Dienstag, 10. April 2018

Die sakramentale Anderwelt der Eucharistie (VI) - "Wesensenteignung" und "sakramentale Realpräsenz"



VI. „Wesensenteignung“ und „sakramentale Realpräsenz“

Woher kennt man in der Antike oder auch später diese Vorstellung einer substantiellen „Wandlung“ von Opfergaben? Eines kann man gleich vorwegnehmen: die Opfer des AT kennen keine Wesensverwandlung. Es ist eine vollkommen außerbiblische Vorstellung, dass Opfergaben sich in ihrem Wesen verwandeln.
Wo gibt es einen solchen Vorgang, dass etwas total und unter Verlust seines Wesens gewandelt wird, obwohl nichts, aber auch gar nichts objektiv Wahrnehmbares auf diesen Wandel hinweist? Und vor allem, selbst wenn das so wäre: welchen Sinn soll es im Kontext des NT für die Christen haben, dass nun doch Jesus materiell, aber unsichtbar unter ihnen weilt? Und man kann gleich noch weiterfragen: Wenn er in den Gestalten von Brot und Wein aufgrund der unaufgebbaren  akzidentiellen „Ruine“ der vormaligen Wesenheiten von Brot und Wein  „unsichtbar“ bleibt, warum muss er sich dann substantiell im Brot versteckt unsichtbar-sichtbar machen? Er bleibt zwar, wenn einer nachhakt und fragt, wie es möglich sein soll, wo Christus doch gesagt hat, wir würden ihn nicht mehr sehen, bis er kommt, in einer beispiellosen Winkelsophisterei „unsichtbar“, richtet aber den gesamten Kult so ein, dass es sich sogar in einer extremen Weise doch um den sichtbaren Christus handelt. Kein Krümelchen darf verloren gehen von „seinem Leib“, kein Tröpfchen des „kostbaren Blutes“, und alles, was mit Partikeln der heiligen Gaben in Berührung kommt, soll geweiht sein — daher auch der erbitterte Streit um die Hand- oder die Mundkommunion. Auf der Passage von den geweihten Händen des Priesters in den ungeweihten Leib des Kommuionempfängers ist die Station über die ungeweihten Hände des Empfängers der Stein des Anstoßes — ein in sich ungereimtes Argument, denn der gesamte Empfänger ist ja ungeweiht,  oder will man sagen, seine inneren Organe seien weniger „ungeweiht“ als die äußeren? All diese Vorsicht ergäbe jedenfalls keinerlei Sinn, wenn man nicht annähme, dass Christus sich sehr wohl sichtbar und antastbar gemacht hat, wenn auch „inkognito“.
Ich frage mich selbst und jeden Leser: Ist eine solche verstiegene Philosophie wirklich das gewesen, was Jesus geboten hat? Erzeugt eine solche überzwerche Lehre, die man in der Bastion eines behaupteten „Mysteriums“ unangreifbar zu machen trachtet, nicht nur Verwirrung und Missverständnis in den Herzen und Köpfen?
Man muss festhalten, um sich die Tragweite der Befremdlichkeit einer solchen Lehre vor Augen zu halten:
Die gesamte alttestamentliche und neutestamentliche Überlieferung kennt nirgends eine solch gewaltsame „Machtergreifung“ Gottes auf die akzidentielle Gestalt eines Wesens. Gott spricht schon Im AT vor allem, ja sogar fast ausschließlich geistig mit Menschen. Und wo er durch ein sichtbares Zeichen kenntlich wurde, wie etwa beim brennenden Dornbusch, fand doch die Begegnung mit dem Menschen nicht im brennenden Busch, sondern nur in dessen Nähe statt. Die eigentliche Begegnung dagegen bestand in einer Vision und Audition des Mose (Ex 3 f). Der Busch, der durch die Anwesenheit des „Engels des Herrn“ in Brand geriet, wurde nicht verbrannt, und es heißt nirgends, er sei nicht das geblieben, was er war, nämlich ein Busch. Aus der Beschreibung der Vision geht nicht hervor, ob Moses’ Wahrnehmungen der Einsprechung Gottes geistig oder materiell waren. Die Vorstellung aber — spielen wir den Gedanken durch — , dass Gott sich des Busches bemächtigt hätte und das arme Gestrüpp für immer und ewig zu „Gott“ gewandelt worden wäre, ist dem AT vollkommen fremd.
Wir glauben an einen Gott, der seine Geschöpfe nicht gewaltsam ihres Wesens beraubt, sie usurpiert und in ihrer akzidentiellen Gestalt, in Wahrheit aber als vermummtes Wesen erscheint. Gott tritt dem Menschen annäherungsweise enthüllt entgegen. Und das tat er immer! In unserem Beispiel von Moses wird uns erzählt, Moses habe sich das Gesicht verhüllt vor Gott (dem Engel des Herrn), weil er nicht wagte, ihn anzusehen. Gott muss sich vor uns nicht verhüllen, sondern wir verhüllen uns vor ihm, wie Adam, nachdem er gefallen war.
Unser Gott tritt uns nicht vermummt gegenüber und beraubt nicht seine Geschöpfe um ihr Wesen!
Wir wissen aber, dass der Böse schon im Garten Eden in Gestalt eines anderen Wesens auftrat.
Gott vergleicht sich mit seinen Geschöpfen, die doch ohnehin alle ein Stückchen von ihm abbilden oder mindestens Zeugen seiner Schöpferkraft sind. Er kam ins Fleisch als buchstäblicher, nicht usurpierter (!) Mensch, der aussah wie ein Mensch (!) und aufgrund seiner Geburt durch eine Frau ein individueller Mensch war. Aber der liebevolle Vergleich mit dem, was er schuf, ist nicht dasselbe wie die enteignende Aneignung der Gestalt der Geschöpfe.
Es ist in dem Zusammenhang auch schwierig zu glauben, dass Christus sich das Wesen „sakramental geweihter“ Personen, wenn auch auf deren Zustimmung hin, aneigne, um in ihrer Gestalt als Christus am Altar zu erscheinen.
Solche Lehren passen nicht zum Schöpfer, der niemals einen substantiellen Austausch in seinen Geschöpfen zulassen will und kann. Er heilt, er setzt instand, er schenkt ein reines Herz, er „nimmt Wohnung“ in den Seinen, aber niemals ersetzt er das Wesen, das er selbst ihnen einst gegeben hat, als er sie schuf. Dass er aber jedem ein eigenes Wesen gegeben hat, geht aus vielen Stellen der Schrift und der gesamten Überlieferung Israels hervor, das keinen Pantheismus kennt.
Woher kennt man also solche merkwürdigen Meinungen über Gott oder das Göttliche?

Warum sollte Christus nur realpräsent sein können, wenn er Wesenheiten ihres Wesens beraubt und in deren Gestalt erscheint?!

Man kennt grundsätzlich solche Gedanken — wie an früherer Stelle schon einmal angeführt —  aus der Alchemie, deren theoretische Grundlage in der Philosophie Griechenlands zu suchen ist. Die Alchemie bietet eine Lehre, die materielle Substanzen tatsächlich ihres materiellem Wesens berauben will, um sie substantiell zu „veredeln“. Diese Lehre hat ein zwiespältiges und sogar feindseliges Verhältnis zum Leiblichen und Materiellen. Das Niedrigere strebe dem Höheren zu, setzte Aristoteles voraus. Und „annäherungsweise“, schreibt Michael Horchler unter Bezugnahme auf eine Definition Hans-Werner Schütts, sei die Alchemie „die Kunst, gewisse Materialien zu höherem Sein zu veredeln, und zwar derart, dass mit der Manipulation der Materie auch der um ihr Geheimnis ringende Mensch in einen höheren Seinszustand versetzt wird“.[1]
Die Alchemie versuchte aus unedler Materie edlere zu machen, aus niedrigeren Metallen etwa das Höhere, nämlich Gold. Der Weg vom einen zum anderen ging über den „lapis philosophorum“ (Stein der Weisen), der einen „Urstoff“ enthalte, aus dem alles gemacht sei. Man muss den „lapis“ herstellen, um daraus in der Folge die wesensmäßig höheren Stoffe zu erzeugen.
Antwort finden wir für die merkwürdige Philosophie von einer „Transsubstantiation“ hier nicht. Die mittelalterliche Alchemie bewegte sich nicht im kultischen Rahmen.
Bei heidnischen Götterbildern ist die Vorstellung, dass der dargestellte, abgebildete Gott seinen Sitz hier nimmt, „in dem Bildnis wohnt“, selbstverständlich. Er bemächtigt sich des Abbildes, nimmt ganz und gar davon Besitz. Hier begegnet uns die Gewaltsamkeit, die auch im katholischen Denken anzutreffen ist.
Auch ganz moderne katechetische katholische Erklärungen, wie die Realpräsenz zu verstehen sei, nähern sich einer solchen Vorstellung von einem „bewohnten Abbild“ sehr stark an:

„Der Heilige Geist enteignet gewissermaßen das Brot und macht es zum Leib Christi. Brot und Wein verlieren gewissermaßen ihre natürliche Selbständigkeit und werden überstellt in das Eigentum Christi. Sie werden sein Leib und sein Blut. Damit haben wir natürlich das Geheimnis nicht gelüftet. Es ist ein Versuch, sich diesem Geheimnis anzunähern.“[2]

In diesem kurzen Zitat wird — neben der Rede von einer wesenhaften „Enteignung“ — die Hilflosigkeit erkennbar, die sich in den Satz flüchtet, es handle sich eben um ein „Geheimnis“. Die heidnische Logik wird darin nicht aufgegeben, sondern noch überspitzt: hier wohnt nicht nur ein Gott in einem irdischen Abbild, sondern er wird förmlich total das materielle Abbild, lässt aber deren akzidentielle Gestalt wie eine Ruine stehen, um selbst in seiner vollen Gestaltwesenheit unsichtbar zu bleiben. Der Gedanke hat einen durchaus esoterischen, wenn nicht schwärmerischen und okkultistischen Charakter.
Es ist kaum mehr möglich, diese Vorstellung rational zu analysieren. In der gesamten Schrift findet man für sie keinerlei Anhaltspunkt.

Die Theologie hat sich, wie bereits festgestellt, stets schwergetan, zu erklären, was genau diese „Transsubstantiation“ eigentlich sein soll. Genauso konnte sie nicht zweifelsfrei erklären, inwiefern die Eucharistiefeier ein „Opfer“ sein soll, das aber nicht das Opfer von Golgotha wiederholt. Man sagt, man hebe dieses einmalige Opfer, das auch im Himmel noch gegenwärtig auf einem Altar vor Gott stehe, in unsere irdische Gegenwart.[3] Der Begriff der „Eucharistie“ suggeriert ein „Dankopfer“, aber warum bedarf dieses Dankopfer einer „Wandlung“ der Gaben? Warum genügte es nicht, wenn es darum ginge, ein bloßes Dankopfer zu bringen — wie im AT — einfach das Dankopfer zu bringen als das, was es ist: nämlich Brot und Wein, nun aber iS einer ehrfürchtigen Erinnerung an das Lebendopfer des Sohnes Gottes? Solche vegetabilen Opfer waren als Gaben zum Unterhalt der Priesterkaste gedacht, würden heute „sozialen“ Gaben entsprechen.
Warum diese Obsession, dass unbedingt der wahre geopferte Leib Christi und vor allem sein Blut auf sinnliche Weise in die irdische Realität gebracht werden muss, wobei man oszilliert zwischen der Vorstellung eines unblutigen und dann aber doch wieder blutigen Opfers und sich mithilfe der Vorstellung, diese Realpräsenz vollziehe sich in einer „sakramentalen Welt“, also einer Art esoterischen „Anderwelt“, die nicht aus der irdischen Realität stammt, aber in sie hineinragt?
Aber  davon abgesehen: Warum sollte man im Neuen Bund ein „Dankopfer erbringen, dem man einen Sühnecharakter und zugleich den Charakter der Evokation und sinnlich-realen, aber in eine vom Irdischen her gedachten „Überwelt“ verlegten Teilhabe an einer „Urtat“ zuspricht, die verborgen alles Seiende durchwirkt, aber nur von Eingeweihten erfahren werden kann? Ich werde den Verdacht nicht los, dass diese merkwürdige Kompilation eines alttestamentlichen blutigen Sündopfers und unblutigen Dankopfers mit einem paganen unblutigen „Opferspiel“ iS eines Mysterienspiels nicht aus Gehorsam gegenüber dem Gebot Jesu entstand, sondern aufgrund einer Re-Paganisierung des Christentums im Bereich des frühen Heidenchristentums.

Das sehr frühe Christentum kennt zwar die Eucharistie, versteht sie aber ganz offenkundig entweder gar nicht als Opfer oder nicht als buchstäbliches, sondern als symbolisches Opfer der „Danksagung“ oder des „Lobes“ für die Erlösung. Das „Opfer“ sind dabei nicht Brot und Wein, sondern die Danksagung selbst ist das Opfer. Starke Hinweise darauf finden wir im Hebräerbrief (Hebr 13) und in der „Didache“ (1. Jh). Justin der Märtyrer (+ 165) erklärt „Wir haben aber auch die Lehre empfangen, daß Gott keiner materiellen Opfergabe von seiten der Menschen bedarf, da wir ihn ja selbst alles spenden sehen.[4] Das in der späteren katholischen Apologetik so häufige Argument[5], die Tatsache, dass Justin, Origines u.a. andere frühe Väter sich gegen den Vorwurf der Menschenfresserei verteidigen hätten müssen, beweise doch, dass man „immer schon“ an die Realpräsenz des Fleisches und Blutes Jesu geglaubt habe, ist abenteuerlich und oberflächlich. Denn erstens beweist ein Vorwurf der anderen noch nicht, dass man etwas Ähnliches, aber nach außen hin nur ein wenig Missverstandenes, getan oder geglaubt habe. Eine solche Verteidigung seitens der Väter beweist nur eines: dass sie sich diesem Vorwurf ausgesetzt sahen. Damit ist noch nicht geklärt, aus welcher Richtung dieser Vorwurf zu verstehen wäre. Ob und inwiefern sie ihm wirklich ausgesetzt waren, steht damit auch noch nicht fest, denn man muss diesen Vorwurf in den Schriften der vermeintlichen Ankläger nachweisen können. So erwähnt etwa Plinius d.J. (wahrscheinlich 61-113 n. Chr.) in einem Brief an Kaiser Traian, dass er bei den Christen einen „verschrobenen, maßlosen Aberglauben (superstitia)“ vorgefunden habe. Interessant ist, dass er dabei zwei Frauen unter Folter befragt hat, die er als wirkliche Christinnen identifizierte, die unter den Christen „ministrae“ genannt worden seien — also offenbar ein Amt innehatten und als Trägerinnen eines Amtes auch als aussagefähig galten.[6] Welche „superstitia“ genau er meinte, beschreibt er leider nicht. Wir können nicht beurteilen, ob es sich bei dem, was er da vorfand, nicht tatsächlich um Aberglauben handelte oder um „reine christliche Lehre“. Plinius beschreibt das Problem, dass nicht alles, was als „christlich“ zur Anzeige gekommen war, auch wirklich dem Christentum zuzuordnen war. Er schildert, wie er zunächst bei den Verhören herausfinden wollte, ob es sich überhaupt um Christen handelte. Häufig scheint der Fall gewesen zu sein, dass Personen zeitweise Christen waren, dann aber wieder abgefallen waren und inzwischen anderen Kulten und Glaubensformen anhingen. Er gibt allerdings Zeugnis von ehemaligen Christen über deren Riten:

„Sie versicherten übrigens, ihre ganze Schuld oder Verfehlung habe darin bestanden, daß sie immer an einem festgesetzten Tag vor Sonnenaufgang zusammenkamen, Christus wie einem Gott ein Lied darbrachten, im Wechselgesang, und sich eidlich verpflichteten -nicht etwa zu irgendeinem Verbrechen, sondern dazu, keinen Diebstahl, keine Räuberei keinen Ehebruch zu begehen, nicht wortbrüchig zu werden, anvertrautes Gut auf Mahnung nicht zu verweigern. Nach dieser Handlung sei es ihr Brauch gewesen, sich zu trennen und dann wieder zusammenzukommen, um Speise zu sich zu nehmen, jedoch übliche und unschädliche; aber davon hätten sie Abstand genommen, nach meinem Erlaß, durch den ich gemäß Deiner Anordnung Geheimbünde („hetaeriae“) verboten hatte.“[7]

Auf diesen Bericht Plinius d.J. hin erließ der Kaiser eine Anordnung, dass man Christen nicht mehr aufspüren, sondern nur, wenn man sie zufällig antrifft, gefangen nehmen darf. Der Sachverhalt, auch der Bericht über die Zusammenkünfte vor Sonnenaufgang, deren genauer Tag nicht genannt wurde und der keinerlei Hinweis auf eine Eucharistiefeier im späteren Sinn enthält, wird von Eusebius bestätigt bzw wiedergegeben:

„Er (Plinius secundus, Anm. HJ) teilte hierbei zugleich mit, daß nach seinen Erfahrungen die Christen nichts Gottloses und Gesetzwidriges tun, daß sie nur gleich bei Sonnenaufgang nach dem Erwachen Christus als Gott in Lobliedern verehren, daß sie aber Unzucht, Mord und dergleichen strafbare Verbrechen verabscheuen und in allem gesetzmäßig handeln.“[8]

Der Hauptvorwurf gegen die Christen bestand auch hier nicht nur in der Anthropophagie (Menschenfresserei = Mord), sondern auch sexuellen Ausschweifungen und anderen Verbrechen. Man warf ihnen allgemeine Ignoranz und Verachtung der heiligen Dinge vor und brachte sie mit den niederen Volksschichten in Verbindung und insbesondere mit Frauen, die doch nicht die geistige Stärke hätten, einer vernünftigen Religion und Bildung zuzustreben. Gerade das letztere wird als literarisches Faktum seitens der Kirche unterdrückt oder abgewiegelt. Man hört nicht gern, dass die Frauen in der frühen Kirche offenbar eine herausragende Rolle hatten, so sehr, dass das Heidentum sich darüber lustig machte. An diesem Punkt spricht man nicht davon, dass sie der Vorwurf der Heiden die Gleichwürde der Frauen auch im liturgischen Kontext bewiesen haben könnte und man doch „immer schon“ etc. etc.… Auch verweist der Vorwurf der „Blutschande“ und „Unzucht“ auf eine vollkommene Gleichbehandlung der Frauen…
Misstrauen erregte in der Darstellung der Heiden die Heimlichtuerei und „Lichtscheu“ der Christen. Eine „heilige Zeremonie“ scheint der Apologet Felix Minucius seine Figur des heidnischen Caecilius bei ihnen nicht wahrgenommen zu haben. Ob Caecilius je hätte so reden können, wenn er einmal einer tridentinischen Messfeier beigewohnt hätte:

„Es sind das Leute, welche aus der untersten Hefe des Volkes Unwissende und leichtgläubige Weiber, die ja schon wegen der Schwäche ihres Geschlechts leicht zu gewinnen sind, sammeln und eine ruchlose Verschwörerbande bilden. Sie verbrüdert sich in nächtlichen Zusammenkünften und bei feierlichem Fasten und unmenschlichen Gelagen nicht etwa durch eine heilige Zeremonie, sondern durch ein unsühnbares Verbrechen, ein duckmäuseriges und lichtscheues Volk, stumm in der Öffentlichkeit, nur in den Winkeln gesprächig.“[9]

Der erste handfeste Vorwurf ist nicht der der Menschenfresserei, sondern der der Hurerei und Blutschande:

„Allenthalben üben sie auch unter sich sozusagen eine Art von Sinnlichkeitskult; unterschiedslos nennen sie sich Brüder und Schwestern: so wird sogar die gewöhnliche Unzucht durch diesen heiligen Namen zur Blutschande.[10]

Dann aber werden so haarsträubende angebliche Verbrechen genannt, die kaum Missverständnisse von was auch immer sein können, dass dieser Text des Felix Minucius selbst fragwürdig wird: Man habe Kinder in Teig gewickelt und gegessen, die Genitalien des Gemeindevorstehers angebetet und in ihnen die Schöpferkraft Gottes erblickt. Die Weihe neuer Mitglieder vollziehe sich so:

 „Nun gar die Geschichte von der Weihe neuer Mitglieder; sie ist ebenso abscheulich wie bekannt. Ein Kind, mit Teigmasse bedeckt, um die Arglosen zu täuschen, wird dem Einzuweihenden vorgesetzt. Dieses Kind wird von dem Neuling durch Wunden getötet, die sich dem Auge völlig entziehen; er selbst hält durch die Teighülle getäuscht die Stiche für unschädlich. Das Blut des Kindes -- welch ein Greuel --schlürfen sie gierig, seine Gliedmaßen verteilen sie mit wahrem Wetteifer. Durch dieses Opfer verbrüdern sie sich, durch die Mitwissenschaft um ein solches Verbrechen verbürgen sie sich gegenseitiges Stillschweigen. Solche heilige Gebräuche sind schändlicher als jegliche Heiligtumsschändung.[11]

Solche Unterstellungen sind entweder tatsächlich geschehen oder samt und sondern erdichtet. Ein „Missverständnis“ einer „ähnlichen Sache“ kann darin unter der Voraussetzung, es handelt sich bei denen, die dies geschrieben haben, um normale, geistig gesunde Personen, nicht angenommen werden!
Der apologetische Diskurs „Octavius“, aus dem ich zitiert habe, existiert in nur einer einzigen Handschrift aus dem 9. Jh und wurde im 16. Jh veröffentlicht. Er ist samt dem angenommenen Autor, über den nichts außerhalb dieser Schrift bekannt ist, allerdings umstritten.
Die Beschreibung der christlichen Riten erscheint entweder total übertrieben, da sie zu dem nüchternen heidnischen Diskurspartner Caecilius nicht passen. Sie wirken wie Vorgänge in einem Satanskult. Es muss wohl offenbleiben, was genau in frühchristlicher Zeit vor sich gegangen und von der heidnischen Umwelt wahrgenommen wurde. In jedem Fall hat sich damals schon Ungeheuerliches und Abscheuliches unter Christen abgezeichnet. Es ergibt wenig Sinn, in den Vorwürfen gegen die Christen voreingenommen und pauschal nur Ammenmärchen zu erblicken. Es kann sein, dass sich merkwürdige Assoziationen ergeben haben. Warum sonst sollte Ignatius von Antiochien so eindringlich die Christen vor den Irrlehrern warnen?

„Gewisse Leute pflegen sich scheinheilig Christen zu nennen, aber ihr Handeln steht im Widerspruch zu Gott. Um sie müßt ihr einen großen Bogen machen wie bei wilden Tieren. Denn sie sind wie tückische Kampfhunde, die plötzlich zubeißen. Hütet euch vor ihnen, denn sie sind unverbesserlich.“[12]

Das Vokabular, mit dem diese Leute belegt werden, zeigt ihre Gefährlichkeit und Perversität an. Ich bin mir daher nicht so sicher, ob nicht manches, was in der Antike unterchristlichem Deckmantel geschah, nicht doch tatsächlich pervers war.

Eine zweite Frage ist, was etwa Justin in dem oben zitierten Abschnitt genau geschrieben hat und wogegen er sich dem Wortsinn nach abgrenzt. Offenbar hat man den Christen unter Folter entlocken wollen, dass sie auch nur wie die Heiden Menschenopfer und Ausschweifungen begingen, wenn man ihm glauben will:

„(Man zwang gefangen genommene Christen unter qualvoller Folter, HJ) … jene erdichteten Dinge auszusagen, die sie selbst offen begehen, mit denen aber wir, da wir nichts davon an uns haben, nichts zu tun haben wollen; haben wir doch den ungezeugten und unnennbaren Gott zum Zeugen unserer Gedanken und Handlungen. Denn warum könnten wir nicht auch diese Dinge öffentlich für gut erklären und sie als göttliche Weisheit hinstellen, indem wir sagten, wir feierten in Menschenopfern die Mysterien des Kronos und wir täten, indem wir uns mit Blut berauschen, wie man uns nachsagt, das nämliche, was dem bei euch hochgeehrten Götzenbilde geschieht, das nicht bloß mit dem Blute unvernünftiger Tiere, sondern auch mit Menschenblut besprengt wird, wobei ihr den bei euch angesehensten und vornehmsten Mann es mit dem Blute der Hingerichteten begießen lasset? Wenn wir ferner Männer schändeten und schamlos mit Weibern verkehrten, täten wir es nur dem Zeus und den anderen Göttern nach und könnten uns dabei zu unserer Rechtfertigung auf die Schriften Epikurs und der Dichter berufen. Da wir aber solche Grundsätze und die, welche solche Untaten verübt haben und nachmachen, zu fliehen raten, wie wir auch in den hier vorliegenden Reden dagegen gestritten haben, werden wir auf allerlei Weise angefeindet; aber das ficht uns nicht an, weil wir wissen, daß ein gerechter Gott alles sieht.“[13]

Justins Abgrenzung von jeglicher Verwandtschaft christlicher Riten mit dem, was die Heiden in ihren Mysterienkulten tun, lässt in gar keinem Fall auf eine „schon immer geglaubte Realpräsenz“ des Fleisches und Blutes Christi schließen.
Und selbst wenn er von einer Realpräsenz sicher ausgegangen wäre, wäre dies kein Beweis dafür, dass man immer an sie geglaubt hätte, solange sie aus dem NT nicht eindeutig hervorgeht und insbesondere judenchristliche Stimmen dazu hören kann.
Judenchristliche Stimmen aber scheinen zumindest als Verfasser frühchristlicher Schriften wie vom Erdboden verschluckt. Es ist durchaus merkwürdig, dass wir nach dem NT kaum mehr frühe judenchristliche Textzeugnisse haben, und die wir haben, wie zB den Barnabasbrief, befassen sich überhaupt nicht mit Mysterien und Abgrenzungen richtiger von falschen Mysterien! Barnabas etwa spricht davon, dass wir im geistigen Sinn von Christi Opferblut besprengt würden, um geheiligt zu werden (Barn 5, 1).[14] Barnabas weist darauf hin, dass Gott durch alle Propheten gesagt hatte, dass ER keine Opfer brauche:

„Er hat dies abgeschafft, weil das neue Gesetz unseres Herrn Jesus Christus frei von dem Zwang, Äußerlichkeiten zu erfüllen, ohne eine von Menschen bereitete Opfergabe auskommen soll.“[15]

Beachtenswert ist, dass Barnabas überhaupt um ca. 60 n. Chr. eine solche Abwehr vom Opfern oder einer Notwendigkeit, weiterhin oder erneut irgendetwas zu opfern, vornimmt. Es ist in der Forschung umstritten, wer seine Adressaten waren. Er tut sie möglicherweise zunächst gegenüber den Juden, aber dies gälte genauso auch für verkehrte heidnische Bedürfnisse, im alten Opferschema zu verharren und es „christlich“ zu taufen.

Aus dem oben zitierten Passus bei Justin, aber auch den anderen antiken Schriftstellern schließen zu wollen, dass die Heiden nur einem Missverständnis erlegen seien, würde vielmehr noch eine ganz andere Frage aufwerfen: Was bei den homosexuellen und promiskuitiven Handlungen mit Frauen dann gemeint wäre — wollte man so argumentieren, wie die katholische Apologetik das hinsichtlich der Realpräsenz tut, müsste man zugrunde legen, dass die Christen tatsächlich so etwas wie reale Homosexualität und Hurerei betrieben hätten, wenn auch „missverstanden“. Es ist ersichtlich, dass man Justin damit gänzlich verdrehen würde.
Es geht aus diesem Text des Justin nur eines deutlich hervor: dass man Christen unter Folter dazu gebracht habe, dergleichen auszusagen. Aus der erzwungenen Aussage geht nichts weiter hervor, als dass man den Christen unterstellen wollte, dass sie in Wahrheit genauso lebten und glaubten wie die Heiden und insofern auch kein Unterschied vorhanden wäre. Genaueres lässt sich daraus kaum schließen.
Diese Sicht wird auch seitens mancher Forschung bestätigt:
Schon im 19. Jh schrieb der Rabbiner von Breslau, Manuel Joel, eine Apologie für das spätantike Judentum, weil man in der Kirche später den Juden unterstellt hat, dass sie den Christen solche Verbrechen angedichtet und sie damit bei den Heiden in Verruf gebracht hätten. Joel zeigt sehr genau auf, dass in allen heidnischen Religionen auch noch in der Spätantike Menschenopfer gebracht wurden, die Heiden also den Christen, wie Justin es sagt, vorwarfen, was sie selbst in ihren Mysterienkulten taten.[16] Die römischen Behörden bekämpften diese Greuel spätestens mit dem 2. Jh erfolgreich. Damit ist allerdings nicht gesagt, dass nicht die Stadt Rom selbst in zahlreichen versteckten Formen (Gladiatorenkämpfe, Menschen den wilden Tieren vorwerfen, überspanntes Soldatentum etc.) dem Opfer oder Selbstopfer von Menschen frönte. Joel weist darauf hin, dass kindsmörderische Gebräuche (Opferriten) des Heidentums, die mit Ehebruch, Orgien und Mord einhergingen, schon in der „Weisheit Salomos“ (Weis 14, 23) ausführlich beschrieben würden. Joel stellt den Vorwurf an die Christen in einen allgemeinen antiken Auswuchs an blutig-religiösen Greueln. Ob nun der Vorwurf gegen die Christen wahr oder falsch war und wie man ihn deuten kann, mag man diskutieren bis ans Ende der Tage — eines aber sollte man bedenken: Wenn es sich um reine Missverständnisse handelte, geht erst recht aus einem blutig-rituellen allgemeinen lebensweltlichen Denkhorizont nicht zwingend hervor, dass die Christen ursprünglich an eine sakamentale Opfer-Realpräsenz glaubten. Aber wenn sie es teilweise mit fortschreitender Zeit im Heidenchristentum getan haben sollten, ist es auch denkbar, dass sie selbst der Suggestion dieser alltäglichen spätantiken Denkweise erlagen und das, was sie überliefert bekommen hatten, unter dieser permanenten Suggestion vermischten, ohne sich der verheerenden Folge bewusst zu sein, die dies einmal haben könnte.

Eine ähnliche Verschiebung in der neuzeitlichen katholischen Apologetik geschieht hinsichtlich eines Briefes des Ignatius von Antiochien an die Smyrnäer. Er sage doch eindeutig in Kap 7, 1, — so die Apologeten einer sakramentalen Realpräsenz — dass in der Eucharistie wahrhaftig reales Fleisch und Blut Christi genossen werde.
Auch diese Stelle gibt eine solche Meinung nicht her, wenn man sie genau liest und sie aus ihrem Zusammenhang heraus versteht. Dort steht:

„Sie halten sich fern von Dank- und Lobgebet. Denn sie geben nicht zu, daß man im Dankgebet für den Leib unseres Erlösers Jesus Christus dankt, der für unsere Sünden gelitten den der Vater gütig auferweckt hat.“[17]

Diese Stelle bezieht sich jedoch nicht auf die Frage der Realpräsenz, sondern ist eine Apologetik gegen die, die behaupten, Jesus habe einen Scheinleib gehabt (Kap. 5; 6). Die Leute, die also hier der Eucharistie fernbleiben, tun das nicht, weil sie nicht an die sakramentale Realpräsenz glauben, sondern weil sie überhaupt leugnen, das Jesus einen menschlichen Leib hatte und in diesem Leib für uns gelitten hat.

Eine in der späteren Apologetik der katholischen Theologie genannte Briefstelle Justins des Märtyrer (I. Apologie 66) scheint zwar eine Realpräsenz anzudeuten, ist aber leicht erkennbar in sich ungereimt und nicht eindeutig.[18] Man kann so fortfahren und die wenigen Äußerungen der ersten drei Jahrhunderte durchkämmen und bleibt verwirrt zurück, denn wenn eines deutlich wird, dann dies, dass über diese Frage ganz offensichtlich weder Klarheit noch Einigkeit bestand. Der fragmentarische und „verwaschene“ Charakter sämtlicher Äußerungen, die eine Realpräsenz zu belegen scheinen, war immer wieder aufs Neue Gegenstand gelehrter Debatten und einer Unzahl an Spekulationen mit weit auseinander driftenden Schlüssen. Abgesehen von dieser Quellenlage war sichtlich keiner der heute noch übriggebliebenen frühen „Väter“ — oder sollte man sagen „Autoren“ —  in der Lage, seine Theorie aus den Schriften des NT herzuleiten. Es besteht bei den Texten, die für den Beweis einer Realpräsenz gerne zitiert werden, kein Kontinuum zu den kanonischen Schriften.
Grundsätzlich gilt, wo Menschen wirken stets: Um eine ursprüngliche Lehre zu verfälschen oder mit anderen Inhalten vorhandener Begriffe zu „überschreiben“, können 50 oder 70 Jahre allemal „dicke“ genügen.

Hinzukommt, dass in der Spätantike ein gewaltiger Bücherverlust zu verzeichnen ist, der aus verschiedenen Gründen, aber nicht zuletzt aus gewaltsamen Vernichtungen und einem vorsätzlichen „Nicht-mehr-Überliefern“ zunächst durch die Christenverfolger, ab dem 4. Jh oder auch lange davor schon dann durch die Kirche stattgefunden haben muss. Insbesondere in Russland wird dem Vatikan heute mit Gründen unterstellt, er habe die verschwundenen Bibliotheken der Spätantike konfisziert und verstecke sie in seinen Geheimarchiven.[19]
Dabei wurde systematisch alles „Häretische“ und Unerwünschte verbrannt oder geächtet und dem Verfall preisgegeben. Wir wissen von den angeblichen „Gnostikern“, von den „Arianern“ (insbesondere von Arius selbst), aber auch beispielsweise von der heidnischen Mathematikerin Hypathia, die von einem christlichen Mob ermordet wurde, und vielen anderen zeitgenössischen heidnischen Autoren, etwa der Dichterin Sappho, heute nichts mehr aus authentischen Quellen. Alle der spärlichen Nachrichten sind uns aus der Polemik oder aus Randbemerkungen anderer Autoren gegen sie überkommen. Nach der Wende zum Staatskirchentum muss eine gewaltige Kulturvernichtung seitens der Kirche eingeleitet und stattgefunden haben, der auch große Buchbestände zum Opfer gefallen sind. Umfangreiche und geradezu explosiv viele christliche Quellen, nun aber immer klarer „auf einer Linie“, haben wir erst seit dem 4. /5. Jh.[20]
Anstatt in dieser Gemengelage nun die eigene, später durchgesetzte Position aus den wenigen und selektiv erhaltenen frühchristlichen Schriften wie aus dem Kaffeesatz herauslesen zu wollen, wäre es einen Gedanken wert, bereits in dieser frühen Zeit eine Verfremdung der ursprünglichen Lehre Jesu und seines engen Apostelkreises v.a. unter den Heidenchristen anzunehmen und nicht naiv davon auszugehen, dass sie uns ein realistisches Bild tatsächlicher frühester und darum angeblich „wahrer“ Praxis oder Überzeugung bieten würden. Der Sieger schreibt die Gesichte, sagt man, aber nicht alles, was der Sieger tradiert, ist deswegen „wahr“ oder „authentisch“. Es gilt in jedem Fall, vorsichtig zu sein.

Der häufige Verweis auf Melchisedek von Salem (Gen 14, 18-20), der angeblich ein frühes Brot- und Weinopfer gegeben haben soll[21], verkennt oder verzerrt bewusst, dass diese kurze Erzählung, die ein eigentümlicher Einschub in einer Kriegserzählung um Abram ist, mit keinem Wort von einem Opfer berichtet. Vielmehr heißt es dort kurz:

18 Melchisedek, der König von Salem, brachte Brot und Wein heraus. Er war Priester des Höchsten Gottes.“

Es wird von einer Segenshandlung gegenüber Abram berichtet und dass Melchisedek der Priester des „höchsten Gottes“ (hebr. „El-Eljon“) sei, auch davon, dass Abram Melchisedek den Zehnten abgibt, kein Wort aber von einem Opfer. Das Herausbringen (hebr. „yaza“ = herausführen/-bringen) von Brot und Wein sagt Gastfreundschaft an — zunächst nicht mehr, nicht weniger. Will man darin eine Zeichenhandlung sehen, muss dies sorgsam und präzise vorgenommen werden:
Das „Herausbringen“ von Brot und Wein zeigt in keiner Weise ein Opfer für Gott an. Man könnte es vielmehr umgekehrt als eine Darbringung Gottes an Abram verstehen: Gott selbst schenkt ihm Brot und Wein, die beiden Grundnahrungsmittel des Orients, die für Leben und Wohlstand stehen, — Gott macht Abram durch Melchisedek zu einem Teilnehmer an seinem Gastmahl —, und verbindet mit der Spendung von Brot und Wein an Abram, der die Feinde besiegen konnte, einen weitreichenden Segen.
In Psalm 110, 4 wird Melchisedek als der Prototyp des ewigen Priesters gekennzeichnet.
Die Erzählung  wird von Paulus später aufgegriffen, aber auch er behauptet mit keinem einzigen Wort, dass Melchisedek Brot und Wein „geopfert“ hätte.
Das Gesetz mit seinen blutigen, immerzu wiederholten  Opfern ist für Paulus nur ein „Schatten der künftigen Güter“ gewesen (Hebr 10, 1). Christus ist nicht ein Priester der Ordnungen des Alten Bundes, sondern der „Ordnung Mechisedeks“. Melchisedek aber brachte kein Opfer dar, weder ein blutiges noch ein unblutiges. Und Jesus entstammte nicht dem israelitischen Priestergeschlecht, sondern dem Königsgeschlecht und hätte als einer vom Stamm Juda keinen Zutritt zum Allerheiligsten gehabt. Es wurde ein Priestertum gänzlich anderer Art eingesetzt, eines, das ewig ist und in Melchisedek erstmals zum Ausdruck kam. In diesem Priestertum gibt es überhaupt keine Opfer mehr. Es gibt nur noch ewige Teilhabe am Gastmahl des „El-Eljon“, des „höchsten Gottes“. Diese „ewige Zeit“ lässt das Opfer hinter sich in der Zeit dieses Äons, wo es wirklich „vergangen“ ist. Der Einbruch einer „Anderwelt“, allerdings ausschließlich und unabsehbar vonseiten Gottes in unsere irdische Realität, müsste, konsequent gedacht und orientiert an den erzählerischen Leitplanken der Schrift, dieses Opfer wirklich als „Altes“ zurücklassen, das schon längst vergangen ist. Nur so kann man erahnen, warum die wirklich frühchristliche und bis ins 19. Jh verschollene „Didache“ (1. Jh) zwar ausführlich die Eucharistiefeier zeichnet, aber mit gar keinem Wort das Opfer Christi thematisiert. Auch der „Hirt des Hermas“ (frühes 2. Jh) kennt weder eine Sühneopfertheologie, noch thematisiert er ein reales Opfer im Zusammenhang mit der Eucharistie. Dachte man nicht so: „Wenn jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung: Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden!“ (2. Kor 5, 17)?

Wesentlich ist aber an dem einmaligen Opfer Christi, das in die Zeit gesenkt worden ist und in ihr auch „begraben“ wurde, in seinen Früchten aber ewig gilt, dass dieses Opfer kein Abbild von etwas ist oder durch ein Abbild repräsentiert werden könnte. Es hat für alle, die es annehmen, mit sofortiger Wirkung einen neuen Zustand erzeugt, der keiner Rückversicherung in äußerlichen Abbildern bedarf. Es hat — wenn man es einmal so betrachtet — einen himmelschreienden Charakter, wenn man täglich ein „Opfer“ zelebriert, das „Abbild“ dieses einen Opfers sein soll, und nicht nur das, sondern dieses „Abbild“ erzeugt gewissermaßen immerzu die volle, doch vergangene, aber ebenso vollkommene Realität dieses furchtbaren Geschehens auf Golgotha. Einerseits kommt es einem Sakrileg gleich, dieses abgeschlossene, in der Zeit des Karfreitags bis zum Morgen des 1. Tages vollzogene, und ab da alles verändernde Opfer Christi überhaupt durch irgendetwas, gar eine „heilige Handlung abzubilden“ oder „gegenwärtig zu halten“. Andererseits ist es dem abgeschlossenen Opfer gegenläufig, Himmel und Erde förmlich in seinem Geschehen festzufrieren, als könne der Christus nie mehr aufhören, zu leiden und geopfert zu werden. In einer ständigen, vollkommenen und dem „Uropfer“ gleichwürdigen 1:1-Vergegenwärtigung des Opfers wird der Sache nach der scheinbare Triumph über Christus gegenwärtig gehalten, was freilich nicht ausgesprochen, sondern umgedeutet wird — etwa so, wie es Odo Casel tut: der Gläubige muss durch diese Mysterienfeier unablässlich mit dem Herrn sterben. Und das gereiche ihm zum Heil. Nun ist nicht abzustreiten, dass das Christenleben tatsächlich ein tägliches „Der-Sünde-Absterben“ ist, aber es ist keineswegs plausibel, deswegen Christus unentwegt in einem Spiel, in einer geistlichen Performance, „vorbildhaft“ leiden und sterben zu lassen, als sei er noch nicht auferstanden und noch nicht aufgefahren und als säße er nicht zur Rechten Gottes und wartete dort, bis ihm alle seine Feinde als Schemel unter die Füße gelegt würden (Hebr 10). Es ist auch nicht plausibel, warum die, die doch ein für allemal geheiligt sind in diesem einmaligen Opfer, wie im AT ständig an ihre Sünde erinnert werden, die Gott doch längst vergessen hat, anstatt ermutigt zu werden, als „neue Kreatur“ zu leben:

„Denn durch ein einziges Opfer hat er die, die geheiligt werden, für immer zur Vollendung geführt. Das bezeugt uns auch der heilige Geist.“ (Hebr 10, 14 f)

Ein vorausahnendes, schwaches „Abbild“ dieses einen wahren Opfers war dem Hebräerbrief gemäß das Opfer des Alten Bundes. Das „Abbild“ im irdischen Kontext konnte nur ein unvollkommener „Platzhalter“ sein. Das Vollkommene aber ist zwar unsichtbar (!), aber wirklicher als das, was uns so wirklich erscheint und braucht daher keine Stellvertretung mehr. Das, was aus dem Himmel selbst geopfert wurde, kann und darf in keiner „Ersatzhandlung“ abgebildet werden, denn sie bleibt naturgemäß hinter dem zurück, was das Urbild ist. Vermutlich soll die ungereimte und philosophisch in sich widersinnige „Transsubstantiationslehre“ aus dem materiellen „Abbild“ eines machen, das ebenso vollkommen ist wie das Urbild, um dem möglichen Vorwurf einer „schwächenden“ Abbildlichkeit zuvor zu kommen. Ein solcher Versuch geht — wenn das die Intention ist — jedoch der Sache nach über einen gewöhnlichen Götzendienst noch weit hinaus, weil nun an die Stelle des einmaligen Opfers das „sakramental vervielfältige Opfer“ gesetzt wird. Es ist nicht nur Platzhalter oder Idol, sondern es verdrängt im Grunde das eigentliche Opfer durch den Anspruch, genau dasselbe an Wert und Würde zu sein. Dieser Anspruch muss erhoben werden, um die ganze Angelegenheit nicht als bloßes Idol zu entlarven. Man hat sich gewissermaßen auf eine „Flucht nach vorne“ begeben, um das eigene Gedankenkonstrukt „abzusichern“. Einen biblischen Anhaltspunkt dafür hat man damit weit hinter sich gelassen und befindet sich freischwebend in einem selbsterschaffenen, fantastischen Raum.

Einem solchen Anspruch eignet tatsächlich wesenhaft ein antichristlicher Charakter, weil an die Stelle des wirklichen, himmlischen Christus und seiner in der Zeit begrabenen, aber alles verändernden Heilstat ein anders „Uropfer“ gesetzt wird, das nicht in die Zeit gesenkt und vergangen bleibt und auch noch nicht abgeschlossen, aber ebenso gültig und würdig zu sein behauptet wie das erste. Dieser Gedanke ist schon nach menschlicher Philosophie und Vernunft unhaltbar und widersinnig, klingt aber bereits in der „Summa theologiae“ des Thomas beinahe zwanghaft und gewaltsam angesichts eines Geschehens, das alleine von Gott ausging, und das wir doch kaum bis ins letzte „zerpflücken“ oder in dieser blasphemischen Pose einer „Überschau“ in diesem Äon „erklären“ können. Genauso wie wir nicht „erklären“ können, wie Gott die Welt erschaffen hat, genauso können wir „erklären“, wie er uns errettet hat.
Dieser widersinnige und entgrenzte Gedanke steht durch die kirchliche Lehre, die sie spätestens im Mittelalter entwickelt hat, nun einmal beunruhigend, und jeden tiefer Nachdenkenden ratlos zurücklassend, im Raum. Man wird einerseits abgestoßen von diesem großmäuligen Auftreten der Kirche bzw ihrer Kirchenlehrer, von denen der „doctor angelicus“ den Vogel abschießt. Sie tut so, als habe Gott sie als Beraterin zu seiner Rechten sitzend in alle seine Tiefen eingeweiht, die sie nun herablassend der dummen Herde erklärt, die aber solche hochfliegenden Philosophien nicht nur nicht versteht, sondern auch kein Interesse und keinen Nutzen von ihr hat.
Andererseits ist das „Geheimnis“, das sie vorgibt zu verwalten, so grandios selbst-erdacht, dass man erpresst wird von der psychologisch zielgenau gesetzten Geste, man verpasse etwas, wenn man sich ihr nicht unterwirft. Es gehört solide Bildung und Demut dazu, sich von solcher Philosophie nicht blenden zu lassen. Der Ungebildete wird vor Ehrfurcht erstarren vor dem, was er nicht begreift, und der Halbgebildete wird danach trachten, zum erlauchten Kreis der Kirchenlehren-Versteher zu gehören.

Man versichert seitens der Kirche zwar, es handle sich dabei um kein „erneutes Opfern“ (wie insbesondere der Protestantismus ihr vorwirft), wenn es das aber nicht ist, kann auch andererseits nicht geglaubt werden, es handle sich dabei überhaupt um ein Opfer und erst recht eines, das das „Uropfer“ uns vor Augen zaubert und sogar ess- und trinkbar macht. Logisch betrachtet kann es hier nur ein Entweder-Oder geben. Es ist so verrückt, als wollte man sagen, einer sei sowohl am Leben als auch tot, oder die Finsternis sei in Wahrheit das Licht, und begründet diesen Wahnsinn damit, es handle sich dabei halt eben um ein unergründliches Geheimnis und ist noch stolz darauf, Widersinniges „zusammendenken zu können“ und damit näher am göttlichen Geheimnis zu stehen als einer, der Vorsicht walten lässt, bevor er sich auf solche Gedanken einlässt, die dem Menschen in seinen Grenzen jede Orientierung rauben. Wer solche Gedanken denkt, wird bald keinen klaren Gedanken mehr denken können, weil er die eigenen Grenzen glaubte überfliegen zu können. Nicht umsonst schreibt Paulus:

„Non alta sapientes, sed humilibus consentientes. Nolite esse prudentes apud vosmetipsos“ (Röm 12, 16) — „Strebt nicht danach, hohe Dinge zu wissen, sondern stimmt in Demut überein. Ihr sollt nicht die Klugen spielen bei euch!“

Das Auftreten des selbsternannten, „unfehlbaren“ Lehramtes („magisterium“) schlägt nicht nur dieser neutestamentlichen Aufforderung im Römerbrief an hohe Herren, die sich „amtlich“ für besonders erkenntnisfähig halten, mit einer bemerkenswerten Dreistigkeit ins Gesicht. Ähnliche Warnungen bis hin zu dem Verbot Jesu an die Jünger, sich überhaupt „magister“ nennen zu lassen (Mt 23, 8-11), findet man an mehreren Stellen (Mt 23, 13 f, 27; Lk 22, 25 f; Gal 2, 4 f; Judas 3; 2. Ko 11, 20; Ez 34, 10 ff), ebenso eine Aussicht darauf, dass die Kinder Gottes nicht mehr „Hirten“ unterworfen sein sollen. Ich zitiere nach der unnachahmlichen Übersetzung Martin Bubers:

„Darum — Hirten, hört SEINE Rede,
so hat mein Herr, ER gesprochen — ,
wohlan, ich will an die Hirten,
ihrer Hand fordre ich ab meine Schafe,
ich verabschiede sie Schafe zu weiden,
nicht mehr weiden die Weidehirten sich selber,
vor ihrem Mund rette ich meine Schafe,
zum Fraß sollen sie ihnen nicht werden.
Denn, so hat mein Herr, ER, gesprochen,
wohlan, ich selber bin da,
daß ich nachfrage meinen Schafen,
daß ich sie zusammensuche:
wie der Hirt zusammensucht seine Herde
am Tag, da er seiner gebreiteten Schafherde mitteninne ist,
so suche ich meine Schafe zusammen,
ich rette sie aus allen Orten,
dahin sie verstreut worden sind
am Tage von Wolke und Wetterdunkel.“[22]

Da das Urbild der Opfertat des „ewigen Hirten“ sich aber in die Zeit hinein manifestiert hat, ist es bereits im historischen Leben Christi im Fleisch sichtbar geworden. Der Alte Bund war ein schwacher Abglanz des kommenden Neuen Bundes. Der Neue Bund aber „in meinem Blut“, das heißt: der vollkommen aus dem Leben Christi hergeleitet wird,  ist das Vollkommene und nicht mehr Abbild von was auch immer. Es ist und bleibt als Initiation der Neuschöpfung für immer in der erfolgten und erfolgenden Neuschöpfung wirksam, und niemand muss darauf zurücksehen, als sei die Zeit in ihm stehengeblieben! In der Metaphorik Paulus’ im Hebräerbrief ist der Leib Christi der Vorhang, der den Zugang zum Allerheiligsten versperrt hat, der im Tempel der Juden in der Stunde seines Todes von oben nach unten zerriss (Mt 27, 51; Hebr 10, 20). Dieser Vorgang macht deutlich, dass er nicht ständig „vergegenwärtigt“ werden kann und darf: wenn ein Vorhang eingerissen ist, ist er ein für allemal eingerissen und ein Weg ist frei, ein Hindernis ist weg. Das schwache und darum fehlbare Fleisch, unsere große Grenze, unser Hindernis zu Gott hin, das Christus angezogen hat, um uns frei zu machen, wurde in Christus „zerrissen“, um eben nicht mehr als Hindernis, sondern als verklärter Leib aufzuerstehen. Welchen Sinn ergibt es, täglich den Vorhang erneut virtuell aufzuhängen, um ihn wieder einzureißen, und wieder aufzuhängen und wieder einzureißen, anstatt hindurchzugehen und alles hinter sich zu lassen, was vorher den Weg verhinderte?!
Jede Abbildung kommt einem Rückfall in den Alten Bund gleich oder gleich in heidnische Zerrbilder. Wenn ich als Nachfahrin eines wohlhabenden Ahnen, der vor 500 Jahren großen Reichtum erworben hat, heute dessen Vermögen erbe, muss der Vorfahr mir nicht erneut und absolut real als damals und heute sterbend und erb-lassend vor Augen gehalten werden. Es genügt doch, dass er auf Dokumenten bezeugt gestorben ist und vererbt hat vor Jahrhunderten. Nicht von Ungefähr vergleicht Paulus den Christus daher auch mit einem Erblasser, der sterben musste, um uns erben zu lassen (Hebr 9, 15 f).
Jesus hat demgemäß auch keine leibliche Realpräsenz verheißen, sondern eine ausschließlich geistige: er kommt nicht vom Himmel als gewandeltes Brot auf einem Altar (das sagt er an keiner einzigen Stelle!), sondern er sendet den Heiligen Geist. Wiederholt sagt uns das NT, dass wir nicht im Schauen leben, sondern im Glauben. Der christliche Glaube müsste den Menschen schmerzlich abschneiden von jeder sinnlichen Bezugnahme und Stütze, wenn er der kanonischen Vorgabe konsequent folgte. „Das „Sterben mit Christus“ im NT bedeutet wesentlich diese Abkehr von jedem Versuch, sich erneut und wie die Heiden es tun, aber auch das alte Israel es in einem von Gott in der Tora begrenzten Umfang noch tat, auf das Schauen und das Schaffen sinnlicher Hilfsmittel zu gründen.

Diese radikale geistige Vorgabe hat aber die Kirche schon während der apostolischen Zeit, wie man den Klagen insbesondere des Paulus im 2. Korintherbrief und im Galaterbrief entnehmen kann, seit Konstantin mit Macht und Gewalttat gegen alle, die ihr nicht folgen wollten, nicht im mindesten mehr bekümmert, und sie setzte stattdessen etwas ein, das den Weg ins Allerheiligste erneut versperrte. Thomas von Aquin greift in seiner Sakramentenlehre zurück auf Augustinus und eine rein menschlich gedachte, heidnische Argumentation:

„(Augustin schreibt) (19. cont. Faustum 11.): „Unter dem Namen keiner Religion, sei es der wahren sei es einer falschen, können die Menschen vereinigt werden, wenn man sie nicht durch äußere Merkmale oder durch die Verknüpfung sichtbarer Sakramente verbindet.“[23]

Dieser Gedanke beweist die angebliche Notwendigkeit von „Sakramenten“ also nicht aus der Schrift oder der Lehre Christi, sondern aus einer allgemeinen psychologischen Lehre über die Natur des Menschen, die missachtet, dass das NT tatsächlich von einer Überwindung dieser allgemeinen Natur spricht und vielmehr an eine „neue Kreatur“ (s.o.) appelliert, die lernen soll, ohne jegliches Schauen auszukommen und dadurch erst verwandelt wird auf den Himmel hin.

Thomas von Aquin schlägt sich kapitelweise mit den Aussagen Augustins herum, dessen Auffassung der Eucharistie eben doch eher eine geistige zu sein scheint, um dessen Lehre entweder zu überwinden, oder sinnlich zu „präzisieren“.[24]
Die Diskussion über das Sakrament der Eucharistie, dem er überdies — im Rahmen einer solchen Lehre mit logischem Recht — einen anderen Charakter zuweist als den restlichen Sakramenten, weil sie an und für sich Heiliges ist und nicht nur Heiliges vermittelt, rückt sie unfreiwillig eben doch in den Bereich des Idols und weg von einem echten Mysterium iS des antiken Mysterienverständnisses. Denn anders als die anderen „Sakramente“, die nach dem Konzept antiker Mysterien gedacht sind, stellt die Eucharistie nicht mehr nur einen mystischen Durchgang durch eine heraufbeschwörende „Performance“ einer Urtat in das Mysterium dar, sondern sie „produziert“ ja förmlich ein materiell-sichtbares, irdisches „Heiliges“ und „Göttliches“. Eine konsekrierte Hostie ist nach der Lehre ja Gott selbst und soll aus diesem Grund mit äußerster Ehrfurcht behandelt werden. Eine solche Entwicklung der „wahren“ Lehre hin zu der permanenten Neuerschaffung oder Neukonsekration eines materiellen Gottes, konfrontiert sich einerseits nicht mit dem Gebot „Du sollst Dir kein Bildnis machen“ (Ex 20, 4). Andererseits weicht sie der Tatsache aus, dass Jesus leiblich auffuhr und keine materielle Präsenz verheißen hat, sondern eine ausschließlich geistige im Hl. Geist. Eine vergleichbare Ehrfurcht vor dem Leben des gläubigen Menschen, der doch als Träger des Hl. Geistes viel mehr wert ist als ein kleines Stückchen Brot, ließ die Kirche über weite Strecken ihrer Geschichte gänzlich vermissen…
Über diese Entgrenzung des „Sakramentes“ nicht nur über den biblischen Kontext hinaus, sondern auch über jegliche Systematik der heidnischen Mysterienreligionen hinaus, kann eine langatmige Argumentation bei Thomas nicht hinwegtäuschen, die bewusst alle Einwände, die es aus der Kirche selbst dazu — wie er zugeben muss — gab, entwertet und abweist.

Die kirchliche Apologetik für diese bedenkliche Entwicklung greift nach jedem Argumentationsstrohhalm. Der Lehrer Augustins, Ambrosius von Mailand (340—397) etwa, scheint auf den ersten Blick eine wesentlich sinnlichere Auffassung von der Eucharistie gewonnen zu haben:

„Mit diesen Mysterien nährt Christus seine Kirche, daraus schöpft die Seelensubstanz ihre Kraft. Und mit Recht jubelt er ihr zu, da er sie in der Fülle des Gnadenfortschrittes schaut: „Wie herrlich sind deine Brüste, meine Schwester Braut! Wie herrlich sind sie geworden vom Weine!“[25]

Sieht man aber genauer hin und lässt die langen, erotisch getönten Vergleiche der Eucharistie über sich ergehen, wird man am Ende doch auch von Ambrosius nicht hören, es handle sich hier um reales Fleisch und Blut. Auch er hebt trotz allem immer noch ausdrücklich darauf ab, dass es sich um eine „geistige“ Speise handle:

„In jenem Sakramente ist Christus, weil es der Leib Christi ist. Es ist darum keine physische, sondern eine geistliche Speise. Darum hebt auch der Apostel von dessen Vorbild hervor: „Unsere Väter haben eine ‚geistliche Speise genossen‘ und einen ‚geistlichen Trank getrunken‘“(1. Kor 10, 3). Denn Gottes Leib ist ein geistlicher Leib, der Leib Christi ist der Leib des göttlichen Geistes; denn Christus ist Geist.“[26]

Dass die Kirche heute im Gefolge des mittelalterlichen Theologiewechsels etwas erheblich anderes lehrt, als es zu Beginn wohl gelehrt worden ist, wenngleich auch dies schon eine gewisse Entfernung zum NT aufweist, geht aus diesen ganz modernen Worten hervor:

„Wenn die Gläubigen zur Feier der Eucharistie zusammenkommen, dann tun sie das zum Gedächtnis des Leidens, Todes und der Auferstehung Jesu. Gedächtnis meint jedoch weit mehr als ein bloßes "Erinnern" an Jesus Christus und dessen Handeln. Es hat zugleich auch eine zukünftige Dimension, indem es die Erlösung und Vollendung der Menschheit zeichenhaft vorwegnimmt. Und schließlich glauben die Christen daran, dass Jesus im Sakrament der Eucharistie in ganz besonderer Weise auch im Hier und Jetzt gegenwärtig ist – und zwar unter den Gestalten von Brot und Wein.“[27]

Merkwürdig taucht hier — wie schon in den vorigen Artikeln behandelt — wieder die Behauptung auf, die Eucharistie stehe für eine noch nicht erfolgte „Erlösung der Menschheit“ und nehme selbige nur „zeichenhaft voraus“. Diese Sätze widersprechen nicht nur dem Hebräerbrief, sondern dem gesamten NT, weil sie die bereits erfolgte Erlösung leugnen und nicht differenzieren: Die Erlösung ist ein für allemal erfolgt, aber die Menschheit muss erst im ganzen davon Kenntnis erlangt haben. Dazu muss einerseits jeder Mensch, den Gott vorgesehen hat, erst geboren worden sein, andererseits müssen alle die Möglichkeit gehabt haben, sich zu Christus zu wenden. Sobald dieser Prozess abgeschlossen ist, wird er wiederkommen (Mt 24, 14). Von einer „Erlösung und Vollendung der Menschheit“ ist in der Schrift keine Rede, sondern von einer Scheidung der Geister und einer Sammlung der Geretteten und einer Scheidung von denen, die sich nicht retten lassen wollen.

Es ist an der folgenden Erklärung des Autors, die sich auf Thomas und Aristoteles zu stützen vorgibt, erkennbar, dass Vertreter der Transsubstantiationslehre selber nicht verstehen, was sie da glauben:

„Dennoch kann laut Thomas auch dieser Vorgang (der Hl. Wandlung, Anm. HJ) mit dem Verstand nachvollzogen werden. Aristoteles hat für einen solchen Fall ein sehr anschauliches Beispiel: nämlich das einer Türschwelle. Durch sinnliche Wahrnehmung alleine kann man sie höchstens als ein Stück Holz einer bestimmten Form definieren. Erst der Verstand sagt dem Betrachter, dass dieses Stück Holz an einer bestimmten Position eine bestimmte Funktion erfüllt und so zur Türschwelle wird. Verändert man die Position, hört die Türschwelle auf eine solche zu sein.“[28]

Es ist jedem philosophisch einigermaßen Verständigen sofort klar, dass dieses Türschwellenbeispiel hinkt. Denn weder behauptet einer, der in dem besagte Holzstück die Türschwelle erblickt, dass sie nicht auch nach wie vor wesentlich ein Stück Holz sei, noch gibt es eine Wandlung, die das Wesen des bloßen Holzstückes aufheben könnte. Die Vorstellung, dass die Türschwelle nur noch akzidentiell ein Stück Holz sei, substanziell aber ausschließlich ihre Funktion, ist mehr als absurd. Anders gesagt: wenn das Brot und der Wein in der Eucharistiefeier lediglich eine bestimmte „christologische Funktion“ erhalten würden, wäre es unsinnig von einer „Heiligen Wandlung“ zu sprechen und noch unsinniger, nach der Wandlung niemals mehr bloßes Brot und bloßen Wein in den Gaben sehen zu wollen oder diese „Funktion“ gar anbetend auszusetzen.
Das Beispiel dieses Erklärungsversuches zeigt uns, wie hilflos und widersinnig sie bis heute sind und trotz geschwollener Worte über eine idolatrische Beschreibung schlicht und einfach nicht hinausgelangen.

Woher kommt die kirchliche Obsession, sie müsse dieses Opfer nicht nur „geistig“ sakramental verwirklichen (was ohnehin schon fraglich ist und ein außerbiblischer Gedanke!), sondern auch buchstäblich sinnlich und sichtbar, dann aber wieder unsichtbar-sichtbar, weil man zwar das Brot sieht, aber nicht seine Wandlung, als sei es nicht schon für sich selbst wirklich und wirksam? Jeder Gläubige, der ein wenig nachdenkt, kommt völlig durcheinander, wenn er sich fragt, ob er denn nun totes Opferfleisch isst oder bereits wieder auferstandenes, oder gerade noch lebendes Opferfleisch? Die Gläubigen sind im allgemeinen viel zu träge, um über das, was man ihnen sagt, einmal nüchtern nachzudenken.

Die Gläubigen wurden jedenfalls, um es einmal psychologisch zu sagen, auf die eigene orale Beziehung zum Brot und die Verehrung des „Kostbaren Blutes“, das seit Jahrhunderten im wesentlichen nur die Priesterkaste genießen darf, fixiert und neigten immer mehr dazu, das Altarsakrament als solches und losgelöst von der Eucharistiefeier oder einem Kommuniongang zu verehren.
Es stellt sich die Frage, warum man die Hostie „aussetzt“ (zur Anbetung in einer Monstranz ausstellt) und am Fronleichnamfest durch die Straßen trägt, aber nicht etwa den Kelch, der doch das eigentliche Zeichen des Neuen Testamentes „in meinem Blut“ ist, wie Jesus sagte, zugleich aber „Bluthostien“ wie Reliquien verehrt, ebenfalls ausstellt und einen „Heiligblut-Kult“ betrieben hat. Wie bringt man diese Idolisierung von Brot und Wein des letzten Abendmahles, bei dem Jesus ja noch nicht geopfert war (!), auf einen vernünftigen, neutestamentlichen Nenner?
Man sagte den Gläubigen, die Hostie sei der unwiderruflich gewandelte „Leib Christi“ und ihre „Seelenspeise“. Warum genügt der Heilige Geist als Seelenspeise nicht? Und wie ist es möglich, dass das unvergängliche himmlische Opfer in den vergänglichen Gestalten von Brot und Wein dann eben — was seinem vorgeblichen „heiligen“ Wesen doch ganz und gar entgegensteht — wie alles Irdische verblasst und verfällt?
Die Frage steigt auch angesichts des Liedes „Tantum ergo“ auf, in dem Thomas von Aquin einerseits davon spricht, dass man hier etwas sehe und nicht sehe:

„Tantum ergo sacramentum
veneremur cernui,
et antiquum documentum
novo cedat ritui.
praestet fides supplementum
sensuum defectui.“

Wir sollen das Sakrament „verehren“, also als das Sichtbare verehren, und glauben, was man nicht in ihm sieht, nämlich den Leib des Herrn. Warum aber sollte uns etwas Sichtbares vor Augen gestellt werden, um darin Unsichtbares zu verehren? Dass die Heiden dergleichen tun, wissen wir, und es ist gewiss zutiefst menschlich. Entspricht es aber dem Neuen Bund, von dem Thomas auch spricht? Und schrieb er nicht, wie dargelegt, der Mensch brauche immer Sichtbares, um zum Unsichtbaren zu kommen? Wie soll das gehen? Muss man das Sichtbare nur lange genug anschauen, bis die Fantasie Kapriolen schlägt und Unsichtbares sichtbar macht?
Es ist unsinnig: Unsichtbares kann nun einmal nicht durch Sichtbares erkannt oder gar gegessen und getrunken werden, sonst wäre es ja nicht Teil einer unsichtbaren Welt!
Unsichtbar heißt nun einmal präzise: un-sichtbar. Es kann nicht gesehen werden mit unseren Sinnen des schwindenden Lebens in dem Leib, der noch auf das Ende seiner Wartezeit (nicht aber grundsätzlich der Errettung oder Erlösung!) in diesem Äon harrt.

Im Mittelalter finden wir die Denkweise niedergelegt, das Altarsakrament sei die „Brautgabe“ für die sponsa Christi, eine Anzahlung. Der Herr vereinige sich auf diese Weise jetzt schon mit seiner Braut, der Kirche, als „Vorgeschmack“ auf die kommende Herrlichkeit.[29] Christus ist zwar im Himmel und nicht mehr bei uns, aber er erscheine immer wieder „unsichtbar“, faktisch aber in einer „Larve“ eben doch sichtbar (!) in den Gestalten von Brot und Wein unter uns und gebe sich uns zur Speise, als ein Manna, auf unserer Wüstenwanderung zur ewigen Herrlichkeit. Das klingt ungeheuer poetisch und schön, aber ist es wirklich das, was Jesus gemeint hat? Hat er uns nicht vielmehr gesagt, er gehe, ja, er müsse sogar von uns weggehen, damit der „Paraklet“ kommen könne? Dieser Hl. Geist zerfällt — anders als die Hostie — nicht und wird nicht wie sie von den Motten im Tabernakel gefressen, wenn nicht wir sie rechtzeitig durch Genuss vor einem Verfall bewahren, der aber auch durch Verzehr nicht wirklich aufgehalten werden kann, denn schwaches Brot wird einem schwachen Leib einverleibt, und beide vergehen.

Dass die Verehrung der Hostie sich in den häufigen „Aussetzungen“ immer mehr zu einer Anbetung des materialisierten „allsehenden Auges“ gestaltete, habe ich schon an früherer Stelle ausgeführt.[30] Es liegt auf der Hand, dass diese Praktiken sich weit entfernt haben von dem ursprünglichen Gebot Jesu beim letzten Abendmahl.
Wir finden im NT nicht ein einziges Wort, das eine Ausdeutung des Altarsakramentes als „Brautgabe“ rechtfertigen könnte. Dort nimmt diese Rolle der „Anzahlung“ ausschließlich der Heilige Geist ein. Der „Leib Christi“ ist dort die Kirche selbst in ihren einzelnen Gliedern. Sie sind der „Tempel des Heiligen Geistes“, sowohl als einzelne Personen als auch als Gemeinschaft, und dessen Realpräsenz ist die Brautgabe:

„13 In ihm habt auch ihr das Wort der Wahrheit gehört, das Evangelium von eurer Rettung; in ihm habt ihr das Siegel des verheißenen Heiligen Geistes empfangen, als ihr zum Glauben kamt.
14 Der Geist ist der erste Anteil unseres Erbes, hin zur Erlösung, durch die ihr Gottes Eigentum werdet, zum Lob seiner Herrlichkeit. (Eph 1)

Die Berührung und Durchdringung des Gläubigen durch diese gewaltige geistige Welt, von der Petrus und Paulus sprachen, wird durch die Lehren der Kirche mit viel Glanz und Ästhetik vulgarisiert und versinnlicht. Der Gläubige wird förmlich „abgetrieben“ in die Nichtigkeit höfisch orientierter, irdischer Illusionen und Fabeln über etwas, das noch keiner der Lebenden in diesem Äon gesehen hat und sehen kann, auf das hin wir geschaffen wurden, und was der himmlische Vater uns zuwenden will, wenn wir uns hier bewährt haben. Man mag einwenden, dass der Mensch ganz natürlich das Bedürfnis hat, Gegenständen der Verehrung seine besten Mittel zukommen zu lassen. Das gestehe ich gerne zu. Im kirchlichen Rahmen aber beansprucht diese äußerlich-ästhetische Aufmachung die Aufmerksamkeit und Bindung des Gläubigen in seiner „Innerlichkeit“ v.a. seit dem Tridentinum in einer despotischen Weise: so und nur so kann man Gott verehren. Gegen eine solche Verknüpfung regte sich das gesamte Mittelalter hindurch immer stärkeres Unbehagen seitens der Gläubigen, aber auch einiger Kleriker.
Die Kirchenlehre gesteht die Würde eines „Freien“, die nach dem NT jedem Gläubigen in gleicher und auch unabsehbarer Weise zukommt, in überhöhter Weise der Jungfrau und Gottesmutter Maria zu (wogegen an sich nichts zu sagen wäre), ferner der Hierarchie, die für sich beansprucht, „mehr“ vom Heiligen Geist „erhalten“ zu haben als alle anderen, und entzieht sie damit dem normalsterblichen Christen graduell oder sogar ganz. Die Kirche will von dieser neutestamentlichen Brautgabe und Anzahlung des Heiligen Geistes, der sich nach den Worten des Herrn selbst vorbehält, wo er in welcher Weise weht (Joh 3), nicht allzu viel ins Bewusstsein der Gläubigen gelangen lassen. Vielmehr vertieft sie theologisch immer mehr die Parallelität des mystischen Leibes Christi, des „fortlebenden Christus“ als irdische, institutionelle und hierarchische Kirche und der Eucharistie, die den „Leib Christi“ in der Mitte der Kirche in die irdische Realität hebt und die Gläubigen umgestalte und „gottfähig“ mache.[31] Die bereits zitierte Katharina von Siena, die diese Theologie im 14. Jh, verbunden mit einer frühen Form der Papolatrie ebenfalls sehr ausgeprägt vertrat, wurde nicht, — wie die bereits erwähnten Skeptiker Marguerite Porête oder Jan Hus —, verbrannt, sondern schnell heiliggesprochen und schließlich sogar zur Kirchenlehrerin erhoben. Wer dem Machtanspruch des Papstes als des Kopfes, des angeblichen „alter Christus“ huldigte und die Kirche insgesamt als den „fortlebenden Leib Christi“, außerhalb dessen es kein Heil gebe, beschrieb, wurde mit Kusshand in den Zirkel des erlauchten „Magisteriums“ der Kirche aufgenommen. Wer dies aber mit triftigen Gründen theologisch bezweifelte, wird bis heute verstoßen.
Es spricht nichts im gesamten NT dafür, dass eine ans Materielle gebundene Realpräsenz Christi der Ausgangspunkt für das wäre, was uns erneuert. Immer wieder wird uns eingeschärft, dass es sich um eine geistige Erneuerung handelt, der Leib aber in der sterblichen Verfasstheit seiner Verklärung noch harrt. Nicht zuletzt sagte Jesus selbst, die Neugeburt finde aus „Wasser und Geist“ statt (Joh 3), und Johannes der Täufer kündigt an, der nach ihm komme, der Christus, werde nicht mit Wasser, sondern „mit dem Heiligen Geist und mit Feuer“ (Mt 3, 11) taufen. Wenn das so ist, erscheint die Vorstellung, diese Funktion der beständigen Erneuerung geschehe durch die materielle Hostie, wie ein Rückfall und Magie:

„22 Legt den alten Menschen des früheren Lebenswandels ab, der sich in den Begierden des Trugs zugrunde richtet,
23 und lasst euch erneuern durch den Geist in eurem Denken!
24 Zieht den neuen Menschen an, der nach dem Bild Gottes geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit!“ (Eph 4)

„Lasst euch vom Geist erfüllen!“ (Eph 5, 18)

Ebenso lässt das 6. Kapitel des Epheserbriefes keinen Zweifel darüber aufkommen, dass der geistliche Kampf ein geistiger Kampf ist, an dem das schwache Fleisch als tief gefallene, geistverlorene Komponente, die den Geist mit herabzieht und verwirrt, beteiligt ist, komplexe Geistigkeit als Geistleiblichkeit aber das eigentliche Wesen des Menschen sei. Der Auferstehungsleib, der erneuerte und verklärte Mensch ist Geistleib. Die leibliche Komponente des Menschseins (deren Isolation vom Geist wohl auch eine Folge der Sünde ist) wird erst nach der Auferstehung und Verklärung ihre ursprünglich vorgesehene Würde und Geschmeidigkeit (zurück-)erhalten. Hier aber lässt sich auf das gefallene, sterbende Fleisch buchstäblich nichts gründen! Mit keinem Wort wird gesagt, die Heilung der Schwachheit beginne im Fleisch und kehre immer wieder zu diesem Ausgangspunkt zurück. Im Gegenteil. Die Fleischwerdung Jesu ist zwar der Weg, wieder zu dem Geistwesen zu werden, als das man ursprünglich gedacht war. Aber dieser Jesus ist auferstanden und bereits in einem verklärten Leib im Himmel. Es wäre ein Missverständnis, daraus „Leibfeindlichkeit“ abzuleiten. Der irdische Leib soll gepflegt und genährt werden, aber auf ihn und aus ihm lässt sich in diesem Äon nichts Ewiges gründen. Er harrt noch seiner Instandsetzung.

An keiner einzigen Schriftstelle wird die von Christus selbst gebotene Eucharistiefeier also mit „fleischlicher“ Bedeutung aufgeladen.
Vielmehr wird ein materielles Verständnis und eine bevorzugte materielle Notwendigkeit des Brotes für den Menschen, die der Satan dem Herrn in der Wüste suggerieren will, generalisiert durch die Überwertigkeit eines geistigen Brotverständnisses von Jesus selbst abgewehrt:
„In der Schrift heißt es: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt.“ (Mt 4, 4)
Es ist aus dieser Sicht unverständlich, warum die Kirche den Gläubigen den Umgang mit dem lebendigen Wort, das aus Gottes Mund kommt, was sich im Kontext des NT nur als die Gabe des Heiligen Geistes in Verbindung mit der inspirierten Schrift und der prophetischen Kontemplation oder der im Glauben erleuchteten Predigt verstehen lässt (!), entzieht und ihn stattdessen mit einem materialisierten „Leib Christi“ speist und ihm einredet, vor allem oder womöglich NUR dadurch werde er zuinnerst gewandelt. Wie man den beiden eucharistischen Gestalten ihre behauptete „Wandlung“ in keiner Weise anmerken kann, ist im Ergebnis auch die behauptete Wandlung des Menschen durch häufigen Kommuniongang ohne Motivation, dass diese Wandlung in irgendeiner Weise sichtbar werden oder Früchte hervorbringen müsste, die erkennbar wären. Man spricht v.a. im Zusammenhang mit der Firmung von den sieben Gaben und den sieben Früchten des Hl. Geistes, aber es ist eher ein starrer Tugendkatalog als eine Kennzeichnung der Verlebendigung des zuvor geistlich Toten. Auch hier beschränkt man sich auf oft sogar nur virtuelle, zahlenmäßig errechnete Früchte, etwa Ablässe oder eine allgemeine Vergrößerung des „thesaurus ecclesiae“ (Gnadenschatz der Kirche), aus dem dann der Klerus oder der Himmel schöpfen könne, um Gnaden auszuteilen, Exorzismen durchzuführen oder sonstige geistliche Werke zu tun. Dem häufigen Kommuniongänger selbst ist nichts anzumerken — es ist nicht beobachtbar, dass solche Menschen besondere Früchte erbringen würden. Es wurde im Gegenteil oft schon beklagt, dass daraus bigotte, selbstgerechte und heuchlerische Gestalten entstehen. Durch die Ver-un-selbständigung und Entmündigung des Gläubigen, durch seine patriarchalische Unterwerfung bis in die letzten Gedanken hinein nimmt man ihm Motivation und Verantwortungsgefühl.
Es entstand so bei sehr vielen eine Automatisierung des Glaubens, die hierarchische Kirche brachte mehr „Kadaver“ (Ignatius von Loyola) hervor als lebendigen Glauben. Alleine, dass sie einen Mann heiligsprach wie Ignatius, dessen Ideal eines Christen (in den „Geistlichen Exerzitien“) ein gehorsamer „Kadaver“ war, spricht durch und durch gegen sie, denn Jesus sagte einem Berufenen, der erst noch seinen Vater begraben wollte das erschütternde und harte Wort: „Folge mir nach; lass die Toten ihre Toten begraben!“ (Mt 8, 22). Lukas überliefert die Begebenheit mit einem Zusatz in der Aussage Jesu: „Jesus sagte zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh und verkünde das Reich Gottes!“ (Lk 9, 60) Jesus will offenkundig auf eine radikale Verlebendigung heraus. Kaum wird er die Pflicht (10 Gebote), seine Eltern zu ehren und würdig zu begraben, aufgelöst haben wollen. In der „übertriebenen“ Erzählung wird deutlich, dass es nicht viele Momente der Berufung geben könnte und v.a. ein ständiges Zurückschauen in den Maßstab der Schwäche zum Heilsverlust führt. Um der toten Verrichtungen des Alltags willen, und seien sie „heilige Pflichten“, sollte niemand sich der Nachfolge entziehen. Wir sind nicht berufen zu toten Werken, sondern zur Verkündigung des Reiches Gottes. Eine Kirche aber, die den „Toten“, den „Leichnam“ („cadaver“), der sich um ihretwillen selbst getötet hat, um sich ihr zu unterwerfen, propagiert, die verhindert, dass der Einzelne das Reich Gottes als Person bezeugt und dem „Jetzt!“ einer individuellen Berufung folgt, über das die Kirche nicht zu befinden hat, sondern nur der, der berufen kann: Jesus selbst, er und nur er, und nicht selbsternannte „Stellvertreter“. Es geht dieser Kirche nicht um Verkündigung und die freie Annahme des Wortes. Es geht ihr um das „Einsammeln“, das „Kassieren“, die Unterjochung und Kontrolle der Seelen für ihre eigenen Machtzwecke. Und daher auch die erbitterte Verfolgung aller, die sich von ihr lösen und ihrem Gewissen folgen.

Erstmalig formulierte die Kirche — wie schon erwähnt — verbindlich auf dem Laterankonzil 1215, der Gläubige sei verpflichtet, mindestens einmal im Jahr zu kommunizieren. Es mag eine Strategie vieler Menschen gewesen sein, sich dem Machtanspruch der Kirche durch Flucht in eine Schein-Passivität zu entziehen. Das Mittelalter kannte immerhin noch die starke Überzeugung, eine geistliche Kommunion in Gegenwart des eucharistischen Herrn sei grundsätzlich genauso wirksam wie der materielle Genuss der Gaben. Die „Abtreibung“ der Glaubensfrüchte hin in den Beutel der  Hierarchie aber macht aus einem freien Gläubigen, von dem es im NT heißt, er sei eine „neue Kreatur“ geworden, einen Leibeigenen der „Mutter Kirche“, für die er mit seinem Leben Glaubenspacht zahlen muss. Dass die Kirche vor noch nicht allzu langer Zeit Menschen hinrichten ließ, die von ihr abfielen, kann nur vor dem Hintergrund dieser Leibeigenschaftslogik verstanden werden. Ob diese Menschen wirklich von Gott abgefallen sind, konnte sie nicht beurteilen, aber eines konnte sie: feststellen, ob sie von ihr abgefallen sind. Dass ihr Anspruch absolut ist, hat sie mehr als einmal und in unseren Tagen sogar verstärkt kundgetan.

Die Zuspitzung der Bedeutung der Eucharistie und des Kommunionganges auch der Laien als Ausdruck der Leibeigenschaft gegenüber der Kirche wurde immer deutlicher:
Der obsessive Kommuniongang jeden Sonntag, am besten jeden Tag, wurde erst spät, von Pius X. in seinem Dekret „Sacra Tridentina Synodus“ vom 20.12.1905  propagiert. Pius X., der „Antimodernistenpapst“, der mit despotischen Methoden und der Errichtung eines mehrbödigen vatikanischen Geheimdienstes („sodalitium pianum“) den „Modernismus“ dämonisierte und abwehrte, bezieht sich auf eine Vorgabe des Trienter Konzils, das die sakramentale und nicht bloß geistliche Kommunion für den Gläubigen als wünschenswert und gnadenreich hervorgehoben habe. Der Zusammenhang des 16. Jh war freilich weniger der einer möglichst häufigen Genuss-Kommunion als der Versuch, dem reformatorischen Vorwurf zu entgegnen, die Kirche schließe den Gläubigen durch Stillmessen und reine Priestermessen von der Kommunion aus.
Pius X. behauptet ohne Schrift- und Väterbeweis, Jesus sei bei der Einsetzung des Abendmahls „beseelt“ gewesen „von dem Wunsch“, die Gläubigen müssten sich mit seinem geopferten, buchstäblichen Fleisch nähren:

„…insbesondere als er sagte : Dies ist das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist; es ist nicht wie das Manna, das eure Väter gegessen haben, die gestorben sind. Wer dieses Brot isst, wird leben in Ewigkeit. Anhand des Vergleichs der Engelspeise mit dem Brote und mit dem Manna konnten die Jünger leicht verstehen, dass die christliche Seele täglich das Himmelsbrot genießen und sich daran stärken könne, genau wie der Leib sich täglich vom Brot ernährt, und wie die Juden in der Wüste sich täglich mit dem Manna erquickten. Überdies heißt er uns im Gebet des Herrn, um das tägliche Brot zu bitten, und die Kirchenväter lehren fast einstimmig, es sei darunter nicht so sehr das materielle Brot, die Speise des Leibes, als der tägliche Genuss des eucharistischen Brotes zu verstehen.“[32]

Pius X. gibt leider keinerlei Referenzstellen oder Quellen an. Vor allem die Behauptung, die Jünger hätten leicht verstehen können, „dass die christliche Seele täglich das Himmelsbrot genießen und sich daran stärken könne“, wirkt dann gewaltsam, wenn dieses „Brot“ einseitig als eucharistisches Brot verstanden wird. Wir wissen nicht, was die Jünger leicht verstehen konnten (denn oft verstanden sie ihn nicht, wie das NT uns berichtet), und v.a. ist uns nicht überliefert, dass sie das enge Verständnis Pius X. von der Sache gehabt hätten. Die Stelle aus dem Evangelium, die er sehr freizügig im eigenen Sinn anklingen lässt, lautet in Joh 6 präzise so:

„32 Jesus sagte zu ihnen: Amen, amen, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel.
33 Denn das Brot, das Gott gibt, kommt vom Himmel herab und gibt der Welt das Leben.
34 Da baten sie ihn: Herr, gib uns immer dieses Brot!
35 Jesus antwortete ihnen: Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben.“

Diese Stelle sagt eindeutig aus, dass Jesus keine materielle oder materialisierte „Engelsspeise“, sondern das „Brot des Lebens“ in einem umfassenden geistigen und komplex an seine Person, die vom Himmel kam, geknüpften Sinn meint. Der kurze Wortwechsel zeigt auch, dass die Jünger nicht „leicht verstanden“, was der Herr ihnen sagen wollte. Gerade ihre Auffassung, es handle sich um ein mit den Mundwerkzeugen essbares Brot, scheint in der Erzählung doch eher ein Missverständnis aufseiten der Jünger zu sein, ähnlich wie das Missverständnis der Frau am Jakobsbrunnen, die Jesu Bitte um Wasser mit der erstaunten Rückfrage beantwortet, wie er als jüdischer Mann von ihr, der Samariterin, Wasser erbitten könne. Er sagt zu ihr:

„10 Jesus antwortete ihr: Wenn du wüsstest, worin die Gabe Gottes besteht und wer es ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, dann hättest du ihn gebeten und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben.
11 Sie sagte zu ihm: Herr, du hast kein Schöpfgefäß und der Brunnen ist tief; woher hast du also das lebendige Wasser?
12 Bist du etwa größer als unser Vater Jakob, der uns den Brunnen gegeben und selbst daraus getrunken hat, wie seine Söhne und seine Herden?
13 Jesus antwortete ihr: Wer von diesem Wasser trinkt, wird wieder Durst bekommen;
14 wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben; vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zu einer Quelle werden, deren Wasser ins ewige Leben fließt.
15 Da sagte die Frau zu ihm: Herr, gib mir dieses Wasser, damit ich keinen Durst mehr habe und nicht mehr hierherkommen muss, um Wasser zu schöpfen!“ (Joh 4)

Auch in diesem Zusammenhang ist klar, dass Jesus kein materielles oder materialisiertes „himmlisches“ Wasser austeilt, das das Brunnenwasser substantiell insofern „überrundet“, als es trotz bleibenden akzidentieller Wassererscheinung die Eigenschaft hat, den Durst des sterblichen Leibes für immer zu stillen. Das Wasser, das er gibt, entspringt als Quelle in dem, der es „trinkt“ und „fließt ins ewige Leben“. Niemand ist uns bekannt, der beständig Wasser absondern würde — es ist also ganz klar, dass Jesus dies bildhaft meint.
Warum sollte das bei der ähnlichen Brotrede anders sein?
Eine buchstäbliche Auffassung des „Brotes“ als „Opferfleisch Christi“ ist aber auch aus anderen Gründen undenkbar:
Es ist eines der schlimmsten Sakrilegien des jüdischen Gesetzes, reales Tierblut zu essen, geschweige denn Menschenfleisch und –blut. Jesus hätte so einen spirituellen Kannibalismus befohlen. Kann das wirklich sein? Jesus führt zwar ausführlich in seiner Streitrede mit den Juden aus, dass es notwendig sei, sein Fleisch zu „zerkauen“ („manducare“) und sein Blut zu trinken, wenn man das ewige Leben erhalten wolle, aber als ihn später die Jünger kritisieren und sagen, das sei eine „harte Rede“ (V 60), womit sie sicherlich diese starke Metaphorik meinten, erwidert er bezeichnenderweise:

63 Der Geist ist es, der lebendig macht; das Fleisch nützt nichts. Die Worte, die ich zu euch gesprochen habe, sind Geist und sind Leben.“

Er kennzeichnet seine Worte damit deutlich als metaphorische Rede.
Immer wieder kann man den Eindruck haben, dass Jesus vor allem mit den Schriftgelehrten und Pharisäern, aber auch anderen „geistlich schwerfälligen“ Menschen ironisch redet und sie durch starke Bilder provoziert.
Das materielle „Himmelsbrot“ des „Manna“, das Gott den Israeliten in der Wüste vom irdischen Himmelsfirmament herab sandte, war der Rede Jesu gemäß nur ein schwacher Abglanz und ein irdisches Zeichen für das himmlische und geistige Zeichen, das er selbst sein würde. Es ist nicht schlüssig, die Stelle so zu verstehen, als werde das einstmalige Manna nun in einer „sakramental“-materiellen, noch dazu blutigen Neuauflage wieder eingeführt. Wenn der Wein zu Blut wird, zu realem echtem Blut, ist es doch ein blutiges Opfer bzw. es hat eine blutige Komponente.
Dass Jesus überhaupt sein „Brotsein“ nicht mit einem Opfer, sondern der himmlischen Speisung in der Wüste vergleicht, sollte aufhorchen lassen. Auch wird der Zusammenhang nicht bedacht, der zwischen dem „Zerkauen des Fleisches Jesu“ besteht und seiner Aussage, das „Fleisch nützt nichts“. Der drastische Vergleich seiner Annahme in den Herzen, seiner also, der in unser Fleisch kam, mit einem „Essen“ und „Trinken“ seines Opfers erlaubt zunächst keine weitreichenden oder buchstäblichen Schlüsse, denn man muss jede Interpretationsmöglichkeit in Betracht ziehen.
Das metaphorische „Essen“ und „Trinken“ bedeutet, sich mit aller Kraft mit etwas zu befassen, es „im Herzen zu bewegen“, es sich ganz zu eigen zu machen und anzunehmen.
Selbst unsere postmoderne Alltagsmetaphorik kennt die Redewendung, jemand „kaue etwas durch“ und meint damit, dass er sich an einem Gedankengang abarbeitet, ihn also intensiv und bis zur eigenen Ermüdung, vielleicht auch der der Umwelt, geistig bewegt. Niemand käme auf die Idee zu glauben, einer, der ein Thema „durchkaue“, äße dabei ein zu Fleisch gewandeltes geistiges Thema. Wir sprechen auch davon, dass bestimmte Gedanken und Meinungen „wiedergekäut“ werden, und niemand meint, dass diese Gedanken deshalb zu realem Fleisch oder anderer Materie würden. Das „Kauen“ ist Metapher für die Intensität der Verarbeitung. Diese Bedeutung kommt vor allem in der Redewendung auf, jemand habe „lange an etwas zu beißen oder zu kauen“ gehabt. Nicht zuletzt kennen wir die scherzhafte Wendung, dass einer den anderen „vor Liebe auffressen könnte“ und denken auch hier nicht an einen kannibalischen Akt, sondern einen emotionalen und geistigen.
Jesus hat so häufig in Bildern und Gleichnissen gesprochen, weil die meisten Zuhörer ihn sonst niemals verstanden hätten. Die Gleichnisrede wird tief herabgesetzt vom Herrn selbst um der Menschen willen. Die Frage der Jünger, warum er überhaupt in Gleichnissen rede, beantwortet er so:

„11 Er antwortete ihnen: Euch ist es gegeben, die Geheimnisse des Himmelreichs zu verstehen; ihnen aber ist es nicht gegeben.“ (Mt 13)

Und als ob das noch nicht genügte, fügt er hinzu, es entspringe der „Hartherzigkeit“ der Menschen, dass sie überhaupt die Gleichnisrede bräuchten und die geistigen Dinge nicht verstehen könnten (V 15). Dies stärkt meine These, dass er häufig geradezu provozierend oder ironisch in bildhaften Zuspitzungen mit den Menschen spricht. Die Hartherzigkeit impliziert den Hang, alles zu materialisieren und ins sterbliche Fleisch zu bannen, auch wenn es ewige und geistige Dinge sind. Nur in diesem Zusammenhang äußert er sich aber in der Weise, man müsse sein Fleisch „zerkauen“ und sein Blut „trinken“. Beim letzten Abendmahl, als er nur die Zwölf um sich herum hatte, sprach er nicht davon, dass sie sein Fleisch essen und sein Blut trinken sollten, sondern er bricht das Brot, das am Pessachfest immer gebrochen wurde und reicht den Kelch herum, der an Pessach immer herumgereicht wurde, und gibt dieser Gedächtnisfeier an den Auszug aus Ägypten erst einen vollendeten Sinn durch seine bevorstehende Passion. Er kann vor der Passion nicht meinen, dass das bereits buchstäblich sein reales Fleisch und Blut sei, weil er ja noch nicht gekreuzigt worden war. Alleine dies spricht für den Charakter der Gedächtnisfeier, die das Gedächtnis des Pessachfestes mit einer vollendeten Bedeutung insofern versieht, als der Auszug aus der Sklaverei nun ein für allemal beendet sein wird. Er vergleicht sich darum auch nicht mit dem geschlachteten Pessachlamm und fordert nicht auf, dieses zu seinem Gedächtnis weiterhin zu schlachten, obwohl er andererseits gewiss nach allem, was das NT uns sagt, das Lamm Gottes ist, das geopfert wurde zur Lebendigmachung und zur Befreiung aus der Knechtschaft der Sünde.

Bildreden Jesu werden von der Kirche in allen anderen Fällen übrigens nicht im buchstäblichen Sinne aufgefasst, etwa so, wie er an anderer Stelle sagt, man solle sich selbst das Auge ausreißen, wenn es zum Bösen verführe, und es sei besser, einäugig ins Paradies zu kommen als mit zwei Augen verloren zu gehen (sinngemäß nach Mt 5). Dennoch hat die Kirche deshalb im allgemeinen keine Verstümmelungen im Falle von Versuchung und Sünde empfohlen.
Man muss sich also entscheiden, nach welchem Interpretationsschlüssel man vorgehen will. Warum nimmt man im Bezug auf die Eucharistie eine Bildrede Jesu geradezu übersteigert wörtlich und buchstäblich, entwindet sich aber sonst selbst seinen nicht-metaphorischen Reden, etwa der, niemanden „Vater“ zu nennen oder sich von niemandem als „Lehrer“ ansprechen zu lassen (Mt 23)? Man wird mir zugestehen müssen, dass hier offensichtlich eine Auslegungswillkür herrscht.

Es geht aus der Stelle im Johannes-Evangelium aber eines sicher hervor: dass Jesus von einem wirklichen und blutigen Opfer seiner selbst spricht. Das „Fleisch nützt nichts“ meint, dass er sein menschliches Fleisch opfert, dessen Blut aber durch den ewigen Geist erst lebendig und Leben spendend ist, um uns überhaupt erst lebens- und geistfähig zu machen und aus der Sphäre der Bildreden und materiellen Vergleiche hinauszuheben. Ist das Opfer aber einmal erbracht, ist der Weg frei. Es ergibt aus dieser Sicht keinen Sinn, das Opfer in die Gegenwart zu heben, indem man es „unblutig“ erneut darbringt, denn es soll ja wiederum ein „wahres Opfer“ sein, das hier und jetzt während der „Opfermesse“ vollzogen wird. Warum diese Wendung hin zum „Noch-mal-opfern“? Genau dieser Aspekt fehlt im NT vollständig.
Daher auch der Nachsatz: „Die Worte, die ich zu euch gesprochen habe, sind Geist und Leben.“ Nicht das einmal geopferte Fleisch erneuert uns täglich durch buchstäblichen, fast drogenhaften oralen Genuss, sondern seine Worte werden durch sein einmal aufgenommenes Opfer in den Herzen bei uns auf fruchtbaren Boden fallen können und uns erneuern. So sagt doch schon das Alte Testament, Gott habe kein Gefallen an Opfern, sondern an einem zerknirschten Herzen (Ps 50).
In jedem Fall ist die Aussicht, dass der, der zu ihm kommt, nie mehr hungern und dürsten wird, ein klarer Hinweis darauf, dass es um eine geistige Sättigung geht, die nicht an eine materialisierte Sättigung gebunden sein kann.

Die Kirche kennt aber mit der Entfaltung ihrer sinnlichen Lehren konsequenterweise die besondere Attraktion von Heiligen, die nur noch von der Hostie leben. Mit einer großen Scheinheiligkeit wehrt sie deren Verehrung halbherzig ab, aber man weiß in Rom nur allzu gut, dass solche Phänomene die logische Folge der Transsubstantiationslehre und der Fixierung auf das sinnliche Messopfer sind und geht aus diesem Grunde nicht wirklich gegen solche Auswüchse vor.
Die Auffassung Pius X., es könne also nur eine möglichst häufige Kommunion gemeint sein mit dieser „Sättigung“, ist nicht aus dem Schrifttext ableitbar und seine eigene Idee. Die Sättigung, von der Jesus spricht, geht von seinen Worten aus, die durch sein vollendetes Erlösungswerk und das Wirken des Hl. Geistes in den Herzen dem Menschen künftig fruchtbar sein werden.

Ich möchte noch ein wenig bei Pius X. verweilen, weil sein Dekret exemplarisch ist für eine Sichtweise, die die Kirche nicht von Anfang an hatte.
Pius X. Begründung für den häufigen Kommuniongang lautet folgendermaßen:

„3 Wenn nun Christus und die Kirche wünschen, dass alle Gläubigen täglich zum Tische des Herrn gehen, so ist es vor allem, damit sie dank der sakramentalen Vereinigung mit Gott die Kraft gewinnen, um die Begierlichkeit zu zähmen, die lässlichen Sünden des täglichen Lebens zu tilgen und die schweren Sünden, denen die menschliche Gebrechlichkeit ausgesetzt ist, zu verhüten; nicht aber in erster Linie, um Gott Ehre und Anbetung zu zollen, noch auch damit die Empfänger hier eine Art Belohnung oder Anerkennung für ihre Tugenden bekommen. Daher bezeichnet das Konzil von Trient die Eucharistie als „Gegenmittel zur Befreiung von den täglichen Vergehen und zur Bewahrung vor Todsünden“.“[33]

Schon die Behauptung, „Christus und die Kirche“ wünschten, dass Gläubige täglich die Kommunion empfangen, ist unhaltbar. Er, Pius X., wünscht das, und nach der dogmatisierten Papstlehre des Vaticanum I stellt er sich selbst sowohl als Christus als auch als die Kirche dar — eine ungeheuerliche Blasphemie, deretwegen im Zusammenhang mit dem Konzil von 1870 viele der bedeutendsten katholischen Gelehrten diese Kirche verließen oder verlassen mussten. Diese Geste des „Sich-als-Christus-ausgebens“ hat vielmehr klar und deutlich die antichristlichen Züge, die das NT uns zeichnet: „…der Widersacher, der sich über alles, was Gott oder Heiligtum heißt, so sehr erhebt, dass er sich sogar in den Tempel Gottes setzt und sich als Gott ausgibt“ (2. Thess 2, 4). Es ist ein Unterschied, ob einer einfach nur der organisatorische, aber auch Kontrollinstitutionen, Gesetzen und Regeln unterworfene Kopf einer kirchlichen Einheit ist, oder ob er sich mit den Attributen Christi und einer spezifischen, nur ihm zukommenden despotisch bevollmächtigten Unfehlbarkeit und absoluten Unangreifbarkeit und „universaler Jurisdiktionsgewalt“ versieht und seine eigenen Ideen als die des Herrn selbst ausgibt und seine „Untertanen“ bei Drohung des Verlustes des ewigen Lebens dazu zwingen will, sein Wort als Gottes Wort anzuerkennen und sich zu eigen zu machen.

Christus hat nämlich nicht ein Wort davon gesagt, wie oft dieses „Gedächtnismahl“ gehalten werden soll! Wenn man es an das jüdische Gedächtnismahl des Pessachfestes geknüpft sieht, wäre es ein Mahl, das einmal im Jahr gefeiert würde — aber ob es so gemeint war, wurde nicht ausdrücklich bestimmt.
Und erst recht sprach Jesus nicht davon, dass das materielle, „konsekrierte Brot“ noch einmal speziell Sünden tilgt oder verhindert. Dass die Kirche allerdings den Gläubigen einseitig darauf fixieren will, liegt auf der Hand. Es verblüfft mich immer wieder aufs Neue, wie Päpste mit einer großen Leichtigkeit all das, was sie wollen, flugs hinzudichten zu dem, was von Anfang an überliefert wurde. Man hat als Gläubiger die größte Mühe, unter dem Wildwucher dieser Anreicherungen, die von Theologen immer noch weiter ausgeschmückt werden, den ursprünglichen Text aus der Hand der Apostel noch rein zu vernehmen. Und genau dies verleidet man uns mit der Behauptung, alles, was die Päpste unfehlbar lehrten und jurisdiktionell „für ewig“ erließen, sei identisch mit dem Schriftwort oder dessen Maximen. Es genügt eine geringe Kenntnis, um alsbald auf große Widersprüche zu stoßen, die eine Beleidigung der Vernunft sind, aber mit einer beispiellosen Sophisterei und Wortklauberei „entkräftet“ und gerechtfertigt werden.  Wer sich dem ergibt, landet in einem geistigen Karzer, in dem er auf die Dauer betäubt und denkunfähig gemacht wird. Nur lange genug so benommen gemacht, wird der Gläubige alle Geistesgespinste sehen, die man ihn sehen heißt.

Pius X. unterscheidet dementsprechend das, was das Tridentinum wollte, von dem, was die ursprüngliche Überlieferung (in der auf diesem Konzil immerhin erneut kanonisierten Schriftversion) doch in Wahrheit und im Wortlaut aussagt, nicht. Er tritt als autoritärer Lehrer auf und nicht als einer, der das Überlieferte genau prüft. Es steht schon vorher, vor jeder Prüfung, fest, was wahr ist: nämlich das, was Pius X. sich vorgenommen hat, was er selbst ausgesponnen hat, muss die Wahrheit sein. Er befiehlt, die Herde hat zu folgen.
Äußerst befremdlich ist auch seine Bemerkung, der Kommuniongang sei nichtin erster Linie“ dazu da,  „um Gott Ehre und Anbetung zu zollen“. Nein? Wofür ist er denn vordringlich da? Heutige Verfechter der tridentinischen Messe bevorzugen sie wegen ihrer andächtigen Formen und der gestischen Ehrfürchtigkeit und Anbetung Gottes — nach Pius X. haben sie nicht verstanden, worum es beim Kommuniongang geht, obwohl er es ist, auf den sie sich oft sogar fanatisch berufen.
Hier wird die Kommunion als Heil- und Vorbeugungsmittel gegen schwere und als Tilgung der leichten Sünden verstanden. Diese Sicht lässt sich nun aus gar keinem einzigen Text des NT mehr ableiten. Auch die Opfer des AT werden damit konterkariert, denn sie beziehen sich nie auf künftige Sünde, sondern auf vergangene und sind selbstverständlich zuallererst der Ehre und Anbetung Gottes geschuldet. Was oder wer hat einen Papst angetrieben, solche erschütternden Worte auszusprechen, die Gott offen die Ehre stehlen?! Man muss auch bedenken, dass Jesus dieses Mahl befahl, damit es seinem „Gedenken“ („commemoratio“) gewidmet sei, also in erster Linie der Anbetung und dem Dank und Lobpreis seiner Erlösungstat. Wenn man nachsieht, wie die Kirche sonst eine „commemoratio“ feiert, ist man um so erstaunter über den geradezu überspannten Sinn, den sie demgegenüber der Eucharistiefeier als von Jesus selbst als „commemoratio“ bezeichneten Feier beigefügt hat. Etwa findet man im altrituellen Mariawalder Messbuch folgende Definition einer „commemoratio“ im liturgischen Gebrauch:

Commemoratio heißt Gedächtnis, d.i. eine nicht volle liturgische Feier. Die Kommemoration geschieht in der Weise, daß das Kirchengebet (Oratio), Stillgebet Secreta) und Schlußgebet (Postcommunio) des liturgischen Tages, der bloß erwähnt (kommemoriert) werden soll, nach dem Kirchen-, Still- und Schlußgebet der gefeierten Messe eingefügt werden.“[34]

Eine „commemoratio“, also das, was Jesus wollte mit seinem letzten Abendmahl, ist hier eine „bloße Erwähnung“, im Zusammenhang aber mit der Eucharistie der Kirche ein „wahres Opfer“ und „Mysterium“? Das ist nicht verstehbar, wenn man bei den Worten bleibt.
Die Logik liegt hier bereits in vielfachen Prämissen der kirchlichen Lehrentwicklung begründet: Fasst man das einmalige Opfer von Golgotha als ein „immerwährendes“ Opfer auf, das im Himmel auf einem himmlischen Altar vor Gott steht, und versteht man die Eucharistiefeier als ein Gegenwärtigsetzen des einmaligen Opfers, das uns nicht ein für allemal erlöst hat, sondern immerwährend und kontinuierlich erlöst, dann wird diese Zelebration samt dem Genuss des Brotes und des Weines zu einer in die Gegenwart gehobenen Sündenheilung, sowohl rückwirkend als auch vorbeugend. Der Genuss der Hostie nimmt den Charakter einer Droge an: man kann ohne sie nicht mehr leben, man muss immer einen gewissen „Spiegel“ haben, um noch vernünftig leben zu können. Man „lebt“ materiell und irgendwie fabelhaft „geistig“ aus dem Opferfleisch, das man sich täglich „herbeiwandelt“. Niemand kann in dieser Logik Pius X. noch sagen, wie lange ein Kommuniongang wirksam bleibt gegen die Neigung zur Sünde, aber alleine schon der Gedanke ist furchterregend, weil er das Opfer Jesu zu einem Gegenstand macht, der „verblassen“, „vergehen“ kann, also gerade nicht ewig gültig und wirksam ist, sondern das ewige, einmalige Opfer Christi in eine schwindende, irdische Handlung bannt, als sei sie ganz aus dem Horizont des sterblichen Fleisches heraus konzipiert und werde dabei unsinnigerweise auch noch als „mysterium“ bezeichnet.
Man denkt nicht: der Herr hat das Leben erwirkt — ein für allemal, und diese Verlebendigung geht allen meinen möglichen Fehltritten voraus…. Man denkt: der Herr „begleicht immerwährend die Schulden“, sukzessive, nach wie vor, und während er sich opfert und aufersteht, opfert er sich und steht auf, alles in einer eigentümlichen Parallelität, in einem Zusammenfluss von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die man für „mystisch“ erklärt. Durch die „sakramentale Vervielfältigung“ (Odo Casel) des einen Opfers erst entsteht ein ewig gültiges Opfer, der Vervielfältigungsakt selbst aber bleibt dem Fleisch nach konzipiert sterblich, schwindend, muss ständig erneuert und nachgebessert oder „wiederaufgefrischt“ werden.
Nun ist aber Jesus doch eindeutig eine historische Person, die eine historische Tat vollbrachte, deren Erlösungstod im Fleisch, also auch in der Zeit, geschah und zeitlich abgeschlossen wurde.
Er war 33 Jahre im Fleisch auf dieser Erde und davor nicht und danach auch nicht. Er starb zu einer bestimmten Stunde an einem Freitag und wurde als Auferstandener am 1. Tag der Woche wieder gesehen. 40 Tage danach fuhr er Zeugenberichten nach in den Himmel auf und wurde seither nicht mehr gesehen. Wir bekennen, das er im Himmel zur Rechten Gottes ist und dort keineswegs immerzu geopfert wird. „Ein für allemal“ bzw ein einziges großes Mal (Hebr 10, 10: „semel“) gültig ist dieses Opfer aber nicht durch zeitliche „Vervielfältigung“, sondern „kraft des ewigen Geistes“ (Hebr 9, 14), durch den sich Christus selbst dargebracht hat. Sein Fleisch, schriebt Paulus, sei der „Vorhang“, durch den hindurch er uns den neuen und lebendigen Weg erschlossen hat: „quam initiavit nobis viam novam, et viventem per velamen, id est, carnem suam“ (Hebr 10, 20). Aus diesem Passus geht nicht hervor, dass der Gläubige gewissermaßen unablässig diesen Weg durch den Schleier, den Vorhang gehen müsste, also immer wieder vor dem Vorhang landet, um wieder ein wenig hindurchzugehen und wieder zurückgeworfen zu werden. Paulus betont, dass Christus ein für allemal, „semel“, den Vorhang, das „velamen“ (Schleier), seines Fleisches geopfert habe, nun aber zur Rechten Gottes sitze und von da aus warte, dass man ihm alles unter die Füße lege. In dieser Gleichsetzung des menschlichen Fleisches mit dem, was vom Allerheiligsten trennt, dem „Vorhang“, der zentimenterdick im Tempel hing und von Pferden auf- und zugezogen werden musste, so schwer war er, ähnlich wie der Stein vor dem Grab Jesu, scheint auf, dass das geistverlorene Fleisch es ist, das uns trennt von Gott. Indem Jesus menschliches Fleisch annahm und opferte, machte er die Werke des geistverlorenen, „toten“ Fleisches zunichte und den Weg frei.
Das Konzept der kirchlichen Eucharistiefeier als sakramentaler Mysterienfeier hält den Gläubigen immer an der Schwelle zwischen Verlorenheit und Erlösung und hindert ihn daran, weiterzuschreiten auf dieser „via nova“. Um ihn an dieser Schwelle, an diesem „Vorhang“ festzubannen, hat man all die Zeremonien vom Tabernakel, von den Monstranzen und Aussetzungen erfunden. Der Gläubige betet nicht „im Geist und in der Wahrheit an“, wie Jesus es der Sameriterin verkündete, sondern nach wie vor oder erneut an einem irdischen Ort, den man für „heilig“ erklärt.
Wir spüren: Hier verwirren sich Ansichten und Anschauungen ein und derselben Sache. Der historische Erlösungshergang weitet sich zu einer ewigen, himmlischen Erlösungsszenerie aus, die zwar faszinierend zu denken, aber nicht neutestamentlich begründbar ist. Das erwähnte visionäre Bild des Lammes, das „aussah wie geschlachtet“ (Apk 5, 6 f) in der Apokalypse wird ja deshalb nicht als Daueropfer festgehalten, sondern es trägt die Spuren einer Opferung an sich, ist aber darüber hinausgelangt und agiert als Lebendiges:

6 Zwischen dem Thron und den vier Lebewesen und mitten unter den Ältesten stand ein Lamm; es sah aus wie geschlachtet und hatte sieben Hörner und sieben Augen; die Augen sind die sieben Geister Gottes, die über die ganze Erde ausgesandt sind.
7 Das Lamm trat heran und empfing das Buch aus der rechten Hand dessen, der auf dem Thron saß.
8 Als es das Buch empfangen hatte, fielen die vier Lebewesen und die vierundzwanzig Ältesten vor dem Lamm nieder; alle trugen Harfen und goldene Schalen voll von Räucherwerk; das sind die Gebete der Heiligen. (Apk 5)

Aber vertiefen wir dies noch ein wenig weiter:
Der Haken an einer „überzeitlichen“ Auffassung ist, dass sie sich so nicht im NT findet. Die Heilung und Erneuerung des Menschen geht hier nicht vom „Brotbrechen“ aus, sondern vom Wirken des Hl. Geistes in den Herzen. Pius X. zitiert selbst Apg 2, wonach die Jünger „in der Gemeinschaft und im Brotbrechen“ verharrten. Aber dort steht nicht ein Wort davon, dass dieses Brotbrechen ein Gegenwärtighalten des Opfers Christi gewesen wäre oder gar Sünden verhindert oder getilgt hätte. Im Gegenteil: im Kontext des Pfingstereignisses geschieht die Vergebung der Sünden für den einzelnen durch seine Annahme des Opfers Jesu Christi in seinem Herzen, im äußeren Bekenntnis der Taufe, wie Petrus ausführt, und durch die Gabe des Hl. Geistes. Das gemeinschaftliche Brotbrechen in Einmütigkeit geschieht als Folge der Umkehr, Taufe und der Geistbeseelung, die auch, wie es heißt (V 43) „Furcht“ in allen erzeugte. Dass aber das Brotbrechen die „seelische Läuterung“ bewirkt hätte, wie Pius X. behauptet, geht aus all dem nicht hervor.
Vielmehr wird die Gabe des Hl. Geistes durch Pius X. faktisch wirkungslos gesetzt und durch den Kommuniongang er-setzt. Man muss das mindestens für eine theologische Vereinseitigung und Verflachung halten. Bedenkt man es aber tiefer, ist es eine totale Verfremdung der eigentlichen Zusammenhänge im NT und damit ein Sakrileg: die gute Gabe Gottes, nämlich den Hl. Geist, annulliert er in ihrer realen Bedeutung zugunsten einer rituellen „Speisung“, der er alles zuschreibt, was eigentlich dem Hl. Geist in den Herzen zukommen müsste.
Das aus der Zeit gerissene Opfer auf Golgotha aber erhält den Charakter eines gigantischen magischen Fetischs oder einer „Geisterfalle“, mithilfe deren man unentwegt und immerzu „Sünden tilgen“ und „Sünde von sich abhalten“ könne. Damit wurde aus dem nüchternen, einmaligen, in die Zeit gesenkten Opfer ein Gegenstand, der der Struktur nach im Bedeutungsfeld eines Idols, Talismans und Amuletts liegt.
Am Ende wiederholt Pius X. in den Dekretcanones diese ganz eindeutig magische und „mechanistische“ Sicht, die wir aus allen paganen Zusammenhängen kennen:

„Obgleich es sehr zu wünschen ist, dass jene, die öfters oder täglich kommunizieren, frei seien von lässlichen Sünden, wenigstens von ganz überlegten und von der Anhänglichkeit an solche, so genügt es doch, dass sie von Todsünden frei seien und den Vorsatz haben, in Zukunft nicht mehr zu sündigen. Wenn dieser aufrichtige Vorsatz vorhanden ist, wird sich die Seele ohne Zweifel durch die tägliche Kommunion auch von lässlichen Sünden und vom Hang dazu allmählich befreien.“[35]

Abgesehen von der auffallenden Paganisierung der Eucharistie wird der Gläubige, psychologisch betrachtet, förmlich festgefroren in der Fixierung auf seine gewesenen, unerkannten und potenziellen Sünden. Erinnert das nicht an die Beschreibung des alttestamentlichen Opfers im Hebräerbrief?

„2 Denn hätte man nicht aufgehört Opfer darzubringen, wenn die Opfernden kein Sündenbewusstsein mehr gehabt hätten, da sie ja ein für alle Mal gereinigt worden wären?
3 Aber durch diese Opfer wird alljährlich nur an die Sünden erinnert.“ (Hebr 10)

Genauso ist aber doch das „Messopfer“ konzipiert!
Ein solches Konzept des täglichen Kommunionganges zwingt die Menschen, sich unentwegt mit ihren Sünden zu beschäftigen und in Unsicherheit und Angst gehalten zu werden darüber, ob sie nun im „Gnadenstand“ sind oder nicht. Mit der häufigen Kommunion trieb man die Menschen auch zur häufigen Beichte, in der zunehmend Lappalien und Zwanghaftes mitgeteilt wurde, weil wohl kaum ein Mensch so viele Todsünden begeht, dass er täglich oder wöchentlich beichten müsste.
Es ist eine grauenhafte und sektiererische Knechtung der Menschen, denen auf diese Weise die Freiheit Christi unter frommem Deckmantel geraubt wird.

Wie beschreibt Paulus das „Brotbrechen“?

„23 Denn ich habe von dem Herrn empfangen, was ich auch euch überliefert habe, dass der Herr Jesus in der Nacht, in der er überliefert wurde, Brot nahm
24 und, als er gedankt hatte, es brach und sprach: Dies ist mein Leib, der für euch ist; dies tut zu meinem Gedächtnis!
25 Ebenso auch den Kelch nach dem Mahl und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, dies tut, sooft ihr trinkt, zu meinem Gedächtnis!
26 Denn sooft ihr dieses Brot esst und den Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.
27 Wer also unwürdig das Brot isst oder den Kelch des Herrn trinkt, wird des Leibes und Blutes des Herrn schuldig sein.
28 Der Mensch aber prüfe sich selbst, und so esse er von dem Brot und trinke von dem Kelch.
29 Denn wer isst und trinkt, isst und trinkt sich selbst Gericht, wenn er den Leib des Herrn nicht richtig beurteilt.
30 Deshalb sind viele unter euch schwach und krank, und ein gut Teil sind entschlafen.“ (1. Kor 11)

Paulus rügt zuvor das Verhalten der Korinther, weil offenbar das Brotbrechen nicht wirklich gemeinschaftlich, sondern nach jedermanns Fasson geschah: Man brachte sich zu essen mit, die einen aßen und tranken wenig, offenbar weil sie arm waren, die andern aber „schlugen zu“, betranken sich sogar (V 21), weil sie reich waren, und am Schluss zelebrierte man das „Brotbrechen“. Paulus wünscht, dass das gemeinsame Mahl nicht zu einem Gelage verkommt, bei dem die sozialen Unterschiede ausgelebt werden, und das gemeinschaftliche Brotbrechen damit vermischt und entwürdigt wird. Die kurze Textepisode zeigt, dass die früheste Christenheit ein gemeinsames Mahl zu sich nahm, in das das Gedächtnismahl Christi integriert wurde, das dessen Leib und den „Kelch des Herrn“ (sein Leiden, das der Herr selbst am Ölberg „Kelch“ nannte) zum Ausdruck brachte. Mit keinem erkennbaren Wort wird hier angedeutet, dass eine „Heilige Wandlung“ geschehe, sondern eher die Problematik, dass die sozialen Unterschiede in der Gemeinde rücksichtslos zur Schau gestellt werden und damit in einer geradezu unwürdigen Weise das Opfer Christi, das doch allen in gleicher Weise notwendig ist und zugedacht wurde, verlästert wird. Paulus schärft ein unbedingtes Ernstnehmen des Mahles ein, aber einen Sinn, wie wir ihn bei Pius X. lasen, hat er offenkundig nicht gemeint.

Das Brotbrechen soll die Communio aller Christen vergegenwärtigen, die im Opfer Christi alleine ihren Bestand hat. Das christliche Gastmahl ist ein Gastmahl am Tisch des Herrn, aber dieser Tisch des Herrn ist unspektakulär, zwar „sakral“, aber nicht kultisch, eine Feier der Christusgläubigen, die voller Lob und Dank darüber sind, dass Gott sie an seinen Tisch geladen hat.
Persönliche Sündenvergebung und Gemeinschaft untereinander gründen im Opfer von Golgotha. So ist jeder dem anderen schuldig, mit ihm im Alltag zu teilen, wenn es notwendig wird. Noch viel mehr sollte er dem Herrn ein untadeliges Bemühen schulden. Aus dem Hinweis, dass beim Brotbrechen eine würdige Verfassung vorausgesetzt wird, geht nicht hervor, dass dies aufgrund eines materialisierten geistigen Opferblutes oder –fleisches gilt. Der häufige Verweis auf diese Paulusstelle, die beweisen soll, dass eine Wandlung geschähe, ist bei genauem Hinsehen ungeeignet. Die Würdelosigkeit eines Lebensvollzuges bei gleichzeitiger Teilnahme an dieser „commemoratio“ (Denkwürdigkeit/Gedenkfeier) hat denselben Charakter wie eine Lüge oder eine Heuchelei: die Tat straft die Worte Lügen.

Fangen wir an, nüchtern zu denken: Wenn einer an einer Beerdigung teilnimmt und Trauer heuchelt, obwohl er dem Verstorbenen ohne Versöhnung viel geschadet hat, nennen wir das „Heuchelei“ und „würdelos“. Und wenn einer dem, dessen Werk er zerstören wollte, am Ende mit Kratzfüßen gratuliert und an dessen Freudenfeier einen Lobes- und Dankesvortrag hält, dann ist das verlogen und unglaubwürdig. Insofern isst und trinkt ein Unwürdiger einer sich selbst zum Gericht — nicht, weil er hier durch eine magische „Vergiftung“ geschwächt würde, sondern durch Unwahrhaftigkeit.
Der unmittelbare und zentrale Sinn des Mahles ist, „den Tod des Herrn zu verkündigen, bis er kommt“. Man beachte die Worte: Wir „verkündigen“ („annuntiare“) den Tod des Herrn, „bis er kommt“ („donec veniat“). Wir proklamieren ihn, wir rufen ihn aus, für uns und alle Welt in dieser Zelebration, aber er ist nicht mehr tot, sondern lebendig und aufgefahren. Als den, der auferstanden und aufgefahren und beim Vater ist, rufen wir ihn aus, bis er wiederkommt.
Warum verkünden wir so ausdrücklich den Tod des Herrn und nicht die Auferstehung (dem genauen Wortsinn nach)? Es gibt nur eine vernünftige Antwort: weil sein Tod uns das Leben zurückgeschenkt hat. Durch den Opfertod Jesu erhalten wir „Geist und Leben“ (s.o.). Christus ist zugegen im Heiligen Geist — erklärtermaßen nicht materiell oder physisch (s.u.)!
Und kann der Verklärte, der nach seiner Himmelfahrt nicht mehr leiblich bei uns sein wird, bis er wiederkommt, wie wir bekennen, nicht nur geistig bei uns sein? Wie sonst sollte er es gemeint haben, als er sagte: „Wenn aber der Beistand kommt, den ich euch vom Vater aus senden werde, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, dann wird er Zeugnis für mich ablegen.“ (Joh 15, 26) In seiner Abschiedsrede fügt Jesus an: „Doch ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich fortgehe. Denn wenn ich nicht fortgehe, wird der Beistand nicht zu euch kommen; gehe ich aber, so werde ich ihn zu euch senden.“ (Joh 16, 7) Er spricht ausdrücklich davon, dass wir ihn, bis er wiederkommt, „nicht sehen“ werden. Eine sinnliche Anwesenheit Jesu würde gewissermaßen unsere geistige Erneuerung verhindern! Jesus muss gehen, um dem nutzlosen und unfruchtbaren Fleisch die Möglichkeit zur geistigen Erneuerung zu geben.
Nicht zuletzt offenbart aber das gesamte Kapitel 16 des Johannes-Evangeliums um ein weiteres, dass die Jünger Jesus keineswegs „leicht verstanden“, wie Pius X. behauptet hatte. Auch diese Erzählung berichtet uns, dass sie nicht begreifen konnten, was er ihnen sagen wollte.
Eines ist klar und deutlich gesagt: Jesus geht, kann nicht mehr gesehen werden, schickt aber seinen Geist, der uns in die ganze Wahrheit führen wird. Wie geht das zusammen mit der Vorstellung, dass bei einer Aussetzung etwa der buchstäbliche, geopferte und verklärte Leib Christi sichtbar auf dem Altar zur Anbetung ausgestellt ist? Und wie soll man glauben, dass etwas, das physisch real auf dem Altar der Leib Christi ist und als solcher in Brotgestalt verborgen gesehen werden kann, physisch als dieser sichtbare Leib gegessen werden könnte, wenn man die Worte Jesu, wie sie überliefert sind, ernst nimmt? Wenn wir aufrichtig sind, müssen wir zugeben, dass das gar nicht zusammenpasst. Hier stoßen vielmehr zwei Denkwelten aufeinander, die sich gegenseitig ausschließen.

Ist die Hostienverehrung nicht auch von diesem Glaubenssatz her konträr zur Lehre Christi in den Evangelien: „Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18, 20)? Es genügt, sich in seinem Namen zu versammeln. Eine geistige Realpräsenz bei einer Eucharistiefeier in seinem Namen muss man gewiss annehmen, wenn sie durch zwei oder drei (nicht durch einen einzigen!) in seinem Namen stattfindet, aber der Schluss auf eine „Wesensverwandlung“ und die physische Realpräsenz Christi in den Gaben ist logisch unzulässig.

Die Unwürdigkeit und Versündigung am Leib des Herrn steht bei Paulus im Zusammenhang damit, dass man selbst den Leib des Herrn nicht richtig „unterscheidet“ („diiudicans“). Der Satz ist eigentümlich: „Qui enim manducat et bibit indigne… non dijudicans corpus Domini.» Deutsch : „Wer nämlich unwürdig isst und trinkt… nicht den Leib des Herrn unterscheidet“ — und man fragt: unterscheidet wovon? „Diiudicare“ meint, wie im „di“ steckt, eine Entscheidung zwischen zwei Dingen, dem Wahren und dem Falschen in der Logik etwa. Aus dem Kontext liegt es nahe, das eucharistische Mahl, das zwar ein Sättigungsmahl zu sein scheint mit integrierter Dank- und Gedenk-Zeichen-Feier, zu unterscheiden von einem Gelage, wie es in der Antike sowohl im jüdischen als auch im heidnischen Kontext üblich war. Solche „Mähler“ hatten immer einen religiösen Bezug, fielen aber erheblich unterschiedlich aus — je nachdem, welcher religiöse Bezug gesetzt wurde. Paulus kommt noch einmal auf geordnete Sitten zurück und kündigt weitere mündliche Ordnungen an. In gar keinem Fall wird ausgesagt, dass es sich hier um ein quasi „magisches“ Verwandlungsmahl handle. Es wird vielmehr eine eher niederschwellig-rituelle, geistliche Mahl-Handlung von einem sakralen heidnischen Mahl unterschieden. Die Verwechslung zwischen dem einen und anderen wäre nicht geschehen, wenn von Anfang an ein „liturgisches“ Ritual im modernen Sinne ausgeführt worden wäre. Oft hört man das Argument, die angekündigten mündlichen Ordnungen seien identisch mit den Traditionen der Kirche. Das wissen wir allerdings nicht, und ein solcher Satz ist ohne Quellen und Nachweise eine reine Spekulation. Unklar bleibt somit auch, ob diese Ordnungen jurisdiktionellen Charakter hatten oder für diese bestimmte Gemeinde notwendig waren, für andere dagegen nicht. Man muss das aus Mangel an Einblick in die damalige Situation offen lassen, braucht sich aber damit auch nicht heute und hier beschweren. Was notwendig war zu sagen, wurde geschrieben.

Die zeitgenössische Bibelwissenschaft erforscht die antike Gastmahl- und Symposionkultur aus dem vorliegenden literarischen Quellenmaterial der Zeitenwende und kommt zu der Schlussfolgerung, dass für die Entstehung des Messopfers im engen Sinn heidnische Mysterienkulte Vorbildcharakter hatten. Man mag das an einem Beispiel verdeutlichen:

„Im Dionysoskult ist die Vorstellung der Theophagie, des Essens der Gottheit, bezeugt (…). Im Sarapiskult erscheint der Gott Sarapis als der, der zum Mahl einlädt (…). Das gemeinsame Mahl gehört als kultureller Ausdruck der Gemeinschaft zum Leben jeder religiösen Gruppierung dazu.“[36]

Zu fragen wäre, ob es sich dabei um eine Theophagie, also die sinnlich vorgestellte Einverleibung einer Gottheit handelt oder ein sakrales Mahl, eine Hierophagie.
Das buchstäbliche Einverleiben der Gottheit kennt vor allem der Dionysoskult:

„Der griechische Mythos weiß von theophagischen Begehungen: Die Titanen haben das Götterkind Dionysos ermordet, sein Fleisch gebraten und gegessen, sein Blut getrunken. Demgemäß wird im antiken Dionysoskult das Opfertier, das den Gott symbolisiert, zerstückelt, das blutige Fleisch roh gegessen. Hier ist man ganz nahe an der Vorstellung, daß Fleisch und Blut der Gottheit genossen werden.“[37]

Der Autor fragt weiter, ob im hellenistischen Umfeld das letzte Abendmahl zwangsläufig mit diesen Kultvorstellungen des Heidentums vermischt werden musste, konstatiert aber zugleich, dass das Judentum einen eindeutigen und tiefen Abscheu und auch eindeutige göttliche (!) Gebote gegen jeglichen Blutgenuss, ob von Mensch oder Tier, in der Tora und der Weisheitsliteratur tradiert, der auch für die frühe Christenheit ausdrücklich fortgesetzt wurde (Apg 15, 20). Der jüdische Abscheu vor jeglicher Anthropophagie (Menschenfresserei) werde aus der Auseinandersetzung in Joh 6, 52 ff deutlich, denn der Satan sei es, der auch den Namen „Menschenfleischfresser“ habe. Er verweist auf die Verbindung von alttestamentlichen Gerichtsvorstellungen und Gerichtsvisionen mit dem Fressen von Menschenfleisch:

„In einer Vision des Ezechiel werden die Vögel und die Landtiere aufgefordert, das Fleisch der Helden zu fressen und das Blut der Fürsten zu trinken (Ez. 39, 17f; vgl. auch Off. 17, 6). Letzte Furchtbarkeit also wird in das Bild des Menschenfleisch-Essens und Menschenblut-Trinkens gefasst.“[38]

Die Frage, warum die Juden überhaupt an dieser Stelle auf die Idee kommen oder ihm unterstellen, Jesus könne den verbotenen Blutgenuss wörtlich meinen, bleibt im Johannes-Evangelium im Dunkeln. Vielleicht ist es der Impuls, den ungeliebten Rabbi des Glaubensabfalls, der Häresie oder des Heidentums anzuklagen.
Es kollidieren hier jedenfalls absoluter und von Gott selbst gebotener jüdischer Abscheu gegen jeglichen Blutgenuss, der auf dem Apostelkonzil für die Heidenchristen ausdrücklich als eines der wenigen, vom Hl. Geist bestimmten Toragebote aufrechterhalten wird, und hellenistische Kultmysterien, die hyperreal zelebrierte, bluttriefende oder bluttriefend imaginierte Theophagien kennen. Aufgrund der ausdrücklichen Aufrechthaltung des Verbotes des Blutgenusses auf dem Apostelkonzil zu Jerusalem kann man kaum annehmen, dass die Apostel glaubten, bei einer Eucharistiefeier wandle sich der Wein in reales Blut.

Es gibt eine erzählerische Parallele im NT zu der Aufforderung Gottes an die Vögel und Landtiere, das Fleisch der Fürsten und Helden zu schlachten und ihr Fleisch zu essen und ihr Blut zu trinken, die Ezechiel berichtet, die aber eine ganz andere Wendung einnimmt. Sie findet sich in der Apostelgeschichte, als Petrus eine Vision empfängt:

„10b Während man etwas zubereitete, kam eine Verzückung über ihn.
11 Er sah den Himmel offen und eine Art Gefäß herabkommen, das aussah wie ein großes Leinentuch, das, an den vier Ecken gehalten, auf die Erde heruntergelassen wurde.
12 Darin waren alle möglichen Vierfüßler, Kriechtiere der Erde und Vögel des Himmels.
13 Und eine Stimme rief ihm zu: Steh auf, Petrus, schlachte und iss!
14 Petrus aber antwortete: Niemals, Herr! Noch nie habe ich etwas Unheiliges und Unreines gegessen.
15 Da erging die Stimme ein zweites Mal an ihn: Was Gott für rein erklärt hat, nenne du nicht unrein! (Apg 10, 9)

Das „Essen“, von dem hier die Rede ist, meint die Einbeziehung der Heiden in das heilige Volk Gottes.
Kurz nach dieser Vision wird Petrus in das Haus des Römers Kornelius gerufen, der von einem Engel die Vision erhalten hatte, Petrus holen zu lassen, um sich und sein Haus taufen zu lassen.
Das visionäre Bild der Integration der Heidenvölker ins Volk Gottes wird mit einem „Verspeisen der Heiden“ seitens der Apostel beschrieben. Zweifelsohne meint Gott hier nicht, dass die Apostel das reale Fleisch und Blut der Heiden essen sollten. Vielmehr weist das „Essen“, das „Verspeisen“ von etwas oder jemandem erneut und wie schon an einer vorigen Stelle gesagt auf eine vollständige Annahme und Integration hin. Petrus erkennt anhand der Vision und der anschließenden Ereignisse, dass er die Heiden als von Gott selbst integriert ansehen soll ins Volk Gottes, wenn sie gottesfürchtig sind (V 34 ff).
Es ist bemerkenswert, dass Petrus dem Kornelius, der ihn schon erwartet und sich ihm zu Füßen wirft, folgendermaßen begegnet: „26 Petrus aber richtete ihn auf und sagte: Steh auf! Auch ich bin nur ein Mensch.“ Die anmaßende Symbolik, die dagegen das entartete Papsttum sich nach und nach selbst genehmigte und aller Welt abforderte, die Niederwerfungen, Fußküsse, Verschleierungen der Frau und andere „Ehrfurchtsbezeugungen“ vor dem „Heiligen Vater“ bis heute erzwingen will, ist mit dieser Geste des einzigen und wirklichen Petrus gar nicht zu vereinbaren. Es wird vielmehr deutlich anhand dieser Geschichten über den historischen Petrus, dass der „Petrusnachfolger“ eine Nachäffung sein muss. Überraschend und der Kirchenlehre entgegengesetzt ist auch die Beschreibung der Ausgießung des Heiligen Geistes auf alle, die das Wort des Petrus im Haus des Kornelius hörten, obwohl sie erst danach getauft wurden (V 44 ff).

Es lässt sich erahnen, dass eine solche Auffassung von einem „Essen“ anderer Lebewesen oder sogar Menschen auch im Streitgespräch Jesu mit den Juden einen tiefen Sinn ergibt: Wer ihn nicht total in sich aufnimmt und von ihm geistig (!) nährt und ihn nicht integriert ins eigene Leben, der kann das ewige Leben nicht ererben:

„53 Jesus sagte zu ihnen: Amen, amen, ich sage euch: Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch.
54 Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tag.
55 Denn mein Fleisch ist wahrhaft eine Speise und mein Blut ist wahrhaft ein Trank.
56 Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich bleibe in ihm.“ (Joh 6)

Im referierten Sinn heißt das: Wer mich nicht ganz und gar in sich aufnimmt und integriert, der hat das Leben nicht ins sich. Oder: Man kann nur durch die totale Inanspruchnahme Jesu das ewige Leben erlangen.
Mit der metaphorischen Rede vom „Essen meines Fleisches“ und „Trinken meines Blutes“ wird auch eine Überschreitung der Opfer im AT angezeigt:
Während diese Opfer dargebracht wurden, um mit dem Blut eines makellosen Tieres, den Altar zu besprengen, der als „Abladeplatz“ für die menschliche Schwäche und Sünde angesehen wurde, „substituierte“ der opfernde Mensch sich sein schwindendes, dem Tod entgegentreibendes Leben durch das Leben des Tieres, das im Blut ist. Man aß sehr wohl das Fleisch des Opfertieres, aber man trank nicht sein Blut, weil es als Träger des Lebens Gott gehörte. Mit dem Blut ließ man sich heiligen und reinigen, „wiederherstellen“ bis zum nächsten mal. Jesus aber will nicht wie ein Opfertier angesehen werden. Was er gab, geht darüber unendlich weit hinaus. Dass er sich verzehren lassen will von uns entspricht nur der Größe seines Opfers, das nur für uns geschehen ist und aus brennender Liebe für uns. Er hätte sich aber uns nicht gegeben, wenn wir es ohne ihn auch schaffen könnten, dem Tod zu entkommen.
Noch ein letzter Gedanke zeigt, dass die Theologie der Kirche nicht richtig sein kann: Ginge es nämlich darum, uns materiell an seinen Blutkreislauf anzuschließen, um zu überleben, müsste keiner von uns mehr sterben. Eine Verheißung auf ein Überleben im Leib dieses Äons ist aber ausgeschlossen. Wir werden alle verwandelt werden, auch die, die nicht entschlafen, bevor der Herr kommt… Es kann also nicht relevant sein, an einen materiellen „ewigen“ Blutkreislauf angeschlossen zu werden. Relevant kann nur sein, dass unser Geist erfasst wird, seitdem das Blut des Herrn den Menschen heiligt und reinigt — ein für allemal. Es ist die geistige Neugeburt, und wie jede Neugeburt kann sie nur einmal geschehen. Die kirchliche Eucharistie ist aber konzipiert wie eine ständige Bluttransfusion, die gerade nicht die Rettung, sondern einen permanenten Überlebenskampf und eine Lebensunfähigkeit anzeigt. Oder sie hält ihre Kinder wie Embryonen in ihrem Leib und verhindert, dass sie je geboren und mündig werden. Eine neue Geburt dagegen entlässt einen lebensfähigen Menschen in Freiheit.

Eine Kirche, die sich das verzerrte, versinnlichte und oberflächliche Verständnis derselben jüdischen Machtelite zu eigen macht, die diesen Herrn hinrichten ließ, setzt sich selbst in ein Irrlicht. Man kommt unweigerlich auf den Gedanken, dass sie mit ihrem Eucharistieverständnis als „immerwährendem Opfer“ die Passion Christi für ewig festhalten und den scheinbaren Triumph des Alten über ihn zelebrieren will und nicht seinen Sieg, der dem Menschen eine geistige Erneuerung verheißt. Die verwandelte Geistleiblichkeit ist in diesem Äon noch nicht verheißen, auch nicht das himmlische Jerusalem. Dieses Äon hier ist kein Zustand, in dem die Erlösung noch nicht gelten würde. Sie ist vollbracht („consummatum est“), aber um derer willen, die hinzukommen sollen, noch nicht offenbar. Es ist ein Zustand, in dem die gesamte Menschheit angesprochen, das Erlösungsangebot für jeden einzelnen ausgesprochen und alle, die sich rufen lassen, gesammelt werden sollen. Ein Bann in der Unsicherheit über die eigene Erlösung, wie die Kirche das lehrt, wurde demgegenüber an keiner einzigen Stelle des NT ausgesprochen. Wenn uns überhaupt etwas gewiss ist in diesem Leben, dann ist es unser Heil in Christus. Ungewiss sind wir uns über uns selbst, das ist wahr, und wer könnte sein eigenes Herz ergründen? Aber daraus folgt nicht, dass auch Gott uns ungewiss bleiben will und uns unseren Abgründen ausliefert und in einen fatalistischen Glauben stürzen will, der uns Angst, Formalismus und am Ende Heuchelei abverlangt. Wenn wir wirklich den Hl. Geist als „Unterpfand“ und „Anzahlung“ erhalten haben, dann sind wir eine „neue Schöpfung“, und nichts kann uns dies ungewiss machen, auch nicht unser Seelenabgrund.

Man müsste bei ein wenig Aufrichtigkeit erkennen, dass wir uns in dieser Frage auf einem sehr dünnen Grat bewegen und uns mit der Tatsache konfrontieren müssen, dass das angebliche „Unterpfand der Liebe Gottes“, das das echte Unterpfand des Hl. Geistes beiseite gedrängt hat, nicht den ehrt, den es vorgibt zu ehren. Es gibt keinerlei neutestamentliche und auch keine vorausgehende alttestamentliche Begründung dafür, dass Christen ein heidnisch konzipiertes, versinnlichtes Mysterienmahl zelebrieren müssten, in dem Jesus als Opfer heraufbeschworen würde und realpräsent als der aktual Leidende und Sterbende und Verklärte anwesend, zugleich aber auch vollkommen und ganz zur Rechten des Vaters wäre. Aus allen apostolischen Aussagen dazu geht nur eines hervor: dass diese Erlösungstat auf Golgotha historisch abgeschlossen ist und eine neue Situation hergestellt hat, die die alte vollständig überwunden hat. Jesus ist beim Vater und wird wiederkommen. Bis dahin feiern wir sein Gedächtnis, wir danken und loben Gott für diese wunderbare Erlösungstat, die wir in diesem Äon gar nicht bis in ihre tiefsten Tiefen verstehen können, aus der aber zukünftig die Heilung unseres zerrissenen Leibes kommt und uns den Geistleib schenken wird, den der Schöpfer uns zugedacht hat. Nur weil wir noch in diesem Äon ausharren, kann man nicht behaupten, das Opfer Christi dauere als das schmerzvolle Ereignis auf Golgotha ebenfalls an. Das ist ein logischer und literarischer Fehlschluss.


[2] Anonym (peruanische Missionswebsite der Los Misioneros del
Sagrado Corazón), „Die Wandlung“, III., http://www.mscperu.org/deutsch/abcdesglaubens/kat_schon/sch_eucharist06.htm
[3] „In der Offenbarung des heiligen Johannes eröffnet sich der Blick auf das geschlachtete Lamm. Dieses steht vor dem Thron Gottes als Bild des auferstandenen, aber nach wie vor geopferten und sich opfernden Herrn. Es ist umgeben von den himmlischen Heerscharen, den Ältesten und den Märtyrern, von Lobpreis und Weihrauch.“, P. Franz Prosinger, a.a.O.
[4] Justin der Märtyrer: 1. Apologie. Kap 10. Bibliothek der Kirchenväter der Universität Freiburg/Schweiz. Online lesbar: https://www.unifr.ch/bkv/kapitel77-9.htm (3.4.2018)
[5] Als Beispiel mag dienen: Jacob Frint: Darstellung der katholischen Lehre von dem Abendmahle nach dem Bedürfnisse der neueren Zeiten. Wien 1829. S. 115 ff
[6] Plinius der Jüngere: Epistulae 10.96, Christenbriefe: Plinius an Traian. 8. Abschnitt. Der gesamte Briefkomplex ist online nachlesbar: http://www.pinselpark.org/philosophie/p/plinius_jue/epist/ep_10_96.html (8.4.2018) Lateinische Ausgabe online: http://www.perseus.tufts.edu/hopper/text?doc=Plin.+Ep.+10.96&fromdoc=Perseus%3Atext%3A1999.02.0139 (8.4.2018)
[7] A.a.O., Plinius der Jüngere: Epistulae 10.96, Christenbriefe: Plinius an Traian. 7. Brief

[8] Eusebius von Caesarea (+340): Historia ecclesiastica, 3. Buch, Kap 33. Online in der „Bibliothek der Kirchenväter“ der Universität Freiburg/Schweiz: https://www.unifr.ch/bkv/kapitel49-32.htm (8.4.2018)
[9] Felix Minucius (verm. Spätes 2. Jh(frühes 3. Jh): Octavius. VIII.
[10] A.a.O., IX
[11] A.a.O., IX
[12] Klaus Berger/Christinae Nord (Hg.): das Neue Testament und frühchristliche Schriften. Frankfurt aM 2005. S. 781
[13] Justin der Märtyrer, a.a.O. 2. Apologie. Kap 12. https://www.unifr.ch/bkv/kapitel78-11.htm
[14] Klaus Berger/Christiane Nord. Das neue Testament und frühschristliche Schriften. Frankfurt a.M. 2005, S. 241
[15] A.a.O.
[16] M. Joel: Blicke in die Religionsgeschichte zu Anfang des zweiten christlichen Jahrhunderts. II. Abtheilung. Breslau 1898. S. 18 ff
[17] Klaus Berger/Christiane Nord (Hg): Das Neue Testament und frühchristliche Schriften. Frankfurt a.M. 2005, S. 810
[18] In der „Bibliothek der Kirchenväter“ der Universität Freiburg/Schweiz kommentiert der Hg. folgendermaßen: Die Beziehung der obengenannten Worte Justins (δι᾿ εχς λόγου) auf die Einsetzungsworte der Eucharistie ist ganz irrtümlich; vgl. Rauschen, Eucharistie und Bußsakrament, 2. Aufl. 1910, 121f. https://www.unifr.ch/bkv/kapitel77-65.htm
[19] Das tut etwa der Historiker Georgij Sidorov, dessen Fragen und Überlegungen zwar als „Verschwörungstheorien“ gelten dürften, aber Faktum ist nun einmal, dass ganze Bibliotheken der Spätantike spurlos verschwunden sind. http://www.zaronews.world/zaronews-presseberichte/g-sidorov-was-verbirgt-der-vatikan/ (5.4.2018). Er kam auch bei Prof. Dr. Michael Vogt und seinem grenzwissenschaftlichen Kanal „Querdenken TV“ ausführlich zu Wort https://quer-denken.tv/1201-georgi-sidorov-eine-botschaft-nach-deutschland/ (5.4.2018)
[20] Über die „verschwundenen Bücher“ der Antike gibt es eine umfangreiche Forschungsdiskussion: vgl. Jona Lendering: The dissappearance of ancient books. Livius — Cultuur, geschiedenis en literatuur. Online lesbar: http://www.livius.org/articles/misc/the-disappearance-of-ancient-books/? (4.4.2018) oder Gert Pöhlmann: Einführung in die Überlieferungsgeschichte und in die Textkritik der antiken Literatur. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1994
[21] So behauptet etwa Wikipedia folgendes: „Die Bedeutung Melchisedeks besteht darin, dass er der erste überhaupt im Tanach erwähnte Priester ist und dass er für sein Opfer Brot und Wein verwendet, nicht Fleisch von Opfertieren, wie die späteren Priester des alten Testaments.“ , https://de.wikipedia.org/wiki/Melchisedek (abgerufen am 9.3.2018)
[22] Bücher der Kündung, verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig, Darmstadt 1985. Jecheskel 34, 10 ff. S. 539
[23] Thomas von Aquin. Summa theologiae. Teria pars, quaestio 61
[24] Thomas von Aquin. S.th.q. 75
[25] Ambrosius von Mailand (340—397): De mysteriis. IX, 55 http://www.unifr.ch/bkv/kapitel2221-5.htm (5.4.2018)
[26] A.a.O., IX, 58
[27] Björn Odendahl: Die reale Gegenwart Christi. 2015. Abrufbar auf der offizielle Webpräsenz der DBK: http://www.katholisch.de/glaube/unser-glaube/die-reale-gegenwart-christi (5.4.2018)
[28] A.a.O.
[29] Wir finden diesen Gedanken zB bei Hildegard von Bingen: „Überströmt von seinem Blute, das hoch aufsprudelnd aus seiner Seite floß, wurde sie (die Kirche, HJ) Ihm durch den Willen des himmlischen Vaters in seliger Vermählung angetraut und empfing als kostbare Hochzeitsgabe sein Fleisch und Blut.“ In: Hildegard von Bingen. Wisse die Wege. Scivias. Nach dem Originaltext ins Deutsche übertragen und bearbeitet von Maura Böckeler OSB. Salzburg. 1975. S. 192
[30] Hanna Jüngling: Sol invictus 2.0 — das Licht und die Sonne, Blogartikel 2017, hier abrufbar: http://zeitschnur.blogspot.de/2017/08/sol-invictus-20-das-licht-und-die-sonne.html (19.2.2018)
[31] „Das Ein-Leib-Sein in Christus entfaltet sich in der Gemeinschaft der Gnade, nimmt sichtbare Gestalt an in der hierarchisch strukturierten Kirche und konzentriert sich in der Eucharistie, in der Darbringung und Kommunion des geopferten Leibes und vergossenen Blutes.“, P. Franz Prosinger a.a.O. Er fügt hier als Anmerkung bei: „Nach Lumen Gentium Nr. 8 subsistiert der geheimnisvolle Leib Christi in der auf Erden sichtbar, hierarchisch verfaßten Kirche. subsistit bezeichnet die personale Existenz, z. B. die der Seele in der ihr eigenem Leib.“
[32] ASS XXXVIII [1905] 400-409, deutscher Wortlaut nach Kathpedia, Abschnitt II, http://www.kathpedia.com/index.php?title=Sacra_tridentina_synodus_(Wortlaut)#cite_ref-2  , (abgerufen am 19.2.2018)
[33] A.a.O.
[35] A.a.O.
[36] Karin Lehmeier: Stichwort Abendmahl. Mai 2017. Abrufbar auf dem Portal deswissenschaftlichen  Online-Bibellexikons der Deutschen Bibelgesellschaft: http://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/abendmahl-2/ch/938393ef0928d2e2d06e6f45e93e85ae/#h8, (7.3.2018)
[37] Christian Dietzfelbinger: Das Evangelium nach Johannes. Zürcher Bibelkommentare NT 4, Teilband 4,1. Zürich 2001. S. 167
[38] A.a.O.

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