Mittwoch, 15. Juni 2016

Apostolae apostolorum I: Maria Magdalena und andere Frauen als erste nachösterliche Gesandte des Herrn



Apostolae apostolorum

Maria Magdalena und eine namenlose Prophetin

I. Maria Magdalena und andere Frauen

Die katholische „Tradition“, Maria Magdalena mit der anonymen „Sünderin“ und Maria von Bethanien zu identifizieren, wurde weder von den Christen der ersten Jahrhunderte geteilt, noch ist sie nach moderner theologischer Forschung haltbar.

Die gesamte Ostkirche kennt Maria Magdalena als die, die in den Evangelien namentlich überliefert ist. Und dies zeichnet sie als die bedeutendste weibliche Jüngerin Jesu, der er sieben Dämonen ausgetrieben hat (Lk 8, 2), die Jesus finanziell unterstützt, die (zusammen mit anderen Frauen) mit ihm den Kreuzweg geht, unterm Kreuz steht und als erste ans Grab eilt.

Und vor allem ist sie nach dem Johannes-Evangelium in einem ausführlichen Bericht (Joh 20, 11-18), nach dem Matthäus-Evangelium (Mt 28, 9) und nach dem Markus-Evangelium (Mk 16, 9) eindeutig der erste Mensch, dem sich Jesus als Auferstandener zeigt.
Dieser Befund in den kanonischen Evangelien ist so unmissverständlich, dass man sich einige Fragen stellt angesichts der Tatsache, dass die Kirche diese Tatsache in der Abfolge der Evangelien-Lesungen in der Osteroktav förmlich unterdrückt hat und zuerst die Erscheinung des auferstandenen Herrn vor allen in Frage kommenden Männern, selbst den Emmaus-Jüngern, vorträgt, bis sie dann endlich am Donnerstag nach dem Ostersonntag den Bericht über die Begegnung Marias mit Jesus, den sie zuerst für den Gärtner hält, als Schlusslicht rezitieren lässt. Sie setzt an den Anfang der Lesungen denjenigen Bericht, der bei der Entdeckung des leeren Grabes durch die Frauen abbricht und verschweigt, wie es gleich danach weiterging, so, als habe der Auferstandene die Frauen, die sich zuerst an sein Grab bemühten, übergangen und sich erst den Männern, die nicht von sich aus an sein Grab kamen, gezeigt und danach erst die Frauen gewürdigt.

Zu dieser Unterdrückung der wahren und in den Evangelien dreifach bezeugten Vorgänge passt auch die Aufschäumung Maria Magdalenas zu einer Ex-Hure oder Hetäre, die den Rest ihres Lebens im Fellgewand oder in Lumpen wegen ihrer schlimmen Sünden verbracht habe. 

Carlo Crivelli: Maria Magdalena 1476

 Die abendländische Kunst kennt sie als schöne, vergeistigte Frau, aber auch als extrem aufreizend gezeichnete und sinnliche Frau und zugleich auch als teilweise immer noch ansehnliche oder vollkommen zur Vogelscheuche mutierte Büßerin. Ihre Identifizierung mit der „stadtbekannten Sünderin“ (Lk 7, 36 ff), geht auf Gregor den Großen im 6./7. Jh zurück, der dafür allerdings keine sachlichen Gründe angeben kann. Er reimt sich das so zusammen, weil er in den sieben Dämonen, die Jesus der Maria ausgetrieben hat, die sieben Laster zu erblicken glaubt. Seine Schlussfolgerungen sind nach logischen und sachlichen Kriterien haarsträubend.[1] Die Predigt Gregors des Großen scheint alles dafür zu tun, um Marias Ansehen herabzusetzen und sie unter dem Deckmantel der Beschreibung einer reuigen Sünderin vor allem aller denkbaren Sünden überhaupt erst anzuklagen und sich daran zu weiden.

Tizian: Maria Magdalena als Büßerin 1533


Eine weitere Identifikation Maria Magdalenas mit Maria von Bethanien (Lk 10, 38 ff), die sich von Jesus lehren ließ und der Jesus dies als das „Bessere“, das sie „erwählt“ habe, unbedingt gegen eine angeblich wichtigere Haushaltspflicht und Sorgepflicht zuerkennt, ist genauso unhaltbar und geht aus den Evangelien mit keinem Wort hervor.

Donatello: Maria Magdalena 14. Jh


Von dieser Verzerrung durch Gregor den Großen leiten sich alle schlüpfrigen Legenden über Maria Magdalena ab, die heute ihren einsamen Gipfel in der romanhaften Überzeichnung Maria Magdalenas als der Liebhaberin oder Ehefrau Jesu erhalten haben. Man unterstellt – Ironie der Geschichte - der Kirche, sie habe genau diese sinnliche Tradition unterdrückt. Diese Wendung der Maria-Magdalena-Traditionen ist die faule Frucht jahrhundertealter kirchlicher Verzerrungen und führt uns vor Augen, wohin solch fahrlässige und vor allem frei erfundene Lehren wie die des Papstes Gregor führen können… Die Sünder in der Hierarchie der Kirche jedenfalls erhalten in Romanen wie „The Da Vinci Code“ von Dan Brown, in dem Maria Magdalena sinnliche Frau Jesu sei und der leibliche „heilige Gral“ nur einen Denkzettel für die Verzerrungen und Legenden, deren Samen sie doch selbst in die Welt gesprüht hatten. Schmerzlich ist vor allem, dass damit durch die Hierarchie einer der vielen scheinbaren Makel auf die heilige Kirche gebracht wurde, und dass die Welt längst die Bedeutung einer Apostelin „aufgespießt“ hat, die die Kirche nicht anerkennen wollte, obwohl die Evangelien sie doch darstellen und die frühe Kirche dies – neben der aufkeimenden Unterdrückung - noch so tradiert. Hinzugekommen sind in jüngerer Zeit verschiedene Schriftfunde frühchristlicher Texte, in denen Maria Magdalena ebenfalls als bedeutendste Jüngerin und Apostelin beschrieben wird.[2]

Jules-Joseph Lefebvre: Maria Magdalena 1876


Es ist daher vollkommen richtig und eine große Freude, dass Franziskus den Gedenktag Maria Magdalenas nun zu einem Fest erhebt.[3]
Für diesen Festtag wurde ein Präfation erstellt, die Maria Magdalena folgendermaßen würdigt:

„Qui in hortu maniféstus appáruit Maríæ Magdalénæ,
quippe quae eum diléxerat vivéntem,
in cruce víderat moriéntem,
quæsíerat in sepúlcro iacéntem,
ac prima adoráverat a mórtuis resurgéntem,
et eam apostolátus offício coram apóstolis honorávit
ut bonum novæ vitæ núntium
ad mundi fines perveníret.“
[4] 

((Jesus Christus), der im Garten - wie geschrieben steht – Maria Magdalena erschienen ist,
die ihn als Lebendigen geliebt hat
die ihn am Kreuze sterben sah,
die den suchte, der ins Grab gelegt worden war,
und als Erste den von den Toten Auferstandenen angebetet hatte,
hat sie geehrt mit dem Aposteldienst an den Aposteln selbst,
damit die frohe Botschaft des neuen Lebens
an die Enden der Welt durchdringe.)

Fra Angelico: Noli me tangere 1440
Der begleitende Artikel von Erzbischof Arthur Roche, dem Sekretär der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, benennt im Schlussabsatz die Gleichwürde des Apostelamtes der Maria Magdalena:

„Sie ist Zeugin des auferstandenen Christus und verkündet die Botschaft von der Auferstehung des Herrn wie die übrigen Apostel. Daher ist es richtig, dass die liturgische Feier dieser Frau denselben Grad eines Festes erhält, den die Apostelfeiern im Römischen Generalkalender erhalten haben und dass die besondere Sendung dieser Frau herausgearbeitet werde, die Beispiel und Modell für jede Frau in der Kirche ist.“ [5]

Maria Magdalena belehrt die Apostel, England 12. Jh

Die Rede Maria Magdalenas davon, dass sie den „Herrn“ (den Kyrios) gesehen habe (Joh. 20, 18), legitimiert sie bereits im biblischen Kontext als „apostola“ im selben Sinne, mit dem auch Paulus später in 1. Kor. 9, 1 sein Apostelsein „außerhalb der zwölf Jünger“ als gleichwertiges Apostolat legitimiert. Den Titel der „apostola (apostolorum)“ haben ihr daher einige Kirchenlehrer unbefangen gegeben – nach Hippolyt von Rom oder Rabanus Maurus selbst noch Thomas von Aquin.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass in der altkirchlichen Auffassung die apostolische Beauftragung der Maria Magdalena nicht nur ihr, sondern allen Frauen erteilt wurde, die mit ihr im Grabesgarten unterwegs waren. Hieronymus äußert sich eindeutig:

„Mihi tantum (…) sufficiat, Dominum resurgentem primum apparuisse mulieribus, et apostolorum illas fuisse apostolas, ut erubescerent viri non quaerere, quem iam fragilius sexus invenerat. »[6]

(Mir genügt es, dass der auferstandene Herr zuerst Frauen erschienen ist, und dass sie Apostelinnen der Apostel waren, damit die Männer schamrot würden darüber, dass sie nicht gesucht hatten, den das zerbrechlichere Geschlecht schon gefunden hatte.)

Oliver Achilles[7] hat in altkirchlichen Dokumenten eine Stelle aus einem Kommentar Hippolyts von Rom zum Hohenlied gefunden, der ebenfalls davon ausgeht, dass der Auftrag an Maria Magdalena an mehrere Frauen erging und daher als generalisiertes Apostelamt allen Frauen gilt, die von Jesus persönlich beauftragt werden:

„Ein gutes Zeugnis offenbaren uns jene, die Apostel wurden für die Apostel, gesandt durch Christus. Zu denen zuerst die Engel sagten: ‚Gehet und saget den Jüngern: Er geht vor euch hin nach Galiläa. Dort werdet ihr ihn sehen.‘ Und damit jene Apostel nicht zweifelten an den Engeln, so begegnete den Apostel Christus selbst, damit diese Frauen seien Apostel Christi und durch Gehorsam das erfüllten, was mangelte der alten Eva. Von nun an werden sie, gehorsam gehorchend, als vollkommene erscheinen.“[8]

Im Kommentar Hippolyts findet sich auch folgender Ausruf:
O selige Tröstung! Eva wird Apostel genannt!“

Auch diese Formulierung versteht das, was Maria Magdalena empfängt, als ein Apostelamt für jede Frau, die von Jesus selbst gesandt wird.
Die echte Tradition Maria Magdalenas also lässt uns erahnen, dass Jesus es sich nicht nehmen lässt, Frauen zu beauftragen, die den männlichen Aposteln etwas anzusagen haben, ohne dass letztere dies zuvor oder danach bestimmen könnten.
Hippolyt weist darauf hin, dass auch in der Erzählung der Evangelien die männlichen Apostel dem Aposteldienst der Frauen nicht glauben. Sie sind zu stolz, und Hippolyt beschreibt ihren Hochmut mit drastischen Worten und illustriert, wie Jesus dadurch, dass er, obwohl sie den Gesandten Jesu – also den Frauen - nicht glaubten, ihnen dennoch erschien, sich ihres Kleinglaubens erbarmt und sie zugleich kritisiert:

„Und darum hielten sie (die Männer) sie (die Frauen) für Verirrte. Damit sie aber nicht wiederum als (…) Verirrte, sondern als die Wahrheit Redende sich erweisen, erscheint ihnen Christus an der Stelle und spricht: ‚Friede sei mit euch!’ Womit er dies als wahr zeigte: Als ich den Frauen erschien, (sie) zu euch sendend, habe ich (sie) als Apostel senden gewollt.“[9]

Hippolyt kann sich dabei auf das Markus-Evangelium stützen, in dem beschrieben wird, wie Jesus die Verstocktheit der männlichen Jünger gegen die Frauen verurteilt:

"Später erschien Jesus auch den Elf, als sie bei Tisch waren; er tadelte ihren Unglauben und ihre Verstocktheit, weil sie denen nicht glaubten, die ihn nach seiner Auferstehung gesehen hatten." (Mk 16, 14)

Diese frühschristlichen Haltungen offenbaren, dass man damals ein Apostelamt der Frau für wahr und gleichwürdig hielt, wenn auch nicht im Sinne des Priesteramtes und das Problem, dies anzuerkennen, eindeutig beim Stolz des Mannes sah.
Bemerkenswert ist daran also nicht, dass man damit ein Frauenpriestertum rechtfertigen könnte. Bemerkenswert ist vielmehr, dass es ein Apostelamt gibt, das dem der Apostel vorgelagert ist und der direkten Begegnung mit Jesus entspringt. Diese Begegnung darf vom „Lehramt“ nicht leichtfertig und im Hochmut des klerikalen Amtes für „untergeordnet“ erklärt werden. Wenn es vom Herrn selbst kommt, ist es nicht unter-, sondern übergeordnet.

Die Frage wäre, wie man hier ein falsches von einem rechten weiblichen Apostelamt unterscheiden kann.
Diese Frage stellt sich aber, wenn man sich nicht beirren lässt von maximalistisch-infallibilistischen Irrlehren, auch beim formellen Apostelamt. Und die rigide Behauptung, die Hierarchie mache alleine schon deshalb alles recht, weil sie die Hierarchie ist, ist durch die Geschichte und vor allem den aktuellen Zustand der Kirche auf beschämendste widerlegt.



[1] Die aber, welche Lukas eine sündige Frau, Johannes aber Maria nennt [Joh 12,3], halten wir für jene Maria, von welcher Markus versichert, dass ihr sieben Dämonen ausgetrieben wurden [Mk 16,9; Lk 8,2= Maria Magdalena]. Und was wird mit diesen sieben Dämonen bezeichnet, wenn nicht sämtliche Laster? Denn da die ganze Zeit durch sieben Tage zusammengefasst wird, dann wird richtigerweise mit der Siebenzahl eine Gesamtheit bezeichnet. Sieben Dämonen also hatte Maria, die voll von allen Lastern war. Aber siehe: Weil sie die Flecken ihrer schändlichen Lebensweise ansah, lief sie, um sich zu waschen zu der Quelle der Barmherzigkeit und errötete auch nicht vor der Tischgesellschaft. Denn da sie sich in ihrem Inneren zutiefst schämte, meinte sie, es gebe nichts, wofür sie sich äusserlich schämen müsste.
Was also wundern wir uns, Brüder, ob der Herr, als Maria kommt, sie aufnimmt? Soll ich sagen, er nimmt sie auf oder – er zieht sie? Ich sollte besser sagen, er zieht sie und nimmt sie auf, da er sie sicherlich selbst in seiner Barmherzigkeit im Inneren an sich gezogen, sie äusserlich mit Sanftmut aufgenommen hat. Aber wenn wir jetzt den Text des heiligen Evangeliums durchlaufen, sollen wir auch die Reihenfolge beachten, in der sie gekommen ist, um geheilt zu werden.
Sie brachte eine Alabasterflasche von Salböl, stand hinten zu den Füßen Jesu und begann, seine Füsse mit Tränen zu benetzen; sie trocknete mit ihren Haaren seine Füsse, küsste sie und salbte sie mit dem Salböl.. (Lk 7,37c-38)
Es ist klar, Brüder, dass die Frau, die früher auf unerlaubte (unmoralische)Taten ausgerichtet war, das Salböl für den Duft ihres Fleisches selbst verwendete. Was sie also schändlich für sich verwendet hatte, das brachte sie jetzt Gott. Mit ihren Augen hatte sie Irdisches begehrt , nun aber beweinte sie zerknirscht und voll Reue ihre Augen. Die Haare hatte sie zur Zierde ihres Gesichtes verwendet, nun aber trocknete sie damit ihre Tränen. Mit dem Mund hatte sie hochmütig geredet, küsste aber die Füsse des Herrn und presste ihn auf die Fusssohlen ihres Erlösers. Wie viele Vergnügungen sie in sich hatte, so viele Opfer erlangte sie von sich. Sie verwandelte die Zahl ihrer Vergehen in die von Tugenden, um Gott mit Leib und Seele in Busse zu dienen, so weit sie schuldhaft von sich aus Gott verachtet hatte.« (MPL LXXVI 1239-1240 MÜ – entspricht S. 83 in der PDF-Datei).

[2] Silke Petersen: Maria aus Magdala. 2011. Kapitel 3 „Apokryph gewordene Schriften des frühen Christentums“ https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/maria-aus-magdala/ch/ddd3d9408b85e07c1c25b5601caaaae0/#h8 (15.6.2016)
[6] Hieronymus: Kommentar zum Propheten Zefanja, Prolog. In: S. Eusebii Hieronymi Commentariorum in Sophoniam prophetam. Liber unus. Prologus, digitalisiert hier: http://www.documentacatholicaomnia.eu/02m/0347-0420,_Hieronymus,_Commentariorum_In_Sophoniam_Prophetam_Liber_Unus,_MLT.pdf (15.6.2016)
[8]) G. Nathanael Bonwetsch: Hippolyt’s Kommentar zum Hohenlied auf Grund von M. Marr’s Ausgabe des grusinischen Textes herausgegeben. Leipzig 1902, S. 67 ff
in: Akademie der Wissenschaften, Berlin, Kommission für spätantike Religionsgeschichte: Oscar von Gebhard und Adolf Harnack (Hg.): Texte und Untersuchungen zur altchristlichen Literatur, Neue Folge achter Band. Der ganzen Reihe Band 23. Heft 2
Digitalisiert hier: https://archive.org/details/texteunduntersuc23akad (15.6.2016). Im Buch S. 63 ff
[9] A.a.O. S. 70

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