Die sakramentale Anderwelt der Eucharistie (I)
I. Sakrale Riten als Medium
irdischer ständischer Machtgefüge
Aus der sehr alten Meinung, bei der
Abendmahlsfeier, die Jesus den Zwölfen am Abend vor seiner Hinrichtung geboten
hat, handle es sich um ein „Opfer“ (sacrificium),
ergeben sich alle Probleme der späteren Jahrhunderte. Diese Prämisse hat die
gesamte Kirche in ein unlösbares und weitverzweigtes gedankliches Dilemma
geführt und ist Ausdruck des verdorbenen Ackers.
Im NT findet sich tatsächlich keine
Stelle, die diese gebotene Feier als „Opfer“
kennzeichnet. Die entsprechenden Texte geben nicht im mindesten das her, was
die Kirche später hineingelesen hat. Die Rede Jesu, Brot und Wein seien sein
Fleisch und Blut, deuten selbst dann, wenn man glaubt, das sei buchstäblich
sein Fleisch und Blut, kein rituelles „Opfer“ an.
Ein guter Teil innerkirchlicher
Streitigkeiten besteht daher von alters her aus Ritenzerwürfnissen: inwiefern
ist das ein „Opfer“, ab wann werden die natürlichen Gaben zu Fleisch und Blut
und wer darf diese „Wandlung“ rituell
vollziehen oder herbeibitten. Andererseits muss man fragen, ob der Vorwurf, die
Liturgiereform 1970 habe ein „neues“ Verständnis der Eucharistie installiert,
der v.a. von Traditionalisten vertreten wird, sachlich überhaupt zutrifft.
Ich möchte mit der letzten
Auseinandersetzung unserer Tage beginnen und mich vorsichtig rückwärts durch
die Zeit arbeiten. Auf diese Weise hoffe ich, trotz der vorhandenen Verwirrung,
ein wenig Klarheit zu bekommen.
Der „novus ordo missae“ geht zurück auf Impulse aus der ökumenisch
ausgerichteten Liturgischen Bewegung der ersten Hälfte des 20. Jh und ihres
Haustheologen, Romano Guardini, und des Laacher Benediktiners Odo Casel OSB,
der in den 20er Jahren seine „Mysterientheologie“
entwickelte, die die Eucharistiefeier als eine Mysterienfeier im antiken Sinne
auffasste und deutete. Eine Beziehung zum alttestamentlichen Tempelkult wurde nicht hergestellt. In Maria Laach
wurden nach dem 1. Weltkrieg ab 1918 sogenannte „Gemeinschaftsmessen“ gefeiert, die dem heutigen „novus ordo missae“ sehr nahekommen,
aber immer noch stark an die überlieferte tridentinische „missa lecta“ gebunden waren. Sie stellen faktisch einen
Zwischenschritt zwischen dem „usus
antiquior“ und dem „novus ordo“
dar und wurden vom Vaticanum II als Impuls für eine liturgische Erneuerung
aufgefasst. Diese „Gemeinschaftsmessen“
waren zunächst seitens Roms nicht gern gesehen.
Mit dem Beginn des
Nationalsozialismus 1933 und nach dem Konkordat konnten sie sich im
deutschsprachigen Raum jedoch massiv durchsetzen. Die deutschen Bischöfe
erklärten 1936 in ihren „Richtlinien zur katholischen Seelsorge“, dass diese Messform sogar „für den Gottesdienst der Jugend
kirchenamtlich geboten“ sei.[1]
Es war schließlich der wegen seiner
teilweise dem NS-Staat huldigenden Haltung hochumstrittene Kardinal Bertram von
Breslau, der von Rom 1943 einen Indult für die Feier der Gemeinschaftsmesse
erhielt. Die verworrene Lage des Katholizismus während der 12 Jahre des
Nationalsozialismus gibt Fragen auf und lässt erahnen, dass manche Zuordnung,
die später vorgenommen wurde, anders gesehen werden müsste: die
Gemeinschaftsmesse gehört nicht etwa in einen „linken“ oder
„protestantisierenden“, „liberalen“ oder gar (marxistisch) „sozialistischen“,
sondern viel eher in einen ultramontanen, korporativ gedachten, faschistisch
ausgerichteten Kontext, wenngleich selbstverständlich nicht alle Verfechter
dieser Bewegung sich selbst dort verortet sehen wollten, so wie auch heute
viele Freunde des „novus ordo missae“
mit der Messreform von 1970 ganz andere ideologische Strukturen verwirklicht
glauben, als das in Wahrheit der Fall ist.
Oder anders gesagt: Die Frontlinien
der liturgischen Auseinandersetzung spiegeln nicht „traditionelle“ und
„protestantische“, nicht „rechte“ oder „linke“ Standpunkte, sondern gehören beide in dasselbe ständische Modell
von „Kirche“, das neuere aber führt das ältere in seiner merkwürdigen
Verklammerung eines „Sozialismus“ für die „Herde“ und eines knallharten
Neofeudalismus für die „Hierarchie“ auf eine ebenso graue wie schillernde
Spitze. Das erste beließ den Laien-Gläubigen (noch) in indivualisierter
Andacht, das zweite aber fordert ihm gleichgeschaltetes und reguliertes Mittun
ab. Durch einen zugelassenen Wildwuchs werden die Menschen im Glauben gelassen,
sie hätten hier einige Freiheiten, die sie vorher nicht hatten. Ich werde
zeigen, dass das eine Täuschung ist.
Mir ist bewusst, dass diese These
viele überraschen, vielleicht ärgern wird.
Am nächsten kommt der Wahrheit wohl
— gegen den Strich verstanden — Joseph Ratzinger, Benedikt XVI., mit seiner
Meinung, es sei kein wesentlicher Unterschied zwischen der älteren und der
neueren Liturgie. Viele der Kontrahenten auf beiden Seiten haben Anstoß
genommen an dieser Sicht in seinem Motu proprio „Summorum pontificum“ von 2007 und dem Begleitschreiben an die
Bischöfe. Die Kirche kann naturgemäß, wenn man unterstellt, sie müsse überhaupt
so etwas wie eine Liturgie bzw. einen Kult haben, nur eine Liturgie, nur einen
Kult haben, und niemand kann im Ernst glauben, dass sie, nachdem sie dies einmal so
felsenfest und aggressiv etabliert hat, dieses Markenzeichen ihrer Macht einfach
aufgäbe! Dieser Kult ist konstitutiv für das gesamte Kirchenbild, das sich seit
der konstantinischen Wende immer weiter verfestigt und durchgesetzt hat. Das
Machtinteresse der Kirchenmänner wird jeglichen liturgischen oder kultischen
Bruch verhindern. Es geht um nichts Geringeres als den selbstreferentiellen
Anspruch, sie seien ein „alter Christus“, ein „anderer (zweiter) Christus“, ihm
wesenhaft näher und ihn mehr abbildend als jeder andere Gläubige. Die Weihe
präge ihnen ein „Wesensmarkmal“ auf,
das allen anderen fehlt. Sie wiegeln zwar stets ab, dass sie sich damit über
alle anderen stellen und betonen ihre Gleichheit mit dem Volk, aber sie lügen
uns an: das Sakrament der Weihe meint objektiv eine substanzielle Erhöhung der
Priester über die anderen und schreibt dem Priester das Wesen Jesu mehr zu als
anderen Christen. Aber auch die kirchlichen Schreiben zeigen eindeutig, dass es
so ist, wie ich es sage (s.u.). Man sagt uns, Jesus habe das so gestiftet. Wer
aber das NT danach durchsucht, findet nirgends etwas von einer solchen
theokratisch-korporativen Stiftung.
Ob der Gläubige möglicherweise
spürt, dass hier geistliche Unstimmigkeiten im Raum stehen, ob er vielleicht
ahnt, dass das alles nicht zu Jesus Christus passt, ist eine andere Frage als
die, ob die Kirche einen „Bruch“ vollzogen habe. Ich sehe keinen Bruch, und
werde das erklären. Die heutigen Änderungen bedeuten nicht zwingend einen Bruch,
sondern sind eher bestürzende Zuspitzungen dessen, was bereits keimhaft
angelegt war.
Der „novus ordo missae“ ist nach dieser „Logik“ eine Entfaltung dessen,
was in der Messe Pius V. bereits begonnen hatte. Nicht von Ungefähr kommt es,
dass sowohl Pius V. nach dem Trienter Konzil im 16. Jh, als auch 400 Jahre
später Paul VI. nach dem Vaticanum II behauptet haben, sie hätten auf die
ältesten liturgischen Vorlagen der Kirche zurückgegriffen. Wenn das wahr wäre,
müsste man zurückfragen, was das für Vorlagen gewesen sind.[2]
In beiden Fällen aber führten diese ältesten Vorlagen zu einer Messreform und
können, vorausgesetzt es handelt sich um dieselben Quellen und vorausgesetzt,
sie sind sorgfältig berücksichtigt worden, nicht zu einem konträren Ergebnis geführt
haben, auch wenn es manchen so erscheint und darum eine erbitterte und
zerstörerische Debatte geführt wird, die maßgeblich durch die Anhänger
Erzbischof Marcel Lefebvres (+) und dessen Priesterbruderschaft des hl. Pius X.
(FSSPX), Sedisvakantisten und Altrituelle innerhalb der „Amtskirche“ am Leben
erhalten wird.
Doch zunächst schauen wir an, was
die „Gemeinschaftsmesse“ nach dem
einfachen Verständnis vieler sein wollte:
Die Gemeinde sollte wieder — nach
der jahrhundertelangen, wachsenden Verdrängung der Gläubigen in die
indivualisierte Andacht und eine handgreifliche Scheidung zwischen „Hierarchie“
(„heiliger Rangordnung“) und „Herde“ — in das vorausgesetzte „mystische“ Geschehen am Altar als „tätige
Teilhaberin“ einbezogen werden. Die Verdrängung der Gläubigen aus dem Geschehen
der Messfeier war mit der forcierten ständischen Trennung von Klerus und Laien,
aber auch mit der Modifikation des christlichen Gottesdienstes in alter Zeit
geschehen. Eine „Schere“, wie man modern sagt, war immer weiter „aufgegangen“. Die
Laien wünschten, in Zukunft wieder ihren vermeintlich „urchristlichen“ Platz
als „Mysthen“ in der Zelebration des „Pascha-Mysteriums“
zu „zurückzuerhalten“.
Ob allerdings die seitens der
Hierarchie gewollten liturgischen Reformbewegungen an der Beseitigung dieses
ständischen Missstandes interessiert waren, kann man bezweifeln.
Zunächst ist Vorsicht geboten mit jeglicher
Euphorie bezüglich des Begriffes der „participatio
actuosa“ (tätige Teilnahme) des Laien am Messgeschehen. Der Begriff taucht amtlich
erstmalig in einem Motu proprio Pius
X. 1903 auf: „Tra le sollicitudini“.
Häufig wird eine Verbindungslinie zwischen Pius X. und der liturgischen
Bewegung mit ihren gemeinschaftlichen Anliegen gezogen. Sein Ansatzpunkt
scheint der liturgischen Erneuerungsbewegung, die im 19. Jh von Dom Guéranger
und Solemnes und dem Cäcilianismus ausging, nahezustehen: Entrümpelung aller in
die Messe hineingewachsenen Aktionen und Motive seitens der Völker und ihrer
kulturellen Eigenheiten, Rückkehr zur Gregorianik und die Restauration des
Lateinischen als alleiniger Liturgiesprache, der Rauswurf aller instrumentalen
und modernen harmonischen Kompositionstechniken und die Rückkehr zu den „Alten“,
worunter er Palestrina versteht und die radikale Verbannung sämtlicher
volkssprachlicher Elemente, selbst der jahrhundertealten deutschen Messgesänge,
die niemals ein Problem waren oder verboten worden wären.[3]
Pius X. untersagte jegliche
volkssprachliche liturgische Äußerung, obwohl dies seit dem Ende des 16. Jh in
der deutschsprachigen Kirche überall üblich und kirchlich auch erlaubt war,
schloss Frauen kategorisch aus dem Gesang aus, weil das angeblich „alter
Brauch“ sei, schloss jegliches Instrumentalspiel (ausgenommen die Orgel) aus,
obwohl in Italien und Österreich Instrumental- und Orchestermessen von allen
bedeutenden Tonsetzern, aber auch in den Klöstern, auch den Frauenklöstern (wie
in dem „Musik“-Kloster Nonnberg bei Salzburg), seit Jahrhunderten nicht nur in
großer Zahl komponiert, sondern auch kirchlicherseits gerne zelebriert wurden,
und forderte ein rigoroses ständisches Modell für den Gottesdienst, das die
erhöhte Priesterkaste von den Laien abgrenzte und letzteren eine faktisch
vollkommen passive, akklamierende Rolle zuordnete, die irreführend als „participatio actuosa“ benannt wurde. Ihre
„Teilhabe“ bestand in einer künftig bewussteren, kollektiven kultischen
Formung, um danach im Alltag als „Gesendete“ der Hierarchie deren Vorgaben in
Familie, Politik und Gesellschaft zu erfüllen. Im Rahmen eines ständischen Modells
fiel den Laien die Aktion zu, dem zu huldigen und sich dem zu ergeben, was die Führerkaste
ihnen vorgab. Eine „aktive Teilhabe“
im egalitären Sinne war bei Pius X. jedenfalls
nicht gemeint.
Davon kann — anders als es viele
glauben — auch nach dem Vaticanum II keinerlei Rede sein, das ausdrücklich weiterhin
ein ständisches Modell vertritt, dies aber hinter salbungsvollen Worten
verbirgt. Das Vaticanum II verstärkt mehr als jedes Konzil zuvor das klassische
„suum cuique“ („Jedem das Seine“), obwohl
es im 20. Jh in der Kirche und in der Politik zu schaurig-zynischer Bedeutung gelangt
war[4]:
„In
der Teilnahme am eucharistischen Opfer, der Quelle und dem Höhepunkt des ganzen
christlichen Lebens, bringen sie das göttliche Opferlamm Gott dar und sich
selbst mit ihm; so übernehmen alle bei der liturgischen Handlung ihren je
eigenen Teil, sowohl in der Darbringung wie in der heiligen Kommunion, nicht unterschiedslos, sondern jeder auf
seine Art. Durch den Leib Christi in der heiligen Eucharistiefeier gestärkt,
stellen sie sodann die Einheit des Volkes Gottes, die durch dieses hocherhabene
Sakrament sinnvoll bezeichnet und wunderbar bewirkt wird, auf anschauliche
Weise dar.“[5]
Die Eucharistiefeier ist eben nicht
nur allgemeiner Ausdruck der Gemeinschaft aller Gläubigen, sondern drückt
dieser Gemeinschaft einen feudalistischen oder pseudofeudalistischen Stempel
auf: Hier agieren Herren und Knechte, auch wenn sie alle dasselbe Brot essen —
es ist ganz klar, wer das Brot „herstellt“ („wandelt“), deshalb auch verwaltet
und verteilt. Es geht nicht um eine Vielfalt der Gleichen, sondern um Oben und
Unten, um Hoch und Niedrig, um „mehr-gottabbildend“ und um
„weniger-gottabbildend“.
Es ist angesichts der Tatsache,
dass im Vaticanum II entgegen allen Hoffnungen, die auch die Liturgische
Bewegung beflügelt haben mögen, unbeirrt das ständische Modell vertreten wurde,
fraglich, ob die Liturgische Bewegung diesen Begriff der „participatio actuosa“, die Vorgabe Pius X. verfremdend, nicht
irrtümlich „demokratisch“ auffasste. Anders: Man beließ die Laien in einer
falschen Hoffnung auf Reform und nutzte ihr Engagement dazu, ein theoretisch noch
rigideres Modell ins Werk zu setzen als das, das sie für reformbedürftig
hielten.
Joseph Ratzinger schreibt, der „’Kult’, in seiner wahren Weite und Tiefe
verstanden“, reiche hinaus über die „liturgische
Aktion“. Die „participatio actuosa“
meint also nicht das bloße „aktive“ Mittun während der Messe in Form von
Lektoren-, Kommunionhelfer- oder sonstigen Diensten, sondern eine totale
Formung des Gläubigen durch die Hierarchie, um dadurch im Auftrag der Führer
zum Zwecke einer bestimmten Repräsentanz der Hierarchie in den Bereichen des
gesellschaftlichen Lebens Geltung zu verschaffen, auf die sie naturgemäß
weniger Zugriff hätten.
„Er
(der Kult, Anm. HJ) umfasst letztendlich die Ordnung des ganzen menschlichen
Lebens. (…) Anbetung, die richtige Weise des Kultes, der Gottesbeziehung, ist
konstitutiv für die rechte menschliche Existenz in der Welt; sie ist es gerade
dadurch, daß sie über das Leben im Alltag hinausreicht…“[6]
Ratzinger will genau dies im
Gegensatz zum „Götzendienst“ sehen, der die kultische Gemeinde „innerweltlichen Mächten und Werten“
zuwende und damit die „Freiheit“ zum
Verfall bringe.[7]
Nun ist aber schon hier zu fragen,
ob er damit das Selbstverständnis der „Götzendiener“ überhaupt richtig
referiert oder nicht vielmehr in seinem Sinne beurteilt, und ob sich der
kirchliche „Kult“, unvoreingenommen und nüchtern betrachtet, wirklich so
essentiell von dem der „Götzendiener“ unterscheidet oder ihm nicht sogar
erschreckend ähnlich ist.
Dass man das Amt der Laien
keineswegs als ein eigenständiges, selbstverantwortetes Amt auffasst, sondern
als einen verlängerten Arm der Hierarchie in alle Winkel des gesellschaftlichen
Lebens hinein, belegt auch später die dogmatische Konstitution „Lumen gentium“ des Vaticanum II von 1964.
Viel Raum nimmt darin die Erklärung ein, dass sich die Kirche überall
ausbreiten müsse und die ganze Menschheit unter einen Hirten zu bringen habe:
„Zum
neuen Gottesvolk werden alle Menschen gerufen. Darum muß dieses Volk eines und
ein einziges bleiben und sich über die ganze Welt und durch alle Zeiten hin
ausbreiten. So soll sich das Ziel des Willens Gottes erfüllen, der das
Menschengeschlecht am Anfang als eines gegründet und beschlossen hat, seine
Kinder aus der Zerstreuung wieder zur Einheit zu versammeln (vgl. Joh 11,52) (…)“[8]
Man kommt nicht umhin, sich hier an
frühe Worte aus der Genesis erinnert zu fühlen, an die Erzählung des Turmbaus
zu Babel:
„3 Sie
sagten zueinander: Auf, formen wir Lehmziegel und brennen wir sie zu
Backsteinen. So dienten ihnen gebrannte Ziegel als Steine und Erdpech als
Mörtel.
4 Dann
sagten sie: Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis
in den Himmel! So wollen wir uns einen Namen machen, damit wir uns nicht über
die ganze Erde zerstreuen.
5 Da
stieg der HERR herab, um sich Stadt und Turm anzusehen, die die Menschenkinder
bauten.
6 Und
der HERR sprach: Siehe, ein Volk sind sie und eine Sprache haben sie alle. Und das
ist erst der Anfang ihres Tuns. Jetzt wird ihnen nichts mehr unerreichbar sein,
wenn sie es sich zu tun vornehmen.
7 Auf,
steigen wir hinab und verwirren wir dort ihre Sprache, sodass keiner mehr die
Sprache des anderen versteht.
8 Der
HERR zerstreute sie von dort aus über die ganze Erde und sie hörten auf, an der
Stadt zu bauen.
9 Darum
gab man der Stadt den Namen Babel, Wirrsal, denn dort hat der HERR die Sprache
der ganzen Erde verwirrt und von dort aus hat er die Menschen über die ganze
Erde zerstreut.“ (Gen 11)
In der ganzen Heiligen Schrift
finden wir nicht einen einzigen Hinweis darauf, dass das „Menschengeschlecht“
in diesem Äon wieder politisch und religiös eins werden soll. Das
Pfingstereignis hat für die Christgläubigen die Verwirrung der Sprachen für
einen heiligen Moment der „Vorausschau“ aufgehoben, aber, wie wir wissen, nicht
bleibend. Christen sind nach wie vor in Nationen geteilt und müssen mühsam
fremde Sprachen lernen. Die kommende und perfekte Einheit von Menschen in
Christus ist ausgelagert auf das Himmlische Jerusalem. In diesem Äon wird
Unkraut neben Weizen, Bock neben Schaf aufwachsen, wie vielfach bezeugt wird. Erst
beim Jüngsten Gericht werden sie voneinander endgültig geschieden. Diese
Einheit eines Teils des Menschengeschlechtes mit ihrem Herrn wird nicht alle Menschen umschließen. Auch das ist
eindeutig und häufig im NT ausgesagt. Es geht also nicht primär um die Einheit
des Menschengeschlechtes, sondern um die Einheit der wahren Kinder Gottes mit
dem Herrn!
Warum lehrt die Kirche hier eine
abweichende Lehre?
Wie stellt sich die Kirche diese irdische
Welteinheit vor?
Dies geschieht auf gar keinen Fall
„demokratisch“, sondern in demselben ständischen Sinn, der schon zuvor
dogmatisch festgelegt worden war:
„Diese
Heilige Synode setzt den Weg des ersten Vatikanischen Konzils fort und lehrt
und erklärt feierlich mit ihm, daß der ewige Hirt Jesus Christus die heilige
Kirche gebaut hat, indem er die Apostel sandte wie er selbst gesandt war vom
Vater (vgl. Joh 20,21). Er
wollte, daß deren Nachfolger, das heißt die Bischöfe, in seiner Kirche bis zur
Vollendung der Weltzeit Hirten sein sollten. Damit aber der Episkopat selbst
einer und ungeteilt sei, hat er den heiligen Petrus an die Spitze der übrigen
Apostel gestellt und in ihm ein immerwährendes und sichtbares Prinzip und
Fundament der Glaubenseinheit und der Gemeinschaft eingesetzt.“[9]
Diese „feierliche Erklärung“ des
Dogmas von 1870 kommt einer bestätigenden Verdoppelung der Papstdogmen gleich,
eine Aussage, die das Vaticanum II mW keinem anderen Dogma angedeihen ließ.
In langen Kapiteln wird
anschließend die Machtstellung der Bischöfe dargelegt. Zu guter Letzt erwähnt
die Konstitution auch die Rolle der Laien. Und hier tritt uns wieder das „Jedem das Seine“ entgegen:
„Die
geweihten Hirten wissen sehr gut, wieviel die Laien zum Wohl der ganzen Kirche
beitragen. Sie wissen ja, daß sie von Christus nicht bestellt sind, um die
ganze Heilsmission der Kirche an der Welt allein auf sich zu nehmen, sondern
daß es ihre vornehmliche Aufgabe ist, die Gläubigen so als Hirten zu führen und
ihre Dienstleistungen und Charismen so zu prüfen, daß alle in ihrer Weise zum gemeinsamen Werk einmütig zusammenarbeiten.“[10]
Dieser Passus drückt entweder ein
neofeudalistisches oder geradezu klassisch ein korporativ-faschistisches
Ständemodell aus, und es wundert mich, dass das so gar niemandem auffallen
wollte. Wie konnte man an einen „Geist
des Konzils“ glauben und übersehen, dass dieses Konzil an den
entscheidenden Punkten, den quälend empfundenen Weg der „Kirche“ noch fester
vertäute, als dies zuvor der Fall war.
Die Unterordnung der Laien unter
die Führer-Vorgaben der Hirten wird — unter erneuter, herablassender Behauptung
des „suum cuique“ — mehrfach und
unbeirrt wiederholt, etwa hier:
„Der Unterschied, den der Herr zwischen den
geweihten Amtsträgern und dem übrigen Gottesvolk gesetzt hat, schließt eine
Verbundenheit ein, da ja die Hirten und die anderen Gläubigen in enger
Beziehung miteinander verbunden sind. Die Hirten der Kirche sollen nach dem
Beispiel des Herrn einander und den übrigen Gläubigen dienen, diese aber sollen
voll Eifer mit den Hirten und Lehrern eng zusammenarbeiten. So geben alle in
der Verschiedenheit Zeugnis von der wunderbaren Einheit im Leibe Christi: denn
gerade die Vielfalt der Gnadengaben, Dienstleistungen und Tätigkeiten vereint
die Kinder Gottes, weil "dies alles der eine und gleiche Geist wirkt"
(1 Kor 12,11).“[11]
Man möge mir verzeihen, aber die
Parole „Ein Volk - ein Reich - ein Führer“ ist diesem so ungeschminkt
verweltlichten kirchlichen Modell keineswegs unähnlich. Und selbstverständlich
verschanzt man sich hinter der Schutzbehauptung, die Oberen innerhalb der
„Heiligen Rangordnung“ („Hierarchie“) seien „Brüder“ und „Diener“, aber weder
formell noch strukturell noch jurisdiktionell sind sie es: sie sind samt und
sonders Herren, und es ist eine Konstante der Menschheitsgeschichte, dass
Herren niemals freiwillig zu Dienern werden und ihre Privilegien und
Machtbefugnisse aufgeben. „Die Brüder“ und „Diener“ haben selbst diese anscheinend
so egalitären Titel zu Herrschaftstiteln umgemünzt: nur der Papst darf sich „servus servorum Dei“ nennen seit den
Tagen des Mittelalters. Ein Laie darf sich nicht „Diener“ nennen. Laien sind vielmehr
die Leibeigenen der „Diener“…
Und als ob es damit noch nicht
genug wäre mit der Betonung der Knechtschaft der Laien um der Sammlung unter
einem irdischen Hirten willen, geht es in diesem Stil noch autoritärer und
anmaßender weiter. Man muss sich vor Augen halten, dass die, die solches
prä-dogmatisch„definieren“, sich dreist selbst diese Autorität zusprechen und
den anderen huldvoll Unterwerfung und die Rolle als Erfüllungsgehilfen „höherer
Interessen“ zuweisen. Der Laie soll Dachshund in den Erdwinkeln sein, an die
der Arm der Geweihten nicht hinreicht:
Wie
die Laien aus Gottes Herablassung Christus zum Bruder haben, der, obwohl aller
Herr, doch gekommen ist, nicht um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen
(vgl. Mt 20,28), so haben sie auch die geweihten Amtsträger zu Brüdern, die in
Christi Autorität die Familie Gottes
durch Lehre, Heiligung und Leitung
so weiden, daß das neue Gebot der Liebe von allen erfüllt wird. Daher sagt der
heilige Augustinus sehr schön: "Wo mich erschreckt, was ich für euch bin,
da tröstet mich, was ich mit euch bin. Für euch bin ich Bischof, mit euch bin
ich Christ. Jenes bezeichnet das Amt, dieses die Gnade, jenes die Gefahr,
dieses das Heil." (…)[12]
„Der
Apostolat der Laien ist Teilnahme an der Heilssendung der Kirche selbst.“ (…) Die Laien sind besonders dazu berufen, die
Kirche an jenen Stellen und in den Verhältnissen anwesend und wirksam zu
machen, wo die Kirche nur durch sie das Salz der Erde werden kann. So ist jeder Laie kraft der ihm
geschenkten Gaben zugleich Zeuge und
lebendiges Werkzeug der Sendung der Kirche… (…) Außer diesem Apostolat, das
schlechthin alle Christgläubigen angeht, können die Laien darüber hinaus in
verschiedener Weise zu unmittelbarerer Mitarbeit mit dem Apostolat der
Hierarchie berufen werden. (…) Außerdem haben sie die Befähigung dazu, von der Hierarchie zu gewissen kirchlichen
Ämtern herangezogen zu werden, die geistlichen Zielen dienen.“[13]
So kann man es auch ausdrücken: Der
Sklave hat die „Befähigung“, zu
gewissen Ämtern „herangezogen zu werden“.
Solche Passagen entbehren nicht eines gewissen Zynismus, aber auch das ist
scheinbar unbemerkt geblieben.
Der Fall ist eindeutig: alle
nachkonziliaren Träume von einer Demokratisierung oder einer
Re-Spiritualisierung der geistlichen Aufgaben finden sich nicht nur nicht in
diesem Dokument, sondern sie sind ausdrücklich ausgeschlossen. Der Laie ist die
Infanterie, das Kanonenfutter der Hierarchie im Kampf um die Weltherrschaft. Und
wenn der Hl. Geist einen Laien etwa besonders befähigt, wird er an der
erwähnten „Prüfung“ durch einen Hierarchen nicht vorbeikommen. Weist die
Hierarchie den frei wirkenden Hl. Geist ab, hat er keineswegs die größere
Autorität über die menschlich-hierarchische, sondern muss ihr weichen. Ist es
das, was Christus „gestiftet“ hat?
Die Marschrichtung ist, wie gesagt,
hierarchisch, ständisch, konzeptionell faschistisch: eine selbsternannte Elite,
die ihre ökonomischen, politischen und geistlichen Kräfte bündelt, sammelt
durch ihr providentielles, quasigöttliches Anführertum die „Gaben“, gerne auch
das Geld der Laien, über die sie der Form und dem Inhalt nach und hinsichtlich
jeder einzelnen Person („suum cuique“)
bestimmt, in ihr „Liktorenbündel“, um
am Ende eine Weltherrschaft der Kirche zu erreichen, die als Ziel der Sendung
der Kirche behauptet wird. Es wird eine primitive Gleichung aufgestellt: Was
Gott will ist immer das, was die Hierarchie will.
Seit 500 Jahren ergab sich durch
den vermessenen Versuch alchemistischer und astrologischer Wirrköpfe, bestimmen
zu wollen, wie die Gestalt der Erde ausschaut und inwiefern sie damit auch
abgeschlossen und begrenzt ist, für die nachreformatorische Machtkirche ein
perfekter Anhaltspunkt, die Welt als Ganze in den Griff zu bekommen und zu
beherrschen. Die Kirche in der Auseinandersetzung mit Galilei warf ihm nicht
vor, dass er von der Lehre des AT abging, sondern dass er keine Beweise
geliefert habe für die ansonsten doch sehr willkommene Sichtweise, die er
verkündete. Selbstverständlich geschieht dieses machttaktische Vorgehen der
Kirche unter der weiteren Schutzbehauptung, auf diese Weise versammle man die
ganze Menschheit unter dem einen Hirten Christus… Die Möglichkeit, dass ein
Laie von Christus bzw dem Heiligen Geist anders instruiert werden könnte, als
es der Hierarchie gefällt, ist ausgeschlossen. Die Perspektive des NT, dass
diese Welt einem Ende mit Schrecken entgegen geht und ein perverser Abfall von
Gott innerhalb der Kirche vor sich
gehen wird, blendet die Kirche vollständig aus in diesen Texten, auch wenn sie
parallel dazu nach wie vor die Wiederkunft Jesu bekennt, die die Herrschaft des
Antichristen beenden wird. Der große Abfall geschieht nicht ohne Christus,
sondern er reißt ein Christus-Konstrukt mit sich. Ein solches
Christus-Konstrukt mit großen Schwung also umklammernd erscheint ein solcher
Abfall womöglich als Aufbruch, Erneuerung oder „Erweckungsbewegung“. Wir
befinden uns, wenn wir nicht ganz genau prüfen, in einem Spiegelkabinett.
Genau diese Marschrichtung, die die
Kirche seit mindestens 500 Jahren verfolgt, sollte in einer dementsprechend
reformierten Liturgie noch stärker Ausdruck finden als in der erstmalig stark
zentralisierten Liturgie Pius V. aus dem 16. Jh. Dass dabei selbstverständlich
die Frau grundsätzlich im Rang der „Geführten“ und des „Handlangers“ für die
hohen Herren sein muss, wird weiterhin bekräftigt. In einer heidnisch gefärbten
„Abbildideologie“ kann sie Gott nicht abbilden und darum auch niemals Priester
sein. Man kann in postmodernen theologischen Bestsellern genau diese alte
Ideologie in Reinform lesen. So verweist Klaus Berger in seinem Buch „Die
Urchristen“, das so etwas wie eine Apologetik des Ständemodells trotz anderer
wissenschafticher Erkenntnisse darstellt, auf die frühen
„schöpfungstheologischen“ Überlegungen der Kirchenväter, die auf Paulus
zurückgehen sollen. Demnach gibt es den Schöpfungsbericht in Gen 1 und den in
Gen 2. Es ist geradezu ein Hohn, wenn Berger behauptet, man müsse mit den
frühen Vätern den Menschen, den Gott in Gen 1 schafft, „christologisch“ verstehen, also in dem Sinne, dass hier eigentlich
nur der eine Christus benannt werde. Im zweiten Bericht in Gen 2 erschafft Gott die
Frau aus der Rippe Adams. Und darum bilde vorrangig der Mann Gott ab. Nur einer der beiden Menschen also kann Christus abbilden? Nun
unterschlägt Berger ebenso wie die frühen Väter, dass im Bericht in Gen 1
ausdrücklich steht, Gott habe den Menschen zu seinem Abbild geschaffen, und
dies „männlich und weiblich“ (Gen 1,
26 ff). Gerade die Stelle in Gen 1 gibt keinerlei Hinweis auf einen seinshaften
Vorrang des männlichen Wesens. Es gibt in dieser Stelle nicht einmal ein
spezielles männliches Wesen. Es gibt den „Adam“ (hebr. "Mensch"), als ein Wesen in zwei Gestalten, „männlich und weiblich“. Diese Beschreibung in Gen 1 wird übrigens wortgleich in Gen 5, 1 f wiederholt: "Am Tag, da Gott den Menschen erschuf, machte er ihn Gott ähnlich. Als Mann und als Frau erschuf er sie, er segnete sie und nannte sie Mensch an dem Tag, da sie erschaffen wurden." Auch diese Stelle gibt keinerlei Rangfolge zu erkennen, was die Ebenbildlichkeit betrifft! In Gen 2 dagegen, wo der genaueren Umstände der Erschaffung erzählt werden, ist an keiner Stelle von Ebenbildlichkeit die Rede, will hier also nicht auch nicht thematisiert werden. Es ist geradezu abenteuerlich, aus Gen 2 rückzuschließen, dass das, was Gen 1 und Gen 5 aussagen, nicht wahr sei.
Beide bzw alle drei Genesisberichte weisen keinerlei Darstellung einer Rangfolge oder verschiedener Wesen auf, sondern eines Wesens in zwei Gestalten. Dennoch behauptet Berger mit Verweis auf die alte Schriftverzerrung, die er auch bei Paulus erblicken will: „In einer solchen Lektüre Gen 1—2 liegt daher der Schlüssel dafür, dass Jesus Christus nicht durch eine Frau repräsentiert werden kann, sondern nur durch einen Mann. (…) Eine Frau kann Christus nicht direkt repräsentieren.“[14] Berger beeilt sich zu betonen, dass das natürlich keine „bewusste Diskriminierung“ der Frau bedeute, sondern sich schlicht aus Gen 1 ergebe. Liest man aber Gen 1, steht dort das Gegenteil.
Beide bzw alle drei Genesisberichte weisen keinerlei Darstellung einer Rangfolge oder verschiedener Wesen auf, sondern eines Wesens in zwei Gestalten. Dennoch behauptet Berger mit Verweis auf die alte Schriftverzerrung, die er auch bei Paulus erblicken will: „In einer solchen Lektüre Gen 1—2 liegt daher der Schlüssel dafür, dass Jesus Christus nicht durch eine Frau repräsentiert werden kann, sondern nur durch einen Mann. (…) Eine Frau kann Christus nicht direkt repräsentieren.“[14] Berger beeilt sich zu betonen, dass das natürlich keine „bewusste Diskriminierung“ der Frau bedeute, sondern sich schlicht aus Gen 1 ergebe. Liest man aber Gen 1, steht dort das Gegenteil.
Ob es im NT überhaupt um so etwas
wie „repraesentatio Christi“ in
diesem kultischen Sinne geht, wurde oft und mit vielen Argumenten bezweifelt,
die man nicht einfach vom Tisch wischen kann. Eine sehr gründliche und
kenntnisreiche, intelligente Studie über die Zuspitzung der
Repraesentatio-Ideologie in der römisch-katholischen Kirche verfasste der
evangelische Theologe Per Erik Persson 1961 — also noch vor dem Vaticanum II.
Er kommt zu dem Schluss, dass das Konzept einer vermittelten Gnade in
Sakramenten zwingend zu einer Überspannung des Repraesentatio-Gedankens kommen
muss. Das Konzept von „Gnade“ und „Verdienst“ erfordert eine immer
schärfere Trennung dessen, was gnadenhaft und was verdienstlich ist. Es ist
dieses Konzept, was in der Trennung von Amtsträgern und Laien abgebildet wird. Wenn
die sichtbare, institutionelle Kirche der „fortlebende
Christus“ sein soll, eine „Verlängerung
dessen, was mit der Inkarnation begann“, dann bedarf es tatsächlich einer
Repräsentation. Persson zeigt anhand vatikanischer Quellen auf, dass dabei dem
Weiheträger eine repraesentatio in zwei Richtungen zukommt. Er repräsentiert
sowohl Christus als auch das Volk. Die repraesentatio schafft damit einen
halbgöttlichen Zwischenstand.[15]
Die verbissene Zuspitzung dieses Modells schreibt er der antiprotestantischen
Ambition der katholischen Theologie nach der Reformation zu. Er erblickt im
Jahr 1961 auf katholischer Seite ebenso eine Lockerung dieser Verkrampfung,
auch die Bereitschaft, überhaupt von den Laien und ihren Aufgaben zu sprechen,
aber er sieht klar, dass das niemals zu einer Verwischung der Grenze zwischen
Hierarchie und Laien führen wird, wenn die katholische Kirche sich nicht selbst
auflösen will. Er zeigt auf, dass die Hierarchie dem Laien der Rede nach Anteil
an der prophetischen, könglichen und priesterlichen Funktion zubilligt, dies
aber nur um den Preis größerer Unterordnung als bisher. Er analysiert eingehend
Lehrschreiben Pius XII. und kommt zu dem Schluss:
„Eine
von Laien selbständig betriebene Theologie, die dem Lehramt der Kirche bei- und
nicht untergeordnet wäre und von ihr nicht kontrolliert würde, ist eine absolut
undenkbare Möglichkeit. Pius XII. betont (…) mit Nachdruck, (…) daß (…) die
Unterordnung jeder Art von Laienapostolat unter die göttlich eingesetzte
Hierarchie als Selbstverständlichkeit zu betrachten sei. (…) Je intensiver der
Laie an der Sendung und Aufgabe der Kirche teilnimmt, desto größer und
intensiver wird seine Abhängigkeit und Unterordnung unter die Hierarchie.“[16]
Persson referiert in der Folge dann
genau jene Lehre, die wir später in der zweitvatikanischen, dogmatischen
Konstitution „Lumen gentium“ finden.
Es war also lange vor dem Konzil absehbar, dass sich nichts an der alten Lehre
ändern, sondern sie im Gegenteil noch stärker festgezurrt werden würde.
Die Hoffnung vieler erschöpfter
Katholiken darauf, dass sich je etwas an diesem Unterwerfungskonzept ändern
könnte, ist mit dem Vaticanum II erneut und um ein weiteres erloschen. Ob
Frauen oder männliche Laien nun auch „Pastoralreferenten“ oder „Messdiener“
sein dürfen oder Kommunionhelferin oder einmal einen Schrifttext am Ambo
vortragen dürfen, ob sie in Pfarrgemeinderäten tönen dürfen, ändert objektiv
nichts an der grundsätzlich zuarbeitenden und hörigen Stellung. Auch der
griechische Sklave, der den römischen Herrensohn unterrichtete und „belehren“
durfte, wurde dadurch nicht ein Freier. Wir erleben bis heute, wie unerwünschte
Entwicklungen ebenso gnadenlos wie zu früheren Zeiten von den Bischöfen und Rom
eliminiert oder aus der Kirche getrieben werden. Dass dies gelegentlich auch
Kleriker trifft, ändert nichts am Prinzip. Die Kirche opfert für ihr
Machtkonzept auch ohne Skrupel ihre lebendigen Heiligen.
Es ist ein Irrtum zu glauben,
umfangreichere Aufgabenzuweisungen könnten einen sozialen oder geistlichen
Stand verändern. Nur eine bedeutsame Entscheidungskompetenz im Führungsapparat
würde den oder die Freie(n) kennzeichnen. Diese Entscheidungskompetenz liegt
aber noch rabiater als vor dem Vaticanum II inzwischen ausschließlich beim
Klerus. Zuvor konnten tatsächlich gelegentlich Laien und vor allem auch Ordensfrauen
sehr hohe Stellungen erhalten — das alles ist seit den Reformen infolge des
Vaticanum II ausgeschlossen. Man suggeriert aber in konservativen kreisen, das
„Zuviel an Mitsprache“ durch Laien und vor allem Frauen sei schuld an der
Kirchenkrise. Objektiv, lehramtlich und auf der rechtlichen Ebene ist das
Gegenteil der Fall.
Die aus Sicht der Gläubigen, die —
freilich mit einer gewissen logischen Berechtigung — immer noch an der
Abrichtung der Katholiken vergangener Tage festhalten, verworrenen Zustände in
der Kirche heute sind vielleicht weniger verworren als wir glauben. Der Zustand
ist erwünscht und geplant. Warum sonst sollten Päpste sie so zielsicher und
ohne Not durch ihre jurisdiktionellen und lehramtlichen Entscheidungen
herbeigeführt haben? Auf dem Weg zur totalen Weltherrschaft opfert man auch die
überholte Volkskirche zugunsten einer übernationalen neuen, totalitären
Struktur, die sich bislang noch verborgen hält, aber erahnbar vorbereitet wird.
Viele Gläubige sind mit wahrer Blindheit geschlagen und erkennen nicht, dass an
der gegenwärtigen Situation nichts zufällig, sondern alles sorgsam bewacht und
gehegt ist, denn die Kirche schlägt sehr wohl hart zu, wenn sie etwas wirklich
gar nicht will, gerüchteweise oder aufgrund dubioser Umstände nach wie vor
durch Mord und Totschlag.
In der „Konstitution über die Heilige Liturgie“, dem Text „Sacrosanctum concilium“, die das
Vaticanum II 1963 als ersten Beschluss herausgab, finden wir dieselben
Absichten und Pläne. Es geht um die Sammlung aller Menschen unter einer
Herrschaft, nämlich der römischen, die gleichgesetzt wird mit der des guten
Hirten Christus:
„Dabei
baut die Liturgie täglich die, welche drinnen sind, zum heiligen Tempel im
Herrn auf, zur Wohnung Gottes im Geist bis zum Maße des Vollalters Christi.
Zugleich stärkt sie wunderbar deren Kräfte, daß sie Christus verkünden. So
stellt sie denen, die draußen sind, die Kirche vor Augen als Zeichen, das
aufgerichtet ist unter den Völkern. Unter diesem sollen sich die zerstreuten
Söhne Gottes zur Einheit sammeln, bis eine Herde und ein Hirt wird.“[17]
Warum baut die Liturgie den heiligen Tempel Gottes auf? Woher diese Meinung?
Und wie sollte sie es sein, die dem Geist Gottes eine Wohnung herstellt? Schafft
sich der Hl. Geist nicht selbst seine Wohnung in den Gläubigen? Sagte nicht
einst Gott zu David, nicht er könne ihm, der doch Gott ist und keinen Tempel
braucht, einen Tempel bauen, sondern er, der große Gott, baue dem Menschen
einen Tempel aus dem Königsgeschlecht Davids (2. Sam 7, 4 ff), das ewig währen
wird? Was soll das heißen, dass die Kirche behauptet, sie selbst baue mithilfe
der Liturgie diesen ewigen Tempel?
Die Ausführungen in „Sacrosanctum concilium“ dagegen klingen
der menschlichen Eitelkeit verlockend und „richtig“:
Die
Mutter Kirche wünscht sehr, alle Gläubigen möchten zu der vollen, bewußten und
tätigen Teilnahme an den liturgischen Feiern geführt werden, wie sie das Wesen
der Liturgie selbst verlangt und zu der das christliche Volk, "das
auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, der heilige Stamm, das
Eigentumsvolk" (1 Petr
2,9; vgl. 2,4-5) kraft der Taufe berechtigt und verpflichtet ist. Diese volle
und tätige Teilnahme des ganzen Volkes ist bei der Erneuerung und Förderung der
heiligen Liturgie aufs stärkste zu beachten, ist sie doch die erste und
unentbehrliche Quelle, aus der die Christen wahrhaft christlichen Geist
schöpfen sollen.[18]
Doch bevor weitergeredet wird,
stellt das Konzil klar, wer hier wem etwas zu sagen hat:
„§
1. Das Recht, die heilige Liturgie zu ordnen, steht einzig der Autorität der
Kirche zu. Diese Autorität liegt beim Apostolischen Stuhl und nach Maßgabe des
Rechtes beim Bischof. (…)“[19]
Es folgen Ausführungen unter der vielsagenden
Überschrift:
„Regeln aus der Natur der Liturgie
als einer hierarchischen und gemeinschaftlichen Handlung (…)“[20]
Die „participatio actuosa“ wird
unter dieser Rubrik aufgeführt. Es scheint durch, dass das gesamte liturgische
Geschehen ein „heiliges Theater“ ist, das als vollziehende Gebärde einen
Eigenwert zu besitzen scheint (inwiefern genau wäre zu fragen), in dem der Laie
allerdings keinerlei bestimmende Rolle innehaben kann, sondern ausschließlich
die eines Statisten, der nun besser trainiert werden soll, als dies zuvor der
Fall war:
„Um die tätige Teilnahme zu fördern,
soll man den Akklamationen des Volkes, den Antworten, dem Psalmengesang, den
Antiphonen, den Liedern sowie den Handlungen und Gesten und den Körperhaltungen
Sorge zuwenden. Auch das heilige Schweigen soll zu seiner Zeit eingehalten
werden.“[21]
Der solcherart „abgerichtete“ Laie soll die Liturgie v.a. als „Belehrung“ und „Nahrung“ aus der Hand der „Auszeichnungen, die auf dem liturgischen Amt oder der heiligen Weihe
beruhen“ annehmen.[22] Indem
er vollzieht, wird er indoktriniert. Das „liturgische
Leben der Pfarrei“ soll die Beziehung zur bischöflichen Hierarchie
vertiefen helfen „im Denken und Tun der Gläubigen und des
Klerus“.[23]
Die „Liturgische Bewegung“ der
ersten Hälfte des 20. Jh wird als „Fügung
der göttlichen Vorsehung“ betrachtet, die nun das Konzil aufgreift, um eine
liturgische Erneuerung in ihrem Sinne, die sie ohnehin vorgehabt hätte, zu
initiieren.[24]
Man kann sich ohne Not diese Bewegung aus der Laienschaft heraus zunutze machen
für „höhere Ziele“. Doch welche Ziele — neben dem unverhohlenen Weltherrschaftsziel
der Kirche — sind das?
[1] Josef
Höfer, Karl Rahner (Hg): Lexikon für Theologie und Kirche. Band 4,Freiburg
1960, S. 655 Stichwort „Gemeinschaftsmesse“, vgl. auch
https://de.wikipedia.org/wiki/Gemeinschaftsmesse,
(abgerufen am 14.2.2018)
[2] Motu
proprio „Summorum pontificum“ kann hier gelesen werden: https://w2.vatican.va/content/benedict-xvi/de/letters/2007/documents/hf_ben-xvi_let_20070707_lettera-vescovi.html,
(abgerufen am 14.2.2018)
[3] Was
ist eigentlich „Cäcilianismus“? Internetauftritt der Peter Heinrich
Thielen-Gesellschaft e.V.: http://www.phtg.de/caecilianismus.html,
(abgerufen am 14.2.2018)
[4] Die
1861 zuzeiten Pius IX. vom Großvater von Pius XII. ins Leben gerufene
Zeitschrift „Osservatore romano“ trägt bis heute dieses Motto „Unicuique suum –
non praevalebunt“ und knüpfte damals und heute an die kirchliche Ideologie von
der Gottgewolltheit des Ständestaates und der hierarchischen Ordnung der Kirche
an. „Jedem das Seine“ stand über dem KZ-Tor von Buchenwald.
[5] Lumen
gentium 11. http://www.vatican.va/archive/hist_councils/ii_vatican_council/documents/vat-ii_const_19641121_lumen-gentium_ge.html,
(abgerufen am 14.2.2018)
[6]
Joseph Ratzinger: Der Geist der Liturgie. Freiburg 2006. S. 17f
[7]
A.a.O., S. 16
[8]
A.a.O. 13
[9]
A.a.O. 18
[10]
A.a.O. 30
[11]
A.a.O. 32
[12]
A.a.O. 32
[13] A.a.O. 33
[14]
Klaus Berger: Die Urchristen. München 2008, S. 240
[15] Per Erik Persson: Repraesentatio Christi. Der
Amtsbegriff in der neueren römisch-katholischen Theologie. Erschienen in der
Reihe „Kirche und Konfession. Veröffentlichungen des Konfessionskundlichen
Instituts des Evangelischen Bundes, Band 10. Göttingen 1966, S. 94 ff
[16]
A.a.O., S. 101 f
[17]
Sacrosanctum concilium 2, http://www.vatican.va/archive/hist_councils/ii_vatican_council/documents/vat-ii_const_19631204_sacrosanctum-concilium_ge.html,
(abgerufen am 14.2.1018)
[18]
A.a.O. 14
[19]
A.a.O. 22
[20]
A.a.O. unter Rubrik III Abschnitt B
[21]
A.a.O. 30
[22]
A.a.O. 32
[23]
A.a.O. 42
[24]
A.a.O. 43
Liebe Frau Jüngling,
AntwortenLöschenjetzt habe ich mal angefangen Ihre Reflexionen zur Eucharistie (ich nenne das jetzt mal so) zu lesen. Inhaltlich kann ich dazu noch nichts sagen. Ich bin aber beeindruckt, wie viel Mühe Sie auf diese Frage(n) verwendet haben. Großes Kompliment!