Sonntag, 1. Oktober 2017

Fake Heavens (II) — Zur Problematik der modernen Kosmologie als antichristlicher Utopie ("Ortlosigkeit")



Fake Heavens (II) — Zur Problematik der modernen Kosmologie als antichristlicher Utopie ("Ortlosigkeit")


1. Das Olberssche Paradoxon oder warum jede irdische Macht auch Sternwarten und Observatorien unterhält und es doch dunkel bleibt

Nachdem ich in einem ersten Teil die vorhandene Debatte um die „Flache Erde“ dargestellt und untersucht habe, was denn die heidnische, europäische Antike über den Kosmos dachte und „wusste“, möchte ich mich in diesem zweiten Teil mit den geistigen Konsequenzen der modernen Kosmologie beschäftigen und danach in einem weiteren Artikel die biblische Kosmologie genauer beleuchten.

Wenn nun manch einer, vor allem mancher Christ, sagen mag (wie dies einige Kirchenväter taten), es sei doch letztendlich ganz egal, wie das All und die Gestalt der Erde aussehe, es komme doch nur auf den rechten Glauben an, so möchte ich dem widersprechen und vorausschicken, dass nicht nur der christliche Glaube mit seinem Zeit-, Schöpfungs- und Himmelsbegriff steht und fällt, — denn alle heilsgeschichtlichen und apokalyptischen Aussagen nehmen direkten oder indirekten Bezug auf die Kosmologie — , sondern unser aller seelisches und politisches, geistiges und ökonomisches Schicksal auf dieser Welt hängt davon ab. Machtpolitik war niemals von der Kosmologie zu trennen, und jeder sehe sich vor, wo er sich hier verortet. Es gab nie eine irdische Macht, die nicht die Sterne und das All für sich beansprucht hätte. Jeder Hof unterhielt Sternkundige und Astronomen, und auch der Vatikan unterscheidet sich hier auf keine Weise. Wozu, wenn das für den Glauben unwichtig sein soll, bräuchte sonst unsere Kirche eine „Sternwarte“ in den Albaner Bergen? Wozu unterhält der Heilige Stuhl eine Bildungs- und Forschungseinrichtung namens „Specola Vaticana“? Keine Sternwarte auf dieser Welt sieht davon ab, über die Himmelsgeschehnisse zu wachen und die Deutungshoheit über sie zu beanspruchen. Eine fromme Vogel-Strauß-Politik ist eines Christen alleine schon im Rahmen dieser Vorbemerkung in einer so wichtigen Frage also nicht würdig und konnte und könnte weiterhin der Ausgangspunkt einer großen Irrtumsanfälligkeit und Verkennung der Zeichen der Zeit werden. An der Kosmologie hängt förmlich alles, denn sie ist es, die die Fähigkeit, den wiederkommenden Herrn zu erkennen oder eben auch zu verstehen, dass er es nicht ist, von dem uns einige sagen, er sei es, wesentlich fundiert.

Doch fangen wir am Anfang an:
Der Glaube „fühlt sich“ anders an, wenn Gott in einem unendlichen Vakuum-All mit Myriaden herumsausender (Leucht-)Kugeln und Schwarzer Löcher nirgends zu finden ist und in einer „rein geistigen“ Sphäre jenseits dieses von uns vorgestellten, grenzenlosen Alls in einem „Außen“ angenommen wird und wir — wie von Blaise Pascal ausgesprochen (s. „Fake Heavens I“) — unendlich einsam und verloren als Staubkörner in diesem „All“ taumeln und nicht wissen, wo da dieser Gott sein soll. Gott ist unendlich weit entfernt und völlig un-offenbar geworden. In einer solchen Kosmologie wird unweigerlich Gott, aber auch Gut und Böse zu einer relativistischen Abstraktion, der Mensch ist bedeutungslos, wertlos und verloren. Es gibt in einem so gedachten „All“ nichts, woraus sich ein Wert des Menschen ableiten ließe.
Oder aber, man ist konsequent und verfolgt wie Giordano Bruno einen pantheistischen Ansatz. Gott muss dann mit diesem unendlichen All identisch sein. Diese Position hat die Kirche verfolgt und Bruno dafür auf den Scheiterhaufen geschickt. Brunos Ansatz wäre aber in dem kosmischen Modell der einzig schlüssige gewesen. Man kann nicht „zweien Herren dienen“. Lehnt man den pantheistischen Ansatz ab, müsste man das gesamte Modell ablehnen, denn wie soll man sich Gott jenseits einer unendlichen Schöpfung denken? Die logische Problematik des heutigen kirchlichen Denkens werde ich später anhand eines Kant-Zitates genauer beleuchten. Johannes Paul II. hat zum Glück im Jahr 2000 zugestanden, dass die Art und Weise, wie die Kirche mit dem Dominikaner damals verfahren war, Unrecht war, aber den mit diesem Weltbild, das er bejahte, notwendigen pantheistischen Ansatz lehnte er nach wie vor ab. Gewiss: das Gottesbild der Heiligen Schrift kann unmöglich pantheistisch und vor allem nicht a-personal verstanden werden. Aber wenn das wahr ist, kann die Kosmologie andererseits nicht stimmen, der die Kirche anhängt und die ihre Kleriker maßgeblich befördert haben… Die Kirche befindet sich, wie ich behaupte, demnach in einer beißenden Schizophrenie an einem Punkt, der merkwürdigerweise nur von ganz wenigen als der tatsächliche Ausgangspunkt der postmodernen Glaubenskrise wahrgenommen wird.

Anders ist das „Lebensgefühl“ eines Menschen, der die Überzeugung hat, dass die Erde zu Füßen Gottes oder unter den Himmeln ist und der Allmächtige sie und alles, was ihr gegeben ist, einschließlich der Gestirne, „von allen Seiten umgibt“ (Ps 139, 5). Ja, es ist etwas anderes, wenn man sich darüber gewiss ist, dass er da oben über uns ist und um uns und auf alles und jeden aufmerkt, selbst die Lilien auf dem Feld liebevoll einkleidet und den Spatzen, die nicht säen und nicht ernten, täglich ein üppiges Mahl auftischt (Mt 6, 26 ff). Und es würde uns anders ausrichten, wenn wir von daher die Aussagen des Glaubens verstünden, die von einem apokalyptischen Kampf sprechen, der vom Himmel her auf die Erde fiel und den Menschen, der in diesem Kampf eine zentrale Rolle spielt, zur Positionierung auffordert, seine Potenz fürs Himmlische aktiviert, zur Schärfung der Augen und Ohren und zum geistigen Kampf aufruft. Zu einem Kampf, in dem der Fürst der Welt und seine fanatischen Anhänger, die die liebevolle Einkleidung und Speisung der Lilien und Spatzen hassen, den einen das letzte Hemd rauben und das letzte Eckchen Brot aus dem Munde reißen und deren bitter werdende Seele dem Verderben ausliefern, den anderen deren Gut aufdrängen und ihre Gier entfachen und sie ersticken lassen in der Diebesware. Zu einem Kampf, in dem der Mensch gehalten ist, dies in der Kreuzesnachfolge zu ertragen, sich an der Beraubung der Lilien und Spatzen ebenso wenig zu beteiligen wie an der des Menschen und diese Verwüstung zu überschreiten mit Gottes Hilfe auf ihn, den Schöpfer hin.
Anders gesagt:
In einem unendlichen schwarzen, leeren, nächtlich wesentlich unseren Augen trotz der Sterne lichtlos erscheinenden All, das trotz so vieler behaupteter Stern-Sonnen primär dunkel bleibt, wie das Olberssches Paradoxon es ausdrückt, eigentlich aber doch taghell sein müsste[1], wird eine institutionalisierte Machtkirche zu einem paradoxen Pendant, zu einem kraftlosen, starren Gebilde, ja, es nimmt den Charakter dieses unendlich finsteren Raumes menschlicher Täuschung an, die durch kein noch so aufgebläht gedachtes „Licht“ vieler kleiner selbstdefinierter Sonnen (Hierarchen) hell wird, auch dann nicht, wenn man sich Myriaden solcher Sonnenlichter einbildet, sondern finster bleibt und abstrakt, leblos und kalt, und einen mörderischen Unterdruck erzeugt wie das von ihr erdachte Hochvakuum da draußen, in dem alles verdirbt und zugrunde gehen muss. Eine Kirche, die mithilfe ihrer selbsterdachten Sonnen den Heiligen Geist einfangen will, ähnlich wie die Schildbürger einen fensterlosen Turm mit dem Licht, das sie draußen in Mausefallen eingefangen hatten, illuminieren wollten, spiegelt diese Verfinsterung des Alls wieder, macht verständlich, warum Oben und Unten nicht mehr klar sind, alles plötzlich relativ wurde: es war die Kirche selbst, die mit der Ausbildung ihres Machtapparates und der konsequenten Verleugnung der biblischen Kosmologie Oben und Unten verwechselt und relativiert hat. Mit der Etablierung einer fast gottgleichen Hierarchie und dem Machtanspruch des Papsttums kam es folgerichtig zur Verfremdung der biblischen Kosmologie zur „Revolution“ von Kalendern und Weltbildern, und es war folgerichtig insbesondere der nachreformatorische, programmatisch das irdische Papsttum stützende Jesuitenorden, der die Astronomie als sein Herrschaftsgebiet entdeckt hat und das kopernikanische Weltbild von Anfang an in alle Welt missioniert hat, auch wenn beileibe nicht jeder Kirchenmann, wie etwa Kardinal Bellarmin SJ,  das anfangs so wollte. Was das frühe Christentum hinter sich gelassen hatte, wurde durch tausend Schattentüren wieder eingelassen. Doch dazu später.

Das vom Menschen erdachte All ist am Tage unsichtbar, nur die Finsternis, die Gott „Nacht“ nannte, lässt dieses Gespinst der Hybris zu und vergewaltigt die wirklichen Gestirne, deren Geheimnis wir heute weniger erfassen als die alten Astrologen. Warum leuchten sie, und warum ziehen sie ihre Bahnen? Wie weit sind sie wirklich entfernt, und wie ist ihre wahre Gestalt und Leuchtkraft beschaffen? Wer sind sie, die selbst im Alten Testament manchmal metaphorisch oder womöglich doch direkter mit den „Göttersöhnen“ in eins gesetzt werden?[2]

In einem ewigen, lichten All aber, das „hinter“ dem geostationären und unseren Augen endlichen Nachthimmel liegt, in dem die „caeli“ (oder „caela“), „die Himmel“ sind und Gott, handgreiflich, aber unfassbar, buchstäblich und lebendig, ist Glaube weder abstrakt noch starr, sondern lebendig und mild, weder eiskalt noch mörderisch heiß, nur dem ein Schrecken, der den Allerhöchsten, dem dies alles gehört, ablehnt, ein Paradies aber dem, der dessen Schöpferkraft anerkennt und ihm sein ganzes Sein zu Füßen legt. Die Vorstellung hier ist „andersherum“: Über uns ist eine andere unbegrenzte Sphäre, aber sie ist erfüllt vom Licht, von dem uns mindestens das Firmament trennt und unsere Augen, von denen es immer wieder heißt in der Schrift, sie seien „gehalten“, damit wir nicht alles sehen, was ist, sind in einer horizontalen Perspektivität gefangen. Das sterbliche Auge hat nicht die Sehkraft fürs Ewige. Eine geheimnisvolle Trennwand steht zwischen uns und diesem lichten, ewigen „Raum“ um uns, der weniger ein oder gar kein geometrisch zu verstehender „Raum“ als ein Bereich ist, dessen Dimensionalität uns nicht fassbar ist.
Während die unendlichen, leeren, vom sterblichen Menschen erdachten Räume, die Blaise Pascal schaudern machten, den Menschen verloren gehen lassen in seiner eigenen inneren Wüste und auf Gott nicht verweisen, ergibt sich aus der biblischen Vorstellung von Himmel und Erde ein ganz anderer Eindruck: diese Welt ist in jedem Fall, trotz aller Finsternisse, die wir doch erleben, umgeben von wirklicher, lebendiger Weite und Licht. Wären die Augen nicht geschwächt und gehalten, sie würden uns übergehen über all dem, was uns umgibt und durchwirkt.

2. Die Analogieproblematik zwischen Schöpfer und Geschöpf als kosmologische „Falle“

Ein Glaube unter einem solchen Himmel bedürfte an sich keiner Dogmen, er ist selbstevident, und es ist auffallend, dass der Hang zur Dogmatisierung und Moralisierung des Glaubens in der westlichen Kirche nicht nur unserer Schwäche und Irrtumsanfälligkeit geschuldet ist, sondern tatsächlich erst mit der Sonnenherrschaft Konstantins anbrach und mit dieser spätantiken Verfremdung der christlichen Kosmologie auch der Glaube mit Hammer und Meißel in die Herzen gebracht werden musste. Nun, da man sukzessive das ewige Licht um uns als eine buchstäbliche Wirklichkeit ausschloss, folgte die Astronomie und Kosmologie einer Abwärtsentwicklung. Am Ende bedeutete der Eintritt der „Neuzeit“ eine totale Verschiebung der himmlischen Perspektive zugunsten der unendlichen Finsternis da draußen, die ihr weniges Licht alleine von den behaupteten „Sonnen“ beziehe, die in einem unerklärlich stockdunklen Universum doch nicht so hell leuchten, wie man es sich ausgedacht hatte...
Nachdem diese Schieflage seit der „kopernikanischen Wende“ weit gediehen war und man aus der Abgründigkeit des menschlichen Bewusstseins ein nach außen verlagertes „leeres“ und dunkles „All“ gemacht hatte, in dem einsame Kugeln um einsame, aber angeblich hell leuchtende „Sonnen“ taumeln, konnte ein großer Philosoph wie Kant die Sache so sehen und dabei (unausgesprochen) auf die alte Auseinandersetzung zwischen Giordano Bruno und der Kirche zurückkommen:

„Wo wird die Schöpfung selbst aufhören? (…) Man merkt wohl, dass, um sie in einem Verhältniss mit der Macht des unendlichen Wesens zu denken, sie gar keine Grenzen haben muss. Man kommt der Unendlichkeit der Schöpfungskraft Gottes nicht näher, wenn man den Raum ihrer Offenbarung in eine Sphäre, mit dem Radius der Milchstrasse beschrieben, einschliesst, als wenn man ihn in eine Kugel beschränken will, die einen Zoll im Durchmesser hat. Alles, was endlich ist, was seine Schranken und sein bestimmtes Verhältniss zur Einheit hat, ist von dem Unendlichen gleich weit entfernt. Nun wäre es ungereimt, die Gottheit mit einem unendlich kleinen Theil ihres schöpferischen Vermögens in Wirksamkeit zu versetzen, und ihre unendliche Kraft, den Schatz einer wahren Unermesslichkeit von Naturen und Welten unthätig und in einem ewigen Mangel von Ausübung verschlossen zu denken. Ist es nicht vielmehr anständig, oder besser zu sagen, nothwendig, den Inbegriff der Schöpfung also anzustellen, als er sein muss, um ein Zeugniss von derjenigen Macht
abzugeben, die durch keinen Maassstab kann abgemessen werden? Aus diesem Grunde ist das Feld der Offenbarung göttlicher Eigenschaften eben so unendlich, als diese selber sind. Die Ewigkeit ist nicht hinlänglich, die Zeugnisse des höchsten Wesens zu fassen, wenn sie nicht mit der Unendlichkeit des Raumes verbunden wird."[3]

Dieser Gedankengang Kants ist aus verschiedenen Gründen bemerkenswert.

1.
Die antike und mittelalterliche Argumentation, der auch Kopernikus noch ausdrücklich anhing, besagte, dass die Kugelform die Form der Vollkommenheit sei und daher alles, was Gott geschaffen habe im All, die Form einer Kugel haben müsse, auch der Kosmos selbst. Es stellt sich dann aber die Frage, was außerhalb dieser Kugel ist. Diese Frage trieb auch Augustinus um:

„Capiunt ergone te caelum et terra, quoniam tu imples ea? An imples et restat, quoniam non te capiunt? » — « Fassen sie Dich also, Himmel und Erde, da Du sie erfüllst ? Oder erfüllst Du sie und bleibt etwas über, weil sie Dich nicht fassen?“[4]
Er konnte die Frage nicht beantworten, aber er formulierte die Problematik für unser menschliches Denken. Er wendet sich von ihr an dieser Stelle ab und sucht nach seiner subjektiven Position in dieser Konstellation.

2.
Kant argumentiert zunächst wie Bruno so, dass ein unendlicher Schöpfer auch eine unendliche Schöpfung erschaffen haben müsse.
Aber Kant setzt sich mit einer anderen Frage auseinander, die im Hochmittelalter diskutiert und von der Kirche in einer ganz bestimmten Weise beantwortet wurden, nämlich die Frage nach der Analogie zwischen Schöpfer und Geschöpf:
Grundsätzlich ist es eine logische Aussage, wenn Kant sagt, alle endlichen Gegenstände seien vom Unendlichen gleich weit entfernt. Die Unendlichkeit weicht vor jedem endlichen Zugriff zurück und wirft das Endliche immer zurück auf die vorige Position, die es glaubte, eben siegreich verlassen zu haben. Angesichts der Unendlichkeit finde ich keinen „Ort“, keinen Raumpunkt, denn ein Raum ohne Koordinaten, die mir ermöglichen, Raumpunkte zu bestimmen, ist absurd. Der Navigationspunkt der fortschreitenden Erkenntnis vom Standpunkt des Endlichen aus müsste demnach „mitwandern“, behielte aber den Stand der endlichen Blindheit immer bei. Es wäre hinsichtlich der Religion eine Sisyphusarbeit und der Mühe kaum wert: was immer ich erkenne — es bleibt von dem, der erkannt werden sollte und wollte, immer gleich weit entfernt und ist völlig beliebig, ob ich „erkenne“ oder nicht. ja, es ist fraglich, ob man in einer solchen Lage überhaupt von „Erkenntnis“ sprechen darf und nicht eher von „Fabeln“, die man selbst ersinnt. Was immer ich in einem solchen kosmologischen Konzept glaube und erkenne, es kann gradlinig sein oder nicht, bleibt relativ in einem absoluten Sinn. Es ist nicht einfach nur „unvollkommen“, „unvollständig“ oder „bruchstückhaft“, was ich erkenne, sondern absolut beliebig und solitär. Es darf nicht verwundern, dass im 20. Jh manche existenzialistische Position diesen Denkansatz, der auf mittelalterliche dogmatische Weichenstellungen der Kirche zurückgeht, radikal zu Ende führte.
Offen bleibt uns in einer solchen Vorstellung die Erfindung eines „Innen“-Raumes mit Koordinaten, die aber das Unendliche „drumherum“ bewusst ausblenden muss, um sich nicht in einer abgründigen Unordnung zu verlieren, die nicht mehr relative Maße kennt, sondern konsequent bedacht gar keine. Wo sollte man in diesem unendlichen „Raum“ noch Maß anlegen? Wie weit ist es von A nach B? Wie kann ich beschreiben, wo genau A und B überhaupt liegen? Wo ist oben, wo unten? Was bedeutet die Rede von „Himmelsrichtungen“ im unendlichen „Raum“? Für ein unendliches All gilt „Anything goes“ oder „Nothing goes“. Was im einzelnen geht, kann nur noch subjektiv bestimmt werden für den Moment, um sogleich wieder zu entschwinden in der Maßlosigkeit.

In diesem Zusammenhang steigt die mittelalterliche Auseinandersetzung zwischen positiver und negativer Theologie auf. Auf dem IV. Laterankonzil von 1215 hieß es, „quia inter creatorem et creaturam non potest tanta similitudo notari, quin inter eos maior sit dissimilitudo notanda“ (DH 806), „dass zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf keine so große Ähnlichkeit bemerkt werden kann, dass nicht zwischen ihnen eine größere Unähnlichkeit bemerkt werden könnte.“
Das Laterankonzil stellte diesen Satz in den Zusammenhang einer Analogiedebatte. Der Satz enthält in sich schon im Ansatz eine gewisse Absurdität und Hybris, denn er formuliert so, als sei eine Außenansicht auf die Konstellation Schöpfer-Geschöpf möglich, von der aus man immer bestimmten könne, inwiefern der Schöpfer dem Geschöpf unähnlicher als ähnlich sei. Bevor das Konzil zu seinem Schluss kam, zitierte es aus dem Matthäus-Evangelium die Bitte Jesu: „Ihr sollt vollkommen sein, wie auch euer himmlischer Vater vollkommen ist“ (Mt 5, 48), um zu zeigen, dass es hier nicht darum gehen könne, dass ein Mensch in der Natur Gottes vollkommen sein könne, sondern nur in seiner eigenen. Und Vollkommenheit komme ihm dann nur als Mensch, nicht in derselben Weise wie Gott zu. Die Analogie zwischen Schöpfer und Geschöpf besteht demnach nur darin, dass jeder seiner zum anderen absolut unähnlichen Natur nach bestimmte ähnliche Potenzen aufweisen könne.
So sehr dies einleuchtet und die Gottesfurcht zu gebieten scheint, so sehr hat diese Argumentation doch einen logischen Haken, denn die „similitudo“ (Ähnlichkeit) des Menschen zu Gott ist vom Schöpfer laut biblischer Aussage zum einen gewollt, als er Mann und Frau als „imago Dei“ (Gott-Ebenbild) schuf. Zum andern muss man fragen, ob denn Potenzen nur deswegen um ein Unendliches verschieden sein können, weil die, in deren Natur sie liegen, verschieden sind. Anders: Ist Vollkommenheit, wenn sie Gott als Attribut zukommt, wesentlich etwas anderes als wenn sie einem Engel oder einem Menschen zukommt? Gibt es drei verschiedene Formen der Eigenschaft „Vollkommenheit“? Ist Vollkommenheit überhaupt eine „Eigenschaft“? Und kann man sagen, dass das Geschöpf, das sich endlich, begrenzt vorfindet, als ein solches Endliches überhaupt Vollkommenheitscharakter erreichen kann? Schließt die Endlichkeit die Vollkommenheit aus? Man argumentiert hier, wie es scheint, mit einer „Intaktheitsvorstellung“: was seiner Möglichkeit nach intakt ist, ist vollkommen. Das ist schlüssig, passt aber mit anderen Glaubenssätzen nicht zusammen. Nach einer solchen Argumentation sind auch Killerviren „vollkommen“, sofern sie ihre Möglichkeiten voll ausschöpfen können. Man stünde so in der Gefahr eines Dualismus, den die Kirche doch auch immer abgelehnt hat. Oder aber man nimmt an, das Killervirus lebt seine Potenzen pervertiert aus und hätte eine ganz andere Natur als die, die wir sehen. Woher kann man sie wissen, wenn sie offenbar total verdorben ist?
Das Konzil übergeht, dass Jesus von „eurem himmlischen Vater“ spricht, und Väter sind den Kindern nie ferner als näher…
Ein weiteres Problem stellt sich im Rahmen biblischer Aussagen: „Vollkommenheit der eigenen Natur nach“ kommt allen Dingen zu, auch denen, die nicht ausdrücklich als „imago Dei“ geschaffen sind. Sie kommt den Engeln, den Gestirnen, dem Gestein, den Gräsern, Elefanten und Katzen, Vögeln und Fischen, Spinnen und Amöben zu. Gott hat alles „gut“ geschaffen. Inwiefern unterscheidet sich also die spezifische Vollkommenheit eines „Gott-Ebenbildes“ von der anderer, nicht-ebenbildlicher Naturen?
Andererseits muss man fragen, von welcher „Vollkommenheit“ Jesus hier sprach. In der Vulgata heißt es „Estote perfecti“, nachdem Jesus zur Feindesliebe und Lauterkeit aufgefordert hat. Der Christ soll den Vater im Himmel in seinen wesenhaften Attributen abbilden. Er soll ein Attribut Gottes bewusst als solches annehmen und leben. Angesichts der vorausgehenden Aufforderung zur Feindesliebe, Wahrhaftigkeit und Lichthaftigkeit („Ihr seid das Licht der Welt“) fällt es schwer, diese Vollkommenheit Gottes wesenhaft abgetrennt von der zu sehen, mit der der Mensch Gott nachahmen soll. Das kann im Kontext an sich nicht gemeint sein. Der Mensch wird hier ja nicht aufgefordert, für sich selbst und in sich selbst perfekt zu sein, eine Art „Gottesliebe light“ zu praktizieren, sondern sich wirklich und wahrhaftig formen zu lassen und dabei an der wesenhaften Perfektion Gottes zu orientieren. Nach der mittelalterlichen Lehre fallen in Gott Akt und Potenz ineinander, und seine Liebe und sein Erbarmen sind nicht bloß Eigenschaften, sondern seine Natur.
Doch nehmen wir an, es wäre 1215 richtig gesehen worden, so wurde neben den eben formulierten Fragen weiterhin ausgespart, dass Gott selbst diese Unähnlichkeit überschritten hat, insofern er in Jesus Christus Mensch wurde, also unsere „Unähnlichkeit“ annahm. Er hat diese Unähnlichkeit ja bis heute nicht wieder aufgegeben, sondern als auferstandener verklärter Gottmensch mit zurück in die Himmel genommen („Ascendit in caelum“) und in die Gottheit inkludiert. In Christus muss folglich diese Unähnlichkeit überschritten sein, wobei es mir unmöglich ist, dies präzise weiterzudenken.
In jedem Fall ergibt sich doch aus der Lehre der Kirche, dass Gott durch Jesus Christus die menschliche Natur in sich aufgenommen hat, zwar nicht so, als hätte er seine mit der unseren zu einem „Einheitsbrei“ vermischt, aber die beiden Naturen sind der dogmatischen Aussage nach im Gottmenschen, der 2. trinitarischen Person, ebenso „ungetrennt“ wie sie andererseits „unvermischt“ sind. Die Betonung der „Unvermischtheit“ und „Unähnlichkeit“ wird durch die Einheit der gottmenschlichen Person Christi („hypostatische Union“) überstrahlt, denn sie ist im Fazit eine göttliche Gesamtperson mit einer menschlichen Natur in der göttlichen. Umgekehrt ist es nicht denkbar ohne einer Hybris zu verfallen.
Die Überbewertung der „Unähnlichkeit“ würde sich der nestorianischen Position annähern, die einen unüberschreitbaren Abgrund zwischen göttlicher und menschlicher Natur annahm. Diese Position wurde auf dem Konzil von Chalkedon 451 verurteilt. Wenn der Abgrund aber eben nicht unüberschreitbar ist, ist es schwierig, andererseits aufgrund des unendlichen Abstandes des Ewigen zum Endlichen doch darauf zu bestehen, dass das Endliche immer und grundsätzlich dem Unendlichen unähnlicher als ähnlich ist.
Ist es logisch hier nicht notwendig zu sagen: entweder ist der Abgrund überbrückbar oder er ist unüberbrückbar? Tertium non datur! Das Endliche kann logisch betrachtet nicht ein „bisschen“ unendlicher werden. Und das Unendliche kann nicht ein „bisschen“ endlicher werden. Etwas ist entweder endlich oder ewig. Nestorius und andererseits die Monophysiten sprachen im 4. Jh ein echtes gedankliches Dilemma aus, damals hinsichtlich der Inkarnation Gottes ins Fleisch, auf lange Sicht aber sollte uns dieses Dilemma vor weitere Probleme stellen, etwa in der Kosmologie.
Die Jahrhunderte lange Auseinandersetzung liegt sachlich nicht in hartnäckigen Häretikern begründet, wie die Kirche es gerne darstellen lässt, sondern in dem logischen Dilemma selbst, das auch durch sophistische „Kompromissformeln“ nichts an Brisanz verloren hat. Die Unbescheidenheit der damaligen Akteure (auch der rechtgläubigen) ist angesichts des wirklichen gedanklichen Problems mehr als erstaunlich. Wir können bei Lichte besehen von uns aus weder sagen, wir seien Gott ähnlich noch, dass wir ihm immer unähnlicher als ähnlich seien. Uns fehlt ein Maß — wir wissen nur, dass wir aus reiner Gnade von Gott als Kinder angenommen sind und er, nach dem Zeugnis des Paulus, „keinem von uns fern ist“. Die Schrift spricht in der Tat hier eine andere Sprache als das Laterankonzil von 1215 , und ich möchte es vollständig zitieren:

„24 Gott, der die Welt erschaffen hat und alles in ihr, er, der Herr über Himmel und Erde, wohnt nicht in Tempeln, die von Menschenhand gemacht sind.
25 Er lässt sich auch nicht von Menschen bedienen, als brauche er etwas: er, der allen das Leben, den Atem und alles gibt.
26 Er hat aus einem einzigen Menschen das ganze Menschengeschlecht erschaffen, damit es die ganze Erde bewohne. Er hat für sie bestimmte Zeiten und die Grenzen ihrer Wohnsitze festgesetzt.
27 Sie sollten Gott suchen, ob sie ihn ertasten und finden könnten; denn keinem von uns ist er fern.
28 Denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir, wie auch einige von euren Dichtern gesagt haben: Wir sind von seiner Art.
29 Da wir also von Gottes Art sind, dürfen wir nicht meinen, das Göttliche sei wie ein goldenes oder silbernes oder steinernes Gebilde menschlicher Kunst und Erfindung.“

„Da wir also von Gottes Art sind“, sagt der Apostel…“Ipsius enim et genus sumus“, da wir von seinem „genus“ sind, seinem „Adel“, seiner „Herkunft“, seiner „Abstammung“ in dem Sinne sind, wie man von einem Menschen sagt, er sei vom „genus“ seiner Mutter oder seines Vaters, in genau diesem begrifflichen Sinne schreibt Paulus.
Es ist zwar verständlich, dass man 1215 bestimmten Auswüchsen und Überhebungen einiger Theologen und Enthusiasten Einhalt gebieten wollte, aber man hat dabei in anderer Hinsicht am Ziel folgenreich vorbeigeschossen.
Es wäre etwa zu fragen, wie sich Unähnliches in einer einzigen Person (Jesus Christus) stabil hätte durchwirken können. Genauso schwierig ist zu verstehen, wie bei der Ausgangslage von 1215 auch die Glaubenstatsache, dass die damals doch seit fast 800 Jahren dogmatisch definierte „Dei Genetrix“, die Gottesgebärerin Maria, die ein zwar reiner, aber dennoch nur menschlicher Mensch war, vom göttlichen Logos ihn selbst leibhaftig ja irgendwie willentlich mitzeugend empfangen und gebären konnte, wenn die Unähnlichkeit größer als die Ähnlichkeit gewesen wäre. Ist es nicht unmöglich, dass mehr Unähnliches als Ähnliches miteinander etwas hervorbringt? Selbst wenn man sagt: „Das ging alleine von Gott aus, der sich herabließ“ (und damit zweifellos recht hat!), wäre doch eine solche Herablassung bei unendlicher Unähnlichkeit nicht denkbar. Es hat also einen tieferen und geheimnisvolleren Sinn als es uns denkmöglich und bewusst ist, wenn es in der Genesis heißt, wir seien das „Abbild“ oder „Ebenbild Gottes“. Auch die Rede davon, dass Gott „in“ uns wohnen wolle, dass wir uns andererseits „in ihm bewegen“, wie es Paulus oben sagt, ergäbe keinen Sinn, wenn da eine unüberbrückbarere Inkompatibilität als Kompatibilität wäre. Da ein „tertium“ zwischen Ähnlichkeit und Unähnlichkeit (similitudo/dissimilitudo) fehlt, stehen wir hier vor einem wahren Mysterium. Das Bekenntnis, dass dies von Gott ausgehe, ändert daran auf einer logischen Ebene nichts. Auch Petrus schreibt (2. Petr 1, 4), dass wir Anteil an der „göttlichen Natur“ erhalten würden: „…ut per hæc efficiamini divinæ consortes naturæ : fugientes ejus, quæ in mundo est, concupiscentiæ corruptionem.“ — „…durch diese (die göttliche Macht) lasst uns erwirken, dass wir Teilhaber an der göttlichen Natur werden („divinae naturae consortes“) : der Korruption durch die Gier fliehen, die in der Welt ist.“
In diesem Zusammenhang muss auch auf Gen 6 verwiesen werden, wo eine leibliche Vereinigung zwischen Engeln und Menschen bezeugt wird, die im NT als zwar unrechtmäßige „Selbstherabstufung“ der Engel bezeichnet, aber eindeutig als möglich bestätigt wird (2. Petr. 2, 4 und Judas 6).
Diese Schriftaussagen weisen darauf hin, dass zwischen Gott, Engeln und Menschen eine markante Ähnlichkeit und Kompatibilität besteht, die eine wie immer beschaffene stoffliche Komponente oder Potenz haben muss aufgrund dieser biblischen Aussagen und Glaubensüberzeugungen. „Reine Geister“ ohne jegliche stoffliche Potenz könnten aus und mit Menschen ja nichts zeugen. Falls einer einwenden wollte, Gott könnte doch bei der Zeugung Jesu in Maria einfach das Fleisch als Verkleidung gewählt haben, also gewissermaßen in ein „wesensfremdes“ Gewand geschlüpft sein, so muss man auch hier darauf verweisen, dass dieser scheinbar so erhabene und fromme Gedanke („Monophysitismus“) von der Kirche in einem längeren Prozess bis ins 7. Jh hinein vollständig aufgegeben wurde, zumal man in Chalkedon eigentlich bereits eine Formel gefunden hatte, die die Abwertung der menschlichen Natur in Christus abgewendet hatte. Man müsste in diesem Fall auch fragen, wozu diese Zeugung aus und mit der Menschheit in Maria hätte dienen sollen: für eine bloße „Verkleidung“ wäre diese „Vereinigung“ mit dem Menschen nicht notwendig gewesen und hätte überdies die Versuchung, die „similitudo“ des Menschen zu Gott als eine große anzunehmen, verhindert... Die Wertung der menschlichen Erscheinung Jesu Christi als bloßes äußerliches Kleid, das nicht als eigenständige Natur mit der Gottheit verbunden wurde, würde die Frage nach der Gültigkeit und Möglichkeit seines Opfertodes als Mensch andererseits fraglich machen und kann im Rahmen des Glaubens daher aus logischen Gründen ebenfalls nicht angenommen werden, ohne den ganzen Glauben überflüssig zu machen.


3. Kosmologie muss für Christen immer Christologie sein

Manch ein Leser mag sich fragen, was diese Abschweifung in die christologische Dogmatik mit der Kosmologie zu tun hat. Es ist leicht zu beantworten, aber vielleicht auf den ersten Blick nicht erkennbar oder schwer zu verstehen: Mich leitet die Aussage im NT, dass durch den Sohn alle Dinge gemacht sind und ohne ihn nichts ist. Die Schöpfung steht und fällt mit Christus. Wahre Kosmologie kann nur durch und in Christus verstanden werden.

„1 Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.
2 Im Anfang war es bei Gott.
3 Alles ist durch das Wort geworden und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist.
4 In ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen.“

Diese berühmten Worte aus dem Johannes-Prolog haben wir einst als Schlusslesung nach jeder Heiligen Messe gehört. Trotz mancher Verirrung hielt die Kirche so doch noch fest an einer prinzipiell christologischen Kosmologie. Seit der Liturgierefom 1970, zur Zeit der medialen Mondlandungen, hat man diese Lesung abgeschafft.

Im Kolosserbrief (Kol 1) singt Paulus in einem ebenfalls berühmten Christus-Hymnus:

„15 Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung.
16 Denn in ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, Throne und Herrschaften, Mächte und Gewalten; alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen.
17 Er ist vor aller Schöpfung, in ihm hat alles Bestand.“

Oder im Römerbrief (Röm 11) preist Paulus den Schöpfer mit folgenden Worten:

„34 Denn wer hat die Gedanken des Herrn erkannt? Oder wer ist sein Ratgeber gewesen?
35 Wer hat ihm etwas gegeben, sodass Gott ihm etwas zurückgeben müsste?
36 Denn aus ihm und durch ihn und auf ihn hin ist die ganze Schöpfung. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.“

Und in Epheser 1 bricht der Autor in ein weiteres Jubellied aus über die Schöpfung in Christus und durch Christus:

„3 Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus: Er hat uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel.
4 Denn in ihm hat er uns erwählt vor der Erschaffung der Welt, damit wir heilig und untadelig leben vor Gott;
5 er hat uns aus Liebe im Voraus dazu bestimmt, seine Söhne zu werden durch Jesus Christus und nach seinem gnädigen Willen zu ihm zu gelangen,
6 zum Lob seiner herrlichen Gnade. Er hat sie uns geschenkt in seinem geliebten Sohn;
7 durch sein Blut haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden nach dem Reichtum seiner Gnade.
8 Durch sie hat er uns mit aller Weisheit und Einsicht reich beschenkt.
9 und hat uns das Geheimnis seines Willens kundgetan, wie er es gnädig im Voraus bestimmt hat:
10 Er hat beschlossen, die Fülle der Zeiten heraufzuführen, in Christus alles zu vereinen, alles, was im Himmel und auf Erden ist.

Das alles sind heilige und ungeheuerliche Worte, weil uns etwas zugedacht ist, das wir noch nicht ermessen können.
Angesichts solcher Worte sollte jedem wie mit Schuppen von den Augen fallen, warum die Kosmologie und die Christologie eine und dieselbe Frage sind!
Kosmologie geht aus christlicher Sicht zwangsläufig mit dem Schöpfer um und dem, durch den alle Dinge geschaffen sind. Bei einer riesenhaft und unendlich angenommenen „dissimilitudo“ (Unähnlichkeit) zwischen Schöpfer und Geschöpf, wird unweigerlich auch die Kosmologie aus den Fugen geraten und den Menschen in der Folge aussetzen „auf den Bergen des Herzens“, wie Rainer Maria Rilke vor 100 Jahren dichtete:

„Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. Siehe, wie klein dort,
siehe: die letzte Ortschaft der Worte, und höher,
aber wie klein auch, noch ein letztes
Gehöft von Gefühl. Erkennst du's?
Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. Steingrund
unter den Händen. Hier blüht wohl einiges auf; aus stummem Absturz
blüht ein unwissendes Kraut singend hervor.
Aber der Wissende? Ach, der zu wissen begann
und schweigt nun, ausgesetzt auf den Bergen des Herzens.
Da geht wohl, heilen Bewußtseins,
manches umher, manches gesicherte Bergtier,
wechselt und weilt. Und der große geborgene Vogel
kreist um der Gipfel reine Verweigerung. - Aber
ungeborgen, hier auf den Bergen des Herzens....“
[5]

„Ungeborgen, hier auf den Bergen des Herzens…“ — das Lebensgefühl des modernen Menschen. Mit der angenommenen bedeutsameren „dissimilitudo“ rückt man ab vom „göttlichen Fünklein“ der Mystiker. Es kommt nicht von Ungefähr, dass die Kirche gerade zur Zeit des 4. Laterankonzils begann, ihre Mystiker jahrhundertelang zu verfolgen. Spektakulär war zu Beginn des 14. Jh der brutale Prozess gegen die bereits betagte Beghine Marguerite Porête, die samt ihrem Werk verbrannt wurde, ein Werk, das bis heute rezipiert wird und seinesgleichen an biblisch orientierter Gottessuche und Gottesliebe sucht. Aber wie alle Mystiker stand sie der Hierarchie mit Distanz gegenüber, ein Faktum, das auch den tief gläubigen Jan Hus in Konstanz 1418 auf den Scheiterhaufen brachte. Andere Mystiker wie Mechthild von Magdeburg oder Meister Eckhardt konnten sich irgendwie retten, aber immer stand man ihnen mit Misstrauen und sogar Hass entgegen, weil im Denken der Mystiker die „similitudo“ beim Wort genommen wird und zugleich der Herrschaftsanspruch der Hierarchen vermindert wird.
Nach dem Konzil von Trient und Teresa von Avila und Johannes vom Kreuz gab es keine Mystiker dieser Art mehr in der katholischen Kirche… Zurück bleibt also ein ausgehöhlter, erloschener, auf blanke Unterwerfung und Menschenfurcht (gegenüber der „Hierarchie“)  getrimmter Mensch, der nur noch durch die Knochenhand der Kirche vermittelt Sakramente empfängt, rüde belehrt wird und ansonsten selbst zu schweigen hat, weil er in seiner Seele einer direkten Gottesbeziehung aus Machtgier der Institution, aber auch aus der Panik der Hierarchen vor der Auseinandersetzung mit möglichen Häretikern vollkommen entfremdet wird… Anstelle einer gesunden und tiefen Mystik entstand ein devoter Erscheinungsmystizismus, der bis in unsere Tage schauerliche Blüten treibt und daneben ein formalistischer und fanatischer Glaubenskult. Nicht alle Kleriker und Ordensfrauen folgten diesem furchtbaren Absturz, aber sie waren stets gefährdet, von dieser Krankheit befallen oder angefallen zu werden. Mancher mag einwenden, dass aber doch nicht alle so seien und doch auch so viel Gutes in der Kirche zu finden sei. Das bestreite ich nicht. Aber der große Trend an der Spitze in Rom ging deutlich erkennbar andere Wege, und nur ganz wenige Päpste erkannten, in welch ungutes Fahrwasser man sich begeben hatte. Einer davon war Hadrian VI., der 1523 durch seinen Legaten auf dem Reichstag in Nürnberg ein umfangreiches Schuldbekenntnis für die gesamte Kirche, vor allem aber die Hierarchie ablegen ließ. Dieses Schuldbekenntnis blieb aber wegen des bald danach eintretenden Todes Hadrians ohne die segensreichen Folgen, die daraus hätten hervorgehen können, wenn Einsicht vorhanden gewesen wäre.

Die Kirche benötigte mit dem Absturz in den immer irrsinnigeren Machtwahn einen anderen Christus. Der überlieferte, der, der sich jedem gesondert und persönlich zuwandte, wie uns die Evangelien vor Augen führen, war ihr und ihren Interessen gefährlich geworden. Und wer einen anderen Christus benötigt, wird bald eine neue Kosmologie erfinden müssen.
Es kommt nicht von Ungefähr, dass sich im 16. Jh nicht nur die Reformation vollzog, sondern auch die kosmologische Revolution, aber sie geht auf das Konto der römischen Kirche. Die Protestanten lehnten sie erstaunlicherweise lange ab. Wen wundert also die trotzige Verlagerung des Kosmos in eine schweigende, leere Unendlichkeit, in der kein Gott mehr sein kann, aber eben auch keines seiner „Ebenbilder“, ist er doch ohnehin immer nur der große „Dissimilis“… Die Kirche hat sich im 16. Jh durch ihre Selbsterhebung vorläufig und dem Anschein nach noch einmal gerettet, aber die Seelen hat sie Gott so ein Stückchen mehr entfremdet. Was sie sich selbst als „katholische Reform“ hochpries, darf durchaus kritisch hinterfragt werden. Man hat die Menschen wieder „Gewehr bei Fuß“ gebracht, konnte sich aufgrund der Siege über die Türken auf die Schulter klopfen, und natürlich waren weite Teile des Volkes wirklich gläubig, aber man überhob sich doch faktisch immer mehr und ruinierte in wenigen Jahrhunderten die gesamte Kirche und das Abendland, die in Revolutionen und Chaos stürzten, die Hoffnung auf immer neue Utopien setzten und heute nicht mehr weiterwissen.
Die römisch-katholische Kirche war es, die nach Konstantin erneut  im Rahmen einer Kalenderreform (durch Gregor XIII.) „die Zeiten änderte“ (Dan 7, 25), in deren Umfeld und Interesse dann auch der vollständige Bruch mit der biblischen Kosmologie eingeführt wurde. Sowohl die Orthodoxen als auch die Protestanten wollten das lange nicht mitmachen, erlagen aber am Ende doch und gaben klein bei.
Kopernikus widmete sein Hauptwerk dem Papst Paul III. Leo X. hatte zu Beginn des 16. Jh eine Diskussion über die notwendig erscheinende Kalenderreform angeregt. Kopernikus, damals Domherr zu Frauenburg, äußerte sich dahingehend, eine solche sei erst sinnvoll, wenn man die astronomische Theorie „korrigiere“. Auch wenn er sein Hauptwerk lange zurückhielt, zeigen schon seine ersten Worte darin, dass er von einem Modell ausgeht, das alleine auf unbeweisbaren Prämissen und philosophischen Annahmen darüber beruht, wie die „Vollkommenheit“ der Schöpfung auszusehen habe nach seiner Ansicht:

„Erstlich soll jnn acht genohmmen werden, das die welt kugelrundt , entweder weill solche gestallt die alleruollkömlichste, unndt welche keiner zusamfugung uonn Nöten, sondern ganz aneinander: Oder dieweil dieselbe am bequemsten allerley gestalt unndt form in sich zue fassen, weilln sie alles in sich behalten undt erhalten mus, oder auch dieweil im augenschein, das die aller uollkommesten theil der welt, alls die Sonn, Mondt und Stern rundt unndt in obgenanter form bestehen.“[6]

Für alle, die sich darüber weiterhin Illusionen machen wollen, sei gesagt, dass alleine schon diese ersten Worte in „De revolutionibus“ offenbaren, dass auch Kopernikus, nicht anders als die alten Heiden, eigenmächtig bestimmen wollte, in welcher Weise die Schöpfung „vollkommen“ zu sein habe: nämlich in Kugelkörpern. Es ist und bleibt dies jedoch objektiv und unleugbar eine bloße Annahme. Keiner konnte sie je beweisen.
Ein beispielloser logischer Fauxpas ist bei Kopernikus der Fehlschluss, weil die Sonne und der Mond rund erschienen, müssten Himmel und Erde ebenfalls rund sein — wobei er nicht einmal klärt, dass wir Sonne und Mond nicht als Kugeln (dreidimensional rund) sondern als Scheiben am Firmament (zweidimensional rund) wahrnehmen, was einem Mann, der sich für einen großen Mathematiker hielt, nicht hätte unterlaufen dürfen. Es wäre ein gewaltiger Unterschied, ob ein Ding eine kreisförmige Scheibe oder eine Kugelsphäre ist, obwohl beides „rund“ ist. Aber davon abgesehen muss die Erde nicht „rund“ sein, nur weil Gestirne „rund“ sind. Das berühmte Werk fängt also schon mit einem Zirkelschluss an…
Diesen Autor interessierte sichtlich weder das, was man wahrnahm noch die biblische Überlieferung, sondern ausschließlich seine tautologische Ableitung aus heidnischen Vor-Annahmen und persönlichen Meinungen, an deren Endergebnis die Entrümpelung der Gottheit aus dem Kosmos stand. Und niemand kann mir weismachen, dass er das selbst nicht sehr genau wusste, denn er war Priester der römischen Kirche und wurde nicht behelligt.

4. „Utopia“ oder die Wohnstatt der „unähnlichen Abbilder“?

Die Frage ist, wie man sich das endliche und begrenzte Sein umschlossen, aber distanziert, vom ewigen Sein denken kann und in diesem Rahmen von „Entfernungen“, von „Ähnlichkeit“ oder „Unähnlichkeit“ zum Endlichen sprechen kann.
Das endliche Sein kann vom „räumlichen“ Standpunkt Kants aus mit logischer Berechtigung nicht unendlich weit entfernt sein vom unendlichen Sein, wenn es doch in dieses eingeschlossen ist. Wenn es aber nur der „Natur nach“ vom unendlichen Sein immer gleich weit entfernt gedacht wird, wie es 1215 definiert wurde, ergibt sich das Problem, wie ein solches Gespinst im Falle des Menschen sogar „Ebenbild“ sein kann. Ebenbilder spiegeln nicht bloß „irgendwie“ und „unscharf“, sondern präzise den Wesenkern eines Urbildes wider. Ein Abbild sollte intentional dem Urbild stets so nahe wie möglich kommen bis hin zur täuschenden Verwechslungsmöglichkeit. Andernfalls wäre die Rede von der „imago“ deplatziert. Wir würden selbst im rein menschlichen Bereich niemals sagen „Er ist das Ebenbild seiner Mutter“, wenn wir dabei nicht meinten, dass er ihr fast zum Verwechseln ähnlich sei. Wenn der so Beschriebene der Mutter unähnlicher als ähnlich wäre, ergäbe die Rede vom Ebenbild wenig Sinn, und es wäre vernünftiger zu sagen „Er hat leider nur wenig Ähnlichkeit mit seiner Mutter“. Die mittelalterliche Argumentation, die analoge Rede von der „Ähnlichkeit“ schließe stets die gewichtigere „Unähnlichkeit“ ein, berücksichtigt hier den Faktor, dass selbst bei einer maximalen menschlichen Ähnlichkeit zu Gott er immer der Ewige und der Mensch immer der Endliche bleibt. Dennoch ist die Rede vom „Ebenbild“ oder „Abbild“ auch in diesem Rahmen nur dann sinnvoll, wenn die Ähnlichkeit markant und in irgendeiner Weise so gravierend ist, dass angesichts einer starken Unähnlichkeit überhaupt von Ähnlichkeit gesprochen werden kann und muss. Die mittelalterliche Feststellung der größeren Unähnlichkeit aufgrund der immer gleichen Entfernung zur Unendlichkeit führt zur „negativen“ Theologie, die die Kontemplation auf Gott hin mithilfe von Aussagen darüber, wer oder was er nicht ist, versucht. Die negative Theologie führt aber im letzten Ende, wiederum logisch betrachtet, dazu, Gott in einem „Außen“ anzunehmen, zu dem grundsätzlich der Zugang von unserem „Innen“ her verwehrt scheint. Der Mensch kann an diesem „Außen Gottes“ immer nur scheitern. Er wird sich seine Innenwelt irgendwann folgerichtig ohne weitere Beachtung dieser undurchdringlichen göttlichen Außenwelt denken. Hinzukommt, dass die Kirchenhierarchie sich selbst an ihre über die Herde verhängte Maxime nicht im mindesten gehalten hat. Karl Rahner bemerkte völlig zu Recht, dass die Kirche dieser Definition, die bedeutet, dass man positiv über Gott nichts aussagen könne, nicht im Traum selbst gefolgt ist, sondern sich permanent aufgefordert sah, Gottes „Sicht“ der Dinge zu definieren und sich selbst in wachsendem Maße die alleinige Deutungshoheit darüber hinzuzudefinieren. Am Ende sprach sich der Papst alleine eine maximale Nähe zur Unfehlbarkeit zu, die der Gottes naturgemäß entsprechen muss, andernfalls könnte man nicht von Unfehlbarkeit sprechen:

„Das vierte Laterankonzil sagt ausdrücklich, man könne über Gott von der Welt aus, also von jedwedem denkbaren Ausgangspunkt der Erkenntnis aus nichts an Inhaltlichkeit positiver Art sagen, ohne dabei eine radikale Unangemessenheit dieser positiven Aussage mit der gemeinten Wirklichkeit selbst anzumerken. (…) (Wir vergessen) dann meistens, daß eine solche Zusage nur dann einigermaßen legitim von Gott ausgesagt werden kann, wenn wir sie gleichzeitig auch immer wieder zurücknehmen, die unheimliche Schwebe zwischen Ja und Nein als den wahre und einzigen festen Punkt unseres Erkennens aushalten und so unsere Aussagen hineinfallen lassen in die schweigende Unbegreiflichkeit Gottes selber (…). Wie (…) sehr klingen unsere Aussagen von den Kathedern und auch von den Kanzeln und aus den geheiligten Dikasterien der Kirche so, daß man nicht gerade deutlich merkt, sie seien durchzittert von der letzten kreatürlichen Bescheidenheit, die weiß, [...] daß alles Reden nur der letzte Augenblick vor jenem seligen Verstummen sein kann, das auch noch die Himmel der klaren Schau Gottes von Angesicht zu Angesicht füllt. (…) Ich möchte (…) die Erfahrung bezeugen, daß der Theologe erst dort wirklich einer ist, wo er (…) die analoge Schwebe zwischen Ja und Nein über dem Abgrund der Unbegreiflichkeit Gottes erschreckt und selig zugleich erfährt und bezeugt.“[7]

Kant will nicht gelten lassen, dass der ewige Gott ein räumlich Begrenztes hätte schaffen können, platziert aber seine Gedankenarbeit bereits im heliozentrischen Modell, als sei dies beschlossene Sache. Auch scheint mir nicht klar zu sein, ob er — hier war Giordano Bruno ganz klar! — Gott innerhalb oder außerhalb dieses „Alls“ annimmt.
Mit diesem Argument müsste man, wenn man konsequent denkt wie Bruno, in jedem Fall auch den Mikrokosmos des Menschen als unbegrenzt ansehen. Unter der Ambition des „Anstandes“ gegenüber dem ewigen Schöpfer erhebt Kant einen unanständigen Anspruch auf  ein Stückchen vom Kuchen dieser Ewigkeit, wenn auch in der Idee, es könnte noch ungezählte solcher Welten geben wie die unsere. Der ewige Schöpfer wird zu einem „unendlichen Wesen“ umgedeutet, das nach dieser Definition unspezifisch in die Weite zerfließen müsste, kontur- und gesichtslos wäre und unzugänglich bliebe. Gott wäre wie ein unendlicher Raum ohne Raumpunkte, ohne Koordinaten, unendlich fern. Ist aber die Schöpfung inklusive des Menschen genauso gedacht, führt sich auch eine Philosophie um die Grenzen der Vernunft, wie Kant sie entwarf, ad absurdum. Wenn die Schöpfung im Ganzen unbegrenzt gedacht werden müsste, kann man keines der Geschöpfe darin als begrenzt denken.
Nun wäre es ungereimt, die Gottheit mit einem unendlich kleinen Theil ihres schöpferischen Vermögens in Wirksamkeit zu versetzen, und ihre unendliche Kraft, den Schatz einer wahren Unermesslichkeit von Naturen und Welten unthätig und in einem ewigen Mangel von Ausübung verschlossen zu denken.“
Kant verheddert sich in der Problematik, die sich durch das nachkopernikanische Weltbild ergeben hat: Hört man Kopernikus oder später Newton, hat man den Eindruck, man könne den Schöpfer in seinem Werk nur noch bewundern, indem man ihn „ausmisst“, ihm unterlegt, er sei ein Baumeister, der mit Winkelmaß und Zirkel gearbeitet hat und sich darin einfangen lassen müsste. Der Philosoph und Mathematiker geht gewissermaßen mit einem „Schmetterlingsnetz“ auf Gottesfang. Der geschaffene Raum müsste demnach endlich sein. Wenn der Raum aber eben doch im kantischen Sinne „unendlich“ sein muss, weil sein Schöpfer ewig ist, was für ein Raum soll das dann sein?
Nota bene und wie schon oft gesagt: ein Raum ohne Maße,  ohne Koordinaten ist absurd oder ein „Nicht-Raum“. Nur wenn man ihn hypothetisch annimmt oder gar behauptet ohne weiteren Beweis, nur weil man vermeint, durch ein Teleskop einen solchen wahrzunehmen (was eine besonders absurde Argumentation darstellt), nur deswegen stellt sich überhaupt das Problem. Der ewige Gott müsste dann tatsächlich, wie Kant sagt, auch einen „unendlichen Raum“ in seiner Schöpfung erzeugt haben, aber genau das ist ein selbstaufhebender Begriff. „Raum“ ist durch die Möglichkeit der dreidimensionalen Beschreibung definiert. Ein „anderer Raum“ ohne Koordinaten gleich da draußen, jenseits der Erdatmosphäre, wäre kein Raum wie der der Erde, sondern ein undenkbares Gebilde. Gewissermaßen wäre da draußen nichts — wenn man es nicht mit herumtaumelnden (Leucht-)Kugeln bestückt hätte, die angeblich aus handfester Materie bestünden und deren Kugelradius aus der Ferne von Hunderttausenden von Kilometern bestimmt werden könnte… Neuzeitliche Kosmologie denkt sich aber einen Raum im irdischen Sinne, nur ist dieser irdische Raum ins Unendliche verlängert, eine menschliche Über-Raum-Hybris, und Kant stolpert über die Verwegenheit dieser Idee,  sollte man sie begrenzt denken und wechselt die Ebenen ohne sich klar zu machen, dass er in all dieser mangelnden Vernunft und Ehrfurcht vor dem Allerhöchsten „aus Anstand“ etwas denken will, das in sich absurd ist. Der Mensch, der „Gott denken will“, landet am Ende in der Absurdität. Die Vorstellung, dass es beim Blick ins Leere immer weiter geht, weiter und weiter, immer weiter, und unter mir, über mir und hinter mir ebenso, führt dazu, dass ich ortlos und im Grunde nicht bin. Mein Standort ist per definitionem eine „Utopie“, eine Nicht-Örtlichkeit. Wer sollte ich in einem leeren, unbegrenzten Raum sein? Die Leere wird durch taumelnde Kugeln alle paar hunderttausend Meilen nur scheinbar „voller“. Die neuzeitliche Kosmologie trägt im Ansatz unfreiwillige buddhistische Züge, führt sie aber nicht konsequent zu Ende, sondern konterkariert sie: man hält die selbsterschaffene Leere nicht aus und füllt sie mit „Maya“, Illusion, die man auf bunten computergenerierten Animationen und „Fotos“ dem ahnungslosen Zeitgenossen präsentiert: „So, liebe Mitmenschen, sieht es im Vakuum aus… und so sieht der Mars aus … und so der Saturn … und so die Sternenebel… und die schwarzen Löcher“, und manch ein postmoderner Christ ist so selbstvergessen, ob dieser menschengemachten Widersprüchlichkeit auszurufen: „Ist Gott nicht groß? Wie wunderbar, Herr, sind deine Werke!“ Es trägt unfreiwillig satirische Züge…
Der in einen unendlichen Raum verlagerte Himmel von Myriaden gleisender Sonnen, der in dieser Logik gedacht, wie Olbers feststellte, taghell sein müsste, bleibt dennoch verstörend dunkel. Unsere Hybris ist zu weit gegangen. Was immer sie sich an überdimensionalen Lichtern ausgedacht hat — es wurde nicht licht in dieser Finsternis. Unser kosmologisches „utopia“, unsere Ortlosigkeit, erzeugte im Fieberwahn eine Utopie nach der anderen und blieb verstörend und ernüchternd schwarz.
Es erstaunt sicher niemanden, das der erste utopische Roman, der den Titel „Utopia“ bzw voll „De optimo rei publicae statu deque nova insula Utopia – „Vom besten Zustand des Staates und der neuen Insel Utopia“ trägt, vom späteren Märtyrer für die Unauflöslichkeit der Ehe, Thomas Morus, zu Beginn des 16. Jh geschrieben und veröffentlicht wurde, zu der Zeit, zu der auch Kopernikus seine Ideen entwickelte.

Je verlorener und ortloser, desto rabiater muss in einem solchen Gebilde der Glaube „definiert“ oder aber eben aufgegeben werden: der Hang zur Dogmatisierung korrespondiert faktisch dem Unglauben. Die utopische Ortlosigkeit korrespondiert der unfreiwilligen, systematisch erzeugen Gottlosigkeit.
Hätte man sich diese Problematik nicht sparen können?
In der biblischen Kosmologie sind solche Winkelzüge nicht nötig. „Raum“ ist nur da, wo die Welt ist, beim Menschen und für den Menschen, im „Irdischen“ und „Zeitlichen“, der selbstverständlich gemessen werden kann, weil es ihn sonst für uns nicht geben könnte. „Die Himmel“ aber sind uns nur in prophetischen Visionen bekannt geworden und als etwas Zukünftiges erschlossen, ihre Koordinaten sind so real wie sie unfassbar sind, den Menschen muss es nicht kümmern, denn es ist noch nicht sein Terrain, solange die Erlösung nicht offenbar geworden ist. Es liegt kein selbsterdachter unendlich schwarzer „Weltraum“ zwischen ihm und den Himmeln, der das Ergebnis eines auf sich gestellten, Gott so unähnlichen Menschen ist, dass er sich den Gott meint sparen zu können. Es gibt für ihn in der biblischen Perspektive nur Himmel und Erde. Und die sind ein Ganzes, wenn auch durch die Sünde durcheinander geraten.
Die „Vermessung der Himmel“ aber, wie sie in einigen prophetischen Visionen, die das AT und das NT berichten, vollzogen wird — das ist ein eigenes Thema, dem ich später nachgehen will.


[1] Olbers formulierte: „... Sind wirklich im ganzen unendlichen Raum Sonnen vorhanden, sie mögen nun in ungefähr gleichen Abständen von einander, oder in Milchstrassen-Systeme vertheilt sein, so wird ihre Menge unendlich, und da müsste der ganze Himmel eben so hell sein wie die Sonne. Denn jede Linie, die ich mir von unserem Auge gezogen denken kann, wird nothwendig auf irgend einen Fixstern treffen, und also müsste uns jeder Punkt am Himmel Fixsternlicht, also Sonnenlicht zusenden...“, zitiert nach: Schilling: Wilhelm Olbers, sein Leben und seine Werke im Auftrage er Nachkommen. S. 135
[2] Job 38, 6 f: „Oder wer hat ihren Eckstein gelegt, als alle Morgensterne jauchzten, als jubelten alle Gottessöhne?

[3] Zitiert nach a.a.O., S. 134
[4] Augustinus: Confessiones — Bekenntnisse. Lateinisch und Deutsch. Darmstadt 1984. S. 14 f
[5] Rainer Maria Rilke: Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. Gedichte aus den Jahren 1906 bis 1926. Frankfurt am Main 1978 (3. Auflage). S. 89
[6] Andreas Kühne et al. (Hg.): De Revolutionibus. Die erste deutsche Übersetzung in der Grazer Handschrift. Kritische Edition. Berlin 2007.  S. 3
[7] Rahner, Karl, Erfahrungen eines katholischen Theologen. In: Karl Lehmann (Hg.): Vor dem Geheimnis Gottes den Menschen verstehen : Karl Rahner zum 80. Geburtstag. München 1984, 106ff.

20 Kommentare:

  1. Sie scheinen den vorkritischen Kant zu zitieren. In der Kritik der reinen Vernunft ist der Raum die Form unserer äusseren Anschauung. D. h. der Raum haftet nicht am erkannten Objekt, sondern wird dem Objekt von unserem Subjekt beigelegt, damit wir das Objekt in einer räumlichen Vorstellung erkennen können.
    Der Raum wird von der transzendentalen Einbildungskraft erzeugt, welche das Vermögen des Verstandes ist, einem Begriff sein Bild zu verschaffen.
    Der Raum ist nur empirisch real, aber transzendental ideal, d. h. wenn man von den Erkenntnisbedingungen unseres Subjekts abstrahiert, gibt es den Raum überhaupt nicht. Dasselbe gilt auch für die Zeit.
    Die Objekte der äusseren Erkenntnis (Materie der Anschauung) sind an sich selbst (also unbeobachtet) unausgedehnt und einfach, also geistige Substanzen (Ideen). Sie materialisieren sich erst, wenn unser Verstand ihnen die Gesetze vorschreibt, nach denen sie uns erscheinen, also von uns erkannt werden können.
    Die Gegenstände wie sie an sich selber sind (Ding an sich), können von uns nicht erkannt werden, weil der menschliche Verstand für übersinnliche Gegenstände keine Kategorien hat. Wie sie uns erscheinen können, wird ihnen, wie gesagt, von unserem Subjekt diktiert, eben u. a. räumlich ausgedehnt.
    Kant hat diese Erkenntnisse bereits zu Beginn der Kritik der reinen Vernunft in der sogenannten transzendentalen Ästethik dargelegt.
    Wir sind also kein Staubkorn in einem unendlichen Universum, sondern das unendliche Universum ist ein Staubkorn in uns.
    Das ist auch der tiefere Sinn in der Aufforderung Gottes, sich die Erde (Universum) untertan zu machen.

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    1. Ich habe das Kant-Zitat nach Schillings Werk über Olbers zitiert (vgl. Anm. 1 + 3), der leider keine Quellenangabe macht. Allerdings ging ich davon aus, dass das Zitat aus dem Umfeld von Kants 1755 anonym erschienener Schrift "Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels" oder direkt aus ihr. Sie können das digitalisiert hier sehen: http://www.deutschestextarchiv.de/book/show/kant_naturgeschichte_1755
      Diese Schrift gilt als Grundlage der soganennten "Kant-Laplace-Theorie", die im 19. Jh anerkannt war und als wegweisend galt. In ihr spielt der Versuch eine entscheidende Rolle, der Weltraum mit seinen Gestirnen könne sich ohne göttlichen Eingriff aus den Gesetzmäßigkeiten der Materie selbst entwickelt haben.
      Auf den Einwand der Religionsverehrer, es müsse sich doch die Materie nach dem Geheiß des Schöpfers verhalten, entgegnet Kant im verlinkten Werk:

      "Allein ich antworte: wenn
      die allgemeinen Wirkungsgesetze der
      Materie gleichfalls eine Folge aus dem höchsten
      Entwurfe sein, so können sie vermutlich
      keine andere Bestimmungen haben, als die
      den Plan von selber zu erfüllen trachten,
      den die höchste Weisheit sich vorgesetzt
      hat; oder wenn dieses nicht ist, sollte man
      nicht in Versuchung geraten zu glauben,
      daß wenigstens die Materie und ihre
      allgemeine Gesetze unabhängig wären, und
      daß die höchstweise Gewalt, die sich ihrer
      so rühmlichst zu bedienen gewusst hat, zwar
      groß, aber doch nicht unendlich, zwar
      mächtig, aber doch nicht allgenugfam
      sei?

      Der Verteidiger der Religion besorgt:
      daß diejenigen Übereinstimmungen, die
      sich aus einem natürlichen Hang der
      Materie erklären lassen, die Unabhängigkeit
      der Natur von der göttlichen Vorsehung
      beweisen dürften. Er gesteht es nicht
      undeutlich: daß, wenn man zu aller
      Ordnung des Weltbaues natürliche Gründe
      entdecken kann, die dieselbe aus den
      allgemeinsten und wesentlichen Eigenschaften
      der Materie zu Stande bringen können,
      so sei es unnötig sich auf eine oberste
      Regierung zu berufen.

      Letztere Anmerkung führte zu der Sichtweise, die uns heute bestimmt.

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    2. Man kann fragen, wie sich eine solche Schrift Kants zu dem verhält, was er in der "Kritik der reinen Vernunft" zu Beginn in der "Transzendentalen Ästhetik" sagt.

      Ich zitiere aus der KdrV:

      "Dagegen ist der transzendentale Begriff der Erscheinungen im Raume eine kritische Erinnerung, daß überhaupt nichts, was im Raume angeschaut wird, eine Sache an sich, noch daß der Raum eine Form der Dinge sei, die ihnen etwa an sich selbst eigenen wäre, sondern daß uns die Gegenstände an sich gar nicht bekannt sein, und, was wir äußere Gegenstände nennen, nichts als bloße Verstellungen unserer Sinnlichkeit sein, deren Form der Raum ist, deren wahres Correlatum aber, d.i. das Ding an sich selbst, dadurch gar nicht erkannt wird, noch erkannt werden kann, nach welchem aber auch in der Erfahrung niemals gefragt wird." (B45/A30)

      Man kann generell den Schluss Kants, dass der ideale Raum "nichts sei, so bald wir die Bedingung der Möglichkeit aller Erfahrung weglassen, als zu weit gehend ansehen: Woher will er das wissen?
      Die Annahme, dass unsere Erfahrung an unsere Disposition gebunden ist, mag man akzeptieren. Aber zu schließen, deshalb seien die Dinge idealiter "nichts", liegt außerhalb dessen, was die reine Vernunft zu leisten vermag. Wir wissen schlicht nicht, wie es "objektiv" oder "idealiter" ist.

      Nimmt man den Kant der Kritiken ernst, müsste man fragen, wie es möglich ist, einen erdachten Weltraum, für den wir nicht eine einzige empirische Erfahrung aufweisen können, durch Raumflüge nachträglich "herzustellen".

      Nicht nur, wenn man vom kritischen Kant ausgeht, sondern auch unabhängig davon stellt sich die Frage, wie es sein kann, dass man ein rein selbsterdachtes Raumkonstrukt, dem keine empirische Erfahrung zugrunde liegt (nicht nur nicht die ideale Kenntnis des „Dings an sich“), anschließend in dem theoretischen Sinne erforscht haben zu wollen, den man vorausgesetzt hatte.
      Das zu glauben setzt entweder Dummheit oder Verlogenheit voraus und insofern ist das Unbehagen der Flacherdler mehr als begründet.

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    3. Verzeihung, es muss natürlich heißen: "Nicht nur, wenn man vom kritischen Kant ausgeht, sondern auch unabhängig davon stellt sich die Frage, wie es sein kann, dass man ein rein selbsterdachtes Raumkonstrukt, dem keine empirische Erfahrung zugrunde liegt (nicht nur nicht die ideale Kenntnis des „Dings an sich“), anschließend in dem theoretischen Sinne erforscht haben WILL, den man vorausgesetzt hatte."

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  2. Das Zitat stammt allerdings aus der vorkritischen Phase Kants, als er nach seiner eigenen Bekundung noch im „dogmatischen Schlummer“ lag und den aus der aristotelischen Scholastik herrührenden metaphysischen oder transzendentalen Realismus vertrat, der die Gegenstände der Erfahrung und insbesondere den Träger allen Objekts, die Materie, als ansichseiend verstand.

    Dabei handelt es sich aber um Materialismus, der nur durch den Rückbezug auf Gott gebremst wird. Heute, wo dieser Rückbezug weitgehend weggefallen ist, schlägt der Materialismus voll durch.
    Materialist ist nach Schopenhauer jeder, der die subjektunabhängige (bewusstseinsunabhängige) Existenz der Materie behauptet. Dann ist die Materie das Ding an sich und Erklärungsprinzip für alles, wie es heute der Fall ist.

    Allerdings hat selbst Aristoteles irgendwo geschrieben, dass die Materie nicht ohne das denkende Subjekt existieren kann. Diese Stelle ist aber von den Scholastikern unterdrückt worden.

    Der Materialismus kann nach Schopenhauer nur durch den transzendentalen Idealismus Kants überwunden werden.

    Sie fragen weiter, woher Kant wissen könne, dass der ideale Raum nichts sei. Nun, er ist ja nicht nichts, sondern existiert immerhin als Möglichkeit der Erfahrung.

    Der Raum kann nicht weggedacht werden, ist also eine apriorische Vorstellung in uns, die selbst reine, erfahrungsunabhängige Geometrie möglich macht.

    Selbst im Schlaf produziert der Verstand fortwährend Traumwelten, in denen wir uns im Raum bewegen, obwohl wir im Schlaf doch gar keine Raumerfahrung haben können.

    Meinen Sie, dass es ausser der apriorischen Raumvorstellung in uns noch einen von dieser Vorstellung unabhängigen und damit absoluten Raum ausser uns gibt?

    Dann müsste Gott den Raum ja selbst dann denken, wenn er in keiner menschlichen Erfahrung benötigt wird.

    Da ist es doch naheliegender, dass er den Raum durch eine Zweitursache, nämlich den menschlichen Verstand (im transzendentalen Sinne) denken lässt und zwar nur dann, wenn dieser ihn auch zur Erfahrung benötigt.

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    1. Interessant!
      Kant spricht tatsächlich von "nichts".
      Kant sagt in der KrV:

      "Wir behaupten also die empirische Realität des Raumes (in Ansehung aller möglichen äußeren Erfahrung), ob zwar die transzendentale Idealität desselben, d.i. daß er nichts sei, so bald wir die Bedingung der Möglichkeit aller Erfahrung weglassen, und ihn als etwas, was den Dingen an sich selbst zum Grunde liegt, annehmen." (B44/A28)

      Ich bleibe dabei: Woher weiß er das?

      Es ist alltägliche Erfahrung, dass der Raum, den ich wahrnahm, nicht aufhört zu existieren, wenn ich sterbe. Er geht ja nicht mit mir weg in eine andere Dimension...So kann man weiterdenken: wenn alle Menschen sterben, hört der Raum, den sie zuvor wahrnehmen konnten, auf zu existieren, oder hört nur das wahrnehmende Subjekt auf zu existieren (in der bisherigen Form)? Oder muss man das dann leugnen und ein Weiterleben annehmen - aus logischen Gründen? Oder besteht der Raum idealiter nur deswegen, weil es die Möglichkeit, ihn wahrzunehmen, prinzipiell "dazu" gibt?

      Ich weiß nicht, ob es einen absoluten Raum außer uns gibt, aber ich kann es nicht ausschließen.

      Und die Traumwelt mag sich mir räumlich darstellen, während ich völlig still im Bett liege. Aber in welchem "Raum" war ich im Traum? Welcher Art von Raum? Der Traum-Raum selbst ist weder subjektiv noch itnersubjektiv "experimentell" erneut erfahrbar. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob er immer Raumerfahrungen iS der empirischen Raumerfahrungen bietet - oft ist ja gerade das nicht so ...

      Das berührt Ihre Anfangsbemerkung:
      Ist es nicht rein spekulativ, wenn man sagt, es könne Materie bzw einen materiell gedachten Raum nur in den Gedanken eines Subjektes geben? Noch dazu im Vorhinein? Also: nur weil ich es gerne hätte und mir vorstellen kann, muss es einen finsteren Weltenraum geben, in dem man später sogar fliegen kann - das stellt sich flugs gleich noch dazu ein?! Welche Räume haben wir uns schon vorgestellt, ohne je dorthin zu gelangen mit materiellen Reiseobjekten?!

      Und auch die Rede von der "Bedingung der Möglichkeit der Wahrnehmung" beschreibt genaugenommen eine Disposition, die idealiter angenommen wird, nicht "nur" empirisch. Was wäre demnach mit "der Bedingung der Bedingung der Möglichkeit"?

      Ich finde das alles recht schwierig und bringe das auf keinen glatten Nenner.

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  3. Die Erkenntnisse Kants widersprechen natürlich der Alltagserfahrung und dem Mainstream Realismus. Dennoch hat er unwiderlegbare Beweise geliefert, da die ganze Kritik der reinen Vernunft nicht aus Erfahrungsurteilen, die nur zu Hypothesen führen können, besteht, sondern aus synthetischen Urteilen a priori, die strenge Allgemeinheit und Notwendigkeit mit sich führen und daher apodiktisch gewiss sind. Er bezeichnet ja selber ausdrücklich z. B. die transzendentale Idealität des Raumes als apodiktische Gewissheit.
    Sein Projekt der Reform der Metaphysik bestand bekanntlich darin, die Metaphysik zur Wissenschaft zu machen, die nur wissenschaftliches Wissen enthält. Diesen Anspruch hat die Kritik der reinen Vernunft, die ja unter der Fragestellung „Was kann ich wissen?“ steht.

    Ein zusätzlicher Aspekt besteht darin, dass Kant bisher noch nie widerlegt, sondern von der Quantenphysik sogar bestätigt wurde, zu deren paradoxen Erkenntnissen es gehört, dass das Universum ohne einen Beobachter nicht zu existieren scheint.

    Heisenberg hat auf die Frage, wo denn die Dinge seien, wenn sie nicht beobachtet werden geantwortet: “In Potenzia.“
    Sein langjähriger Assistent Prof. Hans-Peter Dürr sagte einmal: “Ich habe mein ganzes Leben erforscht was die Materie ist. Das Ergebnis ist: Es gibt keine Materie.“

    Er meinte damit natürlich, dass die Materie nicht an sich existiert, sondern immer nur in der Vorstellung eines Beobachters.
    Die Materie subsistiert nicht, sondern inhäriert, d. h. geistigen Substanzen (Dingen an sich) ist die Möglichkeit sich zu materialisieren inhärent. Die Materie ist damit ein Annex des Geistes und nicht umgekehrt, wie die Materialisten behaupten, die statt Geist „Psyche“ sagen.

    Sie fragen schliesslich noch nach der Bedingung der Bedingung der Möglichkeit. Das ist das transzendentale Ideal, wie Kant Gott nennt. Gott ist die Bedingung der Möglichkeit alles Denkens und alles Gedachten, welches wiederum die Bedingung der Möglichkeit der Erscheinungen ist.

    Vor diesem Hintergrund relativiert sich auch die Frage, ob die Erde flach ist oder kugelförmig, denn erstens ist sie ja nur Erscheinung in der Vorstellung eines Beobachters und existiert nicht an sich und zweitens kann sie als Ganzes ohnehin nicht angeschaut werden und ist daher nur eine Idee.

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    1. Das Denkproblem, das ich oben andeutete, war, dass ich die empirische Wahrnehmung des Raumes nicht nur vom wahrnehmenden Subjekt abhängig machen kann, eben weil er weiter bestehen bleibt, wenn das wahrnehmende Subjekt stirbt. Das Argument war, dass aber doch dann andere, mit gleichen Potenzen versehene Menschen, die ihn in gleicher Weise wahrnehmen, weiterleben. Die Frage ist aber dann: Was ist, wenn alle Menschen sterben? Ist dann der Raum, in dem sie gelebt, geliebt, gezeugt und geboren haben, "als solcher" (ich entferne mich etwas von der kantischen Sprache) nicht mehr? Geht der Raum mir/uns voraus oder entsteht er erst mit mir/uns?
      Also anders gefragt: ist er dann nicht mehr bewohnt, der Raum oder erlischt er, wenn seine Bewohner erlöschen?
      Da er es nicht tut, wenn einer von ihnen verlöscht, kann ich schwerlich ohne gedankliche Probleme sagen, er täte es, wenn alle verlöschen.
      Und das ist dann auch die Frage nach der der Bedingung der Bedingung der Möglichkeit.
      Ich kann mir das nur so schlüssig erklären, dass es Gott ist, der diesen Raum denkt. Weil er ihn will, besteht er für die, die er gewollt hat und immer weiter will, nämlich die Menschen, die den Raum bewohnen. Der Raum muss aber nicht unendlich sein, nur weil der, der ihn denkt, unendlich ist. Warum soll der Unendliche nicht Endliches denken können WOLLEN?
      Kann man draus schließen, - ich bleibe nun in der religiösen Ebene - , dass es keine Materie an sich gibt, sondern nur in der Potenz dessen, der sie denkt und für das Geschöpf will?
      Wenn man die Schrift ernstnimmt, ist dort die Rede davon, dass Gott aus der Chaosmaterie, dem "t'hom" ("Urflut", "abyssus"), die Erde generiert.
      Aus der Erde ("adama") macht er Adam, den ersten Menschen. Zuvor aber schafft er den Raum der Erde! Insofern geht in dieser Erzählung dieser Raum dem wahrnehmenden Subjekt Mensch voraus, nicht aber dem Schöpfergott. Die materielle oder leibliche Komponente des Menschen wird so erklärt: aus dem Nichts der Un-Schöpfung schafft Gott. Diese Urflut brandet in den biblischen Erzählungen immer wieder über einzelne Orte, sowie einmal über die ganze Erde weg - macht also aus Schöpfung Un-Schöpfung. Es wird aber nicht so erzählt, als verschwände dann die Materie mit dem Willen Gottes zur Vernichtung, sondern so, als werde sie materiell transformiert. Sodom etwa wird versenkt durch Feuer und befindet sich ab da in einem Salzmeer, gewissermaßen einem Abgrund der Urflut. Und dieses Meer gibt es real, ist also nicht ein Bild für das Nichts.
      Über die Leiblichkeit besteht ein alter Streit: ob die Engel reine Geister seien oder feinstoffliche Geister und wie der Auferstehungsleib aussehe: "rein" geistig oder auch materiell, dann aber feinstofflich.
      Die Frage ist dabei aber nicht, ob es Materie an sich gibt, sondern die, ob man sie, wenn sie in der Potenz besteht, "weglassen" kann.
      Antwort gibt vielleicht der auferstandene Jesus, der mühelos durch eine verschlossene Tür geht, den Jüngern im Zimmer aber sagt, er habe Hunger (!) und sofort danach einen Fisch verspeist.
      Materie ist hier nicht "weg", sondern eher absolut geschmeidig und dem Geist insofern inhärent, als er jede geistige Bewegung in einer unendlichen mikrokosmischen Feinheit "vollstreckt".

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    2. Im Sündenfall scheint es - wenn man so denken will - um die Bedingungen der Möglichkeit zu gehen. Die Schlange stellt Eva vor Augen, es gebe das Böse (und das Gute) "an sich zu erkennen", ihr sei aber die Potenz dazu entweder verschlossen worden von Gott oder erst gar nicht "inhärent" gegeben. Das ist natürlich ein absurder Gedanke: Wie sollte folglich ich etwas erkennen können, was außerhalb meiner Potenz liegt? Oder wie sollte ich eine Potenz, die mir innewohnt, im intakten Zustand (vor dem Sündenfall) nicht aktivieren können? Entweder ich bin bereits nicht mehr intakt, in meinen Potenzen irgendwie beschädigt oder gelähmt, oder ich werde das, was außerhalb meiner Potenzialität liegt, nicht erkennen können.
      Es ist ziemlich perfide, was da erzählt wird: Eva wird zugleich zerstört in dieser Anrede der Schlange, maximal erniedrigt und mit dem Angebot einer Täuschung für das Wahre substituiert. Die Schlange verletzt die Intaktheit der Frau und bietet ihr anschließend ein "Heilmittel" an. Im grunde ist es ein Fluch, den die Schlange ausspricht, ein Bann: sie bannt Eva mit all den Potenzen, die Gott dem Menschen gegeben hat.
      Es heißt, die Augen seien den Menschen aufgegangen, aber sie erkannten nur ihre Nacktheit, also das, womit die Schlange Eva bereits zuvor angegriffen hatte, wurde nun durch das unverständige Ja des Menschen "real": die Zerstörung der intakten Gutheit, der Erkenntnisfähigkeit und Rezeptivität des Menschen. Eigentlich wurde der Mensch zur Selbstverneinung verführt und zieht das bis heute unbeirrt durch, meinend, er gewinne dadurch etwas.
      Warum bringe ich das nun?
      Weil in dieser Erzählung ja diese Bedingung der Möglichkeit zumindest teilweise dekonstruiert wurde und wird.
      Man müsste an dieser Stelle also zumindest im christlichen Kontext vorsichtig sein und damit rechnen, dass diese "reine Vernunft" mit ihren Grenzen bereits eine Folge der Sünde ist, die Potenzen im Menschen lähmt oder deaktiviert hat und den Blick verstellt für die gesamte und ursprüngliche Potenzialität des Menschen.
      Durch die Taufe wird der Mensch eine neue Schöpfung, erhält also Potenzen zurück, die er vorher nicht hatte. Mit Kant kommt man an dieser Stelle dann nicht mehr weiter.

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  4. Die Lichtintensität nimmt mit dem Quadrat ihrer Entfernung ab. Von daher ist es also natürlich nicht überall hell..

    Interessant ist mir, daß ich immer eine Abneigung gegen das Runde hatte. Da scheint irgendetwas Grundlegendes zu sein.

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    1. ...das dürfte ein Fehlschluss sein. Olbers formulierte das so: "„... Sind wirklich im ganzen unendlichen Raum Sonnen vorhanden, sie mögen nun in ungefähr gleichen Abständen von einander, oder in Milchstrassen-Systeme vertheilt sein, so wird ihre Menge unendlich, und da müsste der ganze Himmel eben so hell sein wie die Sonne. Denn jede Linie, die ich mir von unserem Auge gezogen denken kann, wird nothwendig auf irgend einen Fixstern treffen, und also müsste uns jeder Punkt am Himmel Fixsternlicht, also Sonnenlicht zusenden..." Auf Wikipedia wird das so erklärt:
      "Um das Paradoxon besser zu veranschaulichen, kann man sich die Erde in der Mitte einer Ebene vorstellen. Wäre das Universum in etwa überall gleich aufgebaut und unbegrenzt groß, so sähe der Beobachter innerhalb des Abstands r (vergleichbar mit einer Horizontlinie) alle Sterne innerhalb dieses Radius. Dabei nimmt die scheinbare Größe des Himmelskörpers proportional zur Entfernung vom Betrachter ab. Erhöht man diese Sichtlinie um x (r + x), so nimmt die Zahl der Sterne darin quadratisch, also um x² zu, wobei allerdings die sich darin befindlichen Sterne um die Wurzel von x kleiner wirken. Vergleicht man die "Gesamthelligkeit" der beiden Radien, stellt man fest, dass beide einander entsprechen. Dies bedeutet, dass unabhängig davon, wie weit ein Beobachter auch blicken mag, die kollektive Anzahl an sichtbaren Sternen am Horizont direkt proportional zum Abstand zunehmen würde. Geht man nun auch davon aus, dass das Universum unbegrenzt groß ist und das Licht unbegrenzt Zeit hätte, uns zu erreichen, so würde dies bedeuten, dass es auf der Erde niemals dunkel werden könnte."

      Lichtstrahlen nehmen allerdings "nicht ab" - sie gehen unbegrenzt weiter. Das meint Olbers. Es bei ihm geht darum, dass das Licht "Zeit" hat, sich unbegrenzt auszubreiten. Mit Ihrem Argument dagegen wäre auch die Behauptung der Astrophysik, wir sähen Sternenlicht von Sternen, die schon längst untergegangen seien, weil deren Licht Zeit bräuchte um zu uns zu gelangen, hinfällig. Nun ist letztere Behauptung insofern fragwürdig, als es seltsam erscheint, dass gewissermaßen ein gebündeltes Sternenlicht nach Millionen jahren bei uns ankommen soll und sich nicht im Raum ausgebreitet haben soll, aber das ist eine andere Frage. nach den gesetzen des menschlichen Auges können wir so weit entfernte Obh´jekte nämlich grundsätzlich NIE sehen. Aber wie gesagt. Das ist eine andere Frage.
      Jochen Kirchhoff schreibt ztur Lichtfrage einiges, mal googlen... es ist jedenfalls tatsächlich die Frage, wieso es im rahmen des gedachten Kosmos dunkel ist, zumal es auch eine Frage ist, was passiert, wenn Lichtstrahlen auf Lichtstrahlen treffen - dunkler wird es dann jedenfalls nicht.

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  5. So viele Fragen, die Sie stellen. Man müsste ja allwissend sein, um diese beantworten zu können. Ich will es in der gebotenen Kürze dennoch versuchen.

    Zunächst meinen Sie, dass man die empirische Wahrnehmung des Raumes nicht nur vom wahrnehmenden Subjekt abhängig machen kann, weil der Raum ja bestehen bleibe, wenn das wahrnehmende Subjekt „stirbt“.
    Ja er bleibt bestehen, aber nur in der Vorstellung der noch übrigen „lebenden“ Subjekte.
    Ob wir die Raum- und Zeitvorstellung „mitnehmen“, wenn wir vom Körper getrennt sind weiss ich nicht, glaube es aber nicht.

    Was ist, wenn alle Menschen sterben?
    Dann gibt es niemanden mehr, der noch eine Raum- und Zeitvorstellung hat, sodass deren empirische Realität aufgehoben ist.
    Dass Sie sich so an den Raum klammern, zeigt doch, dass er eine notwendige Vorstellung in uns ist, die wir nicht wegdenken können, weil dann keine äussere Erfahrung mehr möglich wäre. Genauso können wir die Zeit nicht wegdenken, weil dann zusätzlich zur äusseren Erfahrung auch keine innere Erfahrung mehr möglich wäre. Und doch ist dies die Definition der Ewigkeit: Nicht unendlich viel Zeit, sondern keine Zeit. Was ist also die Ewigkeit? Für uns alles Begreifen übersteigend, weil wir (noch) an die uns innewohnenden Vorstellungsformen Raum und Zeit gebunden sind.

    Gott sei es, der den Raum denkt.
    Gott denkt nicht den Raum, er ermöglicht aber das Denken des Menschen, dessen transzendentaler Verstand Raum und Zeit denkt. Hier ist es zum Verständnis aber äusserst wichtig zu wissen, dass das Denken des transzendentalen Verstandes im Gegensatz zum Denken des empirischen Verstandes niemals Gegenstand der Erfahrung sein, uns also niemals bewusst werden kann. Das Denken des transzendentalen Verstandes vollzieht sich vielmehr für uns völlig unbewusst.

    Der Raum müsse nicht unendlich sein.
    Lesen Sie in der Kritik der reinen Vernunft die erste Antinomie (System der kosmologischen Ideen). Hier legt Kant dar, dass die These der Raum sei endlich und die Antithese der Raum sei unendlich beide falsch sind. Sie werden sehen, dass er die von Ihnen zitierten Ausführungen aus seiner vorkritischen Zeit verworfen hat.
    Besonders wichtig ist aber die dritte Antinomie (Freiheitsantinomie). Hier hat Kant den Grundstein für seine Moralphilosophie gelegt, mit der man dann auch angesichts der Taufe sehr wohl weiterkommt. Aber das ist ein anderes Thema.

    Der Raum sei von Gott schon vor dem ersten Menschen erschaffen worden.
    Die Schöpfungsgeschichte der Genesis ist aus der Perspektive des Menschen erzählt.
    Ein menschlicher Beobachter mit Raum- und Zeitvorstellung hätte an den Schöpfungstagen genau die Ereignisse wahrgenommen, die in der Genesis geschildert werden.

    Die Schöpfungsgeschichte aus der Perspektive Gottes ist im Prolog des Johannesevangeliums enthalten.

    Ob die Engel reine Geister sind oder feinstoffliche Geister weiss ich nicht. Man sagt ja immer sie seien reine Geister. Sicher haben Sie aber die Fähigkeit zur feinstofflichen Materialisierung.

    Der Auferstehungsleib ist ein verklärter, durchscheinender Leib, so wie wohl die Paradiesmaterie ursprünglich beschaffen war. Dass die Materie heute so objektivistisch verhärtet und der Verstand verdunkelt ist, ist eine Sündenfolge.

    Ich möchte an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen, dass ich mit Ihren subtilen theologischen Untersuchungen weitgehend übereinstimme. Besonders die Entlarvung des Faustina-Kultes war grosse Klasse.
    Auch die St. Ambrogio/Kleuthgen Saga haben Sie sehr gut aufbereitet.

    Mit dem Kant der drei Kritiken sollten Sie sich vielleicht noch näher befassen.

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    1. Ja, Herr Professor Anonymus, ich frage viel. Das kommt von selber, was soll ich machen? Auch Sie sind genau genommen einer, der im besten Falle fragend antworten kann und nicht den Doktor Allwissend geben muss. Jede Antwort kommt von der Frage, auf die sie gegeben wird, in diesem Äon nie ganz los - wie sollte man da von den Sachen selbst her je aufhören können zu fragen?

      Die Antinomien:
      Ich habe es gelesen, und es stimmt natürlich, dass Kant hier seine alte Behauptung im Rahmen einer der reinen Vernunft unlösbaren Antithetik positioniert.
      Die Frage nach den Paradoxien des Unendlichen habe ich neulich in einem Theaterstück von Horst Koch "DER AUSDEHNUNGSLOSE HERZSCHLAG DER DINGE UND EIN GOTT, DER NICHT ZÄHLEN KANN" (http://horstkoch.com/buecher/) verarbeitet gesehen und gehört.

      Wir denken das Unendliche vom Infiniten her, vom Unvollendeten, von Reihen oder dem Aufbau aller "Quanten" hinter- oder nebeneinander. Wir zählen sie gewissermaßen durch, um einen Begriff des Unendlichen zu entwickeln.
      Wenn man aber das Unendliche im Sinne des Ewigen versteht, das wir als vollkommen eins und nicht gequantelt betrachten, ist das nicht aus Reihen oder Modi von endlichen Gegenständen aus herzuleiten, die wir einfach ins Endlose fortsetzen.

      Sie haben recht: für den Kant der drei Kritiken bin ich keine Spezialistin. Halten Sie mir zugute, dass ich dem vorkritischen Kant immerhin mit einem gewissen Unbehagen widersprochen habe...
      Das macht sich nicht mal eben, ein solches Kant-Sachverständigentum, kenne Leute, die lebenslang daran arbeiten, ich hatte sogar einen solchen Dozenten, einen Kantspezialisten, aber damals konnte er mich dafür noch nicht begeistern. Das ist lange her und nicht mehr relevant.

      Ihren Gedanken, dass Genesis 1 aus der Sicht des Menschen geschrieben sei, verstehe ich bis auf die ersten Verse. Alles, was das Tohuwabohu und die Urflut betrifft, finde ich sehr schwer verständlich (im Rahmen eines Raumes gedacht). Es ist wohl die Schwierigkeit, dass man genau das eben nicht vorstellen kann... oder nicht mehr (durch die Sünde). Die einander widersprechenden Reime der Philosophen auf diese wenigen Sätze, etwa im Neuplatonismus oder auch in dualistischen ("manichäischen") Modellen zeugen davon, wie schwer das „einzuordnen“ ist.

      Warum ich mich am Raum "festklammere" - ganz einfach an der Stelle: weil es darum bei der kosmologischen Debatte, mit der ich mich befasse, primär geht.

      Man kann mit Gewissheit sagen, dass die Verbissenheit, mit der postmoderne Profi- und v.a. Hobby-Physiker auf der absoluten "Bewiesenheit" ihres Modells beharren, den Charakter einer großen Dummheit hat, und mit Kant jedenfalls nicht zu begründen wäre, aber auch nicht mit der Schrift.

      Immerhin aber hat Kant doch eine leichte Schlagseite hin zu denjenigen, die sagen, der Raum sei begrenzt und "hinter" dem begrenzten Raum müsse ja nicht zwingend ein absoluter Raum angenommen werden. Er betont, dass er mit den Philosophen aus dieser Schule ja im Prinzip ganz zufrieden sei. (Und dieser Ansatz wäre am ehesten auch der meine, den er da referiert). Er zeigt aber auf, dass Raum als Form der sinnlichen Wahrnehmung nicht begrenzt gedacht werden kann.
      Das Schlussargument (B461) mit dem "Ausweg" habe ich allerdings nicht wirklich verstanden. Meint er damit, dass man, wenn man, - will man den Raum der sinnlichen Phänomene durch einen leeren oder anderswie intelligiblen Raum begrenzt sehen - , den unendlichen Raum gewissermaßen in zwei getrennte Raum-Sphären trennt, von denen die eine die andere umschließt, sich im Grunde genommen etwas vormacht und in Wahrheit doch nur eben diesen einen unendlichen Raum vorstellt?

      Das mit der Freiheit und der Kausalität - Sie deuten da an, wie man damit eine christliche Moralphilosophie begründen könne, die auch jenseits der Taufe greift.
      Sie machen es spannend...

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  6. Verzeihen Sie, ich war bei meiner Fundstellenangabe äusserst unpräzise. Das kommt davon, wenn man Fundstellen aus dem Gedächtnis angibt.
    Entscheidend zum Verständnis sind nicht nur These und Antithese mit jeweiligen Beweisen und Anmerkungen, sondern auch die Kapitel mit den Überschriften „Der transzendentale Idealism als der Schlüssel zur Auflösung der kosmologischen Dialektik“ und „Kritische Entscheidung des kosmologischen Streits der Vernunft mit sich selbst“ (A490/B518 – A507/B535).
    Dort wird aufgezeigt, dass These und Antithese, obwohl deren Beweisführungen jeweils zwingend sind, beide falsch sind, weil beide von einer falschen Voraussetzung ausgehen, nämlich, dass der Raum an sich selbst existiert, also ein Ding an sich ist.
    Da der Raum aber nur eine Anschauungsform des Subjekts ist, es den Raum an sich also gar nicht gibt, ist er weder endlich noch unendlich. Gleiches gilt für die Welt als Inbegriff der Erscheinungen, deren transzendentale Idealität Kant in dem letzteren Kapitel noch einmal feststellt.
    Der Widerstreit der Vernunft mit sich selbst ist darin begründet, dass die Vernunft über die Grenzen der Erfahrung hinausgeht und über Dinge, die nicht Gegenstand der Erfahrung sein können, Aussagen in einer Absolutheit treffen will und sich sodann in Widersprüche verwickelt.
    Das mit dem „Ausweg“ ist nur unter der Voraussetzung relevant, dass man den Raum als endlich ansieht und daher eine Weltgrenze in Form eines leeren Raumes annehmen muss. Als Ausweg davon bleibt nur, die Annahme einer intelligiblen, also rein geistigen Welt. Tatsächlich müsse man aber von einer Sinnenwelt ausgehen meint Kant, der, wenn er nicht wüsste dass These und Antithese beide falsch sind, sich der Beweisführung der Leibnizschule, welche die These vertrat, dass die Welt einen Anfang in der Zeit hat und dem Raum nach in Grenzen eingeschlossen ist, anschliessen würde.
    Das steht wieder im Gegensatz zu der von Ihnen zitierten Aussage Kants, wonach ein unendlicher Gott nur einen unendlichen Raum denken könne.
    Dieser Gedanke ist aber dennoch durchaus richtig, zumal er ja dann in seinem endgültigen Entwurf zu dem Ergebnis kommt, dass nicht Gott, sondern der transzendentale Verstand des Menschen den Raum und die Sinnendinge als Erscheinungen denkt, andernfalls wir ja bereits jetzt in einer Absolutheit, Unendlichkeit und Vollkommenheit leben würden.
    Bevor wird aber dahin gelangen, müssen wir uns erst moralisch bewähren. Für Kant ist dieses Leben ausschliesslich eine moralische Bewährungsprobe, um würdig zu werden, zum eigentlichen Leben und zur eigentlichen Welt der Dinge an sich zugelassen zu werden.
    Dazu müssen wir uns kraft der Freiheit für das Gute entscheiden. Absoluter Masstab zur Unterscheidung von Gut und Böse ist der kategorische Imperativ, die abstrakte Form des Moralgesetzes. Das Moralgesetz ist das einzige Absolutum (Ding an sich), dass der Mensch kraft der Freiheit durch die Vernunft im Sinne eines Vernunftwissens erkennen kann. Freiheit und Sittlichkeit stehen in Wechselwirkung. Die Freiheit ist die Bedingung der Möglichkeit der Sittlichkeit und Sittlichkeit ist Bedingung der Möglichkeit der Freiheit. Im Prinzip sind Freiheit und Sittlichkeit ein- und dasselbe.
    Jedem Menschen ist das Moralgesetz immanent. Deswegen ist er aber noch kein moralischer Mensch. Es kommt wie gesagt auf die Entscheidung für das Gute an, dass der Mensch das Moralgesetz in seine oberste Maxime aufnimmt.
    Alles weitere in der Kritik der praktischen Vernunft, der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten und der Religion innerhalb der Grenzen der blossen Vernunft.
    Meiner Meinung nach ist das schon die christliche Moralphilosophie, nur nicht nach den Vorgaben der Theologie gemodelt, sondern durch sich selbst zu ihren Ergebnissen kommend.

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    1. Vielen Dank für diese ausführliche und interessante Antwort. Was den Ausgangspunkt meiner Artikel betrifft, nämlich den Streit um die Gestalt des Kosmos, sagt Kant an der von Ihnen angegebenen Stelle auch etwas, das uns Antwort gibt hinsichtlich der Beziehung zwischen bloßem Vorstellen VOR der empirischen Erfahrung aufgrund der Bewusstseinsstrukturen und hinführender empirischer Vorerfahrungen:
      "Daß es Einwohner im Monde geben könne, ob sie gleich kein Mensch jemals wahrgenommen hat, muß allerdings eingeräumet werden, aber es bedeutet nur so viel: daß wir in dem möglichen Fortschritt der Erfahrung auf sie treffen könnten; denn alles ist wirklich, was mit einer Wahrnehmung nach Gesetzen des empirischen Fortgangs in einem Kontext stehet. Sie sind also alsdenn wirklich, wenn sie mit meinem wirklichen Bewusstsein in einem empirischen Zusammenhange stehen, ob sie gleich darum nicht an sich, d.i. außer diesem Fortschritt der Erfahrung wirklich sind." (A 493/B521)
      Das heißt also: Aufgrund unserer Bewusstseinsstruktur, die so angelegt ist, dass wir alles im Raum wahrnehmen, kann man sich ausdenken, dass der Mond im Raum so und so weit weg ist und darauf dies und das sich befinden könnte. Dort gewesen ist allerdings noch keiner (wie ich glaube!), es geht um die Möglichkeit einer empirischen Erfahrung als Möglichkeit. Sie kann sich mit der zunehmenden Erfahrung als wirklich oder eben nicht wirklich erweisen. Und man kann selbstverständlich über (angeblich) dem Bewusstsein Wahrnehmbares und Wirkliches auch belogen werden.
      Was die Unendlichkeit des Raumes betrifft, sehe ich das Problem, dass der Mensch über das Vehikel des Unendlichkeitsbegriffes sich aus seiner Endlichkeit mogeln will:
      Man schachtelt per definitionem unzählbar viele, nicht enden wollende Endlichkeiten aneinander und sagt: das ist die Unendlichkeit und bildet sich ein, man befinde sich damit in der Dimension Gottes. Ewigkeit ist aber nicht vom Endlichen her denkbar, also nicht vom Raum und nicht von der Zeit als der zwingenden Vorstellungsform unseres Bewusstseins her.
      Beim Schluss, es müsse sich da draußen ein unendlicher Weltraum befinden, wird wohl der Fehler begangen, die prinzipielle Unendlichkeit des Raumes insofern, als er aus unendlich vielen Raumquanten zusammengesetzt gedacht wird, mit einem Raum an sich da draußen zu verwechseln, der sich jedoch so oder so nach einer gewissen Strecke tatsächlich und wie es bis jetzt aussieht für immer unserer einigermaßen sicheren empirischen Erfahrung entzieht. Und selbst wenn es ihn gäbe, würde er uns dann nichts aussagen können über die Sphäre Gottes. Und zwar prinzipiell nicht.
      Ich habe dann allerdings ein Problem mit dem, was uns die Schrift darüber sagt. Da kommt ja noch ein Text III.
      Was die freie Willensentscheidung für das Gute betrifft, habe ich ebenfalls ein paar Probleme mit der Lehre, denn offenbar sagt sie uns doch, dass wir ohne die Selbstoffenbarung Gottes nicht in der Lage sind, dieses Gute in einer angemessenen Zeit zu erreichen. Im übrigen wäre dann zu fragen, ob das nicht andere Menschen, die keine Christen sind, nicht genauso gut erreichen. Dem widerspricht aber die lehre insofern, als Jesus Christus nach seiner tradierten Selbstaussage Weg, Wahrheit und Leben ist und niemand zum Vater kommt außer durch ihn, d.h. durch sein Opfer zur Tilgung unserer Sünden. Es ist mir schwer vorstellbar, einfach nur diesem immanenten Moralgesetz zu folgen und von Christus nichts zu wissen und seiner Tat für uns - wie kriegen Sie das bei Kant unter?

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    2. Wenn unsere Bewusstseinsgrenze darin besteht, dass wir uns alles räumlich und zeitlich vorstellen müssen und hinter diese Bewusstseinsstruktur nicht „schauen“ können, dann ist das Problem daran, dass man sich beide Formen nicht endlich vorstellen kann, solange man eben anschaut — andernfalls wäre man nicht.

      Die „unendliche“ Illusion von Raum und Zeit erzeugt in uns aber den Eindruck, doch nicht endlich zu denken. Alles bewegt sich auf grenzenlosen Geraden oder Strahlen oder gekrümmten Linien ins Unendliche. Ob wir diese Unendlichkeit mit eigenen Hirngespinsten bevölkern, auch wenn wir sie empirisch ja definitiv nie erfahren werden oder gleich sagen, das sei das Nirvana, in dem wir uns bestenfalls auflösen dürfen, ist nahezu gleich. Letzteres ist ehrlicher, ersteres phantasievoller und kreativer.

      Man versteht, warum Paulus die Philosophie sehr kritisch ansah: „Seht zu, dass nicht jemand sei, der euch als Beute wegführe durch die Philosophie und durch eitlen Betrug, nach der Überlieferung der Menschen, nach den Elementen der Welt, und nicht nach Christus.“ (Kol 2,8)
      Was heißt das?
      Durch noch so viel Nachdenken innerhalb der eigenen Begrenztheit tut man doch immer nur eines: man leitet den Zugang zum Göttlichen vom Menschen her. Sie werden sagen: Aber das tut doch Kant gerade nicht. Wenn man aber die letzten Sätze Ihres Kommentars liest, tun Sie das ja letztendlich iS Kants eben doch. Meine Frage, wozu man dann noch Jesum Christum als eine Größe im eigenen bewussten Bewusstsein brauche, werden Sie so nur ganz schwer beantworten können. Der Mensch ist sozusagen schon göttlich vorstrukturiert und muss diese Struktur nur fruchtbar machen — das ist sein einsamer Part, zu dem er einsam fähig ist. Der Begriff der Sünde ist bei Kant doch schwerlich erklärbar, eben weil er die menschliche Bewusstseinsstruktur als unerschüttert gegeben ansieht.

      Der christliche Glaube aber sagt doch, diese Struktur sei in markanter und triftiger Weise erschüttert und verwundet bzw geschwächt worden.

      Die Weisheit Gottes, die dem Menschen im Hl. Geist (und nur in ihm!!!) zuteil werden kann durch die Erlösung in Christo, lässt sich zwar in der verwundeten Struktur nieder, aber sie lässt erahnen, wie sie wieder heil sein wird. Der Glaube lebt noch nicht im Schauen, sondern in der Hoffung auf diese erfüllte Anschauung, die nicht in den grenzen stattfinden können wird, andernfalls wäre sie ja nichts anderes als das woraus man sich erlöst zu werden (oder schon zu sein) hofft.

      „…weil ja sowohl Juden Zeichen fordern, als auch Griechen Weisheit suchen; wir aber predigen Christus als gekreuzigt, den Juden ein Ärgernis, und den Nationen eine Torheit…“(1. Kor 1,22f)

      Worauf also menschliche Weisheit aus der menschlichen Bewusstseinsstruktur kommt, kann nicht zu der Anschauung Gottes führen, die auf uns wartet. Sie werden mir sagen: Ja, aber genau das will Kant aber doch sagen!
      Aber ich frage, wie es dann kommt, dass fast kein Kantianer ein gläubiger Christ ist, sondern ihnen allen die tiefe Skepsis innewohnt gegenüber dem Wort (Logos), eben weil sie vor lauter Kantischer Begrenztheit nicht mehr die Zeit für das verschwenden wollen, was außerhalb der ehrgeizigen Proklamation der Selbstbegrenztheit liegt, die man mit Zähnen und Klauen verteidigt, als wäre es ein Verlust, wenn Gott uns eben etwas offenbaren würde, das unsere Begrenztheit überschreitet.

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  7. Kant ist sich natürlich über das radikale Böse in der menschlichen Natur voll bewusst. Gerade am Anfang seiner Religionsschrift beschäftigt er sich Kapitel über Kapitel damit.
    Gleichwohl ist es geoffenbarte Wahrheit, dass Gott das Moralgesetz in jeden Menschen eingeschrieben hat, sonst könnte der Mensch ja gar nicht zwischen gut und böse unterscheiden und hätte kein Gewissen.
    Der Mensch ist ja geschaffen nach Gottes Ebenbild. Das Ebenbild des Vaters ist der Sohn. Dieser ist nach Kant die personifizierte Idee des Guten und das Urbild der Menschheit.
    Gut ist, was mit dem Moralgesetz übereinstimmt. Man kann also sagen, dass der Sohn das personifizierte Moralgesetz ist, das in jedem Menschen präsent ist. Jesus sagt ja selbst, Sie haben es ja angeführt, „Ich bin der Weg“, d. h. Ich bin das Gesetz.
    Durch die Taufe wird uns die Gesinnung des Sohnes, des Gott wohlgefälligen Menschen, eingegossen.
    Wer dem immanenten Moralgesetz zustimmt, dieses bejaht, hat guten Willen. Der gute Wille ist bei Kant das summum bonum, das höchste Gut. Nichts in der Welt ist ohne Einschränkung gut, als nur der gute Wille.
    Die Menschen guten Willens sind die zum Heil Prädestinierten.
    Woher kommt aber der gute Wille? Diese Frage scheint mir mit dem Charakter des Menschen zusammenzuhängen. Woher kommt der Charakter? Zwei Kinder legen bei völlig gleicher Erziehung den unterschiedlichsten Charakter an den Tag.
    Der böse Charakter offenbart sich mitunter schon bei Kleinkindern. Woher kommt also der böse Charakter? Meine Antwort: Durch Selbstsetzung des Willens in einer präexistentiellen Phase.
    Das würde bedeuten, dass jeder Mensch, bevor er in diese Welt eintritt, schon eine freie Entscheidung für oder gegen Gott getroffen hat.
    Was halten Sie davon? Der Unterschied zu Augustinus Prädestinationslehre besteht nur darin, dass es nicht Gott ist, der die Menschen vorherbestimmt, sondern die freie Willensentscheidung des Menschen.

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    1. Ich glaube, dass die Gleichsetzung des "Logos" mit der "personifizierten Idee des Guten" möglicherweise nicht hinhaut.

      Ja, Paulus sagt, Gott habe sein Gesetz in die Herzen der Heiden eingeschrieben (Röm 2, 14 ff).
      Andererseits sagt er: "Animalis autem homo non percipit ea quæ sunt Spiritus Dei : stultitia enim est illi, et non potest intelligere : quia spiritualiter examinatur." (2. Kor 2, 13)

      - Der natürliche (psychische) Mensch nimmt nichts wahr von den Dingen, die aus dem Geist Gottes Gottes kommen : Torheit sind ihm jene, und er kann sie nicht erkennen : denn sie können nur geistlich erforscht werden.

      Auch Johannes äußert sich ähnlich darüber: "Spiritum veritatis, quem mundus non potest accipere, quia non videt eum, nec scit eum : vos autem cognoscetis eum, quia apud vos manebit, et in vobis erit." (Joh 14, 17)

      - Den Geist der Wahrheit, den kann die Welt nicht empfangen, da sie ihn ja nicht sieht noch von ihm weiß : ihr aber erkennt ihn, weil er bei euch sein und bleiben wird.

      Das ist doch etwas anderes: Was der natürliche Mensch, den Kant treffend beschreibt, erkennt, ist nicht der Logos! Es ist das Gesetz - und das ist nach der Schrift etwas anderes. Der natürliche Mensch erkennt das Gesetz auch ohne direkte Sinai-Erfahrung und kennt aus seinem Gewissen das Gericht vor sich selber.

      Das ist aber nicht identisch mit dem Logos, dem Geist der Wahrheit in Christus. Der große Gott ist mehr als das Gesetz, und der Sohn ist die personifizierte Überschreitung des Gesetzes, weil er die personifizierte Liebe Gottes ist und nicht (oder nur nachrangig) die personifizierte Torah. Das deutet diese eigentümliche Stelle ab Gal 3, 19. Dieses natürliche Wissen um das Gute kann demnach "nicht lebendig machen"...
      Der gute Wille kommt von Gott. Er wirkt nach der Schrift in uns das gute Wollen: "Deus est enim, qui operatur in vobis et velle, et perficere pro bona voluntate." (Philipper 2, 13)

      - Denn Gott ist es, der in euch sowohl das Wollen als auch das Vollbringen schafft, für einen (wirklich) guten Willen.

      Da ist also eine Diskrepanz zwischen dem maximal möglichen natürlichen Wissen und Wollen zum Guten und dem geistlichen Wissen und Wollen über das natürliche Wollen hinaus.
      Geht Kant damit um?
      Sehr gut ist bei ihm die Rehabilitation des freien Willens - aber seine Unfähigkeit zu sehen, dass da ein Überhang an Wollen nötig ist, um wirklich das Gute zu wollen und eben nicht nur zu wollen, sondern auch zu tun, das hat er irgendwie unterschätzt. Paulus spricht davon, dass er das Gute, das er tun will, nicht zu tun vermag (Röm 7, 19). Dieser Überhang ist Gnade, aber nur für die, die es mit aller natürlichen Kraft wollen. Was sie empfangen, ist nicht mehr nur natürlich, sondern geistlich. Der Wille erhält eine neue Qualität. Und diese neue Qualität überschreitet das Gesetz bereits. Deswegen müssen ja die Christen auch die Torah nicht mehr halten - sie werden "im Geist und in der Wahrheit" anbeten und Gutes wollen und handeln - aus Liebe zu Gott. Ein Christ wird nur im unreifen Zustand hingehen und ausdrücklich Gutes tun wollen. Reift er, weiß seine Rechte nicht, was die Linke tat (Jesus: "Wenn du Almosen gibst, soll deine linke Hand nicht wissen, was deine rechte tut." (Mt 6, 3))Und beim Gericht wissen die Gerechten nicht, was sie dem Herrn an Gutem getan haben und wundern sich, wenn er es ihnen aufzählt. Das Gutsein als Wesensmerkmal Gottes ist ihnen selbst zum Wesen geworden. In der Naturverfassung unter Sünde war das so nicht gegeben, sondern eher als eine Sehnsucht und insofern ist auch nur der gute Wille ein absolutes Bonum - das Vollbringen kann es aber natürlicherweise nicht, es sei denn mit Gottes Kraft und Hilfe, über die wir aber kein volles Bewusstsein haben in diesem Äon (!) - daher wundern sich die Guten über ihre Gutheit am Ende.

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    2. Zum präexistentiellen Wollen, einer Entscheidung für oder gegen Gott vor der Zeugung: Das denke ich nicht. Schlechter Charakter - woher kommt er? Oft hat man ja den Eindruck, er zieht sich durch ganze Familien. Die Tochter so bösartig und hinterhältig wie die Mutter und der Sohn so halsabschneiderisch und grausam wie der Vater etc. Aber oft auch das Gegenteil - was soll man da sagen?
      Das berührt die berühmte Anlage-Umwelt-Diskussion: ist es "vererbt" oder von außen erworben (oder gar bewusst selbst gewählt!)? Die Frage treibt auch diejenigen um, die an ein Karma glauben.
      Ich glaube all das nicht.
      Ich kann mich wohl schwerlich schon vor meiner Zeugung für oder gegen Gott entschieden haben, wenn ich davon nach meiner Zeugung nichts mehr wissen kann... das wäre ja furchtbar und geradezu calvinistisch gedacht, eine Qual für all jene, die das Pech haben, in ungünstigere Verhältnisse geboren zu werden. Nein, das passt nicht zu Gott!
      Dennoch haben Sie ja recht: es gibt Menschen, die offen sind und welche, die wie ein steinerner Boden wirken.
      Die Schrift beschreibt das im "vierfachen Ackerfeld", auf den das Wort fällt u.ä.
      All die Könige, die tun, "was dem Herrn missfiel" und die wenigen, die tun, "was dem Herrn wohlgefiel"...
      Unser Charakter stellt uns so manches Bein und kann uns plagen, aber er ist nicht aufgrund einer Vorentscheidung unser Los, sondern er ist uns aufgrund der verwundeten Verfasstheit des Menschen durch die Sünde auferlegt. Und der scheinbar so Gute hat seine Schwachpunkte so oft verborgen - auch ihm selbst - woanders. Die zahlreichen Erzählungen in den Evangelien über die scheinbar Guten, die so oft als Heuchler entlarvt werden, auch die völlige Unabsehbarkeit, wie sich ein Mensch in seiner Lebensspanne wenden wird (extrem beim Schächer am Kreuz, der gerade noch gelästert, plötzlich eine Wendung vollzieht und Jesus bittet, an ihn zu denken, wenn er im Paradies ist).
      Die nach außen hin sichtbare "Moralität", oft der stolze Versuch, sich die Gottwohlgefälligkeit selbst zu schaffen, sagt also leider nichts aus über die geistliche Verfassung des Menschen, wenngleich sie auch nicht verachtet werden soll (Beispiel: der reiche Jüngling).
      Umkehr ist jederzeit möglich, selbst kurz vor dem Ende, und sie ist nicht absehbar und hängt nicht damit zusammen, welchen Charakter wir haben.
      Die Sünden des König David waren Legion, und doch war er ein "Mann nach dem herzen Gottes", weil er um seine Sünde wusste und unter ihr litt und dabei auf Gott hoffte.

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  8. Der Charakter kann wohl Ursache der Sünde sein, aber die Sünde doch nicht Ursache des Charakters. Wenn Sie mit „Sünde“ die Erbsünde meinen, so bedeutet diese doch den Verlust der übernatürlichen Gnade, während der Charakter zu den natürlichen Eigenschaften des Menschen gehört. Nein, die Erbsünde hat mit dem Charakter eines Menschen nichts zu tun.
    Ausserdem macht man intuitiv den Menschen für seinen Charakter selbst verantwortlich.
    „Hast du aber einen miesen Charakter“ lautet ein entsprechender Vorwurf.
    Der Charakter kann nicht aus der Erfahrung stammen, weil er sich schon bei Kleinkindern zeigt. Der Charakter ist also angeboren. Woher stammt dann aber der böse Charakter? Von Gott? Wohl kaum. Ich bleibe dabei: Durch Selbstsetzung des Willens in der Präexistenz.

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