Montag, 28. Juni 2021

Der logos und die Schöpfung

 Der logos und die Schöpfung

 


Die faustische Frage, wie man den ersten Satz des Johannes-Prologs wohl am besten übersetzt, dieses „en arche en ho logos“, zu Deutsch meist mit „Im Anfang war das Wort“ wiedergegeben, führt zur Frage, was zuerst ist: Der Gedanke oder die Tat. Das mag banal klingen, ist es aber nicht. Faust versucht sich, umschlichen vom Teufel in Gestalt eines schwarzen Pudels, an einer Übertragung:

Geschrieben steht: »Im Anfang war das Wort!«
Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort?
Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
Ich muß es anders übersetzen,
Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.
Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn.
Bedenke wohl die erste Zeile,
Daß deine Feder sich nicht übereile!
Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?
Es sollte stehn: Im Anfang war die Kraft!
Doch, auch indem ich dieses niederschreibe,
Schon warnt mich was, daß ich dabei nicht bleibe.
Mir hilft der Geist! Auf einmal seh ich Rat
Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat!

(Faust I, Szene „Studierzimmer“)


Der griechische Begriff des logos ist nicht einfach im Deutschen wiederzugeben. Aber „Tat“ heißt er sicher zunächst nicht. Goethe beschreibt, dass das komplexe Bedeutungsfeld von „Idee“, über „Wort“ zu „Konzeption“ oder „Kraft“ nach der Realisation verlangt, einen „logos“ ohne Manifestation kann es wohl kaum geben, er drängt hinaus ins Da-Seiende, mag er auch als das „Seiende“ vorausgehen. Das Wort und sein Sinn haben eine Kraft in sich, die unmittelbar zur schöpferischen Tat wird. Fausts Anliegen ist die Erkenntnis darüber „was die Welt im Innersten zusammenhält“.

Ich glaube als christlicher Freidenker, dass alles aus dem logos entstanden ist, die ganze Schöpfung. Um die Entstehung von Taten zu begreifen, muss angenommen werden, dass auch der Mensch einen Anteil an diesem logos hat, denn andernfalls lässt sich kaum verstehen, warum er in einer ähnlichen Abfolge der geistigen Prozesse handeln kann. Aber wir empfinden, dass wir meilenweit entfernt von diesem logos sind, dass uns die Worte ja förmlich fehlen und unser Handeln mit enormer Mühe entwickelt werden muss.

Was hat es mit dieser Diskrepanz, die wir empfinden, auf sich?

Muss man vielleicht in Erwägung ziehen, dass „Wort“ und „Sprache“ des Menschen heute nicht mehr das ist, was es einmal war, und der Mensch einmal über ganz andere „logische“ Kompetenzen verfügte? Woher kommt der tiefe Wunsch aller Völker nach Dichtung, nach Poesie und Gesang? Völker ohne Dichtung und Lieder gibt es nicht. Warum genügt uns das alltägliche Sprechen nicht? Warum sind es der Glaube und die Liebe, die uns zu anderer Sprache emporwachsen lassen oder das Sehnen nach einem anderen Sprechen entzünden?

Der Mensch konnte, wie ich vermute, einstmals wesentlich anders sprechen als er es jetzt tut. Man sieht ja an den sprachwissenschaftlichen Forschungen, dass alle großen Kultursprachen veröden und verarmen (heute v.a. Englisch und Chinesisch, aber es geschah so auch beim Lateinischen, ebenso kann man den Prozess sogar beim Hebräischen nachvollziehen, seitdem es "Alltagssprache" wurde). Englisch war vor 500 Jahren noch eine komplexe Sprache, heute schafft sie durch einen aufgeblasenen und immer aufgeblaseneren Wortschatz Kompensation für den Verlust an effizienter und formenreicher Nuanciertheit und Feinheit. Es hat eine Schönheit, dass es "heilige Sprachen" bis heute gibt, die nur im Rahmen von Liturgien angewandt werden. Auch sind die komplexesten und damit auch erhabensten Sprachen nicht die der großen Zampano-Völker, sondern die Sprachen abgelegener Indianernationen und kleiner Stämme ... Man versucht seit Jahrzehnten, das Deutsche im selben Sinn zu verhunzen und in eine "einfache Sprache" zu transformieren. Dem sollte jeder, der seine Heimat und Sprache liebt, entgegenwirken. Alleine schon aus Selbstachtung. Es hat daher auch einen großen Vorteil, dass das Deutsche etwas in den Hintergrund gerückt ist - so konnte es leichter immer noch bei sich selbst bleiben ...

Der Mensch, nach Gen 1 "in der äußeren und inneren Gestalt Gottes", ist Gott in der Sprache, im Wort ähnlich. Nur der Mensch hat Sprache in diesem göttlichen Sinn. Aber etwas ist geschehen, und er hat das verloren, und es verblasst je gottabgewandter oder gottvergessener er ist. Gottzu- oder -abgewandtheit kann aber nicht so leicht konstatiert werden, nur Gott selbst sieht die Herzen an.

Paulus hat eine Vision und wird entrückt bis in den dritten Himmel. Er hört dort, wie er es im 2Kor 12,4 beschreibt, arreta rhemata“, "unaussprechliche Worte", die auszusprechen ein Mensch nicht befugt sei. Man übersetzte im alten Neuhochdeutsch, dieses „ein Mensch ist nicht befugt“ („ouk exon anthropon“) mit „es ziemt dem Menschen nicht“. Wir würden heute eher sagen, „es steht ihm nicht an“, oder „er ist nicht in dem notwendigen Stand“, solche Worte auszusprechen. Paulus fragt sich wohl deshalb, ob er das überhaupt in diesem Leib hören konnte, der ein solches Sprechen nicht möglich machen könnte. Aber als Geistwesen konnte er diese unaussprechliche Sprache hören und verstehen.

Ich vermute, dass das ebenfalls im 1Kor 12,10 beschriebene "Zungenreden" eine Geistbefähigung zum ursprünglichen Sprechen sein könnte. Paulus schreibt, dass er es selbst auch konnte. Das, was Pfingstgemeinden und Charismatiker heute daraus machen, ist eine blasphemische Verzerrung dessen, was damit vermutlich gemeint war. Eine Gratwanderung ist diese glossa“, diese „Zunge“ in jedem Fall, weil sie auch von Schwarzmagiern nachgeahmt und verzerrt bzw pervertiert eingesetzt wird. Offenbar haben die Korinther daraus eine veräußerlichte Sensation und "Trophäe" besonderer Geistbegabung gemacht - also genau das, was die Sprache dann in sich wieder aufhebt und zur schwarzflachen Magie verkommen lässt. Paulus sagt daher, dass es für das gemeinschaftliche Leben nicht (noch nicht) verfügbar ist, dieses Sprechen, vermutlich erst noch den verwandelten Leib braucht, und vorerst eher eine persönliche Frömmigkeitspraxis zu Gott hin oder sogar in Gott sein kann. Auch passt dazu sein Satz in Röm 8,26, der Heilige Geist vertrete uns mit unaussprechlichen Seufzern in allem, was wir nicht sagen können zu Gott hin. Auch hier geht es um fehlendes Sprechenkönnen, um verschüttetes Sagenkönnen.

Nach meinem Glauben denke ich, dass wir nach diesem Leben, wenn wir auferweckt und verwandelt werden, wie Jesus Christus es schon erfahren hat, diese Ursprache wieder sprechen werden können – wir Menschen miteinander und mit Gott.

Alle Dichtung, alle Musik ist die Sehnsucht nach dieser Sprache.

Für mich ist es der logos im weitesten Sinn die Inspiration und Konzeption. Gott schafft in der Genesis ja nicht durch autoritäres Verfügen, sondern ganz unterschiedlich. Es gibt das reine Sagen: "Es werde ...". Es gibt das "X bringe hervor ...". So werden sowohl die Erde als auch das Meer beauftragt, Wesen hervorzubringen (Gen 1). Christen sollten das nicht außer acht lassen, dass Gott tatsächlich die Erde zu einer Mutter macht, allerdings - und das ist eine Pointe - nicht für den Menschen.

Den Menschen formt er selbst aus Erde. Er selbst bringt ihn hervor. Mittelbar stammt er also auch von der Erde, aber nicht die Erde bringt ihn hervor.

Die Lebendigkeit des Menschen stammt ebenfalls nicht aus der Erde, sondern aus seinem Geist, durch seinen Odem wird aus dem Adam ein lebendiges Wesen.

Die Erde hat die göttliche Beauftragung, alle Pflanzen und Tiere auf dem Land un din der Luft hervorzubringen bzw das Meer die Pflanzen und Fische des Meeres.

Der Mensch hat nur den Auftrag, Menschen hervorzubringen ("Wachset und mehret euch").

Die Benennung der Tiere erfolgt in Gen 2 durch den Adam, d.h. er gibt dem, was von der Erde hervorgebracht wurde, ein sprachlich-geistiges Echo.

Wenn man genau hinsieht, ist das alles sehr differenziert geschildert.

Der Auftrag an den Menschen, die Schöpfung zu bebauen und zu erhalten, weist bei kontemplativer Lesart in eine enorme Tiefe. Am ehesten sehe ich das der Spur nach bei den Leuten erfüllt, die derzeit nach einer "Perma-Kultur" suchen, dieses tiefe Einfühlen in das, was diese Natur braucht, um sich entfalten zu können, die geistige Formung des Wortes, das nötig ist, damit alle Pflanzen und Tiere immer wieder neu hervorgebracht werden können, der dazu notwendige Respekt vor der "Mutter" Erde. In dieser Auffassung ist die Erde die Mutter der Tiere und Pflanzen, aber nicht des Menschen. Das ist wichtig, zu bedenken. Dem Menschen kommt da tatsächlich eine väterliche Rolle zu, die er achtsam einnehmen sollte, weil er sie „in der inneren und äußeren Gestalt Gottes“ erhalten hat.

Mit ein paar Rotzsätzen, wie wir das gewöhnt sind, auch von Christen, entweder iS einer autoritären Vereinnahmung der Worte oder umgekehrt der Lächerlichmachung der entsprechenden Verse, kann es nicht mehr weitergehen.

Permakultur trotzt dem Land nichts mehr ab. Ich spüre und erfahre es, da ich im Wald lebe. Zuchtpflanzen passen da irgendwie nicht rein, sind wie eine Art "Abgott", aus der Natur „gezogen“ gegen die eigentliche Natur.

Meine heurige Entdeckung, dass die Erde plötzlich Erdbeeren hervorbringt hier, was sie zuvor nie getan hat ... ich fasse es so auf, dass Gott ihr gesagt hat, sie soll das nun tun, und sie tut es, solange ich sie nicht hindere und meine, ich müsste da, wo ihr Platz ist, Blumenkohl züchten. Plötzlich tauchen die wundersamsten Dinge auf.

Und so entspringen plötzlich auch Quellen an unerwarteten Orten, wenn man ihnen den Raum lässt, hier zu entspringen.

Der Fluch um Adams willen aus Gen 3, dass die Erde ihm Dornen und Disteln entgegenstreckt, eben weil er nicht mehr versteht, was sie braucht und sie sich wehrt gegen den Menschen - ich glaube, dass "Erlösung" im christlichen Sinne auch bedeutet, dass man versucht, diese unselige Kettenreaktion wieder zu heilen. Immerhin heilte Jesus so vieles andere und trieb böse Geister aus, warum nicht auch an dieser Stelle?

Interessant in dem Zusammenhang, dass er Fischfänge zur "Unzeit" befahl, und die Jünger wollten nicht glauben, dass es andersherum jetzt, jetzt und hier – nicht immer und statisch gesehen – viel besser geht.

Petrus sagt dann, als es sich als richtig erwies, was Jesus dazu gesagt hatte: "Geh von mir hinaus! Denn ich bin ein sündiger Mensch, Herr." (Lk 5,8)

Er erkannte in dem Moment, dass der Umgang mit Erde und Wasser sündhaft ist. Der reine Mensch Jesus hatte ihm gesagt, wie es sein soll, und er hatte das zunächst verworfen als Ausdruck dieser Verkehrtheit. Gemeinhin interpretieren Christen das ungefähr so: Petrus hat Jesus, der doch Gott ist und allwissend, nicht geglaubt, er hätte schließlich einfach gehorchen sollen … Eine solche Interpretation ergibt keinen Sinn, denn erstens gehorcht er ja, und zweitens hat er doch das Recht, seine Zweifel zu äußern. Ich denke, es ist etwas Tieferes, was hier geschah, nämlich die Erkenntnis, dass er, Simon, von der Natur überhaupt nichts verstand, sie nicht so auffasste, wie sie aufgefasst werden wollte. Dazu gehört auch, dass die Natur uns gerne mehr geben will, als wir fassen können, wenn wir sie lassen, so wie in dem Märchen vom Aschenputtel, das aus Versehen eine Spule in den Brunnen hatte fallenlassen und von der bösen Stiefmutter geheißen wurde, sie wieder herauszuholen:

Da ging das Mädchen zu dem Brunnen zurück und wußte nicht, was es anfangen sollte; und in seiner Herzensangst sprang es in den Brunnen hinein, um die Spule zu holen. Es verlor die Besinnung, und als es erwachte und wieder zu sich selber kam, war es auf einer schönen Wiese, wo die Sonne schien und vieltausend Blumen standen. Auf dieser Wiese ging es fort und kam zu einem Backofen, der war voller Brot; das Brot aber rief: "Ach, zieh mich raus, zieh mich raus, sonst verbrenn ich: ich bin schon längst ausgebacken." Da trat es herzu und holte mit dem Brotschieber alles nacheinander heraus. Danach ging es weiter und kam zu einem Baum, der hing voll Äpfel, und rief ihm zu: "Ach, schüttel mich, schüttel mich, wir Äpfel sind alle miteinander reif." Da schüttelte es den Baum, daß die Äpfel fielen, als regneten sie, und schüttelte, bis keiner mehr oben war; und als es alle in einen Haufen zusammengelegt hatte, ging es wieder weiter.“ (Gebrüder Grimm, Frau Holle)

Uns wird hier eine Gegenwelt zu der grauen realen Welt der Ausbeutung gezeigt – das Aschenputtel wird von der Stiefmutter so ausgebeutet, wie wir alles ausbeuten in dieser Schöpfung – dieses versunkene Paradies im Brunnen, ein Traumreich, ein Schlaraffenland, in dem die Dinge der Natur voller Freude ihre Aufgaben erfüllen, uns zu nähren und uns sogar zum Essen rufen. In dieser Welt muss man dem Boden nichts abtrotzen … Aber man muss die Stimmen der Geschöpfe hören können. Sie stellen sich uns tatsächlich zur Verfügung.

Und jeder kennt von ferne dieses Erlebnis, mitten durch ein recht ungezwungenes Land zu laufen, in dem ihm die Dinge ins Auge springen, Sauerklee unter Nadelbäumen, wir sehen es den Brennnesseln an, wann sie am besten genießbar sind und die Vögel zeigen uns, wo es feine Beeren gibt …

All das kommt immer noch und weiterhin aus dem logos Gottes, der es wert ist, unbedingt geachtet und geliebt zu werden. Ich freue mich auf einen neuen Himmel und eine neue Erde, in der sich das verwirklichen wird. Möge dieses Elend hier, das wir erleben, bald dem Besseren weichen.