II. Die Salbung
des Herrn: Die namenlose Prophetin
Die Frau, die man
in der Kirche gerne mit Maria Magdalena identifizierte, mit einer „Hure“ also, obwohl
dafür keinerlei sachlicher Grund gegeben ist, wird in den Evangelien in drei bzw.
vier verschiedenen Berichten genannt.
Es handelt sich
um die Geschichte von der „Salbung Jesu in Bethanien“. Die Erzählung findet
sich sowohl bei Matthäus (Mt 26, 6ff), als auch bei Markus (Mk 14, 3ff), als
auch bei Lukas (Lk 7, 36). Eine ähnliche Geschichte weist das
Johannes-Evangelium (12, 1ff) auf.
In den synoptischen Evangelien ist Jesus zu Gast bei einem Mann namens Simon, der
zweimal als (ehemaliger) „Aussätziger“ bezeichnet wird (Matthäus, Markus),
einmal als „Pharisäer“ (Lukas). Jesus ist dort zu Tisch eingeladen. In allen
Erzählungen tritt eine Frau ein, die in der Hand ein Alabastergefäß mit
kostbarem Salböl trägt und Jesus damit salbt. In allen Berichten wird die Frau
von den männlichen Jüngern hart kritisiert für die Salbung Jesu, vom Herrn
selbst aber verteidigt.
Unterschiede
bestehen
1. hinsichtlich
des Ortes, der nur bei Matthäus und Markus das Haus des Simon in Bethanien ist.
Bei Lukas wird der Ort nicht genannt. Im Johannes-Evangelium wird zwar
Bethanien genannt, aber das Haus der Geschwister Maria, Martha, Lazarus und
nicht das des Pharisäers Simon.
2. hinsichtlich
des Körperteils Jesu, der gesalbt wird. Bei Matthäus und Markus ist es der Kopf
Jesu bzw. sein Haar. Bei Lukas sind es die Füße. In der ähnlichen Geschichte in
Johannes 12 salbt Maria ebenfalls Jesu Füße.
3. hinsichtlich
der Begründung des Unwillens der männlichen Jünger: Bei Lukas ist Simon
unwillig, weil die Frau eine stadtbekannte Sünderin sei und Jesus sich durch
ihre Berührung unrein gemacht habe. In den anderen Evangelien argumentieren
Jünger damit, es sei Verschwendung, ein so teures Öl zu dieser Salbung zu
verwenden, und man hätte dafür viel Geld bzw. 300 Denare erhalten und den Armen
schenken können.
4. hinsichtlich
des Standes der Frau: Während sie bei Matthäus und Markus als anonyme Frau
auftritt, im Johannes-Evangelium die Salbende die Gastgeberin Maria ist,
berichtet nur das Lukasevangelium, dass der Pharisäer Simon sie als „Sünderin“
betitelt, die in der ganzen Stadt bekannt sei.
Man kann bezweifeln,
ob es sich bei den Erzählungen in den synoptischen Evangelien um ein und
dieselbe Begebenheit handelt. Der Grund liegt darin, dass im Lukas-Evangelium
die Begebenheit sehr früh berichtet wird. Sie fällt in die Zeit, in der Jesus
im Land unterwegs ist und zum Befremden vieler frommer Juden mit den Sündern
keinerlei Berührungsängste aufweist. Johannes der Täufer scheint zu dieser Zeit
ebenfalls noch aus dem Kerker heraus zu wirken (Lk 7, 18 ff). In den
Erzählungen bei Matthäus und Markus dagegen findet das Zusammentreffen Jesu mit
der Frau wenige Tage vor seinem Tod statt. Bei Matthäus sagt Jesus selbst, „in
zwei Tagen“ beginne das Pessachfest, und da werde er gekreuzigt werden (Mt 26,
2). Auch Markus beginnt seinen Bericht über die Salbung Jesu mit dem Hinweis,
es sei zwei Tage vor Pessach gewesen. Die Erzählung im Matthäus- und Markus-Evangelium weist daher die größten Übereinstimmungen auf, und auf sie
will ich mich im Folgenden konzentrieren. Die Erzählung im Johannes-Evangelium
hat zwar ähnliche Züge, kann aber alleine schon aufgrund der völlig
verschiedenen Gastgeber und Namen nicht „objektiv“ dieselbe Geschichte sein.
Der Gedanke liegt selbstverständlich nahe, dass alle vier Erzählungen aus einem
und demselben Gut schöpfen. Ob die „Sünderin“ Maria von Bethanien sein könnte,
ließe sich zur Not aus den Evangelien rekonstruieren, nicht aber die
Identifikation mit der Lieblingsjüngerin Jesu. Eine Verbindung dieser vier
Erzählungen zu Maria Magdalena gibt es im Neuen Testament nicht. Als Salbende
tritt Maria Magdalena vielmehr erst auf, als Jesus im Grab ist. Früh am Morgen
eilt sie zum Grab und will den Leichnam salben (Mk 16, 1). Es spricht nichts
dagegen, dass Jesus mehrfach in verschiedenen Situationen durch Frauen gesalbt
wurde.
Die namenlose
Frau, die nach Matthäus und Markus auf das Gastmahl bei Simon, dem Aussätzigen
kommt, ist symptomatisch für die Geschehnisse um den Opfertod Christi.
Es ist eine Frau,
die eine Schlüsselrolle innehat. Ihre Anonymität lässt sie als exemplarisch für
die Frau überhaupt erscheinen. Sie tritt offenbar überraschend und ungebeten ein
und salbt das Haupt Jesu. Dem Unwillen der Jünger begegnet Jesus mit dem
Hinweis darauf, dass diese Frau etwas Prophetisches getan habe: sie habe ihn
für sein Begräbnis gesalbt. Und wo das Evangelium verkündigt werde, werde man
ihrer Tat gedenken.
Was bedeutet das?
Die Frau, die man
im Judentum aus allem Heiligen und aus der Beschäftigung mit der Thora ausgegrenzt
hat, tritt hier also ungebeten ein – ein Rabbi und (wahrscheinlich) ein
Pharisäer hatten sich getroffen. Die Frau tritt einfach hinzu. Während Jesus Männer
ausdrücklich berief, ist bei keiner einzigen Frau davon die Rede. Sie hängen
sich von sich aus an Jesus oder treten einfach ungebeten hinzu. Und der Herr
lässt sie kommen und steht dafür ein, dass sie es dürfen. Ähnlich wie bei den
verachteten Kindern wehrt er den Unwillen der Männer ab, denen eher so etwas
wie ein „Arkanprinzip“ vorschwebt: „Die
Jünger aber wiesen die Leute schroff ab. Doch Jesus sagte: Lasst die Kinder zu
mir kommen; hindert sie nicht daran! Denn Menschen wie ihnen gehört das
Himmelreich.“ (Mt 19, 13b+14)
„Talium est enim regnum cælorum.“ – „Solchen gehört nämlich das Himmelreich.“ Solchen - das kann man auch auf die Frauen übertragen...
Die Frau tritt
also überraschend, ungebeten und absolut zielstrebig ein. Sie weiß ganz genau,
was sie vorhat. Doch welches Motiv könnte sie haben?
Salbungen mögen
kosmetische Zwecke gehabt haben, aber diese Situation hat keine Merkmale einer „Badezimmer“-
oder „Beauty-Salon-Situation“. Rituelle
und auch überraschende Salbungen gebühren nur Königen und Propheten.
Der „Gesalbte“,
der „Maschiach“, dessen griechische Übersetzung „Christus“ lautet, ist ein
Gesandter oder Erwählter Gottes, ja, sogar der erwartete Retter der Welt.
Diese
Salbung Jesu erinnert in ihrer Plötzlichkeit an die, die einst der Prophet
Samuel auf Geheiß des Herrn an dem Knaben David vollzogen hatte. In 1. Samuel
16 wird uns berichtet, wie Samuel vom Herrn gesandt ins Haus Isais eintritt,
die Leute auffordert, sich mit ihm auf ein Opfer vorzubereiten. In einem
inneren Dialog zwischen Gott und Prophet wird ihm angewiesen, nach einem etwa
noch nicht aufgetretenen weiteren Isai-Sohn zu fragen. Man lässt den jungen
David von der Schafweide holen. Gott gibt Samuel ein, diesen zum König zu
salben. Der Prophet macht auch hier keine weiteren Umstände und salbt David inmitten
der Familie kurzerhand zum König.
Diese Situation
steigt auf, wenn man die Geschichte von der Salbung in Bethanien liest.
Die
Frau tritt ein, trägt ein geradezu sündhaft teures Salböl in der Hand und
vollzieht ohne langes Federlesens das, was keiner der Männer, auch nicht des
Zwölferkreises, für nötig befunden hätte, nämlich die Salbung Jesu zum König
und Retter. Sie spricht kein Wort. Sie vollzieht gestisch, was keiner öffentlich
zu sagen wagt:
Dieser ist der Gesalbte des Herrn, er ist der Herr und König
über des All, denn alles ist durch ihn gemacht.
Seine Salbung ist
hier eine Salbung zum wahren König der Welt, zum verborgenen König, und es ist
symptomatisch, dass nicht irgendein stolzer, hochgestellter Mann diese Salbung
Jesu für das verborgene Reich Gottes vornimmt, sondern eine Frau, deren Name
uns nicht einmal bekannt ist.
Wie es die Gottesmutter im Magnificat schon sagt:
Die Niedrigen erhebt er, die Mächtigen stürzt er, die, die den Luxus innehaben,
die stürzt er, an allen Schlüsselstellen wendet sich der Herr zuerst an eine
Frau: er lässt sich durch die niedrige Magd gebären, er offenbart zuerst der
Elisabeth, wen Maria im Leib trägt, er erscheint zuerst Maria Magdalena und anderen Frauen am Grab,
und er lässt sich von einer Frau zum verborgenen König salben. Damit wird das
gesamte antike System vor den Kopf gestoßen.
Die Geschichte hat allerdings neben dieser ersten Tiefenschicht noch eine
zweite, darunter liegende Tiefenschicht: Der Herr wird getötet werden und die
Salbung ist auch die für einen, der zu Grabe getragen wird. Das sagt er selbst
den Jüngern: „Sie hat im voraus meinen
Leib für das Begräbnis gesalbt.“ (Mk 14, 8)
Mit der Salbung Jesu zum König in diesem Äon und mit den kostbarsten
Mitteln dieses Äons also wird auch zugleich sein Tod angesagt. Es ist tiefgründig,
was hier erzählt wird und passt zum Machtverzicht Jesu, als er der Versuchung
zur Macht in der Wüste widerstand:
Jesus ist der König des Alls, weil durch ihn alle Dinge gemacht sind, aber er stirbt der pervertierten Macht in dieser Welt, ja, er geht an ihr und mit ihr förmlich zugrunde. So erhält das, was dem König gebührt, einen verfremdeten Charakter.
Die männlichen Jünger erfassen nicht, dass es hier um die Salbung des sterbenden Königs in der sterbenden Welt geht und halten es für „Verschwendung“.
Jesus ist der König des Alls, weil durch ihn alle Dinge gemacht sind, aber er stirbt der pervertierten Macht in dieser Welt, ja, er geht an ihr und mit ihr förmlich zugrunde. So erhält das, was dem König gebührt, einen verfremdeten Charakter.
Die männlichen Jünger erfassen nicht, dass es hier um die Salbung des sterbenden Königs in der sterbenden Welt geht und halten es für „Verschwendung“.
Warum sollte man
für immer der Tat dieser Frau gedenken, wenn sie nur eine der vielen
Nettigkeiten, meinetwegen Liebeserweise oder Opfer durch Frauen für Jesus
gewesen wäre? Jesus sagt voraus, dass man niemals mehr vergessen werde, was sie
getan hat. Das heißt: Bis er kommt, soll man über diese Geschichte nachdenken
und begreifen, was sich damals abgespielt hat. Denn dies hier ist eine Schlüsselerzählung für das rechte Verständnis des Reiches Gottes.
Eine Frau wurde
zur Prophetin der Königsherrschaft Christi, die mit seiner Inkarnation für alle
Welt sichtbar begann, durch das Grab ging und ein Äon lang ihre Kinder sammelt,
um im himmlischen Jerusalem mit ihm für immer zu regieren, als selbst mit
seinem heiligen Namen Gesalbte:
„Sie werden sein Angesicht schauen und sein Name
ist auf ihre Stirn geschrieben.“ (Apk
22, 4)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen