Samstag, 6. Mai 2017

"Überschätzte Dogmen"? - eine Antwort an Dr. Heinz-Lothar Barth



"Überschätzte" Dogmen?
Von der Sophistik, die Dogmen, die man einst um jeden Preis definieren musste, in Dogmentreue inhaltlich zu marginalisieren trachtet
Eine Antwort an Dr. Heinz-Lothar Barth

Dass das Vaticanum I nicht nur bei den Zeitgenossen damals den Eindruck einer unsauberen Schmierenkomödie aufkommen ließ, von den hellsten Köpfen als ein Konzil des Traditionsbruches erlebt wurde und bis heute umstritten ist, erlebt anhand des derzeitigen Pontifikats eine Neuauflage der Überlegungen und Zweifel am Vaticanum I, die seit 1870 nie verstummt sind.
Wir haben seit 1870 schon viele glühende Apologeten der Papstdogmen erlebt. Aber seltsamerweise beweist uns ein großer Teil derselben in immer neuen Pirouetten, dass v.a. das Unfehlbarkeitsdogma eigentlich irrelevant sei. Das zweite Dogma vom Universalprimat wird ausgeblendet, es scheint den meisten Katholiken nicht bewusst zu sein.

In der katholischen Zeitschrift „Die Tagespost“ wurde vor einigen Wochen der „Weckruf“ „#sineDubiis — Wir gehen mit Papst Franziskus“ von Matthias Jean-Marie Schäppi und Friedrich Reusch diskutiert. Dieser „Weckruf“ richtete sich an katholische Konservative. Auf ihrem Blog „TheCathwalk“[1] verteidigten die Autoren am 18.2.2017 die Exhortation (nachsynodales Schreiben) „Amoris laetitia“ von Papst Franziskus vom 8. April 2016. Doch nicht nur das: Sie kritisierten die auf diese Exhortation hin formulierten und an den Papst gerichteten „Dubia“ durch vier bekannte Kardinäle, darunter zwei Deutsche, Kardinal Brandmüller und Kardinal Meisner, von Mitte September 2016[2].
Der „Weckruf“ erschien etwas später im Rahmen einer  Kontroverse am 25. 2. 2017 in der „Tagespost“ als „Pro“- gegen die Contra-Position Michael Hesemanns. Das nachsynodale Schreiben AL hatte zuvor schon im Kirchenvolk infolge der umstrittenen Familiensynode Unruhe und Empörung ausgelöst. Im Zentrum der Aufregung steht die Frage nach der Zulassung von wiederverheiratet Geschiedenen zur Hl. Kommunion. Franziskus spricht an keiner Stelle davon, dass sie nun möglich sei. Sein Schreiben dreht sich — neben vielen anderen Kapiteln aus dem Themenbereich von „Ehe & Familie“ — um den pastoralen Umgang mit den Betroffenen.
Die „Dubia“ der vier Kardinäle vom September 2017 greifen diese Unruhe, wie sie sagen, aus ihrer Hirtensorge heraus auf. Sie verlangen auf einen ausführlichen und belehrenden an Franziskus gerichteten Fragekatalog Ja- oder Nein-Antworten ohne weitere Diskussion. Sie unterstellen vor allem den Abschnitten 300—305 Mehrdeutigkeit und sogar die Intention, die bisherige Lehre der Kirche aufheben zu wollen (v.a. in Dubium 2, dazu s.u.)
Nachdem Franziskus darauf nicht umgehend geantwortet hatte, machten sie ihr Schreiben nur zwei Monate später, im November 2016, für alle Welt öffentlich[3], was nach so kurzer Zeit — wenn man die Langsamkeit des römischen „Amtsschimmels“ bedenkt — durchaus als Nötigungsversuch erscheint. Nicht verschwiegen werden darf, dass der Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Müller, sowohl dieses Vorgehen als auch die inhaltlichen Behauptungen der vier Kardinäle ebenfalls (informell) öffentlich verurteilt hat.[4]
Danach brach erst recht ein Entrüstungssturm im konservativen Lager aus. Das traditionell orientierte Kirchenvolk brach schließlich den fraglichen Sachverhalt herunter auf die Meinung, Franziskus habe das Dogma von der Unauflöslichkeit der Ehe geleugnet und sei darum ein Häretiker, und es sei gewissermaßen eine Frechheit, dass er den vier Kardinälen nicht antworte.

Die Autoren des „Weckrufes“ beklagten einen theologischen und logischen Widerspruch im traditionsorientierten Lager, der seit dem Vaticanum II spätestens und vor allem durch das Schisma, das Erzbischof Lefebvre ausgelöst hat, schwelt:
Man könne nicht geradezu übersteigert „lehramtstreu“ sein wollen und zugleich die Autorität des Papstes in dieser Weise angreifen, wo doch gerade sie nach 1870 sogar ganz einseitig „der“ Ausweis der Rechtgläubigkeit geworden war und den Papst mit einer perfekten, absolutistischen Immunität gegenüber jeder Kritik und jedem Ungehorsam ausgestattet hat. Genau dieses Faktum wird im Falle „unbotmäßiger“ Päpste jedoch — aus der Sicht streng ultramontaner Katholiken —ebenso vehement geleugnet wie es wiederum extrem eingefordert wird, wenn ein Papst dem entspricht, was dieselben Kreise von ihm erwarten.
Nicht dass ein Leser nun meint, ich hielte solche Szenarien nicht für natürlich oder rechtens — selbstverständlich sind Päpste zu einem guten Stück wohl immer schon Gallionsfiguren bestimmter kirchenpolitischer Lager gewesen, und daran wird sich durch kein Dogma der Welt je etwas ändern. Das ist gewissermaßen „conditio humana“. Ich plädiere hier für Gelassenheit. Es ist normal, dass Päpste von den einen bejubelt, den anderen scharf kritisiert werden.

Auf die Kontroverse in der „Tagespost“ vom 25.2.2017 erschienen viele Leserbriefe. Der erste, der uns hier interessiert, ist derjenige von Christoph Matthias Hagen vom 28.2.2017. Er stimmt in diesem Brief den „Weckruf“-Autoren in ihrer „papalistischen“ Argumentation ausdrücklich, und selbst dem einfachen Verstand leicht erfassbar, nicht zu, in der Sache jedoch schon. Warum ich dies ein bisschen polemisch formuliere, wird man später besser verstehen. Hagen nimmt das Konzept einer prinzipiellen „Papsttreue“ aufs Korn, die, rein positivistisch verstanden, hohl ist. Anders gesagt: Es ist sinnlos, dem Papst zu gehorchen, weil er der Papst ist. Man kann ihm nur gehorchen, wenn er auch recht hat. Nur steht es ja außer dem Papst niemandem zu, darüber zu urteilen, ob er recht hat. Das aber ist nun der Dreh- und Angelpunkt seit Pius IX., wie ich meine: Genau dies, ein rein positivistischer Kadavergehorsamsglaube, wurde von jenem Papst mit aller Unerbittlichkeit gewissermaßen als „Lebenswerk“ durchgezogen und zum Faktum gemacht, das die Kirche zuvor so — außer in der jesuitischen und franziskanischen Ordenstradition — nicht kannte. Ein lebendiger, unbedingt pneumatischer Christglaube kann per definitionem kein Kadavergehorsam gegenüber Menschen sein! Im NT finden wir nicht eine einzige Aussage, die eine solche Auffassung stützen könnte. Im Gegenteil — dort wird tatsächlich nicht das Ansehen der Person oder gar eine Hierarchie kultiviert, sondern eine Kette von apostolischen Dienern, die nach der Diktion des „Urpapstes“, Petrus, „keine Beherrscher“ sein sollen (1. Petr 5, 3), sondern sich so, wie es jedem Christgläubigen zukommt, dem anderen unterordnen. Genauso spricht auch Paulus (Eph 5, 21): „Seid einander untertan!“ Es ist auffallend, dass für den Raum der Kirche im NT gerade die alten Herrschaftsstrukturen der Sünde vollkommen überschritten werden, weil in Christus nicht mehr Jude noch Grieche, Mann noch Frau, Freier oder Sklave ist (Gal 3, 28). Im sogenannten antiochenischen Zwischenfall (Gal 2, 11 ff), in dem Paulus dem Petrus massiv und öffentlich widerstand, berief er sich darauf, dass er „nicht geringer“ sei als die „großen Apostel“ (vgl. 2. Kor 11, 5). In der Tat kann eine Amtsperson niemals über der Sache stehen, die sie vertritt oder mit ihr identifiziert werden. Alleine der Versuch, dies im Falle des Papstes zu tun („Die Tradition, das bin ich!“, „Die Kirche, das ist der Papst.“) muss als häretisch angesehen werden. Niemals kann es einem Menschen zukommen (außer allenfalls Maria, weil sie sündlos war), dass Akt und Potenz in ihm zusammenfallen.

Eine Berufung auf ein abstraktes Glaubensgut ist zwar aufgrund des NT vollkommen legitim, nicht aber nach den Dogmen seit 1870. Sie war seither, v.a. wegen des Dogmas vom Universalprimat, nicht mehr möglich, weil Pius IX. sich zum alleinigen und unhinterfragbaren Medium der rechten Interpretation des Glaubensgutes erhob, wofür auch sein unglaublicher Satz „Die Tradition, das bin ich!“, den er in den Wirren des Vaticanum I äußerte, mit aller Deutlichkeit spricht. Selbst Roger Aubert lässt in seiner Geschichte des Vaticanum I durchscheinen, dass er diesen Satz samt der ideologischen Absicht, die damals seitens Pius IX. vorangetrieben werden sollte, als eine schwere Entgleisung einstuft.[5]

Alle kircheninternen Brüche seither, gehe es dabei um die FSSPX oder verschiedene sedisvakantistische Gruppen, hängen mit der Schizophrenie zusammen, die aus den Dogmen von 1870, aber auch dem kirchlichen Ungeist, der den Papst damals sogar zur „dritten Inkarnation Christi“[6] erheben wollte (was Gott sei Dank nicht gelungen ist!), folgt.

In meinem darauf folgenden Leserkommentar in der Tagespost vom 4. März 2017 hob ich darauf ab, dass die aktuelle Problematik und Debatte um möglicherweise falsch lehrende Päpste und die Frage, wie man sich ihnen gegenüber verhalten kann, soll oder darf, aufgrund der dogmatischen Konstitution „Pastor aeternus“ von 1870 (Vaticanum I) für den Gläubigen aus logischen Gründen nicht mehr lösbar ist. Durch die beiden Papstdogmen von 1870 sind wir für immer in eine Schizophrenie gestürzt worden ist, aus der es kein Entrinnen „guten Gewissens“ mehr gibt. Was immer ein Papst mache, wir seien ihm „ohne Netz und doppelten Boden ausgeliefert“. Weiter schrieb ich: „Ob er also etwas Neues lehrt oder rechtgläubig bleibt, kann per definitionem niemand außer ihm selbst wissen“. Diese Position stütze ich auf das Faktum des realen Dogmentextes von 1870. Doch dazu später. Ich schloss meinen Brief mit dem Satz:
„(Wir werden andernfalls) aus der absolutistischen Falle, in der wir seit 1870 stecken, nie wieder hinausgelangen, die sich seit Jahrzehnten in immer quälenderen innerkirchlichen Szenarien ausdrückt.“

Auf diesen meinen Leserbrief antwortete am 6.3.2017 Christoph Matthias Hagen in einem weiteren Leserbrief. Er stimmte mir in meiner Analyse der Krisenlage, die der seinen, wie jeder erkennen kann, nahe stand, zu und fügte an, dass das Vaticanum I das Vaticanum II überhaupt erst hervorgerufen habe und das eine nicht ohne das andere gesehen oder revidiert werden könne.
„Ohne den Papstabsolutismus von 1870 wäre nie ein Papst auf die Idee gekommen, eine derart radikal-umfassende Liturgiereform wie 1970 durchzuführen. Und wenn doch, wäre sie nicht durchsetzbar gewesen. (…) Die Dogmen von 1870 sind vielleicht nicht falsch oder unwahr. Sicher sind sie aber risikoreich. Erkennbar war es aber, wenn man sehen konnte und denken wollte, schon 1870.“
Wie recht Hagen damit hat, werden wir weiter unten sehen.

Daraufhin erschien am 14.3.2017 eine umfangreichere Erwiderung Dr. Heinz-Lothar Barths, die sich an der Kritik Hagens am Vaticanum I rieb, dabei aber keinerlei Hemmungen zeigte, gleich am Anfang des Leserbriefes deutliche Kritik am Vaticanum II zu formulieren. Was man im einen Falle also vollkommen ausschließt, genehmigt man sich im andern Falle ohne Gewissensnot. Herr Dr. Barth demonstrierte damit vermutlich unbewusst genau diejenige schizophrene Haltung, auf die sowohl die Verfasser des „Weckrufes“ als auch auf eine eigene Weise Herr Hagen und ich hinweisen wollten. Auch wenn das Vaticanum II keine Dogmen definiert hat, ist es dennoch niemals statthaft gewesen, dass Laien oder Kleriker ein rechtmäßiges, von einem rechtmäßigen Papst einberufenes Konzil für zweifelhaft, falsch lehrend oder gar ungültig hätten ansehen und diese Meinung innerhalb der Kirche hätten verkünden dürfen. In einer krisenhaften Lage wie der unseren aber muss auf der Suche nach den Ursachen, wenn man Zweifel an einem Konzil äußert, Zweifel an jedem Konzil möglich sein.
Dass wir seit längerer Zeit in einer objektiven Krise sind und diese Krise von der Hierarchie ausgeht, kann andererseits niemand bezweifeln, der die Kirche liebt und mit ihr fühlt. Die gängige Meinung, das Vaticanum II habe „alles kaputtgemacht“ lässt sich kaum aufrechthalten, wenn man nicht Pius IX. und das Vaticanum I als die eigentlichen Auslöser dessen, was im Vaticanum II möglich wurde, erkennt.
Barth stellte Hagens Satz vom „risikoreichen Dogma“ in Beziehung zu Kardinal Kaspers, wie er schreibt „berühmt-berüchtigter Äußerung“, die der in seiner „Einführung in den Glauben“ von 1972 zu Papier brachte, Dogmen könnten „durchaus einseitig, oberflächlich, rechthaberisch, dumm und voreilig“ sein.
Barth fügt hinzu, „man“ dürfe „nicht vergessen“, die Lehre der Papstdogmen sei „feste Lehre der Kirche von Anfang an“. An dieser Stelle stieg mir unvermittelt die Besorgnis auf, dass der Herr Dr. Barth womöglich nicht weiß, wie heftig umstritten dieses Dogma nicht nur 1870 auf dem Konzil war, sondern dass es in der enggeführten Definition weder einen Schriftbeweis, noch einen eindeutigen Traditionsbeweis vorbringen konnte und den frühen Kirchenvätern völlig unbekannt war. Aus einem latenten Vorrang des Petrus geht durchaus weder logisch noch rechtlich das hervor, was wir in „Pastor aeternus“ lesen.[7] Vielmehr finden wir eine Linie päpstlicher Selbsterhebung und Machtansprüche seit dem frühen Mittelalter, die sich mit der Zeit als „Selbstläufer“ verstärkt hat, aber beileibe nicht von allen geteilt, sondern im Gegenteil Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen war.[8] Nicht zuletzt war das in dieser Weise vor allem im ungeistlichen Sinne machtbewusste Papsttum Auslöser politischer Krisen, Kriege und einer Doppelmoral, die sich bis zur Französischen Revolution wie ein kaum mehr übersehbarer Schuttberg aufgeworfen hatte. Die Kirche hatte einen weltlich-geistlichen Januskopf ausgebildet, der in unübersehbare politische Händel verstrickt war.
Darauf haben viele, teilweise sogar die besten Köpfe des 19. Jh wie Ignaz Döllinger, Bischof Hefele, Bischof Ketteler, auch Bischof Newman u.v.a. hingewiesen, aber nicht nur sie. Auch weniger bekannte Konzilsväter wie Bischof Stroßmayer von Djakovo waren geradezu verzweifelt über die Neuartigkeit dessen, was da in viel zu kurzer Zeit und ohne, dass es zuvor überhaupt als das Thema des Vaticanum I angekündigt worden wäre, „heruntergerissen“ wurde. Eine ebensolche Skepsis und Verärgerung lässt sich auch in Kardinal Newmans Werk nachzeichnen, dessen Position Barth mE nur verkürzt wiedergibt. Newman stand wie alle Gegner dieses Dogmas vor dem Dilemma, nach erfolgter Definition gezwungen zu sein, seine vorherige Glaubensüberzeugung auf „Knopfdruck“ auszuwechseln — für viele sogar in ihr blankes Gegenteil, ging es doch auf dem Vtaicanum I, wie Klaus Schatz gezeigt hat, keineswegs nur um das Argument der „Opportunität“, sondern wie schon zuvor auf dem Tridentinum um handfeste theologische und kirchenhistorische Hindernisse, die danach zwar unterdrückt wurden, aber bis heute nicht ausgeräumt sind. Newman sprach während des Konzils in seinem Tagebuch sogar davon, dass die Kirche in einer „Gefahr stehe, wie sie nie zuvor je größer für sie bestanden“ habe, größer also auch als die Gefahr in der Arianismuskrise, mit der er sich intensiv auseinandergesetzt hatte.[9]

Barth hält dieser alten und immer noch aktuellen Sorge Newmans prinzipiell entgegen, dass man diese Gefahr nur dann gegeben sehe, wenn man „das Dogma überschätze“.
Auch hier scheint mir Barth — wie sehr viele Menschen übrigens — den Dogmentext nicht genau gelesen oder in seinem Wortlaut nicht ernst genug genommen zu haben, der immerhin weit über jeder Interpretation desselben steht. Es nützt wenig, Interpretationen des Dogmas über den tatsächlichen Dogmentext zu stellen und dem, der das Dogma in seinem Wortlaut untersucht, womöglich noch, wie Barth das leider tut, mit einer ungezogenen Herablassung zu kontern. Mit diesen sachlich oft unzureichenden, nachträglichen Interpretationen oder Beschönigungen kann nicht entkräftet werden, aus welchem Geist diese Dogmen durchgepeitscht wurden und anschließend so auch für lange Jahrzehnte dem Kirchenvolk eingeimpft wurden. Maßgeblich ist und bleibt, rechtlich gesehen, der Dogmentext selbst, danach seine Rezeption in päpstlichen Lehrschreiben und nicht die apologetische Literatur über das Dogma.

Die Dogmatisierung der Unfehlbarkeit des Papstes und seiner Universalgewalt erfolgte unter tagespolitischem Druck, brüllender Sommerhitze und konzilsinternen Intrigen. Sie erfolgte entgegen dem Willen eines viel zu großen Teils der Konzilsväter, die mindestens (!) ein Fünftel oder Viertel der Bischöfe ausmachten, am Ende, um das schlecht vorbereitete und überhastete Gebilde nicht mit abstimmen und nicht mitverantworten (!) zu müssen, nach und nach vorzeitig abreisten. All jene, die dem Dogma nicht zustimmten, mussten danach selbiges in ihren Diözesen vertreten. Sie versuchten, wenigstens die Bedeutung der Dogmen so tief wie möglich herab zu “interpolieren“, um selbst damit leben zu können und in ihren Diözesen nicht unglaubwürdig zu werden, hatten sie doch zuvor dort nicht selten das Gegenteil des nun definierten Dogmas gegenüber ihren Diözesen und den beunruhigten weltlichen Regierungen vertreten. Im Raum stand die Befürchtung, dass die Katholiken durch das Dogma vom Universalprimat des Papstes in einen Zwiespalt zu ihren weltlichen Regierungen gedrängt werden könnten und die Kirche so einen „Staat im Staat“ aufbauen könnte. Der deutsche Kulturkampf rührte genau aus jener Besorgnis. Viel zu oft unterschlägt man in der katholischen Apologetik, dass die beiden unseligen Dogmen nicht nur ein Schisma, sondern auch diese politische Krise in Deutschland hervorriefen. Pius IX. approbierte alles, was sich nur irgendwie zustimmend zu den Dogmen hernach äußerte, auch Ausführungen, die wiederum untereinander nicht übereinstimmten.[10]
Barth zitiert in seinem Leserbrief Kardinal van Rossum, der erklärt habe, man müsse, um die Papstdogmen recht zu verstehen, den Unterschied zwischen „ordentlichem“ und „außerordentlichem“ Lehramt begreifen. Und nur „außerordentliche Lehrakte“ seien mit den Dogmen gemeint.
Wer jedoch die Dogmentexte liest, sieht auf den ersten Blick, dass davon gar keine Rede sein kann. Dort wird keine präzise Einschränkung auf bestimmte Teile des Lehramtes vorgenommen. Ich werde das noch zeigen. Dabei werden wir auch erkennen müssen, dass das Lehramt selbst sich später ausdrücklich gegen eine solche Bedeutungseinschränkung verwahrt hat.

Vielleicht kann man es aber auch so sehen:
Mithilfe dieses Interpretations-„Kniffs“ hat sich der sensus fidei fidelium schon damals aus der dogmatischen Schizophrenie befreit, die nun faktisch verhängt worden war. Man hat sich wie in einem gesunden Reflex — von kaum noch zu erwartenden Dogmen abgesehen — im Grunde des Dogmas entledigt. Etwas, das sowieso nie genutzt wird, hätte nicht definiert werden müssen… Praktisch wurde es in einer solchen Interpretation gegenstandlos. Beschwichtigend wird oft vorgetragen, nach 1870 sei ja nur „einmal Gebrauch gemacht worden“ von dem Dogma, nämlich 1950 bei der Definition der Assumptio Mariens. Fragt sich dann allerdings nur, warum dann ausgerechnet um ein nahezu gegenstandsloses Dogma so erbittert gestritten werden und eine Kirchenspaltung inkauf genommen werden wollte?!
Hinzukommt, dass die Kirche eine Unterscheidung von „ordentlichem“ und „außerordentlichem Lehramt“, die „unser Herr Jesus Christus“ eingeführt habe, vor Pius IX. nicht kannte. Kurz vor dem Vaticanum I wurde sie beiläufig eingeführt, später aber nicht aber auf das Dogma bezogen.
Ich schrieb damals am 15.3.2017 eine Erwiderung an Herrn Dr. Barth, die aber nicht veröffentlicht wurde. Ich gebe sie hier zur Kenntnis:

„Es ist erstaunlich, mit welcher Leichtigkeit im Lager der Traditionalisten Sätze aus immerhin dogmatischen Konstitutionen des Vaticanum II offen angezweifelt und verworfen werden, das Vaticanum I aber, das hinsichtlich seiner formellen Abläufe wesentlich fragwürdiger war und mit Sicherheit eines Tages, wenn die Kirche noch tiefer gefallen sein wird, noch einmal auf den Prüfstand kommen muss, aber mit einem „katholischen“ und unantastbaren Heiligenschein versehen wird.
Man muss sich schon entscheiden. Was man sich selbst beim einen Konzil erlaubt, muss man den anderen beim anderen zugestehen…
Nun geht es ja nicht darum, ob der eine oder andere Satz fragwürdig, zeitgemäß oder sogar regelrecht irrig ist, der von Päpsten oder Konzilien kommt. Es geht um einen logischen Widerspruch in dogmatischen „Entfaltungen“.
Die Unterscheidung zwischen einem „ordentlichen“ und einem „außerordentlichen“ Lehramt ist eine zwar reaktionäre, aber dennoch nur zeitgeistige und moderne Erfindung des 19. Jh. Davon sprach man 1800 Jahre lang in der Kirche nicht. Pius IX. ließ diesen Begriff 1863 in seinem Brief an Erzbischof Scherr erstmals in die Debatte einfließen. Dieses Breve, kurz vor der Einberufung zum Vaticanum I formuliert, verlangt dem Theologen Unterwerfung gegenüber jeglicher päpstlicher Äußerung ab, auch wenn es unklar hinzufügt, es sei nicht alles Teil des Glaubensgutes. Zwar könne man einen widersetzlichen Gelehrten nicht direkt als Häretiker bezeichnen, aber dennoch ähnlich wie einen solchen behandeln… Das Dilemma, von dem wir hier reden, wird hier schon deutlich.
Wer die dogmatische Konstitution „Pastor aeternus“ sorgsam liest, muss entdecken, dass dort keine Unterscheidung getroffen wird zwischen einem „ordentlichen“ und einem „außerordentlichen Lehramt“. Die Art und Weise, in der der Papst den Gläubigen etwas als zu glauben vorlegt, wird nicht genauer definiert, lässt also somit objektiv offen, was nun ins Spektrum des Unfehlbaren gehört und was nicht. Ferner wird dem Gläubigen abverlangt, dass er sich generell der gesamten Regierungsgewalt des Papstes nicht nur (manchmal) zähneknirschend, sondern mit innerer Zustimmung unterwirft. Dem, der dem zuwider handelt, wird in Aussicht gestellt, „Schiffbruch“ im Glauben zu erleiden.

Herr Dr. Barth darf sich dieser Forderung nicht einfach verschließen, denn sie gehört mit zu den Dogmen des Vaticanum I. Andernfalls würde er gewissermaßen im Reflex, aber uneingestanden dasselbe tun, was Kardinal Kasper offen tut: das Riskante dieser Dogmen einfach ignorieren oder sogar verneinen, als wäre es nicht da. Es ist aber da.

Unser Dilemma heute ist, dass diese beiden Dogmen sich selbst in die Absurdität geführt haben. Das ist ein logisches Problem, mit dem keine Seite fertig wird.

Wer erleidet nun „Schiffbruch“?
Die, die dem Vaticanum II und Franziskus folgen, auch wenn dieses Konzil und dieser Papst das Gegenteil von dem zu lehren scheinen, was ihre historischen Antipoden des 19. Jh wortgewaltig und streng verkündeten?
Oder die, die dem Vaticanum II bzw. einigen Sätzen und Franziskus nicht folgen, weil sie das Nicht-Schiffbrucherleiden eben doch nicht an den Papst, sondern an einen Traditionsstrang binden?
Auf dem Vaticanum I wurde erbittert debattiert, ob eine solche Zuspitzung päpstlicher Gewalt, wie sie damals durch die Maximalisten erreicht werden wollte, wirklich im Nukleus der Überlieferung steckt. Die Sachargumente der Minimalisten waren die redlicheren. Auch das Schriftzitat Dr. Barths gibt diese Dogmatisierung nicht her. Schon damals wurde zu bedenken gegeben, dass es ja nicht sein kann, dass man eines Tages Fehler, die mit Macht in der Kirche vorangetrieben wurden von bestimmten Interessengruppen, wenn diese Fehler nur lange genug vorangetrieben wurden, auch schriftfern als „Tradition“ angesehen werden dürften. Weder die Schrift noch die Väterliteratur gibt die Entwicklung in dieser Maximalisierung her, die nicht zuletzt einer der Hauptgründe für die diversen Kirchenspaltungen war und ist.

Wie man die Sache dreht und wendet, man entrinnt dem logischen Dilemma nicht. Das Dilemma ist, dass wir mit dem Vaticanum I objektiv einem theologischen Voluntarismus ausgesetzt sind, den niemand mehr lösen können wird und der uns derzeit eiskalt einholt.“

Aufgrund des damals schon extrem einseitigen und den vollständigen Sachverhalt verkürzenden Schreibens Barths entstand der Eindruck des klassischen „Was nicht sein kann, das nicht sein darf“. Vor allem erkennt er nicht, dass für das Verständnis des Unfehlbarkeitsdogmas nicht nachfolgende beschwichtigende Interpretationen irgendwelcher Kanonisten oder Apologeten, sondern das im selben Schreiben definierte Jurisdiktionsdogma des Papstes maßgebend ist. Diese beiden Dogmen zusammen erlauben keinerlei Spielraum mehr, sich einem Papst entgegenzustellen, was immer er tut. Theoretisch muss der Papst sich an die Lehre der Kirche halten, aber es ist kein Instrument mit auf den Weg gegeben worden, eine Prüfung, ob er das denn tue, zuzulassen. Er hat deswegen immer recht, weil er der Papst ist und mit seinen Urteilen und Entscheidungen per definitionem „nicht von der Zustimmung der Kirche abhängig ist“ (s.u.).

Inzwischen hat die Forschung sehr viele Archivakten bearbeitet, und es sind zahlreiche, ganz neue Werke zum fraglichen Themenkreis erschienen. Diese neuesten Forschungsarbeiten über die Szenarien um das Vaticanum I ernüchtern erheblich. Herr Dr. Barth scheint diese neueren Forschungen noch nicht zur Kenntnis bekommen zu haben oder aber mancher konservativen Polemik gegen solche Arbeiten zu folgen. Ich empfehle jedem, sich hier unbedingt auf dem Laufenden zu halten. Bis heute wurde August Bernhard Haslers umfangreiche Quellenstudie zum Vaticanum I[11] mit Herablassung, Polemik und Abwertung bedacht. Sein Material ist jedoch von niemandem widerlegt worden und steht im Grunde als eine übergroße, anklagende Frage im Raum der Kirche. Vor seinem Tod arbeitete er an einer Untersuchung über den Zusammenhang zwischen dem dogmatisierten Papstabsolutismus von 1870 und den späteren Führerkulten. In der Tat besteht hier ein geistiger Zusammenhang, für den viele Fakten sprechen. Die anfängliche Verkennung der Nationalsozialisten durch reaktionäre Katholiken fußte ausdrücklich immer auf der Meinung, nun werde endlich wieder eine „gottgewollte“ streng führerzentrierte, hierarchische Regierung eingerichtet, die womöglich das alte römische Reich („Drittes Reich“) wiedererstehen lassen würde.[12] Auch die Förderung des italienischen Faschismus durch Pius XI. hängt unmittelbar mit den politischen Leitbildern zusammen, die aus dem Vaticanum I auf politische Herrschaft übertragen wurden.
Aber auch Klaus Schatz SJ Studien zum Vaticanum I[13] offenbaren, wie komplex die Situation war, welch schmerzhafte Erfahrungen und Vorgänge sich abspielten und wie machtbewusst und oft unredlich die ultramontan-maximalistische Fraktion um Pius IX. herum agierte, zumal der Papst zunehmend Druck ausübte auf die Vorgehensweisen des Konzils.[14]
Tiefe Einblicke in die Befindlichkeit Newmans gibt die Studie von Adrian Lüchinger.[15] Weiter zeichnen die neueren Studien Hubert Wolfs, etwa über die Sitten um Pius IX., der offenbar falschmystischen Kulten, um es vorsichtig zu formulieren, nicht abgeneigt war, in deren Dunstkreis geradezu haarsträubende, auch im Sinne des Strafrechts kriminelle und im Sinne des Kirchenrechtes formell häretische Dinge geschahen, die den Papst aber nicht davon abhielten, einen dieser Delinquenten, nämlich Josef Kleutgen SJ, zu „begnadigen“ und bevorzugt für seine konziliaren Unfehlbarkeitsambitionen anzustellen, eine Konstellation, der mir aus der gesamten Kirchengeschichte nicht bekannt ist. Kleutgen war schlussendlich der, der den Dogmentext entworfen hat. [16]
Einen ebenso erschreckenden Einblick in die geistige und moralische Verfassung der ultramontanen Maximalisten bietet die Studie von Otto Weiß über die Vorgänge um die Seherin Louise Beck, um die ein ausufernder, spiritistischer Kult mit sexuellen und häretischen Exzessen durch die Redemptoristen in Altötting, Bischof Reisach, Bischof Senestrey (beides fanatische Kämpfer für das Unfehlbarkeitsdogma) und einige andere hohe Würdenträger bis hinauf nach Rom aufgebaut worden war. Es besteht für den Autor der naheliegende Verdacht, dass die Seherin über Bischof Reisach, der von Pius IX. nach Rom geholt worden war, um das Konzil vorzubereiten, und der „ein Kind der Mutter“ (also in den kultischen spiritistischen Altöttinger Kreis gehörte) war, hinsichtlich der geplanten Dogmen konsultiert worden war. Louise Beck diente als Medium für die Weisungen der „Mutter“, hinter der sich die verstorbene Ehefrau eines der Redemptoristenpatres verbarg, die regelmäßig beschworen wurde, um anzusagen, was der Himmel von seinen Dienern im politischen Geschäft verlange. Louise Beck wurde von mehreren kirchlichen Würdenträgern bei wichtigen politischen Handlungen um solche Anweisungen und Ratschläge aus dem Jenseits gebeten.[17] Man kann annehmen, dass dies auch hinsichtlich des Vaticanum I geschah. Die vorbereiteten Schemata sahen jedenfalls keine gesonderte Debatte über die päpstliche Sonderstellung vor, sondern eine dogmatische Konstitution über die Kirche („De ecclesia Christi“), im Rahmen derer die Papstfrage nur ein Unterkapitel ausmachte. Es überrascht daher, dass auf dem Konzil plötzlich nur dieses Unterkapitel übergroß aufgeblasen wurde.

Ich möchte anfügen, dass ich keineswegs polemisch auf die Forschungslage verweise, sondern aus eigener Erfahrung spreche. Ich habe selbst einmal diese „traditionalistischen“ Standpunkte vertreten und musste entdecken, dass sie bei nüchterner Betrachtung der Dinge und intellektueller Redlichkeit nicht haltbar sind. Hinzukommt, dass gerade bei den neueren Dogmen meist der Schrift- und Traditionsbeweis entweder ganz fehlt oder auf äußerst brüchigem Boden steht. Nicht umsonst wurden sie bereits als eine Art „Dogmata honoris causa“ behandelt, Dogmen zweiter Klasse gewissermaßen, Dogmen, die nichts klären, sondern die als Vehikel der hierarchischen Macht- oder Verehrungsdemonstration dienen sollen und inhaltlich zum mindesten nicht falsch sein sollten.[18]
Anders gesagt:
Mit fortschreitender Zeit wird die Definition von Dogmen in ihrem alten, frühchristlichen Zweck, nämlich Glaubenssätze überhaupt erst einmal zu schärfen und gegen häretische Tendenzen um des Seelenheiles der Gläubigen willen zu verteidigen, immer unplausibler. Man muss mit Recht fragen dürfen, wozu man nach 2000 Jahren etwas für den Glauben Grundsätzliches erst jetzt zu klären hätte. Immerhin hätten Christen dann 2000 Jahre lang u.U. ungeahndet einem glaubens- und das Seelenheil schädigenden Irrtum angehangen. Dogmen sind seit Pius IX. zum Herrschaftsinstrument geworden. Sie mögen inhaltlich nicht falsch sein, aber nicht jeder Glaubenssatz ist geeignet, Dogma zu sein. Während etwa das Dogma von der Dei Genitrix in der frühen Kirche einer handfesten christologischen Notwendigkeit entsprang, kann für das Immaculata-Dogma keine solche Notwendigkeit erkannt werden.

Die oft zu hörende, scheinplausible Auffassung, man sei kein Häretiker, solange man eine Lehre ablehne, die noch nicht definiert sei, man werde aber sofort danach zu einem solchen, wenn man nicht „Gewehr bei Fuß“ seine bisherige Überzeugung über Bord wirft und sich bedingungslos der neuen Lehre „unterwirft“, ganz so, als seien Glaubensüberzeugungen mechanische, seelenlose Bausätze, die man auf Knopfdruck, Befehlen entsprechend, umbaut, weist einen Glaubens-Positivismus auf, der an sich schon als Glaubensabfall betrachtet werden muss. In einer pneumatischen Kirche mit einem geheiligten allgemeinen Priestertum wäre ein solcher Zustand schlechterdings absurd.
Wenn ich etwas, das ich gerade noch geglaubt habe und auch glauben durfte, auf Befehl hin nicht mehr glauben darf, dann habe ich weder das eine noch das andere wirklich je im Glauben angenommen.
Glaubensüberzeugungen sind ja kein Firnis, den man annimmt und abstreift je nach Opportunität gegenüber der Hierarchie. Und wenn man sie doch so sehen will, verdienen sie den Namen der Überzeugung nicht. Ein solcher Glaube ist kein Glaube, sondern eine sektiererische, voluntaristisch gefärbte Gehirnwäsche. Wenn vorher mein Seelenheil inhaltlich davon nicht abhing, warum sollte es nach einer Dogmatisierung plötzlich davon abhängen?
Nun operieren aber päpstliche Texte seit dem 19. Jh unverhohlen mit genau jener Drohung, einen jeden, der es nicht schafft, eine Glaubensüberzeugung oder auch einen Zweifel schnell genug vollständig aus seinem Herzen zu reißen, als Häretiker unter Anathem zu scheuchen.

Entsprechende Irritationen rief diesbezüglich bereits das Immaculata-Dogma in der Zuspitzung von 1854 hervor. In der Engführung der Formulierung von 1854 wurde diese Lehre nicht fraglos immer und von allen geglaubt. Ganz im Gegenteil. Sie war nicht nur den Kirchenvätern gänzlich unbekannt, sondern ist auch im Schrifttext nirgends direkt oder indirekt auffindbar. Die Bulle „Ineffabilis Deus“, in der Pius IX. diese Lehre nun verkündete, ist gemessen an dieser historischen und theologischen Realität atemberaubend unbesorgt um die gut bezeugten Auseinandersetzungen in der Kirchengeschichte, in deren Verlauf diese Lehre sogar aktiv und heftig von den hervorragendsten Lehrern der Kirche, wie Thomas von Aquin, Albertus Magnus, Bonaventura und Katharina von Siena ausdrücklich abgelehnt wurde. Man kann sogar mit Recht sagen, dass das, was Pius IX. da behauptet, schlicht nicht der Wahrheit entspricht. Diese zugespitzte Lehre gehörte in den ersten 1000 Jahren nicht zur festen Glaubenstradition und danach galt sie als „opinio nova“ und war heftig umstritten — das ist eine historische Tatsache.
Es kann sich also nicht um eine Lehre handeln, die immer und überall von allen geglaubt oder interesselos sowieso angenommen wurde, sondern um eine Lehre, die neu entstand und Gegenstand gezielter Machtpolitik war. An der Sorbonne verweigerte man ab dem späten 15. Jh Anwärtern die akademischen Titel, wenn sie nicht unterschrieben, sich für die Verbreitung eben dieser Lehre einzusetzen, die dann durch Pius IX. nach 400 Jahren solcher erpresster Propaganda zum Dogma erklärt wurde. Der Glaube wurde hier also bewusst gelenkt, erzwungen und alle Zweifler und Gegner, die sich vor allem unter den innerkirchlichen Intellektuellen und Gelehrten vom Dominikanerorden fanden, mit unlauteren Mitteln ausgeschaltet. Wer verzichtete schon auf seinen Magister- oder Doktortitel, nur weil er diese Lehre vielleicht nicht glaubte? Andererseits bedeutete der Schachzug, alle Absolventen der renommiertesten mittelalterlichen Universität Europas zu einem Bekenntnis zu dieser umstrittenen Lehre zu erpressen, eine gewisse Garantie für deren Verbreitung auf dem ganzen Kontinent. Pius IX. stieß in seinem Dogmentext die Bischöfe vor den Kopf, weil er nicht erwähnte, dass er in Einigkeit mit ihnen das Dogma verkünde. Vielmehr hatte er sich von den Bischöfen mitteilen lassen, wie das Volk über diese Lehre denke… Man würde eine solche Methode heute raffiniert und „populistisch“ nennen.
Die neuen Mariendogmen haben den Glauben an sie nicht vermehrt. Im Gegenteil — wie Newman es vorhergesagt hatte, würde deren Definition den Glauben an sie schwächen bzw verwirren (!).[19] Und tatsächlich: seit 1854 ist nicht etwa eine gesunde Marienverehrung konsolidiert worden, sondern es entstand ein blühender und ungesunder, mystizistischer Marienaberglaube, der von der gesunden Gestalt der klugen und nüchternen Frau in Christus und Mariens im besonderen vollkommen abgeführt hat. Die Kirche leidet heute unter einer Flut angeblicher oder wirklicher "Marienerscheinungen", mithilfe derer gezielt Politik betrieben wird und über die zahlreiche Irrlehren und ein massiver Okkultismus in die Kirche eingedrungen sind. Die Früchte solcher Definitionen, die ohne Not als Vehikel anderer Ambitionen dienen, sind faul. Deswegen ist der Inhalt des Dogmas zwar nicht falsch, aber es ist falsch, aus bestimmten Typen von Glaubenswahrheiten Dogmen zu kreieren.
Genau das hat mit hoher Wahrscheinlichkeit Kardinal Kasper gemeint und ähnlich auch Christoph Matthias Hagen.

Die Rede davon also, dass man mit erfolgter Definition nun das Rechte zu glauben habe (also das, was der Papst definiert hat) und im Falle des bloßen inneren Zweifelns bereits zum Häretiker abgestempelt wird, weil man ja nun das Irrige glaubt, lässt unter logischen, nicht nur glaubenspositivistischen Gesichtspunkten gesehen, die Frage aufsteigen, ob die Ablehnung dieser Engführung von 1854 vorher nicht ebenso irrig war wie nachher und die genannten Kirchenväter und hervorragenden Kirchenlehrer dann nicht allesamt in einem Irrtum befangen waren, wenn er andererseits so markig bewertet wird, dass man deswegen von nun an Menschen mit der Hölle droht?
Ist das Problem nun, dass man den Inhalt des Dogmas bezweifelt oder nicht schlicht dies, dass man dem Papst nicht willenlos und ohne noch nach einem Verstehen und Erfassen von Glaubenswahrheiten zu trachten, in allem blind folgt? Tut man aber letzteres, ist von einem echten Glauben nicht mehr zu reden, wie bereits dargelegt.
Die katholische Kirche hat sich so einem Voluntarismus geöffnet, der sie in die Nähe islamischer Unterwerfungstheologie rückt, aber auch andererseits ganz moderne Konzepte des Geniewahns oder des Übermenschenglaubens (die dem Papst zugeordnet werden können) anklingen lassen. In der frommen Literatur des späten 19. Jh kann man Notizen finden, die in diese Richtung gehen. Leider finde ich die Quelle nicht mehr, aber ich las einen Reisebericht eines Priesters, der in Rom zu seinem übergroßen Glück eine Audienz beim Papst bekam. Seine Gefühle, als er sein Idol sah und mit Jesus identifizierte, erinnern an die hysterischen Reaktionen jugendlicher Popkonzertbesucher der Sechzigerjahre. Aber noch Kardinla Meisner äußerte sich einmal ähnlich schwärmerisch in einer Gesprächssendung bei „Beckmann“ im ARD, als er ebenfalls behauptete, aus dem Gesicht Benedikts XVI. leuchte Jesus heraus.
Was jedoch Glaubenswahrheit und jede Wahrheit betrifft: Logisch betrachtet ist die Wahrheit aus sich selbst heraus wahr und nicht deshalb, weil einer sie definiert. Ebenso ist der Irrtum in sich selbst irrig — nicht weil einer sagt, das sei ein Irrtum.

Zunächst möchte ich auch noch den Leserbrief zitieren, den Christoph Matthias Hagen am 14.3.2017 auf Dr. Barths Ausführungen folgen ließ:
„Mit großem Interesse habe ich die Erwiderung Heinz-Lothar Barths auf meinen vorausgegangenen Leserbrief vom 7. März 2017 zur Kenntnis genommen. Wie immer argumentiert er kenntnisreich und anregend und verbindet damit Literaturhinweise, denen nachzugehen stets lohnt. Tatsächlich hatte ich bei meiner rhetorisch gezielt zugespitzten Formulierung, von vielleicht nicht falschen oder unwahren, aber risikoreichen Dogmen zu schreiben, die von Barth als berühmt-berüchtigt qualifizierte Einschätzung Walter Kaspers im Sinn. Dieser möchte ich mich zwar nicht vollumfänglich anschließen und denke persönlich auch nicht, dass Kasper damit behaupten wollte, sämtliche Adjektive, die dieses Zitat enthält, träfen in jedem Einzelfall kumuliert zu. Ich gebe zu bedenken, dass es jedenfalls doch so ist, dass eine Wahrheit nicht unbedingt dogmatisch fixiert sein muss, um gültig und durchaus verbindlich dem Glauben der Kirche zugehörig zu sein. In diesem Sinne können Dogmatisierungen meines Erachtens tatsächlich voreilig oder zumindest überflüssig sein, weil sie eine Festlegung bedeuten, die sich im Nachhinein als entbehrlich oder eben auch als riskant erweist. Letzteres sehe ich bei den Dogmen von 1870, vor allem der päpstlichen Unfehlbarkeit, in der Tat als gegeben an, habe aber bereits in meinem ursprünglichen Leserbrief, auf den Barth sich bezieht, dezidiert und unmissverständlich ausgedrückt, deshalb keineswegs die altkatholische Ablehnung dieser dogmatischen Definitionen zu teilen. Was ich meine, lässt sich wohl auch am Dogma vom 1. November 1950 gut zeigen: Dieses war gewiss nicht in dem Sinne notwendig, dass ohne es der Glaube an die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel in der Kirche erloschen wäre oder fehlen würde. Mein Anliegen war vor allem, meine im Laufe der Jahre immer deutlicher gewordene Überzeugung in die Diskussion einzubringen, dass Vaticanum I Vaticanum II erst ermöglicht und es deswegen eine Schwierigkeit bedeutet, dass beispielsweise in der Priesterbruderschaft St. Pius X. ein ganz bestimmter Traditionsstrang fortlebt, den ich als eine konkrete theologische und kirchenpolitische Strömung verstanden wissen will und den man treffend als ultramontan-jesuitisch charakterisieren kann. In den Modernismusbegriff gingen vielfach wohl auch ungerechtfertigt jene spirituellen, theologischen und kirchenpolitischen Richtungen ein, die in den Jahrhunderten zuvor in der Kirche unbestrittenes Heimatrecht besaßen und dem rechten Glauben nicht widersprachen, indes nicht als ultramontan-jesuitisch zu fassen sind.
  Speziell im gegenwärtigen Pontifikat entsteht also das Problem, dass konservative und vor allem traditionalistische Kritik, in der mehr oder weniger stark ein ultramontaner, autoritärer Papalismus bejahend vorausgesetzt ist, sich an einen Papst richtet, der diesen Papalismus vielleicht als erster ähnlich selbstbewusst und konsequent praktiziert wie Pio Nono, ihn aber inhaltlich in einer Weise füllt, die traditionsgebundenen Katholiken vielfach im Kontrast zur beständigen Lehre und Praxis der Kirche zu stehen scheint und zunehmend auch jene Konservativen befremdet, die bisher sich stets aufseiten des Heiligen Vaters verorteten und sich nun verwundert in ein Gegenüber zu ihm gedrängt fühlen, um den politischen Begriff der Opposition nicht zu strapazieren.“

Sein damaliger, unsere Fragen erstickender Leserbrief in der „Tagespost“ hat Dr. Barth offenbar keine Ruhe gelassen. Er hat ihn nun ausgeweitet zu einem umfangreichen Artikel in der „Kirchlichen Umschau“ vom April 2017
Herr Dr. Barths aktueller Text beginnt schon mit einer höchst unsachlichen Einleitung, die viel gekränkte Eitelkeit vermuten lässt. Er habe doch ausführlich über das Schreiben „Amoris laetitia“ bereits referiert, also müsste doch klar sein, dass mit dem päpstlichen Schreiben ein Problem vorliege. Er spricht von „papalistischen Tendenzen“ und bezeichnet jene Personen, die er nicht nennt, aber angreift, als so „beratungsresistent wie Luther“. Von dieser unspezifischen Schuldzuweisung geht Dr. Barth sofort zum Schlag gegen Christoph M. Hagen über, dessen ersten Leserbrief er „fatal“ nennt. Er hängt sich, wie schon in seinem Leserbrief in der „Tagespost“ an der Formulierung auf, Dogmen könnten „risikoreich“ sein. Er reagiert mit spürbarer Empörung auf Hagens bewusste Nähe zu Kardinal Kaspers „berühmt-berüchtigter“ Äußerung. Noch einmal wiederholt er seine ultramontan-jesuitisch eingefärbten Ansichten über die Papstlehre, die schon immer so geglaubt worden und darum „unantastbar“ sei. Allerdings gibt er zu, dass sich diese Lehre „erst aufgrund der Zeitumstände so entwickelt“ habe. Er verschweigt, dass sich diese Lehre nicht ausschließlich "fest" und ohne heftige, ca. 1000 Jahre alte Gegenwehr entwickelt hat, um deretwillen die Kirche sich in mehreren Schüben gespalten hat. Und „alleine schon deswegen“ sei sie „irreversibel“. Das ist zwar nicht logisch, offenbart aber den schon erwähnten problematischen Positivismus. Recht hat der, der die Macht hat, auch wenn es nicht plausibel ist, keine einhellige Überzeugung der ganzen Kirche war oder ist und deshalb keine unanimitas auf sich vereinigen konnte. Barths Schriftzitate sind wie schon zuvor in der „Tagespost“ und wie die Minimalisten auf dem Konzil damals schon ausführlich nachwiesen, nicht ausreichend, um diese Lehre zu begründen. Barth beginnt anschließend einen Tour d’horizon durch die Legende von der tapferen Papstkirche gegen den abgrundtiefen und hochgefährlichen Modernismus, dieses inzwischen zum Gähnen abgenutzte Schwarzweiß-Märchen über die Herkunft der Kirchenkrise…
Barth zitiert ein weiteres Mal Newman, der „kein prinzipieller Gegner“ des Papstdogmas gewesen sei und das Dilemma vorausgesehen habe, das folgen würde, wenn ein Papst installiert würde, der nicht mehr dem folgt, was man in einem bestimmten Lager für die einzig richtige „Tradition“ hielt.
Erneut halte ich an diesem Punkt inne, denn Newman sehr wohl ein prinzipieller Gegner des Dogmas, wie es aus der Studie Lüchingers hervorgeht. Barth ist hier unpräzise: Man kann sicher sagen, dass Newman selbst an eine Unfehlbarkeit des Papstes glaubte, allerdings nicht losgelöst von der der Kirche (wie es das Dogma ausdrücklich formuliert). Er war kein Gegner des Unfehlbarkeitsglaubens, aber das Dogma hielt er prinzipiell für verheerend, wie ich schon mit mehreren Zitaten angedeutet habe. Man kann im Falle Newmans sehen, dass er ein gutes Stück opportunistisch reagierte, nachdem das Dogma nun einmal definiert war. Was hätte er auch tun sollen? Er gab zu, nicht rechtzeitig interveniert zu haben.[20] Pius IX. hatte im Einberufungsschreiben „Aeterni Patri“ nicht mitgeteilt gehabt, dass er die Papstdogmen zu definieren gedenke. Newman war darüber sogar erbost. Er schrieb: „Dann erzählt Bischof Manning, (…) (die Definition) werde sicher erfolgen, und überdies, sie sei seit langem beabsichtigt gewesen! Lange beabsichtigt und doch geheimgehalten! Sind die Gläubigen jemals in dieser Weise behandelt worden?[21]
Wie er waren alle nicht-eingeweihten Bischöfe (also alle potenziellen Gegner) mit diesem Thema so spät überrascht worden, dass sie sich darauf nicht mehr vorbereiten konnten.
Newmans teilweise komplizierte Gedankenführung und Entwicklung zum Thema „Unfehlbarkeit“ kann hier nicht weiter ausgeführt werden. In jedem Fall aber stellte er der päpstlichen Unfehlbarkeit ebenso komplizierte Überlegungen zum Primat des persönlichen Gewissens gegenüber und relativierte früh die Aussagen des Dogmas. 1879 soll Döllinger über Newman gesagt haben, Leo XIII. würde diesen Mann niemals zum Kardinal erhoben haben, wenn ihm bekannt gewesen wäre, welche Ansichten er über das Unfehlbarkeitsdogma geäußert habe, was alleine an der englischen Sprache liege, die in Rom wenig verstanden werde.[22] Gerade Newman ist der denkbar schlechteste Zeuge für die Zeugenschaft, zu der Barth ihn heranzieht. Ich habe übrigens in meiner Heimatpfarrei vor vielen Jahren einen Priester erlebt, der Newman oft ganz im Gegenteil als Kronzeugen des Rebellentums gegen das Unfehlbarkeitsdogma anführte. Auffallend ist zudem an seinem Ansatz, das Dogma irgendwie verträglich zu machen, dass er behauptet, die päpstliche Unfehlbarkeit sei dieselbe wie die der Kirche, obwohl das Dogma sich hier merkwürdig ausdrückt und die Unfehlbarkeit der Kirche in einem eigenen Schema vorgesehen, aber nicht diskutiert worden war.[23]
An Newman wird deutlich, wie die dem Dogma skeptisch gegenüber stehenden Bischöfe je eigene Wege suchten, sich mit den beiden neuen Dogmen zu arrangieren, sie aber durch eigene theologische Konzeptionen, im Falle Newmans mithilfe einer Theologie des Gewissens als „Stimme Gottes“ im Herzen, die Vorrang vor der des Papstes habe, zu einem guten Teil unterliefen.

Barth holt nun zu einer Beschuldigung Hagens aus, die man böswillig nennen muss. Er schreibt:
„Und Newmans und anderer Ausführungen sollten von Zeitgenossen wie Christoph Matthias Hagen zur Kenntnis genommen werden, bevor man das Unfehlbarkeitsdogma papalistisch auslegt und dann kritisiert.“
Barth hat Hagen offenbar gar nicht verstanden. Hagen hob auf den Dogmentext ab und die aus ihm erwachsende Problematik. Zu „Newmans oder anderer Ausführungen“ hat er sich nicht geäußert, da ja nicht sie das Dogma sind, sondern das Dogma ist das Dogma… Barth fährt fort und unterstellt, Hagen gerate daher in diese papalistische Gefahr, er „überschätze“ das Unfehlbarkeitsdogma, eine Behauptung, die wir nachher überprüfen werden. Barth spricht unter Zitaten des großen Mosebach, der das Vorwort zu einem Buch des noch größeren Roberto de Mattei geschrieben habe, von einer „Übertreibung der geistlichen Vollmacht“ des Papsttums, die dem „naiven Gläubigen“ den Eindruck vermittelt habe, die Unfehlbarkeit „erstrecke sich auf jedes erdenkliche Feld des Lebens“, also nicht legitim gewesen sei.
An dieser Stelle möchte ich Barth entgegenhalten, dass er sich außerhalb dessen bewegt, was das Lehramt selbst zu dieser Frage gesagt hat. Was interessiert hier Newman, was interessiert Mosebach oder de Mattei, wenn Päpste zu dem Thema eine andere Stellung bezogen haben?
Ich möchte zitieren aus der Enzyklika „Humani generis“ von Pius XII. von 1950, ein Rundschreiben, das „einigen falschen Ansichten, die den katholischen Glauben zu untergraben drohen“ wehren wollte. Im Kapitel 4 geht Pius XII. ausführlich auf einen „falschen Begriff vom Lehramt der Kirche“ ein. Nachdem er beklagt, dass viele Theologen, das, was Päpste in ihren Rundschreiben und Erlassen lehrten, nicht für ernst und verbindlich nähmen, schreibt er:
„Man darf ebenfalls nicht annehmen, man brauche den Rundschreiben nicht zuzustimmen, weil die Päpste darin nicht ihr höchstes Lehramt ausüben. Sie sind aber doch Äußerungen des ordentlichen Lehramtes, von dem auch das Wort Christi gilt: ”Wer euch hört, der hört mich”. Sehr häufig gehört das, was die Enzykliken lehren und einschärfen, sonst wie schon zum katholischen Lehrgut. Wenn die Päpste in ihren Akten ein Urteil über eine bislang umstrittene Frage aussprechen, dann ist es für alle klar, dass diese nach der Absicht und dem Willen dieser Päpste nicht mehr der freien Erörterung unterliegen kann.“[24]
Dr. Barth möge sich klarmachen, dass es hier um nichts Geringeres als die schon erwähnte Gewissenzustimmung geht, zu der der Katholik verpflichtet ist, und die ihm eben nicht, wie Newman meint, die Ausflucht des persönlichen Gewissens offenhält.
Aus dieser Formulierung geht eindeutig hervor, dass auch päpstliche Lehren, die nicht zum „außerordentlichen Lehramt“ gehören, „nicht mehr der freien Erörterung unterliegen können“. Und es geht daraus auch hervor, dass solche endgültigen Entscheidungen nicht zwingend auf dem Wege des „außerordentlichen Lehramtes“ geschehen müssen. Und dass das so ist, begründet er mit ihrer Zugehörigkeit zu unfehlbar zu Glaubendem. Pius XII. greift hier unmittelbar zurück auf den Anspruch, den Pius IX. in seinem Breve an Erzbischof Scherr formuliert hatte, auf das ich oben schon einmal hingewiesen habe. Es ist hier nicht der Raum, in aller Breite zu zeigen, wie stark Päpste selbst diesen papalistische Anspruch erhoben haben, insbesondere auch Pius X. Die Zitate mögen an dieser Stelle genügen.
Erneut zitiert Barth Kardinal van Rossum, der gewissermaßen auf eigene Faust erklärt, dass man den Papst, wenn er im ordentlichen Lehramt irre, kritisieren dürfe.
Nun ist aber gerade diese Ansicht, erinnert man sich an Pius XII. Anspruch oben, hochgradig zweifelhaft. Wenn man sich ansieht, wie Paul VI. mit einer solchen Kritik seitens Erzbischof Lefebvres umging, scheint erneut auf, dass Päpste offenbar nicht der Meinung sind, dass man sie rechtmäßig kritisieren oder gar gegen sie stellen dürfe, solange sie nur keine feierlichen Dogmen verkünden.
In seinem Brief „Cum te“ an Lefebvre von 1976 schreibt er:

„Du bedauerst, dass die Autorität in der Kirche zu wenig geachtet wird. Du willst den unverfälschten Glauben, die Hochachtung vor dem Amtspriestertum und den Eifer für die allerheiligste Eucharistie in ihrem vollen Sinn als Opfer und Sakrament erhalten. (…) Wie aber könntest Du in Ausübung dieser Rolle behaupten, Du seiest verpflichtet, dem letzten Konzil entgegenzuwirken, in Opposition gegen Deine Brüder im Bischofsamt, ja sogar dem Heiligen Stuhl zu misstrauen, den Du als „das Rom der neomodernistischen und neoprotestantischen Tendenz” bezeichnest, und sich in einem offenen Ungehorsam gegen Uns einzurichten? Wenn Du wirklich, wie Du in Deinem letzten persönlichen Brief versicherst, „unter Unserer Autorität” arbeiten wolltest, ist es zunächst nötig, diese Zweideutigkeiten und Widersprüche zu bereinigen. (…) Das Erste Vatikanische Konzil hat die dem Papst gebührende Zustimmung mit folgenden Worten definiert: „Hirten jeglichen Ritus und jeglichen Ranges und die Gläubigen, einzeln sowohl wie alle zusammen, haben die Pflicht hierarchischer Unterordnung und wahren Gehorsams, nicht allein in Sachen des Glaubens und der Sitte, sondern auch in Sachen der Ordnung und der Regierung der über den ganzen Erdkreis verbreiteten Kirche. Durch Bewahrung der Einheit sowohl der Gemeinschaft als des Glaubens mit dem römischen Bischof ist die Kirche Christi auf diese Weise eine Herde unter einem Hirten. (…) Im Grunde genommen willst Du, Du selbst und Deine Anhänger, an einem bestimmten Augenblick im Leben der Kirche stehenbleiben. Deshalb lehnst Du es ab, der lebendigen Kirche anzuhangen, die immer die Kirche ist; Du brichst mit Deinen rechtmäßigen Hirten. Du verachtest die rechtmäßige Ausübung ihres Amtes.“[25]

Man möge mir verzeihen: Aber das ist eine andere Sprache als die, die uns Barth als die rechtmäßige beweisen will!
Wenn er auf Sätze in der „Tagespost“ Bezug nimmt, die behaupten, bei einem Konflikt zwischen der kirchlichen Autorität und der heiligen Tradition binde die Tradition, „die kirchliche Autorität stehe nur im Dienst der Tradition“, dann ist diese Ansicht alleine durch meine Zitate von Pius XII. und Paul VI. vollständig widerlegt. Pius X., auf den sich die FSSPX so frenetisch bezieht, hätte einer solchen Ansicht etwas gehustet, um es einmal salopp zu formulieren.
Vor allem Paul VI. hebt ausdrücklich auf die Lebendigkeit der Tradition ab, die nicht auf den Zustand einer bestimmten Epoche eingefroren werden könne. Garant der Tradition ist aber auch in seiner Vorstellung, ganz wie bei Pius IX., er selbst als Papst. Eine „Tradition an sich selbst“, auf die man im Zweifelsfall zurückgreifen könne, gibt es nach dieser Auffassung nicht! An dieser Stelle wird Hagens Einwand sinnvoll, der von einem Traditionspositivismus spricht, der hohl wird. Ich wähle an der Stelle eher den Vorwurf des Voluntarismus: wenn es alleine beim Papst liegt, die Tradition recht auszulegen, unterliegen wir folglich päpstlicher Auslegungswillkür, weil es uns nicht zusteht, ihn zu kritisieren. Und DASS uns das nicht zusteht, sagen uns die Päpste doch selbst!
Barth verdreht Hagens Worte so stark, dass sie völlig sinnentstellt sind. Ihm „erschließe sich nicht“, warum Hagen den Traditionalisten „Papalismus“ vorwerfe. Nun denn — Herr Dr. Barth hätte Hagens Text genauer lesen sollen, denn Hagen hat nichts dergleichen formuliert. Hagen geht es wie Schäppi und Reusch darum, dass ausgerechnet diejenigen, die der stark papalistisch fundierten Theologie des 19. Jh folgen, sich an einem autoritären Papst wie Franziskus stören.
Es ist übrigens interessant, dass bereits im 19. Jh von den späteren Altkatholiken vorausgesehen wurde, dass die ultramontanen Maximalisten sofort umkippen würden, wenn ein Papst nicht mehr ihrem Geschmack entsprechen würde:
Diese Zeloten und Spiritualen dem Worte nach, bereiten, wenn Gott nicht bald uns würdigt einzuschreiten, einen neuen Abfall von der Kirche vor, und zwar ihren eigenen Abfall, sobald einmal ein Papst ihnen nicht zu Willen ist, da sie Gehorsam nicht gelernt haben. In einem solchen Falle würden sie auch nicht anstehen, die von ihnen als Prüfstein der Orthodoxie verteidigte Unfehlbarkeit des Papstes aufzugeben.“[26]
Um diese schizophrene Haltung ging es nicht nur damals Kritikern, sondern auch Schäppi, Reusch, Hagen und mir (ohne dass wir damit automatisch altkatholische Positionen ergreifen würden!).

Nach weiteren gelehrten, aber einseitigen Überlegungen knöpft Barth sich nun endlich auch noch mich vor. Ich schlage in dieselbe Kerbe wie Hagen. Zunächst zitiert er, dass ich den „Dubia“ einen würdelosen und diktatorischen Stil vorwerfe und kontert, „die Dame“ (es handelt sich um mich) scheine „einen anderen Text vor Augen“ gehabt zu haben als er. Mag sein — fragt sich allerdings, wer von uns beiden den Text der Kardinäle gelesen hat. Zumindest der Möglichkeit nach muss der Lesefehler ja nicht zwingend bei „der Dame“ liegen. Ich möchte daher doch begründen, warum ich mich in dieser Art geäußert habe:
Wenn etwa die vier Kardinäle Franziskus vorschreiben wollen, wie er zu antworten hätte, finde ich das auch dann einigermaßen diktatorisch, wenn es jahrhundertealte Tradition sein sollte:
„Das Besondere im Hinblick auf diese Anfragen besteht darin, dass sie so formuliert sind, dass sie als Antwort „Ja“ oder „Nein“ erfordern, ohne theologische Argumentation. Diese Weise, sich an den Apostolischen Stuhl zu wenden, ist nicht unsere Erfindung; sie ist eine jahrhundertealte Praxis.“
Auch ist der rhetorische Stil, der geradezu perfide mit Unterstellungen arbeitet, keine Art, in respektvoller Weise einen Zweifel zu äußern. Ich zitiere Dubium 2:
„Ist nach dem Nachsynodalen Apostolischen Schreiben „Amoris laetitia“ (vgl. Nr. 304) die auf die Heilige Schrift und die Tradition der Kirche gegründete Lehre der Enzyklika „Veritatis Splendor“ (Nr. 79) des heiligen Johannes Paul II. über die Existenz absoluter moralischer Normen, die ohne Ausnahme gelten und in sich schlechte Handlungen verbieten, noch gültig?“
Damit wird dem Papst unterstellt, er habe womöglich beabsichtigt, die Lehre der Kirche außer Kraft zu setzen. Und plötzlich sind die Heilige Schrift und die Tradition wieder interessant… Wollte man dies nicht unterstellen, ist die ganze Frage unsinnig! Wenn man glaubt, dass der Papst das natürlich NICHT wollte, dürfte man niemals so fragen. Man muss sich zudem fragen, für wie dumm die Autoren den Papst eigentlich halten — meinen sie etwa, er würde, falls er die Lehre zerstören wollte, ihnen mit einen schuldbewussten und leutseligen „nein“ (also die Lehre sei nicht mehr gültig!) antworten?!
Nur einem bereits festgelegten und geistig stark „verrannten“ Menschen mag es nicht mehr bewusst sein, dass ein solcher Umgangsstil generell unangemessen ist.
Barth wehrt meine Ansicht ab, seit 1870 seien wir dem Papst „ohne Netz und doppelten Boden ausgeliefert“ und wiederholt wieder einmal, dass das Vaticanum I nur das lehre, was man schon immer geglaubt habe. Das „seither“ hätte ich streichen müssen…
Es wird ermüdend. Ein Irrtum wird nicht dadurch wahrer, dass man ihn ständig wiederholt.
Ich zitiere extra für den Dr. Barth noch etwas von Pius X., aus dem ebenfalls eindeutig hervorgeht, dass auch er diese Lehre für eine Neuerung gehalten haben muss:
Haben wir nicht zur rechten Zeit die Abhaltung des Vatikanischen Konzils erlebt und damit die Glaubenserklärung der Unfehlbarkeit des Papstes, die allen künftigen Irrungen rechtzeitig einen wirksamen Riegel vorschiebt? Sind wir nicht Zeugen ungeahnter und nie da gewesener Beteuerungen der Liebe gewesen, die aus allen Ständen und Länderstrichen die Gläubigen schon seit längerer Zeit hierher zog, dem Stellvertreter Christi Verehrung und Huldigung zu erweisen?“[27]
Wenn Pius X. hier nicht von einer Neuerung ausgehen würde, müsste man fragen, inwiefern diese Lehre vorher fest gegolten haben soll, wenn sie offenbar unwirksam war. Erst jetzt, durch das Dogma, hat man einen "Riegel", den man den Irrungen vorschieben kann. Es gab also den Riegel des Inhaltes dessen, was das Dogma ausdrückt, vorher nicht.

Immerhin folgt Dr. Barth mit ironischem Unterton meinem Vorschlag, sich den Dogmentext genau anzusehen.
Meinen Problempunkt erkennt er nicht. Der Problempunkt ist nicht, dass der Papst laut „Pastor aeternus“ nichts Neues erfinden darf. Barth versteht nicht, dass diese Zusicherung eine Hohlklausel ist, wenn niemandem das Recht zusteht, die Tradition eines Papstes auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu prüfen als ihm selbst! Solche Beweisführungen nennt man in der klassischen Logik eine Tautologie. Ich habe bereits anhand päpstlicher Verlautbarungen gezeigt, dass es päpstliches Selbstverständnis ist, dass nicht Kritiker, sondern ausschließlich sie selbst das letzte Wort darüber haben, ob sie recht lehren.

Ich habe natürlich großes Verständnis für Barths Ansicht, dass jeder Gläubige, auch wenn er keinerlei theologische Bildung hat, Abweichungen vom rechten Glauben erkennen und beurteilen kann.
Allein: das lehrt das Vaticanum I nun mal nicht, und auch das Vaticanum II lässt dem Laien oder untergeordneten Kleriker in dieser Sache nur wenig Raum.

Der Text des Unfehlbarkeitsdogmas umfasst in der Tat alle Lehren, den Glauben und die Sitten betreffend, die der Papst dem Volk unter Verweis auf seine höchste Autorität („ex cathedra“) als festzuhalten vorlegt, und es ist dabei völlig gleich, ob er dies im „ordentlichen“ oder „außerordentlichen“ Lehramt, in einer feierlichen oder alltäglichen Form tut:

„Wenn der römische Papst „ex Cathedra“ spricht, - das heißt, wenn er in Ausübung seines Amtes als Hirte und Lehrer aller Christen mit seiner höchsten Apostolischen Autorität erklärt, dass eine Lehre, die den Glauben oder das sittliche Leben betrifft, von der ganzen Kirche gläubig festzuhalten ist, - dann besitzt er kraft des göttlichen Beistandes, der ihm im heiligen Petrus verheißen wurde, eben jene Unfehlbarkeit, mit der der göttliche Erlöser seine Kirche bei Entscheidungen in der Glaubens- und Sittenlehre ausgerüstet wissen wollte. Deshalb lassen solche Lehrentscheidungen des römischen Papstes keine Abänderung mehr zu, und zwar schon von sich aus, nicht erst infolge der Zustimmung der Kirche. Wer sich aber vermessen sollte, was Gott verhüte, dieser Unserer Glaubensentscheidung zu widersprechen: der sei im Bann."

Die Formulierung des Dogmas im Original, die auf Deutsch hier etwas verwaschen wurde, lautet an der damals heftig umstrittenen und von Pius IX. am Schluss eigenmächtig eingefügten Stelle folgendermaßen:
„Ideoque eiusmodi Romani Pontificis definitiones ex sese, non autem ex consensu Ecclesiae irreformabiles esse. »
„Und deswegen sind diese Definitionen des Römischen Pontifex aus sich, nicht aber aus der Übereinstimmung der Kirche heraus irreversibel.“
Dieser Satz ist schwierig und wurde immer wieder kontrovers verstanden. Die einen sahen in dem „ex sese“, dass damit gemeint sei, die Definitionen seien aus dem Papst heraus irreversibel. Sie nahmen das an, weil die Lesart, sie seien „aus sich selbst heraus irreversibel“ andererseits den Schluss des Satzes sinnlos macht. Denn wenn etwas aus sich selbst heraus wahr ist, ist es nicht nur von der Übereinstimmung der Kirche, sondern auch von der Definition des Papstes unabhängig.
Die Formulierung birgt also eine logische Absurdität in sich, will aber eines ganz sicher: die Kirche jenseits des Papstes als mögliche Kritikerin seiner Akte abweisen.
Es bleiben also viele Fragen offen, denn der Papst referiert seine höchste Autorität bei allen möglichen Gelegenheiten, seien es Heilig- und Seligsprechungen, seien es Aussagen in Briefen oder apostolischen Schreiben, wie es ihm eben gefällt…

Zum Schluss möchte ich erwähnen, dass Barth als Beispiel für eine irrtümliche jurisdiktionelle Entscheidung eines Papstes die Aufhebung des Jesuitenordens 1773 durch Clemens XIV. anführt. Nun weiß jeder einigermaßen Bewanderte, dass die Historie nicht ganz so einfach ist, wie er sie darstellt. Das Auftreten des Jesuitenordens als päpstliche Sturmabteilung und Propagandabataillon war von Anfang an hochgradig umstritten und in vielen Hinsichten und Einzelfällen objektiv fragwürdig. Clemens XIV. nennt ja ausführlich in seinem Aufhebungsbreve „Dominus ac redemptor“  die Probleme, die durch das Verhalten der „Kompagnie“ entstanden waren. Äußerst befremdlich ist die geradezu abergläubische Meinung Barths, Clemens XIV. habe nur auf Druck der Fürsten hin, die selbstverständlich „vom Geist der Aufklärung und der Freimaurerei infiziert“ gewesen seien, gehandelt und damit mit den Sturz des Ancien Régime verursacht, die wunderbare Allianz von „Thron und Altar“, die allerdings — so muss ich entgegenhalten — noch nie zum Glaubensgut gehört hat noch dem gesunden Menschenverstand nach eine zwingende Berechtigung hätte. Man könnte allerdings auch genauso gut sagen, am folgenschwersten sei die Wiederzulassung des Ordens 1814 durch Pius VII. gewesen, in dessen Folge der fanatische Papalismus, der übrigens auf die Ideen eines bekennenden Freimaurers, nämlich Joseph de Maistre zurückging, das 19. Jh wie ein Brand abfackelte und die Kirche daran hinderte, sich den Fragen und Problem ihrer Zeit nicht nur defensiv, sondern offensiv und kompetent zu stellen. Ob es das Bündnis von Thron und Altar gibt oder nicht, ist für die Kirche völlig unerheblich. Ob aber die Wunde, die ihr mit dem Vaticanum I geschlagen wurde, je heilen kann, wenn man nicht die Geschichte seither noch einmal bearbeitet, ist objektiv und angesichts der Zustände in der Kirche mehr als fraglich. Es geht dabei nicht darum, ob dem Papst Unfehlbarkeit zukommt, sondern darum, worauf eigentlich der Glaube in den Herzen beruht: ausschließlich auf päpstlicher Definitions-Macht oder auf dem Wirken des Hl. Geistes in der Herzen, vor dem auch der Papst, will er „die Lämmer“ recht „weiden“, immer Respekt haben sollte.

Hanna Jüngling, am 6.5.2017

Richtigstellung Christoph Matthias Hagens hinsichtlich dessen bei Dr. Barth falsch dargestellten Positionen hier nachlesbar: http://www.katholisches.info/2017/05/die-paepstliche-unfehlbarkeit-notwendige-richtigstellung-zur-aktuellen-debatte/

Mein Leserbrief vom 4.3. in der DT (Scan)




[2] Vgl. die Zeitangabe im Artikel "Ungelöste Knoten" in Amoris Laetitia: Vier Kardinäle appellieren an Papst Franziskus“ von CNA Deutsch hier http://de.catholicnewsagency.com/story/vier-kardinale-appellieren-an-franziskus-zu-ungelosten-knoten-in-amoris-laetitia-1317 (5.5.2017)

[5] Roger Aubert: Vaticanum I. Mainz 1965. S. 263, 266f,
[6] Das trug allen Ernstes Bischof Mermillod von Genf vor, der von einer dreifachen Inkarnation Christi sprach, nämlich im Schoß seiner Mutter, in der geweihten Hostie und im Papst.
[7] Dazu schreibt der ans sich immer um Lehrtreue bemühte Klaus Schatz SJ: „Die … Frage, ob über Simon-Petrus hinaus an ein bleibendes Amt gedacht ist, dürfte, rein historisch gestellt, negativ zu beantworten sein, also in der Fragestellung: Dachte der historische Jesus bei der Beauftragung des Petrus an Nachfolger? War sich der Verfasser des Matthäus-Evangeliums … bewusst, dass Petrus und sein Auftrag jetzt in den auf ihn folgenden römischen Gemeindeleitern fortlebt? […] Wenn wir weiter fragen, ob sich die Urkirche nach dem Tod des Petrus bewusst war, dass seine Vollmacht auf den jetzigen Bischof von Rom übergegangen ist, dass also der Gemeindeleiter von Rom jetzt Nachfolger Petri, Fels der Kirche und damit Träger der Verheißung nach Mt 16,18ff ist, dann muss diese Frage, so gestellt, sicher verneint werden. […] Hätte man einen Christen um 100, 200 oder auch 300 gefragt, ob der Bischof von Rom Oberhaupt aller Christen ist, ob es einen obersten Bischof gibt, der über den anderen Bischöfen steht und in Fragen, die die ganze Kirche berühren, das letzte Wort hat, dann hätte er sicher mit Nein geantwortet.“ Zitiert nach Peter Bürger: Die dritte „Inkarnation Gottes“ in Rom, Oktober 2009. https://www.heise.de/tp/features/Die-dritte-Inkarnation-Gottes-in-Rom-3382932.html (6.5.2017)
[8] Hier ist unbedingt daran zu erinnern, dass es während des Tridentinums aus verschiedenen theologischen Hindernissen unmöglich war, über den Primat des Papstes Einigkeit zu erzielen. Dazu Klaus Schatz: Der Primat als konfessioneller Identitätspunkt in der Neuzeit. Skript der Philosophisch—theologischen Hochschule St. Georgen, o.J.
[9] Newman schrieb am 12. 12.1869 in sein Tagebuch: „Save the church, O my Fathers, from a danger as great as any that has happened to it.“  zitiert nach Adrian Lüchinger: Päpstliche Unfehlbarkeit bei Henry Edward Manning und John Henry Newman. Freiburg/Schweiz 2001, S. 268
[10] August Bernhard Hasler: Wie der Papst unfehlbar wurde. Macht und Ohnmacht eines Dogmas. München 1979. S. 182 ff
[11] August Bernhard Hasler: Pius IX. 1846–1878, päpstliche Unfehlbarkeit und 1. Vatikanisches Konzil: Dogmatisierung und Durchsetzung einer Ideologie. Hiersemann, Stuttgart 1977
[12] Hervorgetan hat sich hier etwa der damals bekannte Abt Idefons Herwegen von Maria Laach, der an einer “Reichtstheologie“ arbeitete. Vgl. dazu die faktenstarke Studie von Marcel Albert: Die Benediktinerabtei Maria Laach und der Nationalsozialismus. Paderborn 2004
[13] Klaus Schatz: Kirchenbild und päpstliche Unfehlbarkeit bei den deutschsprachigen Minoritätsbischöfen auf dem 1. Vatikanum (Miscellanea Historiae Pontificae 40). Rom 1975
[14] Davon berichten Aubert, a.a.O. S.291 ff oder Hasler a.a.O. aufgrund zahlreicher Quellen
[15] Lüchinger a.a.O.
[16] Hubert Wolf: Die Nonnen von Sant’Ambrogio. München 2013
[17] Otto Weiß: Weisungen aus dem Jenseits?: Der Einfluss mystizistischer Phänomene auf Ordens— und Kirchenleitungen im 19. Jahrhundert. Regensburg 2011
[18] Ein solcher Gedanke wird nahegelegt, wenn man bestimmten positivistischen theologischen Tendenzen, etwa dem Hans Barions, folgt, solche werden referiert hier: Christoph Matthias Hagen: Dogma als Liturgie — die juridisch-kultische Dimension des Ritus. In Una Voce Korrespondenz, Köln, Heft 4/2009, S. 322 ff
[19] Newman befragte sein Gewissen darüber, warum er das Papstdogma so sehr ablehne und notierte u.a. in seinem Tagebuch am 12.12.1869: „I doubt whether the Immaculata Conception and the Assumption, being defined, will ultimately increase devotion, or rather limit it.“ Vgl. a.a.O. Lüchinger S. 268, Anm. 1136
[20] Lüchinger, S. 286
[21] Lüchinger, S. 273
[22] Lüchinger, S. 288
[23] Lüchinger, S. 303
[24] Pius XII., „Humani generis“ (1950), deutsche Fassung http://www.stjosef.at/dokumente/humani_generis.htm#anmerkung03 (5.5.2017)
[25] Paul VI.: Cum te (1976, deutscher Wortlaut http://www.kathpedia.com/index.php/Cum_te_(Wortlaut) (5.5.2017)
[26] Paul Wenzel: Das wissenschaftliche Anliegen des Güntherianismus. Ein Beitrag zur Theologiegeschichte des 19. Jh. Essen 1961, S. 131: J. Reinkens in einem Brief an Nickes
[27] Pius X.: Ad diem illum laetissimum 1904