II. Was ist der Unterschied zwischen einem sakralen Gastmahl und einem "Opfer" (sacrificium)?
Man muss noch einmal zurücksehen in
die Geschichte:
Im Verständnis der Eucharistiefeier
war und ist die Kirche mehrfach uneins, und dies nicht erst mit der
Reformation. Der römisch-katholische Versuch, dies alleine der Reformation
zuzuschustern, ist eine historische Notlüge angesichts ihrer rücksichtslosen
Veränderung ursprünglicher Lehren unter Inkaufnahme von Schismen und
Entfremdungen. Auch wenn Katholiken gelehrt werden zu glauben, ihre Kirche habe
die unwandelbare Lehre getreulich bewahrt, muss man das Gegenteil konstatieren,
sobald man in die Quellen sieht: sie war es, die eine Neuerung nach der anderen
eingeführt hat und dabei alle „Altgläubigen“ in verschiedenen Stadien der Entwicklung
einfach abgespalten, vertrieben oder sogar verketzert hat. Nicht die anderen
haben sich von ihr getrennt, sondern sie wollte andere zwingen, ihre neuen
Lehren anzuerkennen und stieß sie von sich, als jene nicht mitmachen wollten.
Man kann also die Reformation vielmehr
als eine Eruption lange gehegten Unbehagens ansehen. Lange gehegt deshalb, weil
die sich aufbäumende Papstkirche progressiv die Eucharistiefeier faktisch aus
der Hand der ganzen Kirche gerissen und alleine ihrer sich verselbständigenden Hierarchie
als perfektes psychologisches und magisches Machtinstrument zugeschlagen hatte.
Die Eucharistie wurde ein Ritus, der immer stärker die Merkmale von Zauberkulten
annahm, erzeugte Idole („Hostien“) und käufliche magische „Wirkungen“.
Man hatte im Verlauf des
Mittelalters die gesamte Ostkirche abgehängt, die Wert auf das „mysterium“ legte in dem Sinn, dass man
ein Mysterium nicht mithilfe spitzfindiger Philosophien dogmatisch klären kann.
Mit dem Aufkommen der neuen „Messopfer“-Lehre im 9. Jh, die aus dem zuvor
geistig verstandenen Kontext unbedingt einen materiellen Zusammenhang schaffen
wollte in dem Sinn, dass in den sakramentalen Zeichen buchstäblich der
geopferte leibhafte Christus vom Himmel herabgeholt werde und in einer
„sakramentalen Welt“, also einer Art materieller „Parallelwelt“ als reales
Fleisch und Blut gegessen werden müsse, wobei unser Mahlhalten dann in einem
Zwischenreich zwischen unserer Realität und der himmlischen Welt als sakramentale
Parallelwelt stattfände, wurde es notwendig, allerlei mystifizierende
Begleithandlungen auszudenken und eine elitäre Zone für die Priester zu
schaffen, die alleine die Macht haben, zwischen den Welten hin- und her zu
„switchen“. Die Laien wurden schrittweise ausgeschlossen aus dem Geschehen, der
Pflichtzölibat für Priester durchgesetzt, die Verstoßung der Frau aus dem in den
ursprünglichen „ecclesiis“ (auch im
NT kommen sie im Plural vor und sind von dem Begriff der Griechen für
Bürgerversammlungen der Freien und Berufenen abgeleitet!) ohnehin nicht
vorhandenen Altarbereich angeordnet. Der Zölibat fungierte dabei als Strategie
zur absoluten Trennung einer elitären Männerkaste von den „normalen“ Männern
und vor allem der Gesamtheit der Frauen. Mit dem Pflichtzölibat für Priester
wurden alle Bindungen zwischen Klerus und Laien, so weit es geht,
zurückgeschnitten. Der „Geweihte“
erhielt als suggerierter „Reiner“ einen quasigöttlichen Status. Dass solche
Konstruktionen immer zu Personen- und Führerkulten und davon abgesehen zu
unmoralischen und unzüchtigen und ausschweifenden Lebensformen führen, weiß
jeder Lebenserfahrene, und genauso kam es auch: der Priester wurde der
„Hochwürden“, er musste für die sinnlich fassbare Realisation Jesu Christi
gehalten werden, eines „Christus“, der mit dem demütigen Christus der
Evangelien allerdings kaum mehr etwas zu tun hatte. Früh wird der unsittliche
Lebenswandel der „Hochwürden“ beklagt. Und je „höher“ die Hochwürden als
Eminenzen und „heilige Väter“ aufstiegen, desto extremer mussten sie verehrt
werden. Man war dreist genug zu behaupten, Jesus selbst hätte diese „göttliche
Hierarchie“ gestiftet und gewollt. Ich habe das ganze NT danach abgesucht: es
ist allerdings von einer solchen Stiftung dort nichts zu lesen, ganz im
Gegenteil. Alles, was sich dort „hierarchisch“ aufwirft, wird von Jesus mit
äußerster Skepsis behandelt. Zölibatärer Hochmut wird von Jesus entlarvt als
Hartherzigkeit und Anmaßung des Mannes und als Frauenverachtung, als ein fromm
verbrämter Aufstand gegen die Schöpfungsordnung, es sei denn, jemand macht sich
wirklich aus eigenständiger (nicht institutioneller!) Berufung und Gottes- und
Menschenliebe„zur Ehe unfähig“ (Mt
19, 3ff). Jesu Schlusssatz „Wer es fassen
kann, der erfasse es!“, der häufig zur Anwerbung für zölibatäre
Lebensformen genutzt wurde, als sei diese Lebensform ein Über-Mysterium
gegenüber der natürlichen Neigung zur Ehe, meint im Kontext nicht den Zölibat,
sondern die Ehe, wie Gott sie will, in der die Frau nicht das Herrschaftsobjekt
des Mannes ist. Die Favorisierung des Zölibats seitens der Jünger in dieser
Episode wird von Jesus klar und deutlich wegen ihres Verweigerungscharakters
gegenüber der Schöpfungsordnung verworfen. Der gesamte Abschnitt handelt primär
von der schöpfungsgemäßen Ehe und dem Verbot, seine Frau zu verstoßen und nur
sekundär von zölibatären Lebensformen. Bei genauer Lektüre wird erkennbar, dass
Jesus den Zölibat nicht empfiehlt, nicht als göttliche Berufung darstellt,
sondern als ein Geschenk, das einer möglicherweise von sich aus, weil er es
will oder meint zu sollen, gibt: „…manche
haben sich selbst dazu gemacht - um des Himmelreiches willen“. Bedenken
sollte sein Hinweis darauf auslösen, dass Menschen von anderen zu Zölibatären „gemacht“ würden, und nichts weist
darauf hin, dass er das in irgendeiner Weise gutheißen würde.
Der Mensch kann ohne
gesellschaftliche Organisation schwerlich in Frieden leben, aber die äußerste
Skepsis Jesu gegenüber solchen Institutionen oder „Reichen“, die eben immer nur
„von dieser Welt“ sein können, weil
uns die Anschauung der Verhältnisse in der kommenden Herrlichkeit ebenso fehlt
wie eine realistische Transfermöglichkeit in dieses absterbende Äon, selbst
dann, wenn wir eine solche Anschauung hätten, hätte eine deutliche Warnung im Gedächtnis
der Kirche bleiben müssen. All die früh einsetzenden Spekulationen über eine
liturgische Abbildung angeblich himmlischer hierarchischer Verhältnisse sind
Schwärmertum, denn niemand weiß, wie es im Himmel aussieht, und niemand kann
wissen, wie dort die Beziehungsgefüge und „Vergesellschaftungen“ von Wesen
ihrer Natur nach beschaffen sind. Eine Projektion unserer sündhaften
Machtgelüste in den Himmel ist unzulässig. Rangordnungen sind vielleicht viel
eher Folge des verzweifelten Widerstandes gegen das schwindende Leben in uns
und der Versuch, anderes Leben zu eigenen Gunsten zu berauben, als dass der
Himmel, der Leben in Fülle hat, dies nötig hätte. Wenn Jesus, wie Paulus im
Hebräerbrief sagt, nicht davor zurückscheute, uns „Brüder“ zu nennen, weil alles Leben aus Gott kommt und ihm gehört,
dann sagt dies sehr viel aus über das irdische Konstrukt der „Rangordnungen“.
Auch hier gilt, dass wir im Glauben
und nicht im Schauen leben. Jesus hat vielmehr jeglicher hierarchischer
Aufpflanzung ein deutliches „Nein“ entgegengesetzt für die Kirche. Das an so
vielen Stellen von ihm auf den letzten Platz verwiesene „Erster-sein-wollen“,
um das die Jünger so häufig stritten, wird auch an dieser Stelle als ein Wille
zur Macht seitens der Menschen gezeichnet, nicht etwa Gottes (Mt 20, 25b f):
„Ihr
wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Großen ihre
Vollmacht gegen sie gebrauchen. Bei euch soll es nicht so sein, sondern
wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein,
und wer bei euch der Erste sein will, soll euer Sklave sein.“
„Wer
bei euch groß sein will“… „wer bei euch der Erste sein will“: es liegt am Willen zur Macht
beim Menschen. Jesus brüskiert mit solchen Worten kaum etwas mehr als diesen
Willen zur Macht!
Jesus begründet diese Abwehr gegen
Machtwillige damit, dass er, der doch als der einzige und zukunftsweisende,
vollkommene Menschensohn kam, der alles Recht der Welt hätte, sich als der
„Erste“ aufzugipfeln, dennoch der Sklave aller wurde. Je mehr also einer oder
eine ihm folgen will, desto mehr muss er oder sie Sklave werden, bereit sein,
der oder die letzte zu werden. Von einer institutionellen „Sicherung“ des
„Erster-Seins“ für Männer ist nirgends auch nur entfernt eine Rede!
Die Machtkirche hat aber genau
diese Skepsis und diese Vorsicht umgedreht und den Gläubigen förmlich
ausgetrieben wie einen bösen Geist und sie zu solchen gemacht, die „von dieser
Welt“ sind und beständig ihre irdische „christliche Kultur“ mit dem „Reich
Gottes“ verwechseln. In dieser tragischen Verkennung sind sie sich alle einig.
Ob Traditionalist oder Progressist, man hält das Reich Gottes für eine Zielsetzung
dieses Äons und bildet sich ein, man müsse es verwirklichen, wenn nötig auch
mit Gewalt, Nötigung, Lockmitteln, Lügen und Intrigen.
Die Eucharistie war, weil der
Mensch Zauber und Glamour, Mysteriöses, elitäres Zeremoniell und die sinnliche
Vulgarität liebt, ein willkommenes Medium, die Menschen zum Zweck der
Installation des Reiches Gottes auf Erden an die Institution zu ketten, denn
ohne „Weiheträger“ keine Eucharistiefeier. Wer sich also den selbsternannten „Ersten“ nicht unterwirft, bekommt
nichts von Jesus Christus — das ist die Logik. Was aber sagte dazu das NT?
Der Geist, sagte Jesus, „weht wo er will; du hörst sein Brausen,
weißt aber nicht, woher er kommt und wohin er geht. So ist es mit jedem, der
aus dem Geist geboren ist.“ (Joh 3, 8) Für die Geistbeseelung eines solchen
Gläubigen ist objektiv keine Hierarchie notwendig. Im Gegenteil — ein solcher
Gläubiger ist per definitionem unantastbar und seine Wege sind von niemandem zu
beurteilen. Er oder sie ist ein wirklich freier Mensch geworden. Genau das aber
leugnet die Kirche. Für eine Bannung der Seelen an die Eucharistie im Sinne
einer Opferhandlung, die angeblich alleine die Seele „nährt“, bedarf es einer
Hierarchie. Und deshalb wird auch so erbittert die katholische „Identität“
vonseiten ihrer Apologeten, egal, was sich sonst theologisch entwickelt, an
diese hierarchische und sakramentale Verfasstheit gebunden.[1]
Die Erinnerung an die
ursprünglichen Bräuche der Apostel wurde sorgfältig ausgelöscht. Die Argumente
konservativer katholischer Apologeten setzen daher auch immer erst mit dem
Staatskirchentum ein und befragen die davor liegenden Jahrhunderte kaum. Als
authentische „Quelle“ gilt das, was mit der „konstantinischen Wende“ einsetzte oder
als maßgeblich festgelegt wurde.
Am ursprünglichen Mahltisch hatten
alle ihren Platz gehabt, wenngleich eine soziale Trennung der Mahlteilnehmer wohl
immer besonders unter den Heidenchristen eine Gefahr war und bereits von Paulus
mit eindringlichen Worten verurteilt wird (s.u.). Es war das Heidentum, das
sakrale Mähler nur Hochgestellten und sakral Gewürdigten zukommen ließ und
Frauen ausschloss.[2] Aus
dem Judentum ist das nicht bekannt, auch wenn es die Frau oder auch den „Goi“ in
vieler Hinsicht demütigte und benachteiligte — am Pessachmahl nahmen sie ebenso
teil wie Knechte, Mägde, Fremdlinge und Sklaven, vorausgesetzt, es war ein Jude
dabei, der das Pessachlamm als „geeignete Person“ darbringen konnte. Auch wenn
die Gesetzeslehrer allerlei Hürden einbauten, galt doch die vollständige
Offenheit für jegliche Person, solange der personelle und intentionale jüdische
Bezugspunkt gewahrt blieb.[3]
Auch Quellen über zeitgenössische jüdische Asketengemeinschaften kennen den
Ausschluss der Frau von sakralen Mählern nicht.[4]
Die frühen Heidenchristen wurden daher insbesondere von Paulus ermahnt,
jegliche soziale Unterscheidung aus Ehrfurcht vor Gott, der alle errettet hat,
zu unterlassen. Am Tisch des christlichen Brotbrechens im Gedenken an Jesus
Christus und seine Heilstat nahm tatsächlich jeder und jede in gleicher Weise
teil. Egal, was die Kirche uns glauben machen will: im NT gab es definitiv
keinen „Klerus“ und erst recht keine „Hierarchie“.
Die Trennung eines „Altarbereiches“
von dem der Laien, womöglich noch durch eine räumliche Schranke oder ein Gatter
ausgedrückt, und die Ausweisung der Frau aus dem Bereich des Tisches ist in
jedem Fall unbiblisch und im Rahmen der jüdischen Traditionen nicht zu
begründen. Es hat ausschließlich im Bereich des heidnischen Mysterienkultes seinen
Platz und lässt sich auch nur von daher plausibel machen.
Eine Assoziation an das Tempelopfer
Israels war und ist sachlich immer ausgeschlossen. Es ist bezeichnend, dass
Jesus nicht das Pessachlamm, das er damals nach den Evangelienberichten
darbrachte, als „mein Leib“ bezeichnete, sondern er nahm das „Brot des Elends“[5]
und sprach darüber die bekannten Worte. Er umging einen direkten Vergleich mit
den tierischen Tempelopfern. In dieselbe Richtung weist die paulinische Aussage
im Hebräerbrief, die das Opfer Christi und sein ewiges Priestertum nicht im Rahmen
des levitischen Priestertums, sondern nach der „Ordnung Melchisedeks“ deutet, die dem alten Bund überlegen und
übergeordnet ist. Melchisedek bewirtete
Abraham mit Brot und Wein. (Hebr 6, 13; 7, 1-28) Die Klärung dieses
Unterschiedes spricht Paulus gegenüber Judenchristen aus, damit hier keine
Missverständnisse entstehen.
Doch was ist geworden aus dem, was
die Apostel überlieferten?
Nicht nur die Still- und Privatmessen
des späten Mittelalters kamen vielfach gänzlich ohne reale „circumstantes“ aus, sondern auch die Gemeindemessen wiesen den
Laien immer mehr eine Rolle zu, in der sie passiv bleiben, nicht einmal mehr
hören durften, was da vorne am Altar gesprochen und ob es überhaupt korrekt
gesprochen wurde (wie Luther in seiner Schrift „Von der Winkelmesse und der Pfaffenweihe“ von 1532 beklagt hatte),
nur mehr „virtuell“ teilnehmen sollten. Der Begriff „Hokuspokus“ leitet sich höchstwahrscheinlich ab von den
„unverständlichen“, gemurmelten „Wandlungsworten“, die eigentlich Jesu heilige
„Einsetzungsworte“ sind: „Hoc est enim
corpus meum.“ Man speiste die Laien mit der einseitigen Teilnahme an der
Hostienkommunion ab, zu der sie fühllos und nach „mehrstöckigen“
veräußerlichten psychischen Kontrollschranken (rituelle Buße, Ablass, Beichte) vor
der räumlichen Schranke des Lettners hintaumeln und auf die Knie sinken sollten,
und schloss sie vom Kelch aus, der doch das eigentliche Zeichen des Neuen
Bundes ist, wie Jesus es sagte. Und dies, obwohl der Herr ausdrücklich
angeordnet hatte, dass „alle“ daraus
trinken sollen. Die Kirche tradiert eine Kompilation verschiedener
neutestamentlicher Schriftstellen mit den Worten Jesu:
„Nehmet
und trinket alle daraus: Das ist der
Kelch des neuen und ewigen Bundes, mein Blut, das für euch und für viele (im
Deutschen entgegen dem Schriftwort lange Zeit „alle“) vergossen wird zur
Vergebung der Sünden. Tut dies zu meinem Gedächtnis.“
Man muss fragen, was diese Kirche
für ein Verständnis von „alle“ hatte? Die Verdrängung der Laien in die rein
„geistige (geistliche) Kommunion“ oder allenfalls die Brotkommunion trieb so
verheerende Blüten, dass man sich wundern muss, dass die Eruption erst im 16.
Jh kam und nicht schon viel früher. Immerhin hat eine erbitterte Debatte über
das rechte Verständnis der Eucharistie seit dem 9. Jh in Schüben stattgefunden.
Das „Messopfer“ war das
Standeszeichen der Kleriker und die häufigere Kommunion Privileg des klösterlichen
geistlichen Standes geworden. In der mystifizierten sakramentalen Parallelwelt
hatten Laien kein unbefangenes Wohnrecht mehr. Eingeschüchtert wichen sie
zurück und der Kommuniongang nahm rapide ab. Auf dem Laterankonzil 1215 wurde
erstmals eine Vorschrift erlassen, dass der Gläubige wenigstens einmal im Jahr
zur Kommunion gehen müsse. Der Kommunionempfang wandelte sich vor allem anderen
zu einem nicht mehr mystischen, sondern magischen Privileg. Man war so weit
gegangen, der Zelebration der Hl. Messe durch einen einsamen Priester einen magischen
Wert zuzusprechen, den der Laie sich kaufen konnte, um ihn sich selbst oder
anderen, Lebenden und Toten, „zuzuwenden“. Mit dem neutestamentlichen,
gemeinschaftlichen „Brotbrechen“ hat(te) das alles wenig oder gar nichts mehr
zu tun. Aber man hat es verstanden, den klaren Verstand der Menschen so zu
betäuben und zu umnachten, dass man als Katholik (sofern man überhaupt je
ernsthaft gläubig sein wollte) zunächst der Logik dieser Verzerrung vollkommen
erliegt, viele lebenslang und in aller Unschuld und Frömmigkeit. Bei vielen von
uns aber regt sich irgendwann wieder der wache Sinn für die Wahrheit.
Das Unbehagen und Befremden vieler nachdenklicher Männer und Frauen
begann sich nachweisbar spätestens ab dem 13. Jh in aller Deutlichkeit bemerkbar
zu machen, und viele von ihnen wurden wegen des Einspruchs gegen diese
Verwahrlosung und Verfremdung der Eucharistiefeier im Zuge der ständischen
Klerikalisierung der Kirche gnadenlos verfolgt und bei lebendigem Leib
verbrannt. Wir gedenken heute noch mit Abscheu, Scham und Fassungslosigkeit — um nur zwei Beispiele zu nennen — der
hasserfüllten Ermordung der Beghine und geistlichen Schriftstellerin Marguerite
Porête an der Wende zum 14. Jh oder des Rektors der Prager Universität Jan Hus’
auf dem Konstanzer Konzil zu Beginn des 15. Jh. Die Kirche opferte für die
totale Verfremdung des Glaubens um eines unheimlichen Machtgeiferns willen das
Blut ihrer Heiligen und hat sich damit selbst mit der Hure identifiziert, die
die Apokalypse beschreibt (Apk 17): eine Frau in Scharlach und Purpur, also in
leuchtend rote Hierarchengewänder (!) gekleidet, hält sie einen Kelch aus Gold
in der Hand, indem sie Opferblut der Heiligen und Zeugen Jesu trinkt, Opfer,
die als „Hurerei“ und „abscheulicher Schmutz“ bezeichnet werden. Es ist
unmöglich, diese Allegorie nicht in Verbindung zu bringen mit dem realen
historischen Erscheinungsbild der römischen Kirche! Die habsüchtige
Beanspruchung des eucharistischen Kelches nur für die Hierarchie kann aus
dieser Perspektive sogar als Schutz für die Gläubigen angesehen werden, die auf
diese Weise nicht unbewusst teilhaben müssen an der Perversion des Opfers
Christi hin zu einem Opfer der Heiligen durch die „Mutter Kirche“. Während sie
großmäulig ein „unblutiges Opfer“ zu
zelebrieren vorgab, vergoss sie wie eine wilde Bestie das Blut ihrer besten
Glieder.
Man sollte dennoch keine
unkritische Verherrlichung der Reformation und all ihrer teilweise ebenso
haarsträubenden Abarten, die ab dem 15. Jh „anrollten“, betreiben. Jeder
einzelne Fall muss sorgsam geprüft werden. Es gibt keinen „Ort“ an den man
gehen könnte, an dem man eine bessere „Institution“ antrifft. Die Bilanz der
Kirche, auch der abgetrennten Teile, ist und bleibt insgesamt verheerend und
grausam. Auch Protestanten führten totalitäre Systeme ein, quälten Menschen zum
„rechten Glauben“ hin, richteten Ketzer hin und überstellten „Hexen“ zu
Verbrennung den staatlichen Behörden. Ähnliches muss von der Ostkirche
festgestellt werden, deren byzantinische Zeit vor dem Fall Konstantinopels
ebenso von Grausamkeit und Blutvergießen gezeichnet ist wie das der
weströmischen Kirche ab dem Mittelalter. Bis heute setzen auch evangelikale
Freikirchen ihre Mitglieder teilweise seelisch schwer unter Druck und beuten
sie finanziell ebenso aus, wie die römische Kirche das tut. Man lehnt die
römische Hierarchie zu Recht ab, installiert aber anschließend sich selbst als
Lehrer und Meister anderer. Offenbar schaffte es keine organisierte Kraft, von
der dämonischen und gewalttätigen Lehre und Praxis der „Kirche“ loszukommen,
nachdem sie sich früh durch die Teilhabe an der politischen Macht korrumpiert und
prostituiert hatte. Die Aussage Jesu „Die
Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester; der Menschensohn aber hat
keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann“ (Mt 8, 20) wurde niemals ernst
genommen. Jesus sagt diesen Satz einem Schriftgelehrten, der behauptet, ihm
überall hin folgen zu wollen. In einem konkreten Sinn kann es auf Erden keine
„Kirche“ geben, die man anfassen oder anschauen kann. Wie ihr Herr kann sie nur
„Kein Ort“, im ureigensten Sinn einer „utopia“
sein. Nicht eine sinnlich verwertbare „sakramentale“ Parallelwelt kann sich
einnisten und diese Utopie verwirklichen in diesem Äon — nein: das „Reich Gottes ist mitten unter uns“,
aber dieses „Wir“ hat keinen Ort, geführt von dem Geist, dessen Brausen man
hört, dessen Wege aber niemand kennt. Was immer sich auf Erden sinnlich fassbar
manifestiert, kann nur „irdenes Gefäß“ und „blinder Spiegel“ sein und
keinesfalls ein totales „Abbild himmlischer Dinge“. Ein „blinder Spiegel“
erzeugt nur Schemen und keine Abbilder. Vielmehr verweisen uns die Apostel auf
das einzige wahre Abbild des Vaters: Jesus Christus, der nicht in steinernen
Tempeln lebt und sich nicht in Purpur kleidet, sondern in den „Herzen“ wohnt.
Wer aber hätte je ein „Herz“ des Menschen gesehen? Jesus ist aufgefahren und
hat uns zurückgelassen. Das bedeutet: wir sehen ihn nicht mehr. Er hat uns den
Hl. Geist geschickt, den niemand sehen kann.
Mit einer Radikalität ohnegleichen
hat der Jesus der Evangelien und der Jesus, den die Apostel im NT bezeugen, uns
tatsächlich jeglichen sinnlichen Bezugspunkt genommen und uns ein
„Vergeistigungsprogramm“ verordnet, bis er wiederkommt.
Die Kirche hat sich darüber in
einer verstörenden Dreistigkeit hinweggesetzt.
Die Entstehung des Jesuitenordens
im 16. Jh, der die Macht über das viel zu spät einberufene Trienter Konzil an
sich reißen konnte und eine psychologisch ausgefeilte totalitäre
Unterwerfungsideologie entwickelte, verhinderte als die treibende
gegenreformatorische Kraft künftig das ernsthafte Nachdenken, jeden echten
mystischen Glauben zugunsten einer Versinnlichung der Frömmigkeit und sperrte
sich gegen eine Reform der Missstände in der Hierarchie und im Messablauf. Die
Eruptionen der Reformation erlaubten der Kirche überhaupt erst, die umstrittene
neue mittelalterliche Eucharistieauffassung als Opfer, das eine materielle „Transsubstantiation“
in einer sakramentalen „Anderwelt“ durchläuft, dogmatisch zu definieren,
beförderten also tragischerweise das, was sie verhindern wollten. Was zu den
tiefen Zerwürfnissen mit der Ostkirche und den einheimischen Protestanten
geführt hatte, wurde nun auf eine plumpe, gewaltsame, aber farbige,
„verspielte“ und propagandistische Art und Weise immer weiter vertieft. Die
versinnlichte Lehre wurde in Jesuitentheatern auf eine frühe Art und Weise
massenmedial verbreitet. Der Glaube verkam unter der wachsenden und
schleichenden Herrschaft der Societas
Jesu über das Papsttum und die Bischofssitze, die Höfe, das Bildungswesen in
den Ländern und die Beichtstühle zum verbissenen machtpolitischen Ränkespiel
einerseits und zum spirituellen Budenzauber andererseits. Wie ein Nachtmar
hatte sich dieser Orden der Kirche und den Fürstenhöfen auf die Brust gesetzt
und ist seither nicht mehr abzuschütteln gewesen. Auch heute noch beherrscht
der Orden alle Schlüsselpositionen der Kirche offen und heimlich, inzwischen
sogar den Stuhl Petri und den Vorsitz der Glaubenskongregation („Hl.
Inquisition“) ganz ohne Maske. Es ist dies nicht ein Bruch mit Traditionen, wie
Traditionalisten mit Hysterie meinen, sondern das lange gehegte und erreichte
Ziel des Ordens, dessen Wiederzulassung doch gerade sie 1814 als „Segen“ und
als Sieg über die „Freimaurer“ auffassen…
Die Festlegung auf dem Trienter
Konzil auf die scholastische Lehre von der Transsubstantiation,
die man dem heiligen Thomas zuschrieb, war nicht der einzige, unverständliche
Fallstrick. Unverständlich blieb auch, inwiefern die Hl. Messe ein „wahres Opfer“ sein soll, wie das
Trienter Konzil es definierte, aber nicht erklärte. Wir kennen alle die Rede
vom „unblutigen Opfer“, das auf gar
keinen Fall eine Wiederholung des einmaligen Opfers auf Golgotha sein soll,
sondern nur dessen Evokation. Was soll aber ein evoziertes, also
„heraufbeschworenes“, modern gesprochen „gegenwärtig gesetztes“ „unblutiges Opfer“ sein, das dann doch
beansprucht, wesenhaft Fleisch und Blut, „sakamentales“ Fleisch und Blut, das
aber in diversen „Wundern“ (s.u.) dann doch ganz schnödes irdisches Fleisch
wird, auf den Altar zu „zaubern“? Man stellt sich vor, es werde hier aktuell
kein Leben mehr zerstört, aber man holt gewissermaßen das einmalige gewaltsame
Opfer Jesu entweder aus den Tiefen der Zeit oder aus dem Himmel[6]
auf den jeweiligen Altar, indem man Brot und Wein buchstäblich materiell —
nicht mehr nur geistig — umwandelt in geopfertes Fleisch und Blut. Die
Zeugnisse der ersten zwei Jahrhunderte kennen eine solche Lehre und Praxis
nicht, sondern die Brotsegnung und das Brotbrechen und sogenannte „Agapefeiern“, die ein vollständiges
Mahl mit integrierter Eucharistiefeier als „Brotbrechen“ gewesen sein dürften.[7]
Eine Lehre, wie sie im Staatskirchentum entstand, ist mehr als eigentümlich. In
verschiedenen, nachreformatorischen Opfertheorien versuchte man die Frage nach
dem Opfercharakter und eine Entfaltung der Sühneopfertheologie Anselms von
Canterbury (+ 1109) zu bearbeiten. Überzeugende Ergebnisse sind dabei nicht
zustande gekommen, eher Skizzen und torsohafte Versuche, die alle einen
philosophischen Haken haben.
Das Heidentum kennt vielfach
unblutige Opfer, v.a. als Brotopfer, aber auch Milchopfer. Aber es handelt sich
dabei nicht um ein „re-issue“ eines davor liegenden „Uropfers“. Wir kommen auf
die Frage der heidnischen „unblutigen
Opfer“ und Evokationen von „Uropfern“ später zurück. Ein „Speiseopfer“ und ein „Trankopfer“ kannte auch das
altisraelitische Opferpriestertum. Diese vegetabilen Opfer wurden nach dem
heutigen Stand der Wissenschaft nicht isoliert dargebracht, sondern als Beigabe
der Tieropfer (vgl. Num 15 + 28; Lev 2; Ez 45, 18ff). Das Brot sollte immer
ungesäuert, aber gesalzen sein. Das Trankopfer als „Libation“ sollte Wein sein. Das Speise- und Trankopfer war dem
biblischen Kontext nach v.a. als Spende an die Priesterkaste gedacht (Lev 2, 3),
vergleichbar vielleicht dem „Messstipendium“.[8]
Es ist philosophisch
unverständlich, inwiefern die Evokation, das Heraufbeschwören eines einmal
geschehenen und vollendeten (!)
Opfers („Es ist vollbracht“, sagte
der Herr und nicht „Dieser Zustand
hält an, bis ich komme“…) selbst wieder ein „wahres“
Opfer sein kann. Was soll, was kann hier geopfert werden, wenn es nicht das vollendete
Opfer selbst ist? Wenn es aber das vollendete Opfer selbst wäre, wäre es nicht
doch eine erneute Opferung des ehemaligen Opfers? Oder wird hier ein ganz
anderes Opfer zelebriert? In den modernen Texten des Vaticanum II haben wir
gesehen, dass die Kirche glaubt, sie selbst könne das einmal geschehene Opfer
darbringen und damit sich selbst: „…bringen
sie das göttliche Opferlamm Gott dar und sich selbst mit ihm…“. Solche
Aussagen findet man überall in modernen kirchlichen Verlautbarungen, aber was
soll das eigentlich heißen? Was soll das sein, dass „wir“ das „göttliche Opferlamm“ in einer Feier „Gott
darbringen“ und uns gleich noch mit dazu, dies aber iS eines „wahren Opfers“? Wie kann die Kirche das
Opfer, in dem Christus sich selbst dargebracht hat, erneut als bereits
getätigtes Opfer „darbringen“? Und
vor allem: warum sollte sie das tun? Niemand konnte mir diesen Gedanken
erklären. Christus hat sich selbst dargebracht. Wer sind wir, dass wir seine
Darbringung wiederum als „Opfer“ darbringen könnten? Kann man ein Opfer als
Opfer erneut opfern? Und vor allem:
ist es das, was er geboten hat, als er das letzte Abendmahl feierte? Man kann
eines Opfers gedenken, man kann es meinetwegen über-lebendig erinnern, aber
kann man es als bereits vollendetes Dargebrachtes immerfort wieder — wenn auch
„nur“ sakramental — „darbringen“? Es
wäre verständlich zu sagen, man beantworte das wunderbare Opfer, das Jesus
gebracht hat für uns, mit einem eigenen Opfer, so wie es auch im NT formuliert
wird, etwa mit „Dankopfer“, „Lobopfer“, „Demut“ oder Freigebigkeit gegenüber
den Armen. Meine Antwort auf eine Erlösung, die teuer erkauft wurde, kann doch
nur der tiefste und ergebenste Dank („eucharistia“) sein und eine Kehrtwende in
meinem Leben, um sich des Opfers als würdig zu erweisen, soweit es von meiner
Seite aus möglich ist.
Das Geopferte selbst aber kann ich
nicht „zurückspenden“ oder gar selber opfern. Selbst in irdischen relationen
kann ich einem, der mir ein Organ und damit das Leben spendet, niemals dieses
Organ zurückspenden. Das wäre unmöglich. Noch viel weniger kann niemand Jesus
Christus das, was er uns getan hat, als es selbst zurückspenden.
Es gehört Demut dazu, sich beschenken
zu lassen, ohne der Fiktion zu erliegen, man könne oder müsse das Geschenk
wieder zurückschenken.
In diesen Fragen kreisen seither
die Positionen.
Ich habe noch keinen Katholiken
kennengelernt, der diese Fragen beantworten könnte oder überhaupt ein genaueres
Verständnis dieser Opfertheologie hätte.
Vollends irritiert ist ein Christ,
wenn er dazu die eindringlichen Worte des Paulus an die Hebräer liest, die die
kirchlichen Lehren samt und sonders Lügen strafen und um ein weiteres Mal die
radikale Entsinnlichung der Dinge des Glaubens ausdrückt:
„24
Christus ist nicht in ein von Menschenhand gemachtes Heiligtum hineingegangen,
in ein Abbild des wirklichen, sondern in den Himmel selbst, um jetzt vor Gottes
Angesicht zu erscheinen für uns;
25 auch
nicht, um sich selbst viele Male zu opfern, wie der Hohepriester jedes Jahr mit
fremdem Blut in das Heiligtum hineingeht;
26 sonst
hätte er viele Male seit der Erschaffung der Welt leiden müssen. Jetzt aber ist
er am Ende der Zeiten ein einziges Mal erschienen, um durch sein Opfer die
Sünde zu tilgen.
27 Und
wie es dem Menschen bestimmt ist, ein einziges Mal zu sterben, worauf dann das
Gericht folgt,
28 so
wurde auch Christus ein einziges Mal geopfert, um die Sünden vieler
hinwegzunehmen; beim zweiten Mal wird er nicht wegen der Sünde erscheinen,
sondern um die zu retten, die ihn erwarten.“ (Hebr 9)
Lehren, die von einem eigenen
täglichen Sterben mit dem Messopfer sprechen, widersprechen diesem Text
ausdrücklich. Immer wieder geistert dies durch die Kirchen, etwa, wenn der
koptische Patriarch Tawadros II. in einer Rede an die Priester Johannes
Chrysostomus in Anknüpfung an eine Teilnahme am Kreuzesopfer, ja sogar eine
Identifizierung des Priesters mit Jesus als Opfer selbst, zitiert:
„Am Donnerstag, den 15. Februar, hat Papst
Tawadros in einer Feier zum Gedenken an die neuen koptischen Märtyrer den
heiligen Johannes Chrysostomus zitiert: „Der Märtyrer stirbt einmal für seinen HERRN, aber
der Hirte stirbt jeden Tag für die Herde des HERRN“.“[9]
Eine Gleichsetzung des Standes Jesu
als Hohepriester nach der Ordnung Melchisedeks und als Opfer, das sich selbst
opfert, mit dem sakralen Priestertum tritt auch hier deutlich zutage. Diese
Identifizierung ist in sich schlüssig, aber sie entbehrt jeglicher neutestamentlichen
Grundlage. Es gibt dort den Christus als wahren Hohepriester, aber kein
Opferpriestertum mehr! Woher kommt aber dann diese „Logik“?
Luthers berechtigte
Infragestellungen der theologischen Verengung, die er in seiner Schrift „De captivitate Babylonica ecclesiae“
von 1520 veröffentlichte, legen dem gelehrten Publikum seine Einwände dar. Man
muss dazu anmerken: zu dieser Zeit war die verengte und verfremdete katholische
Abendmahlslehre noch nicht dogmatisiert, lag aber offenkundig „in der Luft“. Er
rieb sich u.a. daran, dass man die Einsetzungsworte Jesu in ein philosophisches
Konzept zwängte, als sei letzteres fähig, ein echtes Mysterium zu beschreiben.
Luther steht mit dieser Kritik der ostkirchlichen Zurückhaltung mehr als nahe.
Wie sie besteht Luther darauf, dass man ein „mysterium“
ein Mysterium sein lassen muss, wenn man sich nicht in Blasphemien stürzen
will.
Luther klärt an dieser Stelle die
Frage, welchen Anhalt der Begriff des Mysteriums (oder Sakramentes) im
christlichen Kontext überhaupt haben kann, noch nicht. Es bleibt unklar, woher
dieser Begriff im Zusammenhang mit der Eucharistie überhaupt kommt und seit
wann er angewandt wird. Luther scheint hinsichtlich der Sakramentenlehre später
noch einen langen Weg gegangen zu sein und hat am Ende nur noch Christus selbst
als „mysterium“ anerkannt. In der
katholischen Theologie ist man heimlich zwar längst von der alten
Sakramententheologie abgekommen, weil sie sich, wie man verspätet erkennt, nur
sehr schwer aufgrund der neutestamentlichen und frühchristlichen Überlieferung
begründen lässt, hält sie aber andererseits, wie bereits erwähnt in der
Apologetik mit Zähnen und Klauen fest, weil ohne sie die Kirche sich sofort
auflösen müsste.[10]
[1]
Diese Richtung wird auch heute unverkürzt
vertreten und institutionell hoch belohnt. Etwa ist die Grundthese der Arbeit von
Karl-Heinz Menke: Sakramentalität. Wesen und Wunde des Katholizismus.
Regensburg 2012 alleine von dieser Absicht getragen zu zeigen, dass das
Wesensmerkmal des Katholischen in der vollständigen Durchdringung aller Lehen
und geistlichen Lebensvollzüge der Kirche diesen zeichenhaften Charakter des
Mysteriums haben. Menke wurde von Papst Franziskus nicht etwa wegen dieses
ultrakonservativen Ansatzes auf ein Abstellgleis gestellt, sondern 2014 in die
„Internationale Theologenkommission“ (Nomina di nuovi Membri e conferme nella
Commissione Teologica Internazionale in: Presseamt des Heiligen Stuhls,
Tägliches Bulletin vom 23. September 2014)
Ein anderes Beispiel ist von Joseph Schumacher: Die
Identität des Katholischen. Mainz 2016, ein Buch, das ebenfalls das Wesen des
katholischen in seiner institutionellen Verfasstheit, die dem „sakramentalen
Prinzip“ folgt, verwirklicht sieht.
Die Kirche realisiert in beiden Werken eine
„Zwischenwelt“, eine „Parallelwelt in der Welt“, die vorgibt, in genau dieser
Verfasstheit, die eine „sakramentale“ Welt ausdrücken könne, nicht von dieser
Welt zu sein.
[2] Karin
Lehmeier: Abendmahl. Das wissenschaftliche Portal der Deutschen
Bibelgesellschaft, 2017 https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/abendmahl-2/ch/938393ef0928d2e2d06e6f45e93e85ae/
(11.3.2018): „Das im privaten Rahmen
stattfindende Gastmahl ist vor allem durch eine klar geregelte soziale Stufung
der Teilnehmer und ihrer Plätze gekennzeichnet. In der Regel sind nur Männer
geladene Gäste. Der Gastgeber sorgt für die Speisen, bezeugt sind aber auch
Mahlzeiten (sog. eranoi), zu welchen alle Teilnehmer etwas beitragen (Schmitt-Pantel). Die
antike Literatur bezeugt breit die Ungleichbehandlung höher gestellter und
niedrig gestellter Männer beim Mahl.“
[3] Ma Nischtana HaLaila HaSe?
Nichtjuden am Sedertisch, anonym erschienener Artikel auf dem jüdischen
Online-Portal „Hagalil“: http://www.hagalil.com/judentum/feiertage/pessach/pesach/goyim.htm
(11.3.2018). Die strikte Bejahung jeglicher Person am Sedertisch wird in der
jüdischen Theologie dort folgendermaßen begründet: „Uns „erinnernd, dass es Pharao’s Tochter war, die das
im Nil ertrinkende Baby Moses rettete, schulden wir gerechten Nichtjuden Dank,
und dies im Besonderen während der Pessachzeit“. (Noam Zion).“ Also auch die Frau und der Heide nehmen teil, wenn sie
gerecht sind.
[4]
A.a.O.: „Als Hintergrund der Entstehung
des urchristlichen Abendmahls werden daneben (neben dem Pessachmahl, H.J.) die
Gemeinschaftsmähler der Therapeutinnen und Therapeuten herangezogen, einer in →
Ägypten lebenden asketischen jüdischen Gruppierung, die in sieben-wöchigem
Rhythmus ein Mahl (Pannychis) feierte, an welchem Männer und Frauen
teilnahmen.“
[5] Mit
den Worten „Ha Lachma anja“ („Seht
das Brot des Elends“) beginnt der Sederabend und damit das Pessachfest und lädt
alle Armen zum Mitessen ein. Die Juden deuten diese Tradition folgendermaßen: „Wir pflegen die Mazzot, das Proviant, das
das Volk beim Auszug aus Ägypten mitnahm, mit Freiheit und Befreiung zu
verbinden. Aber die Mazza symbolisiert auch die Speise der Sklaven und Armen,
des fremden Arbeiters. Der
Seder beginnt in Schande und endet in Lobpreis (Mischna Pessachim 10, 4)
– die Demütigung wird zur Freiheit und zum Gesang des Hallel.“ Erklärung
auf einem jüdischen Flugblatt zum Pessachfest: www.zwst-hadracha.de/cms/.../de.../Das%20ist%20das%20Brot%20des%20Elends.doc
(11.3.2018)
[6] „Und ich sah: Zwischen dem Thron und den
vier Lebewesen und mitten unter den Ältesten stand ein Lamm; es sah aus wie
geschlachtet und hatte sieben Hörner und sieben Augen; die Augen sind die
sieben Geister Gottes, die über die ganze Erde ausgesandt sind.“ (Apk 5, 6)
[7]
Beschreibungen davon finden sich in der Didache (60-65 n. Chr.), Kap. 9, 10,
14, bei Klaus Berger/Christiane Nord: Das Neue Testament und frühchristliche
Schriften, Frankfurt a. M. 2005, S. 307 ff. Ebenso im „Hirt des Hermas“, ebenda
ab S. 817. Die „Traditio Apostolica“ aus dem 3.-Ende des 4. Jh enthält
ebenfalls keine deutliche Messopfertheologie, sondern eine danksagende
Darbringung ohne „Wandlung“, aber Anklänge, die später in Zusammenhang mit
einer Wandlung der Gaben gebracht wurden. Geistepiklesen entwickelten sich erst
im syrischen Raum im 4. Jh. Vgl. dazu Helmut Hoping: Mein Leib für euch
gegeben. Theologie und Geschichte der Eucharistie. Freiburg 2015. S. 125 ff. Zu
den „Agapefeiern“ vgl. Anonym: „Einführung in Geschichte und Wesen der
Agapefeiern. Vortrag Regensburg 2006 (Kolpingfamilie) http://kolping-herzmarien.de/downloads/agapefeier.pdf
(abgerufen am 4.3.2018)
[8]
Ulrike Dahm: Opfer. 2006; Lexikoneintrag im Internetlexikon „Bibelwissenschaft“
der Deutschen Bibelgesellschaft, https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/opfer-at/ch/65856f9e669583b01dccb66d4f140690/,
(abgerufen am 15.2.2018)
[9]
Artikel „Koptischer Patriarch warnt Priester vor Vernachlässigung ihrer
Familien“ auf https://charismatismus.wordpress.com/?s=tawadros
am 18.2.2018
[10]
Hubertus Mynarek etwa beschreibt in seinem Buch „Herren und Knechte in der
Kirche“, Köln 1973, wie in der bischöflich geförderten akademischen Theologie
hinter verschlossener Tür die Sakramentenlehre bezweifelt wurde, S. 189f, nach
außen hin aber der schöne Schein aufrecht gehalten wurde. Er hielt Karl Rahner
SJ für den janusköpfigen Erfinder einer modernen Vertretung des
„geheimnisvollen Humanum“ und dessen Kirchenkonzept als einen „Anwalt des
unbegreiflichen Geheimnisses“, innerhalb dessen alleine die „letzten Dinge“
verwaltet und definiert werden könnten. Rahner habe ein „neues Zeitalter der
Geheimniskrämerei“ eröffnet. S. 207f. Es gibt keinerlei Grund, diese Aussagen
Mynareks, der als Theologieprofessor viele Jahre im katholischen akademischen
Milieu verbracht hat, zu bezweifeln, zumal sie die merkwürdig inkonsistente
Haltung vieler Bischöfe zu erklären vermögen.
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