar ist.
Während die unendlichen, leeren, vom sterblichen Menschen erdachten Räume, die Blaise Pascal schaudern machten, den Menschen verloren gehen lassen in seiner eigenen inneren Wüste und auf Gott nicht verweisen, ergibt sich aus der biblischen Vorstellung von Himmel und Erde ein ganz anderer Eindruck: diese Welt ist in jedem Fall, trotz aller Finsternisse, die wir doch erleben, umgeben von wirklicher, lebendiger Weite und Licht. Wären die Augen nicht geschwächt und gehalten, sie würden uns übergehen über all dem, was uns umgibt und durchwirkt.

2. Die Analogieproblematik zwischen Schöpfer und Geschöpf als kosmologische „Falle“

Ein Glaube unter einem solchen Himmel bedürfte an sich keiner Dogmen, er ist selbstevident, und es ist auffallend, dass der Hang zur Dogmatisierung und Moralisierung des Glaubens in der westlichen Kirche nicht nur unserer Schwäche und Irrtumsanfälligkeit geschuldet ist, sondern tatsächlich erst mit der Sonnenherrschaft Konstantins anbrach und mit dieser spätantiken Verfremdung der christlichen Kosmologie auch der Glaube mit Hammer und Meißel in die Herzen gebracht werden musste. Nun, da man sukzessive das ewige Licht um uns als eine buchstäbliche Wirklichkeit ausschloss, folgte die Astronomie und Kosmologie einer Abwärtsentwicklung. Am Ende bedeutete der Eintritt der „Neuzeit“ eine totale Verschiebung der himmlischen Perspektive zugunsten der unendlichen Finsternis da draußen, die ihr weniges Licht alleine von den behaupteten „Sonnen“ beziehe, die in einem unerklärlich stockdunklen Universum doch nicht so hell leuchten, wie man es sich ausgedacht hatte...
Nachdem diese Schieflage seit der „kopernikanischen Wende“ weit gediehen war und man aus der Abgründigkeit des menschlichen Bewusstseins ein nach außen verlagertes „leeres“ und dunkles „All“ gemacht hatte, in dem einsame Kugeln um einsame, aber angeblich hell leuchtende „Sonnen“ taumeln, konnte ein großer Philosoph wie Kant die Sache so sehen und dabei (unausgesprochen) auf die alte Auseinandersetzung zwischen Giordano Bruno und der Kirche zurückkommen:

„Wo wird die Schöpfung selbst aufhören? (…) Man merkt wohl, dass, um sie in einem Verhältniss mit der Macht des unendlichen Wesens zu denken, sie gar keine Grenzen haben muss. Man kommt der Unendlichkeit der Schöpfungskraft Gottes nicht näher, wenn man den Raum ihrer Offenbarung in eine Sphäre, mit dem Radius der Milchstrasse beschrieben, einschliesst, als wenn man ihn in eine Kugel beschränken will, die einen Zoll im Durchmesser hat. Alles, was endlich ist, was seine Schranken und sein bestimmtes Verhältniss zur Einheit hat, ist von dem Unendlichen gleich weit entfernt. Nun wäre es ungereimt, die Gottheit mit einem unendlich kleinen Theil ihres schöpferischen Vermögens in Wirksamkeit zu versetzen, und ihre unendliche Kraft, den Schatz einer wahren Unermesslichkeit von Naturen und Welten unthätig und in einem ewigen Mangel von Ausübung verschlossen zu denken. Ist es nicht vielmehr anständig, oder besser zu sagen, nothwendig, den Inbegriff der Schöpfung also anzustellen, als er sein muss, um ein Zeugniss von derjenigen Macht
abzugeben, die durch keinen Maassstab kann abgemessen werden? Aus diesem Grunde ist das Feld der Offenbarung göttlicher Eigenschaften eben so unendlich, als diese selber sind. Die Ewigkeit ist nicht hinlänglich, die Zeugnisse des höchsten Wesens zu fassen, wenn sie nicht mit der Unendlichkeit des Raumes verbunden wird."[3]

Dieser Gedankengang Kants ist aus verschiedenen Gründen bemerkenswert.

1.
Die antike und mittelalterliche Argumentation, der auch Kopernikus noch ausdrücklich anhing, besagte, dass die Kugelform die Form der Vollkommenheit sei und daher alles, was Gott geschaffen habe im All, die Form einer Kugel haben müsse, auch der Kosmos selbst. Es stellt sich dann aber die Frage, was außerhalb dieser Kugel ist. Diese Frage trieb auch Augustinus um:

„Capiunt ergone te caelum et terra, quoniam tu imples ea? An imples et restat, quoniam non te capiunt? » — « Fassen sie Dich also, Himmel und Erde, da Du sie erfüllst ? Oder erfüllst Du sie und bleibt etwas über, weil sie Dich nicht fassen?“[4]
Er konnte die Frage nicht beantworten, aber er formulierte die Problematik für unser menschliches Denken. Er wendet sich von ihr an dieser Stelle ab und sucht nach seiner subjektiven Position in dieser Konstellation.

2.
Kant argumentiert zunächst wie Bruno so, dass ein unendlicher Schöpfer auch eine unendliche Schöpfung erschaffen haben müsse.
Aber Kant setzt sich mit einer anderen Frage auseinander, die im Hochmittelalter diskutiert und von der Kirche in einer ganz bestimmten Weise beantwortet wurden, nämlich die Frage nach der Analogie zwischen Schöpfer und Geschöpf:
Grundsätzlich ist es eine logische Aussage, wenn Kant sagt, alle endlichen Gegenstände seien vom Unendlichen gleich weit entfernt. Die Unendlichkeit weicht vor jedem endlichen Zugriff zurück und wirft das Endliche immer zurück auf die vorige Position, die es glaubte, eben siegreich verlassen zu haben. Angesichts der Unendlichkeit finde ich keinen „Ort“, keinen Raumpunkt, denn ein Raum ohne Koordinaten, die mir ermöglichen, Raumpunkte zu bestimmen, ist absurd. Der Navigationspunkt der fortschreitenden Erkenntnis vom Standpunkt des Endlichen aus müsste demnach „mitwandern“, behielte aber den Stand der endlichen Blindheit immer bei. Es wäre hinsichtlich der Religion eine Sisyphusarbeit und der Mühe kaum wert: was immer ich erkenne — es bleibt von dem, der erkannt werden sollte und wollte, immer gleich weit entfernt und ist völlig beliebig, ob ich „erkenne“ oder nicht. ja, es ist fraglich, ob man in einer solchen Lage überhaupt von „Erkenntnis“ sprechen darf und nicht eher von „Fabeln“, die man selbst ersinnt. Was immer ich in einem solchen kosmologischen Konzept glaube und erkenne, es kann gradlinig sein oder nicht, bleibt relativ in einem absoluten Sinn. Es ist nicht einfach nur „unvollkommen“, „unvollständig“ oder „bruchstückhaft“, was ich erkenne, sondern absolut beliebig und solitär. Es darf nicht verwundern, dass im 20. Jh manche existenzialistische Position diesen Denkansatz, der auf mittelalterliche dogmatische Weichenstellungen der Kirche zurückgeht, radikal zu Ende führte.
Offen bleibt uns in einer solchen Vorstellung die Erfindung eines „Innen“-Raumes mit Koordinaten, die aber das Unendliche „drumherum“ bewusst ausblenden muss, um sich nicht in einer abgründigen Unordnung zu verlieren, die nicht mehr relative Maße kennt, sondern konsequent bedacht gar keine. Wo sollte man in diesem unendlichen „Raum“ noch Maß anlegen? Wie weit ist es von A nach B? Wie kann ich beschreiben, wo genau A und B überhaupt liegen? Wo ist oben, wo unten? Was bedeutet die Rede von „Himmelsrichtungen“ im unendlichen „Raum“? Für ein unendliches All gilt „Anything goes“ oder „Nothing goes“. Was im einzelnen geht, kann nur noch subjektiv bestimmt werden für den Moment, um sogleich wieder zu entschwinden in der Maßlosigkeit.

In diesem Zusammenhang steigt die mittelalterliche Auseinandersetzung zwischen positiver und negativer Theologie auf. Auf dem IV. Laterankonzil von 1215 hieß es, „quia inter creatorem et creaturam non potest tanta similitudo notari, quin inter eos maior sit dissimilitudo notanda“ (DH 806), „dass zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf keine so große Ähnlichkeit bemerkt werden kann, dass nicht zwischen ihnen eine größere Unähnlichkeit bemerkt werden könnte.“
Das Laterankonzil stellte diesen Satz in den Zusammenhang einer Analogiedebatte. Der Satz enthält in sich schon im Ansatz eine gewisse Absurdität und Hybris, denn er formuliert so, als sei eine Außenansicht auf die Konstellation Schöpfer-Geschöpf möglich, von der aus man immer bestimmten könne, inwiefern der Schöpfer dem Geschöpf unähnlicher als ähnlich sei. Bevor das Konzil zu seinem Schluss kam, zitierte es aus dem Matthäus-Evangelium die Bitte Jesu: „Ihr sollt vollkommen sein, wie auch euer himmlischer Vater vollkommen ist“ (Mt 5, 48), um zu zeigen, dass es hier nicht darum gehen könne, dass ein Mensch in der Natur Gottes vollkommen sein könne, sondern nur in seiner eigenen. Und Vollkommenheit komme ihm dann nur als Mensch, nicht in derselben Weise wie Gott zu. Die Analogie zwischen Schöpfer und Geschöpf besteht demnach nur darin, dass jeder seiner zum anderen absolut unähnlichen Natur nach bestimmte ähnliche Potenzen aufweisen könne.
So sehr dies einleuchtet und die Gottesfurcht zu gebieten scheint, so sehr hat diese Argumentation doch einen logischen Haken, denn die „similitudo“ (Ähnlichkeit) des Menschen zu Gott ist vom Schöpfer laut biblischer Aussage zum einen gewollt, als er Mann und Frau als „imago Dei“ (Gott-Ebenbild) schuf. Zum andern muss man fragen, ob denn Potenzen nur deswegen um ein Unendliches verschieden sein können, weil die, in deren Natur sie liegen, verschieden sind. Anders: Ist Vollkommenheit, wenn sie Gott als Attribut zukommt, wesentlich etwas anderes als wenn sie einem Engel oder einem Menschen zukommt? Gibt es drei verschiedene Formen der Eigenschaft „Vollkommenheit“? Ist Vollkommenheit überhaupt eine „Eigenschaft“? Und kann man sagen, dass das Geschöpf, das sich endlich, begrenzt vorfindet, als ein solches Endliches überhaupt Vollkommenheitscharakter erreichen kann? Schließt die Endlichkeit die Vollkommenheit aus? Man argumentiert hier, wie es scheint, mit einer „Intaktheitsvorstellung“: was seiner Möglichkeit nach intakt ist, ist vollkommen. Das ist schlüssig, passt aber mit anderen Glaubenssätzen nicht zusammen. Nach einer solchen Argumentation sind auch Killerviren „vollkommen“, sofern sie ihre Möglichkeiten voll ausschöpfen können. Man stünde so in der Gefahr eines Dualismus, den die Kirche doch auch immer abgelehnt hat. Oder aber man nimmt an, das Killervirus lebt seine Potenzen pervertiert aus und hätte eine ganz andere Natur als die, die wir sehen. Woher kann man sie wissen, wenn sie offenbar total verdorben ist?
Das Konzil übergeht, dass Jesus von „eurem himmlischen Vater“ spricht, und Väter sind den Kindern nie ferner als näher…
Ein weiteres Problem stellt sich im Rahmen biblischer Aussagen: „Vollkommenheit der eigenen Natur nach“ kommt allen Dingen zu, auch denen, die nicht ausdrücklich als „imago Dei“ geschaffen sind. Sie kommt den Engeln, den Gestirnen, dem Gestein, den Gräsern, Elefanten und Katzen, Vögeln und Fischen, Spinnen und Amöben zu. Gott hat alles „gut“ geschaffen. Inwiefern unterscheidet sich also die spezifische Vollkommenheit eines „Gott-Ebenbildes“ von der anderer, nicht-ebenbildlicher Naturen?
Andererseits muss man fragen, von welcher „Vollkommenheit“ Jesus hier sprach. In der Vulgata heißt es „Estote perfecti“, nachdem Jesus zur Feindesliebe und Lauterkeit aufgefordert hat. Der Christ soll den Vater im Himmel in seinen wesenhaften Attributen abbilden. Er soll ein Attribut Gottes bewusst als solches annehmen und leben. Angesichts der vorausgehenden Aufforderung zur Feindesliebe, Wahrhaftigkeit und Lichthaftigkeit („Ihr seid das Licht der Welt“) fällt es schwer, diese Vollkommenheit Gottes wesenhaft abgetrennt von der zu sehen, mit der der Mensch Gott nachahmen soll. Das kann im Kontext an sich nicht gemeint sein. Der Mensch wird hier ja nicht aufgefordert, für sich selbst und in sich selbst perfekt zu sein, eine Art „Gottesliebe light“ zu praktizieren, sondern sich wirklich und wahrhaftig formen zu lassen und dabei an der wesenhaften Perfektion Gottes zu orientieren. Nach der mittelalterlichen Lehre fallen in Gott Akt und Potenz ineinander, und seine Liebe und sein Erbarmen sind nicht bloß Eigenschaften, sondern seine Natur.
Doch nehmen wir an, es wäre 1215 richtig gesehen worden, so wurde neben den eben formulierten Fragen weiterhin ausgespart, dass Gott selbst diese Unähnlichkeit überschritten hat, insofern er in Jesus Christus Mensch wurde, also unsere „Unähnlichkeit“ annahm. Er hat diese Unähnlichkeit ja bis heute nicht wieder aufgegeben, sondern als auferstandener verklärter Gottmensch mit zurück in die Himmel genommen („Ascendit in caelum“) und in die Gottheit inkludiert. In Christus muss folglich diese Unähnlichkeit überschritten sein, wobei es mir unmöglich ist, dies präzise weiterzudenken.
In jedem Fall ergibt sich doch aus der Lehre der Kirche, dass Gott durch Jesus Christus die menschliche Natur in sich aufgenommen hat, zwar nicht so, als hätte er seine mit der unseren zu einem „Einheitsbrei“ vermischt, aber die beiden Naturen sind der dogmatischen Aussage nach im Gottmenschen, der 2. trinitarischen Person, ebenso „ungetrennt“ wie sie andererseits „unvermischt“ sind. Die Betonung der „Unvermischtheit“ und „Unähnlichkeit“ wird durch die Einheit der gottmenschlichen Person Christi („hypostatische Union“) überstrahlt, denn sie ist im Fazit eine göttliche Gesamtperson mit einer menschlichen Natur in der göttlichen. Umgekehrt ist es nicht denkbar ohne einer Hybris zu verfallen.
Die Überbewertung der „Unähnlichkeit“ würde sich der nestorianischen Position annähern, die einen unüberschreitbaren Abgrund zwischen göttlicher und menschlicher Natur annahm. Diese Position wurde auf dem Konzil von Chalkedon 451 verurteilt. Wenn der Abgrund aber eben nicht unüberschreitbar ist, ist es schwierig, andererseits aufgrund des unendlichen Abstandes des Ewigen zum Endlichen doch darauf zu bestehen, dass das Endliche immer und grundsätzlich dem Unendlichen unähnlicher als ähnlich ist.
Ist es logisch hier nicht notwendig zu sagen: entweder ist der Abgrund überbrückbar oder er ist unüberbrückbar? Tertium non datur! Das Endliche kann logisch betrachtet nicht ein „bisschen“ unendlicher werden. Und das Unendliche kann nicht ein „bisschen“ endlicher werden. Etwas ist entweder endlich oder ewig. Nestorius und andererseits die Monophysiten sprachen im 4. Jh ein echtes gedankliches Dilemma aus, damals hinsichtlich der Inkarnation Gottes ins Fleisch, auf lange Sicht aber sollte uns dieses Dilemma vor weitere Probleme stellen, etwa in der Kosmologie.
Die Jahrhunderte lange Auseinandersetzung liegt sachlich nicht in hartnäckigen Häretikern begründet, wie die Kirche es gerne darstellen lässt, sondern in dem logischen Dilemma selbst, das auch durch sophistische „Kompromissformeln“ nichts an Brisanz verloren hat. Die Unbescheidenheit der damaligen Akteure (auch der rechtgläubigen) ist angesichts des wirklichen gedanklichen Problems mehr als erstaunlich. Wir können bei Lichte besehen von uns aus weder sagen, wir seien Gott ähnlich noch, dass wir ihm immer unähnlicher als ähnlich seien. Uns fehlt ein Maß — wir wissen nur, dass wir aus reiner Gnade von Gott als Kinder angenommen sind und er, nach dem Zeugnis des Paulus, „keinem von uns fern ist“. Die Schrift spricht in der Tat hier eine andere Sprache als das Laterankonzil von 1215 , und ich möchte es vollständig zitieren:

„24 Gott, der die Welt erschaffen hat und alles in ihr, er, der Herr über Himmel und Erde, wohnt nicht in Tempeln, die von Menschenhand gemacht sind.
25 Er lässt sich auch nicht von Menschen bedienen, als brauche er etwas: er, der allen das Leben, den Atem und alles gibt.
26 Er hat aus einem einzigen Menschen das ganze Menschengeschlecht erschaffen, damit es die ganze Erde bewohne. Er hat für sie bestimmte Zeiten und die Grenzen ihrer Wohnsitze festgesetzt.
27 Sie sollten Gott suchen, ob sie ihn ertasten und finden könnten; denn keinem von uns ist er fern.
28 Denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir, wie auch einige von euren Dichtern gesagt haben: Wir sind von seiner Art.
29 Da wir also von Gottes Art sind, dürfen wir nicht meinen, das Göttliche sei wie ein goldenes oder silbernes oder steinernes Gebilde menschlicher Kunst und Erfindung.“

„Da wir also von Gottes Art sind“, sagt der Apostel…“Ipsius enim et genus sumus“, da wir von seinem „genus“ sind, seinem „Adel“, seiner „Herkunft“, seiner „Abstammung“ in dem Sinne sind, wie man von einem Menschen sagt, er sei vom „genus“ seiner Mutter oder seines Vaters, in genau diesem begrifflichen Sinne schreibt Paulus.
Es ist zwar verständlich, dass man 1215 bestimmten Auswüchsen und Überhebungen einiger Theologen und Enthusiasten Einhalt gebieten wollte, aber man hat dabei in anderer Hinsicht am Ziel folgenreich vorbeigeschossen.
Es wäre etwa zu fragen, wie sich Unähnliches in einer einzigen Person (Jesus Christus) stabil hätte durchwirken können. Genauso schwierig ist zu verstehen, wie bei der Ausgangslage von 1215 auch die Glaubenstatsache, dass die damals doch seit fast 800 Jahren dogmatisch definierte „Dei Genetrix“, die Gottesgebärerin Maria, die ein zwar reiner, aber dennoch nur menschlicher Mensch war, vom göttlichen Logos ihn selbst leibhaftig ja irgendwie willentlich mitzeugend empfangen und gebären konnte, wenn die Unähnlichkeit größer als die Ähnlichkeit gewesen wäre. Ist es nicht unmöglich, dass mehr Unähnliches als Ähnliches miteinander etwas hervorbringt? Selbst wenn man sagt: „Das ging alleine von Gott aus, der sich herabließ“ (und damit zweifellos recht hat!), wäre doch eine solche Herablassung bei unendlicher Unähnlichkeit nicht denkbar. Es hat also einen tieferen und geheimnisvolleren Sinn als es uns denkmöglich und bewusst ist, wenn es in der Genesis heißt, wir seien das „Abbild“ oder „Ebenbild Gottes“. Auch die Rede davon, dass Gott „in“ uns wohnen wolle, dass wir uns andererseits „in ihm bewegen“, wie es Paulus oben sagt, ergäbe keinen Sinn, wenn da eine unüberbrückbarere Inkompatibilität als Kompatibilität wäre. Da ein „tertium“ zwischen Ähnlichkeit und Unähnlichkeit (similitudo/dissimilitudo) fehlt, stehen wir hier vor einem wahren Mysterium. Das Bekenntnis, dass dies von Gott ausgehe, ändert daran auf einer logischen Ebene nichts. Auch Petrus schreibt (2. Petr 1, 4), dass wir Anteil an der „göttlichen Natur“ erhalten würden: „…ut per hæc efficiamini divinæ consortes naturæ : fugientes ejus, quæ in mundo est, concupiscentiæ corruptionem.“ — „…durch diese (die göttliche Macht) lasst uns erwirken, dass wir Teilhaber an der göttlichen Natur werden („divinae naturae consortes“) : der Korruption durch die Gier fliehen, die in der Welt ist.“
In diesem Zusammenhang muss auch auf Gen 6 verwiesen werden, wo eine leibliche Vereinigung zwischen Engeln und Menschen bezeugt wird, die im NT als zwar unrechtmäßige „Selbstherabstufung“ der Engel bezeichnet, aber eindeutig als möglich bestätigt wird (2. Petr. 2, 4 und Judas 6).
Diese Schriftaussagen weisen darauf hin, dass zwischen Gott, Engeln und Menschen eine markante Ähnlichkeit und Kompatibilität besteht, die eine wie immer beschaffene stoffliche Komponente oder Potenz haben muss aufgrund dieser biblischen Aussagen und Glaubensüberzeugungen. „Reine Geister“ ohne jegliche stoffliche Potenz könnten aus und mit Menschen ja nichts zeugen. Falls einer einwenden wollte, Gott könnte doch bei der Zeugung Jesu in Maria einfach das Fleisch als Verkleidung gewählt haben, also gewissermaßen in ein „wesensfremdes“ Gewand geschlüpft sein, so muss man auch hier darauf verweisen, dass dieser scheinbar so erhabene und fromme Gedanke („Monophysitismus“) von der Kirche in einem längeren Prozess bis ins 7. Jh hinein vollständig aufgegeben wurde, zumal man in Chalkedon eigentlich bereits eine Formel gefunden hatte, die die Abwertung der menschlichen Natur in Christus abgewendet hatte. Man müsste in diesem Fall auch fragen, wozu diese Zeugung aus und mit der Menschheit in Maria hätte dienen sollen: für eine bloße „Verkleidung“ wäre diese „Vereinigung“ mit dem Menschen nicht notwendig gewesen und hätte überdies die Versuchung, die „similitudo“ des Menschen zu Gott als eine große anzunehmen, verhindert... Die Wertung der menschlichen Erscheinung Jesu Christi als bloßes äußerliches Kleid, das nicht als eigenständige Natur mit der Gottheit verbunden wurde, würde die Frage nach der Gültigkeit und Möglichkeit seines Opfertodes als Mensch andererseits fraglich machen und kann im Rahmen des Glaubens daher aus logischen Gründen ebenfalls nicht angenommen werden, ohne den ganzen Glauben überflüssig zu machen.


3. Kosmologie muss für Christen immer Christologie sein

Manch ein Leser mag sich fragen, was diese Abschweifung in die christologische Dogmatik mit der Kosmologie zu tun hat. Es ist leicht zu beantworten, aber vielleicht auf den ersten Blick nicht erkennbar oder schwer zu verstehen: Mich leitet die Aussage im NT, dass durch den Sohn alle Dinge gemacht sind und ohne ihn nichts ist. Die Schöpfung steht und fällt mit Christus. Wahre Kosmologie kann nur durch und in Christus verstanden werden.

„1 Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.
2 Im Anfang war es bei Gott.
3 Alles ist durch das Wort geworden und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist.
4 In ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen.“

Diese berühmten Worte aus dem Johannes-Prolog haben wir einst als Schlusslesung nach jeder Heiligen Messe gehört. Trotz mancher Verirrung hielt die Kirche so doch noch fest an einer prinzipiell christologischen Kosmologie. Seit der Liturgierefom 1970, zur Zeit der medialen Mondlandungen, hat man diese Lesung abgeschafft.

Im Kolosserbrief (Kol 1) singt Paulus in einem ebenfalls berühmten Christus-Hymnus:

„15 Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung.
16 Denn in ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, Throne und Herrschaften, Mächte und Gewalten; alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen.
17 Er ist vor aller Schöpfung, in ihm hat alles Bestand.“

Oder im Römerbrief (Röm 11) preist Paulus den Schöpfer mit folgenden Worten:

„34 Denn wer hat die Gedanken des Herrn erkannt? Oder wer ist sein Ratgeber gewesen?
35 Wer hat ihm etwas gegeben, sodass Gott ihm etwas zurückgeben müsste?
36 Denn aus ihm und durch ihn und auf ihn hin ist die ganze Schöpfung. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.“

Und in Epheser 1 bricht der Autor in ein weiteres Jubellied aus über die Schöpfung in Christus und durch Christus:

„3 Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus: Er hat uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel.
4 Denn in ihm hat er uns erwählt vor der Erschaffung der Welt, damit wir heilig und untadelig leben vor Gott;
5 er hat uns aus Liebe im Voraus dazu bestimmt, seine Söhne zu werden durch Jesus Christus und nach seinem gnädigen Willen zu ihm zu gelangen,
6 zum Lob seiner herrlichen Gnade. Er hat sie uns geschenkt in seinem geliebten Sohn;
7 durch sein Blut haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden nach dem Reichtum seiner Gnade.
8 Durch sie hat er uns mit aller Weisheit und Einsicht reich beschenkt.
9 und hat uns das Geheimnis seines Willens kundgetan, wie er es gnädig im Voraus bestimmt hat:
10 Er hat beschlossen, die Fülle der Zeiten heraufzuführen, in Christus alles zu vereinen, alles, was im Himmel und auf Erden ist.

Das alles sind heilige und ungeheuerliche Worte, weil uns etwas zugedacht ist, das wir noch nicht ermessen können.
Angesichts solcher Worte sollte jedem wie mit Schuppen von den Augen fallen, warum die Kosmologie und die Christologie eine und dieselbe Frage sind!
Kosmologie geht aus christlicher Sicht zwangsläufig mit dem Schöpfer um und dem, durch den alle Dinge geschaffen sind. Bei einer riesenhaft und unendlich angenommenen „dissimilitudo“ (Unähnlichkeit) zwischen Schöpfer und Geschöpf, wird unweigerlich auch die Kosmologie aus den Fugen geraten und den Menschen in der Folge aussetzen „auf den Bergen des Herzens“, wie Rainer Maria Rilke vor 100 Jahren dichtete:

„Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. Siehe, wie klein dort,
siehe: die letzte Ortschaft der Worte, und höher,
aber wie klein auch, noch ein letztes
Gehöft von Gefühl. Erkennst du's?
Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. Steingrund
unter den Händen. Hier blüht wohl einiges auf; aus stummem Absturz
blüht ein unwissendes Kraut singend hervor.
Aber der Wissende? Ach, der zu wissen begann
und schweigt nun, ausgesetzt auf den Bergen des Herzens.
Da geht wohl, heilen Bewußtseins,
manches umher, manches gesicherte Bergtier,
wechselt und weilt. Und der große geborgene Vogel
kreist um der Gipfel reine Verweigerung. - Aber
ungeborgen, hier auf den Bergen des Herzens....“
[5]

„Ungeborgen, hier auf den Bergen des Herzens…“ — das Lebensgefühl des modernen Menschen. Mit der angenommenen bedeutsameren „dissimilitudo“ rückt man ab vom „göttlichen Fünklein“ der Mystiker. Es kommt nicht von Ungefähr, dass die Kirche gerade zur Zeit des 4. Laterankonzils begann, ihre Mystiker jahrhundertelang zu verfolgen. Spektakulär war zu Beginn des 14. Jh der brutale Prozess gegen die bereits betagte Beghine Marguerite Porête, die samt ihrem Werk verbrannt wurde, ein Werk, das bis heute rezipiert wird und seinesgleichen an biblisch orientierter Gottessuche und Gottesliebe sucht. Aber wie alle Mystiker stand sie der Hierarchie mit Distanz gegenüber, ein Faktum, das auch den tief gläubigen Jan Hus in Konstanz 1418 auf den Scheiterhaufen brachte. Andere Mystiker wie Mechthild von Magdeburg oder Meister Eckhardt konnten sich irgendwie retten, aber immer stand man ihnen mit Misstrauen und sogar Hass entgegen, weil im Denken der Mystiker die „similitudo“ beim Wort genommen wird und zugleich der Herrschaftsanspruch der Hierarchen vermindert wird.
Nach dem Konzil von Trient und Teresa von Avila und Johannes vom Kreuz gab es keine Mystiker dieser Art mehr in der katholischen Kirche… Zurück bleibt also ein ausgehöhlter, erloschener, auf blanke Unterwerfung und Menschenfurcht (gegenüber der „Hierarchie“)  getrimmter Mensch, der nur noch durch die Knochenhand der Kirche vermittelt Sakramente empfängt, rüde belehrt wird und ansonsten selbst zu schweigen hat, weil er in seiner Seele einer direkten Gottesbeziehung aus Machtgier der Institution, aber auch aus der Panik der Hierarchen vor der Auseinandersetzung mit möglichen Häretikern vollkommen entfremdet wird… Anstelle einer gesunden und tiefen Mystik entstand ein devoter Erscheinungsmystizismus, der bis in unsere Tage schauerliche Blüten treibt und daneben ein formalistischer und fanatischer Glaubenskult. Nicht alle Kleriker und Ordensfrauen folgten diesem furchtbaren Absturz, aber sie waren stets gefährdet, von dieser Krankheit befallen oder angefallen zu werden. Mancher mag einwenden, dass aber doch nicht alle so seien und doch auch so viel Gutes in der Kirche zu finden sei. Das bestreite ich nicht. Aber der große Trend an der Spitze in Rom ging deutlich erkennbar andere Wege, und nur ganz wenige Päpste erkannten, in welch ungutes Fahrwasser man sich begeben hatte. Einer davon war Hadrian VI., der 1523 durch seinen Legaten auf dem Reichstag in Nürnberg ein umfangreiches Schuldbekenntnis für die gesamte Kirche, vor allem aber die Hierarchie ablegen ließ. Dieses Schuldbekenntnis blieb aber wegen des bald danach eintretenden Todes Hadrians ohne die segensreichen Folgen, die daraus hätten hervorgehen können, wenn Einsicht vorhanden gewesen wäre.

Die Kirche benötigte mit dem Absturz in den immer irrsinnigeren Machtwahn einen anderen Christus. Der überlieferte, der, der sich jedem gesondert und persönlich zuwandte, wie uns die Evangelien vor Augen führen, war ihr und ihren Interessen gefährlich geworden. Und wer einen anderen Christus benötigt, wird bald eine neue Kosmologie erfinden müssen.
Es kommt nicht von Ungefähr, dass sich im 16. Jh nicht nur die Reformation vollzog, sondern auch die kosmologische Revolution, aber sie geht auf das Konto der römischen Kirche. Die Protestanten lehnten sie erstaunlicherweise lange ab. Wen wundert also die trotzige Verlagerung des Kosmos in eine schweigende, leere Unendlichkeit, in der kein Gott mehr sein kann, aber eben auch keines seiner „Ebenbilder“, ist er doch ohnehin immer nur der große „Dissimilis“… Die Kirche hat sich im 16. Jh durch ihre Selbsterhebung vorläufig und dem Anschein nach noch einmal gerettet, aber die Seelen hat sie Gott so ein Stückchen mehr entfremdet. Was sie sich selbst als „katholische Reform“ hochpries, darf durchaus kritisch hinterfragt werden. Man hat die Menschen wieder „Gewehr bei Fuß“ gebracht, konnte sich aufgrund der Siege über die Türken auf die Schulter klopfen, und natürlich waren weite Teile des Volkes wirklich gläubig, aber man überhob sich doch faktisch immer mehr und ruinierte in wenigen Jahrhunderten die gesamte Kirche und das Abendland, die in Revolutionen und Chaos stürzten, die Hoffnung auf immer neue Utopien setzten und heute nicht mehr weiterwissen.
Die römisch-katholische Kirche war es, die nach Konstantin erneut  im Rahmen einer Kalenderreform (durch Gregor XIII.) „die Zeiten änderte“ (Dan 7, 25), in deren Umfeld und Interesse dann auch der vollständige Bruch mit der biblischen Kosmologie eingeführt wurde. Sowohl die Orthodoxen als auch die Protestanten wollten das lange nicht mitmachen, erlagen aber am Ende doch und gaben klein bei.
Kopernikus widmete sein Hauptwerk dem Papst Paul III. Leo X. hatte zu Beginn des 16. Jh eine Diskussion über die notwendig erscheinende Kalenderreform angeregt. Kopernikus, damals Domherr zu Frauenburg, äußerte sich dahingehend, eine solche sei erst sinnvoll, wenn man die astronomische Theorie „korrigiere“. Auch wenn er sein Hauptwerk lange zurückhielt, zeigen schon seine ersten Worte darin, dass er von einem Modell ausgeht, das alleine auf unbeweisbaren Prämissen und philosophischen Annahmen darüber beruht, wie die „Vollkommenheit“ der Schöpfung auszusehen habe nach seiner Ansicht:

„Erstlich soll jnn acht genohmmen werden, das die welt kugelrundt , entweder weill solche gestallt die alleruollkömlichste, unndt welche keiner zusamfugung uonn Nöten, sondern ganz aneinander: Oder dieweil dieselbe am bequemsten allerley gestalt unndt form in sich zue fassen, weilln sie alles in sich behalten undt erhalten mus, oder auch dieweil im augenschein, das die aller uollkommesten theil der welt, alls die Sonn, Mondt und Stern rundt unndt in obgenanter form bestehen.“[6]

Für alle, die sich darüber weiterhin Illusionen machen wollen, sei gesagt, dass alleine schon diese ersten Worte in „De revolutionibus“ offenbaren, dass auch Kopernikus, nicht anders als die alten Heiden, eigenmächtig bestimmen wollte, in welcher Weise die Schöpfung „vollkommen“ zu sein habe: nämlich in Kugelkörpern. Es ist und bleibt dies jedoch objektiv und unleugbar eine bloße Annahme. Keiner konnte sie je beweisen.
Ein beispielloser logischer Fauxpas ist bei Kopernikus der Fehlschluss, weil die Sonne und der Mond rund erschienen, müssten Himmel und Erde ebenfalls rund sein — wobei er nicht einmal klärt, dass wir Sonne und Mond nicht als Kugeln (dreidimensional rund) sondern als Scheiben am Firmament (zweidimensional rund) wahrnehmen, was einem Mann, der sich für einen großen Mathematiker hielt, nicht hätte unterlaufen dürfen. Es wäre ein gewaltiger Unterschied, ob ein Ding eine kreisförmige Scheibe oder eine Kugelsphäre ist, obwohl beides „rund“ ist. Aber davon abgesehen muss die Erde nicht „rund“ sein, nur weil Gestirne „rund“ sind. Das berühmte Werk fängt also schon mit einem Zirkelschluss an…
Diesen Autor interessierte sichtlich weder das, was man wahrnahm noch die biblische Überlieferung, sondern ausschließlich seine tautologische Ableitung aus heidnischen Vor-Annahmen und persönlichen Meinungen, an deren Endergebnis die Entrümpelung der Gottheit aus dem Kosmos stand. Und niemand kann mir weismachen, dass er das selbst nicht sehr genau wusste, denn er war Priester der römischen Kirche und wurde nicht behelligt.

4. „Utopia“ oder die Wohnstatt der „unähnlichen Abbilder“?

Die Frage ist, wie man sich das endliche und begrenzte Sein umschlossen, aber distanziert, vom ewigen Sein denken kann und in diesem Rahmen von „Entfernungen“, von „Ähnlichkeit“ oder „Unähnlichkeit“ zum Endlichen sprechen kann.
Das endliche Sein kann vom „räumlichen“ Standpunkt Kants aus mit logischer Berechtigung nicht unendlich weit entfernt sein vom unendlichen Sein, wenn es doch in dieses eingeschlossen ist. Wenn es aber nur der „Natur nach“ vom unendlichen Sein immer gleich weit entfernt gedacht wird, wie es 1215 definiert wurde, ergibt sich das Problem, wie ein solches Gespinst im Falle des Menschen sogar „Ebenbild“ sein kann. Ebenbilder spiegeln nicht bloß „irgendwie“ und „unscharf“, sondern präzise den Wesenkern eines Urbildes wider. Ein Abbild sollte intentional dem Urbild stets so nahe wie möglich kommen bis hin zur täuschenden Verwechslungsmöglichkeit. Andernfalls wäre die Rede von der „imago“ deplatziert. Wir würden selbst im rein menschlichen Bereich niemals sagen „Er ist das Ebenbild seiner Mutter“, wenn wir dabei nicht meinten, dass er ihr fast zum Verwechseln ähnlich sei. Wenn der so Beschriebene der Mutter unähnlicher als ähnlich wäre, ergäbe die Rede vom Ebenbild wenig Sinn, und es wäre vernünftiger zu sagen „Er hat leider nur wenig Ähnlichkeit mit seiner Mutter“. Die mittelalterliche Argumentation, die analoge Rede von der „Ähnlichkeit“ schließe stets die gewichtigere „Unähnlichkeit“ ein, berücksichtigt hier den Faktor, dass selbst bei einer maximalen menschlichen Ähnlichkeit zu Gott er immer der Ewige und der Mensch immer der Endliche bleibt. Dennoch ist die Rede vom „Ebenbild“ oder „Abbild“ auch in diesem Rahmen nur dann sinnvoll, wenn die Ähnlichkeit markant und in irgendeiner Weise so gravierend ist, dass angesichts einer starken Unähnlichkeit überhaupt von Ähnlichkeit gesprochen werden kann und muss. Die mittelalterliche Feststellung der größeren Unähnlichkeit aufgrund der immer gleichen Entfernung zur Unendlichkeit führt zur „negativen“ Theologie, die die Kontemplation auf Gott hin mithilfe von Aussagen darüber, wer oder was er nicht ist, versucht. Die negative Theologie führt aber im letzten Ende, wiederum logisch betrachtet, dazu, Gott in einem „Außen“ anzunehmen, zu dem grundsätzlich der Zugang von unserem „Innen“ her verwehrt scheint. Der Mensch kann an diesem „Außen Gottes“ immer nur scheitern. Er wird sich seine Innenwelt irgendwann folgerichtig ohne weitere Beachtung dieser undurchdringlichen göttlichen Außenwelt denken. Hinzukommt, dass die Kirchenhierarchie sich selbst an ihre über die Herde verhängte Maxime nicht im mindesten gehalten hat. Karl Rahner bemerkte völlig zu Recht, dass die Kirche dieser Definition, die bedeutet, dass man positiv über Gott nichts aussagen könne, nicht im Traum selbst gefolgt ist, sondern sich permanent aufgefordert sah, Gottes „Sicht“ der Dinge zu definieren und sich selbst in wachsendem Maße die alleinige Deutungshoheit darüber hinzuzudefinieren. Am Ende sprach sich der Papst alleine eine maximale Nähe zur Unfehlbarkeit zu, die der Gottes naturgemäß entsprechen muss, andernfalls könnte man nicht von Unfehlbarkeit sprechen:

„Das vierte Laterankonzil sagt ausdrücklich, man könne über Gott von der Welt aus, also von jedwedem denkbaren Ausgangspunkt der Erkenntnis aus nichts an Inhaltlichkeit positiver Art sagen, ohne dabei eine radikale Unangemessenheit dieser positiven Aussage mit der gemeinten Wirklichkeit selbst anzumerken. (…) (Wir vergessen) dann meistens, daß eine solche Zusage nur dann einigermaßen legitim von Gott ausgesagt werden kann, wenn wir sie gleichzeitig auch immer wieder zurücknehmen, die unheimliche Schwebe zwischen Ja und Nein als den wahre und einzigen festen Punkt unseres Erkennens aushalten und so unsere Aussagen hineinfallen lassen in die schweigende Unbegreiflichkeit Gottes selber (…). Wie (…) sehr klingen unsere Aussagen von den Kathedern und auch von den Kanzeln und aus den geheiligten Dikasterien der Kirche so, daß man nicht gerade deutlich merkt, sie seien durchzittert von der letzten kreatürlichen Bescheidenheit, die weiß, [...] daß alles Reden nur der letzte Augenblick vor jenem seligen Verstummen sein kann, das auch noch die Himmel der klaren Schau Gottes von Angesicht zu Angesicht füllt. (…) Ich möchte (…) die Erfahrung bezeugen, daß der Theologe erst dort wirklich einer ist, wo er (…) die analoge Schwebe zwischen Ja und Nein über dem Abgrund der Unbegreiflichkeit Gottes erschreckt und selig zugleich erfährt und bezeugt.“[7]

Kant will nicht gelten lassen, dass der ewige Gott ein räumlich Begrenztes hätte schaffen können, platziert aber seine Gedankenarbeit bereits im heliozentrischen Modell, als sei dies beschlossene Sache. Auch scheint mir nicht klar zu sein, ob er — hier war Giordano Bruno ganz klar! — Gott innerhalb oder außerhalb dieses „Alls“ annimmt.
Mit diesem Argument müsste man, wenn man konsequent denkt wie Bruno, in jedem Fall auch den Mikrokosmos des Menschen als unbegrenzt ansehen. Unter der Ambition des „Anstandes“ gegenüber dem ewigen Schöpfer erhebt Kant einen unanständigen Anspruch auf  ein Stückchen vom Kuchen dieser Ewigkeit, wenn auch in der Idee, es könnte noch ungezählte solcher Welten geben wie die unsere. Der ewige Schöpfer wird zu einem „unendlichen Wesen“ umgedeutet, das nach dieser Definition unspezifisch in die Weite zerfließen müsste, kontur- und gesichtslos wäre und unzugänglich bliebe. Gott wäre wie ein unendlicher Raum ohne Raumpunkte, ohne Koordinaten, unendlich fern. Ist aber die Schöpfung inklusive des Menschen genauso gedacht, führt sich auch eine Philosophie um die Grenzen der Vernunft, wie Kant sie entwarf, ad absurdum. Wenn die Schöpfung im Ganzen unbegrenzt gedacht werden müsste, kann man keines der Geschöpfe darin als begrenzt denken.
Nun wäre es ungereimt, die Gottheit mit einem unendlich kleinen Theil ihres schöpferischen Vermögens in Wirksamkeit zu versetzen, und ihre unendliche Kraft, den Schatz einer wahren Unermesslichkeit von Naturen und Welten unthätig und in einem ewigen Mangel von Ausübung verschlossen zu denken.“
Kant verheddert sich in der Problematik, die sich durch das nachkopernikanische Weltbild ergeben hat: Hört man Kopernikus oder später Newton, hat man den Eindruck, man könne den Schöpfer in seinem Werk nur noch bewundern, indem man ihn „ausmisst“, ihm unterlegt, er sei ein Baumeister, der mit Winkelmaß und Zirkel gearbeitet hat und sich darin einfangen lassen müsste. Der Philosoph und Mathematiker geht gewissermaßen mit einem „Schmetterlingsnetz“ auf Gottesfang. Der geschaffene Raum müsste demnach endlich sein. Wenn der Raum aber eben doch im kantischen Sinne „unendlich“ sein muss, weil sein Schöpfer ewig ist, was für ein Raum soll das dann sein?
Nota bene und wie schon oft gesagt: ein Raum ohne Maße,  ohne Koordinaten ist absurd oder ein „Nicht-Raum“. Nur wenn man ihn hypothetisch annimmt oder gar behauptet ohne weiteren Beweis, nur weil man vermeint, durch ein Teleskop einen solchen wahrzunehmen (was eine besonders absurde Argumentation darstellt), nur deswegen stellt sich überhaupt das Problem. Der ewige Gott müsste dann tatsächlich, wie Kant sagt, auch einen „unendlichen Raum“ in seiner Schöpfung erzeugt haben, aber genau das ist ein selbstaufhebender Begriff. „Raum“ ist durch die Möglichkeit der dreidimensionalen Beschreibung definiert. Ein „anderer Raum“ ohne Koordinaten gleich da draußen, jenseits der Erdatmosphäre, wäre kein Raum wie der der Erde, sondern ein undenkbares Gebilde. Gewissermaßen wäre da draußen nichts — wenn man es nicht mit herumtaumelnden (Leucht-)Kugeln bestückt hätte, die angeblich aus handfester Materie bestünden und deren Kugelradius aus der Ferne von Hunderttausenden von Kilometern bestimmt werden könnte… Neuzeitliche Kosmologie denkt sich aber einen Raum im irdischen Sinne, nur ist dieser irdische Raum ins Unendliche verlängert, eine menschliche Über-Raum-Hybris, und Kant stolpert über die Verwegenheit dieser Idee,  sollte man sie begrenzt denken und wechselt die Ebenen ohne sich klar zu machen, dass er in all dieser mangelnden Vernunft und Ehrfurcht vor dem Allerhöchsten „aus Anstand“ etwas denken will, das in sich absurd ist. Der Mensch, der „Gott denken will“, landet am Ende in der Absurdität. Die Vorstellung, dass es beim Blick ins Leere immer weiter geht, weiter und weiter, immer weiter, und unter mir, über mir und hinter mir ebenso, führt dazu, dass ich ortlos und im Grunde nicht bin. Mein Standort ist per definitionem eine „Utopie“, eine Nicht-Örtlichkeit. Wer sollte ich in einem leeren, unbegrenzten Raum sein? Die Leere wird durch taumelnde Kugeln alle paar hunderttausend Meilen nur scheinbar „voller“. Die neuzeitliche Kosmologie trägt im Ansatz unfreiwillige buddhistische Züge, führt sie aber nicht konsequent zu Ende, sondern konterkariert sie: man hält die selbsterschaffene Leere nicht aus und füllt sie mit „Maya“, Illusion, die man auf bunten computergenerierten Animationen und „Fotos“ dem ahnungslosen Zeitgenossen präsentiert: „So, liebe Mitmenschen, sieht es im Vakuum aus… und so sieht der Mars aus … und so der Saturn … und so die Sternenebel… und die schwarzen Löcher“, und manch ein postmoderner Christ ist so selbstvergessen, ob dieser menschengemachten Widersprüchlichkeit auszurufen: „Ist Gott nicht groß? Wie wunderbar, Herr, sind deine Werke!“ Es trägt unfreiwillig satirische Züge…
Der in einen unendlichen Raum verlagerte Himmel von Myriaden gleisender Sonnen, der in dieser Logik gedacht, wie Olbers feststellte, taghell sein müsste, bleibt dennoch verstörend dunkel. Unsere Hybris ist zu weit gegangen. Was immer sie sich an überdimensionalen Lichtern ausgedacht hat — es wurde nicht licht in dieser Finsternis. Unser kosmologisches „utopia“, unsere Ortlosigkeit, erzeugte im Fieberwahn eine Utopie nach der anderen und blieb verstörend und ernüchternd schwarz.
Es erstaunt sicher niemanden, das der erste utopische Roman, der den Titel „Utopia“ bzw voll „De optimo rei publicae statu deque nova insula Utopia – „Vom besten Zustand des Staates und der neuen Insel Utopia“ trägt, vom späteren Märtyrer für die Unauflöslichkeit der Ehe, Thomas Morus, zu Beginn des 16. Jh geschrieben und veröffentlicht wurde, zu der Zeit, zu der auch Kopernikus seine Ideen entwickelte.

Je verlorener und ortloser, desto rabiater muss in einem solchen Gebilde der Glaube „definiert“ oder aber eben aufgegeben werden: der Hang zur Dogmatisierung korrespondiert faktisch dem Unglauben. Die utopische Ortlosigkeit korrespondiert der unfreiwilligen, systematisch erzeugen Gottlosigkeit.
Hätte man sich diese Problematik nicht sparen können?
In der biblischen Kosmologie sind solche Winkelzüge nicht nötig. „Raum“ ist nur da, wo die Welt ist, beim Menschen und für den Menschen, im „Irdischen“ und „Zeitlichen“, der selbstverständlich gemessen werden kann, weil es ihn sonst für uns nicht geben könnte. „Die Himmel“ aber sind uns nur in prophetischen Visionen bekannt geworden und als etwas Zukünftiges erschlossen, ihre Koordinaten sind so real wie sie unfassbar sind, den Menschen muss es nicht kümmern, denn es ist noch nicht sein Terrain, solange die Erlösung nicht offenbar geworden ist. Es liegt kein selbsterdachter unendlich schwarzer „Weltraum“ zwischen ihm und den Himmeln, der das Ergebnis eines auf sich gestellten, Gott so unähnlichen Menschen ist, dass er sich den Gott meint sparen zu können. Es gibt für ihn in der biblischen Perspektive nur Himmel und Erde. Und die sind ein Ganzes, wenn auch durch die Sünde durcheinander geraten.
Die „Vermessung der Himmel“ aber, wie sie in einigen prophetischen Visionen, die das AT und das NT berichten, vollzogen wird — das ist ein eigenes Thema, dem ich später nachgehen will.


[1] Olbers formulierte: „... Sind wirklich im ganzen unendlichen Raum Sonnen vorhanden, sie mögen nun in ungefähr gleichen Abständen von einander, oder in Milchstrassen-Systeme vertheilt sein, so wird ihre Menge unendlich, und da müsste der ganze Himmel eben so hell sein wie die Sonne. Denn jede Linie, die ich mir von unserem Auge gezogen denken kann, wird nothwendig auf irgend einen Fixstern treffen, und also müsste uns jeder Punkt am Himmel Fixsternlicht, also Sonnenlicht zusenden...“, zitiert nach: Schilling: Wilhelm Olbers, sein Leben und seine Werke im Auftrage er Nachkommen. S. 135
[2] Job 38, 6 f: „Oder wer hat ihren Eckstein gelegt, als alle Morgensterne jauchzten, als jubelten alle Gottessöhne?

[3] Zitiert nach a.a.O., S. 134
[4] Augustinus: Confessiones — Bekenntnisse. Lateinisch und Deutsch. Darmstadt 1984. S. 14 f
[5] Rainer Maria Rilke: Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. Gedichte aus den Jahren 1906 bis 1926. Frankfurt am Main 1978 (3. Auflage). S. 89
[6] Andreas Kühne et al. (Hg.): De Revolutionibus. Die erste deutsche Übersetzung in der Grazer Handschrift. Kritische Edition. Berlin 2007.  S. 3
[7] Rahner, Karl, Erfahrungen eines katholischen Theologen. In: Karl Lehmann (Hg.): Vor dem Geheimnis Gottes den Menschen verstehen : Karl Rahner zum 80. Geburtstag. München 1984, 106ff.