IV. „Blutwunder“?
Die sogenannten „Hostienwunder“ behaupten stets, es
handle sich um das tatsächlich auf Golgotha geopferte „blutende“ Fleisch
Christi. Die Kirche hat solche Hostienwunder schon vor Jahrhunderten anerkannt
und etwa im 15. Jh entgegen theologischen Zweifeln Wallfahrten zu solchen
„Bluthostien“ gefördert, zugleich aber auch behauptet, es handle sich auf dem
Altar um den verklärten Leib Christi, also ein „unblutiges Opfer“. In der
mittelalterlichen Kirche wurde ein ausgiebiger Kult um „Christi Blut“
gefördert. Dem hing zB Katharina von Siena an, die lehrte, die Kirche verwalte
als ihr größtes Gut das Blut Christi. „Das
Feuer der Gottheit wurde eingerührt ins Blut“[1],
schrieb sie. Man mag eine solche Lehre als poetische Ausschmückung der
Inkarnation Jesu Christi stehenlassen können, aber sie befremdet insofern, als
sie auch auf dichterische Weise die Verfremdung der Lehre Christi kenntlich
macht. Aus der Tatsache der Opferung Christi ergibt sich nicht, dass Gott
seinen Geist in das Blut gerührt, also mit ihm vermischt hätte. Dieser Schluss
ist so unsinnig wie tautologisch, denn Gottes Geist ist nach der gesamten
Aussage der Schrift im Blut jeglichen Fleisches (s.u.)! Die „Heiligblut“-Verehrung aber breitete
sich zum Wohlgefallen der Kirche aus und konnte zuweilen bizarre Züge annehmen.
Vom 14. bis 16. Jh war der
bedeutendste nördliche Pilgerweg der Kirche der von Berlin nach Wilsnack, in
deren „Wunderblutkirche St. Nikolai“ Blutwunderhostien aufbewahrt wurden. Die
Wallfahrtspraxis erlosch mit der Reformation, als der nun evangelische
Pfarrherr die Bluthostien 1552 kurzerhand verbrannte.[2]
Worauf fußt dieser merkwürdige
„Blutkult“?
Aus dem Alten Testament geht kein
„Sühnopfer“ hervor. Das Blut der Tiere, die geopfert wurden, spendete ihr Leben
als Substitut für das verblassende Leben des Menschen. In Gen 2, 7 wird
berichtet, dass dem Menschen als erdgeformter Gestalt der Odem Gottes durch die
Nase eingeblasen wurde und er erst dadurch lebendig wurde. Dass wir — gemeinsam
mit allem Fleisch — lebendig sind, ist daher immer und kategorisch Teilhabe an
Gottes Geist oder Hauch. Der Sitz des Geisthauchs ist nach der Schrift das
Blut.
An zahlreichen Stellen des AT wird
dem Menschen ebenso kategorisch jeglicher Genuss von Blut untersagt, zum ersten
Mal nach der Sintflut (Gen 9, 4). Dieses Gebot wurde aufgrund einer Eingebung
des Hl. Geistes (!) auch für die Heidenchristen aufrechterhalten, ein Gebot
über das sich die katholische Lehre meinte eigenmächtig hinwegsetzen zu können,
das aber in den Ostkirchen und bei manchen Freikirchen weiterhin eingehalten
wird. Es handelt sich dabei nicht um eine überholte altertümliche Gesetzgebung,
sondern dieses Gebot hat — anders als die meisten anderen Speisegebote des AT —
eine brisante Begründung, und der Bruch dieses Gebotes zieht die ewige Verdammnis
nach sich: „Jeder Mann aus dem Haus
Israel oder jeder Fremde in eurer Mitte, der irgendwie Blut genießt, gegen
diese Person werde ich mein Angesicht wenden und ihn aus der Mitte seines
Volkes ausmerzen.“ (Lev 17, 10) Es handelt sich also keineswegs um eine
Kleinigkeit. Warum diese unerbittliche Aussage? Die Begründung in den
Folgeversen ist so einfach wie sie bestürzend eindeutig ist, und ich zitiere
sie aus Martin Bubers Übersetzung, weil die deutschen Übersetzungen alle
irreführend sind und der Sühneopfertheologie Anselms von Canterbury mehr
entgegenkommen als dem Text selbst:
„Denn
die Seele des Fleisches, im Blut ist sie, ich gab es euch auf die
Schlachtstatt, zu bedecken über euren Seelen, denn das Blut, durch die Seele
bedeckt es. (…) Denn die Seele alles Fleisches, sein Blut ist mit seiner Seele,
ich sprach zu den Söhnen Jißraels: Blut alles Fleisches, esset nicht, denn die
Seele alles Fleisches, sein Blut ists, alljeder, der es ißt, wird gerodet.“[3]
Diese Übersetzung, die ganz dicht
am hebräischen Text förmlich „tastet“ und fühlt, sagt uns, um was es beim
alttestamentlichen Opfer geht:
Es geht darum, dass der Mensch sich
Gott mit einem Geschenk (Opfer) naht. ER möchte das in ihm durch die Sünde
verblassende, sich aus-hauchende Leben wieder beleben lassen und trägt Gott das
Blut, den Lebensträger eines Tieres vor, indem er es schlachtet und vom
Priester das Blut zum Altar bringen lässt. Der Ort der stellvertretenden
Sündenhäufung ist der Altar selbst. Er wird durch das dargebrachte Blut
geheiligt und gereinigt. Durch dieses Geschenk erwirkt sich der Darbringende
Reinigung (hebr. „kfer“=„Bedeckung“ iS
einer „Bestechung“) für eine gewisse Zeit. Das schwindende Leben in unserem
stets „schwach“ (nicht an sich
sündhaft oder böse!) genannten Fleisch, das Verblassen des Odems Gottes, der
alleine uns lebendig macht und dessen Schwinden uns dem Tod zuführt, wird
substituiert durch das Leben anderer Lebewesen. Blut ist dabei die Trägermasse
des Lebens, und Blut schafft es auch, „durch
die Seele“ hindurch zu „bedecken“.
Auf einem solchen Zusammenhang lässt sich kaum eine stellvertretende
„Sühneopfer“-Theologie aufbauen, denn nirgends wurde gesagt, das Tier „sterbe“
stellvertretend für den Menschen oder trage dessen „Strafe“. Es ersetzt ihm
vielmehr sein schwindendes Leben durch sein Blut, weil im Blut das Leben ist. Dabei geht es nicht um ein
irdisches Verlängern des Lebens, sondern um eine Heiligung mit Leben vor Gott.
Doch diese Opfer hielten nicht lange vor. „Es
handelt sich nur um Speisen und Getränke und allerlei Waschungen, äußerliche
Vorschriften, die bis zu der Zeit einer besseren Ordnung auferlegt worden sind“
(Hebr 9, 10b) Paulus spricht von „Erlösung“ (einem Befreitwerden aus einer
Pflicht oder juristischen Satzung), aber nicht von „stellvertretender Sühne“.
Er schreibt vielmehr:
„11 Christus
aber ist gekommen als Hohepriester der künftigen Güter durch das größere und
vollkommenere Zelt, das nicht von Menschenhand gemacht, das heißt nicht von
dieser Schöpfung ist.
12 Nicht
mit dem Blut von Böcken und jungen Stieren, sondern mit seinem eigenen Blut ist
er ein für alle Mal in das Heiligtum hineingegangen und so hat er eine ewige
Erlösung bewirkt.
13 Denn
wenn schon das Blut von Böcken und Stieren und die Asche einer jungen Kuh die
Unreinen, die damit besprengt werden, so heiligt, dass sie leiblich rein werden
(Anm HJ: eine unglückliche und irreführende Übersetzung in der EÜ — es
heißt „emundatio carnis“ = Reinigung/Heiligung des Fleisches, wobei „Fleisch“
etwas anderes ist als der „Leib“)
14 um
wie viel mehr wird das Blut Christi, der sich selbst als makelloses Opfer kraft
des ewigen Geistes Gott dargebracht hat, unser Gewissen von toten Werken
reinigen, damit wir dem lebendigen Gott dienen.
Es geht also nicht um
stellvertretend vergossenes Blut als „Sühne“, als ob Gott blutrünstig wäre und
mit Blut befriedigt werden müsste, sondern um den Gewinn neuen Lebens aus dem
Blut eines anderen. Der Mensch war Gott aus reiner Liebe ein vollkommenes
Opfer, eine vollkommene Gabe wert. Der Sohn, „durch den alle Dinge gemacht
sind“ (Johannes-Prolog), schenkte sich dem Vater, um unser schwindendes Leben
zu restaurieren. Nur er konnte „kraft des
ewigen Geistes“, der in ihm — anders als in Tieren — ist, dieses
vollkommene Opfer bringen. Um sich opfern zu können, wurde er Mensch. Durch das
Mittel des Blutes mussten im Alten Bund „die
Abbilder der himmlischen Dinge gereinigt werden; die himmlischen Dinge aber erfordern wirksamere Opfer“ (V 23). Christus
sei als Priester ins himmlische Heiligtum eingegangen, um dort mit seinem Blut
die „destitutio peccatorum“ für uns
zu erwirken. Die EÜ übersetzt das mit „tilgen“.
Die rev. Lutherbibel 2017 übersetzt richtiger mit „aufheben“. Eine „destitutio“
heißt wörtlich sogar „Täuschung“ oder
„treuloses Verlassen“. Eine „destitutio“ ist im übertragenen Sinn
das Rückgängigmachen einer „institutio“
(„Einrichtung“). Die Sünde ist eine „institutio“,
eine Institution, eine Einrichtung, seitdem der Mensch sich ihr im Garten Eden
ergeben hat. Christus hat durch sein Selbstopfer für ihre „destitutio“, für ihre „Dekonstruktion“, wie man postmodern sagen
würde, ihren „Abbau“ gesorgt. Er hat dem Satan die Rechte darauf entzogen, uns
in Knechtschaft zu halten. Paulus zieht nicht den Schluss, dass wir „entsühnt“
wären. Er schreibt vielmehr, dass wir ein für allemal „geheiligt“ sind („sanctificati
sumus“) und weitere Opfer nicht mehr notwendig sind und auch nicht sein
können:
„5 Darum
spricht er bei seinem Eintritt in die Welt: Schlacht- und Speiseopfer hast du
nicht gefordert, doch einen Leib hast du mir bereitet;
6 an
Brand- und Sündopfern hast du kein Gefallen.
7 Da
sagte ich: Siehe, ich komme - so steht es über mich in der Schriftrolle - , um
deinen Willen, Gott, zu tun.
8 Zunächst
sagt er: Schlacht- und Speiseopfer, Brand- und Sündopfer forderst du nicht, du
hast daran kein Gefallen, obgleich sie doch nach dem Gesetz dargebracht werden;
9 dann
aber hat er gesagt: Siehe, ich komme, um deinen Willen zu tun. Er hebt das
Erste auf, um das Zweite in Kraft zu setzen.
10 Aufgrund
dieses Willens sind wir durch die Hingabe des Leibes Jesu Christi geheiligt -
ein für alle Mal.“ (Hebr 10)
Auch die Eingangsworte des
Hebräerbriefes sprechen von keinem „stellvertretenden Sühneopfer“:
„9b
Es war nämlich Gottes gnädiger Wille, dass er für alle den Tod erlitt.
10 Denn es war
angemessen, dass Gott, für den und durch den das All ist und der viele Söhne
zur Herrlichkeit führen wollte, den Urheber ihres Heils durch Leiden
vollendete.
11 Denn er, der
heiligt, und sie, die geheiligt werden, stammen alle aus Einem; darum schämt er
sich nicht, sie Brüder zu nennen.“ (Hebr 2, 9b ff)
Es geht um „sanctificatio“, um „Heiligung“. Christus starb, um uns mit seinem
Blut das Leben zurückzuschenken, das in uns aufgrund der Macht der Sünde
verblasst und schwindet.
Dieser Zusammenhang ergibt sich
auch aus Gen 6, 3, den ich in der unnachahmlichen Sprache Martin Bubers
zitieren will:
„Nicht
niedre mein Geistbraus sich im Menschen für eine Weltzeit, dieweil er auch
Fleisch ist, seien denn seine Tage: hundertundzwanzig Jahre.“[4]
Die unmittelbare Verknüpfung von „ruach“ (Gottes Geist) mit dem Leben in
allem Fleisch und eine Rücknahme dieses Geistes aufgrund der Sünde, die die
Erde total verdorben hatte, begrenzt nach einer Menschheit, deren Glieder
hunderte von Jahren alt werden konnten trotz der Sünde, das Leben auf maximal
120 Jahre. Diese Grenze gilt bis heute. Wenn wenige sehr alt werden, kommen sie
über diese Grenze niemals mehr hinaus. Das schwindende Leben führt uns dem Tod
unweigerlich zu. Christus gab sein Blut für unser Leben. Er trug es, wie wir
hörten, ins himmlische Heiligtum vor den Vater. Dort tritt er für uns ein als
Mittler zum Vater hin und hält ihm sein Blut, das er auf Erden für uns vergoss,
vor Augen. Deswegen sind wir ein für allemal in dem Moment aus dem
Rechtsanspruch des Satans auf uns errettet, in dem wir das Geschenk annehmen.
Nicht ein „Sühneakt“, der einen blutrünstigen Gott markieren würde, sondern
eine schenkende, sich opfernde Liebe gab uns durch Leiden unser verlorenes
Leben zurück, das doch nur immer schon Gottes Leben in uns war und von uns
selbst verspielt worden war. Es gibt in dieser Verstehensweise keinerlei Grund,
dieses vergossene Blut corporaliter auf
Erden festzuhalten. Das Opfer ist vollendet und vollbracht.
Der Heiligblutkult aber leibt und
lebt wie eh und je. Selbst der aktuelle Papst Franziskus hat in seiner Zeit als
Erzbischof von Buenos Aires zwischen den Jahren 1992 und 1996 ein multiples Blut-
und Hostienwunder wissenschaftlich untersuchen lassen.
„Dabei
wurde festgestellt, daß es sich mit Sicherheit um den Teil eines
Menschenherzens handelt. Wie das pathologische Institut weiter feststellte,
mußte es sich um das Herz eines noch lebenden Mannes handeln. Es handelt sich
um lebende Zellen.“[5]
Die eigentümliche Unklarheit, ob es
sich bei der Hostie um verborgenes, aber totes Opferfleisch handle oder um
gerade noch lebendes, sterbendes Fleisch eines Geopferten oder aber um
unblutiges „Geistfleisch“ des verklärten Herrn im Himmel, manifestiert sich in
diesen Tatsachen, stellt aber ihre Absurdität und Vernunftwidrigkeit vor Augen.
Ein ähnliches Blutwunder wird 2016 aus dem polnischen Liegnitz berichtet. Die
wissenschaftliche Untersuchung ergab auch hier, dass es sich um ein Stück
menschliches Fleisch, bzw Herzmuskelgewebe handle. Woher dasselbe stammt, ist
damit allerdings nicht geklärt worden. Dass der Vatikan für all dies sehr offen
ist, belegen diese Worte:
„In
Übereinstimmung mit den Empfehlungen des Heiligen Stuhles bat der kirchliche
Würdenträger im April den Pfarrer der Pfarrei Sw. Jacka, Andrzej
Ziombrze, "einen angemessenen Ort für die Reliquie vorzubereiten, so dass
sie von den Gläubigen verehrt werden könne."“[6]
Im Kult um das „Blut Christi“
spiegelt sich der Versuch, die Wiederholung der alttestamentlichen Tieropfer
ins Christliche zu übertragen, indem das Opfer nicht nur einmalig, sondern auch
endlos und in dieser Endlosigkeit auch zahllos häufig wiederholbar gedacht wird,
wenn auch „nur sakramental“. Dies aber widerspricht dem Hebräerbrief in einer
himmelschreienden Art und Weise, denn dort wird jegliche Wiederholung des
einmaligen und abgeschlossenen Opfers verworfen (Hebr 9). Jesus ist ein einziges
Mal gestorben, in einem bestimmten Augenblick der Zeit, so wie jeder Mensch es
tut. Niemand stirbt mehrere Male, und niemand kann mehrfach geopfert werden —
auch nicht in einer Mysterien-Parallelwelt. Sein Opfer liegt hinter uns und ist
Vergangenheit, allerdings eine folgenschwere Vergangenheit, nach der nichts mehr
so ist , wie es vorher war und auch nicht mehr sein kann.
[1] Alle
Sakramente seien hergeleitet und nur wirksam im Blut Christi und Kanäle der
Kirche, durch die das Leben zu den einzelnen Gläubigen fließe. Vgl. „Katharina
von Siena, Kirchenlehrerin“ auf http://kath-zdw.ch/maria/katherina.von.siena.html,
(abgerufen am 20.2.2018)
[2]
Wiki-Lexikoneintrag zu Bad Wilsnack https://de.wikipedia.org/wiki/Wunderblutkirche_(Bad_Wilsnack),
(abgerufen am 17.2.2018)
[3] Die
fünf Bücher der Weisung. Verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz
Rosenzweig. Darmstadt 1984, S. 320 (Er rief 17, 11+12; 14)
[4]
A.a.O., Im Anfang 6, 3. S. 22
[5] Giuseppe Nardi: Eucharistisches Wunder von Buenos Aires – Erzbischof Bergoglio und die wissenschaftlichen Analysen, 5. Juli 2013
https://www.katholisches.info/2013/07/eucharistisches-wunder-von-buenos-aires-erzbischof-bergoglio-und-die-wissenschaftlichen-analysen/
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